Identität im Zwielicht
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Jörg Scheller. Identität im Zwielicht
INHALT
1.Prolog. Eine Selbstbeobachtung
2.Anliegen des Essays: Wut zur Differenzierung
3.Thinking Identity Politics. Theorien, Ideen, Diskurse
Dekonstruktion und Authentizität
Vom Besonderen zum Allgemeinen
All Lives Matter? No Lives Matter!
4.Doing Identity Politics. Die Praxis der Identitätspolitik in der Medienöffentlichkeit
Identitäre Identitätspolitik
Identitätspolitik gegen Identitätspolitik
Das Spiel der Identitäten und die Intersektionalitätstheorie
An den Grenzen leben
Vom strategischen zum habituellen Essenzialismus
Die Wiederkehr der Erbsünde
Liberalität ist Diversität
5.Wider die Wolkenphobie: Keine Identifikation ohne Imagination
Anmerkungen
Отрывок из книги
Cover
Impressum
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Manche Kommentatoren kokettieren hingegen mit der Rolle puristischer Revolutionäre und insinuieren, Differenzierung und Abwägung seien so etwas wie konterrevolutionäre Akte. Wer differenziert, kollaboriert! So unkte der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen 2019 auf Twitter: „Um den Riss in unserer Gesellschaft zu kitten, haben wir eine App entwickelt, die automatisch unter politische Tweets einen Aufruf zur Mäßigung und Differenzierung kommentiert. Jetzt brauchen wir eure Unterstützung, Spendenziel sind 870.000 Euro.“22 Aus Franzens Zeilen spricht ein alter bourgeoiser Habitus, der sich seit den bürgerlichen Bürgerkritikern à la Gustave Flaubert im Berufsdenkertum etabliert hat. Bürgerkinder greifen vom Schreibtisch aus bürgerliche Ikonen an, um selbst zur bürgerlichen Ikone zu werden; sie kritisieren das Bürgerliche aus zutiefst bürgerlicher Position: „Der Abscheu vor dem Bürger ist bürgerlich“, notierte Jules Renard (1864–1910) in sein Tagebuch.
Rechtsextremismus im Speziellen und Extremismus/Autoritarismus/Totalitarismus im Allgemeinen bedeuten Entdifferenzierung im großen Stil, legitimiert durch hermetische Weltbilder und eiserne Identitäten. Die Konsequenz aller politischen Ideologien, die aufs entdifferenzierte Ganze zielen, ist Gewalt, da sie sich in der natürlichen Vielfalt menschlicher Existenz weder argumentativ noch in der emotionalen Tiefe durchsetzen können. Sie beginnt mit Verbalgewalt, mit Verzerrungen und Verunglimpfungen, mit strategischen Missverständnissen, mit der Einpferchung Einzelner in Gruppenidentitäten („die Schwarzen“, „die Männer“, „die Frauen“, „die Amerikaner“, „die Schwulen“, „die Chinesen“, usf.), verbunden mit der Abwertung ebendieser Gruppenidentitäten. Sie mündet in physische Gewalt, sobald die Verbalgewalt im Machtkampf an ihre Grenzen stößt.
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