Hermann und Dorothea

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Johann Wolfgang von Goethe. Hermann und Dorothea

Kalliope. Schicksal und Anteil

Terpsichore. Hermann

Thalia. Die Bürger

Euterpe. Mutter und Sohn

Polyhymnia. Der Weltbürger

Klio. Das Zeitalter

Erato. Dorothea

Melpomene. Hermann und Dorothea

Urania. Aussicht

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Als nun der wohlgebildete Sohn ins Zimmer hereintrat, Schaute der Prediger ihm mit scharfen Blicken entgegen Und betrachtete seine Gestalt und sein ganzes Benehmen Mit dem Auge des Forschers, der leicht die Mienen enträtselt, Lächelte dann und sprach zu ihm mit traulichen Worten: "Kommt Ihr doch als ein veränderter Mensch! Ich habe noch niemals Euch so munter gesehn und Eure Blicke so lebhaft. Fröhlich kommt Ihr und heiter; man sieht, Ihr habet die Gaben Unter die Armen verteilt und ihren Segen empfangen."

Ruhig erwiderte drauf der Sohn, mit ernstlichen Worten: "Ob ich löblich gehandelt? ich weiß es nicht; aber mein Herz hat Mich geheißen zu tun, so wie ich genau nun erzähle. Mutter, Ihr kramtet so lange, die alten Stücke zu suchen Und zu wählen; nur spät war erst das Bündel zusammen, Auch der Wein und das Bier ward langsam, sorglich gepacket. Als ich nun endlich vors Tor und auf die Straße hinauskam, Strömte zurück die Menge der Bürger mit Weibern und Kindern, Mir entgegen; denn fern war schon der Zug der Vertriebnen. Schneller hielt ich mich dran und fuhr behende dem Dorf zu, Wo sie, wie ich gehört, heut übernachten und rasten. Als ich nun meines Weges die neue Straße hinanfuhr, Fiel mir ein Wagen ins Auge, von tüchtigen Bäumen gefüget, Von zwei Ochsen gezogen, den größten und stärksten des Auslands, Nebenher aber ging mit starken Schritten ein Mädchen, Lenkte mit langem Stabe die beiden gewaltigen Tiere, Trieb sie an und hielt sie zurück, sie leitete klüglich. Als mich das Mädchen erblickte, so trat sie den Pferden gelassen Näher und sagte zu mir: "Nicht immer war es mit uns so Jammervoll, als Ihr uns heut auf diesen Wegen erblicket. Noch nicht bin ich gewohnt, vom Fremden die Gabe zu heischen, Die er oft ungern gibt, um los zu werden den Armen; Aber mich dränget die Not, zu reden. Hier auf dem Strohe Liegt die erst entbundene Frau des reichen Besitzers, Die ich mit Stieren und Wagen noch kaum, die Schwangre, gerettet. Spät nur kommen wir nach, und kaum das Leben erhielt sie. Nun liegt, neugeboren, das Kind ihr nackend im Arme, Und mit wenigem nur vermögen die Unsern zu helfen, Wenn wir im nächsten Dorf, wo wir heute zu rasten gedenken, Auch sie finden, wiewohl ich fürchte, sie sind schon vorüber. Wär' Euch irgend von Leinwand nur was Entbehrliches, wenn Ihr Hier aus der Nachbarschaft seid, so spendet's gütig den Armen."

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Aber es fiel sogleich die gute Mutter behend ein: "Sohn, fürwahr! du hast recht; wir Eltern gaben das Beispiel. Denn wir haben uns nicht an fröhlichen Tagen erwählet, Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen. Montag morgens – ich weiß es genau, denn Tages vorher war Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte – Zwanzig Jahre sind's nun; es war ein Sonntag wie heute, Heiß und trocken die Zeit und wenig Wasser im Orte. Alle Leute waren, spazierend in festlichen Kleidern, Auf den Dörfern verteilt und in den Schenken und Mühlen. Und am Ende der Stadt begann das Feuer. Der Brand lief Eilig die Straßen hindurch, erzeugend sich selber den Zugwind. Und es brannten die Scheunen der reich gesammelten Ernte, Und es brannten die Straßen bis zu dem Markt, und das Haus war Meines Vaters hierneben verzehrt und dieses zugleich mit. Wenig flüchteten wir. Ich saß, die traurige Nacht durch, Vor der Stadt auf dem Anger, die Kasten und Betten bewahrend; Doch zuletzt befiel mich der Schlaf, und als nun des Morgens Mich die Kühlung erweckte, die vor der Sonne herabfällt, Sah ich den Rauch und die Glut und die hohlen Mauern und Essen. Da war beklemmt mein Herz; allein die Sonne ging wieder Herrlicher auf als je und flößte mir Mut in die Seele. Da erhob ich mich eilend. Es trieb mich, die Stätte zu sehen, Wo die Wohnung gestanden, und ob sich die Hühner gerettet, Die ich besonders geliebt; denn kindisch war mein Gemüt noch. Als ich nun über die Trümmer des Hauses und Hofes daherstieg, Die noch rauchten, und so die Wohnung wüst und zerstört sah, Kamst du zur andern Seite herauf und durchsuchtest die Stätte. Dir war ein Pferd in dem Stalle verschüttet; die glimmenden Balken Lagen darüber und Schutt, und nichts zu sehn war vom Tiere. Also standen wir gegeneinander, bedenklich und traurig: Denn die Wand war gefallen, die unsere Höfe geschieden. Und du faßtest darauf mich bei der Hand an und sagtest: "Lieschen, wie kommst du hieher? Geh weg! du verbrennest die Sohlen; Denn der Schutt ist heiß, er sengt mir die stärkeren Stiefeln." Und du hobest mich auf und trugst mich herüber durch deinen Hof weg. Da stand noch das Tor des Hauses mit seinem Gewölbe, Wie es jetzt steht; es war allein von allem geblieben. Und du setztest mich nieder und küßtest mich und ich verwehrt' es. Aber du sagtest darauf mit freundlich bedeutenden Worten: "Siehe, das Haus liegt nieder. Bleib hier, und hilf mir es bauen, Und ich helfe dagegen auch deinem Vater an seinem." Doch ich verstand dich nicht, bis du zum Vater die Mutter Schicktest und schnell das Gelübd' der fröhlichen Ehe vollbracht war. Noch erinnr' ich mich heute des halbverbrannten Gebälkes Freudig und sehe die Sonne noch immer so herrlich heraufgehn; Denn mir gab der Tag den Gemahl, es haben die ersten Zeiten der wilden Zerstörung den Sohn mir der Jugend gegeben. Darum lob ich dich, Hermann, daß du mit reinem Vertrauen Auch ein Mädchen dir denkst in diesen traurigen Zeiten Und es wagtest zu frein im Krieg und über den Trümmern."

Da versetzte sogleich der Vater lebhaft und sagte: "Die Gesinnung ist löblich, und wahr ist auch die Geschichte, Mütterchen, die du erzählst; denn so ist alles begegnet. Aber besser ist besser. Nicht einen jeden betrifft es, Anzufangen von vorn sein ganzes Leben und Wesen; Nicht soll jeder sich quälen, wie wir und andere taten, Oh, wie glücklich ist der, dem Vater und Mutter das Haus schon Wohlbestellt übergeben und der mit Gedeihen es ausziert! Aller Anfang ist schwer, am schwersten der Anfang der Wirtschaft. Mancherlei Dinge bedarf der Mensch, und alles wird täglich Teurer; da seh er sich vor, des Geldes mehr zu erwerben. Und so hoff ich von dir, mein Hermann, daß du mir nächstens In das Haus die Braut mit schöner Mitgift hereinführst; Denn ein wackerer Mann verdient ein begütertes Mädchen, Und es behaget so wohl, wenn mit dem gewünscheten Weibchen Auch in Körben und Kasten die nützliche Gabe hereinkommt. Nicht umsonst bereitet durch manche Jahre die Mutter Viele Leinwand der Tochter, von feinem und starkem Gewebe; Nicht umsonst verehren die Paten ihr Silbergeräte, Und der Vater sondert im Pulte das seltene Goldstück: Denn sie soll dereinst mit ihren Gütern und Gaben Jenen Jüngling erfreun, der sie vor allen erwählt hat. Ja, ich weiß, wie behaglich ein Weibchen im Hause sich findet, Das ihr eignes Gerät in Küch' und Zimmern erkennet Und das Bette sich selbst und den Tisch sich selber gedeckt hat. Nur wohl ausgestattet möcht' ich im Hause die Braut sehn; Denn die Arme wird doch nur zuletzt vom Manne verachtet, Und er hält sie als Magd, die als Magd mit dem Bündel hereinkam. Ungerecht bleiben die Männer, und die Zeiten der Liebe vergehen. Ja, mein Hermann, du würdest mein Alter höchlich erfreuen, Wenn du mir bald ins Haus ein Schwiegertöchterchen brächtest Aus der Nachbarschaft her, aus jenem Hause, dem grünen. Reich ist der Mann fürwahr: sein Handel und seine Fabriken Machen ihn täglich reicher: denn wo gewinnt nicht der Kaufmann? Nur drei Töchter sind da; sie teilen allein das Vermögen. Schon ist die ältste bestimmt, ich weiß es; aber die zweite Wie die dritte sind noch, und vielleicht nicht lange, zu haben. Wär' ich an deiner Statt, ich hätte bis jetzt nicht gezaudert, Eins mir der Mädchen geholt, so wie ich das Mütterchen forttrug."

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