Отрывок из книги
Martin Arz
Fettie macht ’ne Arschbombe
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Während Carsten zunächst noch eher bereit war, Geld zu geben, nun zusehends abstumpft und garstigerweise den kreischenden Bettlern auf ihr »One Dollah!« ein freches, ihrem Pidgin-Englisch angeglichenes »No have!« antwortet, verläuft bei mir der Prozess anders herum. Ich entstumpfe langsam, weiß, dass ich es nicht tun sollte. Vernünftiger wäre es, von den Erwachsenen T-Shirts oder Postkarten, die fast nichts kosten, in Massen zu kaufen. Das fördert – im Gegensatz zu Almosen. Trotzdem gebe ich zaghaft mal 20 Baht, mal nur zehn. Doch wo anfangen und wo aufhören? Gewiss gar nicht anfangen bei dem Angebot, das uns gleich mehrere Polizisten zukommen lassen: Sie wollen uns ihre Dienstmarken andrehen. »Nice souvenir!« Für nur fünf Dollar das Stück. Und man versichert uns, dass der Verlust der Marke für den Polizisten kein Problem sei. »I have quinze à la maison.« Nun sehen diese Marken wirklich hübsch und dank der Schrift auch exotisch aus, doch weniger hübsch und exotisch stellen wir uns vor, was passiert, wenn wir an der Grenze gefilzt werden und die Dinger im Gepäck haben. Garantiert wurde irgendwann in den letzten Wochen ein kambodschanischer Bulle ermordet und ohne Dienstmarke aufgefunden. Da sitzt man schneller in der Todeszelle, als einem lieb ist. Ry klärt uns auf, dass die Polizei seit zig Monaten keine Gehälter mehr ausgezahlt bekommen hat. Immerhin sind wir dankbar, dass die Bullen uns nur ihre Dienstmarken verscherbeln wollen, und uns nicht, wie der Reiseführer eindringlich warnt, einfach mit vorgehaltener Dienstwaffe ausrauben.
Für Ry muss der Tag bisher die Hölle gewesen sein. Angestachelt von uns schwarzen Schafen und der individuell herumkugelnden Berlinerin, haben plötzlich alle (ausgenommen die immer sauertöpfischer dreinblickenden Schweizer) mit zahllosen Sonderwünschen, äußerst flexibler Zeiteinteilung und Extrastopps an nicht vorgesehenen Sehenswürdigkeiten den Plan völlig auf den Kopf gestellt. Doch nun, wo Ry uns schon mal so schön zusammen hat, bugsiert er uns kurzerhand in den Bus. Heute Abend entkommen wir dem Sonnenuntergang nicht. Ry karrt uns zum Phnom (»Das Phnom bei uns in Kambodschah isse Berg!«) Bakheng. Schon finden wir uns mitten in einem Gewusel von Bussen, Taxen und Mopeds, die einen endlosen Strom an (hauptsächlich japanischen) Touristen am Fuße des Phnom abladen. Für Gutbetuchte stehen für 15 Dollar pro Person Elefanten bereit, auf deren Rücken der Aufstieg bequem zu bewältigen ist. Die dicke Berlinerin verweigert erstmals komplett die Gefolgschaft und verzieht sich samt Videokamera zu den Getränkebuden am Parkplatz. Ry erbarmt sich unseres greisen Alleinreisenden und führt ihn auf dem Elefantentrampelpfad zum Gipfel. Der alte Mann trotzt tapfer der Hitze und den Strapazen und macht entgegen anders lautender Wetten keine Sekunde schlapp. Schweißgebadet, kurzatmig und der Optik nach kurz vorm Herzstillstand zwar, aber er hält durch. Völlig schweißgebadet sind auch wir Fußvolk, die wir den »kurzen« Weg nach oben wählen und eine beinahe senkrechte Steilwand aus losem Geröll hochklettern müssen. Mitten im Geröll haben sich erschwerend bettelnde Minenopfer mit bloßen Bein- und Armstümpfen postiert. Heilfroh, endlich oben zu sein und den Sonnenuntergang genießen zu können, eröffnet sich dem Kletterer eine weitere Hürde: Auf dem Berggipfel befindet sich eine Tempelpyramide, die es noch zu erklimmen gilt, um den ultimativen Blick zu haben. Ich sage nur: »Steiltreppe, alle fünf Meter ein Stüfchen.« Oben tobt das Leben. Sundown auf Phnom Bakheng scheint der angesagte Event zu sein. Wir wähnen uns in einem polaren Land oder dem Epizentum einer ansteckenden Pandemie. Japaner über Japaner in den abenteuerlichsten Verhüllungen, damit kein Sonnenstrahl die empfindliche Haut berührt, dazu Mund-, Augen- und Sonstwas-Schutz. Vor allem die Damen tragen die wildesten Aufbauten rings um den Kopf, die sie wie futuristische Stahlschweißerinnen aussehen lassen, um sich vor der Sonne zu schützen. Wir finden letztlich noch ein japanerfreies Steinchen und warten freudig erregt auf das Naturschauspiel.
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