Отрывок из книги
Titel
1. Barcelona – Valencia
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Von Sitges aus geht es weiter am Strand, lande erneut in einer Sackgasse, muss den Golfplatz Club de Golf Terramar umlaufen. Komme dabei zum ersten Mal auf einen regulären Wanderweg, der durchaus zu gefallen weiß, sein größter Vorzug: keine Menschenseele außer mir. Es geht am Wasser entlang, schließlich hinauf auf die Steilklippen des Naturreservats Massís del Garraf … dabei finde ich ein herrliches Fleckchen am Rand der Klippe, lasse die Beine baumeln, die Wellen dabei unter mir brechend. Das wäre eigentlich ein Moment um glücklich zu sein, ich bin es bloß leider nicht, es kommt mir vor als hätte ich bereits aufgegeben. Ich versuche mich mit Musik abzulenken, rauche, hinter mir rauscht der Zug vorbei. Wenn es nicht so teuer wäre, würde ich noch heute zurückfahren. Ein Mann mit einer großen Kamera erscheint hinter mir und sucht sich einen Platz abseits von mir. Aber im Grunde sehe ich ihn gar nicht, fühle da nur eine unendliche Traurigkeit in mir, passend zu der Gewaltigkeit und Unzähmbarkeit des Meeres … ich kann meine Schmerzen nicht zähmen, ich will sie in meine Arme nehmen, nie mehr loslassen, nie mehr reisen. Ich merke, dass ich satt bin, wo ist das Fernweh, was mich all die letzten Jahre so gequält hat? Dass ich unterwegs auf andere Gedanken komme, ist bis jetzt noch nicht eingetreten. Ich verlasse diesen schönen Pausenplatz, laufe mit Musik in den Ohren über steinige Wege und durch einen kleinen Wald, während die Sonne direkt vor meinen Augen kurz nach sechs untergeht und es dunkel wird. Keine Straße in der Nähe, nur die Bahngleise, die, anders als die Autos auf dem Asphalt, mich irgendwie beruhigen. Die Ruhe wird nur kurz gestört, als der Zug zwei Meter neben mir vorbeirauscht … die Chance zum Selbstmord vertan. Die Batterie des MP3-Players macht just in den Moment schlapp, wo ich die erste Bank auf der Strandpromenade von Vilanova i la Geltrú erreiche. Ist die Sonne einmal weg, wird es schlagartig kalt. Dennoch nutze ich die Pause um etwas Tagebuch zu schreiben, fast 40 Kilometer bin ich an diesem Tag gelaufen.
Nach der kurzen Pause breche ich wieder auf, schwanke auf den ersten Metern, bemerke den Nachteil an Pausen: Hat man Schmerzen und ist in Bewegung, ist alles nur halb so schlimm … macht man aber eine Pause, lässt den Körper abkühlen, wird man beim Neustart die Schmerzen mit voller Wucht spüren und es braucht erst mal ein paar Minuten, bis man sich wieder eingelaufen hat. Mit lädierten Füßen und einem jaulenden Wolf zwischen den Beinen laufe ich ins Stadtzentrum, alles etwas größer als gedacht … kaufe zum ersten Mal etwas ein, Cola und Bier, das erste aus Gründen des Durstes, das zweite ist ein Bedürfnis und in den letzten Wochen zur Gewohnheit geworden. Mit der Bierdose in der Hand zittere ich mir einen ab, die null Grad fühlen sich kälter an als in Barcelona. Ich suche nach einer Bank, wo ich pennen kann, mag lieber hier in der Stadt schlafen als zwischen zwei Orten – warum das so ist, keine Ahnung. In Hafennähe finde ich eine Bank an einem Spazierweg, die nächste Straße weit genug entfernt, das Meer im Blick. Diesmal lege ich auch meine Isomatte drunter, kann jedenfalls nicht schaden. Es kommen dann doch mehr Leute vorbei als vermutet, ich kann nicht schlafen, aber ich brauche die Pause. Nach zwei Stunden friere ich bereits sehr stark, kann mich aber nicht dazu aufraffen, aufzustehen und die Schlafsachen wieder einzupacken, für einen Nachtlauf fühle ich mich auch gar nicht bereit. Wenn die Pause zur Strapaze wird, käme ich sogar auf die Idee mein Todesurteil zu unterzeichnen, zumindest würde ich ohne zu zögern dem Teufel meine Seele verpfänden … was man nicht alles für ein warmes Bett hergeben würde. Ich döse noch bis kurz nach halb eins weiter, dann höre ich ein Auto auf dem Spazierweg langsam an mir vorbeifahren. Ich kann mir sofort denken wer das wohl sein mag und als drei Sekunden später das Auto bremst, ich mich aufrichte, mir ein „hola“ gegen die müde Rübe geschleudert wird, bekomme ich die Bestätigung. Zweiter Tag, zum zweiten Mal Polizei, mit dem unauffälligen Verhalten klappt es noch nicht so recht. Da ich die Gesetze in Spanien nicht kenne, versuche ich vorzubeugen, indem ich den beiden Polizisten mitteile, dass ich hier nur eine kurze Pause gemacht und nun wieder Kraft genug habe um weiterzulaufen, es mir einfach blendend geht. Das nehmen sie mir nicht so wirklich ab; der eine weiß gar nicht was er von mir halten soll, denn er versteht kein Englisch. Der andere übernimmt das Sprechen und überrascht mich, denn während ich zornige Vorwürfe erwarte, spricht er in aller Milde zu mir, fragt ob ich ein Obdachloser bin und kein Geld für ein Hotel habe. Er betastet meinen Schlafsack, hält ihn für diese Temperaturen zu dünn … ich lächle und sage, dass es durchaus auszuhalten ist. Die Nervosität ist schnell verflogen, die Polizei mal nicht als Feind wahrnehmen, wie wunderbar … Die Beiden sprechen schließlich Spanisch miteinander, meine Ohren spitzen sich, weil ich glaube irgendetwas von „Hospital“ zu hören, oh weh … der eine richtet wieder das Wort an mich: In Vilanova gibt es zurzeit einen „Service“ (wie er es nannte), wo Obdachlosen freie Logis im Hotel gewährt wird, da der Winter deutlich kälter als üblich ist und bereits Menschen erfroren sind. Also wenn ich möchte, kann ich mit ihnen kommen und das Angebot wahrnehmen. Ich brauch nichts antworten, das Strahlen in meinem Gesicht ist Auskunft genug. Da bitten mich zwei Polizisten die Nacht im Hotel zu verbringen, ohne dass ich dafür bezahlen muss, zum ersten Mal wurde ich so richtig überrascht. Ich packe meine Sachen zusammen, während die beiden Polizisten, die sehr zu frieren scheinen, im Auto warten. Und schließlich sitze ich zum zweiten Mal in meinem Leben in einem Polizeiwagen, bloß das Ziel ist ein anderes: anstatt Psychiatrie geht es ins Hotel, was in manchen Fällen sicherlich einer psychiatrischen Anstalt sehr nahekommt. Im Streifenwagen bekommen wir eine Durchsage, ich verstehe nichts, merke nur, dass wir auf einmal auf der Suche nach irgendetwas oder irgendjemand sind. Wir fahren schmale Gassen entlang, finden aber nichts, schade. Also weiter zur Polizeiwache, Formulare werden ausgefüllt, nichts darf in Vergessenheit geraten. Wir plaudern nebenbei noch etwas und sitzen schließlich wieder im Auto, weiter zum Hostal Can Gatell, gleich bei der Uni, dreihundert Meter vom Bahnhof entfernt. Geklingelt, ein müder Mann kommt runter, wir gehen rein, an der Rezeption wird mein Ausweis kopiert, bekomme Zimmerschlüssel 116, bis 12 Uhr kann ich das Zimmer nutzen. Der Polizist fragt mich ob nun alles in Ordnung ist … alles ist gut, alles ist wunderbar, es fühlt sich gut an, ich lächle und wir reichen einander die Hände, ich danke ihnen. Sie haben also nicht von „Hospital“, sondern von „Hostal“ gesprochen, das gefällt mir doch schon besser, viel besser. Nun habe ich also Bekanntschaft gemacht mit zwei ehrlich besorgten Polizisten, die mir keinen einzigen Vorwurf ins Gesicht geschleudert haben … ACAB? Von wegen …
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