Kosmopolitismus

Kosmopolitismus
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Der Kyniker Diogenes von Sinope (5./4. Jh. v.Chr.) soll auf die Frage nach seiner Herkunft geantwortet haben, er sei ein »Weltbürger« (Kosmopolit). Seine Weigerung, sich über seine Abstammung oder soziale Position zu definieren, ist Ausdruck einer moralisch geprägten Herangehensweise an die Politik, die auf eine allen Menschen gemeinsame Humanität fokussiert. Nussbaum verfolgt das kosmopolitische Ideal von den griechischen Stoikern und Cicero über Hugo Grotius, Immanuel Kant und Adam Smith bis in unsere moderne Welt. Trotz seiner unbestreitbaren Verdienste hat es ihrer Ansicht nach auch Mängel, denen man sich stellen muss. So wurde die Idee materieller Hilfe als entscheidender Faktor, um Würde und Gerechtigkeit zu erreichen, in der Rhetorik der Gleichheit viel zu häufig vernachlässigt. Bei den Lösungsvorschlägen für die aufgezeigten Defizite des Kosmopolitismus greift Nussbaum auf den von ihr mitentwickelten Fähigkeitenansatz zurück.

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Martha Nussbaum. Kosmopolitismus

Kosmopolitismus. Revision eines Ideals

Impressum

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Inhalt

KAPITEL 1. Bürger einer Welt. I. Bürger des Kosmos

Kapitel 2. Pflichten der Gerechtigkeit, Pflichten der materiellen Hilfeleistung

I. Die Bibel der Staatsmänner

II. Pflichten der Gerechtigkeit

III. Pflichten der materiellen Hilfeleistung

IV. Eine verborgene Sicht des Guten

V. Besteht diese Unterscheidung zu Recht?

VI. Was bleibt von der Zweiteilung der Pflichten?

Kapitel 3. Der Wert der Menschenwürde

I. Weltbürger

II. Kynische Anfänge

III. Stoische Unabhängigkeit

IV. Kosmopoliten über die Beeinträchtigungen des Glücks

V. Erneuerung der stoischen Position

VI. Partikularistische Leidenschaften

Kapitel 4. Grotius

I. Die Tradition in die moderne Welt übertragen

II. Staaten, Pluralismus, Autonomie

III. Das Naturrecht und die Welt souveräner Staaten

IV. Das Kriegsrecht: ius gentium und ius naturale

V. Das Individuum als Subjekt: Humanitäre Intervention

VI. Pflichten der materiellen Hilfe?

VII. Die Idee der internationalen Gesellschaft

Kapitel 5. „Verstümmelt und deformiert“

I. Die stoische Tradition und materielle Bedürftigkeit

II. Die Würde des Austauschs

III. Die materiellen Grundlagen menschlicher Fähigkeiten

IV. Skizzen einer transnationalen Politik

V. Stoizismus in der Theorie der ethischen Gefühle: Gerechtigkeit und Wohltätigkeit

VI. Stoizismus in der Theorie der ethischen Gefühle: Äußere Güter und Selbstbeherrschung

VII. Macho-Stoizismus und Menschenwürde

Kapitel 6. Die Tradition und die Welt von heute

I. Die kosmische Stadt heute

II. Erstes Problem: Moralpsychologie

III. Zweites Problem: Pluralismus und politischer Liberalismus

IV. Drittes Problem: Grenzen der internationalen Menschenrechte

V. Viertes Problem: Die Unwirksamkeit und die moralischen Schwierigkeiten der Entwicklungshilfe

VI. Fünftes Problem: Asyl und Migration

Kapitel 7. Vom Kosmopolitismus zum Fähigkeitenansatz

I. Der FA: Motivationen und Forderungen

II. Gerechtigkeit und materielle Hilfe: Keine Zweiteilung

III. Die Nation und die internationale Gesellschaft

IV. Politischer Liberalismus im In- und Ausland

V. Die Grundlagen herausfordern: Viele Wesen, viele Arten von Würde

Auswahlbibliografie

Danksagung

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Martha Nussbaum

Aus dem Englischen von

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Zweitens stelle ich mich einem Problem, das sich aus der Vielzahl der „umfassenden Lebenslehren“ der Menschen ergibt, das heißt aus ihren religiös oder säkular geprägten Ansichten darüber, worin das beste menschliche Leben besteht. Vertreter eines Weltbürgertums neigten zu der Auffassung, dass nur eine einzige, normative Sichtweise die richtige ist und dass die Menschen in Übereinstimmung mit dieser regiert werden könnten. Die Zeitgenossen von Grotius, und mehr noch diejenigen von Smith, dachten jedoch bereits anders: Religionsfreiheit und das Zulassen abweichender, dem Establishment widersprechender Auffassungen sind ihrer Meinung nach Schlüsselelemente einer guten staatlichen Ordnung. Die Idee des Weltbürgertums muss sich in Anerkennung dieser Vorstellung allerdings wandeln. Ich diskutiere, und verteidige, die verallgemeinerte Form dieser Idee der Abweichung vom Establishment, die John Rawls als „politischen Liberalismus“ bezeichnet hat: die Idee, dass politische Prinzipien nicht auf einer einzigen, allumfassenden Lebenslehre aufbauen, sondern Sektierertum so weit wie möglich vermeiden sollten, wobei ich allerdings einige grundlegende moralische Lehren befürworte, die in der Lage sein könnten, einen „überlappenden Konsens“ zwischen den Vertretern sämtlicher vernünftiger, allumfassender Lebenslehren zu erzielen. Im Anschluss daran versuche ich zu zeigen, wie sich diese Idee auf zwischenstaatliche Beziehungen übertragen lässt und welche Art von internationaler Gemeinschaft sie begründet. Bezüglich dieser Frage bedarf die Idee des Weltbürgertums einer grundlegenden Änderung, doch kann viel von ihrem Inhalt erhalten werden, wie die internationale Menschenrechtsbewegung, die nach Maritain bereits eine Form des politischen Liberalismus war, uns zeigt.

Unsere nächsten beiden Probleme sind komplizierter. Beide entstehen durch die Anerkennung der Tatsache, dass die Nation eine Einheit von praktischer und normativer Bedeutung ist. Nach Grotius ist sie in normativer Hinsicht zentral, da sie die größte Einheit ist, die ein wirksames Instrument menschlicher Autonomie darstellt und dem politischen Willen der Menschen verantwortlich ist. Sie ist außerdem von großer praktischer Bedeutung, weil ihre Institutionen in der heutigen Welt über große Macht verfügen: als Räume, in denen sowohl die Pflichten der Gerechtigkeit als auch der materiellen Hilfeleistung verwirklicht werden. Wäre die Nation nicht in normativer Hinsicht zentral, könnten wir sie in ihrer praktischen Rolle ersetzen wollen; doch sollte ihre normative Bedeutung solche Bestrebungen zügeln.

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