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I.
Eröffnung der ersten Parallele

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Herr Oberst, ich statte Ihnen meinen Glückwunsch ab!

Ich nehme ihn von ganzem Herzen an, Herr Germanet.

Diese kurze Begrüßung wurde rasch an der Schwelle der Thüre gewechselt, welche zum Salon des Herrn von Albingen führte; ein kräftiger Händedruck ergänzte die flüchtigen Worte, und Herr Germanet trat ein.

Er war einer jener gutmüthigen, wohlbeleibten Notare, die immer in feierlicher Verklärung, gleichsam als wandelnder Heirathscontract, durchs Leben schreiten, während ihr verbindliches Lächeln stets der Neuvermählten die Feder zu präsentiren scheint. Seine Cravatte saß tadellos, und die Brillantknöpfchen seines Hemdes funkelten zwischen mathematisch genau gelegten Fältchen hervor. Eine starke Erhöhung an dem Handschuh, der seine Rechte einzwängte, ließ dort mit Sicherheit einen der großen Ringe vermuthen, wie sie sehr lebhaft gesticulirende Menschen mit Vorliebe am Zeigefinger zu tragen pflegen.

Herr Germanet führte seine kleiner magere Gattin am Arm; das Wort »Hälfte« würde entschieden unstatthaft sein, denn zwei Zenobien zusammengenommen hätten sein Gewicht noch lange nicht ausgemacht. Madame Germanet trug silberne Aehren in den stark gebrannten Locken; überhaupt schien sie es mit ihrer Toilette auf einen gewissen Erntefest-Charakter abgesehen zu haben. Das Kleid war kornblumenblau, und die hochrothen Wangen konnten die Stelle von Klatschrosen vertreten. Das Ganze sah entschieden nach einer Korngarbe aus. Selbst die erforderlichen Unkräuter, Insecten und Thautropfen hingen und glitzerten in Gestalt der unmöglichsten Bänder, Brochen, Ohr- und Halsgehänge daran herum und halfen das ländliche Ensemble vollenden. Frau Zenobia schöpfte aus dem Bewußtsein ihres Vermögens und ihrer Stellung den Muth, vor den Augen der Welt ein paar entsetzlich magere Schulterblätter zu enthüllen, die an den Achseln oder vielmehr von ihnen herunterhingen wie die beiden Tafeln an der Bureauthüre ihres Gemahls.

Es sah gefährlich aus, wenn sie die Ellbogen nach rückwärts bewegte, denn dabei kamen die beiden Knochenflächen sich drohend nahe; ein unvorsichtig dazwischen gesteckter Finger wäre ohne Barmherzigkeit eingeklemmt worden. Aber, zur Beruhigung des Lesers sei es gleich hinzugefügt: ein solches Unglück kam niemals vor.

Der Himmel scheint diese Sorte kleiner, ewig mager bleibender Frauen ausschließlich zum Heil der lieben Männer erschaffen zu haben, denn ihr säuerlicher Humor läßt dem Gatten nur so viel häusliches Glück zukommen, wie nöthig ist, um ihn bei Gewicht zu erhalten und doch vor Fettleibigkeit zu bewahren. Aber diese Wahrheit, welche den Betheiligten selbst niemals zum Bewußtsein kommt, hatte Herrn Germanet nicht zu seiner Heirath bewogen; Zenobia’s ansehnliche Aussteuer, mit welcher er seine Stelle bezahlte, hatte ihm erlaubt, noch allerhand kostbare Fähnchen um die unglücklichen Schulterblätter zu legen, die dadurch außerordentlich verschönert wurden.

Kurz, es war ein sehr gut harmonirendes Paar. Die beiden Gatten ergänzten sich moralisch und physisch aufs Glücklichste; was dem Einen fehlte, hatte der Andere zuviel. Den Geist freilich hatte man nicht kaufen können, wie die Aussteuer, und so mußte man es mit ihm halten, wie mit den Schulterblättern, entweder seine Magerkeit künstlich zudecken, oder sie im Nothfall mit der ganzen Unverschämtheit des Reichthums produciren.

Herr Germanet selbst war indessen durchaus nicht dumm, er verstand ein Wortspiel sehr gut und erachtete es nicht unter seiner Würde, gelegentlich ein paar selbstgemachte unter die Leute zu bringen. Doch betrieb er solche kleine Ausschweifungen nur sehr mit Maß und Ziel und genoß im Uebrigen bei seinen Clienten den Ruf eines ausgezeichneten Notars.

Und dies mit Recht; denn er besaß zwei Haupterfordernisse desselben: die kleinliche, ängstliche Genauigkeit in Geschäften und andrerseits eine außerordentliche Gabe, die traditionellen juristischen Phrasen, das theuerste Kleinod so manches Gesetzeskundigen, stets mit großer Würde im Munde zu führen. Seine Ehrlichkeit entsprang zunächst einem von Natur mäßigen Temperament, er selbst betrachtete sie als nutzbringendes Capital, wie ein Anderer sein Talent: er hätte durchaus keinen Vortheil dabei gesehen, ein Spitzbube zu werden.

In dem Augenblicke, wo unsre Erzählung beginnt, verfügt er sich zu einer Verlobungsfeier in der Familie seines Freundes und Clienten, des ehemaligen Fabrikbesitzers Herrn von Albingen. Beide Familien haben Ursache zur Dankbarkeit gegen den Notar, denn er war der Vertraute und Vermittler der ganzen Sache, und der soeben unter der Thüre gewechselte bedeutsame Händedruck galt dem Bräutigam der schönen Clara, dem Obersten Grafen von Corval.

Wir benützen den Augenblick, wo Zenobia’s silberne Aehren sich vor der Hausfrau neigen, um diesen etwas näher ins Auge zu fassen. Arthur Sigismund von Corval ist ein eben so schöner Mann als tapferer Officier, Die ganze Erscheinung des neununddreißigjährigen Husaren-Obersten repräsentirt in hohem Grade den Typus eleganter Ritterlichkeit, wie er unsern Tagen auf der Bühne des Gymnase-Theaters durch Scribe, den Homer dieser Achillesgestalten, sich als charakteristische Figur entwickelt hat. Aus Arthur’s frischen und freundlichen Zügen spricht viel heitere Offenherzigkeit, dagegen durchaus keine Leidenschaft für metaphysische Grübeleien. Sein Schnurrbart ist mit einer gewissen vielsagenden Grazie gedreht, und die schönen Augen bekommen oft plötzlich ein eigenthümliches Feuer, hier der Schönheit, wie sonst einer feindlichen Batterie gegenüber. Mit einem Wort, Mars in Person, nur ohne Venus, an die man bei seinem Anblick unwillkürlich denkt. Es ist wohl überflüssig, noch der bis ins Kleinste vollendeten Eleganz seiner übrigen äußern Erscheinung zu gedenken; in diesem Punkte kann er den strengsten weiblichen Kenneraugen getrost begegnen und ist sich dessen offenbar auch bewußt. Schon die Art allein, wie er im Gehen die Brust herauswirft, läßt deutlich erkennen, daß er sie ungescheut den musternden Damenblicken wie den feindlichen Kugeln entgegenträgt.

Da wir einmal bei vertraulichen Mittheilungen sind, fügen wir noch hinzu, daß eine gemeinsame Erbschaft, oder vielmehr die Schwierigkeit der daraus folgenden gegenseitigen Abrechnung unfehlbar zu einem Proceß zwischen dem Obersten und Herrn von Albingen geführt haben würde, wenn diesem Letzteren statt eines Notars ein Advocat als Berather zur Seite gestanden hätte. Meister Germanet aber erwog schaudernd, wie kläglich eine so schöne, glatte Erbschafts-Angelegenheit durch gegnerische Chikanen zersetzt werden könne, und rieth dringend zum Frieden. Aus den Blicken des Obersten las er sich sehr bald die Gewißheit heraus, der beste Advocat für die Familie Albingen sei in der Person der schönen Clara vorhanden; so vermittelte er denn geschickt die ersten Zusammenkünfte, und diesen folgte, da alle Theile vorn besten Willen beseelt waren, sehr bald die Verlobung nach. Eine Neigungs-, Geld- und Ambitionsheirath war es für beide Theile, den Obersten beglückte die Aussicht auf eine reizende Frau und ein großes Vermögen, während das, was er dagegen zu bieten hatte, seine schöne Männlichkeit und ein fleckenlos getragener Name, dessen hübsche Grafenkrone sich, beiläufig gesagt, als gestickte Taschentuch-Ecke allerliebst ausnehmen mußte, die Vortheile der andern Seite hinlänglich aufwog.

Wie ein echter Romanheld hatte sich Arthur beim ersten Blick in Clara’s schöne Augen verliebt. Der siegreiche Herkules empfing seine Spindel geduldig aus den Händchen der achtzehnjährigen Omphale und spann so ohne Murren zu ihren Füßen, als ob seine bisherigen Liebeserfahrungen lediglich in Mondschein-Schwärmereien bestanden hätten und nicht in so manchem tollen Abenteuer, wo er schließlich genöthigt war, dem depossedirten Liebhaber oder Ehemann mit der Klinge in der Faust Rede zu stehen.

Heute also sollte der verliebte Löwe der ganzen industrie- und handeltreibenden Verwandtschaft vorgestellt werden, Clara hatte, um sich die Sache zu versüßen, auf einem Ball bestanden und versammelte so auch zugleich ihre sämmtlichen Pensionsfreundinnen, frühlingsduftige Geschöpfchen, zum Theil reiche Erbinnen, die allesammt mit der brennendsten Neugier angeflattert kamen, die große Merkwürdigkeit des Tages, den ersten auf ihre Generation treffenden Gemahl, von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Alle diese rothwangigen Astrologen in leichten Gazekleidern stellten der Beneideten das Horoskop, im Stillen aber spähte Jede nach ihren eigenen Auspicien. Clara strahlte im höchsten Glanze, sie kostete entzückt den doppelten Triumph, zu lieben und beneidet zu werden. Rechts und links lebhaft von ihrer Ausstattung plaudernd, warf sie zuweilen einen übermüthig lächelnden Blick nach dem Ueberwundenen, der sie aus der Ferne anbetete. Der Oberst ergab sich übrigens sehr heroisch in sein Schicksal. Er stand bescheiden an die Salonthür angelehnt als eine unbewegliche Zielscheibe für laufend neugierig nach ihm zielende Blicke. Er selbst hatte nur Augen für Clara und lauschte entzückt den ihr von allen Seiten dargebrachten Huldigungen. Zum ersten Male in seinem Leben fühlte er unter so viel reizenden Wesen sein Herz nur von Einer Leidenschaft durchglüht. Und doch wäre jedes dieser liebenswürdigen Kinder mit Vergnügen bereit gewesen, die siegesgewisse Freundin ein wenig in Angst zu versetzen.

Unser Freund Germanet hatte mittlerweile pflichtgemäß und gewissenhaft die Runde bei der Hausfrau und einigen hervorragenden Clienten gemacht und dirigirte nun seine Zenobia nach der hinteren Sitzreihe, in die Region der erhaben thronenden Göttinnen, wohin sich aber die Liebe auf der Fährte der Schönheit niemals verirrt. Dann glitt der würdige Notar, nach allen Seiten verbindlich lächelnd, weiter bis zu Herrn von Corval, dessen beide Hände er in die seinigen nahm, um das an der Thür abgebrochene Gespräch fortzusetzen.

Nun, lieber Oberst, der große Tag naht also heran. Den Contract habe ich aufgesetzt, er könnte nicht besser abgefaßt werden. Und ein Stil! Nun, Sie werden ja selbst sehen. All die garstigen Erbschafts-Waldungen, um die wir processiren sollten, haben sich unter meiner Feder in ein reizendes Wäldchen verwandelt, das Sie nicht mehr schlagen zu lassen brauchen, in dem Sie aber alle Ihre Turteltauben fliegen lassen können. Welch schönes Myrtenreis flicht sich jetzt durch Ihren Lorbeerkranz, Herr Graf!

Ich fühle mich sehr glücklich, Herr Germanet, und erinnere mich gerne daran, daß ich Ihnen, dem besten und redlichsten aller Menschen, zunächst dies Glück verdanke.

O, Sie schmeicheln mir, Herr Oberst!

Durchaus nicht. Wissen Sie, was ich gerade dachte, als Sie vorhin kamen? Ich erinnerte mich, wie oft ich schon geglaubt habe, die wahre Liebe zu empfinden, und das kommt mir jetzt gerade vor, als hätte ich ein kleines Ritornell für eine Symphonie gehalten. Seit diesem Abend erst durchdringt mich die namenlose Wonne, deren Süßigkeit einmal im Leben über den Menschen kommt, wenn er sie nicht ungläubig verkennt oder gar sträflicherweise entfliehen läßt.

Sie werden ja vollständig zum Poeten, theurer Graf. Man sollte Ihnen wahrhaftig statt Ihres Dollmans eine Leier über die Schulter hängen.

Ueber diesen kleinen literarischen Scherz, der ihn einige Anstrengung gekostet hatte, brach Herr Germanet selbst in ein behagliches Lachen aus.

Der Oberst hatte nicht darauf gehört.

Ach, lieber Freund, fuhr er mit einer Vertraulichkeit fort, über die der Notar ganz roth vor Stolz wurde, was für eine herrliche Sache ist doch die Ehe! Früher glaubte ich auch, ein Offizier solle nur mit seinem Degen verheirathet sein, und in unsern tollen Garnisonsnächten erklärten wir den Ehestand lachend für eine Art Vertrag von 1815, den man hält, bis die Gelegenheit kommt, ihn zu drehen. Aber nun, seitdem diese neue süße Hoffnung mein Herz bewegt, bin ich völlig zum Ehefanatiker geworden, und wahrhaftig, es sollte sich jetzt Niemand in meiner Gegenwart ungestraft über einen Stand lustig machen, der, man mag sagen, was man will, doch der beglückendste und vernünftigste, von allen ist.

Germanet nickte zustimmend mit dem Kopfe, konnte sich aber dennoch nicht enthalten, unwillkürlich einen Blick seitwärts nach der Aehrenkrone zu senden, in welchem ein heimlicher Protest gegen die soeben vernommenen Paradoxen zu lesen war.

Und ist nicht Clara wirklich die Schönste und Reizendste von Allen? fuhr Arthur fort, indem er sich näher zu Germanet? Ohr beugte. Sehen Sie nun Germanet, mit welch stolzer Grazie sie ihre Freundinnen begrüßt, Das Commando, glaube ich, wird sie bald aus dem Grunde verstehen!

Ja wahrhaftig, das glaube ich auch, lieber Oberst, Sie sieht gerade so aus, als ob sie schon die dicken Epauletten auf ihren Schultern fühlte!

Ueber diese harmlose Neckerei, die auch dem Obersten angenehm klang, laut lachend, empfahl sich Germanet, um an einem Spieltisch Platz zu nehmen.

In der entgegengesetzten Ecke am Flügel stand indessen Clara von Albingen an ihre beste Freundin gelehnt und flüsterte dieser, die schon in der Pension oft als geduldige Elise die Herzensergüsse der Königin Esther hatte über sich ergehen lassen, all ihre neuen, wunderbaren Geheimnisse zu.

Clara war eine achtzehnjährige Schönheit mit blendendem Teint und prachtvollen Augen, deren unschuldiger Blick die vollkommenste Herzensreinheit offenbarte. Ihre schweren, aschblonden Haare lagen als Flechtenkrone über ihrer Stirn und mußten aufgelös’t wie ein Mantel herabfallen. Das rosa Seidenkleid spannte sich wie eine zweite Haut um den reizenden Oberkörper und zeichnete seine Umrisse aufs Genaueste ab. Heute öffneten sich die frischen Lippen fast beständig zu einem stolzen Lächeln oder zu immer neuen Aeußerungen ihres Glückes, die in ihrer naiven Rücksichtslosigkeit fast ein wenig verletzend wirken konnten.

Es war kein stärkerer Contrast zu Clara’s Erscheinung denkbar, als die von ihrem Arm so zutraulich umfaßte Freundin; fast schien es, als ob eine boshafte Fee ihr dieselbe gerade aus diesem Grunde zur Seite gestellt habe.

Lucie von Beaulieu war die schüchternste, verlegenste und schweigsamste von Clara’s Freundinnen. Ihre schwarzen, sorgsam geglätteten Haarscheitel reichten fast bis zum Ansatz der Augenbrauen. Die Züchtigkeit selbst schien ihr die langen undurchdringlichen Wimpern verliehen zu haben, die sie über ein Paar Augen senkte, aus deren schwarzer Tiefe es wie der Dämmerschein mittelalterlicher Kirchen hervorsah. Die schmale Stirn, der feine Mund, das Oval des Gesichts erinnerten an Raphael’s Madonnen; es lag überhaupt ein solcher Hauch von Idealität über ihren reizenden Zügen, daß man leicht hätte denken können, sie horche den Einflüsterungen eines nur ihr wahrnehmbaren Engels. Ein ganz weißes Kleid vollendete den Seraphs-Eindruck, und ein um den Hals geschlungener Gaze-Schleier floß über die schneeigen Schultern wie duftige Wölkchen um eine himmlische Erscheinung.

Clara erzählte ihrer Lucie von der Werbung des Obersten, seinen Besuchen, den stets neuen Beweisen einer Liebe, die von Tag zu Tag ungeduldiger wurde, über den der Formalität wegen nöthigen Aufschub, und flüsterte in ihrem Siegesrausch eine Menge toller, zärtlicher und in aller Reinheit verwegener Worte in das Ohr ihrer unschuldigen Freundin. Lucie lächelte schwach bei diesen Herzensergießungen, aber jedesmal, wenn das Wort Liebe in dem unschuldig-gefährlichen Gespräch vorkam, drückten sich die beiden Mädchen in ahnungsvollem Einverständniß, halb von Furcht, halb von unwillkürlicher Begeisterung ergriffen, fester die Hände.

O meine gute Lucie, sagte Clara, du mußt mich oft besuchen, und wenn ich meine Opernloge habe, nehme ich dich mit und »chaperonnire« dich. Haben Sie verstanden, mein Fräulein: ich bin dann eine Dame mit einem wirklichen Federhut und einem wirklichen Kaschmirschawl.

Und einem wirklichen Gemahl! murmelte Lucie ganz leise, indem sie ein klein wenig Spott in ihrem Lächeln unterdrückte.

Nun höre, erwiderte Clara, die Reihe kommt auch an dich, kleine Heilige, ja, es schien mir sogar heute Abend, als hätte deine Mutter der meinigen einen jungen Mann vorgestellt, der nicht zu deinen Vettern gehört.

Eine plötzliche Röthe bedeckte Luciens Stirn, die sanften Augen verhüllten sich unter ihren Schleiern, und sie senkte das Haupt.

Ah, ich! sagte sie, ich heirathe keinen Adeligen, keinen Obersten.

Also heirathest du doch! . . . Und sagtest mir kein Wort davon. Nun erzähle aber geschwind. Und vor allen Dingen, wo ist er, der glückliche Sterbliche?

Lucie hob ein wenig die Augen und brauchte nicht lange zu suchen, um ganz in ihrer Nähe, einige Schritte von dem Obersten entfernt, einen jungen Mann zu erblicken, der sie mit dem Ausdruck der unverkennbarsten Leidenschaft beobachtete.

Da steht er! flüsterte sie so leise, daß Clara die Worte mehr von ihren Lippen las, als sie hörte. Aber der Blick ihrer Augen ergänzte die Worte hinlänglich.

Er ist ganz nett, sagte Clara von Albingen mit einem Wohlwollen, das zu herablassend war, um nicht etwas geringschätzig zu klingen.

Er hat keinen Schnurrbart, wie Herr von Corval, hob Lucie hervor.

Clara warf die Lippen ein wenig auf, denn ein Vergleich mit dem martialischen Gesicht des Obersten kam ihr überhaupt undenkbar vor, und sie sagte, um dessen Ueberlegenheit indirect zu betonen:

Er ist ein bischen blaß, dein Anbeter, liebes Kind.

Weil er sehr viel arbeitet.

Was arbeitet er denn?

Er ist Advocat.

Hat er Talent?

In dieser unbedacht herausgesprudelten Frage lag eine Impertinenz. Lucie erbebte; Clara merkte nicht, daß sie dies Engelsherz geritzt hatte. Sie setzte die Musterung des jungen Mannes fort.

Wie heißt er? fragte sie.

Julius Hammel, erwiderte muthig Fräulein von Beaulieu.

Die Braut des Grafen Arthur Sigismund von Corval konnte ein rasches, bezeichnendes Lachen nicht unterdrücken.

Was für ein komischer Name. Hammel zu heißen!

Da führst du also künftig deinen Mann mit einer rosa Schleife am Hals spazieren?

Ein rascher Blitz zuckte in Luciens Augen auf.

Der Name ist vielleicht lächerlich, aber der Mann ist es nicht, im Gegensatz zu andern Leuten, die große Namen und einen kleinen Geist haben.

O, werde nur nicht gleich böse, ich will auch nicht mehr scherzen; die Neuigkeit kam mir nur so unerwartet. Wenn du mich gefragt hättest, so hätte ich dir einen hübschen Officier aus Herrn von Corval’s Regiment ausgesucht. Aber nein, das Fräulein hat seinen eigenen Kopf und muß Herrn Hammel heirathen. Ach, Theuerste, für einen Seraph, wie du bist, riecht der Name doch entsetzlich nach Keule und Coteletten!

Was liegt an seinem Namen, wenn ich ihn liebe?

Der Ausdruck wirklicher Leidenschaft in dieser Antwort entging Clara von Albingen völlig; sie glaubte Verdruß und Eifersucht aus den Worten zu hören, die doch in Wahrheit eine stolze Herausforderung bedeuteten.

Was für ein reizendes Schäferspiel wird das geben! Du, die ewig Sentimentale im Institut, die ihre Maßliebchen im Gartenwinkelchen pflegte und nicht begreifen konnte, wie wir Anderen lieber springen und herumlaufen mochten!

Ach, meine armen Blumen! Ihr machtet euch einen Spaß daraus, sie mir mit Dinte zu begießen, sagte Lucie, und ihre Stimme zitterte.

Ach ja, und wie viel Thränen hast du darüber vergossen! Es sah fast ein wenig nach Koketterie aus!

Ja wohl, ich habe viel geweint, aber du solltest mich nicht daran erinnern, du Böse, denn du warst es hauptsächlich, die mich immer verfolgt hat.

Der Tausend! War ich nicht deine beste Freundin? Da hatte ich doch das Recht, dich ein wenig zu quälen, wie heute noch, wenn ich mich über deinen Hammel lustig mache.

Lucie zuckte bei diesem neuen Pfeil in ihre Wunde zusammen, aber ihren Schmerz und Groll unter einem Lächeln verbergend, sagte sie:

O, du kannst dich lustig machen, so viel du willst, heute weine ich nicht mehr.

Aber nun erzähle mir auch, wer deine Verlobung zu Stande gebracht hat? Datirt die Sache aus deinen Kinderjahren, ist es eine Familiengeschichte?

Nein, ich habe mir ihn selbständig gewählt, weil ich ihn liebe.

Ach, also eine pure Laune, eine Leidenschaft! Sicherlich hast du als Kind einmal ein hübsches weißes Schäfchen auf Rädern zu Weihnachten bekommen und heirathest Den nun zur Erinnerung daran!

Dann mußt du wohl mit Soldaten gespielt haben, weil du jetzt einen Oberst heirathest?

So gern Clara ihre Freundin neckte, so wenig war eine solche Erwiderung nach ihrem Geschmack. Sie versetzte deßhalb in einem, wie sie glaubte, äußerst würdevollen Tone:

Du wirst zugeben, meine Liebe, daß dazwischen doch ein kleiner Unterschied ist, und daß Niemand es komisch finden wird, wenn das Fräulein von Albingen den Grafen von Corval heirathet.

O ja, ich gebe es zu, deine Heirath ist nicht so komisch, wie die meinige.

Clara, die nicht ahnte, welch tiefe Wunden ihre befriedigte Eigenliebe soeben geschlagen hatte, dachte das Gespräch mit einem gnädigen Anerbieten zu schließen.

Nun, liebste Lucie, verheirathen wir uns eben, wie wir können, und seien wir Jede auf ihre Manier glücklich. Aber wenn du für Herrn Hammel (sie konnte das Wort kaum ohne Lächeln aussprechen) eine Protection beim Minister nöthig hast, so erinnere dich, daß Herr von Corval im Schloß Zutritt hat, daß er mächtige Freunde besitzt, und daß ich ihn eine vielem Vergnügen für dich ins Feld schicken werde.

Wie man sieht, fehlte Nichts mehr zu Luciens Schmerz. Nach allen vorausgegangenen Spöttereien verletzte sie nun zum Schluß noch der Hochmuth ihrer Freundin, der sich hinter dieses scheinbare Interesse für ihr Wohl versteckte.

Du bist zu freundlich, versetzte sie mit einer Demuth, die nichts Engelhaftes hatte. Der Oberst wird noch genug andere Feldzüge machen müssen, bis er General ist.

In der Art, wie sie das Wort betonte, lag eine versteckte Spitze.

Herr Hammel, fuhr Lucie fort, will Niemand als sich und seiner Arbeit irgend Etwas verdanken. Er ist ein stolzer, unabhängiger Charakter, und wir Beide werden uns durch seine Armuth geadelt fühlen.

O Gott, du bist auf einmal so blaß, – habe ich dir weh gethan?

Durchaus nicht, erwiderte Lucie, deren Lippen schon wieder das mildeste Lächeln umspielte. Ich bin deine Neckereien gewöhnt, du fängst ja nicht heute erst damit an. Wie hast du mich in den sechs Institutsjahren auf jede mögliche Weise gequält! Aber um dir zu zeigen, daß ich nichts nachtrage, will ich jetzt gehen, den Obersten aufzufordern, und du holst meinen Hammel zum vis-à-vis, aber nur unter der Bedingung, daß dein Herr Löwe mein Lämmchen nicht aufspeis’t.

Wahrhaftig, ich weiß gar nicht, warum du dich immer von Andern necken läßt; wenn du willst, kannst du es tüchtig zurückgeben, sagte Clara lachend; dann setzte sie hinzu:

Ein Advocat ist ja ein halber Poet. Hat er dir Gedichte gemacht, dein Zukünftiger?

Nein; arme Leute, wie wir, lieben sich in Prosa. Macht dein Held denn Verse auf dich?

Der Oberst bringt mir jeden Tag ein Bouquet.

Sieh, das ist bei uns gerade umgekehrt. Ich gebe Herrn Hammel jeden Tag eine Blume.

Was! Du bietest deinem Verlobten die Bouquets an!

Ja, siehst du, Liebste, die Hämmel weiden gerne, und ich füttere den meinigen mit Rosenblättern.

Während sie diese Worte mit scherzender Heiterkeit hinwarf, machte sich Lucie aus dem Arm ihrer Freundin los, diese aber wollte sie erst zu dem Obersten begleiten, um ihr denselben vorzustellen.

Als er Luciens Hand zum Contretanz ergriff, flüsterte diese noch rasch Clara ins Ohr:

Nimm dich in Acht, jetzt entführe ich dir deinen Obersten!

Clara zuckte die Schultern mit einem unaussprechlich hochmüthigen Lächeln.

Hast du gar keine Angst? drängte Lucie.

Darf eine Soldatenfrau Angst haben?

Und ist dies der einzige Grund?

Du weißt wohl, Spötterin, daß ich die andern aus Bescheidenheit nicht nennen darf. – Und Fräulein von Albingen verfügte sich zu Herrn Julius Hammel und lud ihn mit einer tiefen Verbeugung ein, sich mit ihr dem Obersten gegenüber zu stellen. Lucie von Beaulieu sah Clara mit einem unbeschreiblichen Lächeln nach, und ihre langen Wimpern verhüllten halb einen boshaften Blick, der diesem reinen Angesicht einen sonderbaren Ausdruck verlieh.

Eine gefährliche Unschuld

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