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Leïlet

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Es war um die Zeit, in welcher die egyptische Sonne ihre Strahlen mit der gesteigerten Gluth auf die lechzende Erde sendet und Jeder, den nicht die Noth hinaus unter den freien Himmel treibt, sich unter den Schutz seines Daches zurückzieht und nach der möglichsten Ruhe und Kühlung strebt. Auch ich lag auf dem weichen Divan meiner gemietheten Wohnung, schlürfte würzigen Mokka und schwelgte in dem Dufte des köstlichen Djebeli, welcher meiner Pfeife entströmte. Die starken, fast fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrande einigen Einhalt, und die aufgestellten porösen Gefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, daß ich von der gewöhnlichen Abspannung des Menschen während der Mittagszeit wenig oder gar nichts bemerkte.

Da erhob sich draußen die scheltende Stimme Omar-Arha‘s, meines Dieners, der zugleich die Stelle eines Ministers aller inneren und äußeren Angelegenheiten bei mir vertrat, und mit einer Liebe und Ergebenheit an mir hing, die von einem Araber einem Christen gegenüber fast beispiellos genannt werden konnte. Er war früher Soldat seiner viceköniglichen Majestät gewesen und nach langjähriger Dienstzeit in Folge seiner Invalidität ohne Weiteres fortgejagt und fast dem Hungertode in die Arme getrieben worden; damals nahm ich ihn zu mir, heilte ihn von seinen Gebrechen und fand mich in der Folge reichlich dafür belohnt. Er bekam gute Kleidung und trug ausgezeichnete Waffen, zwei Dinge, welche ihn mit unendlichem Stolze erfüllten, und als ich ihm später noch die Vollmacht gab, mit dem königlichen Firman (Reisepaß, Empfehlung) in der Hand mich in den meisten geschäftlichen Angelegenheiten zu vertreten, da fühlte er die ganze Größe seiner Würde und wiederholte mir fast täglich die Betheurung:

»Was war ich, o Herr, als Du mich fandest und Dich mein erbarmtest? Eine todte Ratte, ein Hund, den man von sich stößt! Und was bin ich bei Dir geworden? Ein Sihdi (Herr), vor dem sich der Fellah fürchtet und der Türke zittert. El hamdi lillahi, Gott sei Dank!«

Außer seiner Treue und Zuverlässigkeit besaß er noch eine ganz besonders schätzenswerthe Eigenschaft in einem Humore, der nie zu versiechen schien, bei jeder Gelegenheit hervorsprudelte und selbst der ernstesten und schlimmsten Lage noch eine heitere Seite abzugewinnen wußte. »Mukle«, Spaßvogel, wurde er deshalb von allen Denjenigen genannt, denen er eine solche Vertraulichkeit gestattete; und da er, wie die meisten Araber, bei jedem Selbstgespräche sich eine Person vorstellte, mit welcher er sprach, so hielt er oft unter seinen eigenen zwei Augen die köstlichsten Reden, über welche das Zwerchfell eines etwaigen Zuhörers in die größte Gefahr gerathen wäre.

Jetzt freilich schien seine Stimmung nicht die beste zu sein, denn mit zornigem Tone hörte ich ihn rufen:

»Was? Den Effendi el kebihr, den großen Herrn und Meister willst Du stören – jetzt – in seinem Kef – in seiner Mittagsruhe? Hat der Teufel – Allah beschütze mich vor ihm – Dir den Kopf mit Nilschlamm gefüllt, so daß Du nicht begreifen kannst, was ein Effendi zu bedeuten hat, ein Mann, den der Prophet mit Weisheit speist, und der Alles kann, sogar die Todten wieder lebendig machen, sobald sie ihm sagen, woran sie gestorben sind!«

»Gott erhalte Deine Rede, Sihdi,« ertönte die Antwort; »aber ich muß Deinen Effendi, den großen Arzt aus Frankhistan sehen, denn mein Herr, der mächtige und reiche Abrahim-Arha – Allah möge ihm tausend Jahre schenken – hat mich gesandt, ihn zu sich zu rufen.«

»Abrahim-Arha? Zu sich rufen? Wer ist denn Abrahim-Arha, und wie hieß sein Vater? Von wem wurde er geboren und wo leben die, denen er seinen Namen verdankt? Niemand kennt ihn, selbst ich, Omar-Arha, der tapfere Freund und Beschützer meines Gebieters, habe noch nie die Spitze seines Tarbusch gesehen. Gehe fort und komme in drei Tagen wieder. Morgen reisen wir ab!«

»So höre, Du Mann mit dem verstockten Ohre, was ich Dir zu sagen habe! Der Effendi soll kommen zu« – hier wurde die Stimme des Sprechers unhörbar, und erst die letzten Worte seiner Rede konnte ich wieder verstehen: »Reicher Lohn wartet sein, wenn es ihm gelingt, den Tod von dem Hause meines Gebieters fern zu halten!«

»Allah akbar, Gott ist groß! Und ich, Omar-Arha Ben Afradin stehe da, mit der Nilpeitsche in der Hand, und vergesse doch, ihr Deinen Rücken zu zeigen. Bei dem Barte des Propheten, Dein Mund spricht solche Weisheit, als wäre der Verstand Dir bei der Fahrt in‘s Wasser gefallen. Weißt Du nicht, daß ein Weib gar keine Seele hat und deshalb auch nicht in den Himmel darf? Mein Herr kennt den Koran und verachtet die Frauen. Die schönste Perle des Harems ist ihm wie der Scorpion im Sande, und seine Hand hat noch nie das Gewand eines Weibes berührt, denn er weiß, daß ich es für ihn thue. Komme in drei Tagen wieder. Morgen reisen wir ab!«

»Du mußt wissen, o Unbarmherziger, daß er ihr Gewand nicht berühren und ihre Gestalt nicht sehen wird, denn die Gesetze des Harems sind streng. Er wird durch das Gitter mit ihr sprechen.«

»Ich bewundere die Weisheit Deiner Rede und die Klugheit Deiner Worte, o Mann! Merkst Du denn nicht, daß die Gesundheit, welche der Effendi spendet, an dem Gitter hängen bleiben würde? Komme in drei Tagen wieder!«

»Ich darf nicht gehen; denn ich werde hundert Schläge auf die Sohlen bekommen, wenn ich den weisen Effendi nicht bringe!«

»Danke Deinem gütigen Herrn, Du Sclave eines Egypters, daß er Deine Beine mit Gnade erleuchtet! Ich will Dich nicht um diese Seligkeit betrügen und Dich deshalb allein ziehen lassen. Wir reisen Morgen ab. Salehm aleïkum, der Herr sei mit Dir; er lasse Dir die Streiche wohl bekommen!«

»So laß Dir noch Eins sagen, tapferer Arha. Der Herr unseres Hauses hat mehr Beutel in seiner Schatzkammer, als Du jemals zählen kannst. Du solltest auch mitkommen, hat er mir befohlen, und Du wirst ein Bakschihsch haben, ein Geschenk, wie es selbst Hafihs-Pascha, der Diamantenspendende, niemals gegeben hat.«

Jetzt wurde der Mann endlich klug und faßte meinen guten Omar bei dem Punkte, an welchem man den Morgenländer zu packen hat, wenn man ihn günstig stimmen will. Der geldlustige Haushofmeister änderte auch sofort den Ton seiner Stimme und gab die etwas weniger harte Antwort:

»Allah segne Deinen Mund, mein Freund! Aber ein Piaster in meiner Hand ist mir lieber als zehn Beutel in der Deinigen. Ich will mir es überlegen, ob ich den Herrn stören darf.«

»Laß den Rath Deines Herzens nicht zögern; hier nimm die Gabe Deines Bruders!«

»Deine Hand ist mager wie der Schakal hinter der Schlinge und dürr wie die Wüste jenseits des Mokkadam. Wie kann das Feld Frucht bringen, wenn nur zwei Tropfen Thau vom Himmel fallen!«

Nach dieser sehr deutlichen Aufforderung vernahm ich zum zweiten Male den klimpernden Ton des Silbers, und nun erst war Omar bereit, »mich zu stören.« Ich konnte ihm unmöglich bös sein. Er handelte nur nach der allgemeinen Unsitte, und übrigens sind hier oben in Nubien die deutschen Aerzte nicht so öfters zu finden, als daß ein reicher Türke, wie Abrahim jedenfalls war, mit einem kleinen Bakschihsch hätte knausern dürfen.

Was mich aber bei der Angelegenheit mit Verwunderung erfüllte, war der Umstand, daß ich – wie ja aus den Reden der Beiden zu ersehen war, nicht zu einem männlichen, sondern zu einem weiblichen Patienten verlangt wurde. Obgleich ich schon mehrere Jahre im Oriente verweilt hatte, besaß das Wort Harem doch immer noch den Reiz des Geheimnißvoll-Romantischen für mich, und wenn ich auch den Character der morgenländischen Frauen nicht achten konnte, so mußte ich doch ihre oft wirklich unvergleichliche Schönheit bewundern, von der ich schon öfters hinter einem fortgewehten Schleierzipfel eine kleine aber überzeugende Probe bemerkt hatte. Da aber der Muselmann die Bewohnerinnen seiner Frauengemächer sogar in den dringendsten Fällen nicht den Augen eines Fremden, auch nicht des Arztes freigiebt, so handelte es sich hier jedenfalls entweder um eine alte Dienerin, oder ich bekam nichts weiter zu sehen, als die Fingerspitzen der Patientin. Deshalb sah ich dem Eintritte Omars mit ziemlicher Gleichgültigkeit entgegen.

»Herr, ein Mann will mit Dir sprechen, welcher draußen steht. Er hat ein Boot im Nil und sagte, ich müsse auch mit kommen!«

Fast hätte ich lachen müssen über die letzte Bemerkung, mit welcher sich der schlaue Bursche ein weiteres Trinkgeld sichern wollte. Doch mochte ich ihn nicht in Verlegenheit bringen und befahl im deshalb kurz, den Boten herein zu schicken.

Dieser verbeugte sich bei seinem Eintritte bis herab zur Erde, zog die Schuhe aus, trat um einige Schritte näher und begann unter wiederholter Verbeugung:

»Salem aleïkum, Allah sei mir Dir, oh Herr, und lasse Deine Ohren offen sein für die Bitte des geringsten Deiner Knechte.«

Meine Antwort erwartend, schwieg er. Ich erwiderte seinen Gruß mit einem kurzen Nicken des Kopfes und befahl:

»Sprich!«

»Es ist großes Herzeleid gekommen über das Haupt Abrahim-Arha‘s, meines Gebieters, denn Leïlet, die Krone seines Herzens, schwindet hin in die Schatten des Todes und kein Arzt, kein Fakhir und auch kein Zauberer vermag die Schritte ihrer Krankheit aufzuhalten. Da hörte mein Herr, den Allah erfreuen mögen – von Dir und Deinem Ruhme, und daß der Tod vor Deiner Stimme flieht. Er sandte mich zu Dir und läßt Dir sagen: Komm und gieb mir meine Blume wieder; mein Dank soll süß und hell sein, wie der Glanz des Goldes!«

»Ich kenne diesen Ort und habe doch Deinen Herrn noch nicht gesehen. Wo wohnt er?«

»Er wohnt am Strome und sendet Dir ein Boot. In einer Stunde hast Du ihn erreicht.«

»Ich komme!«

Er zog sich zurück und ich erhob mich, nicht ganz frei von einer erwartungsvollen Spannung, die sich während der kurzen Unterredung meiner bemächtigt hatte. Alt und häßlich war sie nicht, das wußte ich jetzt; ihr Name war Leïlet, d. h. Nacht, und da der Orientale den Namen gern den Eigenschaften anpaßt, so sah ich vor meiner lebhaften Einbildungskraft sofort eine jener mächtig-prächtig-nächtigen Erscheinungen stehen, wie sie sich vorzugsweise gern im Morgenlande entwickeln. Auch die Wohnung war nicht ganz ungeeignet zu einem Tummelplatz für die Erfindungen der Phantasie. Vor einigen Monaten hatte ich sie bei der Reise nach dem Süden im Vorüberfahren liegen sehen und damals gehört, daß sie von einem verbannten Großen des Reiches erbaut worden sei und nun seit dem Tode desselben verlassen liege. Wie kam der jetzige Besitzer dazu, den einsamen Ort zu bewohnen? Hatten auch ihn politische Gründe hergeführt, oder gab es sonstige Geheimnisse, die er zu verbergen suchte?

Ganz ungesucht traten diese Fragen an mich heran, und wenn ihre Beantwortung auch kein Interesse für mich haben konnte, so sah ich doch ebensowenig Veranlassung, sie gewaltsam von mir abzuwehren, und ging dem Kommenden mit etwas mehr als gewöhnlicher Theilname entgegen.

In kurzer Zeit saßen wir bei den Ruderern im Kahne, ich in tiefe, wunderbare Gedanken versunken, Omar ernst und stolz, wie ein Pascha von drei Roßschweifen, im Gürtel die silberbeschlagenen Pistolen und den scharfen, glänzenden Dolch, in der Hand aber die unvermeidliche Nilpeitsche, das beste Mittel, sich unter der dortigen Bevölkerung Achtung und Berücksichtigung zu verschaffen. Zwar war die Hitze nicht angenehm, aber die stromabwärts gehende Bewegung unseres Fahrzeuges brachte uns mit einem kühlenden Luftzuge in Berührung, und bei der kurzen Dauer unserer Fahrt war dieselbe mehr eine Spaziertour, als eine Anstrengung zu nennen.

Es ging eine Strecke weit an Durrha-, Tabak-, Sesam- und Sennesfeldern vorüber, aus deren Hintergrunde schlanke Palmen emporragten; dann folgten unbebaute Flächen, über welche sich ein niederes Gestrüpp von Mimosen und Sykomoren hinstreckte, endlich nacktes Gestein, und mitten aus den wohl schon seit Jahrtausenden hier umhergestreuten Felsblöcken erhob sich die hohe quadratische Mauer, durch welche wir uns den Eingang suchen mußten.

Als wir anlegten, bemerkte ich, daß ein Kanal aus dem Flusse unter der Mauer hinführte, jedenfalls um die Bewohner mit dem nöthigen Wasser zu versehen, ohne daß dieselben sich außerhalb ihrer Wohnung zu bemühen brauchten. Unser Führer schritt uns voran, führte uns um zwei Ecken zu der dem Wasser abgekehrten Seite und gab an dem dort befindlichen Thore ein Zeichen, auf welches uns bald geöffnet wurde.

Das Gesicht eines Schwarzen grinste uns entgegen; doch beachteten wir seine bis zur Erde herabgehende Reverenz gar nicht und schritten vorwärts. Architektonische Schönheiten durfte ich von einem orientalischen Privatgebäude nicht erwarten, und so fühlte ich mich auch gar nicht überrascht über die kahle, nackte und fensterlose Fronte, welche das Haus mir zukehrte, aber das Klima des Landes hatte doch einen etwas zu auffälligen Einfluß auf das alte Gemäuer geäußert, als daß ich es zur Wohnung eines jungen, schönen und dabei noch kranken Weibes hätte empfehlen mögen.

Die Zierpflanzen, welche den schmalen Raum zwischen Mauer und Wohnhaus früher geschmückt und den Bewohnerinnen eine Erholung geboten hatten, waren längst verwelkt und verdorrt; wohin das Auge nur blickte, fand es nichts als leere, kahle Oede, und nur Schaaren von Schwalben, welche in den zahlreichen Rissen und Sprüngen des borstenden Gebäudes nisteten, brachten einigermaßen Leben und Bewegung in die traurige, todte Scene.

Durch einen dunklen, niederen Thorgang führte uns der voranschreitende Bote in einen kleinen Hof, dessen Mitte ein Bassin einnahm. Also bis hierher führte der Kanal, welchen ich vorhin bemerkt hatte, und der Erbauer des einsamen Hauses war klugerweise vor allen Dingen darauf bedacht gewesen, sich und die Seinigen reichlich mit dem zu versorgen, was in dem heißen Klima jener Länderstriche das Nothwendigste und Unentbehrlichste ist. Zugleich bemerkte ich nun auch, daß der ganze Bau darauf gerichtet war, die jährlich wiederkehrenden Ueberschwemmungen schadlos aushalten zu können.

In diesen Hof herab gingen mehrere hölzerne Gitterwerke, hinter denen jedenfalls die zum Aufenthalte dienenden Räume lagen. Ich konnte ihnen jetzt keine große, zeitraubende Beachtung schenken, sondern gab Omar einen Wink, mit der Reiseapotheke, welche er umhängen hatte, hier des Weiteren zu harren und folgte dem Wegweiser in den Divan des Hausherrn.

Es war ein geräumiges, halbdunkles und hohes Zimmer, durch dessen vergitterte Fensteröffnungen ein wohlthuendes Licht fiel. In Folge der aufgeklebten Tapeten, Arabesken und Ornamente hatte es einen wohnlichen Anstrich erhalten, und die in einer Nische stehenden Wasserkühlgefäße erzeugten eine recht angenehme Temperatur. Ein Geländer trennte den Raum in zwei Hälften, deren vordere für die Dienerschaft, die hintere aber für den Herrn und die ihn besuchenden Gäste bestimmt war. Den erhöhten Hintergrund zierte ein breiter Divan, welcher von einer Ecke bis in die andere reichte und auf welchem Abrahim-Arha, der »Besitzer von vielen Beuteln,« mit untergeschlagenen Beinen saß.

Er erhob sich bei meinem Eintreten, blieb aber der Sitte gemäß vor seinem Sitze stehen. Da ich nicht die gewöhnliche Fußbekleidung trug, so konnte ich mich ihrer auch nicht entledigen, sondern schritt unbekümmert um meine Lederstiefel über die kostbaren Teppiche und ließ mich an seiner Seite nieder. Die Diener brachten den unvermeidlichen Kaffee und die noch nothwendigeren Pfeifen, und nun konnte das Weitere folgen.

Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife gewesen; denn jeder Kenner des Orientes weiß, daß man an derselben sehr deutlich die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennen vermag. Das lange, wohlriechende und mit starkvergoldetem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiß seine tausend Piaster gekostet. Theuer aber noch war das Bernsteinmundstück, welches aus zwei Theilen bestand, zwischen denen ein mit Edelstein besetzter Ring hervorschimmerte. Der Mann schien wirklich »viele Beutel« zu besitzen, nur war dies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancher Inhaber einer Pfeife im Werthe von zehntausend Piaster seinen Reichthum doch nur den geknechteten Unterthanen entwendet oder geraubt hat. Lieber also einen Blick in das Gesicht!

Wo habe ich doch nur diese Züge schon einmal gesehen, diese schönen, feinen und in ihrer Mißharmonie doch so diabolischen Züge? Forschend, scharf, stechend, nein, förmlich bohrend senkt sich der Blick des kleinen, unbewimperten Auges in den meinen und kehrt dann kalt und wie beruhigt wieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaften haben dem Gesichte ihre immer tiefer eindringenden Spuren aufgravirt; die Liebe, der Haß, die Rache, der Ehrgeiz sind einander behülflich gewesen, eine großangelegte Natur in den Schmutz des Lasters zu reißen und dem Aeußeren jenes undefinirbare Etwas aufzudrücken, welches der Reinheit ein sichers Wahrnungszeichen ist. Wo bin ich diesem Manne begegnet? Ich muß mich besinnen, aber das fühle ich, unter freundlichen Umständen ist es nicht gewesen.

»Salem aleïkum!« tönte es langsam zwischen dem vollen, prächtigen, aber schwarzfgefärbten Barte hervor. »Möge Allah Balsam wachsen lassen auf den Spuren Deiner Füße und Honig träufeln von den Spitzen Deiner Finger, damit mein Herz nicht mehr höre die Stimme seines Kummers!«

»Gott gebe Dir Frieden und lasse mich finden das Gift, welches an dem Leben Deines Glückes nagt,« erwiederte ich seinen Gruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weibe eines Muselmannes fragen kann, ohne den größesten Verstoß gegen die Höflichkeit und Sitte zu begehen.

»Du bist ein weiser Arzt und Deine Hand ist mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet gesegnet. Du wirst die Krankheit finden und besiegen.«

»Der Herr ist allmächtig; er kann retten und verderben; nur ihm gebührt die Ehre. Doch wenn ich helfen soll, so sprich!«

Diese directe Aufforderung, ein, und wenn auch unbedeutendes Geheimniß seines Harems preiszugeben, schien ihn unangenehm zu berühren, trotzdem er darauf vorbereitet sein mußte; doch versuchte er sofort diese Schwäche zu verbergen und befolgte meine Aufforderung.

»Du bist aus dem Lande der Ungläubigen, wo es keine Schande ist, von Der zu sprechen, welche die Tochter einer Mutter ist?«

Ich nickte zustimmend, innerlich sehr amüsirt über die Art und Weise, mit welcher er es umgehen wollte, von seinem Weibe zu sprechen.

»Auch der Gläubige darf ohne Aergerniß von den Frauen in Frankhistan sprechen. Erlaube, daß ich es thue!«

Ein zweites Neigen des Kopfes war meine Antwort.

»Wenn das Weib eines Franken keine Speise zu sich nimmt – — «

Er sah mich bei diesen Worten an, als ob er eine Bemerkung von mir erwarte. Ich winkte ihm nur, fortzufahren.

» – Den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert – müde ist und doch den Gruß des Schlafes nicht mehr kennt – nur lehnend steht und langsam geht – vor Kälte schauert und vor Hitze brennt – nichts wünscht, nichts haßt und unter dem Schlage ihres Herzens zittert – nicht lacht, nicht weint, nicht spricht – kein lautes Wort der Klage hören läßt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt – «

Wieder blickte er mich an und in seinen Augen war deutlich eine Angst zu erkennen, welche sich von jedem der aufgezählten Krankheitsmerkmale zu nähren und zu vergrößern schien. Er mußte die Kranke mit der letzten, trüben Gluth seines fast gänzlich ausgebrannten Herzens lieb haben und hatte mir, ohne es zu wollen und zu wissen, sein ganzes Verhältniß zu ihr offenbart. Ich mußte ihm die Strafe sofort zu kosten geben und antwortete schnell einfallend:

»So wird sie sterben!«

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, so stand er hoch aufgerichtet vor mir. Der rothe Fez war ihm vom kahlgeschorenen Kopf geglitten, die Pfeife seiner Hand entfallen; in dem Gesichte zuckte es von den widerstreitendsten Gefühlen, und das Auge ruhte mit einem Ausdrucke des Entsetzens auf mir, der sich nach und nach in einen zornigen und zuletzt in einen drohenden verwandelte.

»Giaur!« donnerte er ich an. »Wagst Du, mir das zu sagen, Hund? Die Peitsche soll Dir lehren, wer ich bin und daß Du thust, nur was ich Dir befehle. Stirbt sie, so stirb Du auch; doch machst Du sie gesund, so darfst Du gehen und kannst verlangen, was Dein Herz begehrt!«

Langsam und in tiefster Seelenruhe erhob auch ich mich, stellte mich in meiner ganzen Länge gerade vor ihn hin und sprach, auf den am Boden liegenden Fez deutend:

»Abrahim-Arha, was sagt der Prophet dazu, daß Du die Scham Deines Scheidels vor einem Ungläubigen entblößest?«

Im nächsten Augenblicke hatte er sein Haupt bedeckt und, vor Grimm dunkelroth im Gesicht, den Dolch aus der Schärpe gerissen. Doch ruhig, wie zuvor fuhr ich fort:

»Ich habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferd nachgeschwommen, der Elephant hat meinen Schuß gehört und meine Kugel hat den Löwen, den »Heerdenwürgenden« getroffen. Danke Allah, daß Du noch lebst und bitte Gott, daß er Dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, Du bist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nicht sofort geschieht!«

Das war eine neue, eine schwerere Beleidigung, als die andere und mit einem zuckenden Sprunge wollte er mich fassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch in meiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern niemals von sich legen darf. Wir standen einander allein gegenüber, denn er hatte sofort nach der Darreichung des Kaffee‘s und der Pfeife die Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von unserer zarten Unterhaltung vernehmen solle.

Mit meinem tapfern Omar-Arha hatte ich nicht den mindesten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zu fürchten; nöthigenfalls hätten wir Beiden die wenigen hier wohnenden Männer zusammengeschossen, aber ich ahnte zu viel von dem Schicksal der Kranken, für die ich mich ungemein zu interessiren begann, und zog es deshalb vor, den Weg der Güte zu betreten.

»Lebe wohl; es sei der Herr mit Dir und Deinem Hause! Du willst es nicht, daß ich den Tod bezwinge; Dein Wunsch mag sich erfüllen, rabbena chaliek, der Herr erhalte Dich!«

Noch immer den Revolver in der Hand, machte ich Miene, dem Ausgange zuzuschreiten.

»Halt, halt, Effendi!« rief er, und jetzt klang aus seiner Stimme mehr Angst als Wuth. »Du hast die Seele eines Gläubigen beschimpft und darfst nicht gehen, ohne mir Genugthuung zu geben und meinem Willen Gehorsam zu erweisen!«

Ich trat zu ihm zurück, sah ihm lächelnd in das zuckende und blitzende Auge und antwortete so langsam, wie nur immer möglich:

»Merk auf, was ich Dir sage, mein Wort erklingt nie zweimal: Beim heiligen Leben Isa Ben Marryam, den wir Jesus, Sohn Maria‘s nennen – Du hast einen seiner Gläubigen Giaur geheißen und ihn mit der Peitsche bedroht – bittest Du mich nicht um Verzeihung, und zwar sogleich, so gehe ich und Leïlet mag sterben!«

Mit Absicht sprach ich jetzt den Namen aus, welchen mir der Bote genannt hatte. Bei seinem Klange zuckte es über die erregten Züge des Egypters; es erwachte die Erkenntniß in ihm, daß er einen falschen Weg eingeschlagen habe und umkehren müsse, wenn er mich geneigt erhalten wolle. Aber sein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, einem Christen Abbitte zu thun. Zwang, wie bei einem arabischen Quacksalber, war bei mir nicht möglich, und ich sah deutlich, daß der Gedanke, aus diesem Labyrinthe nicht herauszukommen, ihn in neue Wuth versetzte.

Da drehte ich mich um, schritt durch die Oeffnung des Geländers und befand schon der Thür nahe, als es angstvoll hinter mir erscholl:

»Bei dem Barmherzigen, bleib!«

Langsam drehte ich mich um und konnte nun die Züge des Erregten in ihrer häßlichsten Entstellung sehen. Die Spuren der Leidenschaften sprachen sich jetzt mit einer so widerwärtigen Deutlichkeit in ihnen aus, daß ich meinen Sieg fast bereute und ihm mit einer raschen Handbewegung alle weiteren Worte abschnitt.

»Laß Deine Rede schweigen! Der Christ vergiebt auch ohne laute Sühne; es ist so gut, als hättest Du gesprochen. – Nun laß uns Deines Herzens Kummer heilen und zu der Kranken gehen, um sie zu sehen.«

Wie von einem Stoße getroffen, fuhr er zurück.

»Maschallah, bist Du toll? Der Geist der Wüste hat Dein Hirn verbrannt, daß Du nicht weißt, was Du forderst. Das Weib muß sterben, auf welchem das Auge eines fremden Manne ruhte!«

»Sie wird noch sicherer sterben, wenn mein Auge sie nicht sehen darf. Ich muß den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über Vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Allah ist allwissend und braucht Niemand zu fragen.«

Wieder erhob sich ein heftiger Kampf und es dauerte lange, ehe er unter allerdings sehr beschränkenden Bedingungen auf mein Verlangen einging.

Ich durfte sämmtliche Frauengemächer sehen, da ich sehr absichtlich die Behauptung ausgesprochen hatte, daß der Grund des Uebels in irgend einem ungesunden Zustande der Wohnung liegen könne. Natürlich schien ich an eine rein körperliche Erkrankung zu glauben, obgleich ich schon seit der ersten Aufzählung der Symptome wußte, daß eine Herzens- und Gemüthskrankheit vorliege, und ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß die Ursache in einem Zwange zu suchen sei, der die Patientin in die Hände Abrahim-Arha‘s gebracht hatte.

Ferner durfte ich sie gehen sehen und die ersten drei Finger meiner rechten Hand um ihr Handgelenk legen, um den Puls zu fühlen. Sodann durfte ich ihr diejenigen Fragen vorlegen, welche ich für ganz und gar unumgänglich hielt; doch mußte sie mit jeder Antwort warten, bis sie von ihm die Erlaubnis dazu erhielt.

Ich war sehr zufrieden mit diesen Zugeständnissen; denn sie gewährten mir mehr, als jemals wohl einem Europäer zugestanden worden ist. Die Liebe des Egypters und infolge dessen auch seine Sorge mußte wohl eine sehr ungewöhnliche sein, da er sich zu solchen Opfern verstand. Freilich konnte ich die ingrimmigste Erbitterung gegen mich aus jeder seiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein leider unabweisbarer Eindringling in die bisher unentweihten Mysterien seiner inneren Häuslichkeit, und ich hegte die Ueberzeugung, daß ich ihn auch selbst im Falle einer vollständigen Heilung als unversöhnlichen Feind zurücklassen würde.

Jetzt war er gegangen, um das Nöthige selbst anzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, daß er einem Fremden Eintritt in das Heiligthum verstatte. —

Endlich kehrte er zurück. Es lag ein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinem zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blicke voll versteckt sein sollendem und doch hervorbrechendem Hasse drohte er:

»Bei der Seligkeit aller Himmel, Effendi, sobald Du ein Wort sprichst, was ich nicht wünsche, oder nur das Geringste mehr thust, als Dir erlaubt ist, stoße ich sie nieder. Ich schwöre es bei jedem Worte des Korans und bei allen Kalifen, deren Andenken Allah segnen möge!«

Er hatte mich also doch kennen gelernt und wußte, daß ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als die sanguinischesten Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet waren. Uebrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken, nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger desto weniger einer Ahnung entschlagen, daß sein Verhältniß mit der Kranken irgend einen dunklen Punkt habe.

Wir gingen. Er schritt voran und ich folgte.

Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Gethier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, welches als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, welcher allen Anzeichen nach als eigentlicher Frauendivan benutzt wurde. All‘ die umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.

Eine größere Ausdehnung schien der Harem außer einem noch anstoßenden Raume nicht zu haben, und das unentbehrliche Bad lag jedenfalls unten zur ebenen Erde.

»Nun siehe, ob Du den Dämon der Krankheit hier findest!« forderte mich Abrahim mit einem halb spöttischen, halb gläubigen Lächeln auf. »Ich will sehen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage nicht, mir nachzufolgen, bis ich wiederkomme!«

Ich war allein. Wo war sie? War sie da draußen? Ganz gewiß; seine Wort waren ja deutlich genug. Wer sie doch sehen könnte, Leïlet, die Nacht, die kranke, todesmatte! Welch‘ süßer, lieblicher, sinnbethörender Duft strömte und fluthete doch hier um mich! Waren das die sterbenden Wohlgerüche der hier gepflegten und verwelkten Blumen, oder war es der würzige Hauch ihres reinen, jungfräulichen Mundes, der sich bisher gegen die Küsse des Verhaßten gewehrt hatte? Es war mir so wunderbar, so märchensüß zu Muthe, gerade so, als käme eine jener Feen, wie sie in den Märchen leben, hereingeschwebt, um meine Kühnheit zu erproben, die dann gefeit ist und Alles vollbringen kann, ohne selbst Schaden zu leiden.

Mit Anstrengung mußte ich mich aus dieser Stimmung herausreißen und ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Ich hatte ja gewußt, daß der Heerd der Krankheit hier nicht zu suchen sei, und war nur von dem Wunsche hergeführt worden, einmal das Innere eines Harems zu sehen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen, wie im Zimmer des Hausherrn: das Geländer, der Divan, die Nische mit den Kühlge – doch halt, halt, was ist das?

Auch hier, grad‘ so wie dort, befindet sich grad‘ über diesen Gefäßen ein Zuchloch in der Mauer, damit die Abkühlung des Wassers rasch vor sich gehe und auch den Nebengelassen mit zu Gute komme, und diese Oeffnung, sie führt —

Mit einigen raschen Schritten bin ich an der Mauer, neige das Auge an die Oeffnung und – ja, das ist sie, das ist Leïlet, die Nacht, die Nacht des Südens, wie sie dem Thore des Abendrothes entschweben müßte, wenn ihr der Schöpfer die Erlaubniß gäbe, in menschlicher Gestalt wieder auf die traumbedürftige Erde zu steigen! Das ist die Nacht, die himmlische, das ist Leïlet mit den dunklen, fast an der Erde schleifenden, sie wie ein Schleier umwallenden Locken.

Leïlet mit dem reinen, blassen, schwermuthsernsten und doch so milden, unvergleichlich schönen Angesichte, Leïlet mit Augen so offen und groß, so tief und klar, in deren Blicke sich die ganze unberührte Unschuld eines Kindes mit dem Herzensglühen des beglückenden Weibes vermählt, Leïlet mit der weichen, herrlichen Gestalt, wie sie kaum der Meißel des Künstlers dem Marmor zu entlocken vermag, Leïlet, die thauzerfließende, die weinende, an deren Wimpern die Diamanten des Schmerzes glänzen, Leïlet – doch nein, das ist nicht eine gottgewollte Incarnation jener sterngeschmückten Göttin, deren Kommen und Scheiden der Himmel mit purpurnen Flammen und goldenen Reflexen feiert, sondern das ist ein vom tiefsten Grame zerrissenes Menschenkind, welches keinen Seufzer auf der Lippe trägt, weil sein ganzes Dasein eine einzige, ungestillte und ungehörte Klage ist.

Sie hat seinen Befehlen noch nicht Gehorsam geleistet, in der Tiefe ihres Schmerzes vielleicht noch gar nicht wieder an sie gedacht und steht nun da im leichten, sich innig an die Glieder schmiegenden Gewande, während er unter allen möglichen Drohungen sich bemüht, sie zu schnellerem Anlegen der entstellenden Hüllen zu bewegen.

Leïlet

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