Читать книгу Gekonnt leiden - Jürgen Löhle - Страница 20
NEIN! NEIN! … JA? BRÄGELS RADCLUB WEHRT DAS E-RENNRAD ALS SPORTGERÄT EISERN AB. NOCH. 2019
ОглавлениеDie Situation hat sich angebahnt, aber das macht es nicht besser. Es ist ja schon lange klar, dass sich das E-Bike nicht mehr verhindern lässt, aber es gab immer ganz klare Grenzen. Der Radclub akzeptiert den Besitz von E-Bikes seiner Mitglieder, die das Rad mit Motor aber nur für Alltagsfahrten einsetzen dürfen. Die Fahrt zum Brötchenholen – alles gut. Mal mit der Family auf die Grillwiese gondeln – das ist ebenso erlaubt wie die Fahrt zum Job oder zu einem Besuch in der Innenstadt, wo man das Auto eh nicht parken kann. Diese Touren fallen nicht unter den Begriff »Sport«oder gar »Männersport« und sind deshalb mit Motor zulässig. Alles andere ist streng verboten.
Brägel fuhr ja neulich wegen Formschwäche mit Sondererlaubnis des Radclubs mit einem E-Bike auf unserer Runde mit – und lieferte den eindrucksvollen Beweis, dass dies ein absolutes No-Go ist. Uns am Berg abhängen und dann was von »meist ohne Motor oder maximal mit Stufe 1« sülzen – peinlich.
Aber er lässt nicht locker. »E-Biken ist genauso Sport wie ohne Motor«, holpert er. Nein, ist es nicht und wird es nie sein, bekommt er von uns allen zurück. Sport ist treten, bis Blut kommt, und dann noch mal fünf Minuten. »E-Bike und Rennrad sind einfach nicht vergleichbar«, ergänzt der Präsident, »es kommt ja auch keiner auf die Idee, Fußballprofis mit Balletttänzern zu vergleichen, nur weil die Kicker wegen nix und wieder nix den sterbenden Schwan geben.«
Wenn wir also zusammen fahren, müsste eine echte Vergleichbarkeit hergestellt werden. Der alte Hans schlägt vor, dass man beim gemeinsamen Training ans E-Bike pro zehn Watt Motorleistung ein Kilo Blei anbinden müsste. Grob würde dann so ein E-Bike rund 50 Kilo wiegen, das wäre dann ansatzweise fair. Der Präsident hat dann noch die Idee, den Fahrer zu nivellieren. Er hätte mal gehört, dass Muskelaufbau nur über Testosteron funktioniert. Man wisse ja, dass Männer das Testosteron sozusagen im Unterleib produzieren würden, und wenn da nichts mehr wäre, könnte man das »E« dann schon akzeptieren. »Und was soll das bedeuten?«, fragt Brägel. »Ganz einfach – du lässt dich kastrieren, dann darfst du mit einem E-Bike mitfahren.« In Brägels Fassungslosigkeit hinein fügt der Präsi noch an, dass man den Eingriff auch jederzeit in seinem Hobbyraum durchführen könne. Der sei sauber, und wie man’s mache, habe er in einer landwirtschaftlichen Sendung im Fernsehen gesehen. Gut, das war bei Schweinen, aber das Prinzip sei durchaus vergleichbar.
Als Brägel wieder Luft bekommt, lehnt er das präsidiale Angebot entrüstet ab. So weit ginge die Liebe zum Sport dann doch nicht. Wir erklären Brägel noch einmal, dass Sport etwas anders ist als »E« – zumindest, solange wir ohne fremde Hilfe in den Sattel kommen. Aber da wir an der Realität auch nicht völlig vorbeiradeln wollen, müssen wir uns etwas für die Zukunft einfallen lassen. Und nachdem die Vergleichbarkeit in einer Gruppe offensichtlich nicht realistisch herstellbar ist, müssen wir wohl oder übel die E-Biker auffordern, ihre eigene Trainingsgruppe zu gründen. »Können wir schon machen«, sagt der alte Hans, »aber die müssen dann eigene Trikots tragen, die keinen Rückschluss auf unseren ehrenwerten Club zulassen.« Außerdem sollten sie an ihren E-Möhren einen Ständer und Gepäckträger montieren, damit keiner auf die Idee kommt, das hätte was mit Rennradfahren zu tun. Brägel stimmt der Gründung einer Gruppe zu, das mit dem Trikot sei auch zu machen. »Bei dem Rad kann ich euch aber leider nicht helfen«, sagt er und präsentiert plötzlich einen Renner vom Feinsten aus Italien, in der Farbe, die der Kenner »Celeste« nennt. Außer, dass das Rad hinten eine etwas dickere Nabe hat, sieht man nichts; keinen Motor, keinen Akku. »Da kann man leider keinen Ständer dranschrauben«, erklärt uns Brägel. Wir sind sprachlos. Ein Velo, wie es schöner und edler kaum sein kann – und das Ding hat tatsächlich einen Motor. Das ist ein Skandal, und ich fürchte es ist erst der Anfang. Denn plötzlich legt der Präsi den Kopf leicht schief, reibt sich nachdenklich das Kinn und fragt Brägel: »Sag mal, was kostet so was eigentlich?«