Читать книгу Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut - Magdalena Gräfenberg - Страница 1
ОглавлениеMAGDALENA GRÄFENBERG
Helen und die Häute der Frauen
Erster Teil: SOKO Haut
Roman
Erschienen: 2018
Titel der Originalausgabe: H. Helen und die Häute der Frauen
Erster Teil: SOKO Haut.
©2018 durch Aatal Healthcare AG, Obwalden, Schweiz
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch öffentlichen Vortrag, Übersetzung, Druck, Umgestaltung als Comic, Übertragung durch Rundfunk, Film, Fernsehen, Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Aatal Healthcare AG, Obwalden, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlagmotiv: ©Aatal Healthcare AG
Helen und die Häute der Frauen
Erster Teil: SOKO Haut
Remember everything is right until it’s wrong.
You’ll know when it’s wrong.
Ernest Hemingway
Prolog
15. Juli 2010
Es war inzwischen 23 Uhr. Androsch saß nun schon seit Stunden hinter dem Steuer und kämpfte gegen seine Müdigkeit. Endlos zogen sich beiderseits der Piste die reifen Sonnenblumenfelder hin. Die Blütenkörbe wurden vom Licht der Scheinwerfer gestreift und blitzten gelb auf. Zwischendurch gaben dann wieder die kahlen, grauen Stängelsteppen der schon abgeernteten Mohn- und Rapsfelder dem Auge keinen Halt. Im Radio kamen jetzt Nachrichten. Es hatte einen Anschlag mit vielen Toten im Iran gegeben. Er wurde dem IS zugeschrieben, ein Racheakt und ein Zusammenhang mit dem Drogenhandel wurden vermutet. Er lachte vor sich hin. Er kannte die Wege von Ost nach West und umgekehrt. Er stellte das Radio ab und ließ die CD laufen, die noch im Fach war. Eye of theTiger und andere Songs. Androsch hatte außerdem noch Hunger. Aber zu essen gab es vorläufig nichts mehr. Der Rest in der Tüte war versaut. Immer wieder schaute er nach hinten in den Wagen. Die Decke kam auf dem Plastiksack in den Kurven leicht ins Rutschen. Er drehte sich erneut um, nichts war zu sehen, alles in Ordnung.
Trotz Schengener Abkommens war man bei den österreichischen Grenzern nie sicher, ob sie nicht doch kontrollieren würden. Weit hinter Rosenheim, an den „österreichischen Linien“, wie er die Grenze für sich nannte, hätte er fast die Nerven verloren. Da standen sie doch tatsächlich mit mehreren Grenzern an dem kleinen Übergang. Es sah aus, als ob sie ihn kontrollieren wollten. Er malte sich schon aus, wie sich das Szenario entwickeln und er schnell zu seiner alten Aggressivität zurückfinden würde. Er spielte die Handgriffe durch. Er spürte den pochenden Puls im Kopf und sah das Flimmern vor seinen Augen. Nervös tastete er nach den harten Konturen unter seiner Jacke. Das letzte Intermezzo lag Jahre zurück. Doch in letzter Sekunde wurde er von dem Grenzer durchgewinkt. Anschließend war ihm so schlecht, dass er sich übergeben musste. Er kotzte in die Tüte auf dem Nebensitz, in der noch ein halbes Brötchen mit Schinken und Äpfeln lag. An der ungarischen Grenze, kurz vor Szombately, ließ man ihn anstandslos passieren. Die zwei Männer der Grenzwache waren mit der Kontrolle eines rumänischen Vito beschäftigt. Dann ging es kurz weiter über die ungarische Nationalstraße. Ab da dann nur noch über Nebenstraßen. Ab jetzt würde er noch etwa zwei oder drei Stunden über die Staubstraßen brauchen, dann wäre er an der Hütte, beim Jagdhaus in den Wäldern von Bakony, wo er morgen die restliche Arbeit zu erledigen hatte. Er würde sie wecken und sie würde ihm Gulasch oder Letscho aufwärmen. Danach würde er sich unter ihrer Decke zwischen ihre weichen Schenkel legen. Wenn jetzt noch unerwartet eine Polizeikontrolle käme, würden die Ausweise ausreichen. Er sah ihm zum Verwechseln ähnlich. Der Führerschein war alt, daher war das jugendliche Gesicht sowieso nicht zu beurteilen. Es war alles so plötzlich gegangen. So schnell hatten sie ihm keine neuen Ausweise beschaffen können. Der Chef hatte auf der besonderen Abwicklung bestanden und keinen Widerspruch geduldet. Er musste fahren. Wie immer wollte er das Andenken, wie er es nannte, aufbewahren. Nur in Szeged war es möglich, das Andenken in der entsprechenden Weise zu präparieren und in der gewünschten Form zu würdigen. Androsch fand das etwas zu sentimental, er hätte das Problem anders gelöst. Aber das war nicht seine Aufgabe, sich den Kopf für andere zu zerbrechen. Vorher hatte er daher in der Jagdhütte noch die letzte unangenehme Aufgabe zu erledigen, die ihn etwa eine Stunde oder etwas mehr beanspruchen würde. Der Chef bestand dieses Mal auf einer Präparation des Kopfes. Danach musste er nur noch aufräumen, die Reste fortbringen. Das Übrige würden die Sauen erledigen. Nichts würde weiter übrigbleiben. In Szeged musste er nur das Päckchen weitergeben. Wichtig war nur, es so gut zu verpacken, dass das Salz nicht herausrieseln und auch kein Gestank entstehen konnte. Er wusste nicht genau, wohin es geschickt wurde. Aber er hatte mitbekommen, dass der Chef nach seinen Jagdreisen immer wieder kistenweise Trophäen aus Afrika geliefert bekam. Die waren es gewöhnt, Ungewöhnliches zu präparieren. Dieses Päckchen sollte auch dahin geschickt werden.
Die Staubpiste, über die er fuhr, war breit, aber die Begrenzung jetzt im Dunkeln schwer vom Übergang zu den Feldern rechts und links zu unterscheiden. Die Unterscheidung fiel ihm umso schwerer, je müder er wurde. Jetzt wurde es ein wenig hügeliger und auch kurviger. Die Bodenhaftung hatte auf dem Split des Belages stärker nachgelassen. Der Belag der Staubstraße war grober geworden. Er war jetzt gefordert. Ab und zu trieb der Wagen in den Kurven sehr weit auf die andere Seite. Er brauchte jetzt unbedingt eine kurze Pause und fuhr in einen Feldweg. Er stellte sich hinter den Wagen und pinkelte. Auf der langen Strecke hatte er genügend Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Noch vor einem Jahr war er die ewig weite Strecke nach Oral alle 14 Tage mit Doreen und der einen oder anderen ihrer Freundinnen gefahren. In Oral waren sie bei einem Arzt gewesen, dann war es wieder zurück gegangen. Weiß der Geier, warum sie nicht geflogen waren. Angeblich hatten sie Flugangst. Eines Tages war mit den Fahrten Schluss gewesen. Doreen hatte er nie wieder gesehen. Das war sehr schade, denn sie hatte einen herrlichen Körper. Auf diesen Fahrten hatte sie ihm ab und zu Gelegenheit zu diesen kleinen Freuden gegeben. Er hatte nichts dagegen gehabt, dass sie dann nur den Analverkehr mit ihm zuließ. Kurz vor der Ankunft in Oral und dann wieder in Szeged war sie großzügig gewesen und hatte ihm dann auch mit dem Mund seine Wünsche erfüllt. Diese Fahrten nach Oral machten jetzt andere mit anderen Frauen. Anschließend wurde er dann auf der Strecke von Szeged zur Ostsee eingesetzt. Da transportierten sie dann die Mädchen. Die letzten Wochen waren nicht übertrieben anstrengend gewesen. Er musste nur Frauen, die aus der Ukraine nach Ungarn kamen, in den Fässern über die Grenze an die Ostsee, in dieses einsame Gehöft direkt am Steilufer, schleusen und sie dort einreiten. Das war eine Arbeit, die er gerne machte. Nicht immer war es nötig, dabei Gewalt anzuwenden. Hin und wieder halfen auch die Hunde, die der Chef speziell dafür trainiert hatte. Die meisten Frauen gingen danach ganz freiwillig auf die Knie, wenn er den Gürtel öffnete. Nur wenige mussten sie zu dritt festhalten, bis sie verstanden hatten, was ihre zukünftige Aufgabe war. Wenn er sie erst einmal nach einem Fluchtversuch ausgepeitscht oder die Hunde auf sie freigelassen hatte, waren sie ganz zahm und machten alles freiwillig mit. Bei der letzten Fracht war eine dabei gewesen, in die er sich fast verliebt hatte. Leider war sie sehr schnell weiterverkauft worden, nachdem er sie sich vertraut gemacht hatte.
Danach hatte es Arbeit in diesem Kloster gegeben. Die Arbeit dort hatte ihm viel Spaß gemacht, aber nach diesem Zwischenfall hatten sie ihn jetzt wieder auf die Straße geschickt. Man hatte ihm noch einen Metallkoffer mitgegeben, den er in der Fabrik abgeben sollte. Ihre beiden Koffer waren auch dabei. Er hatte das alles zusammen hinten im Wagen gelagert. Man hatte ihm noch gesagt, wo in diesem Wagen, den er bisher nicht kannte, die Papiere seien, für den Fall einer Kontrolle. Der Beifahrersitz blieb leer. Da lagen seine Jacke und die vollgekotzte Tüte, die er jetzt wegwarf. Als er hinten um den Wagen herumging, tropfte eine schwärzliche Flüssigkeit unter der Hecktür des Geländewagens heraus. Er wusste, wie sie roch. Scheiße, das kam durch die Erschütterungen auf der Piste. Es wurde Zeit anzukommen. Er trank noch aus der Wasserflasche und stieg wieder ein, fuhr auf die Piste zurück und gab Gas. Er fuhr jetzt mit hoher Geschwindigkeit, er wollte es hinter sich bringen. Er fuhr voll aufgeblendet, um alles zu sehen und nicht einzuschlafen. Hinter ihm entwickelte sich eine gewaltige Staubfahne. Das Nachtprogramm machte nicht wirklich wach. Er wurde wieder müde und schaute erneut nach einem Feldweg zum Einbiegen. Er stellte die Musik des Nachtprogrammes ab und ließ die lange Version von In-A-Gadda-Da-Vida der Iron Butterfly, die er im Handschuhfach fand, voll aufgedreht laufen. Das machte ihn wach, baute ihn auf. Er liebte dieses Hämmern der Trommeln. Er kurbelte das Fenster herunter, um Luft zu bekommen. Der Geruch wurde zunehmend unangenehmer. Eine leichte Steigung und eine Rechtskurve. Der Wagen trieb nach links außen in der Kurve. Das grelle Licht aus diesen verdammten vier Scheinwerfern eines Überlandtrucks kam ihm entgegen. Er fluchte über diese Langholzer, die auch nachts noch Bäume transportierten. Er kurbelte nach rechts und versuchte, das Abdriften zu unterbrechen. Er trieb dennoch weiter nach links, das Licht verschwand vor seinen Augen und in seinem Kopf wurde es erst ganz hell und dann ganz dunkel und dann still. Das Bersten der Metallstreben des Geländewagens vernahm er nicht mehr. Er hatte darauf verzichtet, sich wieder anzuschnallen, als er beim Pinkeln gewesen war.
Das Glück des Weibes heißt:
Er will.
F.W. Nietzsche
…und vergiss die Peitsche nicht.
Zum Wollen muss das Können kommen.
Dr. Helen Blankenburg
Der neue Fall
Montag, 23. Mai 2011
Das angekündigte Hoch mit Temperaturen über 30 Grad war seit fünf Tagen angekommen. Zuerst war noch rötlicher Saharastaub dabei gewesen und morgens war es noch relativ frisch. Ganz früh am Morgen war durchaus noch etwas Wärmendes angesagt. Ein Pullover zum Beispiel. Gegen elf Uhr wurde es dann aber schon fast unerträglich heiß, zumal noch eine hohe Luftfeuchtigkeit die Hitze begleitete. Es wurde schon vorausgesagt, dass dieses stabile Hochdruckgebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit noch bis Ende Juli bleiben sollte. Man sprach von einem kommenden Jahrhundertsommer wie 2003. Helen hatte sich schon auf dieses Wetter freudig eingerichtet und trug seit Mitte der vergangenen Woche nur noch leichte Fähnchen. Sehr zur Freude der Fortbildungsteilnehmer, die sie im Wechsel oder auch gemeinsam mit BH, ihrem Chef, unterrichtete. Alleine leitete sie die Fortbildung Psychologie. Mit ihren leichten Sommerfähnchen und den farblich abgestimmten High-Heels gab sie den jungen Kollegen eine ziemlich gute Idee ihrer beeindruckenden und dabei sehr sportlichen Figur. Ihre Vorlesungen waren immer sehr gut besucht, da sich keiner ihren witzigen und auch körperbetonten Auftritt entgehen lassen wollte. Sie war der Favorit unter den Lehrern, und schnell hatten die neuen Teilnehmer der Fortbildung ihren schon seit einiger Zeit kursierenden Spitznamen „Schneewittchen“ übernommen. Wie er entstanden war, wusste niemand genau, aber er passte zu ihrer sehr weißen, makellosen Haut und ihren dichten, schwarzen Haaren und dunkelblauen Augen. Der etwas sehr frivole Zusatz wurde hinter vorgehaltener Hand weitergegeben und betraf ihre Figur, die Unruhe
stiftete und für eine heimliche, aber große Anhängerschaft sorgte, welche von ihrer
erotischen Ausstrahlung kräftig genährt wurde. Sie war es gewöhnt, dass man ihr auf die Bluse starrte und gelegentlich hinter ihr her pfiff. Sie war es auch gewöhnt, gelegentlich unanständige Angebote zu bekommen. Einer ihrer Vorgesetzten bei der Ausbildung hatte sie tatsächlich gefragt, ob sie nicht lieber ihr Geld schneller und reichlicher in einem anderen Job verdienen wolle, als hier bei der Polizei zu malochen. Sie habe doch genau die Maße, die dafür geeignet wären. Ihr Körper sei doch ihr Kapital und die wahre Goldgrube habe sie in ihrer Hose, sozusagen zwischen den Beinen. Er hatte dabei andeutende Handbewegungen gemacht. Das war noch bei der Reiterstaffel gewesen, bevor BH sie abgeworben hatte. In ihrer Personalakte stand dann auch, dass sie die Abteilung wegen sexueller Belästigung gewechselt hatte. Später traute sich das keiner mehr, obwohl man sie nur allzu gerne rumgekriegt hätte. Seit dieser Zeit führte sie auch ein elektronisches Tagebuch, in das sie alles akribisch eintrug. Das machte sie mit der gleichen Konsequenz, mit der sie auch ihr Kraft- und Fitnesstraining täglich durchführte.
Nur ungern hatte sie sich heute, an ihrem freien Tag, trotz der Hitze in ihre Reitkluft gequält. Sie hatte sich diesen Tag für einen längeren Ausritt auf ihrem Hannoveraner Hengst reserviert. Im Anschluss an den Ausritt war noch, als einzige Dienstveranstaltung dieses Tages, das obligatorische Schießtraining vorgesehen.
Auf dem Weg zu den Stallungen des Reit - und Fahrvereins war sie noch kurz in ihr Büro gegangen, um etwas Eiliges an ihrem Schreibtisch zu erledigen. Hierzu brauchte sie ihren privaten Rechner, den sie mit sich führte. Sie war früh dran, und es bestand die berechtigte Aussicht, niemanden zu treffen. Zu der unter Verschluss gehaltenen Dokumentation hatte sie noch Anfügungen zu machen, bevor sie in Vergessenheit gerieten. Eine Arbeit, die sie auch Moneypenny nicht überlassen durfte. Aktuell wurde diese Arbeit durch den Nato-Angriff auf Libyen, weil sie eine Sammlung von Informationen enthielt, die den Weg des Frauenhandels durch das Gaddafi-Land beschrieb. Die Verwicklung der Wüstenstämme in den Handel mit minderjährigen schwarzen Mädchen wurde im Rahmen der Aufstände gegen Gaddafi größer. Dieser Handel mit den Mädchen wurde zu einem wachsenden Wirtschaftsfaktor, zumal der Bedarf wuchs und der Nachschub aus der Produktion des Südens vorhanden war. Durch die erfolgreichen Angriffe der Nato auf Gaddafis Regime war der Weg für die Schleuser aus der Gaddafi-Opposition über das Mittelmeer plötzlich freier.
„Leck mich am Arsch, was soll der Scheiß, was soll dieser Aktenberg auf meinem Schreibtisch“, grummelte Helen vor sich hin, als sie an diesem frühen Montagmorgen die Tür zu ihrem Arbeitszimmer aufschloss und den überfüllten Schreibtisch sah. Natürlich war ihr klar, dass sich an ihrem freien Tag oder am Wochenende etwas getan hatte. Es war klar, dass das immer wieder vorkam. Aber heute musste es nun wirklich nicht sein. Sie kramte die Kisten kurz durch und ahnte, dass ihre Pläne für heute pulverisiert waren. Sie nahm den Hörer, rief Jakob Tischer, den Hausmeister, an und raunzte dem Pedell aufgebracht ins Telefon.
„Kobes, was soll der ganze Mist?“
„Frau Doktor, ganz ruhig, das kommt alles vom Chef. Ich hatte nur den Auftrag, alles hinzustellen. Er musste weg. Besprechung. Es ist alles an deinem Urlaubstag, am Freitag, frisch reingekommen, deshalb stehen die Akten seit heute früh auf deinem Tisch.“
„Von frisch kann keine Rede sein. Die Akten müffeln nach Schimmel. Aber das riechst du ja nicht als Kettenraucher.“
„Ehrlich, die stinken?“
„Alles stinkt, Kobes. Und mir stinkt‘s auch.“
„Also, Helen, mehr weiß ich dazu auch nicht. Alles Weitere wird dir Moneypenny erklären, die müsste ja bald kommen.“
„Na prima, das weiß ich selbst.“
Helen knallte den Hörer auf den Kontakt und schaute missmutig auf die grauen Plastikkisten mit den Akten. Das passte ihr heute Morgen überhaupt nicht ins Konzept. Sie hatte sich diesen Tag freigehalten. Und er war komplett verplant mit privaten Terminen, dem Reiten und den turnusmäßigen Schießübungen. Außerdem wollte sie sich noch einen Ventilator und ein paar leichte Sachen kaufen, die dem Dresscode des Hauses entsprachen, aber leicht genug waren, um die Arbeit bei der zu erwartenden Hitze erträglich zu gestalten. Aus diesem Grunde war sie schon vor dem normalen Dienstbeginn und total unüblich im Reitdress erschienen. Etwas, das sie im Allgemeinen möglichst zu vermeiden suchte. Wäre ich bloß weg geblieben, dachte sie. Aber sie hatte ja in der laufenden Dokumentation noch etwas zu erledigen. Sie war sozusagen direkt in die Falle gelaufen.
Sie baute ihren Laptop auf, öffnete das Programm auf ihrem Rechner und übertrug die bewussten Dateien auf ihren Dienstrechner. Sie hörte die Geräusche des beginnenden Arbeitstages. Der Chef war es jedenfalls nicht. Sein Auftritt machte sich anders bemerkbar. Außerdem war er ja außer Haus.
Borhagens Sekretärin, Gerda Schlosser oder „ Miss Moneypenny“, wie sie von Helen und manchen anderen genannt wurde, war gerade gekommen. Das war nicht zu überhören. Ihre Zimmer lagen nebeneinander und hatten eine Verbindungstür. Als Helen das Sekretariat betrat, war Moneypenny gerade dabei, ihre Sommerjacke auf den Bügel in ihrem Schrank zu hängen.
Sie hörte Helen eintreten. Helen war ja auch laut genug mit ihren Stiefeln, und sie ahnte wohl schon, was kommen würde. Sie kam Helens Wutausbruch zuvor und erklärte, noch mit ihrer Jacke beschäftigt, halb im Schrank und über die Schulter in Richtung Helen schauend, was sich am vergangenen Freitag, Helens Urlaubstag, abgespielt hatte.
„Hallo Helen“, sagte sie, „der Chef hat einen Auftrag bekommen, einen alten Fall, der durch neue Erkenntnisse ganz aktuell, na ja, jetzt relativ aktuell geworden ist. Eingeschlossen war brisantes Filmmaterial. Borhagen hat das meiste schon gesichtet, am Wochenende. Er musste heute früh zu einer Sitzung bei der Staatsanwaltschaft und kommt gegen elf Uhr wieder ins Büro. Es kann sich auch verschieben. Du weißt ja, wie das so läuft.“
„Ja, ich weiß, gegen zwölf fangen die meisten an zu verhungern. Also muss vorher Schluss sein. Das heißt, ich kann voller Hoffnung sein, dass ich bis zwölf weiß, was anliegt. Es sei denn, sie gehen noch gemeinsam zum Italiener.“
„Der Chef weiß, dass du eigentlich auch heute noch frei hast, wegen des Schießtrainings und so weiter. Er sagte, falls wir dich sehen, sollen wir dich bitten, gleich an die Arbeit zu gehen. Bis er zurück ist, sollst du dir einen Überblick verschaffen. Er hat gesagt, du sollst das Puzzle erst einmal sortieren, Fakten zuordnen, Zusammenhänge suchen. Es gibt da wohl langatmige Berichte, wie Borhagen sich ausdrückte, ziemlich viel Erotik und auch Pornographie“, sie drehte sich ganz um und lächelte süffisant, „aber diesbezüglich bist du ja hart im Nehmen. Gut siehst du aus, in dieser Kluft, total sexy. Hoffentlich sehen dich jetzt nur wenige, sonst gibt es richtige Unruhe.“
Helen lächelte süffisant zurück.
„Ja, man muss ja was tun, die Konkurrenz schläft schließlich nicht. Aber wer kann, der kann. Ich weiß, ich bin in meinem Fachgebiet eben Spitze.“
„Na ja, wenn dich Deo in dieser Aufmachung sehen würde, würde er wohl noch schärfere Phantasien entwickeln.“
„Bitte, die Chance wird ihm heute geboten. Aber ganz so einfach lasse ich mich dann auch nicht über den Tisch legen.“
„Wie lange ist das her mit deinem Freund, Helen?“
„Lassen wir das, Moneypenny. Ich komme inzwischen gut ohne einen „steady friend“ aus.“
„Also, Borhagen sagte, das ist ein alter Fall mit neuen Vorzeichen. Wir haben den Fall bekommen, weil du schon im Rahmen der Nachfolge SOKO von „Weißes Fleisch“ erfolgreich mitgemacht hast und Erfahrungen in dieser Frage gesammelt hast. Man hat sich an dich erinnert, dass du Frauenhändler aufgedeckt hast.“
„Was soll ich jetzt mit dieser Information?“
„Du kannst dir was drauf einbilden.“
„Pfeifendeckel. Momentan ist es schlecht für mich.“
„Egal, Helen. Jetzt weißt du auch schon, dass das Thema eine gewisse Brisanz hat. Von der Staatsanwaltschaft Hannover, die wohl die deutsche Federführung in diesem internationalen Fall hat, kam das Material zusammen mit dem Auftrag, der schon mit dem Chef am Freitag abgesprochen wurde.“
„Da kam dieser verschimmelte Schrott von Akten aber sehr flott.“
Moneypenny ließ sich nicht erschüttern.
„Da du am Freitag einen Urlaubstag hattest, hat es dir der Chef ohne Vorankündigung heute früh auf den Tisch stellen lassen. Kein weiterer Mitarbeiter soll zunächst davon Kenntnis nehmen. Frag mich bitte nicht, warum. BH hat schon sein ganzes Wochenende zum Sondieren der Akten genutzt. Er hatte Zeit. Seine Frau war bei ihren Enkelkindern. Seit einiger Zeit auffallend oft.“
„Wie soll ich das deuten?“
„Es scheint erheblich zu kriseln“, flüsterte Moneypenny vertraulich. „Er fragte schon am Freitag mehrfach, wann du wieder im Hause bist.“
„Aha“
„Ja, aha. Er scheint dich schnell zu vermissen. Soviel dazu. Einiges aus den gesichteten Akten will er dir nachher noch besonders erklären. Er denkt, dass man eine Sonderkommission bilden muss. Du sollst dann die Koordination übernehmen. Er hat gesagt, du würdest das schon verstehen.“
„Mag sein“, knurrte Helen. „Was ich nicht verstehe, ist, wie ich das alles vor meinem Urlaub in drei Wochen hinkriegen soll. Immerhin bin ich dann vier Wochen weg.“
„Wenn ich es recht verstanden habe, eilt es auch wieder nicht so sehr, dass du hier im Büro übernachten müsstest. Die Opfer sind schon eine Weile tot.“
„Also, Moneypenny, da bin ich doch schlagartig total beruhigt. Das einzig Schöne daran ist, dass ich Deo für heute absagen muss. Oder kannst du das für mich tun?“
„Aber gerne doch. Ich höre schon förmlich die Enttäuschung deines Möchtegern-Liebhabers. Da wird er seine Hoffnung aufs Fummeln an dir etwas verschieben müssen.“
„Nicht verschieben, endlich aufgeben! Danke Moneypenny.“
„Andererseits, Helen, man sagt er sei ziemlich potent.“
„So, sagt man das, Moneypenny.“ Helen hatte wenig Lust auf eine weitere Beschäftigung mit Deos Potenz. Ihr ging dazu einiges durch den Kopf.
Mit dem neuen Fall konnte sie alle Pläne für heute absagen und musste irgendwann mit dem Schießwart einen neuen Termin vereinbaren. Obwohl, wenn sie ganz ehrlich war, so unrecht war es ihr nicht, den Termin zu verschieben. Sie war heute ohnehin nicht in der besten Stimmung, um die permanente Anmache abzubügeln. Der Typ war absolut scharf auf sie und hatte das immer wieder beim Training auf drastische Weise gezeigt. Helen fand ihn umgekehrt jedoch spektakulär abtörnend. Er war größer als der Durchschnitt, angeblich mit dem jährlichen, goldenen Sportabzeichen dekoriert. Er betonte das immer wieder und verstand diese sportliche Fähigkeit überdeutlich auf andere Aktivitäten zu lenken. Helen wollte sich seinen diesbezüglichen Hüftschwung nicht weiter vorstellen. Dabei war er mehr als nur etwas übergewichtig, mit beginnendem Haarverlust, was nicht zu seiner erhofften Attraktivität beitrug. Jedenfalls nicht bei Helen. Dann war er noch übertrieben sorgfältig uniformiert. Seine Uniform war immer frisch gebügelt und die Hemden so gestärkt, dass man sie wahrscheinlich hinstellen konnte, ohne dass sie zusammenfielen. Völlig overdressed. Seine kleine, etwas pummelige Frau, die schon mal bei Familienveranstaltungen zu sehen war, arbeitete in einer Drogeriekette und versorgte ihn mit Düften, Cremes und Rasierwasser. Gelegentlich verteilte er auch Proben an seine Kollegen, was ihm den Spitznamen „Deo“ eingebracht hatte. Zudem war er ein unerträglicher Aufschneider. Ständig betonte er, dass er ein leidenschaftlicher Jäger sei. Da es zum eigenen Revier nicht reichte, erteilte er den Mitgliedern der Jägervereine Schießunterricht, die sich dafür mit Jagdeinladungen revanchierten. Er versäumte es nicht, immer wieder von seinen Erfolgen bei jagdlichen Schießmeisterschaften und von glamourösen Jagdeinladungen zu reden. Er war sehr von sich eingenommen und hielt sich für unwiderstehlich. Beim Schießtraining suchte er den Körperkontakt. Er fand immer einen Grund, Helens Haltung zu verbessern, indem er ihre Schultern drehte und das Kippen der Hüfte beim beidhändigen Feuern manuell korrigierte. Keiner aus der Gruppe wurde so häufig korrigiert wie Helen. Die anderen beobachteten das und grinsten regelmäßig verwundert über Deos unverdrossene Anmache. Als er das mitbekam, gab er Helen immer Termine am Ende des Trainings. Beim Einzeltraining mit ihrer Dienstwaffe und auch mit der MP musste sie dann wieder sehen, wie sie sich ihn vom Leibe halten konnte. Wenn er hinter ihr stand und ihre Arme zum Zielen stabilisierte, drückte er sich unverfroren gegen sie, um ihr zu zeigen, was er noch weiter von ihr wollte. Sie ignorierte diese plumpen Vorstöße. Abwehrversuche wären in diesem Fall schon zu viel der Ehre gewesen. Sie hatte das Gefühl, dass er bei jedem Training mit ihr zunehmend an Distanz verlor. Dauernd hatte er auch neue Zoten parat. Er fand immer eine Gelegenheit, seine Sprüche loszuwerden. Anschließend wollte er Helen, ungeachtet ihrer ständigen Ablehnungen, immer noch auf ein Bier einladen, was Helen jedoch regelmäßig erfolgreich abbiegen konnte.
Jetzt standen da für sie zwei der alten, hässlichen, aber stabilen und stapelbaren Kisten bereit, die verwendet wurden, wenn die Aktenlage zu mächtig wurde. Die Post hatte die gleichen grauen Kisten. Oben auf jeder Box lag die Inhaltsliste. Sie stellte die Boxen auf den Boden, setzte sich an ihren Schreibtisch und ließ ihren Ärger über die unerwartete Aktenfülle erstmal abklingen. Sie schaute auf ihr persönliches Arrangement von kleinen Erinnerungen an außerordentlich nette Erlebnisse. Da war eine Eintrittskarte der Tate Gallery neben einer des Grünen Gewölbes in Dresden. Oder eine Karte für eine Kahnfahrt im Spreewald neben einer Konzertkarte der Wagner-Festspiele in Bayreuth und einer Eintrittskarte für das Museu de l`Erotica, Barcelona. Sie ärgerte sich immer ein wenig, wenn sie diese Karte sah, weil sie die Eintrittskarte für das Museum of Sex in New York versehentlich weggeworfen hatte. Links an der Wand hing ein Bild eines modernen Künstlers, das sie eben in diesem Museumsshop in New York gekauft hatte. Alle Kollegen, die ab und zu in ihr Zimmer kamen, wollten wissen, was dort dargestellt sei. Da half nur der Hinweis, dass abstrakte Malerei sich einem selbst erschließen müsse. Miss Moneypenny, die gerne auf Vernissagen ging und einen Freund hatte, der in Leipzig eine Galerie für zeitgenössische Malerei und Skulpturen unterhielt, meinte, eine erotische Szene zu erkennen. Sie wollte unbedingt den Namen des Künstlers erfahren. Helen musste sie enttäuschen. Ihr habe das Bild einfach nur gefallen, sagte sie. Das war ihre Standardversion. Sie selber wusste allerdings genau, was dargestellt war. Spannend war, alle rätseln zu lassen. Daneben hingen im Rahmen unter Glas diverse Fotos ihrer Reiterreisen nach Frankreich und Spanien. Auf dem Fenstersims hatte sie ihre besondere Uhr platziert. Ein schweres, silbernes Gestell englischer Herkunft, Art déco, mit kugelförmigem Perpendikel in der Mitte, das aus einem von vorn nach hinten geschlitzten Bogen heraus unter dem relativ kleinen, runden Zifferblatt zum Betrachter hin pendelte, was ungewöhnlich war. Insgesamt sah das Gestell wie der Abdruck der Innenkonturen weiblicher Oberschenkel aus, des Thigh Gap, durch dessen Schlitz das Pendel unablässig seine Bahn zog. Das Zifferblatt fand seinen Platz just an der Stelle, wo sich die beiden Lippen dieses bogenförmigen Schlitzes trafen. Die Uhr zog viel Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich. Auch hierüber wurde viel gerätselt. Moneypenny hatte sofort erkannt was sie da sah: „Das Pendel schwingt direkt aus dem Schlitz zwischen ihren Schenkeln. Die Uhr sitzt auf der Perle“. Was gab es da noch weiter zu interpretieren?
Auf der rechten Seite der hellgrauen Schreibtischplatte war der Platz für ihren privaten Laptop, mit dem sie für Recherchen ins Internet ging, die nicht unbedingt über den Dienstrechner nachvollzogen werden sollten. Da waren auch alle Recherchen gespeichert, die sie zu diversen Fällen privat unternahm, wenn sie der Meinung war, einiges vorläufig besser für sich zu behalten. Auch die jüngsten Dokumentationen hatten hier ihren Platz. Auch ihre Korrespondenz mit Raul lief über diesen Laptop. Raul hatte ihr ein Sicherheitssystem installiert, das es anderen unmöglich machte, über das WIFI-System des Institutes in ihren Rechner einzudringen.
Dieser Rechner, den sie immer mit sich führte und abends immer mit nach Hause nahm, stand jetzt schon aufgeklappt auf ihrem Schreibtisch.
Helen saß auf ihrem Schreibtischstuhl mit den gepolsterten Armlehnen und dem vollständig flach gepolsterten Sitz. Der Sitz war extrabreit, ein originales, antikes Bauhausmodell, das sie anlässlich der Leipziger Buchmesse bei einem Trödler in Dessau gefunden hatte. Sie hatte vergessen, wer der Erfinder war. Es war ihr privater Stuhl. Sie war der Meinung, dass bei dieser intensiven Tätigkeit einiges Persönliches das Recht hatte, in ihrer Umgebung zu sein. Dafür hatte sie, außer den Bildern der Reiturlaube, keine weitere private Bildergalerie. Es gab auch keinen Grund, etwas aufzustellen. Ihre einzige Verwandte, die noch lebte, ihre pflegebedürftige Tante, lag in einem Pflegeheim ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Die wenigen Bilder, die sie von ihr hatte, zeigten sie als Kleinkind auf dem Schoß ihres Großvaters und in jungen Jahren mit Hund. Das war nicht mehr passend. Die Tante wurde mehrfach pro Woche von ihr besucht. Auch das war im Prinzip unnötig, da sie sich nie daran erinnern konnte und immer nur sagte, dass sie, Helen, ja schon ewig nicht mehr da gewesen sei, und ob sie nicht bald studieren wolle. Aber, wie es eben war, im Lager des Pflegeheimes stand auch die Seemannskiste ihres Urgroßvaters, der als Kapitän eines Kanonenbootes der Deutschen Kaiserlichen Marine in Lüderitz und Swakopmund stationiert gewesen war und auch in Tanga in Ostafrika gelegen hatte. Da, wo die Usambaraveilchen herkamen. Ihre Tante hatte die Kiste immer wie ein heiliges Andenken an ihren Großvater gehütet. Sie hatte die Kiste von ihrer Mutter übernommen. Helen wusste davon, hatte aber nie Zeit gefunden, nach dem Schatz in dieser Vergangenheit zu suchen. Ihre Tante hatte sie nie dazu aktiviert. Sie hatte Helen immer nur am langen Zügel geführt. Sie wusste, irgendwann würde sich Helen auch dieser Vergangenheit nähern. Sie hatte immer gesagt, dass ihr Urgroßvater ein häufiger Gast der Woermanns gewesen sei. Er sei in Süd-West- und Deutsch-Ostafrika viel auf der Jagd gewesen. Er habe mit bekannten Großwildjägern zusammen gejagt, zum Beispiel mit Selous. Sie müsste sich mal darum kümmern.
Helen schlug die Beine übereinander und schickte Raul eine E-Mail. Sie wollte wissen, ob er ansprechbar war, und mit ihm ein Date vereinbaren, falls Tussi nicht da war. Tussi war häufig auf Messen, und dann hatte Raul sturmfreie Bude. Sie brauchte jetzt wenigstens die Aussicht auf etwas körperliches Vergnügen. Sie nahm sich die Kisten samt Listen und Inhalt zur üblichen Prüfung auf Vollständigkeit vor. Ihr wurde langsam warm in ihrem Reitdress. Am liebsten hätte sie sich die hohen Reitstiefel ausgezogen, aber das hätte nicht besonders gut ausgesehen. Außerdem hätte sie dann strumpfsockig rumlaufen müssen. Also, das ging gar nicht. Wenn schon Dress, dann auch richtig.
Raul antwortete: „Ich habe Zeit, kommst du gleich, du hast doch heute frei?“
Das war für Helen dann doch etwas zu flott. Sie hatte jetzt keine Zeit und mailte zurück, dass sie jetzt eben mit einem neuen Thema überrannt worden sei, aber noch heute auf ihn zukommen werde. Helen konnte jederzeit auf Rauls IT-Kenntnisse zurückgreifen. Sie kannten sich seit dem Studium. Auch Raul hatte mit Psychologie begonnen. Jetzt war er zum Chefredakteur einer renommierten Computerzeitschrift avanciert. Es gab kaum ein Thema, für das er keine Lösung parat hatte oder sie nach einiger Recherche fand. Da Helen immer mit neuen Fragestellungen auf ihn zukam, gab es auch für ihn interessante Impulse. Er machte die Arbeit für Helen gern. Gemeinsame erotische Abenteuer waren für ihn mehr als nur eine gewisse Motivation. Für Zeit mit Helen war er immer bereit.
Helen verschaffte sich einen Überblick. Eine Kiste war randvoll mit Akten, die zweite war quasi leer. Helen dachte: Mit einer leeren Kiste die Arbeit zu beginnen, hat doch was. Sie wurde neugierig.
In dieser zweiten, ebenso großen, jedoch leeren grauen Plastikkiste lag in einer Plastikhülle ein Zettel: „20.05.11, Video-Material, entnommen durch Borhagen.“ Eine exakte Beschreibung des entnommenen Inhaltes hatte Borhagen auf die Rückseite geschrieben. Es waren:
13 Videokassetten, 21 CD-ROM und ein USB-Stick 2.0. Die Titel der Videokassetten waren angegeben, Pornos mit professionell klingenden, deutschen Titeln: „Einreiten der Jungfrauen“, „Tittenfest“, „Der Pfahl des Meisters“, „Gepfählt“, „Anale Pfählung der Jungfrauen“, „Jungfrauen im Folterkeller der Mönche“, „Tittenbondage“, „Auf der Streckbank des Kerkermeisters“, „Gangbang im Bondageclub“, und so weiter. Ein einziger Titel überraschte sie: „Die Häutung“, mit dem handschriftlichen Untertitel von Borhagen, „wohl Originalaufnahmen, wohl authentisch.“ Dahinter hatte er ein Ausrufezeichen gesetzt. Die diversen CD-ROMs waren nicht weiter beschrieben, es waren nur 21 Nummern angegeben. Der USB-Stick von der Firma Alfabeta hatte 16 GB Speicherplatz. Das war eine Unmenge von Bildmaterial, das zu sichten war.
Borhagen
Sie holte erst einmal Luft. Das versprach ja, ziemlich kurzweilig zu werden. Pornografie als Dienstaufgabe. Die Akten waren dann der Schlüssel für die Pornos, die sich Borhagen am Sonntag reingezogen hatte. Da bin ich jetzt mal richtig gespannt, dachte sie.
Borhagen, Kriminalhauptkommissar, war Chef der Abteilung für Spezialaufgaben und zuständig für medizinische, psychologische und forensische Fragen am kriminologischen Forschungsinstitut (MPKF) der Universität Jena, Unterstelle Meiningen. Diese Abteilung arbeitete unabhängig und sowohl regional als auch länderübergreifend. Borhagen hatte mit Helen schon manche wissenschaftliche Arbeit zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Borhagen organisierte den Fortbildungsunterricht an der Polizeischule, und Helen übernahm in seinem Auftrag die begleitenden Vorlesungen zum Thema Psychologie. Einige Kurse gestalteten sie gemeinsam, Helen als seine Assistentin. Auf Grund ihres spannenden und kurzweiligen Unterrichtsstiles und ihrer körperlichen Attraktivität waren ihre Unterrichtsstunden immer sehr gut besucht. Das galt auch für die gemeinsamen Auftritte mit Borhagen. Da sie in der Polizeischule häufig gemeinsam auftraten, wurde hartnäckig kolportiert, dass sie ein Verhältnis miteinander hätten. Borhagen kannte Helen seit Beginn ihrer Ausbildung. Er hatte sie bei einer Fortbildungsveranstaltung kennengelernt und sie sofort in seine Abteilung abgeworben. Mit Anfang Zwanzig, gleich nach drei Jahren ihrer Ausbildung, war sie Beamtin geworden. Dann hatte er sie motiviert, das Angebot zu nutzen, neben dem Polizeidienst ein Studium der Psychologie an der Uni Erfurt zu beginnen. Nebenbei hatte sie sich im Rahmen einer SOKO Meriten im erfolgreichen Kampf gegen den Frauenhandel erworben. Das Psychologiestudium hatte sie vor vier Monaten mit einer erfolgreichen Promotion zum Dr. rer. soc. abgeschlossen. Borhagen hatte dazu ein kleines Fest mit einigen Kollegen in seinem Dienstzimmer organisiert und sie bei dieser Gelegenheit coram publico „verpflichtet“, weiter Vorlesungen an der Polizeischule zu halten. Daneben arbeitete sie jetzt mit Borhagen an einer Dokumentation über die Wege des Frauenhandels aus Schwarzafrika nach Europa und die Bedeutung des muslimischen Nordens von Afrika für diese Handelsroute. Unter dem Arbeitstitel „Schwarzes Fleisch“ hatte sie schon Hinweise gefunden, dass korrupte Polizeistrukturen existierten, die den Handel mit überwiegend minderjährigen, schwarzen Mädchen in Deutschland und den östlichen Anrainerstaaten ermöglichten oder wenigstens nicht unterbanden. Das Thema war so brisant geworden, dass Borhagen beschlossen hatte, es strikt geheim zu halten. Nur er und Helen waren involviert.
Artur Borhagen, Ritter von Chremski, Jahrgang 1950, war nur wenige Jahre von dem Beginn seiner Pensionierung entfernt. Er war verheiratet, hatte keine eigenen Kinder, aber einen Garten. Die Enkelkinder stammten von den Kindern aus der ersten Ehe seiner Frau. Er galt als erfolgreicher Charmeur, aber niemand wusste so recht, worauf sich dieser Ruf gründete. Der einzige Fingerzeig war Helen, seine Entdeckung und seine Assistentin. Er pflegte jedoch, einer alten Regel gehorchend, nicht im eigenen Revier zu wildern. Helen fand in Borhagen einen Mentor und aktiven Verfechter für die Chancengleichheit der Frau im Polizeibetrieb. Borhagen war der Ansicht, dass Intelligenz auf beide Geschlechter gleichmäßig verteilt war. „Sonst wäre die Menschheit schon längst ausgestorben“, so seine Meinung, auch wenn er eingrenzte, dass die fantastische Reproduktionsmaschine Frau eben sehr breit ihren Beitrag abliefere, wie man noch heute bei vielen Ethnien sehen könne. Er war der Ansicht, dass man die differenzierte Denkweise der Frauen besser und sinnvoll nutzen sollte. Das hieß aber nicht, dass er nicht auch über Blondinen-Witze lächeln konnte.
Borhagen, von Mitarbeitern gerne auch kurz „BH“ genannt, allenthalben mit leichtem Lächeln oder Grinsen bei der ihm bekannten Abkürzung seines Namens, hatte das Bildmaterial an sich genommen. Damit hatte er sich für das Strohwitwer-Wochenende durchaus etwas Entspannung gegönnt, dachte Helen mit schiefem Grinsen beim Gedanken an die Titel der Videos und die neuen Informationen von Moneypenny, dass seine Ehe kriseln sollte. Er würde, falls er tatsächlich das ganze Material sichten wollte, am Montag nicht nur mit eckigen Augen erscheinen. Weiteres wollte sie sich nicht genauer ausmalen. Sie kannte ihren Chef ja aus vielen gemeinsamen SOKOs und Studien. Borhagen war ein pragmatischer, psychologisch geschulter, forensischer Kriminalist. Borhagen wollte als erster das Bildmaterial sichten, sich einen Eindruck verschaffen und vor allem vorbereitet sein. Sich einen gewissen Vorsprung zu schaffen, war eines seiner Arbeitsprinzipien. Das Material war also brisant und versprach, interessant zu werden, folgerte Helen.
Borhagen hatte dazu auf einem zweiten Briefbogen geschrieben, und Helen fragte sich, wieso er nicht das Intranet benutzt hatte. Soweit ihr bekannt war, hatte er von zu Hause aus auch Zugriff. Das hatte doch wieder besondere Gründe, mutmaßte sie.
„Hallo Helen, wir haben den Auftrag, diesen Mordfall von unserer, von deutscher Seite aus, zu betrachten und auch die mögliche Verwicklung eines gewissen Dr. Hagen von Eynim in diesen Fall zu prüfen.“
Aha, dachte sie, nix mit Spaß bei Pornos. Mord. Oder vielleicht doch. BH war schließlich kein Kind von Traurigkeit. Wer ist dieser Doktor? Sie war im Begriff, das Pferd von Hinten aufzuzäumen.
„Viele Fäden laufen hier und bei ihm zusammen. Um weiter zu kommen, müssen die Beziehungen der Einzelnen zueinander geklärt werden. Es sollen dabei, falls das erforderlich erscheint, Profile der Beteiligten erstellt werden. Entwerfen Sie bitte dazu auch ein Diagramm der Beziehungen aller Beteiligten zueinander und dann in Beziehung zu Dr. von Eynim. Wir sichten dann eventuell schon am Mittwochabend in einer „open end“ Besprechung das restliche Bildmaterial. Restlich deshalb, weil ich Ihnen vorab und alleine die Kassette mit dem Titel „Die Häutung“ vorführen und Ihre Meinung dazu hören möchte. Anschließend treffen wir uns am Donnerstag zur Analyse des gesamten Bildmaterials, wenn sich alles etwas gesetzt hat. Das heißt, jeder von uns wird eine schriftliche Stellungnahme abgeben, für die Akten. Es gibt eine weitere, kleine Arbeitsrunde am Freitag ebenfalls „open end“. Ich möchte dann eine Zielrichtung haben und Vorschläge für das weitere Procedere. Danach wird, so nehme ich an, alles wieder in einen normalen Rhythmus übergehen. Wie immer, machen Sie bitte auch dieses Mal eine Zusammenfassung der zu lesenden Stoffmenge mit wichtigen Zitaten, wenn Sie es für nötig halten. Ich habe schon vorgesichtet und Marker an Stellen gesetzt, die mir wichtig vorkamen. Sie sollten dennoch alles genau lesen. Aber noch etwas, Helen, Sie haben freie Hand, sich vertrauenswürdiger Hilfe zu bedienen. Das Weitere mündlich. Wir brauchen Hinweise auf unsere Zielpersonen im Internet, also auch eventuell bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken. Auch der Nachweis weiterer oder ähnlicher Snuff-Videos ist wichtig, denn von der Budapester Polizei habe ich soeben aktuelle Hinweise erhalten, dass weiteres Material im Internet kursiert. Hinweise auf einige weitere vermisste junge bzw. minderjährige Frauen aus der Porno-Szene bzw. Escort-Service-Szene in der Ukraine, Ungarn und Rumänien sowie über Frauenhandel, der teilweise aus der Ukraine und Rumänien über Ungarn und Polen nach Deutschland läuft. Daneben sind auch die Hinweise aus der „Schneiderei“ von Bedeutung.“
Jetzt musste sie einen Moment pausieren. Hatte sie richtig gelesen? Stand da wirklich „Snuff-Video“? Das wäre eine reine Sensation. Solche Videos hatten sich bisher immer als Fälschungen erwiesen. Allerding schien sich dies mit dem Aufkommen der islamistischen Terroristen geändert haben. Sie las weiter.
„Unsere erste Maßnahme zielt allerdings auf Dr. von Eynim. Ich weiß nicht, ob all die pornographischen Biographien und Briefe von Wichtigkeit sind, aber gelesen und referiert werden müssen sie wohl. Es könnte sein, dass dort Hinweise zu finden sind. Sie werden ja selber sehen. Fassen Sie also alles Wesentliche knapp zusammen, Zitate wenn nötig. Wichtig sind nur, glaube ich, die enthaltenen Hinweise auf Querverbindungen. Stellen Sie ein Diagramm auf. Achten Sie besonders auf die Analysen der DNA und der Fingerabdrücke. Ihre Aufgabe wird es auch sein, DNA-Spuren und Fingerabdrücke aller Personen zu sichern, mit denen Sie im Rahmen Ihrer Ermittlung Kontakt aufnehmen. Es wirkt alles sehr verwirrend. Ich denke, das kann ziemlich spannend werden, da noch einiges Material ohne Zuordnung im Archiv der Ungarn schlummert. Da könnten Überraschungen vorprogrammiert sein, wenn ich schon mal das Statement der Ungarn zu den bisherigen Analysen würdige.“
Da hätte er doch gleich sagen können, arbeiten Sie einfach alles auf und machen Sie eine Statistik von jeder nur möglichen Fragestellung. Helen war etwas angefressen. Nachdem sie das jetzt gelesen hatte, hatte der Fall auch genau den Titel, der sich durch das Video anbot: „SOKO Haut“. Was er ihr mündlich sagen wollte, ahnte sie schon. Sie würde freie Hand haben, Raul mit der Bitte um Hilfe bei fast unlösbaren Aufgaben zu beknien. Wahrscheinlich hatte er noch weitere Hintergrundinformationen, die er nicht über das Intranet zugänglich machen wollte.
Nach ihrer Kaffeerunde machte sich Helen jetzt mit ihrem Wasserkocher heißes Teewasser. Zum letzten Mal für ihren täglichen grünen Tee, der im Laufe des Tages kalt werden würde. Sie hatte schon länger beschlossen, diese Gewohnheit aufzugeben, nachdem sie gelesen hatte, dass ein Pilzbefall des so hoch gelobten grünen Tees nicht auszuschließen sei. Jedoch, wie es mit alten Gewohnheiten war, man trennte sich nur zögerlich.
Da sie jetzt schon wusste, dass sie einem Doktor von Eynim auf den Zahn zu fühlen hatte, ging sie mit einer gewissen Spannung an den eigentlichen Fall heran. Sie verteilte die Fülle der Aktenbündel mit den vielen Fotos und Dokumenten chronologisch und war total beeindruckt davon, dass Borhagen wohl schon alles durchgearbeitet hatte. Unendlich viele bunte Markierungsfähnchen schauten oben und seitlich aus den Akten. Sie fühlte sich fast schon unmoralisch von ihrem Chef unter Leistungsdruck gesetzt.
Die Aktenlage
Helen ging an die Arbeit. Borhagen hatte, wie er es immer tat, auch diverse
Post-it Zettel eingeklebt mit jeder Menge Randbemerkungen.
„Meine Fresse“, grummelte Helen. Borhagen hatte ja wirklich schon alles akribisch durchgesehen. Musste ja gedauert haben und nebenbei auch noch wirklich interessant gewesen sein, sonst hätte er es zum Vorchecken erst einmal weiter gegeben. Immerhin hatte er drei Tage zur Verfügung. Hatte sein „einsames“ Wochenende drangegeben, statt im Garten zu arbeiten.
Sie las alles beim Sortieren schon mal schnell quer. Einiges las sie genauer und das, was ihr nicht so wichtig erschien, sparte sie für später auf. Jedenfalls waren es zwei Aktenkomplexe. Einmal aus dem Jahr 2008. Dieser Fall war unabgeschlossen von den Ungarn ad acta gelegt worden. Durch den zweiten Komplex von 2010 war er wieder zum Leben erweckt worden.
Eine stabile Schnur hatte beide Aktenkomplexe auch sichtbar zusammengeführt. Der zweite Teil von 2010 war deutlich umfangreicher durch die Tagebücher einer Mandy und die Briefe einer Manuela. Diese wollte sie zum Schluss lesen. Die Hinweise, die ihr Chef mit seinen Zetteln gegeben hatte, erwiesen sich als sehr hilfreich. Borhagen hatte tatsächlich sehr genau gelesen. Falls er sich auch alles gemerkt haben sollte, konnte Helen mit großer Hilfe rechnen. Bei den eher privaten, pornographischen Berichten hatte er vor allem jeden auftauchenden Namen registriert und einer neuen Farbe zugeordnet. Das erleichterte Helen die Arbeit erheblich.
Die Akten von 2008 umfassten:
Polizeiakten Vesprem: 01.08.08:
Vorgang im Wald bei Vesprem - Fund zweier verstümmelter, teilweise verbrannter männlicher Leichen in einem ausgebrannten, russischen Jeep. Kopien der Fotos vom Tatort.
Mit diesem Bericht fing alles an. Daher nahm Helen ihn sich genau vor.
Es war ein dickes Bündel von Bildern und Kopien. Sie blätterte die Bilder durch, blieb an einigen Aufnahmen hängen, sah die teilweise verkohlten Leichen im Wagen, die teilweise aus der offenen Wagentür heraushingen. Unschöne Anblicke, die jedoch keinen Eindruck darüber vermittelten, was wirklich abgelaufen sein könnte. Diese männlichen Leichen waren ausgenommen, wie Schlachttiere geöffnet. Hatten zum Teil noch Jacken, Hosen und Stiefel an, das meiste aber fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Sie waren an den Füßen mit Drahtschlingen versehen. Aufnahmen von Gegenständen im Gras, alle nummeriert, Organteile, Haufen von Därmen auf dem Waldboden, ein Anblick, der Würgereiz bescherte, ein Silikon-Brustimplantat, Fleischerhaken, eine Metallstange mit Löchern und Kettenteilen. War wohl in Eile liegen geblieben, dachte Helen.
Großaufnahmen von schwarzem Blut im Gras. Großaufnahmen von weißlicher Flüssigkeit auf Gräsern.
„Was soll das? Sperma?“, fragte sich Helen. Und das Brustimplantat, da war auch noch eine Frau zerstückelt worden, und vermutlich nicht nur das.
Dann kam der Bericht eines Joggers. Der erste Zeuge. Das war wohl der Erste, der am Tatort gewesen war. Helen war gespannt auf die Aussage und las.
Zeugenaussage Jogger:
- zum Vorgang im Wald bei Vesprem vom - 01.08.08. Nochmalige Vernehmung am 02.08.08 -
Igor Pec berichtet:
Auf meinem üblichen morgendlichen Waldlauf, den ich immer variiere, am 03.07.2008, so gegen 5:30, nahm ich die Route durch ein ziemlich abgelegenes Waldstück. Da bemerkte ich in der Nähe einer Wegkreuzung im sumpfigen Wald von Tajvedelmi Körzet bei Szekesfehervar Brandgeruch wie von Reifen und Chemikalien. Ich stoppte und ging dem Rauchgeruch nach und kam rechts vom sandigen Weg auf eine Waldlichtung, auf die auch ein mit Gras zugewachsener Weg führte. Die frischen Reifenspuren im Gras erregten im Zusammenhang mit dem giftigen Brandgeruch meine besondere Aufmerksamkeit. Es gab noch weitere unterschiedlich breite, frische Reifenspuren im noch immer feuchten Boden. Da stand auf einer Waldwiese, in der Nähe eines Entwässerungskanales, ein intensiv riechendes, nicht mehr qualmendes, sonst jedoch fast völlig ausgebranntes Autowrack eines russischen Militärgeländewagens. Drin und halb heraushängend die teilweise verkohlten Leichen von zwei Männern in, soweit noch erkennbar, Jagdkleidern. Hosen nur an den Beinen. Der Brustkorb und der übrige Rumpf waren deformiert und aufgebrochen. Geruch und Anblick waren kaum zu ertragen. Ich musste mich spontan übergeben. Danach habe ich nicht weiter nachgesehen, ich war völlig verschreckt und bekam auch Angst. Vielleicht war noch jemand in der Nähe. Ich bin dann sofort weiter zu meinem Auto gelaufen, das weit weg stand. Dann habe ich die Polizei in Szekesfehervar verständigt. Beim Rumlaufen auf der Wiese bin ich in eine Blutlache getreten, was ich erst am Auto bemerkte. Ich habe die Schuhe mitgebracht. Vielleicht brauchen sie die Blutspuren.
Helen nickte und dachte, dass ihr dieses morgendliche Erlebnis auch nicht sonderlich gefallen hätte.
Bei der zweiten Vernehmung hatte nur geklärt werden sollen, ob der Jogger etwas angefasst oder mitgenommen hatte. Und man hatte eine Blutprobe von ihm haben wollen, was Igor P. erlaubt hatte.
Nein, er habe nur Schock und Angst empfunden und sich übergeben. Die Schuhe mit den Blutspuren habe er schon abgegeben. Er würde sie gerne wieder haben. Es seien teure Laufschuhe.
Helen las im Polizeiprotokoll weiter, was die kriminaltechnische Aufarbeitung ergeben hatte und welche Rückschlüsse gezogen worden waren:
Reifenspuren von insgesamt drei Fahrzeugen. Eine Spur gehörte zu dem verbrannten Kommandeurswagen. Zwei Fleischerhaken mit Blut. Die DANN-Analyse ergab das Blut einer Frau, identisch mit einem Teil der gefundenen Organteile und den Spuren an der Silikonprothese.
Ein 1,2 m langes Eisenrohr mit großen Löchern und einem großen Haken in der Mitte mit Spuren von der Rinde eines Baumes, den man später auch identifizieren konnte.
Unter diesem Baum eine weitere Blutlache der gleichen weiblichen DANN-Zugehörigkeit, Anteile von Fettgewebe, im Gras der Umgebung Spermaspuren der beiden verkohlten Männerleichen, Nachweis über die nachgewiesene DNA.
Weiter fand man im angrenzenden Gebüsch einen zerschnittenen String Tanga, die Mamma-Silikonprothese mit den erwähnten DNA-Spuren eben dieser Frau.
Auf der Wiese vor dem Baum, an dessen Fuß sich die Blutlache und die Spermaspuren befanden, fand man Zigarettenkippen und zwei halbe Cohiba Corona. Die DNA wurde gesichert. An den Cohibas ließen sich auch zwei unterschiedliche DNA-Spuren nachweisen.
Das Blut an den Schuhen von Igor P., dem Jogger, stammte von einer weiteren, einer fünften männlichen Person.
Langsam bekam Helen ein Bild, was eventuell abgelaufen war. DNA von sechs Personen, einer weiblichen und fünf männlichen.
Weiter menschliche Därme von drei unterschiedlichen Opfern, die den verbrannten Leichen und der bekannten weiblichen DNA zuzuordnen waren.
Mehrere Hülsen von Schrotpatronen mit DNA-Spuren der Leichen im verbrannten Wagen und Spuren der DNA von den Schuhen des Joggers.
Waren sie mit ihren eigenen Waffen erschossen worden? Hatten sie sich gewehrt, war es zum Kampf gekommen? Sieht so aus, dachte Helen, wenn man die Blutlache berücksichtigt, in die der Jogger getreten ist.
Die Leichen waren regelrecht ausgeweidet worden. Es fehlten alle wichtigen inneren Organe, Lungen, Herz, Leber und Nieren. Sie waren niemandem zuzuordnen. Die Toten waren Unbekannte. Tod durch Kopfschuss mit Schrot durch den Mund, danach ausgeweidet und verbrannt. Niemand vermisste sie, wie es aussah. Das verbrannte Auto war ohne Nummernschilder und ohne Motorennummer und Fahrgestellnummer.
Diese Nummern konnten angeblich auch nicht rekonstruiert werden, was Helen nicht verstand. Sie hatte in Erinnerung, dass es Methoden gab, sie sichtbar zu machen. Ein ehemaliger russischer Kommandeur-Geländewagen, wie es viele in Ungarn gegeben hatte und noch immer gab.
Helen las den Bericht über die DANN-Analysen nochmals genauer. Ihr war etwas aufgefallen. Ein Darmstück, das mit der Vagina vernäht war, enthielt auch diverse Spermaspuren der sogenannten Jäger. Daneben gab es noch weitere Spermaspuren sowie nicht menschliche Spermien, DNA-Spuren von Caniden.
„Von Hunden“, dachte Helen und konnte mit dieser Feststellung noch nichts anfangen.
Auch das Erbrochene des Joggers Igor Pec war registriert, stellte sie fest.
Sorgfältig gesichert und analysiert, dachte Helen und betrachte intensiv die Großaufnahme der Brust-Silikonprothese. War da eine Seriennummer zu erkennen? Sah danach aus. Etwas blass und unvollständig, nur Reste. Die Nummer war weitgehend mechanisch abgetragen. Die vollständige Nummer wäre ein echter Treffer. Man konnte vielleicht den Hersteller und den Operateur ermitteln, dann die ehemalige Besitzerin. Helen erinnerte sich, dass vor ein paar Jahren über die Seriennummer ein Mord aufgeklärt werden konnte. Sie dachte auch an den Silikonskandal um eine französische Firma. Der Name fiel ihr spontan nicht ein, kann man ja googeln, dachte sie. Diese Prothese sah nach einem Spezialmodell aus. Aber da war noch eine Besonderheit, neben der Größe von 380 ml. Sah aus wie eine Schraube oder ein Ventil. Auf der Unterseite war noch ein Metallplättchen, wie ein Chip oder eine sehr dicke SIM-Karte. Das sah ganz wie ein Mini-Sender aus. Es war ein Sender! Borhagen hatte einen Zettel angeklebt, mit Ausrufezeichen und der Frage: Wozu ein Sender im Implantat?
Zeugenaussage Schleusenwärter:
Schleusenwärter bei Kölked südlich von Mohacs an einem Regulierungskanal neben der Donau.
Mohacs, resümierte Helen, der Name kam ihr bekannt vor. War das nicht eine wichtige Schlacht im Krieg gegen die Türken? Hatten sie das nicht in der Schule gehabt?
Am Morgen des 15.08.2008, einem Freitag, hatte sich nach einer regenreichen Woche, im sehr braunen Hochwasser, das schon leicht an einigen Stellen die Wiesen überflutete, vor dem Schleusenfanggitter ein Baum und Gesträuch verfangen. Mit dem Traktor wurde das Hindernis aus dem Fanggitter gezogen. In den Ästen, die nach dem Herausziehen frei wurden, hatte sich auch eine menschliche Gestalt verfangen mit bizarr verrenkten Gliedern. Eine komplett gehäutete, menschliche Leiche ohne Kopf, Hände und Füße, vom Hals bis zum Becken aufgeschnitten und ohne innere Organe, wie ein Schlachttier. Auch das Genitale nicht erkennbar, vermutlich herausgeschnitten. Es war ein grauenvoller Anblick, sagte der Schleusenwärter. Allerdings lagen über dem Brustkorb beidseits Reste von Fettpolstern, was möglicherweise auf weibliche Brüste Rückschlüsse zuließ. Auch die Form des Beckens sprach für ein weibliches Opfer.
Aus dem Bericht ging hervor, dass das Gelände von der lokalen Polizei weiträumig abgesperrt worden war. Aus Budapest waren die Gerichtsmediziner gekommen, hatten Proben genommen und die Leiche ins Gerichtsmedizinische Institut der Semmelweiß Universität überführt. Die DNA-Analyse hatte eine Übereinstimmung mit den Spuren vom Tatort im Wald bei Vesprem ergeben. Die Gerichtsmediziner hatten über die DNA-Datenbank den Zusammenhang hergestellt.
Helen schaute sich die Gegend über Google Maps auch über Satellit an. Vesprem und Stuhlweißenburg bzw. Szekesfehervar lagen weit weg vom Fundort der Leiche, das heißt, nördlich des Balaton. Sie bekam einen Eindruck von den Entfernungen und der Landschaft und wunderte sich, wie die Leiche den weiten Weg genommen hatte. Dann hatte sie eine Idee. Die Donau hatte die Leiche in Richtung Balkan, Kroatien und Serbien treiben sollen. Dann war das Hochwasser gekommen und eine zufällige Strömung hatte sie in einen Nebenarm und in die Schleuse gespült. Vielleicht. Helen fasste zusammen:
Eine Frau wird auf grauenvolle Weise hingerichtet, vermutlich an Fleischerhaken aufgehängt und bei lebendigem Leib ausgeweidet und gehäutet. Vorher wird sie von den ebenfalls ermordeten Jägern vergewaltigt. Das Vorkommen einer beachtlichen Menge weiterer unterschiedlicher Spermien in ihren Körperöffnungen könnte auf eine Nähe zum Rotlichtmilieu hinweisen. Auch der Nachweis von caniden Spermien weist in diese Richtung.
Die Frau selber war lange vorher chirurgischen Eingriffen ausgesetzt gewesen und mit sehr speziellen Mamma-Implantaten aus besonderem Silikon und einem Sender versehen, mit einem Darm-Vagina-Reservoir versorgt, in dem man neben menschlichem Sperma auch Sperma von Hunden fand. Diese Sperma-Kombination fand man auch in dem der Frau zugeordneten Enddarmabschnitt und in der Speiseröhre.
Schon vor langer Zeit war ihr ein Chip an Nervenenden im kleinen Becken implantiert worden. Zu welchem Zweck war unbekannt.
Und die linke Niere war ebenfalls schon vor Jahren entfernt worden. Man fand Reste der mit Clip versorgten Nierenblutgefäße in der ausgeweideten Leiche. Die gehäutete Leiche war abtransportiert und ohne Kopf, ohne Hände und Füße in die Donau geworfen worden. Per Zufall hatte sie sich in einem Schleusengitter in einem Nebenarm der Donau bzw. einem Kanal verfangen. Das war wohl auf Grund veränderter Strömungsverhältnisse bei dem herrschenden Hochwasser geschehen.
Die ermordeten Jäger waren ebenfalls ihrer Organe beraubt, in den Jeep gelegt und angezündet worden.
Vorher hatte eventuell noch ein Kampf stattgefunden, wie das Blut einer weiteren männlichen Person nahelegte, deren DNA auch auf den Schrotpatronen war, mit denen die Jäger vermutlich erschossen worden waren.
Warum die Frauenleiche auf anderem Wege entsorgt worden waren, blieb zunächst rätselhaft.
Die eine Silikonprothese war nicht vernichtet, war wohl übersehen worden.
Eine Identifizierung hatte wohl verhindert werden sollen. Deshalb fehlten wohl auch Kopf, Hände und Füße. Oder sollten sie etwa gesondert konserviert werden?
Helen schüttelte sich und musste sich Mühe geben, den Fall weiter zu bearbeiten. Sie holt sich erst einmal einen Kaffee und gönnte sich eine Denkpause.
Jetzt kommt das Neue am alten Fall, sagte sich Helen und las das „neue“ Aktenbündel beim Sortieren ebenfalls schnell quer.
Polizeiakten zu 2010:
Unfallbericht Piste bei Papa vom 16.7.10. mit den Leichen eines Dr. Maric Hödeny und einer Mandy.
Kopien der Fotos vom Unfallort, der Leiche des vermutlichen Fahrers. Ein Kopf ohne Gesicht. Nur ein halbes Ohr.
Der hat nicht mehr viel gespürt und zum Identifizieren kann man kaum biometrische Daten erheben, dachte Helen.
Spurensicherung Szeged, den Unfall auf der Piste betreffend vom 16.7.10,
Bericht des Fahrers des Langholzers, unter dem der Geländewagen zerschellte.
Kopie des Ausweises des Fahrers - ein ungarischer Pass - der demnach 46 Jahre alt war,
Kopie des Schweizer Passes, Typ 85, einer Mandy, die demnach zum Zeitpunkt des Unfalles 29 Jahre alt war.
Ihr stockte fast das Blut, als sie die weiteren Bilder sah. Fotos aus einer Schneiderei mit weiblichen Kleiderpuppen aus gegerbter, menschlicher Haut und dicken Piercingringen durch die Brustwarzen. Sie las weiter. Hier stand, dass Mandy schon lange vor dem Unfall tot gewesen und ihre Leiche aller Organe beraubt worden war. Sie war ähnlich wie die Leiche im Schleusengitter ausgenommen, aber nicht gehäutet worden, und wohl auf dem Wege nach Szeged gewesen, wo die gehäuteten Frauen in der Schneiderei ihren Platz gefunden hatten. Auch Mandy trug die gleichen Ringe durch Brustwarzen und Klitoris. Ihre Leiche war vom Kinn bis zum Schambein geöffnet. Herz, Lungen, Leber und Nieren fehlten ebenso wie alle Eingeweide, Teile des Uterus und Eierstöcke.
Fotos der von schwarzem Blut besudelten Leiche von Mandy im blauen Plastiksack und dann wohl gewaschen auf dem Seziertisch der Pathologen:
Offener Torso und Bauch bis zum Schambein, komplett ohne innere Organe. Große verchromte Ringe in den Mamillen, Bauchnabel und der Klitoris, am Steißbein und Hinterkopf. Bildhübsches, sehr junges Gesicht, entspannter Gesichtsausdruck. Weißblonde Haare, die zum Zopf geflochten und mit einer Binde wie zu einem Griff gewickelt waren. Eine Aufnahme zeigte ihr offen gehaltenes Auge, das dunkelblau war.
Helen dachte: Diese junge Frau sieht mir total ähnlich und war sicher erst knapp über zwanzig. Unglaublich schöne Brüste, Größe D, vielleicht auch mehr. Da steckte sicher Silikon dahinter.
Sieht auch auf dem Passbild eigentlich deutlich jünger aus, fast kindlich, dachte Helen weiter. Wenn denn die Angaben alle stimmten. Das wusste man selbst bei einem Schweizer Ausweis nicht, vor allem nicht bei dem Typ 85.
Liste, der im Unfallwagen gefundenen Gegenstände und Papiere mit
Garderobe und Akten der Mandy.
Überlassungsdokumente des Wagens an Dr. v. Eynim, ausgestellt von Uschi Steinmeier, als Besitzerin des Wagens.
Versicherungsschein für den Wagen, mit dem Einschluss einer Versicherung für mehrere Fahrer.
Tagebuch der Mandy.
Kopie von Briefen von Mandy an Dr. von Eynim.
Ein dicker DIN-A3-Umschlag mit Kopien von Briefen einer Manuela an Dr. v. Eynim, 350 DIN-A-4 Bögen, zum Teil doppelseitig handschriftlich beschrieben.
Aha, überlegte Helen, was hat uns das zu sagen?
Wieder eine Bemerkung von Borhagen: „Bitte lesen, wenn es auch schwerfällt. Die ganze Pornographie ist nicht leicht zu ertragen.“
Hier hatte Borhagen Recht. Die eigenen pornographischen Fantasien waren leichter zu ertragen. Man brauchte sie sogar.
Spurensicherung Vesprem betr. eines Container-LKW mit DNA-Analysen, 27.07.10:
Kopie von Fotos der Container LKWs vom Typ Ural, Fotos der
Inneneinrichtung.
DNA-Analysen aus den Containern, insbesondere der Matratzen, Bar, Personalumkleide, der Tanzstange (Polstange) und der diversen Foltergeräte, bzw. BDSM- Geräte.
Spurensicherung Szeged, 11.08.10:
Schneiderwerkstatt - Fotos mit Detailaufnahmen der gefundenen Schneiderpuppen. Ausnahmslos Frauentorsi, teilweise mit Piercingringen durch die Brustwarzen und Klitoris, Tattoos.
Diese Fotos sah sie sich genauer an und stellte fest, dass sie sich das Video mit Samy, das ihr Annegret vor Wochen gegeben hatte, nochmals genauer vornehmen musste. Auch Samys Brustwarzen wurden in diesem Video mit ähnlichen großen, verchromten Ringen gepierct. Hierbei wurden die Ringe tief, horizontal durch den Warzenhof geführt, nicht durch die Nippel.
Ob Mandys Leiche noch gehäutet werden sollte, fragte sich Helen, in Szeged vielleicht?
Helen überlegte weiter. Normalerweise wurde nur der Nippel gepierct. Es sah aus, als ob diese Ringe nicht nur als Schmuck dienen sollten. Eine besondere Form des Piercings, das sie bisher noch nicht gesehen hatte. Nur im Video mit Samy. Device piercing, für BDSM-Manipulationen, das könnte es sein. Sie würde Annegret dazu befragen, vielleicht wusste sie ja mehr über diese Art des Piercings. Annegret wollte sich heute ohnehin bei ihr noch melden.
Es ging ja auch noch um den Saunaabend nach dem Training. Sie würde heute keine Zeit dafür haben, leider. Sie las weiter.
Zeugenaussagen Szeged:
Befragung der Arbeiterinnen der Schneiderwerkstatt-11.08.10
Pathologiebericht Szeged mit diversen DNA-Analysen
Bericht Schneiderwerkstatt Szeged - 18.08.10
Bericht Obduktion Unfall (16.07.10) bei Szeged - 27.07.10
Pathologiebericht Semmelweiss Univ. 02.09.10
Zweitbericht zum Vorgang Schneiderwerkstatt Szeged
Zweitbericht zur Obduktion des Unfalls bei Szeged aus dem
gerichtsmedizinischen Institutes der Semmelweiss Universität Budapest
vom 09.08.10
Kopie von Fotos der Leiche der Mandy aus dem Unfallwagen, DNA-Analysen der Leiche und des Verpackungsmaterials.
Die trockenen Berichte waren total ermüdend. Sie brauchte erneut einen Becher Kaffee. Aber dann wurde sie aufnahmefähiger.
Es gab eine Zusammenfassung der DNA-Funde. Eine Würdigung der DNA-Analysen kam zu dem Ergebnis:
Die DNA der Leiche im Fanggitter war identisch mit einer der Häute in Szeged. Und zwar der, mit dem besonderen Schlangen-Tattoo an den Brüsten und mit diversen DNA-Spuren im Wald von Vesprem.
Das heißt, die Haut der Frau im Schleusengitter landete in der Schneiderwerkstatt in Szeged und die Frau war vorher im Wald von Vesprem ermordet worden, war BHs Kommentar auf einem Post-it.
DNA-Spuren der Leiche von Mandy fanden sich auch im Bordell-Container von Vesprem und an ihrem Schweizer Ausweis.
Was war das jetzt wieder? Hatte sie etwas überlesen? Sie musste zurückblättern.
Im Rachenabstrich sowie im Vagina- und Rektum-Abstrich fanden sich diverse Spuren männlicher DNA. 21verschiedene konnten nachgewiesen werden. Darunter auch zwei DNA-Spuren, die sich sowohl an ihrem Ausweis, der Cohiba in Szeged und der Cohiba im Bordell-Container in Vesprem und an einer der beiden Cohibas am Tatort im Wald bei Vesprem fanden!
Jetzt wurde Helen wieder wach. Das bedeutete, Mandy hatte vor ihrem Tod spannenden Verkehr mit diversen Männern gehabt, darunter auch mit zwei Männern, die auch schon in Szeged und Vesprem und beim Mord im Wald dabei gewesen waren. Eine dieser Spuren war auch an dem Ausweis von Dr. Maric Hödeny zu finden und an Mandys Schweizer Ausweis, der in einer Plastikhülle steckte. Neben diesen DNA-Spuren, die sowohl im oralen, vaginalen und analen Abstrich nachzuweisen waren, gab es auch noch zwei verschiedene DNA-Spuren von zwei Männern sowie verschiedene Fingerabdrücke, die nicht mit den bei Mandy gefundenen identisch waren. Einer dieser Fingerabdrücke und eine DNA-Spur fanden sich auch im Bordell-Container von Vesprem und an einem Zigarrenrest der Marke Cohiba in der Schneiderwerkstatt in Szeged (Aschenbecher) und einem Zigarrenrest der Marke Cohiba im Aschenbecher des Bordell-Containers.
Das hieß, resümierte Helen, dass ein männlicher Cohiba-Raucher vor Jahren in der Schneiderwerkstatt gewesen war, wo die „Puppen“ aufgereiht waren. Diese Person musste mit Mandy sehr vertraut gewesen sein. Seine DNA-Spuren fanden sich in all ihren Körperöffnungen und auf ihrem Schweizer Ausweis.
Eben diese gleiche DNA fand sich auch im vaginalen Fund, der der gehäuteten Frau zugeordnet wurde, und an der Cohiba, die am Tatort gefunden worden war.
Andere DNA-Spuren an der zweiten Cohiba des Tatortes fanden sich auch im Bordell-Container in Vesprem, in der Schneiderwerkstatt in Szeged, auf dem Ausweis von Mandy und in den Spermaspuren in Mandys Körper.
Das bedeutete, dass ein weiterer Mann über Jahre intime Beziehung zu beiden ermordeten Frauen gehabt hatte und auch bei der Tat im Wald von Vesprem dabei gewesen war.
DNA-Spuren der Leiche von Maric fanden sich auf dem Ausweis in seiner Tasche. Diese DNA-Spuren waren jedoch nicht identisch mit Spuren in der Schneiderwerkstatt und im Bordell-Container in Vesprem.
Helen las das nochmals, um nicht den Überblick zu verlieren. Das schien wichtig. Auch hier hatte ihr Chef einen Kleber mit der Bemerkung hinterlassen: „Achtung, man ermüdet und verliert den Überblick“.
Ach nee, dachte Helen, wie charmant der Hinweis, aber auch wie treffsicher. Ganz schön verwirrend, dieses DNA-Puzzle, dachte Helen. Hoffentlich gab es keine Schreibfehler. Zigarren und Zigaretten sind ja etwas Verschiedenes. Wenn der Schreiber oder Übersetzer jetzt auch noch Nichtraucher war, konnten auch noch Verwechslungen ins Spiel kommen. Aber die Ungarn hatten alle Befunde mit Nummern versehen. Auch beim Abschreiben von Nummern passierten Fehler. Wenn alles stimmte, was sie jetzt zusammenfasste, war einer der Cohiba-Raucher am Tatort im Wald von Vesprem 2008 schwer verletzt worden. Er war sehr intim mit Mandy gewesen, noch kurz vor ihrem Tod, denn sein Sperma fand sich überall in ihrem Körper und auf ihrem Ausweis. Sie informierte sich im Internet, was eine Cohiba-Zigarre war und wie sie aussah, dass man sie als solche identifizieren konnte. Kubanische Zigarre, eine sogenannte Havanna. Sehr teuer. Bauchbinde mit schwarzem Maja-Indio-Kopf auf weißem Grund. Gelb-schwarzes Band. Anfangen konnte sie mit dieser Information zunächst nichts.
Dann überflog sie die anderen Berichte.
Es war tatsächlich alles zunächst sehr verwirrend. Helen begann, sich einen Plan aller bekannten Details und Zusammenhänge zu machen.
Sie fragte sich, ob Borhagen alle diese Berichte wohl auch genau gelesen hatte oder nur quer, was er sehr gut konnte.
Zum Fahrer des Wagens, einem Dr. Maric Hödeny, stand nichts weiter darin. Helen schaute sich die Unfallbilder erneut an, auch die Fotos der ermordeten und ausgeweideten Frauen und der Schneiderpuppen, und verfiel ins Grübeln. Ihr fiel etwas auf, aber das war wie ein Nebel, den sie noch nicht durchdringen konnte. Das bereitete ihr regelrecht Kopfschmerzen. Echte Kopfschmerzen. Sie ging an ihren Schrank und nahm sich eine Tablette IBU 600.
Dann sortierte sie die Akten weiter.
Alle Papiere waren auf den ersten Blick vollständig. Das hieß, alles was auf der Inventarliste stand, lag auch bei. Helen konnte natürlich nicht erkennen, ob ein wesentliches Detail fehlte und noch in der Asservatenkammer der Ungarn ruhte.
Das DNA-Verwirrspiel musste sie nochmal in Ruhe ordnen. Welche DNA jetzt hier
oder da auftauchte, und zu wem sie gehörte. Und dann die DNA an den diversen Cohibas. Sie musste es verstehen, um weiter zu kommen.
Annegret
Ehe sich Helen die Briefe und Tagebücher der Frauen genauer vornahm, ging sie ein weiteres Mal zum Automaten und holte sich einen neuen Becher voll schwarzem Kaffee als Ersatz für den inzwischen ganz kalt gewordenen. Auf Zucker und Milch verzichtete sie wie immer. Er schmeckte diesmal tatsächlich etwas anders. Nicht schlechter, nur etwas intensiver. Das war ihr bei dem ersten Becher schon aufgefallen. Man hatte wohl den Kaffeeanbieter gewechselt oder die Einstellung. Sie hoffte nur, dass keine Rückstände der Reinigung dabei waren.
Sie überflog kurz die Tagebücher und Briefe. Wie BH schon sagte, es war sehr pornographisch. Die waren sexuell ganz schön aktiv, diese beiden ermordeten Frauen, dachte Helen, während sie den heißen Kaffee schlürfte. Die hatten auch nichts ausgelassen. Eher schon deutlich promiskuitiv. Man musste sie wohl als Nutten bezeichnen. Allerdings hatten sie gar kein schönes Ende gefunden.
In diesem Moment machte ihr iPhone einen Bling.
Das Bild ging auf, und ihre Freundin Annegret meldete sich.
„Hi Helen, unser Hockeytraining fällt heute aus. Martin muss die Mädchenmannschaft fürs Turnier heute zusätzlich trainieren. Ich habe dein Einverständnis vorausgesetzt und mit dem Hausmeister einen Sondertermin für den Mittwoch ausgehandelt. Normalerweise ist an diesem Tag die Sauna geschlossen. Ich habe das ganze Programm auf Mittwoch verlegt. Die Burschen sind informiert und haben Zeit. Sind wieder von der besonders stabilen Sorte, wie damals und schon ganz heiß auf dich.“
Annegret spielte auf die Ereignisse vor drei Wochen an, als sie Helen mit zwei Typen der Hockey-Seniorenmannschaft vertraut gemacht hatte, na ja, eher verkuppelt. „Ok“, sagte Helen, „ich bin im Moment ziemlich unter Druck. Habe heute, so völlig außer der Reihe, einen sehr komplexen Fall auf den Tisch bekommen, buchstäblich. Der Freitag muss daher wahrscheinlich auch ausfallen. Ich komme mit der Arbeit nicht rum.“
„Verstehe“, sagte Annegret, „aber der Mittwoch steht, ja?“
„Ja“, sagte Helen und dachte, so ein Scheiß. Ihr stockte fast der Atem. Mittwoch, open end, hatte BH gefordert. So ein Schrott, und jetzt hatte Annegret ihretwegen den Saunatermin auf Mittwoch verlegt. Das ging ja gar nicht. Sie wollte sich doch nicht den Spaß verderben lassen. Das musste anders gelöst werden, aber ganz sicher. Das musste sie BH beibringen.
„Das klang eben aber nicht sehr überzeugend. Deine Begeisterung hört sich an wie ein durchgekauter, alter Kaugummi. Hast du da noch ein Problem im Hintergrund?“
„Nein, nein, alles ok“, beeilte sich Helen zu versichern.
„Also, wie damals 19 Uhr. Mach dich fit, bereite dich gut vor und mach am Mittwoch kein saures Gesicht. Ich sehe durchs Telefon, wie übelgelaunt du bist. Deine Stimme verrät mir alles. Wenn du ein Problem hast, solltest du mir das sagen. Kann ich alles verstehen. Aber danach geht es dir garantiert besser. Besonders dann, wenn du anschließend einen Kühl-Akku im Schritt brauchst oder einen tiefgekühlten Analdehner.“
Helen lachte los. „Will ich doch hoffen.“
„Also, bis Mittwochabend.“ Helen hörte Annegret förmlich grinsen.
Helen hing an ihrem Kaffeebecher und dachte: Annegret merkt doch alles. Aber sie würde das schon hinkriegen mit BH und seiner Terminvorstellung. Es ging um lauter alte Tote. Da zählte nicht jede Stunde.
Dann dachte sie an damals. Was hieß damals, das war gerade einmal vor drei Wochen gewesen. Damals hatte Annegret angekündigt:
„Heute ist die Sauna gemischt. Da kannst du zwei der Typen, die ich für unseren heißen Abend aufgetan habe, unauffällig in Augenschein nehmen, ohne dass sie sofort wissen, dass sie auf dich angesetzt sind. Sind von der zweiten Herrenhockeymannschaft, Senioren. Jenseits der 30. Erfahren und abgeklärt! Und sensationell geil. Ich denke, die werden dir gefallen. Wichtiger ist aber, dass sie funktionieren. Aber was rede ich. Wenn die dich sehen, kriegen sie sowieso eine Dauererektion. Das kennen wir doch.“
Helen hatte damals registriert, wie sich ihr Puls beschleunigte und das Blut in ihren Unterleib einschoss. Sie wurde feucht bei der Vorstellung, dass Annegrets Projekt, das sie für Helen geschneidert hatte, demnächst tatsächlich umgesetzt werden würde. Dass sie auf erregte Männlichkeiten stoßen würde, und es dann kein Zurück mehr gäbe. Helen hatte ihr vor einigen Wochen bei einer Afterworkparty schon etwas angeschickert gestanden, dass sie dringenden Bedarf habe. Dass sie mal wieder auf richtige Männer stoßen müssten, wie sie es früher gehandhabt hatten. Kein braver Blümchensex, sondern schön hart. Annegret hatte gelacht und ihr versichert, dass sie Abhilfe schaffen könne. Meinte aber, dass sie doch immer wieder auf Raul treffe. „Läuft das nicht mehr?“
„Doch schon, Annegret, aber ich brauche mehr, deutlich mehr.“
Annegret verstand und erzählte, wie es bei ihr so lief.
Schon seit geraumer Zeit ging sie mit ihrem jetzigen Lover auf Swinger-Partys, wo man sich während des Abends aus den Augen verlor, sich jedoch hin und wieder beim Gruppensex eher so zufällig wiedertraf.
Annegret hatte vorgeschlagen, ein paar potente Kerle, mit denen sie selber schon positive Erfahrungen gesammelt hatte, einzuladen. Kerle, sagte sie, die kein Problem damit hatten, ihr kurz und bündig zu zeigen, welche Qualität ihr Hammer hatte. Das sei sicher für den Anfang besser, als es gleich bei einem Swinger-Treffen das erste Mal zu probieren.
Was meinte sie wohl mit „beim ersten Mal“?
Annegret wurde deutlicher und erklärte Helen, dass man in den Swinger-Clubs, in denen sie verkehre, eben häufig mit mehreren Männern gleichzeitig Sex hatte, und es nahezu unmöglich sei, die Kontrolle über alle eigenen Öffnungen zu behalten. Eigentlich, sagte Annegret, müsse man sich als Frau in diesem Spiel allem bewusst öffnen, da man doch jederzeit geöffnet werden würde. Das war Voraussetzung für den Lustgewinn beim Gangbang im Swinger-Club. Ohne etwas zuzulassen, würde man auch keinen Dauerorgasmus erleben. Außerdem, mit etwas Alkohol und den anregenden Bildern der Burschen mit ihren strammen Latten, würde sie schon von alleine so aufgegeilt sein, dass sie ohnehin nur noch „das Eine“ wünschen und sich völlig öffnen würde.
„Das läuft im Swinger-Club etwas anders, als du es von unseren früheren Treffen kennst. Früher kanntest du alle Männer, mit denen du am Abend zu zweit oder zu dritt im Clinch warst. In diesen Clubs triffst du fast nur auf unbekannte Männer, die sich meist schnell hintereinander an dir ablösen. Während du gerade auf einem abreitest, ist der nächste schon von hinten in dir drin. Wenn sie dich erst einmal auf der Matratze haben, geht es rund. Da bist du dann richtig beschäftigt. Und ehe du dich versiehst hat dann auch einer deinen Mund gefunden. Man muss den Sandwich lieben, oder zu Hause bleiben.“
„Ich gebe dir vorher noch etwas Lektüre. Das macht dich warm. Henry Millers Opus Pistorum. Da kannst du drastisch nachlesen, wie das mit dem Sex mit mehreren Männern gleichzeitig geht.“
„Du hast wohl vergessen, Annegret, dass wir das alles schon im Studium hatten.“
„Habe ich nicht. Wollte nur nochmal darauf hinweisen, dass es immerhin mehrere Möglichkeiten gibt.“
Helen kannte zwar einiges von Henry Miller, aber dieses Buch war ihr unbekannt. Helen brauchte nach dieser Lektüre nicht lange, um Annegrets Erklärung zu verstehen, und stellte fest, dass sie diese Vorstellung richtig aufgeregt und geradezu geil machte.
Annegret und Helen spielten schon seit der Uni zusammen Hockey. Beruflich waren ihre Wege nach dem gemeinsamen Psychologiestudium auseinandergegangen. Helen hatte ihr Psychologiestudium schnell absolviert und es als eine der Jüngsten wissenschaftlich vertieft. Ihre schnelle und hochgelobte Promotion schloss sich folgerichtig an. Sie fand einen Doktorvater, der sie zum Themenkreis Lust und sexuelle Gewalt führte und ihr jede Gelegenheit gab, im Institut für biologische Psychologie experimentelle Untersuchungen zum Wirkungsmechanismus sogenannter Date-Rape-Drogen zu machen.
Annegret, die zur Fotokünstlerin mutiert war, meinte etwas ironisch, dass nicht nur ihr Doktorvater mit ihr guten Geschmack bewiesen habe, auch ihr Förderer bei der Polizei habe mit ihr einen guten Griff getan.
„Oder hast du ihn zu deiner Zufriedenheit getestet?“
Annegret war zuweilen sehr direkt. Sie wollte aber mit ihrer Frage keineswegs unterstellen, dass Helens Attraktivität wie ein Perpetuum mobile wirkte. Als Helen protestierte, entschuldigte sich Annegret. Sie wollte sie keineswegs auf ihre drei Löcher reduzieren. Sie wollte aber unbedingt wissen, ob alle diese Herren ihre schöne Anatomie schon ausgiebig hatten genießen dürfen. Annegret verstand nach dieser provozierten Diskussion, dass Helen ihr Liebesleben streng vom Beruf trennen konnte und dies auch tat.
Auch Annegret hatte das Thema Sex, Lust und Gewalt auf eine ganz andere Art bearbeitet. Sie war mit ihren Fotoarbeiten sehr erfolgreich und lebte mit wechselnden Partnern zusammen. Helen hatte sich erst kürzlich aus einer langweiligen längeren Beziehung befreit und brauchte jetzt dringend Beschäftigung der besonderen Art. Da sie schon seit der Uni miteinander Hockey spielten, hatten sie sich auch meistens über ihr Sex-Leben ausgetauscht. Manche ihrer Beziehungen hatten sie auch gegenseitig ausgetauscht. Lediglich das Thema Gruppensex mit Unbekannten war für Helen bisher keine Option gewesen, auch wenn sie im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten viele Berührungspunkte mit diesem Thema hatte und wusste, dass Annegret auf diesem Sektor Erfahrungen sammelte.
Im Zusammenhang mit Annegrets Einladung zu diesen Treffen war Helen schließlich bereit, ihrem Lockruf zu folgen. Ihre ersten Erfahrungen waren derart positiv, dass sie bereit war, es immer wieder zu probieren. Entscheidend dabei war, dass Annegret eine größtmögliche Sicherheit bieten konnte, da sie die beteiligten Männer kannte und sich für sie quasi verbürgen konnte. So gab es außer ein paar Schrammen und blauen Flecken nur positive Erlebnisse, die Lust auf Wiederholung bewirkten. Später waren beide lange Zeit so sehr in ihrem beruflichen und privaten Beziehungsgeflecht verwoben, dass sie sich für kaum mehr als den gemeinsamen Sport interessierten. Erst seit einiger Zeit gab es einen Wandel. Beide fanden wieder mehr Zeit, um ihre alten Gewohnheiten wieder aufzunehmen.
Annegret, die nie aufgehört hatte, ihren promiskuitiven Lebensstil zu exerzieren, bot Helen problemlos den Wiedereinstieg an. In der Zwischenzeit hatte Helen schon von sich aus begonnen, nach möglichen Varianten zu suchen, die ihr einen besonderen Kick versprachen. Während Annegret den Saunagangbang propagierte und Helen mit ihren Lieblingspornos versorgte, hatte Helen schließlich eine vielversprechende Adresse gefunden. Sie hatte sich im Internet über Möglichkeiten informiert, um mit willigen Männern in Kontakt zu treten. Sie hatte eine Facebook-Adresse aufgebaut und sich ein anonymisiertes Profil gegeben. Sie war jedoch zu erfahren, um sich dem Risiko eines Dates mit Unbekannten, die sie über das Internet und ihre Facebook-Recherche fand, auszusetzen. Sie hatte sich auf Hinweise auf die Seiten privater Clubs konzentriert, die Frauen Sex in allen Spielarten anboten und dabei Sicherheit und völlige Verschwiegenheit garantierten, sowie Übernachtung und Wellnessatmosphäre anboten. Einige dieser als Ferienanlage aufgebauten Clubs warben mit hartem BDSM-Sex. Helen merkte, wie sich beim Lesen der Angebote Lust und Begierde entwickelten, und sich ihre Gedanken immer stärker auf den bizarren Sex mit Unbekannten innerhalb eines solchen Clubs fixierten, bis sie sich entschloss, eine derartige Möglichkeit auszutesten. Die Bilder, die sie sah, nahmen in ihr Platz. Sie konnte sie nicht mehr völlig abschütteln. Plötzlich war das Bizarre nicht mehr fremd. Die Grenzen ihrer sexuellen Phantasie wurden schrittweise ausgedehnt. Sie stellte sich vor, wehrlos gemacht dem harten Sex Unbekannter ausgeliefert zu sein. In der Phantasie schien das zunächst nahezu unproblematisch, aber würde sie der Realität standhalten? Lustgewinn war dabei die Parole, durchaus auch mit etwas gewalttätiger Nachhilfe, jedoch ohne die einseitige Gewalt gegen sie als das Lustobjekt Frau. Sadistischer Spaß nur zum Lustgewinn der Männer, wie es De Sade postulierte, war nicht ihre Welt. Für Helen stand ihr eigenes Lusterleben im Vordergrund. Der gesamte männliche Körper war für sie dabei die Attraktion. Den wollte sie erleben und dabei zum Höhepunkt gebracht werden. So gesehen erfüllten
die von Annegret inszenierten Saunaabende zunächst diese Funktion. Die Werbung der Clubs zielte auch in diese Richtung, sprach auch von Dauerorgasmus. Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten über das Thema Sex, sexuelle Gewalt und Drogen hatte sie sich mit allen Formen sexueller Praktiken und ihrer Aberrationen vertraut gemacht. Ein völlig anderes Thema war es jedoch, sich selbst in diese Welt einzubringen, zunächst nur in Gedanken, geschweige denn körperlich. Sie hatte sich jedoch dazu entschlossen, auch praktisch den Zusammenhang zwischen Schmerz und Lust am eigenen Körper zu erfahren.
Annegret wollte sie jedoch von ihren Ideen noch nichts mitteilen.
Da Annegret sehr um sie bemüht war, wollte Helen sie nicht mit ihren eigenen
Plänen konfrontieren und vielleicht enttäuschen. Helens eigener Schritt war geplant und sollte in Kürze erfolgen. Sie hatte ihren Urlaub für in knapp drei Wochen eingereicht. In diese Zeit sollte ihr BDSM-Abenteuer fallen. Zwei bis drei Wochen wollte sie investieren, um die harten BDSM-Riten der bedingungslosen Unterwerfung unter einen DOM kennenzulernen, der sie in das Mysterium von Lust durch Schmerz einführen sollte. Sie hoffte dabei eher darauf, besonders potente Männer zu treffen, die das alte Spiel perfekt gestalten konnten. Um das zu erreichen, war sie bereit, durchaus gewisse Risiken einzugehen.
Auf ihrer inzwischen sehr differenzierten Suche nach einem niveauvollen Club, in dem man potente Männer zum tabulosen und bindungsfreien Vergnügen treffen konnte, fand sie im Internet eine Adresse, die mit Anspruch und „Premium“-Effekt aufgemacht war und sofort ihr Interesse weckte. Sie schaute sich die Seiten dieser „Hochglanz-Präsentation“ an und speicherte den Kontakt unter Favoriten auf ihrem speziellen „Internet-Laptop“, nachdem sie von der Qualität des Auftritts überzeugt war. Der Schloss-Charakter in den Ruinen eines alten Klosters gefiel ihr, ebenso der Hinweis, dass es sich um einen Club mit festem Mitgliederbestand aus der BDSM-Szene handelte. Sie schickte eine E-Mail zur Kontaktaufnahme. Hierzu benutzte sie eine ihrer speziellen E-Mail-Adressen bei Fellow.com mit ihrem Code-Namen „Kara Things“. Als Postadresse gab sie die Adresse ihrer Tante nebenan im Pflegeheim an.
Sie wartete gespannt auf eine Antwort.
Mit Annegret hatte sie in letzter Zeit öfter über dieses Thema von Lust und Gewalt gesprochen.
„Alles Theoretisieren hilft nichts“, sagte Annegret. „Wann aus Schmerz Lust entsteht, die den Wunsch auf Wiederholung birgt, musst du am eigenen Körper erleben. Dazu musst du dich vorbehaltlos einbringen und auch die Belohnungsschwelle steuern. Das Lusterleben ist die Belohnung für den Schmerz. Also muss die Schwelle zum Erleben der Belohnung gesenkt werden. Aber was rede ich, das weißt du ja selber, beim Orgasmus ist die Schmerzempfindung quasi ausgeschaltet. Deinen schmerzenden Rücken nach der Vögelorgie auf dem Boden der Dusche hast du erst am folgenden Tag bemerkt, oder deine schmerzenden Knie nach der Aktion auf den Holzbänken in der Saunakabine.“
Helen sah, dass Annegret in der Interpretation ihrer praktischen Erfahrungen direkter war.
Annegret besaß eine ganze Sammlung von harten Pornos, die sie Helen auslieh. So gab ihr Annegret eines Abends ein Video, das sie selbst als einigermaßen brutal, aber handwerklich gut gemacht vorstellte. Annegret hatte als Fotokünstlerin einen besonderen Anspruch in Bezug auf so genannte Sex-Videos. Eben dieses Video sei besonders gut gemacht, fand sie. Deshalb habe sie es für Helen mitgebracht.
„Hier siehst du, wie auch unter Gewaltanwendung und erzwungenem Sex Lust entsteht.“
„Ich schau es mir an“, hatte Helen gesagt, „aber es ist ein Porno. Und der hat eine andere Funktion. Hier soll Lust bei Betrachtung sexueller Handlungen, Unterwerfung und Gewaltanwendung entstehen. Die Phantasie soll angeregt werden. Der Betrachter erleidet keinen Schmerz.“
„Aber er sieht, wie die gepeinigte Frau scheinbar Schmerz erfährt und mit Lustäußerung reagiert.“
„Ja, aber es ist Kino!“
„Quintessenz? Selber austesten. Du wirst gefesselt, bis es schmerzt, und dann so weit aufgebrochen, dass du nur noch darauf wartest. Das kommt dann auch. Du wirst ganz gewaltig geöffnet, ganz gewaltig gevögelt.“
„Hm“, meinte Helen, „ja, muss man ausprobieren.“
„Schau dir das Band trotzdem an. Wir reden dann darüber. Übrigens, die Kleine, um die es darin geht, sieht dir verdammt ähnlich. Vor allem als du noch deine blonden Haare hattest.“
Helen sah sich das Video an. Von manchen Passagen war sie angetan. Filmtechnisch war es von besonderer Qualität. Inhaltlich sicher im Grenzbereich zur Gewaltpornographie. Produziert war der Streifen angeblich in Kalifornien. Helen war sich sicher, dass dieser Streifen in manchen US-Bundesstaaten absolut verboten wäre, da er erzwungenen Sex mit einem sehr jung wirkenden, eher noch minderjährigen Cheerleader zeigte. Die herstellende Firma kam aus dem arabischen Raum, aus dem Jemen oder Bahrain, wo das Schutzalter für Mädchen bei neun oder weniger Jahren lag. Die Produktion firmierte unter Omar b. A. A. Production, Manama. Wo liegt das nun, dachte sie. Das war schon bezeichnend und sicher sehr problematisch.
Sie schaute sich das Video gelegentlich an und versetzte sich in die Lage der jungen Frau, oder eher des Mädchens, das von mehreren, als Polizisten verkleideten Männern, die fleischfarbene Strumpfmasken trugen, entführt und auf jede nur mögliche Art sexueller Gewalt ausgesetzt wurde, und dabei zeigte, wie viel Spaß sie dabei entwickelte. Helens Geilheit wurde tatsächlich schon beim Gedanken an dieses Video angeheizt. Annegret hatte Recht gehabt, dass sie davon stark angetörnt werden würde. Annegret fragte nach einiger Zeit nach, ob sie sich das Video tatsächlich angesehen habe, und wollte dann auch genau wissen, welche Szenen sie besonders angemacht hatten. Sie waren sich einig, dass es ein Aufreger war zu sehen, wie ein Pärchen beim Sex im Auto überrascht wurde, und Samy, am blonden Pferdeschwanz gepackt, von ihrem Freund heruntergezogen wurde, als sie gerade noch auf ihm ritt. Da half alles Strampeln nichts. Dann kam die Szene, wie sie barbusig über die eigene Motorhaube gebeugt wurde und den anschließenden Gangbang durch die Polizisten mit lauten Lustäußerungen erlebte. Ja, musste Helen zugeben, das war ausgesprochen anregend. Der Freund musste, am Fensterholm der Fahrertür angekettet, zuschauen und zur Kenntnis nehmen, dass seine Samy es nicht nur erduldete, sondern mit sichtbarer Lust dabei war. Richtig gemein war die Kameraeinstellung, als er dabei, durch die heruntergelassenen Hosen an den Beinen quasi gefesselt, eine stabile Erektion bekam.
„Helen, was du mir nie glauben wolltest, siehst du hier. Samy hat einen Orgasmus bei erzwungenem Verkehr.“
„Aber es ist doch alles reines Kino, Annegret. Alles gespielt. Nichts ist echt.“
„Nun gut. Wie du meinst. Ich hatte so eine Situation. Das war alles in allem, auch wenn erzwungen, fast der beste Sex, den ich je hatte.“
„Du hast davon erzählt. Ich kann da nicht mithalten und es auch daher nicht beurteilen.“ Was sie im Keller ihrer Tante mit etwa zehn Jahren erlebt hatte, zählte da nicht, dachte Helen. Bisher habe ich selbst Annegret davon nichts erzählt.
„Aber anregend ist auch die Situation“, fuhr Annegret fort, „wie Samy gezwungen wird, völlig nackt dem Boss der Entführer die Hosen auszuziehen, ihn mit der Hand hart zu bearbeiten, um ihm dann sehr genüsslich einen zu blasen, und von ihm mit der Peitsche zu intensiverer Aktion beim Blow-Job getrieben wird.“
Annegret wollte wissen, wie sie die Größe seines Gliedes beurteilen würde.
„Na ja“, meinte Helen, „beachtlich, beachtlich.“
„Beachtlich“, höhnte da Annegret, „der hatte doch einen Schwanz wie mein Unterarm! Und eine Glans wie eine Faust. Die Kleine hat das Ding doch kaum im Mund untergebracht. Da sagst du nur, beachtlich. Ich fass es nicht. Und dann kam die Härte. Danach ließ der Boss Samy breit auf der Bettkante knien, dass sie ihm den Hintern entgegenstreckte. Dann schob er ihr langsam die eingegelte Hand bis zum Unterarm hinein und wechselte die Etage. Alles kam dran. Und er drehte dabei die Hand hin und her.“
Samys lautes und lustvolles Schreien bei dieser Pfählung war ein zusätzlicher Kick. Sie diskutierten dann wieder über die reale Möglichkeit, ob erzwungener Sex auch Spaß bringen könne oder nicht. Die Szene mit einem erzwungenen Brustwarzen-Piercing fanden beide sehr brutal. Brutaler als das Fisting. Die Piercingringe, die hier verwendet wurden, waren so groß, dass sie wie Halteringe wirkten, fast wie der Nasenring beim Bullen. Ihre Größe ging über die Schmuckfunktion hinaus. An diesen Ringen wurde Samy dann auch zum Sex am Bett fixiert. Die Ringe wurden also für Bondage-Funktionen benutzt.
„Jetzt hast du auch gesehen, dass dir diese Samy verdammt ähnlich sieht.“
„Tatsächlich, Annegret, Sie sieht mir unheimlich ähnlich. Aber deshalb muss mir erzwungener Sex nicht unbedingt gefallen, oder?“
„Na, manchmal sind die Grenzen verschwommen. Manchmal muss ein bisschen nachgeholfen werden.“
„Annegret, das ist sehr dünnes Eis.“
Beim Resümieren ihres aktuellen Falls war ihr endlich eingefallen, was ihr beim Betrachten der „Schneiderpuppen“ bekannt vorkam und doch noch eine Weile im Nebel geblieben war: Samys Brustwarzen-Piercing.
An diese Ringe musste Helen denken, als sie die Akten durcharbeitete und die Bilder der mit eben dieser Art von Piercingringen geschmückten Brustwarzen der „Schneiderpuppen“ sah. Auch Mandys Brustwarzen waren derartig „geschmückt“. Helen wusste, dass sie sich unter diesem Aspekt das Video erneut ansehen musste. Diesmal unter anderen Voraussetzungen.
Helen trank ihren Kaffee aus und whatsappte erneut an Annegret. Natürlich würde sie am Mittwoch in die Sauna kommen. Sie freue sich darauf. Vielleicht würde es wieder so gut werden wie vor drei Wochen.
Annegret whatsappte zurück: „Die Burschen sind von der harten und stabilen Sorte. Ich glaube, das sagt alles, die Grundvoraussetzung stimmt.“
Helen erinnerte sich, wie Annegret damals, vor einigen Wochen, angepriesen hatte, sich schon mal die Kerle anzuschauen, denen sie sich anbieten sollte. Immerhin waren es aktive, durchtrainierte Hockeyspieler. Eine Garantie für körperliche Fitness. Die spezielle Fitness und Phantasie, die Helen von den Kerlen erwartete, war Durchhaltevermögen, das, was ihr was bringen würde. Und das würde sich noch zeigen müssen. Sie wollte mehr als nur das Reinstecken und ein paarmal Hin und Her. Dann erst fiel ihr auf, dass Annegret von mehreren gesprochen hatte, die sie auf Helen angesetzt hatte. Helens Herzklopfen wurde wilder bei dieser Vorstellung. Vielleicht hätte sie sich nicht gleich soweit aus dem Fenster lehnen und Annegret gegenüber nicht so dick auftragen sollen. Einer wäre ja als Wiedereinstieg auch genug gewesen. Aber jetzt war es so. Annegret hatte damals den Saunabesuch auf 19 Uhr nach ihrem Fitness-Training im Club geplant. Sie wusste, dass Helen kommen würde. Die übrigen Spielerinnen würden sicher nicht in die Sauna gehen. Sie mussten zu ihren Familien. Das eigentliche Hardcore-Treffen hatte Annegret für den kommenden Freitagabend bei sich geplant. Das fiel dann allerdings aus. Helen ihrerseits hoffte nur, dass diesmal nicht noch dieser neue Fall, der ihren Schreibtisch blockierte, dazwischen funken würde. Sie hoffte, nicht ihre Planungshoheit zu verlieren, obwohl ihr ziemlich klar war, dass diese Hoffnung illusorisch war. Der Freitag war gestrichen. Es würde andere Tage geben, an denen sie das Erlebnis mit mehreren Männern gleichzeitig haben würde.
Während sie noch mit ihren Gedanken beim vorgesehenen Saunabesuch weilte, kam wieder eine weitere Nachricht von Annegret:
„Ich vergaß, dir zu sagen, dass ich den Kerlen gesagt habe, dass du ziemlich bereit wärst. Frech von mir, ich weiß, aber diente zum Anheizen. Die werden möglicherweise schon in der Sauna versuchen, dich anzumachen. Ich sage das, damit du nicht erschreckst, wenn die Burschen schnell zur Sache kommen wollen und es dir auch gleich zeigen. Andererseits kannst du ja auch die entsprechenden positiven oder negativen Signale senden, wenn du die Kerle in der Sauna siehst. Appetitlich sind sie allemal. Sie sind übrigens sauber rasiert, wie du es gern hast. Aber du wirst ja sehen.“
Helen hatte geantwortet:
„OK, habe verstanden. Körpersprache. Werde also in der Sauna gleich wieder die Beine breit machen oder eben auch nicht.“
„Ich sehe, dass du verstanden hast, worauf es immer wieder ankommt. Übrigens werden wir in der Sauna wahrscheinlich sowieso alleine sein, weil die Mädchen natürlich noch nicht in die Sauna dürfen und die übrigen Männer sehr häuslich sind und nach dem Training heim zu Mutti müssen, wenn ich mich nicht sehr täusche. Aber noch was. Du bist hoffentlich ganz blank! Ich meine Hollywood-Cut oder höchstens Landing-Strip. Die Kerle stehen auf blanke Mösen. Sie wollen das gespaltene Pfläumchen sehen.“
„Was denkst du denn. Werde aber noch mal waxen. Seit meinem 14. Lebensjahr dulde ich da unten kein Härchen. Ich kann haarige Säcke auch nicht ausstehen. Ich liebe es, wenn ich die Eier im Griff habe und unter glatter, samtiger Haut flutschen lassen kann. Im Mund mag ich die Stoppeln auch nicht haben. Das muss alles schön glatt und samtig geschmeidig sein.“
Helen resümierte weiter:
„Ich ahne, dass du schon eingeplant hast, dass ich von den Kerlen gleich noch in der Sauna gevögelt werde. Was machst du dann solange?“
Annegret antwortete:
„Ich schaue zu! Nein, im Ernst, ich habe auch für mich gesorgt. Wir sind zu fünft. Ende jetzt, wir sehen uns.“
Helen war damals nass geworden bei der Vorstellung, in der Sauna auf zu allem entschlossene Männer zu stoßen. Im Prinzip hatte Annegret sie schon verplant. Also musste sich Helen damals für den Abend besonders vorbereiten oder zu Hause bleiben. Der Gedanke, dass schon zwei Männer von Annegret auf sie angesetzt waren, die schon gewisse Erwartungen für den Saunabesuch hatten, machte sie einerseits richtig geil, andererseits hatte sie Bedenken, ob diese Kerle ihr auch gefallen würden. Und dann gleich zu zweit. Es dämmerte ihr, dass Annegret sie schon für den Freitag vorbereiten wollte. Den Freitag, an dem ihre bisherigen Phantasien Wirklichkeit und sie ein Objekt für alle anwesenden Männer werden würde - was sie sich ja vorgestellt hatte und was sie so unendlich geil gemacht hatte. Diesen Freitag hatte es aus Zeitgründen auch damals nicht gegeben.
Es würde ihn auch diesmal aus Zeitgründen nicht geben können, das ahnte sie, nachdem sie den Aktenberg grob überflogen hatte.
Die neugegründete „SOKO Haut“ würde den „alten Fall mit den neuen Vorzeichen“ bearbeiten. Sie ahnte, dass sie zunächst nur zusammen mit Borhagen die SOKO bilden würde, bis sie das erste Thema „Doktor von Eynim“ recherchiert hätte. Aber verdammt noch mal, warum sollte das alles so vertraulich sein? Es war doch angeblich ein alter Fall!
Heute war wieder so ein Tag, an dem sie dankbar war, dass der Kaffeeautomat angeschafft worden war. Er war in einer an sich ziemlich nutzlosen Ecke installiert worden. Es gab einen relativ kurzen Weg zu den Treppen und Toiletten und einen Blick auf die Landschaft durch ein schmales Fenster. Alles in allem kein Ort, an dem sich übertrieben viel Kommunikation entwickeln konnte. Wohl auch nicht sollte, obwohl seit den Überlegungen von Steve Jobs auch andere im Toiletten- und Kaffeeautomatenbereich und den Gängen dorthin einen Kristallisationskern für intelligente Inspiration in einem Unternehmen sahen. Bei der Polizei war man noch nicht so weit. Es gab hier auch keine Ecke für Raucher. Raucher wurden
diskriminiert. Sie mussten in den Innenhof. Helen war das recht.
Gerade hatte sie es sich wieder mit einer weiteren Tasse Kaffee auf ihrem
Schreibtischstuhl bequem gemacht und ging die restlichen Dokumente der ungarischen Polizei durch, als Borhagen anrief:
„Guten Morgen, Helen, ich hoffe ich habe Ihnen nicht den Wochenplan versaut.
„Doch, durchaus, Chef“, sagte Helen.
„Hilft alles nichts, Helen, Sie müssen sich heute Nachmittag eine Stunde Zeit nehmen und sich bei mir dieses eine Video anschauen, bevor wir entscheiden, wie wir weiter vorgehen werden. Ich habe mir Gedanken gemacht, die etwas vom Üblichen abgehen und auch anders sind, als ich es Ihnen geschrieben habe. Wir ermitteln zunächst im kleinsten Kreise.“
Aha, wusste ich doch, dachte Helen und war nicht überrascht.
„Das heißt, die Arbeitsgruppe besteht zunächst aus Ihnen und mir. Genau wie im laufenden Programm. Eventuell nehmen Sie sich noch einen Helfer Ihrer Wahl dazu. Sie müssen ihn mir aber vorstellen, damit ich weiß, ob wir ihm trauen können. Mein Vorschlag wäre Stefan. Der ist neu und noch nicht richtig integriert, glaube ich. Sie führen die Recherchen alleinverantwortlich. Ich werde Ihnen meine Gründe noch näher erläutern. Es bleibt alles erst einmal nur unter uns beiden. Auch Moneypenny sollte weitgehend von Einzelheiten ausgeklammert werden. Nach der Video-Sitzung werde ich Ihnen einen Cognac servieren müssen. Ich mir auch. Den haben wir danach mit Sicherheit nötig. Ich erwarte Sie gegen 16 Uhr in meinem Büro.“
„Gegen“ hieß in diesem Zusammenhang für BH immer pünktlich, auch wenn er selbst meistens dann nicht parat war. Dieses Büro lag auf der anderen Seite vom Schreibzimmer ihrer gemeinsamen Sekretärin Miss Moneypenny. Wenn sie und Borhagen ihre Türen geöffnet hatten, konnten sie sich gegenseitig am Schreibtisch beobachten, was so gut wie nie vorkam.
Borhagen wartete ihre Reaktion nicht ab, sondern legte sofort auf.
Na ja, dachte Helen, wer so drängt, hat Gründe. Borhagen hat sicher noch etwas in petto. Er hält sicher noch Informationen zurück. Ein angeblich alter Fall und doch so viel Aktivität. Hat er Sorge, dass wir einen Maulwurf haben? Sieht ganz so aus. Diesen Stefan kenne ich noch nicht wirklich. Habe ihn erst zweimal kurz gesehen. Etwas blass. Hat aber ein hübsches Gesicht und breite Schultern. Ein muskulöser Bursche mit schmalen Hüften. Eigentlich ein Typ, den man sich mal genauer vornehmen sollte.
Sie hatte sich vorgestellt, dass er sie sehr fest halten könnte. Sie würde sehen, was sich da entwickeln würde.
Helen machte sich einfach weiter an die Lektüre. Bis jetzt hatte sie nur die „harten Fakten“ durchgesehen und versucht, sich das Wichtigste zu merken.
Helen war bei ihren Kollegen bekannt als Schnell- und Vielleserin, aber auch als Genau-Leserin. Ihre sprachlichen Vorlieben waren neben Deutsch auch Englisch und Französisch. Dazu war sie ein Freund von James Joyce, den sie am liebsten am Ende eines längeren Single Malt genoss. Whisky war nur in Form eines Islay ihre Leidenschaft, also weder „blended“ noch „irish“. JJ kann man eben nur mit dem nötigen Spiegel Alkohol verkraften bzw. verstehen, wie Raul immer zu sagen pflegte.
Sie fand sich auch durchaus in der französischen Literatur zurecht, die sie im Originaltext lesen konnte. Hier gab es diverse Autoren wie Sartre, Camus und
De Saint-Exupery neben De Sade und Francois Villon. An de Sade liebte sie die Beschreibungen der sexuellen Ausschweifungen, die eine Sprache fanden, von der die Franzosen sagen, dass man über alles schreiben kann, wenn man es nur auch entsprechend ausdrücken kann. Es musste eben lesbar sein. In besonderer Erinnerung war ihr Justine und der Wüstling de Bandol mit seiner beeindruckenden Anatomie, die Annegret kurz auf die Formel des Glücks brachte: LSD, lang-standfest-dick, oder lang und dick, der Frauen Glück. Freunde waren immer aufs Neue fasziniert von der Fülle erotischer Literatur in ihrer Bücherwand, in der nahezu zu jedem Thema etwas zu finden war.
Das Telefon klingelte. Es war erneut Borhagen:
„Habe eben noch mit Budapest telefoniert. Habe noch ein paar Details erfahren, die nicht aus den Unterlagen hervorgehen:
Biometrische Daten des Gesichtes der Leiche des Maric Hödeny konnten nicht mit dem Passbild verglichen werden, da durch den Unfall der Gesichtsschädel bis zu den Ohren vollständig fehlte. Selbst von den Ohren war nur ein Ohrläppchen teilweise erkennbar. Man hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, die fehlenden Teile des Gesichtes am Unfallort zu suchen.“
Na, dachte Helen, da hätte man auch sie fragen können. Das war doch klar, dass man aus dem Gesicht nicht mehr viel machen konnte. Nur aus dem Ohr.
„Die Ungarn versteifen sich auf von Eynim. Sie sehen ihn als Drahtzieher im Hintergrund. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, muss den Verdacht der Ungarn jedoch ernst nehmen und sehe in Doktor von Eynim den ersten Anker für die beginnenden Recherchen.“
Helen sah das auch eher skeptisch.
„Dann gab es von dem Kollegen noch den Hinweis“, sagte Borhagen, „dass bei der Polizei in Ungarn Korruption mit eindeutigen Beziehungen nach Deutschland vorliege. Hier sei die Abteilung organisiertes Verbrechen mit Schwerpunkt
Frauenhandel und Drogenhandel betroffen.“
Aha, dachte Helen, daher weht der Wind. In dem Bereich wurde auch das meiste Geld verdient. Das erschwerte die Arbeit natürlich erheblich.
„Wissen wir Genaueres?“, fragte Helen nach.
„Nein, leider nicht. Daher meine plötzliche Vorsicht.“
Helen wollte ihre Recherche mit Uschi Steinmüller beginnen, die dem Doktor den Wagen überlassen hatte.
Borhagen meinte, er habe nichts dagegen. Aber warum?
„Ein teures Geschenk. Das müsste Hintergründe haben. War es eine Gegenleistung? Und wenn, für was?“
Borhagen war einverstanden, dass Helen eine andere Reihenfolge vorzog.
Borhagen erzählte dann, dass die Schneiderpuppen erst in einer zweiten Durchsuchung der Schneiderwerkstatt gefunden worden waren.
„Das muss eine sehr beeindruckende Aktion gewesen sein. Ein riesiges Team der Semmelweiss Universität war zur Spurensicherung angereist.
Wir wissen ja schon einiges aus der sehr umfangreichen Übersetzung des Protokolls über die Durchsuchung und die Funde in der Schneiderwerkstatt bei Szeged, aber nicht diese Details.
Istvan Marek heißt der Kollege, fast wie der Dr. Maric Hödeny, schreibt sich mit e und k und spricht sehr gut Deutsch. Moneypenny wird Ihnen noch die Telefonnummer geben, vielleicht brauchen Sie noch Informationen. Schadet jedenfalls nichts, wenn Sie ihn anrufen müssen. Er ist sehr hilfsbereit. Er war sehr interessiert, als er hörte, dass eine Frau bei uns die Recherche leitet.
Also dieser Marek, der selber mit dabei war, sagte folgendes:
Spannend ist die geographische Lage der Schneiderwerkstatt. Vielleicht wird das noch wichtig. Dieses Dorf liegt direkt an der Grenze zu Rumänien und der Gebäudekomplex der Schneiderwerkstatt liegt direkt auf der Grenze mit einem weiteren Ausgang nach Rumänien. Oder Eingang von Rumänien, wenn man so will.
Es war ein zweiter Besuch der Ermittlungsbeamten in der Schneiderwerkstatt notwendig, ausgelöst durch eine Überprüfung des Einsatzes, bei dem schlichtweg, aus welchen Gründen auch immer, ein ganzer Gebäudeteil übersehen worden war, der direkt auf der Grenze zu Rumänien lag. Vielleicht hatte da schon ein Maulwurf seine Finger im Spiel. Eine aufmerksame Beamtin hatte den Einsatzfehler entdeckt. Alles wurde nochmals auf den Kopf gestellt. In einem abgetrennten Gebäudeteil, der - Achtung! - eben auch den erwähnten, direkten Zugang von rumänischer Seite hatte, wurden diverse Schneider-Puppen gefunden, wie man sie zum Zuschneiden von Anzugsjacken, Blazern und Mänteln braucht. Es sah zunächst wie die Ausstellung einer neuen Kollektion aus. Sie standen alle nebeneinander in einem separaten, abgedunkelten und nicht einsehbaren Raum, der wie ein Museum wirkte. Alle mit zum Teil unfertigen, überlangen Damenanzugsjacken dekoriert, sodass man nur den Halsansatz und ein Stück vom Dekolletee sehen konnte. Einige hatten Blusen darunter. Etwas fiel auf, als die Jacken heruntergenommen wurden, sie waren alle aus Leder, weiblich, alle mit unterschiedlich großen Brüsten und rosa eingefärbten Brustwarzen. Das war schon sehr ungewöhnlich, wirkte sehr lebendig.
Auf die Frage, wer diese Puppen benutzt, war die Antwort der befragten Mitarbeiterinnen: Keiner. Niemand hatte sie je vorher gesehen, geschweige denn mit ihnen gearbeitet. Niemand hatte diese Räume je betreten. Jetzt wurden sie genauer untersucht.
Ich wiederhole das so ausführlich, weil der Kollege Marek mir das sehr emotional eben am Telefon geschildert hat. Die waren alle ziemlich mit den Nerven fertig. Er hat mir zu seinem Bericht auch einige Fotos über WhatsApp geschickt. Details von den Puppen. Zeige ich ihnen, wenn wir uns den Film anschauen. Ober besser leite ich sie Ihnen gleich weiter. Es sind beeindruckende Details. Die Puppen hatten neben den typischen Brustwarzen, die bei jeder Puppe anders aussahen, auch Beinansätze bis Mitte Oberschenkel und, wie festgestellt wurde, alle mit weiblichen Genitalien. Alle waren in der Mitte der Vorderseite mit einer Naht vom Halsansatz bis zur noch vorhandenen Klitoris zusammengenäht. Von da aus teilte sich die Naht und lief beidseits zum Ende an der Vorderseite der Oberschenkel. Dahinter die Schamlippen und der angedeutete Introitus. Der Anus war auch noch vorhanden. Eine weitere Naht lief vom Halsansatz seitlich bis über die Schultern und weiter bis zum Ende des Oberarmes beidseits. Die Armansätze reichten bei allen bis zur Mitte des Oberarmes. Alle Puppen trugen Piercingringe in den Mamillen und in der Klitoris. Manche auch am Bauchnabel und am Steißbein. Einige der „Leichenhaut“-Puppen waren darüber hinaus irgendwo tätowiert. Die Tätowierungen waren teilweise farbig, rot, grün, blau, schwarz. Alle Häute bis auf eine waren hellgrau wie Elefantenhaut gegerbt. Die Brüste waren sehr individuell, unterschiedlich groß, wie auch die Brustwarzen, die zart rosa eingefärbt schienen und eine gänsehauterzeugende Wirkung auf die Betrachter hatten. Die Präparationen waren so lebensnah, dass es die Untersucher erschütterte. Der grausige Verdacht erfasste alle Beamten. Die Individualität jeder einzelnen Puppe war so überzeugend, dass jeder der beteiligten Beamten sofort den gleichen Gedanken entwickelte und an menschliche Haut dachte. Diese Vorstellung wurde so unerträglich, dass zur Spurensicherung weitere professionelle Verstärkung angefordert wurde. Eine Abteilung der Zollfahndung, die Erfahrung mit menschlichen Häuten hat, die als Lampenschirme verarbeitet aus China kamen, wurde eingeschaltet. Der Verdacht bestätigte sich schnell. Es war weibliche, menschliche Haut. Das Gerichtsmedizinische Institut der Semmelweiss Universität bestätigte in ihrem Gutachten das Ergebnis der Zollfahndung.“
Ganz schön gruselig“, meinte Borhagen, „nichts für schwache Gemüter.“
Helen konnte sich in die Situation der Ermittlungsbeamten versetzen.
Borhagen berichtete weiter:
„Sie, die Puppen, die Häute oder die Frauen oder die Leichen, wie soll ich sagen, standen, eine jede, auf einer Stange mit großem, hölzernem Fuß. Die tragende hölzerne Stange steckte zwischen den weit geöffneten und sorgfältig präparierten Schamlippen, die sie quasi umschlossen, als ob hier ein Phallus symbolisiert werden sollte oder eine – oder die „Pfählung“. Man fand sechs Puppen und eine, die wohl noch neu war und erst angezogen werden sollte. Die letzte hatte eine helle, fast weiße Haut. Die entsprechenden Kleider lagen daneben auf einem Stuhl. Die Recherchen ergaben, dass wohl nur Maric Zugang zu diesem Raum hatte. Er wurde versiegelt, die Puppen fotographisch erfasst, dokumentiert und ins gerichtsmedizinische Institut geliefert.
Marek hat sich dann genauer über die Tätowierung ausgelassen. Die „neue“ Puppe, die eine ganz normale, fast weiße Haut hatte, nicht so hellgrau gegerbt war, fiel weiter durch besondere Tätowierungen auf: Ein Skorpion, dessen gestachelter Schwanz sich rund um den Anus schlang, der Körper zur Vagina gerichtet und die geöffneten Zangen rechts und links der Schamlippen. Weiterhin eine Schlange eng um den Hof der linken Brustwarze geschlungen, wobei der Kopf mit züngelndem Maul nach oben und rechts gerichtet war, das Schwanzende mit Klapper nach links außen drohte. Die rechte Mamille war von einer Klapperschlange eng umschlungen, die sich nach mexikanischer Art in die Klapper biss. Ein großer, verchromter Piercingring war durch jede Mamille gezogen. Ein weiterer Ring gleicher Machart war unter der Klitoris hindurchgezogen. Die Schamlippen waren, wie die Brustwarzen, rot eingefärbt. Ein weiterer Ring war in der Mitte der Raute über dem Steißbein. Wie hieß diese Raute nochmal. Marek hatte es gesagt. Ich hab`s vergessen.“
„Michaelis`sche Raute“, sagte Helen
„Richtig, das war der Name. Man recherchierte, wer die Präparationen hergestellt hatte. Es gibt in Ungarn eine Menge guter Präparatoren. Keiner kam in Frage. Wer war der Lieferant, wer der direkte Auftraggeber, wer hatte die Häute dorthin gebracht, wer sie gegerbt, im Wissen um die Herkunft? Kaum vorstellbar, dass jemand nicht erkannte, was er präparierte. Aber in Afrika ist alles möglich. Oder? Was meinst Du, Helen?“
„Keine Ahnung. War noch nicht in Afrika. Habe nur gehört, dass dort so manches möglich ist. Gegen Geld geht sicher viel.“
BH fuhr fort mit dem, was Marek erzählt hatte. „Die Arbeiter und Arbeiterinnen konnten nur sagen, Lieferungen in Empfang genommen zu haben, die in großen Kisten ankamen, geliefert durch ein Subunternehmen der ungarischen Post. Die Lieferung war sicher mit Maric abgesprochen, denn er war zum Zeitpunkt der Lieferung immer anwesend, nahm sie in Empfang und brachte sie in diesen Raum.
Dann meinte eine der Arbeiterinnen, einmal, vor Monaten, mitbekommen zu haben, dass die Kisten aus Afrika, aus Sambia kämen. Sie dachte an Jagdtrophäen, da Maric Jäger gewesen sei. Er habe ja auch ein Jagdgebiet bei Stuhlweißenburg, Szegedfehervar. Das wisse sie sicher. Er habe auch häufig ausländische Jagdgäste.
Auf Grund dieses Hinweises wurde auch dort recherchiert. Diesen Bericht wollte der Kollege Marek noch faxen.“
„Da bin ich gespannt.“
„Ich auch. Soweit der Bericht von Istvan Marek“, sagte Borhagen.
„Das war ja ein langer Bericht.“
„Ja und sehr emotional. Ich dachte ich erzähle es Ihnen gleich weiter, dann ist noch alles ganz präsent.“
„Ich habe noch einige Fragen zu Dr. von Eynim“, meinte Helen.
„Schreibe es auf, ich sehe dich ja nachher.“
Borhagen legte auf.
So war er, ihr Chef, häufig kurz angebunden und oft schwankend zwischen dem Du und dem Sie.
Zehn Minuten später rief „Moneypenny“ an und fragte ob sie stören dürfe.
„Ja, natürlich“, sagte Helen etwas gereizt.
Sie kam in Helens Zimmer und brachte einen Becher Kaffee und ein Fax, das Borhagen gerade eben von der ungarischen Polizei erhalten habe, mit der er heute schon und am Wochenende telefoniert hatte. Es gebe dort einen Beamten, der gut Deutsch spreche, erklärte Moneypenny.
„Ja, ja, ich weiß und du sollst mir seine Telefonnummer geben, er ist ganz scharf darauf mit mir zu telefonieren, hat mir der Chef eben lang und breit erklärt. Ich glaube BH will nur seine Ruhe haben.“
Moneypenny antwortete: „Das muss ein relativ junger Polizist sein, mit einer ganz sexy Stimme. Ich habe ganz weiche Knie bekommen. Der spricht richtig gut Deutsch. Nicht so das harte Balkan-Deutsch.“
„Jetzt übertreibst du aber“, sagte Helen, „oder willst du, dass ich ihn sofort anrufe um zu prüfen, ob ich auch weiche Knie bekomme?“
„Nee, ich glaube, wenn du ihn anrufst, kriegt der Bursche weiche Knie.“
„Aha“, meinte Helen, „so soll das laufen. Ich halte nichts von Fernbeziehungen und von weich auch überhaupt nichts.“
Moneypenny grinste schräg, wollte etwas sagen, klopfte sich auf den Mund und gab Helen das Bündel Faxe. Es waren mehrere Seiten mit Fotos.
„Sie haben eben nochmals telefoniert“, sagte Moneypenny.
„Danke für den Kaffee. Das Friedensangebot wäre nicht nötig gewesen, wir hatten keinen Krieg.“
„Ich dachte du brauchst das. Ich verstehe, dass du angefressen bist. Aber du musst jetzt nicht zum Schießtraining bei Deo.“
„Ja, Scheiße, dann versucht er wieder einen Termin mit mir alleine zu organisieren. Diese Faxen habe ich so satt. Wenn der mich nochmal anbaggert, trete ich ihm in die Eier.“
„Tja“, sagte Moneypenny, „manche fordern das heraus. Vielleicht will er gerade das. Aber ich habe da noch was. Genaues erzähle ich dir später. BH ist jetzt definitiv wieder solo. Krall ihn dir. Ich weiß doch, dass du auf ihn stehst.“
„Was soll das heißen? Ich schätze seine Qualitäten als Chef der Abteilung.“
„Und ich sehe, wie du ihn anschaust und er dich!“
„Und was hat das mit Deo zu tun?“
„Der schaut dich genauso lechzend an. Deo erwartet, dass du weich wirst. Bei BH ist das etwas neuer.“
Helen sagte dazu nichts, wusste aber auch, dass Deo genau in diese Richtung arbeitete. Dass BH sie derart interessiert anschaute, hatte sie in der Tat noch nicht mitbekommen. Sie nahm den Kaffee und las das Fax und dachte, passt doch ins gesamte Szenario. Sie fasste zusammen:
Auch Marics Jagdrevier wurde ein erkennungsdienstlicher Besuch mit der Spurensicherung abgestattet. Im dortigen Jagdhaus wurden diverse DNA-Spuren und Fingerabdrücke sichergestellt.
Neben noch unbekannten DNA-Spuren fand sich das ganze Muster der bisher am Tatort, in der Schneiderwerkstat und im Bordell-Container nachgewiesenen DNA-Muster. Spannend war das ganze Arsenal von BDSM-Spielzeug. Oder waren es eher Folterwerkzeuge?
Dann dachte sie: Ich sehe nicht richtig. Nach den Brustpiercingringen jetzt das. Eine Zange, wie sie im Video mit Samy benutzt wurde, um ihre Brustwarzen für das Piercing zu fassen, platt zu drücken und zu durchstechen. Weiter gab es jede Menge gynäkologischer Spekula und Uterusfasszangen, Analhaken, Spreizstangen, Ketten, Haken, Seile, Bondage Gestelle, Andreaskreuze, Böcke, Gangbang- Drehteller, Analplugs der großen Größen und überdimensionierte Dildos. Ein sehr merkwürdiges, faustgroßes Drahtgestell konnte sie sich nicht erklären. Sie rief BH an, der gleich am Apparat war, und fragte, ob er wüsste, was das für ein Instrument sei. BH meinte, er habe so etwas in einem Museum des Mittelalters gesehen. Vielleicht sogar im Germanischen Nationalmuseum oder in Rothenburg. Es müsse ein Folterwerkzeug zum Fassen der Zunge sein. Auch damit man sie anschließend abschneiden könne.
„Ihhh“, sagte Helen, „sehr unschön, sieht ansonsten alles so aus, als ob hier nur Frauen in Position gebracht werden sollten. Ich vermisse die klassische Eierfaßzange.“
„Gibt es so was?“, wollte BH wissen. „Kennst du dich da aus?“
„Wenn Frauen foltern dürften, gäbe es so was sicher. Ich kann mir das schon fast bildlich vorstellen.“
„Ernsthaft? Muss ja schmerzen.“
„In diesem Kontext soll es das eventuell sogar.“
„Gibt es da Bilder? Eventuell im Germanischen Nationalmuseum?“
„Weiß ich nicht. Ich kann ja mal so etwas entwerfen.“
„Ich ahne, wem Sie diese Zange anklemmen würden.“
„Bingo! Wem?“
„Ich verkneife es mir, Helen.“
„Sollte aber auch nur fast ein Scherz sein, Chef. Aber wozu braucht man für erotische Spiele Uterusfasszangen?“
„Keine Ahnung, kann mir auch überhaupt nichts Perverses damit vorstellen. Vielleicht finden wir einen Hinweis in den Texten.“
„Klar! Ich hab’s. Die Geschichte der O! Da war was mit einem Ring.“
„Stimmt, ich habe an irgendeiner Stelle einen Zettel angeheftet und gefragt, ob ich das lesen muss. Du wirst das finden, Helen, und es mir erklären.“
„Hinweise auf einen Operationsraum gab es wohl nicht. Jedenfalls waren nur Fotos anbei, die wie aus einem Katalog für BDSM-Artikel bei Amazon, Orion oder einem Fetisch-Versand aussahen.“
„Ja“, meinte BH, „Spielzeug für BDSM-Liebhaber mit überwiegender oder sogar alleiniger Frauenbeteiligung. Du wirst da noch mehr in dieser Richtung finden. Es wird ein Keller unter dem Jagdhaus beschrieben, in dem weitere diverse Gestelle herumstanden, um Frauen für „sexuelle Behandlungen“ zu positionieren. Auch eine Fickmaschine stand da.“
Helen kämpfte sich durch den Bericht. Hier fand man auch reichliche Spermareste, auch Blutspuren. Dieses genetische Material wurde katalogisiert aufgeführt. Ohne große Phantasie konnte sich Helen vorstellen, was da abging. Freiwillig oder gezwungen, hierzu war bisher keine Antwort parat. Die Hütte hatte einen Hausmeister, der von großen Jagdgesellschaften berichtete. Der Hausmeister war auch für die Versorgung von Hunden in einem großen Zwinger am Jagdhaus zuständig. Er erzählte wohl nur das Nötigste um nicht mit seinem Arbeitgeber und auch nicht mit der Polizei in Konflikt zu geraten. Immerhin gab er an, dass Dr. Maric Hödeny meist in Deutschland sei. Er erhielt sein Gehalt immer per Post aus Deutschland. Er gab an, eben erst sein letztes Gehalt erhalten zu haben. Auf dem Postwege. Den Tod von Dr. Maric Hödeny hatte ihm die Polizei verschwiegen. Und
er ließ auch nicht erkennen, dass er davon schon gehört hätte.
Helen kam das alles sehr merkwürdig vor, denn zum Zeitpunkt dieser Durchsuchung war Dr. Maric Hödeny schon mehr als vier Wochen tot. Da war etwas faul oder schlecht recherchiert. Oder schlecht übersetzt. Oder eben wirklich etwas faul.
Bezüglich des Doktor von Eynim ergaben sich für Helen weiter keine neuen Erkenntnisse, es sei denn, er hätte an den diversen Orten in Ungarn genetische Spuren hinterlassen. Um das zu überprüfen, müsste sie an DNA - Material herankommen, dachte Helen, und hatte eine perverse Idee, die sie lieber nicht weiter erörtern wollte. Sie grinste vor sich hin. Ein Frauenheld schien der Doktor auf alle Fälle zu sein. Sie würde ihn ja bald kennen lernen. Dazu musste sie sich noch etwas einfallen lassen, um sicher an seine DNA zu kommen.
Für Helen stellte sich nach den bisherigen Unterlagen ein Fragenkonglomerat dar. Nichts war wirklich klar.
War Dr. von Eynim als Inhaber des Unfallwagens involviert in die Verbrechen? Und wenn ja, wie weit? Mit jeder weiteren Frage wurde der Komplex immer ausgedehnter.
Hatte er die Unfallfahrt veranlasst? Oder warum hatte er Dr. Maric Hödeny den Wagen überlassen?
Wusste er vom Tode Mandys, mit der er ja mal befreundet gewesen war, und von ihrer Ausschlachtung? Ausschlachtung wozu? Wo fand die Ausschlachtung statt? War hier eine Organmafia beteiligt?
Wie waren die Verknüpfungen des Dr. v. Eynim zu dieser postulierten Organmafia?
Wer waren die weiteren Beteiligten?
Wer war der Taxidermist in Sambia?
Wer hatte die Häute der Frauen dorthin geliefert? War es Zufall, dass Dr. von Eynim beim gleichen Taxidermisten in Sambia seine Trophäen präparieren ließ?
Maric und v. Eynim waren Jäger, v. Eynim überließ seinen Wagen Maric.
Von Eynim jagte vielleicht bei Maric. Kannte er das Jagdhaus bei Vesprem? Und wenn, wusste er, was sich da abspielte? War er dabei, wenn dort Frauen gequält und gevögelt wurden? Hatte er Spaß dabei? Maric transportierte die Leiche einer Frau, die seine, von Eynims, Freundin war. In welcher Beziehung stand sie zuletzt zu ihm?
Helen erkannte, dass sie so ganz gegen ihren Willen die Tagebücher der Mandy und die Briefe der Manuela genauer lesen musste.
Borhagen hatte schon jede Menge Zettel mit Namen und tausend Farben eingeklebt. Sie musste notgedrungen auf den gleichen Wissensstand kommen wie ihr Chef.
Ob sie wollte oder nicht, der Abgleich der DNA des Dr. von Eynim mit dem DNA-Pool der ungarischen Polizei hatte dabei echte Priorität. Vielleicht ist er ja einer der vielen, die ihre Spuren in Mandys oder Doreens Körper vor ihrem Tod hinterlassen haben oder auch im Jagdhaus im ungarischen Forst, dachte sie. Apropos Doreen, woher wusste sie überhaupt, dass die Gehäutete Doreen hieß?
Ach ja, Borhagen hatte den Namen auf den Zettel geschrieben. Sie musste einfach alles lesen.
Die eigentliche Sachlage glaubte die federführende deutsche Staatsanwaltschaft durch die Ungarn geklärt zu sehen. Für die noch offenen Fragen war von Seiten der um Amtshilfe gebetenen deutschen Staatsanwaltschaft Unterstützung zugesagt. Hier sollte Borhagen mit seinem Team ansetzen. Nichts war sehr eilig. Überwiegend stützte man sich ja auf die Untersuchungen aus Ungarn bzw. Budapest und die Erkenntnisse der Semmelweiss Universität.
Die ungarische SOKO „BOR“, zu Deutsch „Haut“, wandte sich direkt an die Leitstelle der ehemaligen deutschen Nachfolge-Sonderkommission der SOKO „Weißes Fleisch“. Sie wussten, dass dort Erfahrung mit dem Thema war, wenn auch die Ausgangsbasis eine scheinbar andere war, und die SOKO schon lange aufgelöst war. Jedenfalls war Borhagen als Ansprechpartner bekannt. Man vermutete, dass letztlich wieder der Frauenhandel die Haupttriebfeder war.
Die SOKO „Weißes Fleisch“, hatte vor Jahren sehr erfolgreich den Frauenhandel zwischen Deutschland und Tschechien einerseits, und Ungarn mit der Ukraine und Rumänien andererseits aufgemischt. Man wusste von Zeiten, da jede Woche ein Frauenhändlerring in Tschechien und Ungarn aufgeflogen war, bis ein Lernprozess bei den Händlern einsetzte und sie ihre Vertriebsmethoden und Transportwege änderten. Die Beschaffungsmethoden blieben weitgehend die gleichen. Jetzt nutzte man aber zusätzlich das Internet und die sozialen Netzwerke. Helen wusste, dass neugierige und pubertierende junge Mädchen nicht nur in der Ukraine und Rumänien über Facebook und ähnliche Netzwerke in die Falle von Frauenhändlern gelockt wurden. Auch die Islamisten mischten jetzt mit.
Als der Zeitpunkt des Montagnachmittag-Treffens mit Borhagen näher rückte, hatte Helen schon Raul, ihren Studienfreund und IT Spezialisten, begeistert.
Raul, der über ungeahnte Beziehungen und Möglichkeiten verfügte, hatte schon angefangen, ein spezielles Suchprogramm zu organisieren, das sich auf Körper- und Gesichtserkennung spezialisiert hatte. Ein Programm, das nach mathematischen Prinzipien und biometrischen Daten der von ihm vorgegebenen, bekannten Gesichter und Körper das Internet nach entsprechenden Pornoseiten und Bildern durchsuchen sollte. Diese Beispiel-Gesichter und -Körper würden dann durch die Zielpersonen ersetzt werden. Raul sagte zu Helen, wenn alle, die sich bei Facebook oder Twitter oder anderen sozialen Netzwerken darböten, wüssten, dass man sie auf diese Weise weltweit verfolgen konnte, würde mancher das Posten von Bildern einfach bleiben lassen.
Mandys Tagebuch
Nachdem Helen die gesamte polizeiliche Lektüre quergelesen und Notizen für Fragen vorbereitet hatte, war sie schon bis zu den Tagebuchseiten von Mandy und Manuela vorgedrungen. Kurz hatte sie die Briefe von Manuela überflogen und nachgesehen, welche Schwerpunkte BH mit seinen Markern gesetzt hatte.
Mit deutlicher Zurückhaltung und in Erwartung seichten Gesülzes hatte sie danach begonnen, die handschriftlichen Seiten Mandys, die mal mit Bleistift, mal mit Kugelschreiber, in Ich - Form und teilweise sehr weitschweifig geschrieben waren und die man im Unfallwagen des Dr. Maric Hödeny gefunden hatte, zu lesen und aufzuarbeiten. Schon beim ersten Blättern hatte sie erkannt, dass sie hier eine besondere Qualität zum Lesen bekam.
Auch in diesem Tagebuch fand Helen die vielen Lesezeichen von BH. Nach den Erfahrungen mit den Texten von Manuelas Briefen und Borhagens Hinweis auf genaue Beachtung der Texte, las Helen alles zunächst noch einmal quer und die Seiten, die BH mit Post-its markiert hatte, genauer. Sie sagte sich, bei endlicher Lebenszeit müsse man sorgfältig mit seiner zur Verfügung stehenden Zeit umgehen, auch wenn in diesem Fall die Pornographie vom Staat bezahlt wurde und alles andere als langweilig war. Die Beschreibungen in den Briefen von Manuela könnten sicher etwas für die Porno-Literaturszene sein.
Borhagen hatte unendlich viele Lesezeichen eingeheftet. Auch Post-its mit Randbemerkungen und Fragen, die es zu beantworten galt. Helen machte zunächst eine Zusammenfassung und ging dann auf einige Fragen von Relevanz ein. Den vollständigen Text stellt Helen, wie schon die Texte von Manuela, in einen gesonderten Ordner.
Es waren zwei aneinandergeklebte DIN-A-5-Schreibhefte, die einen Schutzumschlag aus Weihnachtspapier erhalten hatten, grüngrundig, mit roten Weihnachtssternen. Auf die Innenseite des Deckels des ersten Heftes war mit rotem Filzstift eine Widmung an Hagen von Eynim gerichtet:
Lieber Hagen, ich hatte Dich sehr, sehr geliebt. Aber meine Vergangenheit hat mich immer wieder eingeholt. Ich konnte sie Dir meist gut verbergen. Irgendwann sollst Du sie doch direkt von mir erfahren. Nicht über andere. Ich habe versucht alles portionsweise aufzuzeichnen. Die Zeit mit Dir war es mehr als wert.
Keine Unterschrift, wie unterbrochen. Vielleicht hatte sie noch etwas hinzufügen wollen. Oder es war das letzte, was sie geschrieben hatte.
Wider Erwarten war das Geschreibsel von Mandy keineswegs langweilig und auch kein Gesülze. Helen war von der sprachlichen Dichte und vom Inhalt überrascht. Es las sich flüssig und war der Bericht über eine Missbrauchshistorie durch Vertraute und Familienangehörige vom siebenten Lebensjahr bis zu ihrem Tod. An einigen Passagen aus den Tagebüchern von Mandy war sie länger hängen geblieben. Sie war einfach sehr gespannt auf den Inhalt, weil Borhagen überall dort, wo Namen ins Spiel kamen, Zettel eingefügt hatte.
Sie fasste das Gelesene kurz zusammen, das sie zunächst in ihren privaten Rechner eingab, mal knapp, mal etwas ausführlicher, mal wörtlich zitierend. Auch diese Zusammenfassung sollte eventuell schnell ausgedruckt und zur Verfügung gestellt werden können. Auch diese Texte würde sie vor Stefan zurückhalten. BH würde sie morgen einen kurzen und präzisen Bericht über den aktuellen Stand geben. Bisher sah alles nach einem unübersichtlichen Filz aus, in den nur langsam eine Struktur kam.
Dennoch gab es Handlungsstränge zwischen Manuela, Mandy, Doreen, Maric, Dragan und Dr. v. Eynim. Helen fand sie.
Helen hielt sich bei ihrer Zusammenfassung nicht an die Reihenfolge der Texte, denn Mandy hat das niedergeschrieben, was ihr gerade der Erinnerung wert schien, alles ohne eine strenge biographische Reihenfolge. Um alles zu verstehen, musste die
Chronologie gefunden werden.
Als sie ihre „Biographie“ niederzuschreiben begann, war Mandy schon Vollwaise mit ihrem Onkel als Vormund, und lebte in der Wohnung ihrer verstorbenen Eltern. Die Eltern waren, als sie zwölf war, tödlich mit dem Auto verunglückt.
Das ist ja fast eine Parallele zu mir, dachte Helen.
Warum sie vom sechsten bis zwölften Lebensjahr in der Schweiz bei ihrer Großmutter lebte und warum in dieser Zeit die Eltern keine Erwähnung finden, geht aus dem Tagebuch nicht hervor. Sie bezog nach dem Tod der Eltern eine Waisenrente, die ihr Vormund verwaltete. Ihr Taschengeld war jedoch für ihre Verhältnisse so gering, dass sie mit stillschweigender Billigung des Onkels nach der Schule im Service einer Bistrobar arbeitete. Sie sah sehr gut aus und wusste das auch. Sie hatte eine schlanke Figur mit beeindruckender Oberweite und wirkte wesentlich älter, als sie tatsächlich war. Sie hatte genau die richtigen Proportionen für diesen Job und setzte sie auch gekonnt ein. Sie war ein Hingucker und zog die Gäste an. Sie hatte ein freches Mundwerk und war dank ihrer Vorgeschichte schlagfertig mit ihren Antworten, auch auf eindeutige oder obszöne Anspielungen, und lenkte die lüsternen Blicke der Barbesucher auf sich. Sie war immer präsent und man spürte bei jeder ihrer Bewegungen erotisches Vibrieren. Keiner konnte wissen warum. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon fast sechs Jahre voller sexueller Erfahrungen hinter sich. Sie war schon mit zwölf Jahren körperlich voll entwickelt und weiter als manche 18-jährige. Sie hatte mit achteinhalb Jahren ihre erste Periode und schon davor ihre ersten sexuellen Erfahrungen gesammelt. Auf Grund dieser frühen sexuellen Einstimmung war sie immer auf der Suche nach einem neuen Abenteuer. Sie bezeichnete sich selbst als dauergeil. Diese frühen Erlebnisse hatten sie promiskuitiv gemacht.
Mandys sexuelle Biographie begann mit ihrem ersten und sofort erfolgreichen Verführungsversuch auf dem Heuboden. Beim bisher üblichen, spielerischen Balgen im Heu provozierte sie den Tabubruch und öffnete Alfons, dem Stallknecht des Großvaters, die Hose und erlebte die Faszination des Verströmens seines Samens in ihrem Mund. Da war sie etwas über sieben Jahre alt, weit über ihr Alter hinaus körperlich entwickelt. Den Bruch in diesem anfänglich unbeschwerten Verhältnis hat sie selber bewusst herbeigeführt, nachdem sie Alfons beim Liebesspiel mit seiner ebenfalls sehr jungen Freundin beobachtet hatte. Sie sagte sich, das kann ich auch und das kann ich besser. Ich will Alfons haben. Mandy, die mit der Sexualität der Tiere des Bauernhofes sehr vertraut war, wusste alles über den Verkehr der Geschlechter. Der Großvater betrieb eine Deckstation für Schafe und Rinder im Entlebuch bei Luzern. Mandy wusste daher bereits über die Abläufe und Zusammenhänge Bescheid. Nach dem Tabubruch durch diese erste, von ihr provozierte Begegnung war es nur eine Frage der Zeit, bis sie mit Alfons alle Variationen des Liebesspiels im Heu erlebte. Der Tod des Großvaters gab die Möglichkeit zu ungehemmter Freiheit, da Alfons und Mandy nunmehr fast keiner Kontrolle mehr unterlagen. Die Großmutter war alt und gebrechlich und lebte mit ihrer blinden Schwester auf dem Hof, der jetzt von Alfons verwaltet wurde. Nach Mandys früher Menarche mit achteinhalb Jahren brachte ihr Alfons, auch zur Vermeidung einer Schwangerschaft, den Analverkehr als künftigen Hauptverkehrsweg bei. Sie sahen sich täglich auf dem Heuboden. Statt mit Puppen spielte sie mit Alfons und machte schließlich alles, was er wünschte. Schließlich ließ sie sich von Alfons überreden, auch mit anderen Jungs im Stall der Hammel-Deckstation zu verkehren. Sie machten Spiele, bei denen Mandy mit verbundenen Augen erraten musste, wer sie gerade von hinten nahm.
Dann trat der Onkel Richard, der eigentlich ihr Cousin war, in ihr Leben. Onkel Richard war Schweizer Bergbauingenieur und hatte lange Jahre in Südafrika und Namibia im Gold- und Diamantenbergbau gearbeitet. Er war Jäger und Cohiba-Raucher. An ihm testete sie ihre inzwischen vielfältigen Erfahrungen. Onkel Richard ließ sich sehr bereitwillig auf ihre Verführungsversuche ein, zumal sie von der Großmutter nicht verhindert, sondern eher noch unterstützt wurden, da beide aus Platzgründen in einem Bett schlafen mussten. Die Nymphe Mandy verliebte sich in ihren Onkel. Es wurde eine sehr innige Beziehung, die bis zu ihrem frühen Ende nicht an Intensität verlor. Sie gingen in der Schweiz auch gemeinsam auf die Jagd. Alfons fühlte sich durch die Anwesenheit des Onkels, der jetzt seine Stelle bei Mandy übernahm, zurückgesetzt. Er wurde eifersüchtig und sann auf Rache. Als der Onkel wieder häufig im Ausland weilte, war Alfons wieder gefragt. Er verkaufte jetzt Mandys Bereitschaft zum Sex jeder Spielart an seine deutlich älteren Bekannten, die unbedingt mit dem gut entwickelten Teenager schlafen wollten. Alfons verdiente an ihr und kaufte sich davon ein Auto. Der Onkel kam dahinter und Alfons verschwand eines Tages spurlos. Sein Auto wurde unweit des Jagdgebietes des Onkels gefunden. Alfons selber blieb verschollen. Mandy ahnte, dass es Sauen waren, die ihr Onkel an einer besonderen Kirrung mit Schafskadavern angelockt hatte, und die letztendlich für die spurlose Entsorgung zuständig waren.
Dann zog Mandy nach dem Tod der Großmutter wieder nach Deutschland. Die Eltern starben bei einem Autounfall und der Onkel wurde offiziell ihr Vormund. Sie war jetzt zwölf. Onkel Richard hatte längst Mandys Nymphomanie und ihr promiskuitives Potential, das sich nicht mehr nur auf ihn beschränkte, erkannt. Mandy hatte jetzt nach der Schule laufend Affären mit Älteren und besserte damit ihr Taschengeld auf. Onkel Richard steuerte das ab sofort und beauftragte Dragan, sie im Bistro anzustellen und zu seiner Nutte aufzubauen. Zu diesem Zweck wurde sie laut Schweizer Ausweis (Typ 85) fünf Jahre älter gemacht.
Als sie richtig für Dragan arbeitete, brachte Onkel Richard Maric ins Spiel, der Dragans Imperium übernahm und sie neben Doreen als seine Edelnutte arbeiten ließ. Doktor von Eynim wurde eine Zeitlang vom Freier zum Geliebten. Mit Doreen war sie häufig in Ungarn in einem Offiziersbordell von Maric. Dann kam ihr mysteriöses Ende. Doreen verschwand und Mandy wurde beim Unfall in Ungarn tot und ausgeweidet gefunden.
Helen hatte alles kommentarlos gelesen und zusammengefasst. BH hatte bis hierher schon einige Post-its angehängt und bemerkt, dass das Geflecht sich um Dragan und Maric verdichtete und Richard hinzukam. Man sollte vielleicht doch die Schweizer Kollegen nochmals aktivieren, nach Spuren von Alfons zu suchen, nachdem Mandy so eindeutige Hinweise in ihrem Tagebuch gab und den Platz der Saukirrung beschrieb.
BH hatte auf die Post-its geschrieben:
„Mandys Pass überprüfen! Bei den Schweizer Behörden nach Alfons nachfragen.
DNA-Spuren von Alfons an der Kirrung? Hat Richard Mandy bewusst mit Dragan bekannt gemacht hatte, um sie in die Prostitution zu führen, weil er wusste, dass sie ohnehin schon äußerst promiskuitiv war, sodass der nächste Schritt logisch und leicht sein würde? Vielleicht wollte er sich auch auf diese Weise an ihr rächen. Vielleicht hat er auch an ihr über Dragan mitverdient?“
Helen kam ins Grübeln. Wie alt war Richard heute? Mitte 50 schätzte Helen. Sie verstand, warum BH nach Richard suchen wollte. Hatte Richard Alfons vor seinem Verschwinden noch befragen können? Zu einem Geständnis zwingen können? Hatte Richard womöglich Alfons verschwinden lassen, wie es Mandy zwischen den Zeilen andeutete? Eine Überlegung, die sich anbot.
Helen würde also auch mit den Schweizer Kollegen Kontakt aufnehmen müssen. Man musste auch überprüfen, ob ihr Schweizer Pass echt oder gefälscht war. Man musste auch nach Richard suchen und auch nach dem Schmuck. Helen hatte die Stelle mit dem Schmuck überlesen. Ja, stimmt, sagte sie sich, Richard hatte Mandy laufend Tansanite und Demantoide aus Südafrika geschenkt. Mandy erwähnte tatsächlich, dass sie einige der Ringe täglich getragen hatte.
Von diesem Schmuck hatte man bei Mandy nichts gefunden. Würden wohl andere jetzt haben. Helen fand, dass dieser Schmuck durch die Steine so besonders wertvoll wurde. Richard hatte Mandy mit diesem Schmuck quasi entschädigt. Er musste wohl insgesamt sehr wertvoll gewesen sein.
Aber noch etwas fiel ihr auf.
Das hatte BH seinerseits wohl überlesen. War ja auch kein Wunder. Diese Lektüre würde BH auch nicht ganz unberührt gelassen haben. Sie notierte:
Richard hat wohl Cohiba geraucht. In der Schneiderei fand man auch Reste von Cohiba-Zigarren. Das muss mit BH besprochen werden. Wenn das der gleiche Raucher ist, dann haben wir eine DNA-Spur von Richard. Ich muss noch einmal nachlesen, ob die DNA-Spuren an Mandys Ausweis mit der DNA an den Szeged-Zigarren identisch sind. Man vergisst das ja prompt. Dann war Richard auch in der Schneiderei und hat mit den Verbrechen mehr zu tun als bisher angenommen. Aber da war noch ein anderer Cohiba Raucher, oder Mitraucher.
An einer dieser Stellen schreibt Mandy über den Zuhälter Dragan:
„Ich kann verstehen, dass Frauen ihm hörig wurden, wie auch ich. Sein Schwanz war die Waffe, mit der er seine Frauen erst breit und dann bereit machte, ihm bedingungslos zu gehorchen. Er war stark, hart und ausdauernd und immer bereit. Es war einfach sensationell, von ihm gevögelt zu werden. Doreen war nur eine von vielen, die mit dieser Waffe hörig gemacht wurden. Seine animalische Männlichkeit war beeindruckend und zwang zur Unterwerfung. Ohne hierbei seine daraus resultierenden kriminellen Machenschaften beschönigen zu wollen. Er hat einfach alle Mädchen schnell willig und hörig gevögelt.“
Die Funktion Dragans beschrieb Helen für sich zunächst als Erwecker eines jeden Dornröschens, das sich in seinen Fängen verwickelte. Er machte die unerfahrenen, pubertierenden Mädchen durch sein dominantes Auftreten neugierig und schließlich mit seiner sexuellen Potenz abhängig, und nutzte das aus, indem er sie schrittweise in die Prostitution führte und sie für sich arbeiten ließ. Einige machten bei ihm und seinen Geschäftspartnern Karriere als Edelnutten und verdienten dann auch selber sehr viel Geld. Er ließ sie teilhaben und schützte sie, solange sie kooperativ waren. Waren sie widerspenstig, waren sie einfach irgendwann verschwunden.
Mandy schreibt, nachdem sie von Dragan „eingeritten“ worden war, wie sie es selber formulierte: „Sein wohlgebauter, starker Körper mit den harten Muskeln bot, natürlich ganz besonders nackt, einen überwältigenden Anblick, der den Mädchen sofort weiche Knie machte. Sein fettloser, stahlharter Bauch ging in eine ebenso beeindruckende, stahlharte Männlichkeit über. Der Drang, sein prachtvolles Exemplar in die Hand zu nehmen und seine samtige Spitze freizulegen, um sie im Mund explodieren zu lassen, seine Hoden zu ergreifen, überwältigte mich einfach jedes Mal. Das ging den anderen Mädchen nicht anders. Wenn er mich dann anfasste und auseinanderfaltete, stieß er immer in eine schon völlig nasse und bereite Tiefe, um mich dann ohne Unterlass bis zur Bewusstlosigkeit zu vögeln.
So war es kein Wunder, dass ich mich später, als er mich schon an Maric verkauft hatte, bei jedem Wiedersehen sofort wieder für ihn hinlegte, als hätten wir uns erst gestern das letzte Mal gesehen.“
Helen war von dieser Fülle erotisch-pornographischer Beschreibungen, die keine Details ausließen, sehr überrascht. Sie war fasziniert von der Deutlichkeit und fast schon brutalen Beschreibung der Pracht und Schönheit des erigierten Penis und der erregenden Elastizität und Schwere der Hoden in ihrem Beutel, von dem Drang, alles mit den Händen zu greifen und diese Teile im Mund zu haben, das Sperma zu schlucken. Sie wusste, wie problematisch es für Männer sein musste, von einer Frau im Wesentlichen über ein attraktives und gut funktionierendes Genital definiert zu werden, was in Mandys Beschreibung zweifellos stattfand. Helen musste unumwunden zugeben, dass sie diese Faszination für einen perfekt arbeitenden männlichen Apparat mit Mandy teilte. Es würde sich auch für mich lohnen, Dragan kennenzulernen, dachte sie. Sie war stark angeregt von Mandys Beschreibungen. Sie verstand ihren Chef gut, der die Problematik schon angedeutet hatte. Man durfte trotz der Pornographie nicht den Faden verlieren.
Helen sah, dass Mandy, kurz auf einen Nenner gebracht, sich auf Initiative und Wunsch ihres Onkels Richard für Dragan prostituiert hatte und dass diese Entwicklung mit einer kontinuierlichen, von jahrelangem Missbrauch durch Alfons, ihren Onkel und andere bewirkten Promiskuität und Ausweitung bzw. Entgrenzung der Tabuzonen einhergegangen war. Helen war überrascht, mit wie wenig Aufregung Mandy ihren „Verkauf“ an Maric zur Kenntnis nahm. Sie beschrieb den Vorgang, als ob es etwas ganz Selbstverständliches wäre.
Helen fasste weiter zusammen:
Im Folgenden berichtete Mandy über den Beginn einer freundschaftlichen Beziehung zu Doreen, die sie im Club von Dragan kennenlernte und als klassische Hure mit Niveau beschrieb. Sie ließ sich auch ausführlich über Doreens körperliche Vorzüge aus. Sie berichtete, dass sie gemeinsam im Bordell von Maric in Ungarn waren und dort absolut jede Art der körperlichen Hingabe an Freier mitmachten. Doreen hatte auch den Verkehr mit den Hunden von Maric perfektioniert und mit Lust praktiziert. Mandy bewunderte Doreen wegen ihrer Schönheit und der Eleganz, die sie auch beim Sex unter „Folterbedingungen und mit den Hunden“ nicht verlor. Mandy hielt weiter fest, dass Doreen vor ihr die Geliebte von Hagen von Eynim war.
Die Sprache Mandys war meist eher sachlich und direkt. Sie benannte alles ohne Schnörkel. Gegen Ende des Tagebuches wurden die Einträge knapper. Mandy erwähnte, dass sie große Brustimplantate erhielt und ähnliche kosmetische Korrekturen erfuhr wie Doreen. Die Lippen wurden etwas aufgespritzt und ihre Schamlippen drastisch verkürzt. Das Rein-Raus ging jetzt reibungsloser. Dann wurde Doreen vaginal zum Transportmedium chirurgisch verändert und auf Reisen geschickt. Mandy erwähnte, dass Maric auch sie im gleichen Sinne operieren wollte.
Hier hat BH wieder Zeichen gesetzt: Ist das vielleicht die Erklärung für ihren Tod?
Eine missglückte Darm-Vagina-Operation, schrieb er. Doreen als Drogenkurier?!
Sollte Mandy auch diesen Weg gehen?
Helen musste konstatieren, dass eine Menge Erklärungen zu dem „Fall“ in Mandys Tagebuch zu finden waren. Sie war beeindruckt und wusste, dass sie das eine oder andere nochmals nachlesen musste. Die Fülle der erwähnten sexuellen Erlebnisse sollte auf Verstöße gegen geltendes Recht überprüft werden, theoretisierte sie, wusste aber auch, dass das im Moment marginal und ohne Relevanz war.
Das „Snuff-Video“
Es war kurz vor 16 Uhr und Zeit, sich ins Büro von Borhagen zur privaten Video- Vorführung zu begeben. Sie war so vertieft gewesen, dass sie diesen Termin verpasst hatte. Sie war gefangen von Details der Lektüre und machte sich Notizen für die weitere Recherche.
Bis zu diesem Zeitpunkt war Helen noch nicht klar, wo die besondere Rolle eines
Dr. v. Eynim sein sollte. Bisher war er ihr nicht weiter verdächtig aufgefallen. Einziger Hinweis war die Erwähnung im Schreiben von Uschi Steinmüller, seine Rolle als Liebhaber von Doreen, Manuela und Mandy. Gut, Doreen und Mandy waren Opfer von Verbrechen geworden. Aber es ergaben sich in den Unterlagen keine Hinweise auf eine Beteiligung des Doktors. Jedenfalls war ihr keiner aufgefallen. Helen war gespannt, ob ihr Borhagen Aufklärung über seinen Informationsvorsprung geben würde. Sie wollte es jedenfalls wissen.
Kurz nach 16 Uhr erinnerte sie sich an den Termin und beeilte sich, um noch so halbwegs pünktlich zu sein. Sie musste ja nur das Sekretariat passieren. Sozusagen etwas mehr als fünf Meter.
Borhagen war auch noch beschäftigt und wartete noch nicht. So gab es keinen unnötigen Stress. Helen nahm schon mal Platz auf dem rechten der bereitstehenden Stühle, vor dem Wand-TV- Schirm. Auf dem linken Stuhl lag die Fernbedienung des Beamers. Borhagen hatte den Beamer schon eingeschaltet und warmlaufen lassen.
Es war nahezu unerträglich warm in seinem Arbeitszimmer. Und jetzt noch die Wärme des Beamers. Auf dem Schreibtisch stand der angekündigte Cognac mit zwei Gläsern. Neugierig schaute sie sich die Flasche an. Sie war kein Cognac-Kenner. Hier stand jetzt ein Hennessy. Den hatte sie schon einmal getrunken. Der schmeckt nach Seife, dachte sie. Das war ein frühes Erlebnis. Deshalb war sie nie zum Cognac-Liebhaber geworden. Egal, die Wirkung machte den Alkohol.
Als das Telefonat beendet war, setzte sich Borhagen links neben Helen und legte ihr
dar, was die Staatsanwaltschaft von der Übernahme des Auftrags durch ihre Abteilung erwartete. Die Erfahrungen vorangegangener, erfolgreicher Ermittlungen waren der Hauptgrund. Nebenbei auch die Dokumentation, an der sie beide arbeiteten. Borhagen beschrieb dann weiter, wie er Helens Aufgabe in diesem Fall sah: offene Diskussionen und offene Darlegung der Fahndungsziele mit gegenseitiger vollständiger Information über alle erzielten Ergebnisse. Zwei Mal wöchentlich Abgleich der Fakten, einmal wöchentlich Stand der Ergebnisse und Weiterentwicklung der Arbeitshypothese. Eigentlich nichts Neues. Es musste nur mal wieder gesagt werden.
„Und das Wichtigste ist, absolutes Stillschweigen gegenüber Allen.“ Nur er und Helen seien vorläufig involviert. Jede weitere Einweihung musste abgesprochen werden. Helen wollte wissen, was die Gründe für die Geheimhaltung waren. Die Korruption im ungarischen Polizeiapparat und die vermutete Involvierung deutscher Stellen. Hier nichts Konkretes. Wenn sie mit Stefan als Helfer einverstanden wäre, sei das für ihn in Ordnung.
Helen konnte nur sagen, „ich kann Stefan überhaupt nicht beurteilen“, und dachte, eigentlich wollte ich ihn auf ganz andere Art kennenlernen, nachdem er ihr körperlich attraktiv vorkam.
Borhagen sagte, diese Geheimhaltung sei seine ganz persönliche Entscheidung. Dann schwenkte er zum Film über.