Wessen Erinnerung zählt?

Wessen Erinnerung zählt?
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Описание книги

Als das Deutsche Reich am 28. Juni 1919 den Vertrag von Versailles unterzeichnete, gingen die überseeischen Kolonien an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs über. Lange vergessen, kehrt die Kolonialperiode in Ländern wie Namibia, Kamerun oder Ruanda in den letzten Jahren in die Erinnerung zurück. Was bedeutet dieses Wiederauftauchen für die Bundesrepublik? Müsste in der »postkolonialen« Sichtweise nicht auch das deutsche Eroberungsstreben in Richtung Osten eine Rolle spielen? Die neue Erinnerungskultur hat gravierende Auswirkungen für das Selbstverständnis eines Landes, dessen Bevölkerung immer diverser wird. Der lange Schatten der deutschen »Kulturmission« findet sich heute etwa im Umgang mit der »Schuldenkrise«, mit Migration und Flucht und im alltäglichen Rassismus.
Mark Terkessidis, renommierter Migrations- und Rassismusforscher, macht mit seinem Blick in die Vergangenheit aktuelle Debatten nachvollziehbar und zeigt, an welchen Stellen sie in eine neue Richtung gelenkt werden müssen. Zudem macht er sichtbar, welche Fragen sich ergeben, wenn auch die Erinnerung jener zählt, die eingewandert und damit Teil der Gesellschaft geworden sind.

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Mark Terkessidis. Wessen Erinnerung zählt?

Vorwort

Kapitel 1 Auf den Spuren von Kolumbus. Deutsche Kaufleute erobern Amerika

»Entdeckung«: Gewalt und Monolog

Die Bilanz der »Entdeckungen«

Humboldt »entdeckt« Amerika noch mal

Antikolonial auf der Weltkugel sitzen

Deutsche Ansprüche auf Amerika

Deutsche Kolonisten, Händler und Kriegsschiffe in den Tropen

Berlin als tropische Metropole

Große Entdecker im Humboldt-Forum

Vergangenheitsbewältigung im Museum

Die Sammlung des Kolonialmuseums

Nicht unser Kolonialismus

Die Gewalt von Forschungsreisen

Die Diskussion um Rückgabe und Erinnerung

Kapitel 2 Unser Beitrag zur Globalisierung. Die Kanzlerin entdeckt die Globalisierung

Der Kaiser liebt die Muslime

Dschihadisten und Moscheen in Brandenburg

Im humanitären Einsatz, diesmal gegen den Islam

Die Großmächte teilen solidarisch die Welt auf

Das Reich schützt Afrika

Die Kolonisierten wollen nicht beschützt werden

Vernichtung, Umsiedlung, Reform

Wissen im kolonialen System

Neue Selbstwahrnehmungen

Der Traum vom Reich und die ernüchternde Realität

Die deutsche imperiale/koloniale Perspektive

Der Untergang des Abendlandes

Kapitel 3 Die Osterweiterung der Erinnerung »Unser Indien« im Osten

Ist es Kolonialismus?

Preußen »peupliert« den Osten

Die Demokratisierung der Ostkolonien

Jenseits von Polen: Assimilation und Verdrängung

Den Raum germanisieren

Kulturmission und Pessimismus

Ludendorff in Ober Ost

Eingekreist von den »farbigen Völkern«

Völkermord und Vertreibung in Anatolien

»Rassisches« Aufräumen im Osten

Nationale Stereotype oder Kolonialrassismus

Kryptokoloniales Griechenland

Wessen Erbe ist die Antike?

Die Neugriechen: unzuverlässige, barbarische Kinder

Geschichtslosigkeit als Genuss

Schulden und Schuld in postimperialen Beziehungen

Kapitel 4 Erinnerung außer Konkurrenz. Die erweiterte Erinnerung

Erinnerung im Konflikt

Postimperiale Verflechtungen

Kompetitive Erinnerung

Autorität der Erinnerung

Postkolonial, dekolonial, postimperial

Kontrapunktische Herangehensweisen

Rückgabe und darüber hinaus

Die Vertiefung der Demokratie

Verwendete Literatur

Über Mark Terkessidis

Impressum

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Mark Terkessidis

Wessen Erinnerung zählt?

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Heute existiert zu vielen Staaten ein Verhältnis, das als postkolonial oder postimperial bezeichnet werden kann. Die Migration aus solchen Staaten hat dazu geführt, dass Erinnerungen aus anderen Kontexten mehr und mehr eine Rolle bei »uns« spielen. In Sachen Kolonialismus waren es häufig – mit Rückenwind aus den Vereinigten Staaten – schwarze Menschen in Deutschland oder »People of Color«, die die jüngsten Debatten angestoßen haben. Zugleich hat die »Flüchtlingskrise« gezeigt, wie sehr der »Export-Europameister« mittendrin in den Konflikten der Welt ist. Die meisten dieser Konflikte sind keineswegs einfach nach Deutschland »importiert« worden, wie oft behauptet wird, sondern »wir« waren an deren Entstehung häufig beteiligt.

Mit der Debatte über die koloniale Vergangenheit geht auch eine Debatte über Rassismus einher. Das haben nicht zuletzt die Reaktionen auf den Hashtag »#MeTwo« 2018 gezeigt. Der war initiiert worden, nachdem der Fußballspieler Mesut Özil dem Deutschen Fußballbund Rassismus vorgeworfen hatte. Unter diesem Hashtag berichteten dann viele Personen über ihre alltäglichen Ausgrenzungserlebnisse. Früher wurde das Wort »Rassismus« in Deutschland ungern verwendet, weil es zu sehr an die Zeit des Nationalsozialismus erinnerte. Doch Begriffe wie »Ausländerfeindlichkeit« oder »Fremdenfeindlichkeit«, die als Behelfskonstruktionen dienten, erscheinen heute kaum noch angemessen. Ich erinnere mich daran, wie ich 2013 von einer Presseagentur zum Thema Rassismus angerufen wurde. Es ging um einen Streit in der FDP, um Bemerkungen des FDP-Fraktionschefs im Bundestag und des Landesvorsitzenden der FDP Hessen über den Parteikollegen Philipp Rösler. Beide hatten die vietnamesische Herkunft Röslers in abwertender Weise ins Spiel gebracht. Nun war die Frage, ob das als Rassismus bezeichnet werden könne. Meine Antwort lautete Ja. Zu jenem Zeitpunkt war Philipp Rösler der deutsche Vizekanzler, und der deutsche Vizekanzler kann per se weder Ausländer noch Fremder sein. Wie also sollte das Phänomen anders bezeichnet werden? Rassismus hat heute nicht mehr zwangsläufig etwas mit Biologie oder »Rasse« zu tun. In diesem Buch wird dafür plädiert, über ein strukturelles Problem zu sprechen, das Rassismus heißt. Imperiale Ausdehnung und Kolonialherrschaft gehören zur Geschichte des Rassismus, und ebenso haben diese historischen Herrschaftsformen immer noch Auswirkungen darauf, wie Rassismus heute funktioniert.

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