Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen
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Martin Löschmann. Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen
Inhalt
Annäherungen
Den Berg haben die Polen abgetragen
Ohne Schlittschuhe in den Krieg geschlittert
Familientreffen in Abwesenheit von Onkel Hugo
Klassentreffen – Wiederbegegnung mit Zeitz in Zeitz
Abgelehnt und doch studiert
Kam ein Schwamm geflogen
Mein Herder-Institut lob ich mir
Aus den Fugen geraten – In Finnland
Verjagt aus keinem guten Grund
Nun ade, du mein lieb’ Institut
Mit 60 als Anglist zum ersten Male in England
China, China
Wenn Russland für deutsche Kleingeister zu groß bleibt
Sehnsuchtsort Berlin – Zu Hause
Die letzten Worte
Verzeichnis der Abbildungen
Отрывок из книги
Martin Löschmann
UNERHÖRTE ERINNERUNGEN EINES SONSTIGEN
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Vieles war wie früher. In der Wohnstube die schwarze Anrichte, in der Mitte der stabile Esstisch, sechs Stühle zählte ich, ein Sofa, an das ich mich nicht erinnern konnte. Und ein Bild der Maria hing nun zwischen den Fenstern im Wohnzimmer, dort, wo früher ein Ölgemälde hing. Mein Vater hatte es zur Zeit der Inflation mit einer Fuhre Korn erworben. Ja, das war derselbe große Tisch, an dem sich unsere Familie versammelte. Suppen werden sichtbar, die uns Kinder nicht behagten: Erbsensuppe, Kartoffelsuppe nun ja, Linseneintopf, wenn da nicht dieser Speck drin gewesen wäre, und dazu dieses Würgegericht aus Gänseklein, Backobst und Kartoffelklößen, die gerade erwähnte süßsaure Blutsuppe, die es buchstäblich immer gab, wurden Gänse geschlachtet, meistens acht bis zehn auf einen Schlag. Zugleich sehe ich Pellkartoffeln und Hering, kulinarische Höhepunkte: Plinsen, aus Buchweizenmehl und geriebenen Kartoffeln, Obstsuppe, Vanillepudding, rote Grütze, selbst gebackenen Kuchen, Hefe-, Streusel-, Johannisbeer-, Stachelbeerkuchen.
Es wird Kaffee gebracht, Käse- und Schmalzstullen aufgetischt. Tochter Theresa kommt mit ihren zwei Kindern herein, sie bewohnt offensichtlich die zwei Zimmer, die links vom Eingang liegen und das Altenteil unserer Oma waren. Sie lebte sehr zurückgezogen, schlief auf einem Strohsack, strickte und stopfte unsere Strümpfe, las in der Bibel, sang Kirchenlieder, oft Eine feste Burg ist unser Gott – von Heine als „Marseiller Hymne der Reformation“, von Friedrich Engels als „Marseillaise der Bauernkriege“ bezeichnet und von mir auf der Silvesterparty der Uni zum Lutherjahr 83, leicht alkoholisiert lautstark skandiert. Unsere Oma, Mutter von sieben Kindern, hat sich in Abständen bei meiner Mutter darüber beschwert, dass sowohl meine zwei Jahre ältere Schwester Gisela als auch ich die Tür zu ihrem Zimmer ohne Vorankündigung aufstießen und ohne ein Wort die zerrissenen Strümpfe in den Raum schmissen. Viel mehr weiß ich nicht über meine Großmutter. Bestimmt erinnerte ich, falls sie, wie man von anderen Großmüttern hörte, erzählt hätte, von der Wand sei wieder einmal ein Bild gefallen, ein sicheres Zeichen, dass ein Mitglied der Familie im Krieg gefallen wäre.
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