Der USB-Stick

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Jean Detrez ist als Leiter einer Abteilung der Europäischen Kommission mit Zukunftsforschung befasst. Er ist Zukunftsexperte – aber kein Experte seiner eigenen Zukunft. Diese hat sich seit seiner Trennung von Diane in Luft aufgelöst. Die Kommission beauftragt ihn mit einer Machbarkeitsstudie: Eine rein europäische Blockchaintechnologie soll künftig die Unabhängigkeit von China und den USA gewährleisten. Nachdem Detrez seine Ergebnisse im Europäischen Parlament vorgestellt hat, wird er von zwei Lobbyisten zur Seite genommen. Aus Neugier lässt sich Detrez auf konspirative Treffen in dunklen Hotelbars ein. Nach der letzten Begegnung findet er einen USB-Stick auf dem Boden, den einer der beiden dort verloren hat. Detrez prüft den Inhalt und stößt auf Ungeheuerliches: Es geht nicht um Forschungszwecke, sondern um Bitcoins und den geheimen Auftrag einer chinesischen Firma. Um den Betrug aufzudecken, nimmt er kurzentschlossen einen Flieger nach China, statt wie geplant direkt zu einer Konferenz nach Japan zu reisen. Für 48 Stunden weiß niemand auf der Welt, wo er sich befindet.

Der Plot über internationale Cyberkriminalität erzeugt große Spannung, und doch lesen wir einen Roman von Jean-Philippe Toussaint. Sein unverwechselbarer ernster wie ironisch-humorvoller Ton bannt den Leser und öffnet zugleich romaneskere Bahnen, die in die Vergangenheit, zur Familie, zu den Kindern des Protagonisten führen, der allem und jedem misstraut und sich doch ins Zentrum der Gefahr wagt. Und sosehr sich sein Chinaaufenthalt immer mehr zu einem Alptraum entwickelt, ahnt der Leser: Die eigentliche Katastrophe steht noch bevor.

"Hält Jean-Philippe Toussaint den Schlüssel zur Zukunft in der Hand? Mit größter Genauigkeit beschreibt er unsere Welt, von der Technik dominiert und untertan gemacht." (LE CROIX)

"Ein neues Buch von Toussaint zu öffnen, heißt immer, in ein neues Denkmodell einzutreten: In der Tarnung eines Spionageromans bringt er Fragen zur Sprache, die unsere Moderne durch Globalisierung und neue Technologien ausgelöst hat." (LIVRES)

"Jean Detrez arbeitet bei der Europäischen Kommission über ein sensibles Thema. Zwei Lobbyisten treten an ihn heran. Bei einem konspirativen Treffen in einem Brüsseler Hotel verliert einer der beiden einen USB-Stick. Dieses Objekt macht aus dem neuen Roman von Jean-Philippe Toussaint ein Buch, das man bis zum Ende nicht mehr weglegen kann, packend wie ein Thriller." (EAN, JOURNAL DE LA LITTTÉRATURE)

"Romanhafter denn je, durchaus auch autobiographisch und ohne dass sein Stil Leichtigkeit verliert, zeigt Toussaint in ›Der USB-Stick‹, wie die profitgierige Moderne europäische und demokratische Ideale erstickt." (LE GUIDE LIVRES)

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Jean-Philippe Toussaint. Der USB-Stick

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Über dieses Buch

Jean Detrez ist als Leiter einer Abteilung der Europäischen Kommission mit Zukunftsforschung befasst. Er ist Zukunftsexperte – aber kein Experte seiner eigenen Zukunft. Diese hat sich seit seiner Trennung von Diane in Luft aufgelöst. Die Kommission beauftragt ihn mit einer Machbarkeitsstudie: Eine rein europäische Blockchaintechnologie soll künftig die Unabhängigkeit von China und den USA gewährleisten. Nachdem Detrez seine Ergebnisse im Europäischen Parlament vorgestellt hat, wird er von zwei Lobbyisten zur Seite genommen. Aus Neugier lässt sich Detrez auf konspirative Treffen in dunklen Hotelbars ein. Nach der letzten Begegnung findet er einen USB-Stick auf dem Boden, den einer der beiden dort verloren hat. Detrez prüft den Inhalt und stößt auf Ungeheuerliches: Es geht nicht um Forschungszwecke, sondern um Bitcoins und den geheimen Auftrag einer chinesischen Firma. Um den Betrug aufzudecken, nimmt er kurzentschlossen einen Flieger nach China, statt wie geplant direkt zu einer Konferenz nach Japan zu reisen. Für 48 Stunden weiß niemand auf der Welt, wo er sich befindet.

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Nachdem ich im September meinen Bericht vorgestellt hatte, wurde ich also in einem Gang des Parlaments von zwei Männern angesprochen, und hier hätte die Geschichte auch schon enden können, denn ich war durchaus entschlossen, nicht auf ihre Avancen einzugehen. Mit meinen Unterlagen unter dem Arm durchquerte ich die Menschenmenge weiter in Richtung Ausgang, hörte ihnen kaum zu, als sie mir zu meinem Vortrag gratulierten und sich in einem hohen Maß an meiner soeben gemachten Ankündigung einer von Europa entwickelten Blockchain interessiert zeigten. Sie würden sich glücklich schätzen, von mir mehr darüber zu erfahren, und wünschten, mich innerhalb der nächsten Tage noch einmal zu treffen, um den Punkt zu vertiefen. Instinktiv war ich vor ihnen auf der Hut und versuchte, sie mit dem Hinweis auf die öffentliche Ausschreibung der Gemeinsamen Forschungsstelle für Wissenschaftliche Beratung abzuwimmeln. Aber die beiden Männer ließen sich nicht entmutigen, geduldig lächelnd folgten sie mir weiter taktvoll an meiner Seite durch die Gänge des Europäischen Parlaments, ohne auch nur ein wenig von mir zu lassen. Sie erlaubten sich in aller Höflichkeit, nochmals auf ihr Anliegen zurückzukommen und erklärten mir, sie würden für eine sehr wichtige internationale Klientel arbeiten, vor allem aus Asien. An diesem Tag war ich in Eile (ein Taxi wartete auf mich an der Place du Luxembourg), und ich beließ es beim Austausch von Visitenkarten, bevor ich mich verabschiedete. Im Taxi warf ich einen schnellen Blick auf ihre Karten, mit ihren Namen und Funktionen und einem esoterischen Firmenlogo. Sie arbeiteten für eine Beratungsgesellschaft mit Sitz in Brüssel, die XO-BR Consulting, der eine hieß John Stavropoulos, der andere Dragan Kucka. Ich steckte die Karten in mein Jackett und dachte nicht mehr daran. In den folgenden Tagen wurde ich erneut von John Stavropoulos kontaktiert, der nicht davon abließ, mich zu einem Treffen überreden zu wollen. Ich antwortete wieder ausweichend, etwas willenloser dieses Mal, ich war doch neugierig geworden wegen des Begriffs »Blockchain«, der im Namen der Gesellschaft, für die er arbeitete, auftauchte, Consulting company for the development of blockchain and digital currencies. Er kam erneut darauf zu sprechen, dass die XO-BR Consulting eine spezialisierte Beratungsfirma für die Entwicklung von Blockchain-Technologien sei, und versicherte mir, seine Gesellschaft kenne sich so gut wie keine andere auf dem europäischen Markt aus. Ihm zufolge waren sie überhaupt die Einzigen in Brüssel, die in der Lage waren, eine hundertprozentig europäische Blockchain auf die Beine zu stellen, die zudem noch ausschließlich auf unserem Kontinent entwickelt werden könnte, ohne die Hilfe großer amerikanischer oder chinesischer Unternehmen in Anspruch nehmen zu müssen. Nachdenklich geworden hörte ich ihm am Telefon zu. Ich war aufgestanden und überlegte, starrte durch das große Glasfenster meines Büros auf ein Ensemble von Gebäuden weit entfernt im Herbstgrau. Seit mehreren Monaten schon dachte ich darüber nach, wie dringend notwendig die eigenständige Entwicklung einer unabhängigen europäischen Blockchain wäre. Es war für uns unumgänglich, uns bei einer so sensiblen Technik von der Abhängigkeit von China oder von den Vereinigten Staaten zu befreien. Es handelte sich mit Sicherheit um das große Thema zukünftiger Geopolitik. Früher oder später würde es die Organisation unseres Geldverkehrs, unseres Gesundheitswesens und sogar unserer Sicherheit betreffen, die einmal von der Blockchain-Technologie verwaltet werden könnten. Europa durfte sich nicht den Luxus erlauben, auf diesem Gebiet von China oder den Vereinigten Staaten abhängig zu sein (die angebliche Neutralität dieser Technologie ist natürlich nichts als Augenwischerei). Aus diesem Grund war ich trotz meines Misstrauens John Stavropoulos gegenüber von dem gefesselt, was er mir zu erzählen hatte. In meiner Neugier, mehr über die Aktivitäten der XO-BR Consulting zu erfahren, stimmte ich schließlich einem Treffen zu.

Nach diesem ersten Aufeinandertreffen hatten sie mich in gewisser Weise am Haken, und ich sah John Stavropoulos und Dragan Kucka noch mehrere Male. Ich traf sie jeweils in aller Diskretion und war mir völlig darüber im Klaren, dass unsere Treffen gegen die Regeln der Kommission verstießen, die ausdrücklich inoffizielle Beziehungen zu Lobbyisten untersagten. Bei unserem ersten Treffen war ich auf der Hut geblieben, hatte sorgfältig darauf geachtet, mich nicht zu weit vorzuwagen, keine vertraulichen Informationen preiszugeben. Ich für meinen Teil hatte nur eine rein theoretische Vorstellung von der Blockchain. In meinem Büro hatte ich mir anhand von Quellen und Berichten eine Meinung gebildet, während Stavropoulos und Kucka praktische Erfahrung auf dem Gebiet vorzeigen konnten. Sie kannten bestens die einschlägigen Firmen und unterhielten enge Beziehungen zu deren Managern. Um an diesem konkreten Wissen teilzuhaben, wollte ich den Kontakt zu den beiden nicht abbrechen lassen. Tatsächlich handelte es sich, um genau zu sein, bei den beiden Lobbyisten, die sich um mich kümmerten, um drei (eigentlich sogar um vier, wie bei den drei Musketieren), alle vier akkreditiert bei der Europäischen Kommission mit freiem Zugang zum Parlament. Sie kamen nie gemeinsam, sondern in verschiedenen Konstellationen, deren Bedeutung mir entging, es war jedoch die ursprüngliche Besetzung mit dem Paar Stavropoulos und Kucka, mit der ich es hauptsächlich zu tun bekam, den beiden Vögeln, die mich am ersten Tag nach meiner Präsentation im Parlament abgefangen hatten. Bei unserem dritten Treffen sah ich sie aber zu dritt kommen, ein ziemlich magerer Typ hatte sich ihnen angeschlossen, der kein einziges Mal den Mund aufmachte, dann kamen sie mit einer Frau, die mir als Yolanda Paul vorgestellt wurde, eine hübsche junge Frau im Trenchcoat, mit Schal und Sonnenbrille. Auf ihrer Visitenkarte war als Funktion angegeben: Senior Managing Director Financial Services, Growth & Strategy, ein recht schnarchiger Titel, der mir nicht gerade auf die Sprünge half, was genau sie machte. Mir gelang es auch nicht, genau herauszufinden, welcher Nationalität sie angehörte, weder ihr Name (Yolanda Paul) noch ihr Akzent (ihr Akzent im Englischen, weil unsere Gespräche immer auf Englisch stattfanden) erlaubten mir, klarer zu sehen. Vor allem verstand ich nicht, welche Rolle sie innerhalb der Gruppe spielte, stand sie in der Hierarchie über den anderen und war gekommen, um die beiden zu kontrollieren, oder sollte sie mir gegenüber eine andere, zwiespältigere Rolle spielen, um nicht zu sagen eine explizit sexuelle (ich war auf alles gefasst). Jedenfalls gelang es ihr einmal, mich allein zu treffen. Ich kam gerade aus meinem Büro, als sie mir auf der anderen Straßenseite auffiel, wie sie mir auflauerte. Sie setzte sich sofort in Bewegung, kam quer über die Straße auf mich zu und schlug vor, ein Glas im Viertel trinken zu gehen. Mir fiel auf, dass sie geschminkt und sorgfältig gekleidet war, elegant und gut aufeinander abgestimmt. Wir gingen in das erstbeste Café, und sie erklärte mir detailliert die Ziele ihrer Gesellschaft, die Geschäfte zwischen osteuropäischen Unternehmen und großen Auftraggebern in China vermittelte. Sie ließ mir ihre private Telefonnummer und bot mir an, ich könne sie anrufen und mit ihr abendessen gehen. Aber ich kam nicht auf ihr Angebot zurück. Ich hatte nur unter der Bedingung die Gespräche mit ihr und den anderen akzeptiert, dass diese strikt vertraulich blieben. Ich vermied es, soweit es möglich war, mit ihnen in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Von Anfang an hatte ich Sorge getragen, nur auf strikt persönlicher Ebene zu handeln, ohne in irgendeiner Weise die Welt der Gemeinsamen Forschungsstelle für Wissenschaftliche Beratung miteinzubeziehen. Und natürlich empfing ich sie nie in meinem Büro, wo sämtliche Termine von der Security registriert werden. Ich hatte weder etwas unterschrieben noch etwas versprochen. Ich war ihnen in keiner Weise verpflichtet.

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