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Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
In der Hauptgeschäftsstraße einer Großstadt zählte ein Geschäft für Kunstgewerbe zu den vornehmsten und teuersten. Die Kunden ließen sich gern beraten von der Inhaberin, einer gewandten Dame mit verbindlichem Lächeln und liebenswürdiger, zuvorkommender Art. Nur, daß sich diese Attribute allein auf die Kunden bezogen; bei den Angestellten schlug die aalglatte Geschäftsfrau ganz andere Töne an. Hauptsächlich der Nichte gegenüber, bei der sie sich das ungestraft leisten konnte. O ja, das gerissene Fräulein Lucinde Mentel wußte schon, was sie tat, als sie ihrer älteren Schwester eindringlich zuredete, die Tochter nicht Chemikerin werden zu lassen, wie diese es gern gewollt, sondern sie nach der mittleren Reife vom Lyzeum zu nehmen und auf die Kunstgewerbeschule zu schicken. Das bestach die Frau Mama natürlich. Und als dann gar noch der Gatte starb, behauptete die «arme Witwe», von der Pension, die der Landgerichtsrat ihr hinterließ, ein so teures Studium für die Tochter nicht bezahlen zu können. So besuchte denn das einzige Kind dieser egoistischen Mutter die Kunstgewerbeschule und, da die liebe Tante es für vorteilhaft hielt, auch noch Abendkurse für Buchführung, Stenographie und Schreibmaschine. Daß das zarte Geschöpf sich bei dieser doppelten Lehre überanstrengte, wurde weder von Mutter noch Tante bemerkt. Ersterer konnte es nicht schnell genug gehen, die Tochter von der Tasche zu kriegen, und letzterer ging es darum, in der gefügigen Nichte so schnell wie möglich eine Arbeitskraft zu bekommen, mit der sie nach Willkür verfahren konnte. Das geschah dann noch rascher, als die gerissene Lucinde erhoffte. Denn bevor noch Swidgart Friesen die Kunstgewerbeschule absolviert hatte, starb ihre Mutter. Abends klagte sie über heftige Kopfschmerzen, ging zeitig zu Bett – wo die Tochter sie am Morgen tot auffand. Ein Gehirnschlag hatte dem Leben der Endvierzigerin ein rasches Ende gesetzt. Woher sollte die junge Swidgart nun das Geld nehmen, um ihre Lehre, die noch länger als ein halbes Jahr währte, zu bezahlen? Womit den Lebensunterhalt bestreiten? Antwort darauf wußte die gute Tante Lucinde, die als Vormund der Nichte Bestimmungsrecht besaß. Sie ließ die gesamte Wohnungseinrichtung versteigern und bestritt von dem Erlös, der ja so kärglich war, wie sie dem lebensunerfahrenen Mädchen weismachte, dessen Ausgaben. Kost und Logis erhielt das liebe Kind natürlich von ihr gratis; dafür mußte es allerdings im Geschäft mithelfen, bevor es noch die Prüfung abgelegt hatte.
In der Hauptgeschäftsstraße einer Großstadt zählte ein Geschäft für Kunstgewerbe zu den vornehmsten und teuersten. Die Kunden ließen sich gern beraten von der Inhaberin, einer gewandten Dame mit verbindlichem Lächeln und liebenswürdiger, zuvorkommender Art. Nur, daß sich diese Attribute allein auf die Kunden bezogen; bei den Angestellten schlug die aalglatte Geschäftsfrau ganz andere Töne an. Hauptsächlich der Nichte gegenüber, bei der sie sich das ungestraft leisten konnte. O ja, das gerissene Fräulein Lucinde Mentel wußte schon, was sie tat, als sie ihrer älteren Schwester eindringlich zuredete, die Tochter nicht Chemikerin werden zu lassen, wie diese es gern gewollt, sondern sie nach der mittleren Reife vom Lyzeum zu nehmen und auf die Kunstgewerbeschule zu schicken. Das bestach die Frau Mama natürlich. Und als dann gar noch der Gatte starb, behauptete die «arme Witwe», von der Pension, die der Landgerichtsrat ihr hinterließ, ein so teures Studium für die Tochter nicht bezahlen zu können. So besuchte denn das einzige Kind dieser egoistischen Mutter die Kunstgewerbeschule und, da die liebe Tante es für vorteilhaft hielt, auch noch Abendkurse für Buchführung, Stenographie und Schreibmaschine. Daß das zarte Geschöpf sich bei dieser doppelten Lehre überanstrengte, wurde weder von Mutter noch Tante bemerkt. Ersterer konnte es nicht schnell genug gehen, die Tochter von der Tasche zu kriegen, und letzterer ging es darum, in der gefügigen Nichte so schnell wie möglich eine Arbeitskraft zu bekommen, mit der sie nach Willkür verfahren konnte. Das geschah dann noch rascher, als die gerissene Lucinde erhoffte. Denn bevor noch Swidgart Friesen die Kunstgewerbeschule absolviert hatte, starb ihre Mutter. Abends klagte sie über heftige Kopfschmerzen, ging zeitig zu Bett – wo die Tochter sie am Morgen tot auffand. Ein Gehirnschlag hatte dem Leben der Endvierzigerin ein rasches Ende gesetzt. Woher sollte die junge Swidgart nun das Geld nehmen, um ihre Lehre, die noch länger als ein halbes Jahr währte, zu bezahlen? Womit den Lebensunterhalt bestreiten? Antwort darauf wußte die gute Tante Lucinde, die als Vormund der Nichte Bestimmungsrecht besaß. Sie ließ die gesamte Wohnungseinrichtung versteigern und bestritt von dem Erlös, der ja so kärglich war, wie sie dem lebensunerfahrenen Mädchen weismachte, dessen Ausgaben. Kost und Logis erhielt das liebe Kind natürlich von ihr gratis; dafür mußte es allerdings im Geschäft mithelfen, bevor es noch die Prüfung abgelegt hatte.