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Josepha Mendels. Rolien & Ralien
1. Die Familie Kolar
2. Spielzeug
3. Ralien und Rudolf
4. Experimente mit Leben und Tod
5. Eine Frau
6. Sechs Männer
7. Wasser
8. Ekstase
9. Popul versagt
10. Sankt Martin und Schaffhausen
11. Von Menschen und Tieren
12. Ja, warum frag ich es sie nicht
13. Diebin
14. Baby mine
15. Zwei Briefe
16. Und oh und oh und oh und oh
17. Widerstand
18. Auteuil
19. Das Ei des Kolumbus
20. Square des Innocents
21. Liebe (Banalität und Humor der)
22. Spaziergang
23. Novelle
24. Liebe (Raffinement und Demütigung der)
25. Flucht
26. Erlösung
NACHWORT
Отрывок из книги
Für Emilien Valéry, meinen Enkel
Am Samstagnachmittag stellt sich die Maniküre ein, ein mageres, rothaariges junges Mädchen. Auch sie verschwindet im Badezimmer, wo wieder die Tür eingehakt und abgeschlossen wird und statt der Füße nun die Hände in Sodawasser weichen. Mutter bringt eine Tasse Tee und holt nach zehn Minuten die leere Tasse wieder ab. Oft wird auch Rolien genau dann mit einer Nachricht zum Vater geschickt. Das erste Mal lief sie einfach so hinein, worauf der Vater sagte, dass sie anklopfen müsse. Also klopft sie nun immer an und sieht deshalb nie mehr, was sie beim ersten Mal gesehen hat. Damals hatte das magere rote Mädchen ihren Kopf so nah an Vaters Kopf, dass seine Nase fast in ihrem rötlichen Lockengewirr verschwand, und ihre Hände waren nicht mit denen des Vaters beschäftigt. Dabei war der Vater brillenlos, hatte ein kindliches, weiches Gesicht. Nach Beendigung (das magere rote Mädchen schleicht verstohlen die Treppen hinunter) ist Griet wieder mit Kehrblech und Handbesen zur Stelle und fegt, was einst Nägel, Nagelhaut und raue Stellen waren, zusammen. Diesmal fasst sie es in das Wort: Dreckszeug.
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Im Frechsein sind sich beide auffallend ähnlich. Sie lassen morgens das Wasser in die Waschbecken laufen, ohne ihre Schwämme einzutauchen, und machen ihre Handtücher nass, damit die Mutter überprüfen kann, dass sie sich gut gewaschen haben. In der Zwischenzeit schlüpfen sie noch nach Schlaf müffelnd in Windeseile in ihre Kleider. Sie schmieren sich, sobald die Mutter ihnen den Rücken zudreht, eine zweite Portion Butter aufs Brot. Wenn die eine nachsitzen muss, erfindet die andere eine Ausrede. Sie wagen es, zu widersprechen und Rolien völlig grundlos zu beschuldigen. Abends lesen sie beim Licht der Taschenlampe im Bett und stellen sich – wenn jemand nach oben kommt – mit zuckenden Lidern schlafend.
Ab und zu beziehen sie die Jüngste in ihren Bund der Frechen ein. Rolien begreift noch nicht, dass die beiden sie brauchen, und kann deshalb nur stolz sein, dass sie mitspielen darf, was vor allem vorkommt, wenn die Eltern aus dem Haus sind. Das Spiel, das gewöhnlich Verstecki genannt wird, dehnt sich zu einem Riesenverstecken aus. Denn anders als atmende Heuberge, weite Wälder, wo sich Hüften und eingezogene Bäuche hinter viel zu magere Baumstämme pressen, wo sich Köpfe hinter Hügel ducken und ein Haarband, eine Tolle oder ein Mützenschirm zum Verräter wird, anders als enge Hauseingänge, zu schmal, um zwei schmuddelige Knie zu verbergen, oder im Vergleich mit Gemüsekarren, die zum falschen Zeitpunkt wegfahren, bietet das dreistöckige Haus unbegrenzte Möglichkeiten. Es ist eine stillschweigende Vereinbarung, dass Rolien Erster sein muss. Sie zählt, mit den Händen vor den Augen, bis hundert. Gewissenhaft, entsprechend dem Ticken der Standuhr im Gang, bis fünfzig, danach schnell und vor allen Zehnern die Neun auslassend. Denn Neun ist eine braune Zahl, so eklig braun wie der Donnerstag. Bei achtundneunzig ruft sie: »Ich kohomme« – und noch einmal: »Ich ko-ho-homme.« Und dann kommt sie. In die nächste Nähe der Möglichkeiten. In Schränke, unter Tische, unter und in Betten, hinter und zwischen Vorhänge. Sie läuft von einem Zimmer ins andere, von den Klos zu Griets Alkoven. Hier betrachtet sie interessiert das kolorierte Foto eines nackt auf dem Rücken liegenden Babys und flüchtet beim Aufschlagen der Zudecken vor dem Bettmief, der daraus aufsteigt. Sie ruft abermals, und jetzt hört sie ein Kichern. Es kommt vom Dachboden. Sie öffnet leere Koffer und volle Kisten, spürt dem unterdrückten Lachen nach.
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