Jean Jaurès
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Max Beer. Jean Jaurès
Impressum
1. Unser Verlust
2. Die Lehrjahre
3. Die sozialistische Auffassung
4. Soziale Revolution, Sozialreform und Arbeiterklasse
5. Die äußere Politik
6. Die Ermordung von Jaurès
Отрывок из книги
Der wahnwitzige Schuss, der den unvergleichlichen französischen Volkstribun am 31. Juli 1914 in Paris niederstreckte, erwies sich als das Vorspiel zu der erschütterndsten Völkerkatastrophe, von der die Menschheitsgeschichte zu erzählen weiß.
Der 31. Juli 1914 – welch ein ominöser Tag!
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Der Weltfriede, die Vernunft, die Internationale, die Jaurès auf seiner herrlichen Laufbahn wie Sterne voran leuchteten, die er mit unwiderstehlicher Redegewalt, mit glühendem Herzen und unerbittlicher Logik verteidigte, wurde an jenem Tage durch die russische Mobilmachungsorder zu Boden gestoßen: Der Weltkrieg mit seinen unerhörten Schrecken und beispiellosen Opfern nahm seinen Anfang. Der sozialistische Staatsmann, der für eine selbständige, friedliche und würdevolle äußere Politik Frankreichs eintrat, der mit Seherauge sein Vaterland vor dem Revanchegedanken warnte und dessen Ausnutzung durch russische Abenteurer und englische Diplomatenschlauheit befürchtete, fiel an dem Tage, wo seine Befürchtungen sich zu schicksalsschweren Tatsachen verdichteten. Als er wenige Tage vor seinem Tode sah, dass Frankreich auf dem Sprung sei, sich in das schrecklichste aller Abenteuer zu werfen, lehnte er den russisch-französischen Bündnisvertrag glatt ab. Und in seiner letzten Friedensrede in Brüssel – in seinem Schwanengesang vor der versammelten Internationale – rief er aus: »Wenn man unseren geheimen Vertrag mit Russland anruft, so werden wir unseren öffentlichen Vertrag mit der Menschheit anrufen!« Ebenso war er bereit, dem englisch-französischen Einverständnis den Rücken zu kehren, sobald er sich überzeugte, dass die Briten in ihrem eigenen Interesse die französische Armee gegen Deutschland zu benutzen versuchten. In diesem Punkte war er sogar argwöhnischer als in dem des russisch-französischen Bündnisses.
Jaurès, der Sendbote und Blutzeuge des Weltfriedens, war kein Friedensutopist. Als realistischer Politiker sah er die historischen, wirtschaftlichen und politischen Gegensätze, die die Nationen zu feindlichen Zusammenstößen führen könnten. Er sah die Notwendigkeit der nationalen Verteidigung und schrieb eines der besten Bücher über die Herstellung einer demokratischen Armee. Ebenso wenig schloss seine Liebe zur Menschheit die besondere Liebe zu Frankreich aus. Die Menschheit war ihm keine amorphe, unterschiedslose Masse, sondern ein Konzert von Nationen, von denen jede das Recht hat, ihre Eigenschaften und Kräfte im Licht der Freiheit und auf dem Boden der Gleichheit zu entfalten. Dies ist das Gebot der Gerechtigkeit. Dies war ihm der Sinn der französischen Revolution. Die Mittel zur Verwirklichung des Ideals der Gerechtigkeit bot ihm die sozialistische Politik, ohne die es keine Freiheit, weder persönliche noch nationale, geben kann. Die soziale Gerechtigkeit war sein Leitstern. In ihr erblickte er die notwendige und logische Fortbildung des Werkes der Männer von 1789 und des Nationalkonvents – die Vollendung der französischen Revolution, die für Jaurès die wichtigste Tatsache der Geschichte Frankreichs bildete. Er sah sich als der geistige Nachkomme und Erbe jener Männer, die die Überreste des Feudalismus, die die Bastille und den Absolutismus stürzten und die Menschenrechte proklamierten. Aber die Menschenrechte bleiben eine leere Form, ein Hohn auf die Wirklichkeit, wenn sie nicht mit sozialistischem Inhalt gefüllt werden. Erst die Abschaffung des Privateigentums und die Einführung eines genossenschaftlichen Gemeinwesens können den Menschenrechten die befreiende Kraft verleihen. Als Franzose, als Mann des Gedankens und der Tat, als geistiger Nachfolger Rousseaus, St. Justs, Marats und Dantons warf sich Jaurès mit aller Begeisterung in die sozialistische Agitation und stellte in deren Dienst seine glänzenden Gaben, seine große Persönlichkeit und sein enzyklopädisches Wissen.
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