Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert

Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert
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Julia Noah Munier untersucht in ihrer Studie erstmalig die Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg in der Weimarer Republik, im NS-Staat und in der Bundesrepublik aus einer diachronen Perspektive. Dabei werden auf der einen Seite die subkulturellen Lebenswelten homosexueller Männer und auf der anderen Seite die strafrechtliche Verfolgungspraxis durch den Staat sowie die Einzelschicksale der Verfolgten dokumentiert. Die Studie stellt aufgrund ihrer systematischen und umfassenden Darstellung einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Anerkennung unrechtmäßiger staatlicher Verfolgung homosexueller Menschen dar.

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Julia Noah Munier. Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

1 Einleitung

1.1 Zur Analyse von Lebenswelten homosexueller Männer anhand von Dokumenten der Verfolgungsorgane44

1.2 Die Analyse von Lebenswelten und Verfolgungsschicksalen in der Perspektive einer historisch-praxeologischen Forschung

1.3 Politisch-geografischer Kontext und Aufbau der Studie

2 Baden ist nicht Berlin und Württemberg nicht Weimar. Lebenswelten in der Weimarer Republik. 2.1 Lebenswelten und Verfolgung in den urbanen Zentren Badens und Württembergs123

2.1.1 Von ersten Impulsen zu Lebenswelten im Aufbruch

2.1.2 Emanzipationsgruppen zwischen bangem Treiben und lustvoller regionaler Vernetzung

2.1.3 Schlüsselpersonen zwischen Scheitern und Gestalten

2.1.4 Vernetzungsmedium oder Verhängnis: Zeitschriften, Blätter und Annoncen

2.1.5 Ein republikweiter Medienskandal und seine Auswirkungen in der schwäbischen Provinz

2.1.6 Von homoerotischen Verkehrslokalen und klandestinen Kontaktzonen

2.2 Lebensweltliche Gefüge und Verfolgung in ländlicher Region am Beispiel Heidenheim

3 Lebenswelten und Verfolgungsschicksale im nationalsozialistischen Baden und Württemberg. 3.1 Die Zurückdrängung der lebensweltlichen Gefüge zum Beginn der 1930er Jahre

3.2 NS-Verschärfung der Verfolgungsintensität

»Röhm-Putsch« im deutschen Südwesten

Homosexuelle als Staatsfeinde

Doppelstruktur der Verfolgung aus Kripo und Gestapo

Verschärfung des Paragrafen 175

Intensivierung der Strafverfolgung

Sexualdenunziation und berufliche Schädigung

Sexualdenunziationen infolge der »Sittlichkeitsprozesse« gegen die katholische Kirche

Hans Scholl: tabuisiertes Opfer des § 175

Zerschlagung von Freundeskreisen

Vom Staatsfeind zum Volksfeind

Radikalisierung der Strafverfolgung bis hin zur Todesstrafe

Verdeckt existierende lebensweltliche Gefüge

3.2.1 Einblicke in den Strafvollzug – Zeugnisse aus Justizanstalten

3.2.2 Praktiken der Selbst-Bildung im Kontext Gefängnis. Arbeiten von Marcus Behmer

3.2.3 Verbringung in »Heil- und Pflegeanstalten«. Ermordung und Widerstand

3.2.4 Verfolgungsschicksal Kastration. »Entmannungen« – Überleben

3.2.5 Verbringung in NS-Konzentrationslager als Sondermaßnahme

Emslandlager: »Es ist alles beisammen, um dem Menschen die Menschlichkeit zu nehmen«1092

KZ Natzweiler-Struthof

3.3 Lebenswelten trotz Verfolgung. Grenzgänge, Solidarität und Schweizer Exil

4 Lebenswelten und Verfolgungsschicksale im bundesrepublikanischen Baden-Württemberg

4.1 Lebenswelten und Verfolgungsschicksale in der jungen Bundesrepublik (1949–1962)

4.1.1 Neuetablierung lebensweltlicher Gefüge

4.1.2 Anonyme Treffpunkte und kriminalpolizeiliche Repression

4.1.3 Die Homophilenbewegung als Akteur der Anerkennung

4.1.4 Formierung homophiler Identität im Spiegel des Karlsruher Stahlberg-Verlags

4.1.5 Medizinisch-psychiatrische Normierungspraktiken

Therapeutische Praktiken, Konversionstherapien und die Farce der Heilung von Homosexualität

»Freiwillige Entmannungen« – Kastrationen

4.2 Kontinuitäten der Verfolgung und schrittweise Liberalisierung am Vorabend der historischen Zäsur 1969

5 Fazit, Desiderate und (Forschungs-)Perspektiven

5.1 Lebenswelten und Verfolgungsschicksale

5.2 Desiderate

5.3 Anschlussstellen

5.3 Erweiterungen

5.4 Ausblick

6 Anhang. 6.1 Abkürzungen

6.2 Literaturverzeichnis

6.3 Archive

6.4 Grafiken und Tabellen. A. 1 Anstieg der Verfolgung im deutschen Südwesten nach 1925

A. 2 Sprunghafter Anstieg der Verurteilungen nach 1935, Reichsebene

A. 3 Verurteilungen nach § 175 in den OLG-Bezirken Stuttgart und Karlsruhe von 1925–1936

A. 4 Deutlicher Anstieg der Verfolgung nach 1935

A. 5 OLG-Bezirk Stuttgart / OLG-Bezirk Karlsruhe Aburteilungen, Verurteilungen, Freisprüche und Einstellungen des Verfahrens (1931–1936)

A. 6 Strafmaß bei Verurteilungen in Baden 1928–1936

A. 7 Strafmaß bei Verurteilungen in Württemberg 1928–1936

A. 8 Vergleich Strafmaß bei Verurteilungen in Baden und Württemberg 1933/1936

A. 9 Anklagestatistik der Jahre 1937 u. 1938 der OLG-Bezirke Karlsruhe und Stuttgart / Anzahl der nach § 175 u. 175 a angekl. Personen

A. 10 Strafen bei Verurteilungen nach §§ 175, 175 a u. b im Jahr 1949 in Württemberg-Baden mit Nord-Württemberg und Nord-Baden

A. 11 Kriminalstatistik des Landes Baden-Württemberg 1953–1969

A. 12 Regionale Konjunkturen der Verfolgung zwischen 1956 und 1969. A. 12.1 Prozentualer Anteil der im Berichtsjahr bekannt gewordenen sogenannten Fälle nach §§ 175, 175a/Region*

A. 12.2 Stärkere Verfolgung in Württemberg in absoluten Zahlen. Vergleich der nach §§ 175, 175a ermittelten Personen (Gesamtzahl der ermittelten »Täter«) in Baden und Württemberg

A. 12.3 Gesamtzahl der ermittelten Personen/»Täter« (§§ 175, 175a) in den Regierungsbezirken

A. 13 Prozentualer Anteil der Geld-, Gefängnis- und Zuchthausstrafen bei Verurteilungen nach §§ 175, 175 a u. b in Baden-Württemberg im Jahr 1954

6.6 Abbildungsnachweis

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Die nunmehr von Julia Noah Munier vorgelegte Studie über »Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert«, die eine rund fünfzigjährige Entwicklung von der 1918/19 entstandenen Weimarer Republik bis zur liberalen »Umgründung« der Bundesrepublik Deutschland um 1970 mit Fokus auf den deutschen Südwesten untersucht, stellt aus unserer Sicht einen Meilenstein dar.

Sie ist nicht nur der erste, erfolgreich abgeschlossene Teil eines umfassenderen Forschungsprojekts über die Lebenswelten sexueller Minderheiten in Baden-Württemberg, deren beide weitere noch geplante Teile hoffentlich ebenso erfolgreich umgesetzt und abgeschlossen werden können. Sie ist insbesondere auch für sich genommen ein wichtiger Fortschritt in der wissenschaftlichen Behandlung ihrer Thematik: Die »Lebenswelten homosexueller Männer« werden aus möglichst vielfältigen Quellen rekonstruiert; neben Verfolger- und Verfolgungsperspektiven treten öffentliche und nichtöffentliche Zeugnisse selbstbestimmter Handlungsspielräume. Dies hat zur Folge, dass homosexuelle (oder bisexuelle) Männer hier nicht nur als Opfer von Diskriminierung und Verfolgung seitens der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft erscheinen, sondern immer wieder auch als selbstbewusste, sich selbst behauptende Akteure.

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12 Pretzel 2014, S. 53.

13 In der Perspektive einer praxeologischen Geschichtswissenschaft gilt es »körperlich tätige Akteure in dem Vollzug ihrer Handlungen zu untersuchen.« Reichardt 2007, S. 44. Im Unterschied zu strukturalistischen kulturtheoretischen Ansätzen »wird das Subjekt nicht nur als Exekutor kultureller Strukturen, sondern auch als deren Schöpfer verstanden.« Reichardt 2007, S. 50. Zur praxeologischen Perspektive in der Geschichtswissenschaft siehe den wegweisenden Artikel von Reichardt, Sven (2007): »Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung«. In: Sozial. Geschichte 22, S. 43–65. Siehe zur Erforschung von Lebenswelten in einer praxeologischen Perspektive auch Reichardt, Sven (2014): Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren. 2. Aufl. Berlin.

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