Читать книгу Störtebecker - Klabund - Страница 1
ОглавлениеMarlen blähte der Wind den blauweiß karierten Rock auf.
Sie stand in einer Tornische der Nikolaikirche, dickbäckig und dickbäuchig, die grellroten Hände stemmte sie in die Seite und schrie:
Zwetschgen! Zwetschgen!
Ein Echo von den Häusern her höhnte:
Zwetschgen! Zwetschgen!
Der Wind fegte eine Staubwolke über den Nikolaimarkt. Erst schlich sie über den Boden wie eine Blindschleiche. Dann wuchsen ihr Flügel. Sie rauschte auf und schlug wie der Vogel Phönix mit riesigen Flügelschlägen gegen die bemalten Fenster der Nikolaikirche, daß sie in den rostigen Angeln knarrten und der rote Sankt Sebastian und der grüne Sankt Makarius ihre Farbe verloren und braun bestäubt wie schmutzige Bettelmönche oder Lebkuchenmänner im gläsernen Oval standen.
Der Himmel blinkte schwefelgelb wie ein Katzenauge bei Nacht.
Der erste Blitz zuckte seine silberne Geißel und peitschte die Wolken, daß sie brüllend auseinanderstoben.
Marlen stand in der Nische und lachte.
Der Regen sauste vor ihr nieder.
Immer schneller zuckten die Blitze. Sie legte die breite Hand auf ihren Bauch. Der Herzschlag des Kindes, den sie schon spürte, und Blitz und Donner: das war ein Schlag, ein Klang, das ging im gleichen Takt.
Das wird ein wilder Junge werden, ein Blitzjunge, ein Donnerbursche.
Blitz und Donner knallten und zischten ineinander. Eine schlanke Feuersäule stieg auf. Der Blitz hatte in das Haus des Senators Stollenweber eingeschlagen. Fenster sprangen auf. Geschrei. Hilferufe. Lärm in allen Gassen und das Horn des Wächters vom Turm.
Marlen lachte.
Sie ballte die Faust.
Ihr Gesindel, ihr Lumpen, ihr Pack! Es hat bei euch eingeschlagen! Es war die strahlende Faust meines Sohnes, die auf euer morsches Gebälk niederfuhr! Er wird auf euch niederkommen wie Gottes Sohn. Er wird kein Jesus Christus sein, kein sanfter Engel, kein milder Prophet. Er wird das Licht der Liebe nicht eher entzünden, als bis er mit der Fackel des Hasses euch aus dem Bau geräuchert hat, den ihr aus unserm Schweiß, aus unserm Blut, aus unseren Leibern, aus unsrem Leben euch errichtet, und den unser Blut, unser Leben wieder niederringen muß. Ihr habt Gödeke an den Galgen gebracht, weil er den Menschen helfen wollte, zu Recht und Gerechtigkeit zu kommen. Aber der tote Gödeke wird in euern Häusern umgehen. Er wird bleich hinter eurem Stuhl stehn, wenn ihr tafelt, und er wird euch Vernichtung einschenken. Er wird euren Kindern in der Wiege die Seele vergiften mit Wolfsmilch und Rattenmilch. Eure Weiber werden mit bocksbeinigen und kalbsköpfigen Mißgeburten niederkommen, darum, daß ihr des Menschen Antlitz und Gestalt geschändet und habt aus Lämmern Wölfe und aus Eidechsen Drachen gemacht.
Ihr sollt an meinen Zwetschgen ersticken!
Der Regen sauste. Der Donner grollte nur noch wie ein ferner Hofhund.
Zwetschgen! schrie Marlen, Zwetschgen!
Unbeweglich wie ein steinerner Nepomuk stand der Wächter am Galgen. Die Hellebarde stach mit dem Schaft in die feuchte Erde, mit der Spitze in den Himmel. Ein Stern tanzte darauf wie ein Elmslicht.
Gödeke schwankte im Nachtwind.
Er hing die dritte Nacht und hatte Leben und Sterben schon vergessen. Er war tot, wie er einst lebendig gewesen war. Ein Rabe, der sein linkes Auge gefressen hatte, saß auf seinem kahlen Schädel. In der leeren Augenhöhle kroch ein brünstiger Glühwurm. Von Hamburg herüber schlug es zwölf Uhr. Von zwölf Kirchen hintereinander. Der Wächter zählte bis hundert, da war er im Stehen fest eingeschlafen.
Er schreckte auf.
Was war das für ein verdächtiges Geräusch? Er fällte die Hellebarde.
Wer da?
Marlen legte ihm von hinten die Hände über die Augen.
Rate, mit wem du zu tun hast!
Der Wächter fluchte. Mit des Teufels Großmutter wahrscheinlich. Verdammtes Weibsstück, laß los. Wer bist du?
Deine Freundin, sagte Marlen. Und wenn du willst, deine Geliebte.
Sie riß ihn zu sich heran, daß die Hellebarde ins Gras fiel und er nach Atem schnaufte. Als er seine Arme frei spürte, suchte er nach ihren Brüsten. Er schälte sie aus dem groben Leinenhemd wie Früchte. Sie fielen neben der Hellebarde ins Gras, das noch feucht war vom Gewitter. -
Du bist schwanger, sagte der Soldat.
Sie lagen im Gras und sahen in den Himmel, wo die Sterne verschlafen blinzelten wie sie selbst.
Ja, sagte Marlen, ich bekomme ein Kind.
Von wem? fragte der Soldat.
Von meinem Mann, sagte Marlen.
Und wer ist dein Mann? fragte der Soldat.
Marlen zeigte mit spitzem Knöchel nach oben.
Der da!
Wer da? Ich sehe niemand da oben als Sterne. Also ist ein Stern dein Mann.
Er glänzte wie ein Stern und zog seine Bahn wie die Sonne.
Und wer ist es?
Marlen hob wieder den Finger:
Der, der da hängt.
Der Soldat richtete sich auf.
Der am Galgen, der ist dein Mann?
Ja, sagte Marlen, der Mann am Galgen ist mein Mann.
Der Soldat schüttelte den Kopf:
Da kannst du froh sein, daß du ihn los bist. Er war ein roher Patron, ein Räuber und Bandit. Er hat dich sicherlich jeden Tag geprügelt.
Marlen dachte nach:
Ja, er hat mich wohl zuweilen geprügelt. Das war so seine Art. Aber er hat mich geliebt, und ich habe ihn geliebt.
Du verstehst zu lieben, sagte der Soldat.
Und zu hassen, sagte Marlen.
Sie schwiegen.
Dem Soldaten war, als wäre ein kühler Wind über ihn hinweggestrichen. Ihn fröstelte.
Der Mann am Galgen schwankte leise. Der Rabe hatte ihn verlassen. Nur der Glühwurm leuchtete noch.
Hier in der Nähe ist ein Friedhof, sagte Marlen.
Der Soldat schwieg.
Gestern ist der Sohn des Tuchhändlers begraben worden. Das Grab ist noch nicht zugeschüttet.
Was soll das? fragte der Soldat.
Marlen fuhr fort:
Gödeke soll das Begräbnis eines ehrlichen Christenmenschen erhalten. Denn er war ein Christ wie wenige.
Vielleicht, sagte der Soldat. Auch Räuber sind zuweilen umgängliche Menschen. Ich habe mal mit einem Karten gespielt und ihm all seinen Raub abgenommen.
Hilf mir, sagte Marlen. Und sie hatte plötzlich Tränen in den Augen.
Der Soldat drehte verlegen an einem Rockzipfel.
Wie könnte ich dir helfen, ich bin hilflos wie du.
Marlen stand auf:
Wir graben den Sohn des Tuchherren aus und hängen ihn an die Stelle von Gödeke an den Galgen. Der Galgen ist hoch. Man kann von hier unten nicht unterscheiden, wer da oben im Winde hängt.
Und Gödeke graben wir ehrlich in die Erde an Stelle des Kaufmannssohnes.
Der Soldat:
Ich verlier meinen Kopf, wenn es an den Tag kommt -
Die Nacht ist finster, es kommt nicht an den Tag.
Sie zog ihn zu sich heran. Da spürte er ihre Brüste.
Wie Katzen schlichen sie die hundert Schritte zum Friedhof.
Wie schwer die Toten wiegen! sagte der Soldat, als sie den Kaufmannssohn zum Galgen trugen. Nun: es schadet nichts, wenn von dem Patrizierpack einmal einer hängt. Ich wünschte noch manchen an den Galgen. Sind hochmütig wie der Kaiser. Unsereiner ist ja nur ein Stück Vieh für sie.
Sie setzten eine Leiter an.
Der Soldat löste Gödeke die Schlinge.
Er hielt sich die Nase zu. Alle Wetter, dein Liebster duftet nicht schlecht.
Er ließ Gödeke die Leiter hinabgleiten.
Marlen nahm ihn zitternd in ihre Arme und küßte seinen stinkenden Mund.
Die Schlinge wehte leicht und lustig. Marlen sah empor.
Ach, sieh die lustige Schlinge! Wie hübsch sie sich ringelt! Wie eine Schlange.
Sie sucht ein neues Opfer. Soldat, zeig mir doch einmal, wie man die Leute hängt. Möcht's gern wissen.
Der Soldat lachte.
So mein Täubchen, hängt man die Leute, so mein Täubchen.
Er legte sich die Schlinge kunstgerecht um den Hals.
Als er den Hals in der Schlinge hatte, stieß Marlen die Leiter um. Er zappelte noch ein wenig wie ein Frosch, zuckte ein paarmal und hing still.
Marlen sah zu ihm hinauf:
So soll es allen gehen, die Schergenknechte sind.
Ihre Brust ging schwer.
Gödeke!
Sie schleifte die Leiche zum Friedhof und begrub ihn. Den Kaufmannssohn zerrte sie bis übern Damm und warf ihn, mit einem Stein beschwert, in die Elbe.
Als um sechs Uhr früh die Ablösung der Galgenwache kam, sah sie zu ihrem Entsetzen den Wächter am Galgen hängen.
Von Gödeke ward keine Spur mehr gefunden.
Aber durch die Bürgerschaft Hamburgs ging ein Zittern.
Der Teufel ist mit den Rebellen im Bunde! wisperte der Erzpriester von Sankt Georgen und legte diese Worte seiner nächsten Sonntagspredigt zugrunde und malte ein Bild des Teufels, daß die christliche Gemeinde schaudernd in den Mittag auseinanderging und sie sich in der grellen Sonne voreinander fürchteten.
Einige Tage darauf warf Marlen wie eine Hündin in einer Nische der Nikolaikirche einen Knaben, der später Störtebecker genannt wurde.
Vertrunken und versunken saß ein junger Gelehrter vor seinem Schoppen Wein. Zuweilen nahm er den Doktorhut herab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Störtebecker trank ihm zu:
Euer Wohl!
Der Gelehrte sah ihn durch seine schwarze Hornbrille mißtrauisch an und dankte mürrisch.
Woher des Weges? fuhr Störtebecker unbeirrt fort.
Der andere schwieg.
Er hob den Pokal ans Licht:
Wie klar dieser Wein! Wie golden! Flüssige Sonne. Wenn es einen Menschen gäbe, der so klar wäre wie dieser Wein. Aber vermanscht sind sie alle, unausgegoren, trübe, zu bitter oder zu süß. Essig oder Most. Euer Wohl! Ihr seid ein Kriegsmann?
Störtebecker:
Etwas Ähnliches, Herr. Ein Kämpfer.
Und was bekämpft Ihr?
Die Dummheit, den Hochmut, die Niedertracht.
Des andern Augen hinter den Brillengläsern funkelten. Ihr seid mein Mann. Ich wüßte Euch einen würdigen Feind. Er dämpfte die Stimme:
Ich komme aus Rom.
Störtebecker lauschte.
Dort herrscht die Trinität, die Ihr eben anführtet, unbeschränkt.
Störtebecker:
Kommt mit zum Thing. Sprecht zu den Friesen! Ihr seid der Unsere!
Der Thing fand auf einer Lichtung bei Bremen statt. Der Fremde erhob seine Stimme und sprach:
Zwei Metzen namens Theodora und Varozzia regieren. Sie setzen Bischöfe ein und ab und erheben zum Papst, wen sie wollen. Pfründe, Dispense, Absolutionen, Urteile: alles ist käuflich. Die Justiz ist eine Dirne geworden, der längst die Binde von den Augen fiel. Der Papst liest die heilige Messe, ohne zu kommunizieren, und ein siebenjähriges Kind, das mit dem Bischofshut wie mit einer Karnevalsmütze spielt, wurde zum Bischof geweiht. Wer weiß, wer der rechte Papst ist? Benedikt heißt der eine: der Gesegnete: er ist mit der Franzosenkrankheit gesegnet. Innozenz, der Unschuldige, heißt der zweite. Er ist unschuldig wie eine Landsknechthure. Damit sie ihr gottverfluchtes Leben leben können, pressen sie die Christgläubigen mit Abgaben und Steuern. Zieht nicht auch bei euch in den Katen und Dünen der Pfaff mit dem Klingelbeutel herum und fordert den Zehnten, indem er sich auf Gottes Wort und die Bibel beruft? Werft ihm die Bibel an den Kopf. Was braucht ihr die Bibel, wenn sie zuläßt, daß solchen Ungeistes Kinder sich auf sie berufen? Als ihr die Bibel noch nicht hattet, Friesen, da tönte Gottes Wort euch milder und reiner im Sausen der Winde, im Sturm der See. Kein häßlicher Gott, der gewunden am Kreuze hing, mit verzerrten Gliedmaßen, drückte euch. Freia, die Göttin der Schönheit, kam auf einem Delphin über das Meer geschwommen und segnete euch! Wehr- und hilflos ließ sich der Christ ans Kreuz nageln, desgleichen verlangen die heuchlerischen Pfaffen von euch. Sie wollen euch ans Kreuz von tausend Verträgen und Edikten nageln, um euch besser und sicherer schröpfen zu können. Meint ihr, daß es beim Zehnten bleibt? Den Dritten, die Hälfte werden sie fordern, und eure Weiber und Töchter werden sie im Beichtstuhl verderben mit römischem Laster und gallischer Sünde. Noch lebt Wodan, der Schlachtengott! Noch lebt Thor! Er schwingt den Streithammer und wird zerschmettern, die sich gegen ihn stellen. Nieder mit den Pfaffen! Nieder mit Rom! Wir wollen freie Friesen sein!