Der Lampenschirm aus den drei Taschentüchern
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Max Kommerell. Der Lampenschirm aus den drei Taschentüchern
Max Kommerell. Der Lampenschirm aus den drei Tachentüchern. Eine Erzählung von gestern
Vorbemerkung
Der Inder
Gott und die Geige
Das Vorwerk
Der Ulmenhof
Vor dem Empfang der Gäste
Das Tagebuch einer Alternden
Ein sonderbares geselliges Vergnügen
Unerwartete Rückkehr des Professors
Selbsterkennung durch den Traum
Zwiesprache der Gegenfüßler
Nachwirkungen
Bibliothek Suhrkamp. Verzeichnis der letzten Nummern
Bibliothek Suhrkamp. Alphabetisches Verzeichnis
Über Der Lampenschirm aus den drei Tachentüchern
Biografische Anmerkung
Ebook-Kolophon
Отрывок из книги
Personen und Begebenheiten dieser Geschichte beruhen auf freier Erfindung des Verfassers. Ihm haben dabei keine Menschen des wirklichen Lebens vorgeschwebt.
M. K.
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Was waren es für Begegnungen, zu denen dies Gehen unterwegs war? Ging er selbst nur mit in diesem Gehen, oder half er ihm heim? Waren vielleicht auch die Seinigen unterwegs (er nannte sie bereits die Seinigen, obwohl er nicht wußte, wer und wieviel!), und bog gleich ihrer eins um die Ecke? Oder taten sie, inniger als sonst, zu Hause ihr Tagwerk und nahmen bloß mit einem unbeschäftigten Gedanken die vorbestimmte Zusammenkunft vorweg? Er war selig. Nicht wie Vögel in der Luft, sondern umschlossener, kristallischer, wie die funkelnde Gestalt farbiger Fische in einem kühlen Wasser, wohnten die Bilder der ihm vertrauten Menschen in seinem Geist; er liebte sie ohne Absicht und Begier mit einer Art leidenschaftlicher Betrachtung, freilich sich streng dabei verbergend. Er kannte die Gebärden dieser Menschen auswendig, den Ansatz ihrer Stimme, ihr Abbrechen mitten im Satz. Er wußte, so blickten sie drein, wenn sie mit sich unzufrieden waren, so wandten sie das Haupt, wenn sie eine Freude verheimlichten. Überhaupt konnte er kein Zimmer betreten, in dem mehrere Menschen zusammen waren, ohne nicht ihre möglichen Verwicklungen, die noch gar nicht begonnen hatten, durchzuleben: eine Ahnung, die vom Schmerz begleitet war, in keinem Fall sprechen zu dürfen. Von einigen legte er liebevolle kleine Sammlungen an, ohne ihr Wissen, woselbst er Handschrift, Lichtbild, Anekdote und Beobachtung zusammentrug, nur für sich, und nichts, was irgendeinem zu nahe kam. Er hätte gern die Lebensdauer dieser ihm lieben Menschen mit der Drangabe eigener Jahre vervielfacht, wenn es angegangen wäre – so schmiegte er sich als Element um ein fremdes Wesen, und so betraf ihn die Tragik der Menschen dieses Erdteils, deren reinste und edelste es mit Blut erkauften, Fremdes abzustoßen, das Eigene zu behalten und im reinen Klang ihres Wesens schwingen zu dürfen, und dies alles nur, damit der Tod, der nur die Vergeistigung unbeschädigt läßt, gerade dies Wahrste, das eigene Wesen, achtlos beseitige. Verdiente es nicht eine Ewigkeit für sich?
Da stand denn das Haus, das reinste seiner Bauart in der ganzen Stadt. Es lag weit zurück von der Straße. Zwischen frischgeschorenem glänzendem Rasen führte ein gepflegter Weg zu ihm, der mit hellen Steinplatten regellos ausgelegt war. In den Ritzen saß Sternmoos. Die Pforte sprang etwas vor, mit flachem Dreiecksfeld und Halbpfeilern im Relief. Das zweite Stockwerk hatte fast quadratische Fenster, das erste sehr hohe. Kein Zierat störte die ruhige Vorderwand, über die ein niedriges Dach kaum vorsprang. Sie war hellrosa getüncht, nur die Einrahmung der Fenster blieb weiß. Jener Weg, der gerade lang genug war, daß ein herzlich begrüßter Gast vom Gartentor bis zum Haustor geleitet die ersten Fragen befriedigen konnte, war gekreuzt von einem schmaleren, der quer durch den Garten lief, diesem entlang rann ein Wasser, das entsprang auf einem erhöhten Feld der linken Gartenhälfte, in einem dem Boden eingelassenen Quellbecken. Um dies runde Becken standen, licht und weit gepflanzt, so daß jede der vollendeten Rosengestalten für sich betrachtet werde konnte, edle Rosenstöcke mit gelbroten Blüten und setzten sich in Zeilen bis zur Straße fort. Und auf der tieferen rechten Seite hoben mehrere Reihen schlanker Rosenbäume ihre weißen und dunkelroten Kelche um so höher hinauf. Dort bildete Buchs und Hasel einen Saum, während links eine gerade Reihe junger, hochgewachsener Pappeln den Garten begrenzte und genau an die Ecke des Hauses stieß. Die Maße dieses Hauses waren Musik, und indem der Stein in seinem eigenen Recht war, ließ er den Menschen zu sich kommen, und selbst zur Blume stand er in keinem Widerspruch. Wer auf die Rosen sah, dachte an Hände; an solche Hände, durch die die Rose nur mehr Rose wird. Der Duft war hier Gesetz, das Gesetz war ein Mensch – so dachte er, und versank in derselben grundlosen Geborgenheit, die er vorher beim Gedanken des Haustieres empfunden hatte. Wenn sich jetzt die Klinke bewegen wollte! Und sie bewegte sich! Und wenn dies gar geschähe durch sie – das Geheimnis, von dem hier alles schwieg und glänzte! Es hätte auf Dasa wie ein Wunder gewirkt. Denn wenn alle Dinge sich freiwillig zu ihrem rechten Herrn bekennen, da wird das Einfachste, und nichts anderes als das Einfachste wunderbar. Und sie war es wirklich, obwohl er sie zuerst verkannte. Denn er hatte sie noch nie in dem hellen Salzburger Leinenkleid gesehen, das blau bestickt war und Theresientaler als Knöpfe trug. Auch die Schuhe und ihr mit einer roten Kordel umschlungener Filzhut waren blau. Sie war noch vornehmer als sonst, weil sie ihrem Kleid aufgetragen hatte zu sagen, sie sei nicht vornehm. Als sie Dasa erblickte, streckte sie mit einem leisen Hervortreten ihrer überblauen Augen die Arme aus und hielt ihm lächelnd ein Papier entgegen. »Hier, sehen Sie!« Wie gern sah er sie schreiten! Sie war sehr groß, hielt die Schultern frei und aufrecht und bewegte dabei die Arme auf eine eigene Art: die Handflächen, ziemlich weitab vom Körper stehend, drehten sich von innen nach außen, von außen nach innen, während der ruhigen Schwingung des Arms. Dies gab ihrem Gang Melodie und Gesetzlichkeit. Jetzt floß das kleine Wasser an ihr vorbei, und am liebsten hätte er die Spitzen seiner Finger in dies Wasser getaucht und sich die Stirn damit besprengt, wer weiß warum. Zwar unterließ er es, aber er schien doch den Widerschein der Rosen auf dem Gesicht zu haben, denn sie fragte ihn sogleich: »Nicht wahr, meine Rosen sind jetzt schön?« Er erkannte auf dem Briefumschlag seine Adresse, zierlich auf das graue Papier gesetzt. Die Schrift war liegend, hatte den Willen zur Sorgfalt, aber doch auch etwas heimlich Atemloses. Starke Verkürzungen zeigten eine Lust, verborgen zu bleiben. Er nahm das Blatt, das sie ihm gar nicht geben wollte. Und sie dachte nicht nach, warum sie es ihm ließ. »Es ist ja nicht mehr nötig; wie hübsch, daß Sie kommen, ich war auf dem Weg zu Ihnen!« Daß dies mehr bedeute als eine Besorgung, dachte er weder, noch wünschte er es, so wenig er von dem kleinen Wasser erwartete, daß es etwas anderes spiegle als tags eine Rose, nachts einen Stern. Sie wollte das Blatt auf ihren Ausgängen für ihn abgeben, das ihn für morgen zum Mittag bat. »Sie wissen: der Orientklub ...« Was waren Gründe an diesem Tag? Sie schienen vorhanden, damit sich dies Gehen in den Straßen, damit sich dies Zueinanderstreben nicht bekennen, nicht rechtfertigen mußte. Und ihr Grüßen, leise Überraschung, errötende Freude – all dies, was ihm an einem anderen Tag nur ein geselliges Verhalten gewesen wäre, schien ihm heute ein Gedicht. Er dachte: Ist hier nicht etwas Verlorenes gerettet, die Wahrhaftigkeit der Zeichen? Wußte sie das? Hätte sie gestaunt, wenn ...? Er scheute sich, die Hecke solcher Gedanken auseinanderzubiegen, und trat, eingeladen, in den Empfangsraum.
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