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ОглавлениеProphezeiung des Wolfskindes
Band II
Die Kardianische Königin
Melanie Häcker
2. Auflage
Impressum
Texte: © Copyright by Melanie Häcker
Umschlag: © Copyright by Melanie Häcker
Illustration: © Copyright by Melanie Häcker
Verlag: Melanie Häcker
Salierstraße 7
75417 Mühlacker
Webseite: http://www.melanies-buecherwelt.de
Facebook: Melanie Häcker
Instagram: me_l_ie
Druck: epubli, ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Prophezeiungssaga
Band I
Erwachen des Wolfskindes
Band II
Die Kardianische Königin
Band III
Erbe des Wolfskindes
Band IV
Coming Soon
2021
Kapitel 1
Kühle Nachtluft verfing sich in ihren Schwungfedern, während sie lautlos über die Wipfel der Bäume hinweg glitt.
Schon seit Tagen flog sie ziellos umher, über eine Landschaft, die vorwiegend aus Grüntönen bestand.
Sie hatte weder eine Ahnung, wo sie war noch wo sie überhaupt hinwollte. Sie rastete gelegentlich in einer der vielen Baumkronen, um zu jagen, oder an klaren Bächen etwas zu trinken.
Der Himmel hellte sich langsam auf, kündigte den neuen Morgen an. Die ersten Sonnenstrahlen tauchten die Wipfel in ein Meer aus feurigen Farben.
Sie sank nach unten, wich geschickt den Ästen aus, um im Flug, knapp über dem Boden, ihren Körper in einen dunkelbraunen Wolf zu verwandeln.
Ihre Pfoten berührten das taunasse Moos, zugleich nahm sie ihre Umgebung mit gänzlich anderen Sinneseindrücken wahr. Ihre feine Nase vernahm jede noch so kleinste Witterung von Beutetieren. Gleichzeitig war ihr wölfisches Gehör, im Gegensatz zu dem der Eule, weniger ausgeprägt, weswegen sie die Geräusche gedämpfter empfand.
Wie kleine Diamanten glitzerte der Tau auf dem Moos, zeitgleich wurde das Licht zwischen den Bäumen intensiver.
Sie beobachtete dieses Lichterspiel des kommenden Tages nur flüchtig und verfiel in einen kräftesparenden Trab, um weiter ziellos umher zu trotten. Nicht mehr lange, dann würde die immer höher steigende Sonne die kühle Nachtluft durch unerträgliche Hitze verdrängen.
Der Hochsommer hatte das Land fest in seinem Griff. Selbst hier im Wald blieb es nicht mehr lange so angenehm.
Unter ihren Pfoten wurde der Boden immer steiniger, die Bäume lichteten sich, was dazu führte, dass sie mehr und mehr die steigende Hitze auf ihrem Pelz spürte.
Eine Weile später gelangte sie an die Baumgrenze. Sie blickte auf eine felsige Hügellandschaft, die stetig in ein Gebirge überging. Nur vereinzelt reckten Bäume ihre Kronen in den Himmel, während dichtere Büsche das Bild prägten.
Im Schatten der letzten Bäume verweilte sie. Nachdenklich beäugte sie die Möglichkeiten, die für ihren Weg offenstanden. Vor ihr lag der Weg durch das Gebirge, links davon türmten sich steile Klippen auf und rechts flimmerte die endlose Grassteppe unter der sengenden Sonne.
Was soll ich tun? Über die Steppe laufen?
Dagegen sprach allein schon die Hitze, sowie, dass sie weithin sichtbar war. Oder nahm sie doch den Weg durch das Gebirge?
Hechelnd setzte sie sich auf die Hinterläufe, rastete, um kritisch die hoch aufragenden Spitzen des Massivs zu begutachten, das jedoch kein Vergleich zu dem von Sarkon war.
Eine geraume Weile verstrich, ehe sie eine Entscheidung traf, und in lockerem Trab auf die Berge zusteuerte.
Schon lange war ihr jegliches Zeitgefühl verloren gegangen. Sie lebte von Tag zu Tag.
Die Form des Adlers nahm sie nur gelegentlich an, wenn sie einen Überblick brauchte, während sie die Eule für vereinzelte, nächtliche Beutezüge nutzte. Aber die meiste Zeit blieb sie ein Wolf, denn das war ihre wahre Gestalt, in der sie sich am wohlsten fühlte.
Immer weiter in das Gebirge hineintrottend, huschte sie an den großen Felsbrocken vorbei, als sie einen Blick auf einen breiten, in den Fels gehauenen Pfad erhaschte. Sie stoppte, lauschte sämtlichen Lauten in ihrer Umgebung, doch sie vernahm nichts Ungewöhnliches. Kein Geräusch, das nicht hierhergehörte.
Neugierig trabte sie auf den Weg, nahm dezent die Witterung von Menschen, Pferden und anderen Huftieren auf. In einem hintersten Winkel ihrer Erinnerung erkannte sie, auf was sie gestoßen war. Eine Handelsroute.
Soll ich dieser vielleicht folgen?
Sie hatte sich schon eine geraume Weile nicht mehr unter Menschen aufgehalten. Möglicherweise war das eine Gelegenheit für sie, das zu ändern. Aber wollte sie das?
Unentschlossen blieb sie stehen. Grübelte darüber, ob sie der Handelsroute folgen sollte, bis sie einen Schritt wagte. Sie beobachtete alles sehr wachsam, immer darauf bedacht den Karawanen auszuweichen, doch ihr kam keine einzige entgegen.
Womöglich nutzt man diese Handelsroute nicht mehr so oft, überlegte sie, was ihr gelegen kam.
Zunehmend verändere sich die Landschaft von Neuem. Das Gelände wurde stetig flacher und aus der kargen Felslandschaft wurde eine strauchbewachsene, hügelige Ebene, die fließend in ein tristes Grasland überging. Der Schutz vor der sengenden Hitze wurde weniger, denn es wuchsen weit und breit keine Bäume, nur kleinere Büsche, die kaum Schatten spendeten.
Der Boden flimmerte, zugleich brannte der Sand an ihren empfindlichen Ballen, weswegen sie nochmals ein Stück zurückging. Sie hatte zuvor ein schattiges Plätzchen gesehen, dass sie auch recht schnell wiederfand. Ein riesiger Findling, dessen Schatten ausreichte, um aus der gnadenlosen Sonne rauszukommen, doch gegen die Hitze half er nur wenig.
Ermattet von den unerträglichen Temperaturen, streckte sie ihren Leib auf dem Boden aus. Döste vor sich hin, um auf die Nacht zu warten, die hoffentlich ein bisschen Abkühlung versprach.
Auch die nächsten Tage zog sie es vor, in der Dunkelheit umherzustreifen, um so der brennenden Sonne zu entgehen. Das stellte sie jedoch jeden Morgen vor die Aufgabe, einen geeigneten und vor allem geschützten Platz zum Ausruhen zu finden.
Hin und wieder, wenn sie am Tage ausruhte, fragte sie sich, wo sie überhaupt war. Vor allem, wohin ihre Pfoten sie trugen.
Einen Hinweis darauf, wo sie war, bekam sie bald in Form einer salzigen Brise, die um ihre Nase strich. Sie hatte die Küste erreicht. Wie zur Bestätigung vernahm sie das Kreischen der ersten Möwen über ihrem Haupt.
Bin ich noch in Ashak, oder liegt die Grenze mittlerweile hinter mir?
Das wollte sie genauer wissen. Durch die leichte Brise wurde die Hitze ein wenig erträglicher. Entschlossen, eine kurze Konzentration später, faltete sie ihre Schwingen auseinander, legte mit dem Schnabel ihre Schwungfedern zurecht, ehe sie mit kräftigen Flügelschlägen hinaufflog.
Instinktiv fand sie eine perfekte Thermik, ließ sich auf ihr höher hinauftragen und begutachtete mit scharfen Augen die triste Landschaft, die sich unter ihr erstreckte. Abwechselnd auf der Meeresbrise, oder einer aufsteigende Warmluft reitend, folgte sie der ausgetretenen Straße, die wie eine Narbe durch die Steppe führte.
Eine Unregelmäßigkeit im Bild der Einöde erweckte plötzlich ihre Aufmerksamkeit. Sie beäugte interessiert die hellroten Dächer, die einen Kontrast zu dem eintönigen Braun der Ebene bildeten. Anhand der Menge der Giebel befand sie sich über einer Stadt, was viele Menschen bedeutete. Sie sank neugierig tiefer, beäugte staunend das bunte Gewimmel, das in den Straßen herrschte.
Wie lange wandelte sie schon in ihren Tierformen umher, dass eine Stadt es schaffte, sie so in Staunen zu versetzen?
Noch eine Weile glitt sie über die Dächer hinweg, bevor sie einen weiten Bogen flog und auf den grünen Flecken am Horizont zusteuerte, der langsam zu einem kleinen Wäldchen wurde. Dort sank sie auf dem nächstbesten Ast nieder, plusterte ihr Gefieder auf, um in aller Ruhe ihre Federn zu richten.
Erst dann schwebte sie zu Boden, grub ihre Klauen in die Erde und wandelte ihre Form seit einer gefühlten Ewigkeit in ihre menschliche Gestalt. Immer noch war es ihr schleierhaft, was diese Art der Magie mit ihrer Kleidung und ihren Waffen machte, wenn sie in den Tierformen einherging. Doch sobald sie ihre menschliche Form annahm, war alles wieder an da.
Laub raschelte unter ihren Stiefeln. Kleinere Äste knackten durch ihr Gewicht. Sie gewöhnte ihre Sinne daran, dass menschliche nicht so sensibel waren wie die ihrer Tiere. Auch ihr Sichtfeld war ein gänzlich anderes.
Von den veränderten Eindrücken übermannt, sank sie vor einem Baum zu Boden, lehnte ihren Rücken gegen seinen breiten Stamm und schloss seufzend die Lider. In Ruhe ließ sie alles auf sich wirken. Nahm ihren menschlichen Körper aus einem anderen Blickwinkel wahr, dem sie viel zu lange entsagt hatte.
Die Sonne wanderte unbeirrt über das Firmament, bis ihr diese Gestalt wieder vertraut war, woraufhin sie aufstand.
Tarija wendete den Blick zur Stadt. Sie fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee war, unter die Menschen zu gehen. Aber auf Dauer konnte es so nicht bleiben.
Gemächlich schritt sie aus dem Wald hinaus, schaute flüchtig über die Straße und beobachtete dann einen Moment die Geschehnisse, die sich an dem großen Tor abspielten.
Sie lehnte lässig an eine dicke Eiche, überkreuzte ihre Arme vor der Brust, um zuzusehen, wie Karren, Kutschen und Karawanen nach einem kurzen Blick der Torwachen, eingelassen wurden. Selbst Bauern, mit allerlei Viehzeug, kamen problemlos hinein. Daraufhin entschied sie, ebenfalls reinzugehen. Zumal sie so herausfand, wo sie war.
Vom Baum wegdrückend, schritt sie auf die Straße zu und mischte sich kurzerhand unter die Menschen, die alle auf dem Weg in die Stadt waren. Ihr fielen sofort die argwöhnischen Blicke auf, mit denen sie zum Teil verstohlen gemustert wurde. Ein kleines Mädchen, das in ihrer Nähe an der Hand einer Frau einherging, beäugte sie ängstlich.
Hm? Sehe ich so schrecklich aus?
Sie bemerkte aus dem Augenwinkel, wie die anderen versuchten ihr ja nicht zu nahezukommen. Nun, es sollte ihr recht sein. So ließ man sie wenigstens in Ruhe, was ihr doch um einiges lieber war.
In lockerer Haltung legte sie ihre Linke auf den mit Leder umwundenen Schwertknauf, wobei das Lederband nur dazu diente, den Smaragd zu verdecken, der im Knauf eingefasst war.
Sie blieb in der Mitte der Menschenmenge, denn so kam sie unbemerkt an den Torwachen vorbei, hinein in die Stadt, die sie mit überfüllten Straßen und Gassen empfing. Überall hasteten die Leute umher. Drückten. Boxten oder schoben durch die Straßen, um zu ihrem Ziel zu kommen.
Ihr Eigenes, dass sie eher gelassen anvisierte, war der große Marktplatz, der von sorgsam geweißelten Häusern umsäumt wurde. Sie flanierte an den Zeltständen vorbei, sah sich gelangweilt die ausgelegte Ware an, die die Händler lautstark anpriesen. Hin und wieder blieb sie stehen, musterte die verschiedenen Produkte, während ihr keineswegs entging, dass die Kaufleute sie sehr misstrauisch, zurückhaltend oder gar feindselig beäugten.
Einer scheuchte sie sogar davon und schrie ihr mit harschen Worten hinterher: „Ashakerpack hat an meinem Stand nichts zu suchen!“
Sie legte kein großes Gewicht in die Beschimpfung, schritt ungeachtet dessen weiter, doch trotz allem, hinterließ diese Begegnung einen faden Beigeschmack. Wenn man sie schon Ashakerpack beschimpfte, dann hatte sie sich wahrlich stark verändert.
Sie wurde als Ashaker bezeichnet, dabei war sie keiner. Doch was war sie? Zu welchem Volk gehörte sie überhaupt?
Ein Pferdehändler erweckte ihre Aufmerksamkeit. Sie behielt jedoch einen gebührenden Abstand, um sich, mit gelangweilter Mimik, an eine Hauswand zu lehnen. Unauffällig beobachtete sie den Händler bei seinem Bestreben, die Rösser an den Mann zu bringen. Doch irgendwie zeigte niemand großes Interesse an ihnen.
Auch sie musterte eingehend die Pferde, die er feilbot. Dabei erkannte Tarija, dass manches schon bessere Tage hinter sich hatte, was wohl der Grund für die schlechtlaufenden Geschäfte war.
Der Schimmel war schon älter, worauf der durchgedrückte Rücken hindeutete. Einer der Braunen besaß einen ziemlich schiefen Stand. Keine guten Pferde, die man stark beanspruchen konnte.
Bei den beiden Rappen sah es anders aus. Sie sahen weit besser aus. Kein durchgebogener Rücken, keine Fehlstellungen, doch der eine schied auch in ihren Augen aus. Er war zu nervös, schreckte bei jeder Kleinigkeit hoch, während der andere dösend danebenstand.
Sie verweilte einige Zeit an der Hauswand, bis sie sich wegdrückte und zu dem Pferdehändler schlenderte.
Mal sehen, ob er mir ein Pferd verkauft, wenn seine Geschäfte so mies laufen.
Sie blieb vor dem dahin dösenden Rappen stehen, begutachtete das Tier eingehend, um so die Aufmerksamkeit des Händlers auf sich zu lenken.
Es dauerte, bis er sie endlich wahrnahm. Dann noch einen Moment, bis er sich dazu durchrang sie ernst zu nehmen.
Misstrauisch musternd, trat er vor sie und spulte eine einstudierte Litanei ab. „Gefallen Euch meine Pferde? Edelste Rösser aus der Wüste Elnors und Devots. Schnelle, ausdauernde Tiere, die nur langsam müde werden und imstande sind, lange Strecken zu galoppieren.“
Nun, edel konnte man diese Mären nicht wirklich nennen. Ob sie zudem so strapazierfähig waren, blieb dahingestellt.
Der Rappe vor ihr hob seinen Kopf, spitzte die Ohren, um sie mit neugierigem Interesse zu beäugen.
Ein gutes Zeichen. Er besaß Vertrauen zu Menschen, anders der daneben, bei dem das weiß der Augen aufblitzte. Zugleich zerrte er am Strick, was dem Händler ein missmutiges Brummen entlockte.
Sie hingegen betrachtete das Pferd weiterhin, das sie ausgewählt hatte. Tarija wendete sich an den Pferdehändler, wobei sie fast erschrocken zusammengezuckt wäre, beim Klang ihrer Stimme, die ihr heißer brummend in den Ohren widerhallte.
„Was würde dieser hier kosten?“
Ist das wirklich meine Stimme? Wie lang hab ich jetzt nicht mehr geredet, dass ich sie selbst nicht wiedererkenne?
Rasch schob sie den Gedanken beiseite, wartete auf die Antwort des Händlers, der grimmig dreinblickte.
„So wie Ihr ausseht, braucht Ihr euch keine Hoffnungen zu machen, denn der hier“, er klatschte dem Pferd gegen die Flanke, was diesen kurz erzittern ließ. „Ist für Euch unbezahlbar. Hier“, er deutete auf den Schreckhaften. „Der würde nur drei Goldstücke kosten, oder bringt Ihr überhaupt so viel auf?“ Seine Stimme triefte nur so von Spott, wohl um ihr klar zu machen, dass sie hier unerwünscht war, doch sie gab nicht klein bei. Stattdessen überkreuzte sie mit herablassendem Blick ihre Arme vor der Brust.
„Schließt Ihr immer vom Aussehen auf den Geldbeutel?“, verhöhnte sie den Händler, um ihn zu reizen, doch einen Handel mit ihr einzugehen.
Ihr Gegenüber schnaubte verächtlich, während seine Hand weiterhin auf der Flanke des Rappen lag. Ein arglistiges Lächeln erschien in seinen Zügen.
„Wenn Ihr wirklich diesen hier wollt, dann müsst Ihr schon tief in Eure Tasche langen. Ich verlange mindestens acht Goldstücke.“
Halsabschneider.
Sie rümpfte abfällig die Nase, gleichzeitig ließ sie ihren Blick über das Pferd gleiten.
„Acht Münzen sind zu viel. Der ist nicht mal beschlagen. Zudem deutet sein Rücken daraufhin, dass er zu hart eingeritten wurde. Nicht mehr wie fünf Goldstücke!“
Auf ihr Gegengebot hin, nahm die Gesichtsfarbe des Händlers einen rötlichen Ton an und er keifte empört: „Ich verkaufe meine Ware doch nicht unter Wert! Macht das Ihr verschwindet!“
Perfekt. Jetzt fing das Spiel erst richtig an. Sie löste ihre verschränkten Arme, zuckte lässig mit den Schultern und wendete sich langsam ab, doch nicht ohne vorher noch mit fester Stimme zu entgegnen: „Für solche Schindmähren zahl ich doch keine acht Goldstücke. Die klappen mir bei einem längeren Ritt zusammen. Für das Geld bekomm ich woanders drei von der Sorte.“
Der Händler schnappte förmlich nach Luft, sein Gesicht besaß mittlerweile die Farbe einer Hagebutte. Einige Menschen wurden auf ihre Diskussion aufmerksam und sahen dem Geschehen interessiert zu.
Tarija hatte ihn genau da, wo sie ihn wollte. Entweder er verjagte sie endgültig, was bedeutete, dass er hier seine Gäule nicht losbekam, oder er verhandelte mit ihr. Überzeugte sie davon, dass er keine Schindmähren verkaufte.
Zu ihrer Genugtuung gab er unter den vorwitzigen Blicken der Umherstehenden nach, doch sein hochroter Kopf blieb.
„Was maßt Ihr euch an! Ich verkaufe nur einwandfreie Ware. Ich mache Euch ein letztes Angebot. Nehmt es an, oder verschwindet endlich aus meinen Augen. Ihr verjagt mir gute Kunden mit Eurer Anwesenheit“, schnaubend glitt sein Augenmerk über die Leute, die dem Spektakel beiwohnten. „Sechs Goldstücke!“
Auch das war in ihren Augen immer noch zu viel. Mit abwägendem Blick trat sie einen Schritt zurück, beäugte den Rappen eingehend und deutete kopfnickend auf die vernarbten Knie.
Der Händler riss kochend vor Wut seine Augen auf, zugleich gestikulierte er wild mit den Händen.
„Macht, dass Ihr verschwindet!“
Gespielt desinteressiert, drehte sie ihm den Rücken zu, rempelte dabei bewusst einen Mann an, der neben ihr lief, was ihren Beutel – indem sie ihr Geld am Gürtel aufbewahrte – zum Klimpern brachte.
Dieses Klirren erzielte genau das, was sie damit bewirken wollte, nämlich, die erneute Aufmerksamkeit des Pferdehändlers. Sie trat zwei Schritte in die Menge hinein, bevor sie hinter sich hörte: „Fünf Goldstücke!“
Sie stoppte, schaute über die Schulter, schüttelte bestimmend den Kopf und erwiderte: „Das was Ihr da verkauft, ist höchstens vier Goldstücke und einen Silbertaler wert!“
Er brauste auf, doch mittlerweile waren mehr Leute auf das Geschehen aufmerksam geworden und sie wusste, wenn er jetzt nicht aufpasste, kostete es ihn mehr als nur ein Geschäft. In den Augen der Schaulustigen war sie ein harter Verhandlungspartner, nicht eine Ashakische Kriegerin, die nur Metall sprechen ließ.
Immer noch kochend vor Wut, zischte der Händler durch die Zähne: „Vier Goldstücke und einen Silbertaler. Aber zeigt mir erst das Geld, bevor ich den Handel mit Euch eingehe!“
Zufrieden mit ihrem erreichten Ziel ging sie zurück, griff gleichzeitig in ihren Beutel, um die geforderten Münzen zu Tage zu fördern. Diese streckte sie dem Pferdehändler in der offenen Hand entgegen, woraufhin er mit den Zähnen knirschte, jedoch nickte, um ihr ihrerseits die Hand hinzuhalten.
Mit einem Handschlag besiegelten sie den Handel, er aber starrte sie nur hasserfüllt an, ergriff die Münzen und trat zu dem Hengst. Ruckartig, was seinen Zorn auf sie noch deutlicher machte, löste er den Knoten der Führleine, ehe er das Tier barsch zu ihr zog.
Sie grinste listig, nahm das Pferd entgegen, doch der Händler würdigte sie keines Blickes mehr, sondern stampfte zu seinem Zelt.
Tarija tätschelte sanft den Hals des Rappen und schritt ungeachtet der Blicke, die man ihr schenkte, über den Marktplatz, ihre Errungenschaft hinter sich herführend.
Zwar besaß sie jetzt einige Münzen weniger, dafür aber hatte sie ein Reittier, mit dem sie ihren Weg fortsetzte. Auch wenn sie immer noch nicht wusste, wohin sie überhaupt wollte. Selbst wenn sie die Natur liebte, gerne ein Wolf war. In den letzten Tagen vermisste sie etwas den Kontakt zu Menschen. Sie bewahrte sich das Reisen in den Tierformen lieber für andere Gegebenheiten auf.
Über die Schulter hinweg, betrachtete sie kurz den Rappen, bevor sie sich auf die Suche nach einem Sattler begab. Schließlich wollte sie ja bequem weiterkommen und ein paar Münzen besaß sie noch, um sich diesen Luxus zu gönnen.
Über den Marktplatz schlendernd, warf sie hin und wieder einen flüchtigen Blick auf den Hengst, hielt aber gleichzeitig Ausschau nach dem Sattler. Auf dem Platz wurde sie nicht fündig, weswegen sie die breiten, wie auch schmaleren Straßen absuchte.
Anhand des Sonnenstandes erkannte sie, dass es Nachmittag wurde, bevor ihre Suche von Erfolg gekrönt war. Unmittelbar des nördlichen Tores fand sie ihr Ziel.
Ein unscheinbares Haus, neben dem eine offene Hütte angebaut war, unter der ein kräftiger, leicht untersetzter Mann auf einem Schemel hockte. Vor sich auf dem Tisch lag ein Sattel, den er mit Punzierungen bearbeitete.
Sie band ihr Pferd an einem Metallring fest, der in die Hauswand eingearbeitet war und schritt zu der Hütte, wobei der Sattler sie eine Weile ungeachtet stehen ließ.
Tarija wartete geduldig, mehr aus Respekt vor der Arbeit, die er vollbrachte, um dann doch ein leises Räuspern hervorzubringen.
Der Sattler schaute auf, musterte sie abschätzend und beugte sich über seine Arbeit.
„Was wollt Ihr, Ashaker?“, schnaubte er verächtlich, dabei ließ er den Klöppel rhythmisch auf dem Punziereisen tanzen.
„Ich bräuchte eine Ausrüstung für mein Pferd. Habt Ihr zufällig was Passendes da?“
Abermals sah der Sattler auf, maß ihren Hengst mit einem geübten Blick, nickte knapp und punzierte grimmig dreinschauend weiter.
„Ich habe was da. Aber könnt Ihr euch solch eine Ausrüstung überhaupt leisten? Meine Arbeiten sind nicht billig. Mir ist noch kein Ashaker untergekommen, der bei mir etwas gekauft hat.“
Das würde sie heute ändern. Sie griff an ihre Seite, packte ihren Beutel, klimperte mit den Münzen, was ihr sofort die volle Aufmerksamkeit des Sattlers einbrachte.
„Um Eure Bezahlung macht Euch mal keine Sorgen. Ich bräuchte Sattel und Zaum, sowie Satteltaschen, da ich eine weite Reise vor mir habe.“
Bedächtig legte der Mann das Punzierwerkzeug neben dem Sattel auf dem Tisch ab, stand ächzend auf und schlurfte auf ihr Pferd zu. Er strich mit den Fingern über dessen Rücken, spreizte sie, um Maß zunehmen, bevor er durch eine Tür ins Haus verschwand.
Tarija blieb geduldig an Ort und Stelle stehen, sah ein paar der prachtvollen Arbeiten an, ehe sie latschenden Schritte vernahm.
Auf seinen Armen trug er einen Sattel ohne jegliche Verzierungen, dazu eine passende Trense, ebenso schlichte Satteltaschen. Genau das, was sie sich vorgestellt hatte.
„Alles neun Goldstücke“, grollte er und kniff lauernd die Augen zusammen.
Schon wieder so ein Geizhals.
Unwillig knirschte sie mit den Zähnen. Diese Stadt würde sie nicht mehr so schnell aufsuchen, dessen war sie sich sicher. Kritisch musterte sie die Ware. Wie bereits vorher beim Pferdehändler erkannte sie, dass der Sattler sie versuchte, übers Ohr zu hauen, denn die Sachen wiesen bei näherem Betrachten einige Mängel auf.
Zwar keine die den Zweck minderten, aber Grund genug waren, um den Preis zu drücken. Es musste wohl an ihrem Erscheinungsbild liegen, dass man auf den Gedanken kam, sie zu überlisten, doch nicht mit ihr.
„Zweitklassige Ware, mit den ganzen Mängeln? Ist das Euer Ernst? Glaubt Ihr etwa, ich lasse mich veralbern?“, knurrte sie ungehalten mit tiefer Stimme, dabei deutete sie auf die weithin sichtbaren Macken, wodurch der Sattler doch leicht erschrak.
Manchmal hatte es auch Vorteile, wie ein Ashaker auszusehen, denn mit ihrem Gebaren schüchterte sie ihn anscheinend ein wenig ein. Er legte alles auf einen freien Tisch ab, um beschwichtigend seine Hände hochzuheben.
„Schon gut. Schon gut. Ich sehe, Ihr habt ein gutes Auge. Sagen wir … sieben Goldstücke.“
Abwägend beäugte sie das Sattelzeug, dann den Sattler, wobei ihre Mundwinkel listig zuckten.
„Sechs Goldstücke und fünf Silberstücke. Außer Ihr bietet mir einen besseren Sattel an.“
Der Sattler machte ein verkniffenes Gesicht, wohl weil er nicht damit rechnete, dass sie unnachgiebig war, woraufhin er ohne ein Wort zurück ins Haus verschwand. Sie wartete, warf dabei einen flüchtigen Blick in ihren Beutel und hoffte, dass der Sattler doch noch mit dem Preis herunterging, denn viele Münzen sah sie nicht mehr darin.
Die schlurfenden Schritte kündigten ihn an. Er trug auf seinen Armen einen weiteren Sattel, jedoch ohne irgendwelche Mängel.
„Hier! Aber für diesen und die anderen Sachen will ich von Euch sieben Goldstücke haben und nicht weniger, ansonsten verschwindet!“
Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihre Züge, gleichzeitig griff sie in ihren Beutel. Sie beförderte die Goldstücke zu Tage, um sie neben der Ware auf den Tisch abzulegen. Der Sattler nickte, steckte die Münzen ziemlich schnell in eine Tasche an seinem Lederschurz, um dann brummend zurück an die Arbeit zu gehen.
Sie hingegen packte das Sattelzeugs zusammen, trat zu ihrem Hengst und zäumte ihn auf. Unwillig kaute dieser auf der Gebissstange herum, was sie geflissentlich ignorierte. Sie löste den Strick, führte ihn vom Gebäude des Sattlers weg, der bereits wieder über seine Arbeit vertieft war und stieg beherzt in den Sattel. Dies bewirkte ein kurzes Buckeln des Hengstes, was sie durch leichte Fersenhiebe in die Rippen unterband.
Nachdem das Pferd kapierte, wer hier das Kommando hatte, tätschelte sie seinen Hals und lenkte ihn zielstrebig durch die Gassen zum nächsten Stadttor.
Der Nachmittag war mittlerweile weit vorangeschritten, bevor das Tor endlich auftauchte. Hier eilten zwar auch viele Menschen, sowie Fuhrwerke ein und aus, dennoch war das Vorankommen erträglicher.
Die zwei Torwachen, die nebeneinanderstehend die vorbeiströmenden Leute mehr aus Langeweile beobachteten, warfen ihr interessierte Blicke zu. Sie selbst überlegte, ob sie Fragen sollte, wo sie war, denn in diesem Teil des Landes war sie eindeutig noch nie gewesen.
Einen Moment grübelte sie hin und her, bevor sie entschlossen ihren Hengst auf Höhe der Wachen zügelte. Lässig lehnte sie den Unterarm auf den Sattelknauf, ehe sie die Männer abschätzend musterte.
„Könnt Ihr mir sagen, welche Stadt dies ist und wohin diese Handelsroute führt?“
Sie verstand nicht ganz, warum der eine lachend losprustete, und sich schwer auf seinen Speer stützte, während der andere sie nur angrinste.
„Woher kommt Ihr, dass Ihr nicht wisst, wo Ihr seid?“
Sie schaute grimmig drein, richtete sich auf und fixierte wütend den Mann, der immer noch lauthals lachte.
„Woher ich komme, geht Euch nichts an! Also? Wo befinde ich mich und wo führt die Straße hin?“, knurrte sie drohend, woraufhin das Grinsen aus dem Gesicht des Angesprochenen verschwand. Auch der Lachende verstummte und sah vorsichtig zu ihr auf.
„Ihr verlasst gerade die Stadt Kar Fralo und diese Handelsroute hier, führt zurück in das Land der Ashaker, von wo Ihr wohl herkommt, so wie Ihr ausseht.“
Die letzte spitze Bemerkung ignorierte sie, nickte dankend, trieb ihren Hengst an, um den beiden Torwachen keine weitere Beachtung mehr zu widmen.
Kar Fralo also. Sie hatte nicht damit gerechnet, so weit im Süden des Landes zu landen, aber gut. Jetzt wusste sie, wo sie war und, dass die Grenze Ashaks hinter ihr lag. Doch sie hatte immer noch keine Ahnung, wo sie hinwollte.
Den Hengst vorantreibend verließ sie zügig die Stadt, ließ wenig später die Menschenmenge ebenfalls in ihrem Rücken zurück, während die staubige Straße vor ihr lag, die wie alles, in der Hitze flimmerte.
Es konnten eigentlich nur Osron oder Sjarn sein, zu der diese Handelsroute hinführte. Zwei Städte, wo sie gewiss nicht hinwollte. Die sie in nächster Zeit mied, denn wenn nur einer der Bewohner sie erkannte, würde Alkje zu schnell ihren Standort wissen.
Eine Weile folgte sie der Handelsroute, bis sie diese verließ, um querfeldein Richtung Küste zu reiten. Sie Ritt durch die zerklüftete Landschaft, suchte ihren Weg in der Hoffnung, bald die Wälder Karbadas zu erreichen.
Ihr neues Reittier erwies sich dabei als eine gute Investition, denn es war trittsicher und gehorsam, was ihre Reise um einiges bequemer machte.
Viele Tage ritt sie an der Küste entlang, auch um der unerträglichen Hitze des Hochsommers zu entgehen, da vom Meer stetig eine kühle Brise hereinwehte.
Sehr oft saß sie gedankenversunken im Sattel. Sie wunderte sich, dass noch keine Wegelagerer ihr aufgelauert hatten, dennoch blieb sie wachsam.
Sie verlor erneut jegliches Zeitgefühl, ritt beharrlich weiter, bis in der Ferne der Horizont eine grüne Wand zeigte. Je näher sie dieser kam, umso deutlicher erkannte sie den Wald mit seinen dicken, uralten Eichen, den ebenso breiten Buchen, sowie dichtem Gestrüpp, das ein Durchkommen fast unmöglich machte.
Die salzige Brise des Meeres nahm sie schon gar nicht mehr wahr. Dafür fand sie eine geeignete Stelle, an der sie in den Wald hineinritt. Sie schloss ihre Augen, atmete tief den Duft des Waldes ein, witterte den Wohlgeruch nach feuchter Erde. Dem Moos und das Aroma der Bäume.
Gleichzeitig lauschte sie intensiv den ihr vertrauten Geräuschen, ehe sie abrupt den Hengst zügelte, was diesen unwillig zum Schnauben brachte. Sie glitt aus dem Sattel und band ihn mit der Führleine mit einem festen Knoten kurzerhand an den nächstbesten Baum.
Tarija tätschelte beruhigend seinen Hals, dabei schweiften ihre Augen über den laubbedeckten Boden. Sie schob Blätter zusammen, um sich ein schlichtes Lager zu machen, überprüfte ein weiteres Mal, ob der Hengst auch wirklich fest genug angebunden war, bevor sie ein paar Schritte von ihm wegging. Erst dann veränderte sie ihre Form.
Im gleichen Moment, als sie die Gestalt des Wolfes annahm, stieg ihre Witterung in die Nase des Hengstes, der schrill wieherte, scheute und panisch an der Führleine riss, die zum Glück hielt.
Sie ignorierte ihn, schüttelte sich und setzte mit weit ausgreifenden Sprüngen durch die Büsche hindurch, um auf die Jagd zu gehen. Tarija genoss das Gefühl von Moos und Laub unter ihren Pfoten. Jubelte innerlich über die Schärfe ihrer Sinne, mit der sie den Wald so gänzlich anders wahrnahm.
Erst spät in der Nacht, kehrte sie zu ihrem Lager zurück, schreckte den Hengst auf, bevor sie in wenigen Herzschlägen als Mensch dastand. Sie trat langsam mit besänftigend nach vorne gestreckten Händen auf ihn zu, strich ihm beruhigend über die Stirn. Zwar bebten seine Flanken, zuckten bei jeder ihrer Berührungen, doch sein wildes Schnauben ließ nach, weswegen sie zum Blätterlager ging. Tarija streckte sich rücklings, die Arme hinter dem Kopf verschränkt aus und sah nachdenklich zum Blätterdach, durch das vereinzelte Sterne durchblitzen.
Wo führte mich meine Reise hin? Vor allem. Wo soll ich hin? Ach, wie oft frag ich mich das jetzt eigentlich? Ich sollte langsam eine Entscheidung treffen. So wie es aussieht, bin ich in den Wäldern Karbadas.
Sie spielte mit dem Gedanken vielleicht zu Meister Isbat zu gehen.
Erst einmal brauch ich einen Überblick, wo in den Wäldern ich mich befinde, überlegte sie weiter. Es ist denkbar, dass ich ja schon näher bei Meister Alban bin.
Ein Gedanke jagte den anderen. Sie merkte, dass sie heute zu keinem festen Entschluss mehr kam.
Oder ich reite ganz zurück zu Baldur, übergebe ihm mein Pferd und suche meine Familie.
Je mehr sie darüber sinnierte, umso schwieriger wurde es, eine Entscheidung, zu treffen. Nur eine fiel ihr keineswegs schwer. Sie floh weiterhin vor der Prophezeiung, somit kein wiedersehen mit Alkje, auch wenn ihre Gefühle zu ihm an ihr nagten.
Grüblerisch sah sie weiter zu den Sternen. Schlussendlich entschied sie, erst einmal zu Meister Alban zu reiten, um von ihm aus dann ihre Heimat anzustreben. Zurückzugehen zu ihrer Familie, die sie sehr vermisste, hielt sie für die beste Lösung.
Bei der Vorstellung, ihr Wolfsrudel wiederzusehen, kam ein tiefer Seufzer über ihre Lippen, woraufhin sie ihre Augen schloss. Obwohl ihre Sinne aufmerksam blieben, entschwand sie in einen leichten Schlaf.
Als sie ihre Lider träge öffnete, graute bereits der nächste Morgen. Alles wurde, durch den Dunst zwischen den Bäumen, in ein schummriges, geheimnisvolles Licht gehüllt.
Trotz des Blätterlagers kroch die Kühle der Nacht über den Boden in ihre Glieder, weswegen sie sich beim aufsetzten, erst einmal ausgiebig dehnte, ehe sie aufstand. Sie ruderte mit den Armen, schüttelte ihre Beine, umso ihre Muskeln aufzuwärmen. Dann band sie ihren Hengst los, zog sich in den Sattel und sucht nach einem Weg zum Waldrand.
Sie entschied, ihren Weg zwischen Küste und Wald weiter zu verfolgen, bis sie eventuell an einer Stadt ankam.
Ihr Zeitgefühl war immer noch nicht zurückgekehrt. Sie hatte keine Ahnung wie lange sie in diese Richtung ritt, bevor sie auf eine hohe Mauer aufmerksam wurde. Ein Mauerwerk, das bis hinunter zum Meer reichte, wo es in einem imposanten Turm endete, auf dessen Spitze aufgestapeltes Holz zu erkennen war.
Neugierig bewunderte sie das Bauwerk. Sie fragte sich zugleich, weswegen man auf einen Turm Holz stapelte.
Vielleicht fand sie die Antwort darauf in der Stadt. Diesmal jedoch befragte sie gleich eine der Torwachen, welche Stadt das war.
„Kar Ofra, Ashaker.“
Oh, wie sie dieser abfällige Ton, mit dem man sie Ashaker nannte, allmählich nervte.
Sie beherrschte sich, setzte ein schiefes Lächeln auf, nickte dankend, um in die Stadt hineinzureiten.
Wie schon in Kar Fralo, waren hier die Straßen maßlos überfüllt, was das Vorwärtskommen fast unmöglich machte. Mehrmals scheute ihr Hengst, trat sogar einem dicklichen Mann auf den Fuß, der lautstark wüste Beschimpfungen hinter ihr herrief, die sie geflissentlich ignorierte.
Sie selbst war mehr darüber erstaunt, dass sie bereits Kar Ofra erreicht hatte. Eine der größten Hafenhandelsstädte Karbadas, soweit sie sich erinnerte.
Mit den dürftigen Münzen, die sie noch besaß, erwarb sie vom Sattel aus ein wenig frisches Obst, sowie ein paar Streifen Dörrfleisch. Eigentlich nur, um etwas Abwechslung in ihren Speiseplan zu bekommen, der ausschließlich aus ihrem Jagderfolg bestand.
Ihr Hengst quälte sich durch die Flut an Menschen und Karren, bis sie zum späten Nachmittag endlich das Stadttor in Richtung Norden erblickte.
Erleichtert seufzte sie, nachdem die Stadtmauern hinter ihr lagen. Sie folgte, mit leichtem Abstand, anderen Reisenden und Händlern, immer weiter der staubigen Handelsroute entlang, die sie direkt nach La Tog führte.
Hin und wieder überholte sie die Karren und Kutschen, da sie die skeptischen, mürrischen, teils aber auch ängstliche Blicke satthatte.
Erst nachdem sie genügend Strecke zu allen besaß, ritt sie den restlichen Tag in gemächlichem Schritt weiter, bis die Sonne dem Horizont näherkam und das Licht zunehmend dämmriger wurde.
Tarija sah sich allmählich nach einem geeigneten Nachtlager um. Sie lenkte ihren Hengst entschieden in den kommenden Wildwechsel, denn sie auskundschaftete. Das Licht schwand immer schneller, doch sie suchte weiter nach einer tauglichen Stelle, ehe ein Geräusch sie aufschreckte.
Rasch zügelte sie ihr Pferd. Sie lauschte angestrengt, dachte im ersten Moment, sie hätte es sich nur eingebildet, doch dann vernahm sie es erneut. Das Knacken von Ästen, die unter einem Gewicht nachgaben, gefolgt vom Rascheln der Blätter. Hier schlich jemand – oder mehrere – an sie heran, da war sie sich sicher.
Wahrscheinlich war es klüger weiter zu reiten? Aber nein, dazu war sie zu neugierig. Feind oder eine Rotte Waldbewohner, sie würde schon damit fertig werden.
Ihre Hand umfasste angriffsbereit den Schwertknauf, lauschte wachsam und starrte in die immer näher rückende Dunkelheit, um sie mit den Augen zu durchdringen.
Dann bemerkte sie Gestalten, die zügig auf sie zukamen, um zu zwei Männern zu werden. Sie trugen nur zerschlissene braune Leinenhosen, während ihre nackten Oberkörper von Dreck verschmiert waren.
Beide grinsten sie hämisch an. Unterdessen der eine die Arme vor der Brust überkreuzte, meinte der andere, seine Hände in die Seite stemmend: „Man, wenn das mal nicht unser Glückstag ist.“ Er rempelte den Nebenmann mit dem Ellbogen an. „Da haben wir doch ein hübsches Weib gefunden, das uns für diese Nacht ein wenig Gesellschaft leisten kann und vielleicht auch ein bisschen Spaß.“
Der andere nickte eifrig, während er sie unverfroren musterte.
Sie hingegen legte beruhigend ihre Hand auf den Hals ihres Pferdes, beäugte ihrerseits die beiden, auf das hin ein leicht abfälliges Lächeln um ihre Mundwinkel zuckte.
Das erste was ihr ins Auge fiel, waren die Kurzschwerter. Sonst entdeckte sie keinerlei Waffen, was sie innerlich schmunzeln ließ. Diese beiden waren nicht wirklich Gegner für sie, weswegen sie herausfordernd entgegnete: „Das kommt ganz darauf an, welche Art von Gesellschaft und Spaß ihr meint? Kommt her, dann werden wir sehen, ob heute wahrhaftig euer Glückstag ist.“
Ihre Stimme klang weiterhin völlig fremd in ihren Ohren. Sie gewöhnte sich nicht wirklich an den Ton, doch nun hatte sie Wichtigeres vor und zückte in aller Seelenruhe ihr Schwert.
Der Größere überkreuzte missgestimmt schnaubend die.
„Kommt erst einmal von dem Gaul runter, oder seid Ihr doch nicht so mutig, wie Ihr euch gebt.“ Der Hohn in seiner Stimme, brachte sie dazu, ihre Augen zu verengen, bevor sie aus dem Sattel rutschte.
„Findet es heraus“, bellte sie ihnen entgegen, während sie flüchtig die Zügel um den nächstbesten Ast wickelte.
Ihre beiden Gegenüber zogen, sich kurz einander ansehend, die Klingen. Tarija indes behielt die Zwei aufmerksam im Auge, als sie langsam, gleichzeitig auseinandergehend, auf sie zukamen. Genau das hatte sie erwartet. Noch bevor die Männer reagierten, schoss Tarija mit leicht erhobener Klinge vor und griff den Kleineren an.
Der zuckte mit überraschter Mimik zurück. Er parierte unbeholfen ihren Angriff, stolperte nach hinten, doch sie wirbelte schon mit fauchender Waffe herum.
Aus dem Augenwinkel sah sie den Größeren, der die Lage schnell überblickte, während er mit grimmig verzerrtem Gesicht ausholte.
Ihr Schwertarm zuckte nach oben, konterte den Hieb, drückte sich mit einem gewagten Satz zurück und drehte sich auf dem Absatz herum. Gleichzeitig unterwanderte Tarija die zischende Klinge, zückte in dieser Abwärtsbewegung mit der Linken ihren Dolch, fuhr rum, um ihre Lage zu analysieren.
Der Größere rannte brüllend auf sie zu. Auch der andere griff sie an, weswegen sie gezwungen war beide Klingen zugleich einzusetzen.
Mehrmalig sprang sie mit gewagten Sätzen nach hinten, oder huschte zwischen den Männern hindurch, um sich Luft zu verschaffen. Sie holte sofort Schwung, um ihr Schwert mit lautem Klirren auf die Gegnerischen zu schmettern. Sie fälschte mit dem Dolch die des Kleineren ab, um in einem regelrechten Schwerttanz ihre Klingen durch die schwüle Abendluft zischen zu lassen.
Auch wenn die beiden Männer es ihr nicht leicht machten, so genoss sie den kleinen Kampf, den sie dafür nutzte, um in Form zu kommen.
Noch ließ sie die Zwei im Glauben, sie könnten ihrer Herr werden, spielte regelrecht mit ihnen, bis sie genug hatte.
Schweiß rann ihr an den Schläfen hinab. Ihr Schwert prallte gegen das des Größeren, glitt daran entlang, ehe sie sich mit tänzerischer Sicherheit wegbewegte.
Sie bemerkte einen Schatten schräg in ihrem Rücken, woraufhin sie blitzschnell herumfuhr.
Gerade noch rechtzeitig, parierte sie das Schwert des Kleineren, um gnadenlos mit ihrem Dolch durch seine schlampige Deckung hindurch, von unten her in die Brust zu stoßen. Die Schneide tief hinein gerammt, drehte sie diese mit einem kurzen kräftigen Ruck. Der Kerl schrie gepeinigt auf, ließ seine Waffe fallen, während sie ihren Dolch herauszog. Zugleich hechtete der größere Mann mit lautem, wütendem Gebrüll auf sie zu.
Rasch duckte sie sich unter dem Schwert hindurch, verharrte eine Sekunde in seinem Rücken und holte mit ihrer Klinge aus. Mit Genugtuung vernahm sie das schmatzende Geräusch, als ihre Schneide den Kopf des Mannes abtrennte.
Der Torso sackte mit einem dumpfen Laut zu Boden, als ein röchelndes Wimmern an ihre Ohren drang. Sie sah auf, bemerkte den anderen, der zusammengesunken die Hand auf die Stichwunde presste. Beim Anblick seines geköpften Kumpels richtete er sich auf, um wegzukriechen.
In aller Ruhe, mit wenigen Schritten stand sie neben dem wimmernden Haufen, krallte ihre Finger in die Haare und bog brutal den Kopf in den Nacken.
„Also ich hatte meinen Spaß“, knurrte sie leise. Entsetzten stand in den geweitete Augen, die langsam stumpf wurden, nachdem sie ihm die Kehle aufschlitzte.
Verächtlich, in einer wegwerfenden Bewegung, mit einem triumphierenden Lächeln, ließ sie den leblosen Körper los. Sie wischte ihre beiden Klingen an der zerschlissenen Hose des Toten ab, steckte sie weg und fuhr mit ihrem Arm über die verschwitzte Stirn.
Ich bin ein wenig eingerostet.
Sie ließ die Schultern kreisen. Holte tief Luft, da sie sich etwas außer Atem gekommen war. Der deutliche Beweis dafür, dass sie nicht in Form war, waren ihre leicht zitternden Muskeln. Dennoch war sie sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.
Nachdenklich sah sie sich um, soweit es das letzte Zwielicht erlaubte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie unbeeindruckt sie von den Toten war.
Sie dachte nicht weiter darüber nach, zuckte mit den Schultern und ließ ihren Blick schweifen. Hier mitten im Wald, fielen die Leichen nicht groß auf, weswegen sie ohne Hast zu ihrem Hengst schritt, die Zügel vom Ast löste und ihn mit sich zog. Trotz allem suchte sie einen anderen Platz zum Lagern. Tarija trottete zwischen den Bäumen hindurch, in der Hoffnung, dass sie sich parallel zur Straße bewegte.
Das Vorankommen wurde durch die Dunkelheit immer mühseliger, bis sie endlich einen geeigneten Platz fand. Sie band den Hengst fest und richtete, wie schon in den letzten Nächten mit aufgehäuften Blättern, eine Bettstatt her.
Weitere Tage vergingen, in denen sie, geschützt vom dichten Blätterdach, durch die Hitze ritt. Am Tage brachte der Wald zwar ein wenig Linderung, doch gegen Abend staute sich die Wärme unter den Blättern und trieb ihr den Schweiß ins Gesicht.
Zwischen den Stämmen sah sie eine Mauer aufblitzen, was ihr sagte, dass sie La Tog erreicht hatte. Die Stadt selbst lag mitten in dem dichten Wald, aus überwiegend alten, sehr dicken Eichen.
Händler, Edelleute in ihren Kutschen und Bauern standen in einer Reihe vor den Toren. Alle warteten darauf, dass sie eingelassen wurden. Nach kurzem Zögern reihte sie sich hinter eine prachtvoll verzierte Droschke ein. Sie rümpfte missbilligend die Nase über das Gefährt. Nicht nur, dass die Kutsche ein Objekt von zu viel Geld war, auch der Dame darin, stieg ihr Reichtum gewaltig zu Kopf, denn sie zeterte und meckerte ununterbrochen wegen der langen Wartezeit.
Sie hingegen lehnte lässig auf ihrem Sattelknauf, übte sich in Geduld, sowohl was das Warten anging, als auch dem nervigen Schimpfen der Dame.
Der Einlass selbst war kein Hindernis. Man bedachte sie nur flüchtig, fragte nach ihrem Anliegen und dann ließ man sie schon passieren. Da es Mittag wurde, sah sie zu, dass sie die Straßen von La Tog zügig durchritt. Noch hatte sie genug Proviant, wenn nicht, würde sie jagen gehen, doch sie wollte, so schnell es nur möglich war, diese Stadt in ihrem Rücken wissen. Zum einen auch, um einem bestimmten Seher mit seiner Enkelin nicht über den Weg zu laufen.
Der Weg aus der Stadt verlief um einiges flotter. Sie war sichtbar erleichtert, nachdem endlich der Wald um sie herum hochragte.
Wie konnten Menschen nur so beengt leben? Diese Frage beschäftigte sie eine ganze Weile, während sie der staubigen Straße folgte.
Kaum spürbar ließ die Hitze Tag für Tag nach. Hier in den Wäldern Lamars hielt sie zudem weiteren Auseinandersetzungen gegen Wegelagerer stand, was sie als geeignetes Training ansah.
Trotz, dass sie besser, sowie geschickter wurde, steckte sie so einige Kratzer und kleinere Fleischwunden ein, die Tarija mit den richtigen Kräutern behandelte. Hin und wieder verbrachte sie einen ganzen Tag nur damit, Wundkräuter zu sammeln, oder andere, die sie für nützlich erachtete.
Das Aussehen des Waldes veränderte sich zunehmend. Die Eichen wurden weniger, dafür die Buchen mehr. Sie kam also bald bei Albans Anwesen an.
Immer weiter folgte sie der endlosen Straße durch dichtes Grün, bis sie an eine bekannte Abzweigung kam. Sie stoppte grübelnd ihren Hengst.
Dies war der Weg zu Albans Anwesen. Auch wenn es einige Zeit her war, so erkannte sie manches wieder. Aber was sollte sie tun? Ein beklemmendes Gefühl überkam sie. Sollte sie doch lieber weiter reiten?
Eine geraume Weile saß sie unschlüssig im Sattel, schaute die Straße entlang, dann den Weg, der zum Anwesen führte. Sie überlegte angestrengt hin und her, denn wenn sie jetzt weiterritt, musste sie durch Sarkon, aber auch durch das mächtige Massiv.
Eventuell war es doch besser, sie gönnte sich etwas Ruhe, bevor sie diesen beschwerlichen Weg nahm.
Wie wird Alban auf meine Rückkehr reagieren? Vor allem darauf, dass ich allein zurückkomme, ohne Alkje? Nun ich werde es erfahren.
Entschlossen lenkte Tarija ihren Hengst auf den Weg. Im gemütlichen Schritt ritt sie auf den Landsitz zu, ehe sie erneut ihr Pferd zügelte, nachdem das Anwesen vor ihr auftauchte.
Alles lag friedlich da, strahlte eine Aura der Zufriedenheit aus. Sie ließ den Anblick auf sich wirken, dann holte sie einmal tief Luft, trieb ihren Hengst an und näherte sich der Mauer mit dem geweißelten Torbogen.
Mit einem flauen Gefühl im Magen durchritt sie den Bogen, gleichzeitig schweifte ihr Blick über das ganze Anwesen. Nichts, aber auch rein gar nichts hatte sich verändert, seit sie das letzte Mal hier war.
Vor ihr zwischen den beiden Torbögen lagen große und kleinere gepflegte Gärten mit verspielten Springbrunnen. Sie sah zu dem Stall mit den ausladenden Koppeln, auf denen die edlen Pferde friedlich in der Sommersonne vor sich hin grasten. Weiter reitend, durchquerte sie auch das Heckentor und sah auf das Haupthaus.
Schon jetzt erkannte sie den Mann in glänzendem Kettenhemd, der bei diesen Temperaturen, ohne zu schwanken, auf der untersten Stufe der Marmortreppe ausharrte.
Sie verstand nicht, warum er das tat. Er war zu dieser Aufgabe nicht verpflichtet, doch aus früheren Tagen wusste sie, dass er seine Pflichten sehr ernst nahm, egal ob es für ihn hieß, in brütender Hitze oder eisiger Kälte in voller Montur auf irgendwelche Gäste zu warten.
Ritter Frenic, war ein Musterbeispiel an Disziplin, worüber sie nur leicht schmunzelte, ehe sie eine Pferdelänge vor der Treppe ihr Pferd stoppte.
Entspannt stützte sie sich mit ihrem Unterarm auf dem Sattelknauf ab, lächelte verschmitzt und beobachtete den Ritter, der sie nur skeptisch, aber eingehend musterte.
„Ich grüße Euch Ritter Frenic. Könntet Ihr bitte so freundlich sein und Meister Alban ausrichten, dass ich Ihn gerne besuchen möchte.“ Meine Güte, ihre Stimme klang immer noch so fürchterlich in ihren Ohren. Sie hoffte, dass sie sich nicht wie ihr Äußeres zu stark verändert hatte, denn Ritter Frenic rührte keinen Finger, sondern bedachte sie weiter misstrauisch.
Der Argwohn in den Augen nahm zu. Er schien angeregt zu überlegen, woher er sie kannte, doch seine nächsten Worte bewiesen, dass er nicht den leisesten Schimmer hatte, wer sie war.
„Nennt mir erst Euren Namen Ashakerin, damit ich Euch ankündigen kann.“
Sie brauchte definitiv einen Spiegel, denn wenn selbst Frenic sie nicht sofort erkannte, sie eine Ashakerin nannte, dann hatte sie sich verdammt heftig verändert.
Schelmisch grinste sie den Ritter an. „Frenic? Erkennt Ihr mich nicht mehr?“
Nun wirkte er irritiert, weswegen sie ein Kichern unterdrückte, und belustigt meinte: „Ich bin es. Tarija.“
Seine Augen wurden groß, dabei musterte er sie noch einmal eingehend, verweilte etwas länger in ihrem Gesicht, ehe er aus dem Stall einen der Burschen herbeiwinkte.
Sie indes glitt aus dem Sattel, beobachte den herankommenden Stallknecht, dem sie die Zügel ihres Hengstes übergab. Erst dann trat sie auf den verunsichert dreinblickenden Frenic zu, indessen Züge sich langsam Wiedererkennen zeigte.
„Tarija? Verdammt noch mal, Ihr habt Euch aber ganz schön verändert. Aber ...“, stirnrunzelnd sah er an ihr vorbei, als wenn er noch jemanden erwarten würde. Ihr war auch klar wer.
„Wo ist Baron Alkje? Wieso seid Ihr allein unterwegs?“
Nichtssagend zuckte sie mit den Schultern, zugleich wanderte ihre linke Hand wie von selbst auf den Schwertknauf. Eine Bewegung, die sie kaum noch bewusst wahrnahm und die sie sich in letzter Zeit angewöhnt hatte.
„Lasst mich bitte zu Meister Alban, dann könnt Ihr gerne die Geschichte mithören, weswegen ich allein unterwegs bin.“ Sie beobachtete bei ihren Worten den Stallburschen, der den Hengst wegbrachte, während sie aus dem Augenwinkel bemerkte, wie Ritter Frenic nickte.
Er drehte sich auf dem Absatz herum. Mit angemessenem Abstand folgte sie ihm die Treppe hinauf, durch den Haupteingang und dann durch die gekalkten Korridore, bis sie Albans Studierzimmer erreichten.
Frenic öffnete ihr mit einer einladenden Handbewegung die Tür, auf das sie an ihm vorbei trat, hinein in das Zimmer, das zum Verweilen einlud. Bequeme Sessel standen um einen Tisch herum vor einem Kamin, in dem ein knisterndes Feuer loderte, das den Raum, trotz der warmen Temperaturen draußen, behaglich wärmte.
Hinter ihr klickte die Tür ins Schloss. Frenic schritt an ihr vorbei, um vor dem kleinen Tisch zu verharren, neben dem Alban in einem Sessel lungerte, tief in ein Buch versunken. Ohne davon aufzusehen fragte Alban: „Wen bringt Ihr mir denn, Ritter Frenic?“
Frenic räusperte sich. „Mein Herr. Ich habe einen ganz besonderen Besuch für Euch.“
Nun sah Alban doch von seinem Buch auf und starrte sie augenblicklich aus großen Augen an. Sie schien sich doch nicht zu sehr verändert zu haben, wenn Alban sie gleich wiedererkannte.
„Tarija! Was tust du denn hier?“ Sein Blick huschte über ihre Aufmachung, besah jede Kleinigkeit an ihr und wirkte zusehends überraschter. „Du meine Güte hast du dich verändert. Was ist nur aus der jungen Frau geworden, die damals zu mir gebracht wurde, um das Kämpfen zu lernen.“
Wie Ritter Frenic zuvor, sah auch Alban nachdenklich an ihr vorbei, bevor er fragte: „Wo ist Alkje? Ich hoffe doch, es ist nichts passiert.“
Sie schüttelte beschwichtigend den Kopf, stapfte kurzerhand zu einem der Sessel, in den sie sich hineinfallen ließ. Beim Gefühl der weichen Polster entkam ihr ein leiser erleichterter Seufzer. Sie sie lehnte erschöpft ihren Kopf zurück und gönnte sich mit geschlossenen Augen einen kurzen Moment des Luxus der Bequemlichkeit. Dann öffnete sie ihre Lider, um Alban mit ausdrucksloser Miene anzuschauen.
„Alkje ist wahrscheinlich noch in Ashak bei seinem Vater und tobt wie ein Berserker auf Burg Rurgold. Es gab…“, sie zögerte. Wie erklärte sie Alban schonend, was vorgefallen war? Weswegen sie allein durch das Land reiste? Schließlich hatte er seinen Teil dazu beigetragen, dass Alkje und sie überhaupt ihren Gefühlen nachgegeben hatten.
Vorsichtig, auf ihre Worte bedacht, meinte sie: „Wir hatten eine … Meinungsverschiedenheit, was mich dazu zwang, Ashak so schnell es ging zu verlassen. Ich ritt sehr lange ziellos durch das Land, bis ich wusste, wohin ich gehen sollte. Auf meinem Weg durch die Wälder Karbadas dachte ich dann an Euch. Ich überlegte mir, hier eine Pause einzulegen, bevor ich zu meiner Familie zurückkehre.“
Alban hing wie gebannt an ihren Lippen. Er verarbeitete das Gehörte, wobei kein Muskel in seinem Gesicht zuckte, während sie weiterredete.
„Von Alkje selbst will ich so schnell nichts mehr hören, auch wenn er mein Verlobter ist, er …“
„Dein Verlobter?“, unterbrach Alban sie überrascht, woraufhin sie nickte.
„Ja. Er machte mir einen Antrag, vor seinem Vater. Die Hochzeit wurde schon geplant, doch so, wie er sich an dem Tag meiner Flucht gebärdet hatte, wünschte ich, ich hätte seinen Antrag nie angenommen.“ Sie schnaubte abfällig, woraufhin Alban nachdenklich die Stirn runzelte.
Allein an den Tag zurückzudenken, an dem er sie so grob und herablassend behandelt hatte, brachte ihre Wut abermals zum Kochen, weswegen sie starr die Tischplatte fixierte. Plötzlich verspürte sie eine Hand auf ihrer, sah zu Alban, der ihr mit einem väterlichen Lächeln begegnete.
„Nun denn. Du hattest bestimmt deine Gründe einen solchen Schritt zu gehen. Ich werde diesen nicht hinterfragen. Sei Gast in meinem Haus, solange du möchtest und ich denke“, sein freundliches Lächeln ließ sie schon erahnen, was er als Nächstes sagen würde. „Einer wird sich sehr freuen, dich zu sehen.“ Sie wusste sofort, wen er meinte.
„Ich habe mich in all der Zeit gut um Dragon gekümmert. Du kannst jederzeit zu ihm in den Stall gehen. Aber erlaube mir noch eine Frage.“ Sofort horchte sie auf. „Wie bist du aus der Burg geflohen?“
Nun gut, sie hätte wissen müssen, dass er irgendwo nachhakte. Ein weiteres Mal schloss sie für einen Herzschlag ihre Augen, ehe sie antwortete: „In Form einer Eule. Ich empfand es als zu riskant, Kajajell erst aus dem Stall zu holen, da mich die Wachen bestimmt nicht rausgelassen hätten, nach Ansgars ausdrücklichen Befehlen.“
Überrascht starrte Alban sie an, zugleich sagte sie leise: „Die Eule ist eine Form, die ich mittlerweile annehme. Jedoch wenn ich erst bei meiner Familie bin, werde ich mich nur noch in einer Gestalt zeigen, nämlich der des Wolfes.“
Er bedachte sie eine Weile, schwieg sinnierend, während das Knistern des Feuers das einzige Geräusch war, das die Stille unterbrach.
Alban wiegte in einer nickenden Bewegung den Kopf, dann lächelte er sie erneut an und klatschte zweimal in die Hände. Gleich darauf kam eine Dienerin herein, blieb sich verbeugend vor dem Tisch stehen, um Alban erwartungsvoll anzusehen.
„Zeigt Lady Tarija bitte ein angemessenes Zimmer, wo sie Erholung findet von ihrer langen Reise und sorgt dafür, dass sie alles bekommt, was sie wünscht.“
Die Dienerin nickte, um dann darauf zu warten, dass Tarija ihr folgte.
Dankend rang Tarija sich ein Lächeln ab, denn so langsam forderte die Reise ihren Tribut. Ihre Glieder wurden bleischwer und es kostete sie einiges an Überwindung, sich aus dem bequemen Sessel zu erheben, damit sie der Dienerin durch die Korridore zu einem Gemach folgte.
Nachdem sie allein in einem geräumigen Raum stand, der lediglich ein großes Bett, einen Waschtisch, und eine Kleidertruhe beinhaltete, sah sie aus einem der breiten Fenster, die einen Blick auf die Koppeln, sowie dem Stall ermöglichte. Sie trat an das Fenster heran, gewahrte durch das Glas hindurch die wärmenden Strahlen der Sonne auf ihrer Haut und sah überrascht in die Spiegelung einer völlig fremden Frau.
Bin das wirklich ich, wo mir da entgegenblickt?
Von dem leicht verzerrten Spiegelbild irritiert, wendete sie sich zum Waschtisch, stemmte ihre Hände auf die Platte und sah in den dort eingearbeiteten Spiegel.
Kein Wunder, dass man sie so verächtlich behandelt, selbst Ritter Frenic sie nicht sofort erkannt hatte. Was sie in dem Spiegel erblickte, verwunderte sie.
Sie starrte in das Antlitz einer verwilderten Kriegerin mit langem, verfilztem Haar. Sah in ein Gesicht, gekennzeichnet vom Staub der Straße, verschmiert durch ihren Schweiß und mit bräunlich verkrusteten Stellen von getrocknetem Blut.
Ein wildes Feuer glomm in ihren Augen, während diese über ihre Aufmachung schweiften. Abfällig rümpfte sie ihre Nase, denn die Ashakische Kleidung, die sie trug, tat ihr übriges zu ihrem verwahrlosten Erscheinungsbild.
Ja. Sie hatte sich wahrlich sehr heftig verändert.
Über das Spiegelbild den Kopf schüttelnd, rief sie nach der Dienerin. Sie verlangte unverzüglich nach einem Bad.
Wenn sie schon hier war, ihrem rastlosen Geist Ruhe erlaubte, dann nutzte sie auch die Annehmlichkeiten dieses Anwesens, indem sie nach langer Zeit ein ordentliches Bad nahm.
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Der Hochsommer kühlte langsam ab, glitt fast unbemerkt in den Spätsommer und bevor Tarija es richtig wahrnahm, hielt der Herbst Einzug ins Land.
Irgendwie bekam sie den Jahreswechsel nicht wirklich mit, denn die Zeit, die sie bei Alban verbrachte, nutzte sie mit Ausritten auf ihrem alten Hengst Dragon. Zudem absolvierte sie mit Alban regelmäßige Übungsstunden, in denen er ihr noch kleine Feinheiten beibrachte.
Die Tage wurden immer trister und regnerischer. Der Wind frischte stetig stärker auf, entlud sich in heftigen Stürmen, die über das Land fegten und die bunten Blätter von den Bäumen holten, bis diese kahl ihre Äste zum Himmel reckten.
Aber es gab auch schöne Herbsttage, die sie damit verbrachte, als Wolf durch die nebeligen Wälder zu streifen, oder nur durch die Gärten zu schlendern.
Mittlerweile hatte sie kaum noch Ähnlichkeit mit der verwilderten Kriegerin. Sie trug ihre Haare ordentlich geflochten, kleidete ihren Körper, außer bei den Übungsstunden, in schlichte Kleider mit Mieder.
Trotz der kühlen Luft verbrachte sie den heutigen Tag im Garten, dort, wo Alban immer mit ihr trainierte, wenn das Wetter es zuließ.
Die Sonne hüllte alles in ein wohltuendes Licht, wobei ihre Strahlen nicht mehr ausreichten, um die Luft zu erwärmen, doch warm wurde Tarija von allein.
Ihr Schwert fauchte durch die Luft, gleichzeitig ordnete sie ihre Gedanken, die in den letzten Tagen sonderbare Wege gegangen waren. Sie wusste, nur durch intensives Training fand sie ihre innere Balance. Ließ ihren Frust, ihre Wut, sowie alle anderen unnötigen Gefühle an einem imaginären Gegner aus.
In der Bibliothek zu sitzen und ein Buch zu lesen, so wie es Alban tat, war nichts für sie. Auch hatte sie nicht das Verlangen die Prophezeiung durchzugehen, denn damit wollte sie nichts mehr zu tun haben.
Ein weiteres Mal zerschnitt ihre Klinge die Luft. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf die Schwungübung, bis sie aus dem Augenwinkel bemerkte, dass es jemand wagte ihr nahezukommen, doch sie ignorierte es.
Mit einer wirbelnden Drehung und zischendem Schwert setzte sie zu einem gezielt tödlichen Stoß an, um so ihre Übung für heute zu beenden. Schweiß perlte an ihren Schläfen herunter, den sie schwer atmend mit dem Ärmel wegwischte, bevor sie ihre Waffe in die Scheide steckte.
Für einen Moment schloss sie ihre Lider, beruhigte bewusst ihre Atmung, ihr wild schlagendes Herz und bemerkte zugleich Blicke auf sich ruhen. Ganz langsam öffnete sie ihre Augen, drehte sich gleichzeitig herum, um Alban fragend anzusehen, während sie den Mann daneben zunächst nicht beachtete.
Alban vollführte eine kurze Handbewegung, mit der er dem Gast zu verstehen gab, stehen zu bleiben, unterdessen er mit einem zufriedenen Lächeln zu ihr kam.
„Ich bin immer wieder fasziniert von deinen geschmeidigen Bewegungen und wie schnell du die Klinge führst, dennoch ...“
Sie wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn, schielte an Alban vorbei, was ihn zu einem entschuldigenden Lächeln veranlasste.
„Du solltest für heute Schluss machen. Wir haben Besuch bekommen.“
Das sah sie und über diesen Besuch war sie so gar nicht erfreut. Ihre Miene verdunkelte sich, während sie den Neuankömmling argwöhnisch musterte.
Hinter Alban unter dem Heckentor stand Alkje. Er machte den gleichen verwilderten Eindruck, mit dem sie hier angekommen war. In seinen Zügen lag ein überaus grimmiger Ausdruck, aber sie sah ihm auch die Erschöpfung an. Seine Kleidung war ziemlich mitgenommen, verdreckt und wies deutliche Kampfspuren auf. Ein dichter, leicht verfilzter Bart umrahmte die kantigen Züge, wohingegen in den Augen ein ungezügeltes Feuer tobte.
Langsam kam er auf sie zu, so, als würde er einem gefährlichen Raubtier begegnen und blieb mit gebührendem Abstand stehen. Keinen Moment wich sein Augenmerk von ihr, während sie herausfordernd ihr Kinn reckte.
Sie durfte ihn nicht unterschätzen, denn er war ihr mehr als nur ein ebenbürtiger Gegner.
Er trat noch zwei Schritte vor, stand nun ganz dicht bei ihr, so, dass sie den Atem auf ihrer verschwitzten Haut verspürte. In Zeitlupe beugte er sich näher zu ihr, verharrte mit seinem Gesicht neben ihrem, was einen Schauer über ihren Rücken jagte, ehe er in ihr Ohr flüsterte: „Wenn du denkst, du kannst so der Zeremonie entgehen, dann hast du dich gewaltig getäuscht.“
Sein Wispern nahm einen knurrenden Unterton an, gleich darauf begegnete sie abermals seinem Blick.
„Mein Vater ist sehr wütend auf mich, aber auch auf dich!“, zischte er förmlich, dennoch verharrte sie ganz ruhig vor ihm. „Er ließ mich nur unter einer Bedingung aus der Burg. Ich soll dich finden und zurück nach Rurgold holen.“
Seine Stimme wurde immer drohender, doch das beeindruckte sie kein bisschen. Er machte ihr keine Angst. Nicht mehr, denn sie nahm es locker mit ihm auf.
„Du hast mir, vor den Augen meiner Familie, dein Versprechen gegeben und dann … dann verschwindest du einfach so. Erklär mir bitte, was das sollte!“
Sie nahm wahr, wie in ihm die Wut hochkochte, weshalb sie ihr Kinn ein Stückchen höher reckte. Sie legte ihre Hand auf den Schwertknauf und konterte bissig: „Hätte mein Verlobter mich an dem Abend nicht so … herabwürdigend behandelt! Dann hätte es für mich keinen Grund gegeben, dass ich Ihn verlasse.“ Provokativ trat sie einen Schritt von ihm weg. „Ihr habt mich behandelt wie ein braves Ashakisches Weib! Ein Weib! Das nichts zu sagen hat und ihrem Gemahl dient! Ich aber … Ich bin eine Kriegerin“, zischte sie ihm gereizt entgegen. „Eine Kriegerin, die keinem Mann untergeben ist! Auch Euch nicht!“
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Er kochte vor Zorn und hielt sich zurück. Wie konnte sie es wagen, so herablassend mit ihm zu reden! Doch andererseits war er ja selbst schuld. Verdammt. Ihm war bewusst, dass er einen Fehler gemacht hatte, einen sehr großen sogar.
Die Erkenntnis war ihm auf der Reise hierher mehr als nur klar geworden.
Aber was kann ich jetzt tun, um sie davon zu überzeugen, von Neuem mit mir zu gehen? Wie kann ich diesen tiefen Bruch zwischen und schließen?
Da stand sie nun vor ihm. So schön. So kämpferisch. So wild. Seine Verlobte. Mit genau der rebellischen Art, die er so an ihr liebte und ihm aber auch einiges an Ärger eingebracht hatte.
Nachdem sie einen Schritt vor ihm zurückgewichen war, tat er es ihr gleich, öffnete seine Umhangschnalle, griff in den Fellbesatz, um kurzerhand den Umhang weit von sich zu werfen. Er packte sein Schwert, zückte es und meinte auffordernd: „Dann komm! Zeig mir diese Kriegerin! Denn die vermisse ich und nicht das brave Weib, von dem du eben sprachst.“
Fest den Griff des Krummsäbels umklammernd, funkelte er sie kämpferisch an. „Du weißt, dass ein braves Weib nicht zu mir passt, also ...“, den offenen Satz kommentierte sie mit wütend zusammengekniffenen Augen. Sie trat zwei weitere Schritte von ihm weg, um ihr Schwert erneut zu ziehen.
Da hatte er sie. Seine Kriegerin. Er wollte schon den ersten Zug machen, doch sie kam ihm zuvor. Tarija tänzelte auf ihn zu, keinen Augenblick später klirrten ihre Klingen gegeneinander.
Sie schien ihre ganze Wut auf ihn in diesen Schlag zu stecken, denn er hatte Mühe ihn zu parieren, was ihn aber auch etwas erschreckte.
Wie tief saß der Zorn in ihr? Hatte er überhaupt noch eine Chance sie zurückzubekommen?
Ihm blieb keine Zeit sich weitere Fragen zu stellen, denn mit ungeheurer Wucht, deckte sie ihn Schlag auf Schlag ein. Er biss die Zähne zusammen. Parierte, so gut er konnte, um ihrem Groll standzuhalten. Er konterte, führte Gegenangriffe aus, doch sie verschonte ihn nicht.
Seine Muskeln zitterten bereits. Er erkannte, dass die Reise Spuren bei ihm hinterlassen hatte und seine Kräfte viel zu schnell schwanden. Sie hingegen, war trotz des vorhergegangenen Übungskampfes ausgeruht und ließ ihn das mehr als nur deutlich spüren.
Gerade sprang sie katzengleich ein paar Schritte von ihm weg, daraufhin sah er flüchtig zu Alban, der seinerseits den Zweikampf mit geschultem Auge beobachtete, ehe das Fauchen ihrer Klinge seine Aufmerksamkeit forderte.
Sofort richtete er den Blick auf sie und parierte im letzten Moment ihr Schwert. Ihm wurde klar, dass sie nicht nur eine ebenbürtige Gegnerin war, sondern ihn auch in die Knie zwang, wenn er nicht aufpasste. Sie war nicht mehr die weltfremde junge Frau, die nicht einmal wusste, wie man einen Dolch richtig hielt, nein. Sie war eine starke, sehr flinke und vor allem sehr gefährliche Frau geworden.
Immer mehr ließen seine Kräfte nach. Der Krummsäbel in der Hand wog plötzlich Tonnen, doch er wuchtete ihn wiederholt nach oben, um ihre Klinge abzuwehren. Dabei erhaschte er einen Blick in ihre Züge, gewahrte ein boshaftes, triumphierendes Schimmern in ihren Augen.
Zu spät erkannte er ihre Taktik, wurde unvorsichtig, weswegen er einen folgenschweren Fehler in seiner Parade beging, den sie gnadenlos ausnutzte. Sie vollführte einen Sprung zurück, schwang gleichzeitig erneut ihr Schwert von unten herauf und schlug ihm den Krummsäbel aus der Hand.
Mehr als nur überrascht starrte er zuerst auf die leere Hand, die eben noch den Griff umfasst hatte, bis eine Schwertspitze in sein Blickfeld rückte und knapp vor seinem Kinn stoppte. An dieser Spitze glitt sein Blick langsam über den Stahl, zu der Hand, die die Klinge hielt.
An dem Arm entlang zu ihrem Oberkörper, wo er für kurz an ihren wohlgeformten Brüsten hängen blieb, ehe er über ihren Hals weiter aufsah und ein zweites Mal an ihren Lippen verweilte.
Dann begegnete er ihren wild funkelnden, smaragdgrünen Augen. Iriden, die ihn sofort in den Bann zogen, wie beim ersten Mal, als er sie kennengelernt hatte. Er kam langsam wieder zu Atem, spürte wie sein Herz raste, während seine Mundwinkel sich zu einem verschmitzten Grinsen verzogen.
„Diese Kriegerin habe ich vermisst“, stieß er, immer noch außer Atem hervor. „Bitte Tarija. Komm mit mir zurück nach Rurgold.“ Inständig hoffte er, dass sie sein Flehen vernahm, es vielleicht ihr Herz berührte, doch ihre Reaktion war eine ganz andere.
Sie nahm die Klinge von seinem Hals, steckte sie ruckartig in die Scheide zurück und kehrte ihm den Rücken zu, ohne auch nur ein Wort zu erwidern. Sie zeigte ihm demonstrativ die kalte Schulter, ermöglichte ihm nicht einen Blick in ihre Züge, um dann ins Haus zu entschwinden.
Zerknirscht starrte er zu der Tür, durch die sie gegangen war. Er presste seine Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte und ein knirschendes Geräusch verursachte. So hatte er sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt. Die Hoffnung, auf eine Versöhnung, die er sich auf der Reise gemacht hatte, verpuffte schlagartig wie ein Traum.
Schritte drangen an seine Ohren. Er erkannte von der Seite her, dass Alban fragend neben ihm stehen blieb.
„Baron Alkje? Was ist zwischen euch vorgefallen? Ich habe in ihrem Blick kein bisschen von der Liebe gesehen wie damals, als ihr aufgebrochen seid. Was habt Ihr getan?“
Ächzend bückte Alkje sich nach seinem Säbel, hob ihn auf, steckte diesen unnötig hart in die Scheide, bevor er Albans Frage mit leiser, belegter Stimme beantwortete.
„Was ich getan habe? Ich habe den größten Fehler meines Lebens begangen und ließ mich verleiten. Zeigte nur für einen kurzen Moment den Ashaker, der ich mal war, indem ich sie wie eine brave Ashakerin behandelte“, brummend nahm er seinen Umhang, während er weitersprach: „Ich hatte zu viel getrunken, wurde grob und anmaßend, woraufhin sie mir ihre Krallen zeigte.“
Klar und deutlich drangen die Bilder dieser verfahrenen Situation in seine Gedanken, was ihm einen schweren Seufzer entlockte. „Sie hielt mich mit ihrem Dolch auf Abstand, vor den Augen meines Vaters und der ganzen Familie. Was vor allem meinem Vater sehr missfiel und er mit drohender Stimme sofort eine offizielle Hochzeitszeremonie anordnete, um ihr … wie er sich äußerte, Manieren beizubringen.“
Betreten sah er zu Alban, der nachdenklich sein Kinn rieb. Er selbst schwieg, bevor er fortfuhr: „Ihr wisst genau wie ich, dass auch eine Kriegerin keinen hohen Stand bei den Ashakern hat, sobald sie verheiratet ist. Tarija wurde dies wohl bewusst und sie flüchtete in der gleichen Nacht aus der Burg. Mein Vater bekam Wind davon und wurde sehr wütend. In erster Linie auf mich.“ Er starrte gequält zu Boden. Die Schande, die er über sich gebracht hatte, lag schwer auf seinen Schultern und vor seinem inneren Auge erschien das zornige Gesicht Ansgars, seines Vaters.
So wütend wie an diesem Tag, hatte er ihn sein ganzes Leben noch nie erlebt, aber das behielt er lieber für sich.
„Vater sah es als kein gutes Zeichen, das ich, sein bester Krieger es nicht schaffte, die eigene Verlobte unter Kontrolle zu halten. Er schimpfte mich einen Schwächling, unfähig eine Frau zu beherrschen. Seine genauen Worte waren: Wenn du nicht fähig bist, eine Frau zu kontrollieren, dann bist du auch unfähig, ein Land zu verteidigen!“ Bei den letzten Worten schluckte er den dicken Kloß im Hals hart hinunter. „Wenn ich nicht als Schande für die Familie dastehen möchte, sollte ich sie finden. Sie bändigen und zurückbringen, um die Zeremonie abzuhalten, so wie es die Tradition fordert. Auch jetzt noch höre ich die letzten Worte, bevor er mich aus dem Thronsaal gejagt hat.“
Fest presste er erneut seine Kiefer aufeinander, während Alban stumm zu ihm kam. „Wenn ich es nicht schaffe, Tarija zu ehelichen, wie es der Brauch verlangt, so wird er mir den Titel eines Barons aberkennen und ich würde alle meine Rechte und Privilegien der Ashakischen Familie verlieren, um als Geächteter gejagt zu werden.“
In Albans Gesicht erkannte er große Verwunderung, aber auch, wie Alban nach einer Lösung für das Problem suchte. Dann hellten sich seine Züge innerhalb eines Lidschlages auf und er legte aufmunternd eine Hand auf Alkjes Schulter.
„Ich rate dir, gib Tarija Zeit. Dräng sie nicht, denn das würde es nur noch verschlimmern. Aber sei dir gewiss. Es war ein großer Fehler von dir, dass du zu deinem Vater gegangen bist. Du weißt besser als ich, dass dein Vater einer des uralten Geschlechts ist und den Traditionen treu. Ich schlage vor, bleib ein paar Tage hier. Näher dich ihr, aber langsam, denn mit ihr ist eine enorme Veränderung vonstattengegangen. Irgendetwas ist von Rurgold hierher mit ihr geschehen. Ich habe sie bei ihrer Ankunft nicht sofort erkannt. Klärt die Angelegenheit mit Bedacht, möglicherweise akzeptiert sie die Traditionen.“
Dass sie sich verändert hatte, hatte er gerade am eigenen Leib zu spüren bekommen. Zwar war sie immer noch die Kriegerin, die er so liebte, doch in ihren Augen war etwas, was er zuvor noch nie gesehen hatte. Eine Kaltblütigkeit, die ihn erschreckte.
Was hab ich nur aus ihr gemacht?
Er musste Alban recht geben. Er durfte jetzt nichts überstürzen. Der Bruch war viel zu tief, was ihn sehr nachdenklich stimmte.
Viele Möglichkeiten, eine Versöhnung zu erlangen, schossen wie Blitze durch seine Gedanken, ehe Albans Stimme zu ihm durchdrang. „Alkje. Lass mich dir noch einen letzten Rat geben.“
Fragend runzelte Alkje die Stirn.
„Wenn du es schaffst, sie wieder für dich zu gewinnen, dann solltest du, wenn die Zeremonie vollzogen ist, nicht zu lange in Ashak bleiben. Glaubt mir. Diese Burg ist für Tarija ein Käfig und würde ihr, aber auch dir nicht guttun.“
Er schürzte die Lippen, nickte leicht, um seinen Umhang um die Schultern zu legen. Dann folgte er Alban hinein ins Haus, wo ihm ein Gemach zugeteilt wurde, für die Tage, die er hier verbringen würde. Aber er hoffte, dass es nicht zu lange dauerte, denn seine Zeit lief. Sein Vater hatte ihm nur ein Jahr Frist gegeben, sie zurück nach Rurgold zu bringen, danach brauchte er keinen Fuß mehr in sein Land setzen.
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Sie saß vor dem Spiegel der Waschkommode, löste langsam ihre Zöpfe, fummelte die Haarperlen heraus, um ihr Haar ordentlich durchzukämmen. Sie brauchte eine ganze Weile dafür, zugleich bereiteten Dienerinnen eine Wanne mit heißem Wasser im Zimmer vor.
So verschwitzt vom Training wollte sie nicht zum Abendessen gehen und ein warmes Bad würde hoffentlich auch ihr Gemüt beruhigen, dass heftig in aufruhe war.
Nachdem der letzte Eimer hineingekippt war, verbeugten sich die Dienerinnen, um ihr Zimmer zu verlassen. Tarija indes wartete, bis das Schloss klickte, bevor sie aufstand, zu der Waschwanne trat und ihre Fingerspitzen hineintauchte, um das Wasser zu kontrollieren.
Sie entkleidete sich, schmiss alles schlichtweg auf den Boden und stieg vorsichtig in die Wanne. Mit einem leisen Seufzen rutschte sie hinein, genoss das Nass auf ihrer Haut, legte die Arme seitlich auf den Rand, um entspannt die Lider zu schließen.
Er hatte sie viel zu schnell wiedergefunden. Sie hätte doch nicht hierherkommen dürfen. Im Nachhinein, wäre es wohl besser gewesen, sie wäre direkt nach Sarkon und durch das große Gebirge geritten, denn das war bis zum Frühling nicht so ohne Weiteres passierbar. Doch diese Gedanken halfen ihr nun auch nicht weiter. Er war hier und das stimmte sie ziemlich mürrisch.
Sie genoss den Luxus des Bades, aber ihre grummeligen Grübeleien, sowie das langsam kälter werdende Wasser vereitelten ihr das. Kurzerhand griff sie nach der Seife, die auf dem Hocker neben der Wanne lag. Sie seifte sich ausgiebig ein. Wusch ihre Haare, tauchte kurz unter, kam prustend hoch und hangelte halb blind, mit der einen Hand das Wasser aus dem Gesicht streifend, nach einem größeren Leinentuch, das ebenfalls auf dem Hocker lag.
Tarija stand auf, rubbelte sich beim Rausgehen trocken, um sich das Tuch um ihren Leib zu wickeln, während sie am Waschtisch Platz nahm.
Kritisch beäugte sie ihr Spiegelbild, streckte sich selbst die Zunge raus und flocht ihre nassen Haare linksseitig in kleinere, enggeflochtene Zöpfe mit den Haarperlen straff nach hinten. Dabei arbeitete sie ordentlich, denn sie sollte ja einige Tage halten.
Ein letztes Mal überprüfte sie eingehend ihre Frisur, bevor sie beim Hochgehen das Leinentuch fallen ließ. Sie schlenderte zum Bett. Auf dieses hatten die Dienerinnen Kleidung gelegt, die sie nacheinander in die Hände nahm.
Sie warf das schwarze, lange Kleid mit kurzen Ärmeln über, band ein gleichfarbiges Mieder um die Taille, doch anstatt der samtenen Schläppchen, zog sie ihre Lederstiefel vor. Alles hier und da zu Recht zupfend, angelte sie nach einem ihrer Dolche, den sie in einen Stiefelschaft steckte.
Erst dann ging sie zur Tür, trat entschlossen hinaus auf den Korridor und lief gemütlich zum großen Saal, wo Alban gerne zu speisen pflegte. Als sie den Speisesaal betrat, erblickte sie Alban, der mit Alkje ein reges Gespräch führte, wobei Alkje bei ihren Schritten, die durch den Raum hallten, ihr entgegensah.
Sofort fiel ihr auf, dass auch er erfrischter wirkte, was daraufhin deutete, dass er ebenfalls ein ausgiebiges Bad genommen hatte.
Langsam trat sie auf die Tafel zu, gewahrte seine sehnsüchtigen Blicke, doch sie zeigte ihm nur die kalte Schulter. Hoch aufgerichtet, mit vorgerecktem Kinn, schlenderte sie hinter Albans Stuhl auf die andere Seite des Tisches, wo sie auf dem Stuhl neben Alban Platz nahm.
Alkje saß ihr direkt gegenüber, mit der breiten Tafel dazwischen die einen guten Abstand zu ihm ermöglichte.
Flüchtig musterte sie ihn. Ihre Augen glitten über die schwarze Lederkleidung, unter der sich deutlich die Muskeln abzeichneten. Sie betonte seine breite Brust, die kräftigen Arme, die sie immer so sanft umschlungen hatten.
Sie riss, fast sich selbst anknurrend, ihren Blick von ihm, denn solche Gedanken durften erst gar nicht aufkommen.
Tarija hatte sich geschworen, nie wieder zu ihm zurückzukehren, und dabei blieb sie auch. Jetzt kam sie auch allein in dieser Welt zurecht.
Grimmig schaute sie hoch in sein Gesicht. Sein Bart war frisch gestutzt und in zwei Zöpfe verflochten, die von silbernen Bartperlen zusammengehalten wurden, während die schulterlangen Haare streng zu einem Pferdeschwanz gebunden waren.
Sie vermied es tunlichst in seine Augen zu sehen, ehe Albans Stimme ihre Aufmerksamkeit von Alkje weg lenkte.
„Tarija ich muss schon sagen, du siehst in allem, was du anziehst bezaubernd aus.“
Sie hatte das Schweigen gar nicht bemerkt, dass den Raum erfüllte, als sie sich anstarrten. Mit seinem Kompliment überging Alban dies.
Zögernd rang sie sich ein Lächeln ab, neigte höflich ihr Haupt, wogegen er in die Hände klatschte.
„Lasst uns was essen. Danach finden wir eine Lösung für euer … nennen wir es ein kleines Problem.“
Na klasse. Was erhoffte sich Alban davon, dieses Problem lösen zu wollen?
Es gab nur eine einzige Lösung und die war, dass Alkje allein zurück nach Rurgold ritt, während sie zu ihrer Familie ging. Sie sah Alban auf seine Worte hin skeptisch an, schwieg und wartete, bis die Diener das Essen aufgetischt hatten.
Mehrmalig versuchte Alban ein Gespräch mit ihnen beiden anzufangen, doch Tarija entgegnete kaum etwas. So war es nur Alkje, der hin und wieder ein paar Worte mit Alban wechselte, wobei Alban ihr oftmals nachdenkliche Blicke schenkte.
Auch entging ihr nicht, wie Alkje verstohlen zu ihr sah, was sie aber konsequent missachtete.
Nachdem sie gesättigt waren, die Bediensteten alles abgeräumt hatten, rieb Alban wohlwollend über seinen Bauch, auf das hin ein Diener zu ihm eilte, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
Für Tarija kam das Ganze wie eine einstudierte Szene vor, weswegen sie argwöhnisch wurde. Alban indes stemmte behäbig seinen Leib hoch und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln.
„Verzeih, aber dringende Angelegenheiten bedürfen meiner Aufmerksamkeit.“
Seine Worte stimmten sie keineswegs milde, sondern schürten ihre Skepsis. Sie schwieg, beobachtete, wie er hinter dem Diener den Saal verließ, während sie mit Alkje allein zurückblieb.
Nein, so einfach löste man das Problem nicht, falls Alban es sich so vorgestellt hatte.
Sie stand auf, umrundete den Tisch und schritt energisch zur Tür. Gleichzeitig bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass Alkje hastig aufsprang, um ihr Hinterherzueilen. Er hielt sie am Oberarm fest, woraufhin sie fauchend herumfuhr. „Lass mich sofort los!“
Gegen ihre Erwartung ließ er sie los, dann trafen ihre Augen aufeinander. In seinen lag ein Flehen, während in der Stimme Verzweiflung mitschwang, als er flüsterte: „Lass uns bitte reden.“ Mit den Worten hob er die Hand, wahrscheinlich um sie zu berühren, doch er verharrte.
„Ich vermisse dich von tiefsten Herzen. Glaube mir, ich würde lieber mit dir durchbrennen und einen Neuanfang beginnen, aber…“, sein Zögern ließ sie aufhorchen. Was hinderte ihn daran, es zu tun? Nur darüber zu reden machte es auch nicht besser.
Sie nahm wahr, wie er betreten zu Boden starrte, bevor er weitersprach. „Mein Titel steht auf dem Spiel. Vater wurde nach deiner Flucht sehr wütend und drohte mir.“
Das war es also. Er hatte Angst um seinen Titel, seine Rechte als Baron. Warum war ihm das auf einmal so wichtig? Schließlich war er all dem jahrelang davongelaufen und nun kam er ihr so? Nein, dass allein genügte ihr nicht als Argument zurückzugehen. Bevor sie sich jedoch abwendete, redete Alkje leise weiter.
„Er drohte, wenn ich dich nicht offiziell eheliche, so wie es die Traditionen vorschreiben, wird er mir meinen Titel aberkennen. Das hieße, ich wäre kein Erbe der alten Ashaker mehr, sondern ein Geächteter.“
Na und? Was interessiert mich das? Soll er doch ein Ausgestoßener werden. Mich geht das nicht im Geringsten was an. Ich geh dahin, wo ich hingehöre.
Sie spürte, dass seine Hände zärtlich auf ihre Taille wanderten, er sie sachte herzog, um sehnsüchtig seine Lippen auf ihre zu legen.
Auch in ihr stieg für einen kurzen Moment das Verlangen nach ihm hoch, doch dieses drängte sie vehement zurück. Selbst wenn sie noch Gefühle für ihn hatte, dass was geschehen war, konnte sie nicht einfach so zur Seite schieben. Zudem, wer versicherte ihr, dass so etwas nicht noch einmal geschah? Nein, er würde keine zweite Gelegenheit bei ihr bekommen.
Zur Statue erstarrt, wartete sie, bis er die Lippen von ihren löste, ohne jegliche Erwiderung seiner Zärtlichkeit. Bei dem Versuch, ihre Lippen liebkosend mit der Zunge zu öffnen, konterte sie mit eisern aufeinandergepressten, woraufhin er von ihr abließ. Alkje runzelte fragend die Stirn, strich zärtlich über ihre Seite.
Sie hingegen sah ihn lauernd an, legte ihre Hände auf seine Brust und drückte ihn demonstrativ weg, um gleich darauf die Hände von ihrer Taille zu streifen.
„Lass es!“, zischte sie. „Es ist vorbei. Ich ziehe mein Ja-Wort zurück und du lässt mich endlich in Ruhe. Es gibt kein wir mehr! Hier endet unsere Suche nach der Prophezeiung!“
Deutlich sah sie in seinen Augen die Verzweiflung aufsteigen. Er öffnete den Mund, aber sie drehte ihm den Rücken zu und verließ den Raum.
Jedoch dauerte es nicht lange, bis sie Schritte vernahm.
Er gab nicht auf, doch auch das ließ sie kalt. Sie beschleunigte ihre eigenen, huschte durch die Korridore und begab sich hinaus in den Garten.
Kühle Nachtluft streifte ihre Haut, während sie die Treppe hinuntereilte. Kaum knirschte der Kies unter ihren Füßen, nahm sie die Gestalt des Wolfes an, um durch den Garten hinaus in die Schwärze der Nacht zu rennen.
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Er hastete ihr, so schnell er konnte, durch die Korridore hinterher, hinaus in den Garten, doch so flott er auch rannte, er holte sie nicht ein.
Ihre Worte hallten immer und immer wieder in seinen Gedanken. So ganz glaubte er noch nicht daran, dass sie gar nichts mehr für ihn empfand. Ihr zurückgenommenes Ja-Wort war wie ein Schlag ins Gesicht. Es ließ ihn nicht mehr los. Er würde um sie kämpfen, mit allen Mittel, die ihm zur Verfügung standen, denn so schnell gab er sie nicht auf.
Auf der oberen Treppenstufe hielt er inne. Er erspähte nur noch die Rute eines dunkelbraunen Wolfes, der mit ausgreifenden Sprüngen in die Nacht verschwand. Sofort veränderte er seine Form.
Mit einem Satz hechtete er die Treppe hinunter und verfolgte sie. Seine Pfoten trugen ihn schnell über den laubbedeckten Waldboden, ehe er sie endlich einholte.
Noch während sie nebeneinander liefen, berührte er sie mit der Schnauze an der Schulter, woraufhin ein milchiges Licht sie umhüllte. Im Lauf nahm Tarija die Gestalt einer Eule an, um majestätisch in die Lüfte aufzusteigen.
Alkje blieb abrupt, sowie überrascht stehen.
Habe ich das gerade richtig gesehen? Wie macht sie das nur?
Irritiert schüttelte er den Wolfskopf, um es ihr gleichzutun. Er stellte sich in Gedanken eine Eule vor und hüllte seinen Leib ebenfalls in das milchige Schimmern. Doch so fließend wie sie, bekam er es bei Weitem nicht hin, denn diese Art der Veränderung war schwierig, gleichzeitig verlangte sie ihm einiges ab.
Nachdem er es geschafft hatte, eroberte er die Lüfte und flog ihr hinterher. Er brauchte eine ganze Weile, bis er sie fand, um sie in weiten Bögen zu umkreisen.
Willst du mich jetzt damit beeindrucken, dass du geübt hast, um mir gleich zu sein? Dann muss ich dich enttäuschen. Hör endlich auf mir zu folgen. Es ist vorbei! Schrie sie und stieß unerwartet auf ihn zu, ihre Krallen weit nach vorne gestreckt, denen er nur knapp entging, während ihre Stimme fauchend in seinen Gedanken widerhallte. Ich komme nicht zurück nach Ashak! Erst recht nicht nach Rurgold. Dein Vater sieht in mir nur irgendein Weib wie jedes andere. Aber er sieht nicht, wer ich bin!
Erneut attackierte sie ihn. Diesmal büßte er ein paar Federn ein, die zu Boden segelten.
Warum soll ich mich diesen Traditionen fügen? Warum? Nur damit du weiter im Adel bleibst? Was verdammt noch mal bringt dir dieser Adel, vor dem du jahrelang geflohen bist?
In weiten Kreisen glitten sie durch die Nacht, wobei er zunächst erstaunt war, dass er sie verstand, was wohl daran lag, weil sie beide die gleiche Gestalt hatten.
Er bewunderte zusehends, wie anmutig sie sich bewegte. Wie oft hatte sie diese Form schon angenommen? Die sie so in Perfektion beherrschte, indessen er trotz vielen Übens noch einige Schwierigkeiten hatte.
Plötzlich tauchte sie ab, glitt lautlos auf der Nachtbrise Richtung Boden und er folgte ihr, so schnell er es konnte.
Tarija bitte, verstehe mich doch. Ich bin an diese Familie gebunden durch das Blut, das in meinen Adern fließt. Auch wenn ich dem ganzen jahrelang entflohen bin, der Adel bringt gewisse Vorzüge, die wir auf unserer Reise nutzen können.
Hatte sie seine Worte überhaupt vernommen? Er zweifelte ein wenig daran, denn sie segelte weiter nach unten, bis sie auf einem nahe gelegenen Ast landete.
Bevor er jedoch landete, vollzog er noch einmal einen großen Bogen, bis er seine Krallen in das Holz eines anderen Asts schlug.
Ihre durchdringenden smaragdfarbenen Augen spießten ihn regelrecht auf, während sie knurrte. Es gibt keine gemeinsame Reise mehr. Hast du es denn immer noch nicht kapiert Alkje! Unsere Wege haben sich getrennt!
Er schüttelte sein Gefieder. Ich bitte dich. Überdenke diesen Schritt noch einmal. Tarija ich liebe dich und will dich unter keinen Umständen verlieren. Du bist die Erfüllung meines Lebens. Bitte lass uns gemeinsam das beenden, was wir angefangen haben.
Ein Eulenschrei kam aus ihrem Schnabel, ehe sie sich ebenfalls aufplusterte, dabei ihre Krallen wütend in die Rinde schlug.
Dann lass deine Familie hinter dir! Entscheide dich! Entweder Ich oder deine Familie!
Mist. Wie schaffe ich es nur, mich immer in solche Zwickmühlen zu manövrieren. Was soll ich nur tun? Ich will sie nicht verlieren, aber auf die Vorteile des Adels will ich auch nicht verzichten.
Er musste einsehen, dass beides wohl doch nicht möglich war, wenn sie weiter so darauf beharrte.
Ich will aber ein Teil meiner Familie bleiben. Glaube mir, die Privilegien des Adels können uns nur von Vorteil sein. Lass uns gemeinsam die Tradition hinter uns bringen, dann werden wir sofort Ashak verlassen und uns von Neuem auf den Weg der Prophezeiung machen.
Nicht einen Moment wendete er seine Augen von ihr. Er verinnerlichte jede Einzelheit dieser wunderschönen Eule, die lautlos zu Boden glitt. Noch im Flug, knapp über dem Boden die Form der Frau annahm, die er so liebte. Doch der Anblick ihrer eiskalten Augen, jagte einen Schauer durch ihn hindurch.
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Sie musterte eingehend die Eule, in die sich Alkje verwandelt hatte. Ein großes, kräftiges, aber auch anmutiges Tier mit braunem Gefieder, wobei Brust, Rücken und Schwungfedern dunkler marmoriert waren.
Er breitete die gewaltigen Schwingen auseinander, glitt wie sie zuvor von dem Ast herunter, um elegant auf dem Boden zu landen. Erst dann umhüllte ihn das milchige Schimmern.
An der Art seiner Verwandlung erkannte sie, dass es ihm schwerfiel, doch sie sah auch, dass er nicht untätig gewesen war, während er nach ihr gesucht hatte. Er gehörte eindeutig wie sie zu den besonderen Wolfskindern.
Nun stand er breitschultrig, muskulös und verdammt attraktiv vor ihr. Ihre Gefühle zu ihm regten sich schon wieder. Ein weiteres Mal drängte sie diese weg. Nein, sie würde nicht nachgeben, doch auf das, was nun geschah, war sie nicht vorbereitet.
Sie starrte in seine Augen, in denen immer noch eine tiefe Sehnsucht lag. Unverhofft sank er vor ihr auf die Knie, sah flehend zu ihr auf und flüsterte mit brüchig werdender Stimme: „Werde meine Gemahlin. Nicht als brave Frau, so wie mein Vater dich sieht, sondern als die Kriegerin, die ich von ganzem Herzen liebe.“
Moment? Tut er das gerade wirklich? Hatte er mir nicht mal erzählt, dass ein Ashaker nie sein Knie vor einer Frau beugt?
Das musste ein Traum sein. Nie im Leben geschah das jetzt wahrhaftig. Doch es war kein Traum.
Vor ihr kniete ein Ashaker, noch dazu der zukünftige Heerführer auf dem Waldboden, mit flehendem Blick zu ihr.
Sie erkannte in den Augen, dass er bereit war, alles aufzugeben, nur um mit ihr zusammen zu sein.
Starr erwiderte sie seinen Blick, während sie innerlich ganz aufgewühlt war.
Verdammt, was soll ich nur tun?
Sie war hin und her gerissen. Sollte sie ihm glauben? Ihm nachgeben? Aber was, wenn er ihr gegenüber erneut handgreiflich wurde, sie sich verteidigen musste?
Aber ihre Gefühle zu ihm waren stark. Gleichzeitig berührte der Anblick, den er ihr bot, ihr Herz. Ließ sie weich werden, doch entgegen all dem, was sie fühlte, legte sie eine dicke Schicht Eis darüber. Fror die Empfindungen augenblicklich ein.
Nein! Sie würde nicht nachgeben, das hatte sie geschworen. Dass was vorgefallen war, lag wie eine schwere Last auf ihren Schultern, die sie ihm entschlossen zeigte. Aus dem Augenwinkel beobachtete Tarija, wie er zusammensackte. Ein hoffnungsloser Ausdruck in seinen Zügen erschien.
Sie hingegen richtete ihr Augenmerk in die Dunkelheit, um innerlichen einen Kampf auszufechten. Sollte sie weiter hart bleiben? Ihn weiter abweisen, bis er ohne sie zurück nach Rurgold ritt? Dort seinen Titel und sein Erbe verlor, um zum Geächteten zu werden? Oder gab sie doch ihrem Herzen nach? Ließ die Liebe zu, die sie zu diesem Barbaren empfand. Sie war hin und her gerissen.
Vorsichtig linste sie über ihre Schulter hinweg zu ihm. Sie nagte auf der Unterlippe herum, bei dem Anblick, der sich ihr bot.
Hinter ihr kniete ein Mann, der jegliche Hoffnung verloren hatte. Dessen Herz zu zerbrechen drohte. Zweifel kamen in ihr auf, ob sie gerade wirklich das Richtige tat.
Langsam straffte sie ihre Schultern, drehte sich zu ihm um und sah auf ihn herab. Er kniete vor ihr, hatte sie angefleht. Er, der nicht einmal mit der Wimper zuckte, wenn er im Kampf jemanden tötete.
Welchen Beweis braucht sie noch, dass er ohne sie nicht mehr leben konnte, dass er sie von ganzem Herzen liebte.
Zögernd trat sie auf ihn zu, sank vor ihm auf die Knie, doch er sah nicht auf. Er sah nur mit trostlosem Blick zu Boden, bis sie ihre Hände auf seine bärtige Wange legte. Sie zwang ihn behutsam, hochzusehen.
Aneinander anschauend erkannte Tarija den Kummer, der in ihm nagte. Sie beugte sich zu ihm vor, um ihn zärtlich auf den Mund zu küssen.
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Er war unfähig, auch nur eine Bewegung zu vollführen, nachdem ihre Lippen sanft auf seinen lagen.
Konnte er doch hoffen? Oder war es ein endgültiger Abschiedskuss? Was sollte er tun? Er wollte sie nicht verlieren.
Zaghaft, aus Angst er zerstöre diesen schönen Moment, hob er die Hände und legte sie an ihre Taille. Sie zuckte nicht zurück.
War das ein gutes Zeichen? Vorsichtig glitten seine Hände in ihren Rücken. Die einzige Reaktion darauf kam in Form eines noch innigeren Kusses, was ihn dazu brachte sie zu umarmen. Sachte drückte er sie an sich, auf dass sie ihre Arme liebevoll um seinen Nacken legte.
Er verinnerlichte jede Berührung, aus Angst, sie änderte ihre Entscheidung. Flüsternd hauchte er zwischen zwei Küssen: „Ich liebe dich“, woraufhin sie ihm in die Augen sah.
Diese wunderschönen smaragdfarbenen Iriden, in die er so gerne versank und die ihm nicht mehr eiskalt begegneten. Nein. In ihnen flammte die Liebe, die er so sehnsüchtig gesucht hatte.
Stürmisch presste er seine Lippen auf ihre, konnte es noch nicht ganz glauben, dass sie sich doch wiederholt für ihn entschieden hatte.
„Nie mehr werde ich mein Altes ich durchlassen. Nie wieder will ich dich verlieren, ich…“, ihre Lippen unterbrachen seine Worte. Er schloss erleichtert die Augen.
Mit ihr im Arm sank er zur Seite, während sie halb auf ihm lag. Er genoss diesen Moment, denn er hatte sie zurück. Seine Verlobte. Seine Kriegerin und diesmal würde er sie nie mehr gehenlassen.
Seine Hand umfasste ihr Gesäß, drückte sie inniger gegen den Leib, doch gleich darauf spürte er ihre Hand an der Brust, mit der sie ihn wegdrückte. Angst kletterte seine Kehle hoch, schnürte sie ihm sofort zu. Ein harter Kloß ließ ihn schwer schlucken, aber einen Blick in ihre Augen, lösten diesen augenblicklich.
Verliebt lächelte sie ihn an, schob eine Haarsträhne aus seinem Gesicht, küsste ihn auf die Stirn und nahm neben ihm Platz.
„Ich will nicht noch einmal meine Klinge gegen dich erheben. Also halte dich im Zaum, sonst siehst du mich nie wieder.“
Er schluckte schwer, setzte sich auf und nickte. „Nie wieder Tarija. Das verspreche ich dir.“
Sanft strich sie mit ihrer Hand über seine Wange, drückte ihm einen kurzen Kuss auf den Mund und stand geschmeidig auf. Sie klopfte das Laub aus dem Kleid, ehe sie ihm auffordernd die Hand entgegenhielt.
„Wir sollten zu Alban zurückgehen. Jedoch bin ich noch nicht ganz damit einverstanden zurück nach Rurgold zu reisen.“
„Aber die Zeremonie. Vater hat mir nur ein Jahr Frist gegeben, um dich zurückzubringen, und du weißt, wie lange man nach Rurgold braucht. Wir sollten nicht zu lange…“
„Dräng mich nicht! Ich gebe dir eine zweite Gelegenheit, aber wenn du diese verspielst, dann war es das mit uns! Du hast aus mir eine eigenständige, kämpferische Frau gemacht, also lerne damit umzugehen.“ Ihre Augen funkelten ihn drohend an und ihm wurde bewusst, was das für eine Frau vor ihm war.
Ja, er hatte aus ihr eine selbstbewusste Kriegerin gemacht. Eine die wusste ihre Krallen einzusetzen und das war auch gut so, selbst wenn er es sich hin und wieder vor Augen halten musste.
„Dann lass uns jetzt zu Alban zurückgehen. Er wird bestimmt glücklich darüber sein, dass wir abermals zueinandergefunden haben.“ Sie bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick, den er mit einem schiefen Lächeln erwiderte, woraufhin sie sich in das Schimmern hüllte.
Auch er nahm die Form des Wolfs an, stupste sie mit der Schnauze ins Halsfell und dann trabten sie nebeneinander, Schulter an Schulter zu Albans Haus. Mehrmals schielte er zu ihr rüber, fühlte, wie das Glück ihn durchströmte. Er hatte es doch geschafft, ihr Herz zurückzugewinnen, auch wenn es sehr knapp gewesen war. Er musste jetzt vorsichtiger sein mit dem, was er tat.
Vor ihm tauchten durch das Gebüsch die ersten Lichter von Albans Anwesen auf. Sie huschten an den Koppeln vorbei durch den Garten, bis sie bei der Treppe angekommen waren, wo sie stehen blieben. Gleichzeitig nahmen sie ihre menschliche Gestalt an, schritten ins Haus, durch die Gänge zum Speisesaal, wo sie sich vor den Kamin stellten, indem ein wärmendes Feuer knisterte.
Tarija von der Seite betrachtend, legte er zögernd den Arm um ihre Taille, um sie zu sich zu ziehen. Verschmitzt grinste sie ihn an, bevor sie ihren Kopf an seine Schulter schmiegte, den Blick ins Feuer gerichtet. Er hingegen vergrub die Nase in ihrem Haar, sog ihren Duft ein, dabei kreiste sein Daumen liebevoll über ihre Taille, ehe er mit der anderen ihr Kinn anhob und ihr zärtlich einen Kuss gab, den sie innig erwiderte.
Genau in dem Moment hallten Schritte durch den Raum, die jedoch abrupt abbrachen. Gleich darauf vernahm er Albans Stimme. „Oh … ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr euch so schnell einigt.“
Alkje löste sich widerwillig von ihr. Er sah zu Alban, der langsam auf sie zukam, während ein väterliches Lächeln um seine Züge lag.
„Es ist schön, euch wieder vereint zu sehen. Prophezeiung hin oder her. Ihr gehört zusammen.“ Er blieb neben ihnen stehen, sah ein paar Sekunden in das Feuer, bevor er erst Tarija, dann ihm fest und ernst in die Augen sah, wobei eine nachdenkliche Falte an seiner Stirn auftauchte.
„Alkje? Jetzt wo ihr euch von Neuem zusammengefunden habt, wie sieht euer weiterer Weg aus? Werdet ihr nach Ashak reisen und die Tradition wahren, oder was gedenkt ihr zu tun?“
Eine berechtigte Frage, die Alban ihm stellte, doch was gab er zur Antwort? Eben noch hatte ihm Tarija sehr deutlich gesagt, dass sie so schnell nicht zurück nach Rurgold wollte, doch bevor er etwas entgegnete, meinte sie: „Wir werden die Ashakischen Tradition wahren und in den nächsten Tagen zurück nach Rurgold reisen.“
Mit allem hatte er gerechnet nur nicht damit. Verblüfft, halb den Mund geöffnet sah er sie an, während sie ihm nur ein verschlagenes Grinsen schenkte, von ihm wegging und vor Alban innehielt.
„Alban? Könntest du mir vielleicht einen Boten aussenden?“ Alban nickte zaudernd auf ihre Worte hin, wobei die Furche an seiner Stirn noch tiefer wurden.
„Für was benötigst du einen Boten?“
Ihr Lächeln, das sie Alkje schenkte, war gemeingefährlich. Er fragte sich mit wachsender Neugierde, was sie im Schilde führte, wobei die Antwort darauf prompt folgte.
„Der Bote soll König Ansgar ein Schreiben überbringen, in dem von unserer Rückreise berichtet wird. Zudem soll drinstehen, dass König Ansgar alles für die Zeremonie vorbereiten kann.“
Nun klappte seine Kinnlade gänzlich nach unten.
Habe ich das eben richtig verstanden? Sie willigt in die Ashakischen Traditionen ein?
Er fasste es immer noch nicht so richtig. Vor allem nicht, dass sie ihre Entscheidung so schnell geändert hatte. Bildete er sich ihre Worte scheinbar nur ein? Er sah zu Alban, indessen Gesicht ebenfalls ein überraschter Ausdruck lag und erkannte, dass er sie doch richtig verstanden hatte.
Ihm fiel ein großer Stein vom Herzen. Auch Alban nickte zufrieden, ehe er den Raum verließ, um einen Boten mit genanntem Schreiben nach Rurgold zu schicken.
Kapitel 2
Das immer schlechter werdende Herbstwetter, ermöglichte kein schnelles Vorankommen, wie bei ihrer letzten Reise nach Rurgold. Doch nach zähen zwei Monaten, in denen sie durch peitschenden Regen, dichten Schneefall und heftigen Wind ritten, lag das aus dicken Dielen, mit schweren Eisenbeschlägen gezimmerten Tor der Stadt vor ihnen. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass eine Eskorte entgegenkam, doch dem war nicht so, obgleich sie das auch nicht brauchten.
Sie kamen auch so zügig durch die Straßen. Jeder wich beim Anblick von ihnen respektvoll zur Seite. Tarija betrachtete nur flüchtig ein paar der Gesichter, bis sie vor dem großen Tor der Hauptburg ankamen.
Zu Alkje linsend beobachtete sie, wie er zu einem Ruf ansetzte, aber im gleichen Moment knarrte es vor ihnen. Ein Flügel des mächtigen Tores schwang behäbig nach innen auf.
Er schenkte ihr einen kurzen Blick, der deutlich sagte: Halt dich zurück und lass es uns hinter uns bringen.
Sie bestätigte mit einer knappen Bejahung, bevor sie ihren Hengst weitertrieb. In gemächlichen Schritt ließen sie ihre Pferde laufen. Sie passierten den hohen Torbogen, der mit einem lauten Knarren in ihrem Rücken verschlossen wurde.
Neben Alkje lenkte sie ihr Ross in Richtung des großen Stalles, zügelte ihn, um erschöpft aus dem Sattel zu rutschen.
Auch an den Pferden war die Reise nicht spurlos vorbeigegangen. Sie standen mit abgekämpft gesenkten Köpfen da, gaben nur ein leises erleichtertes Schnauben von sich und liefen bereitwillig mit in den Stall.
Alkje hatte bei dieser Reise deutlich das Tempo angezogen. Zwar war sie damit nicht immer so einverstanden, was oft zu hitzigen Diskussionen geführt hatte, doch irgendwann gab sie genervt nach.
Die wenigen Male, wo sie ihn ausbremste, war mehr wegen der Pferde, denn er ließ sie viel zu oft in einem straffen Galopp laufen, den sie dann zu einem kräftesparenden Trab drosselte, damit die Tiere ausruhten.
Durch die widrigen Wetterbedingungen kam es aber oft vor, dass ihr Weg nur langsam voranging, oder sie gar einen ganzen Tag aussetzten.
Meist bestand ihr Unterschlupf aus ihren Mänteln, oder sie hatten aus Ästen und Blättern ein improvisiertes Zelt gebaut, denn nur in den vier Städten, die sie durchreisten, gönnten sie sich den Luxus eines Bettes.
Gehöfte, oder gar Siedlungen, gab es ja auf ihrer Route kaum. Oftmals war gerade an diesen Tagen, wo sie eines erreichten das Wetter besser gelaunt, weswegen sie weiterritten.
Sie tätschelte Kajajell liebevoll den Hals, führte ihn in eine der leeren Boxen und befreite ihn von der Ausrüstung.
Bevor sie bei Alban aufgebrochen waren, war sie völlig überrascht gewesen, ihren Hengst in einer Box neben Dragons zu sehen. Alkje hatte sie nur angelächelt mit den Worten: „Er hatte fast die Box zu Kleinholz verarbeitet, nachdem ich Haros fertiggemacht hatte, um dich zu suchen, weswegen ich entschied ihn mitzunehmen.“
Über diese Entscheidung war sie mehr als nur froh, denn wieder auf dem Rücken ihres treuen Hengstes zu sitzen, war ihr viel wert. Sie löste den Sattelgurt, erntete ein erleichtertes Schnauben, was ihr ein Schmunzeln ins Gesicht zauberte.
Nach und nach nahm sie ihm die Satteltaschen, den Sattel und die Trense ab, was er mit ausgiebigem Schütteln kommentierte. Alkje tat das Gleiche eine Box daneben mit Haros, ehe sie noch eine ordentliche Portion Heu, sowie frisches Wasser den Pferden zur Verfügung stellten.
Tarija ließ es sich aber nicht nehmen, Kajajell beim Fressen ausgiebig zu bürsten, um ihn etwas von dem Reisedreck zu befreien. Zweimal überprüfte sie, ob es ihm an nichts fehlte, bevor sie die Box verschloss.
Erschöpft lehnte sie mit dem Rücken gegen das Gatter, schloss einen Moment ihre Augen, bis sie Hände auf ihrer Taille wahrnahm. Müde öffnete sie ihre Lider. Sie sah in Alkjes ernst dreinschauendes, ermattetes Gesicht.
„Wie besprochen?“, raunte er ihr zu, was sie nur mit einem leichten Nicken kommentierte, woraufhin er sie sanft küsste.
Zu oft hatten sie das Thema auf der Reise durchgesprochen und waren der Meinung, dass Tarija, bis sie die ganze Zeremonie hinter sich hatten, die Rolle der braven Ashakischen Frau spielte, um so Ansgar milde zu stimmen.
Ihr war klar, dass es ihr Einiges abverlangte, sich nach den Gepflogenheiten des Königshofes zu richten, die sie auch nur ungenügend kannte. Doch ihre Entscheidung war gefallen. Sie versuchte es wenigstens.
„Ich weiß, es wird dir sehr schwerfallen. Aber du weißt auch, du musst nur durchhalten, bis wir alles hinter uns haben und wir Rurgold verlassen.“
Ein tiefer Seufzer kam über ihre Lippen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, ehe sie ihn flüchtig küsste.
„Ich werde es versuchen. Wenn nicht schließe ich mich bis zur Zeremonie im Zimmer ein, oder überlebe anderweitig die Tage auf der Burg.“
„Du bist unmöglich.“
„Ich weiß“, konterte sie, ihn sanft zur Seite drückend. Er schüttelte lächelnd den Kopf, schritt die Stallgasse hinaus, während sie dicht neben ihm blieb.
Über den Burghof fegte ein eisiger Wind, weswegen sie ihren Umhang fester um sich zog und sie eiligst zum Haupthaus hasteten. Zwei Stufen auf einmal nehmend erklommen sie die graue Steintreppe, traten vor den Haupteingang, den er ihr galant öffnete, woraufhin ihnen wohltuende Wärme entgegenschlug.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, sahen sie sich kurz um. Er trat an ihr vorbei auf einen Diener zu, der gerade an ihnen vorbeihastete, aber bei Alkjes Anblick abrupt stehen blieb.
„Bringt mich zu meinem Vater!“ Keine Bitte. Ein klarer Befehl, was ihr wieder mal verdeutlichte, wen sie zum Gefährten hatte.
Der Diener neigte sein Haupt, vollführte eine einladende Armbewegung, auf die sie ihm folgten.
In einer allzu gewohnten Haltung, die Hand auf dem Schwertknauf liegend, schritt sie neben Alkje und hinter dem Diener her, der sie auf direktem Weg zum Thronsaal brachte.
Sie schielte zu Alkje, erkannte, dass seine Gesichtszüge immer mehr zu Stein wurden, mit einem gleichmütigen Ausdruck in den Augen.
Mal sehen, was mich erwartet. Vor allem, wie wohl Ansgar auf mich zu sprechen ist, nach meinem Tun.
Ein wenig wurde sie doch nervös, denn sie betrat auf direktem Wege die Höhle des Löwen.
Vor der Tür zum Thronsaal hielten sie inne. Der Diener indes schlüpfte geschickte durch einen Spalt, denn er geöffnet hatte, während sie geduldig warteten. Nur einem Moment später schwang die Tür vollends nach innen auf und sie traten ein.
Sie begaben sich mit bemessenen Schritten auf den Thron zu, auf dem Ansgar, in irgendwelche Unterlagen vertieft, saß. Erst beim Klang ihrer Tritte, die durch den Saal hallten, schaute er ihnen grimmig entgegen. Dieser erboste Blick, schnürte ihr unweigerlich die Kehle zu.
Habe ich mir das wirklich gut überlegt.
Sie zweifelte, doch nun gab es kein Zurück mehr. Ansgar bedachte zuerst Alkje mit einer recht unterkühlten Musterung, ehe er sie sehr kritisch beäugte. Sie fühlte sich alles andere als wohl. Überspielte dies, indem sie ihre Schultern straffte, während ihre Hände feucht wurden.
Sein Gesichtsausdruck, sowie seine Körperhaltung sprachen Bände. Machten ihr klar, was er von ihrer Flucht hielt und schürten ihre Nervosität nur noch mehr.
An Alkje gewandt meinte er: „Mein Sohn. Wie ich sehe, hast du es gegen meine Erwartungen geschafft, sie zu finden, und wie ich hoffe auch gebändigt bekommen.“
Sie riss sich zusammen, um nicht hastig zu Alkje zu schauen, der die Worte seines Vaters mit stoischer Ruhe ertrug, wohingegen Ansgars Augen ihre regelrecht fesselten. Es war der durchdringende Blick eines Anführers, der keinerlei Widerstand duldete.
„Euer Brief hat mich genauso überrascht wie die Tatsache, dass Ihr euch unseren Traditionen doch fügt. Wie Alkje das geschafft hat, sei ihm überlassen, aber mit diesem Schritt allein, bin ich bei Weitem noch nicht besänftigt. Zeigt, dass Ihr willens seid Euch unseren Gesetzten und Traditionen unterzuordnen, dann sehe ich vielleicht über Eure Vergehen hinweg.“
Wieso nur hatte sie das Gefühl, plötzlich ausgeliefert zu sein? Wie ein Tier, das man in einen Käfig sperrte, um es zu zähmen. Ansgars Stimme hallte unangenehm in ihrem Kopf wider.
„Die Zeremonie findet in zwei Tagen statt. Es ist alles schon vorbereitet bis auf ein paar Feinheiten, die noch geklärt werden müssen.“ Endlich sah er zu Alkje, dessen Mimik weiterhin versteinert wirkte. „Ihr solltet euch erst einmal ausruhen, denn ich denke Bejina wird bereits von eurer Ankunft wissen, somit bald zu euch kommen, um die Kleidung für die Zeremonie anzupassen.“
Lässig lehnte sich Ansgar nach hinten, warf einen flüchtigen Blick auf die Unterlagen in seinen Händen, bevor er in Alkjes Richtung mit der Hand eine wedelnde Bewegung vollführte.
Ein deutliches Zeichen, dass die Audienz hiermit beendet war. Sie linste von der Seite her zu Alkje, um gleichzeitig mit ihm ihr Haupt zu beugen, bevor sie, auf dem Absatz drehend, zurück zur Tür schritt, während sie etwas Abstand zu Alkje wahrte.
Auf dem Korridor, nachdem die Tür geschlossen war, schloss sie die Augen, atmete leise auf, auf dass Alkje sie zuversichtlich ansah.
„Er blieb ziemlich gefasst, weswegen wir hoffen können. Lass uns die Tage hinter uns bringen und dann verschwinden.“
„Du sagst das so leicht. Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie man sich richtig zu Hofe benimmt. Was wenn ich etwas falsch mache und deinen Vater noch mehr verärgere.“
Er kam auf sie zu, nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr fest in die Augen. Sie selbst hatte immer noch dieses Unbehagen in der Magengegend, denn das Gefühl in einem Käfig zu stecken, verschwand nicht.
„Du wirst alles richtig machen, das weiß ich. Lass uns jetzt erst einmal in unser Gemach gehen. Ich bin müde von der Reise, zudem hängt immer noch die Kälte in meinen Knochen.“ Seine Lippen berührten flüchtig die ihren, er lächelte sie optimistisch an und nickte in die Richtung, wo der Korridor zu den Gemächern führte.
Sie schwieg, denn auch sie sehnte sich nach Wärme, sowie einigen Nächten erholsamen Schlafes, doch Letzteres würde sie in diesen Tagen gewiss nicht finden.
Alkje folgend, verspürte sie langsam die Schwere in ihren Gliedern. Sie kämpfte dagegen an, um erleichtert aufzuseufzen, nachdem sie endlich in ihrem Gemach stand.
Er indes ließ die Tür ins Schloss fallen, schritt auf die Fenster zu, die einen Blick in den kargen Garten boten, unterdessen er seinen Umhang öffnete.
Eigentlich war sie es von ihm gewohnt, dass er alles auf den Boden fallen ließ, doch nachdem er den Umgang ordentlich über einen Stuhl legte, sah sie ihn verblüfft an.
Was war alles in ihrer Abwesenheit geschehen? Zwar war ihr eine Veränderung an ihm aufgefallen, aber erst jetzt wurde es ihr richtig bewusst. Sie beobachtete, wie er vor dem Fenster innehielt, während sie ebenfalls ihren Umhang öffnete und über einen anderen Stuhl ablegte.
Dann schritt sie an seine Seite. Sah hinaus auf das triste Bild, das ihr geboten wurde.
Der sonst so bunt blühende Garten, zeigte nur ein bedrückendes Braun und Grün, unterdessen der Regen unermüdlich herunter prasselte, zudem der Wind schaurig um die Ecken pfiff.
Ein Schauer jagte über ihren Rücken. Sie kuschelte sich dichter an seine Seite, woraufhin er den Arm um ihre Taille legte.
„Hoffentlich gehen diese Tage schnell vorüber. Es behagt mir ganz und gar nicht, hier zu sein“, murmelte sie verstimmt.
„Ich weiß, dass du dich unwohl fühlst, und teile deine Ansichten. Auch ich möchte nicht länger als nötig hierbleiben, denn diese Burg war lang genug ein Gefängnis für mich.“
Sie legte den Kopf seitlich in den Nacken, sah zu ihm auf, doch bevor sie ihm etwas entgegnete, klopfte es. Gleich darauf schwang die Tür auf.
Tarija löste sich von ihm, um Bejina zu erblicken, die rasch auf sie zukam. Mit in die Hüfte gestemmte Hände baute sie sich vor ihnen auf.
„Ts, ts, ts“, sie schüttelte den Kopf. Bedachte erst Alkje, dann Tarija Vielsagenden, ehe sie sagte: „So! Da seid ihr beiden Ausreißer ja wieder. Habt ihr eigentlich eine Vorstellung davon, was ihr beide für ein Durcheinander angerichtet habt?“ Die Nase rümpfend, trat Bejina vor sie, hob mit spitzen Fingern einen ihrer Zöpfe hoch, um entrüstet den Kopf zu schütteln.
„Wie du aussiehst, her je, da habe ich einiges aufzuarbeiten. Alkje“, tadelnd musterte sie ihn und deutete zur Tür. „Du begibst dich sofort zu Kenjiko. Er kleidet sich ein und schaut, dass alles für den großen Tag passt. Deine Verlobte hier …“, Bejinas Blick war eindringlich. Er schürte Tarijas Unwohlsein noch mehr. „Werde ich mir persönlich vornehmen. Nun geh!“
Keine Bitte, sondern ein Befehl, auf den Alkje mit einem schweren Seufzer antwortete. Nur kurz drückte er ihr einen Kuss auf den Mund, sah sie aufmunternd an und entschwand aus dem Gemach.
Sie hingegen war Bejinas abwägender Musterung gnadenlos ausgesetzt.
„Das wird ein ganzes Stück Arbeit, bis ich dich vorzeigbar hergerichtet habe. Was hast du dir dabei nur gedacht? Dir ist es gelungen, Ansgar über alle Maße zu verstimmen. Ich hoffe nur, dass wir das irgendwie erneut geradebiegen.“
„Ich wollte aber niemanden verärgern. Hätte Alkje sich nicht …“
„A … a … a, langsam Mädchen. Hast du überhaupt eine Ahnung, was Alkje nach deinem Verschwinden alles durchmachte? Wie sein Vater ihn gedemütigt hat?“
Nein das wusste sie nicht. Zerknirscht schüttelte sie den Kopf, um kleinlaut zu entgegnen: „Er hat etwas erwähnt, doch mir nie wirklich alles erzählt.“
Bejina legte besänftigend eine Hand auf ihre Schulter.
„Ich sehe in dir immer noch die gleiche Wildheit, wie an dem Tag, an dem ich dich kennenlernte, aber ich sehe auch, dass du eine sehr kluge Frau bist, so wie ich einst.“
Irritiert runzelte Tarija die Stirn.
„Du musst wissen, Tarija, auch ich war eine Kriegerin, bevor ich mich in einen dieser Ashakischen Barbaren verliebte, was mein ganzes Leben grundlegend änderte.“ Bejina schritt zur Tür, öffnete die und ließ zwei kräftig gebaute Diener herein, die zwischen sich eine schwere Truhe trugen, um sie dann mitten im Raum abzustellen. Die Bediensteten schickte sie mit einem flüchtigen Wink nach draußen, schloss die Tür, um mit einem mütterlichen lächelnd zurückzukommen.
„Damals widersetzte ich mich ebenfalls den Traditionen. Wollte so bleiben, wie ich bin. Doch dann, nach zähem Ringen und sinnloser Gegenwehr, besann ich mich eines Besseren.“
Auf was will sie eigentlich hinaus? Was soll das ganze Gerede? Will sie etwa, dass ich klein beigebe und alles vergesse, weswegen ich geflohen bin. Soll ich wie sie zu einer braven Ashakerin werden und vor den Männern kuschen? Nein!
Sie überkreuzte demonstrativ ihre Arme vor der Brust, reckte ihr Kinn, um knurrend zu entgegnen: „Soll ich etwa so werden wie Du? Niemals! Ich beuge mich nur solange, bis diese ganze Zeremonie vorbei ist. Dann verschwinden Alkje und ich von hier. Für immer!“
Unbeeindruckt ihrer Worte verharrte Bejina vor ihr, zuckte mit den Schultern, um sich zum Waschtisch zu wenden.
„Wenn du meinst, mein Kind. Aber vorerst benimmst du dich angemessen. So ein Gebaren, wie du gerade an den Tag legst, wird Ansgar keinesfalls besänftigen. Komm her und setzt dich.“
„Nein, das werde ich nicht.“
Bejina drehte sich, genervt die Augen verdrehend, zu ihr um.
„Tarija. Bitte. Ich verstehe dich, auch wenn du es mir nicht glauben willst. Du siehst nur das, was sie alle sehen wollen, doch eigentlich bin ich so viel mehr. Ich spiele nur für alle die brave Ashakerin, aber tief in mir drin ist eine Rebellin, eine Kriegerin, die sich hin und wieder außerhalb der Stadt austobt. All das, was du siehst, was sie sehen tue ich nur, um sie zu respektieren und die Traditionen zu wahren.“
Ihr entglitten die Gesichtszüge. Sie starrte Bejina mit halb geöffnetem Mund an.
Habe ich das gerade richtig verstanden?
Sie wusste zu wenig von Bejina, um ein Urteil über sie zu fällen, weswegen sie haderte.
Bejina schien ihre Gedanken zu lesen, denn abermals lag dieses mütterliche Lächeln in ihren Zügen, gleichzeitig klopfte sie auf den Hocker.
„Komm. Ich richte dich jetzt erst einmal ordentlich her, dann probierst du das Kleid an, das ich für dich genäht habe. Bis dahin überlegst du dir, wie du weiter vorgehst.“
Diese Idee klang einleuchtend, weswegen sie zögernd zu dem Hocker ging, um argwöhnisch darauf Platz zu nehmen.
„Also mir hat es damals, sowie heute geholfen, so zu tun. Versuch es. Du wirst sehen, die Tage vergehen wie im Fluge und schon seid ihr wieder auf eurer Reise. So.“ Mit einer Bürste bewaffnet grinste Bejina in den Spiegel. „Jetzt werden wir dieses Chaos erst einmal entwirren.“
Tarijas Kopf ruckte nach hinten. Sie unterdrückte einen Aufschrei, wobei Bejina alles andere als sanft ihre Haare durchkämmte. Sie löste sämtliche Zöpfe, ließ die Haarperlen in eine Schale kullern, während sie förmlich alle Knoten aus ihren Haaren herausriss. Dabei kam kein Laut über Tarijas Lippen, nur eine kleine Träne rollte an ihrer Wange entlang, herbeigerufen von dem schmerzhaften Ziepen.
Bevor Bejina mit ihren Haaren fertig war, ließ sie nach einer Wanne und heißem Wasser schicken, das rasch im Gemach stand.
Ein letztes Mal durchzog die Bürste jede einzelne Strähne, ehe Bejina brummte: „Los, ab ins Wasser und weg mit dem ganzen Reisedreck.“
Widerwillig tat sie, was Bejina verlangt. Tarija ließ sich von ihr schrubben, erduldete mit stoischer Ruhe das Prozedere, bevor sie frisch gewaschen, nur ein Leinentuch um den Körper gewickelt dastand. Sie verharrte in der Nähe des Waschtisches, beobachtete Bejina beim Öffnen der Truhe, die leise knarrte. Das, was Bejina dann herausholte, verschlug Tarija förmlich die Sprache.
Das Kleid an den Schultern haltend, drehte sich Bejina zu ihr um.
„Na? Was meinst du? Ist das nach deinem Geschmack, oder habe ich danebengegriffen?“
Fast schon zu hastig schüttelte Tarija den Kopf, starrte das Kleid an, das aus sehr feinem, weißem Stoff gearbeitet war und je nach Lichteinfall leicht bläulich schillerte.
„Gut. Dann probierst du es jetzt an. Ich möchte sehen, ob es dir passt, oder ob ich doch ein paar Änderungen vornehmen muss.“ Entschlossen trat Bejina an sie heran, gab ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass sie das Leinentuch wegnahm, und stülpte ihr kurzerhand das Kleid über.
Der Stoff wirkte im ersten Moment kühl auf der Haut, umschmeichelte angenehm ihren Körper, während sie Bejina dabei beobachtete, wie sie hier und da das Kleid zurechtzupfte, einen Schritt zurücktrat, um zufrieden zu nicken. „Sehr gut. Nur an manchen Stellen ein paar Kleinigkeiten, aber ich hatte doch ein gutes Auge bei dir.“
Bejina drehte sich erneut zur Truhe um, woraufhin sich Tarija die Frage stellte, was jetzt dazu kam? Reichte das Kleid denn nicht?
Aber schon kam Bejina zurück. In den Händen, ein weißes Mieder mit aufwendiger Perlenstickerei, haltend. Dieses legte sie ihr sorgfältig um die Taille, schnürte es im Rücken fest zusammen, weswegen Tarija den Bauch einzog, obwohl sie ja durch die anstrengende Reise nicht viel auf den Rippen hatte, was Bejina bemerkte.
„Himmel Kind, du bist ja nur noch Haut und Knochen“, entrüstete sie sich kopfschüttelnd. „Aber glaub mir, ein paar Tage hier auf der Burg und du hast wieder schöne Rundungen, die Alkje zu schätzen weiß.“
Die Frau hat Humor.
Verstimmt beobachtete sie Bejina bei ihrem weiteren Tun, denn diese stand schon wieder bei der Truhe, um etwas herauszuholen. Leicht überrascht sah Tarija auf einen langen Umhang, der mit weißem Fell besetzt war und den Bejina sorgsam zu ihr trug. Vorsichtig legte sie diesen um Tarijas Schultern, um ihn mit einer silberverzierten Schnalle oberhalb ihrer Brust zu verschließen.
Der Umhang selbst wog schwer auf Tarijas Schultern, bereitete ihr ein mulmiges Gefühl. So wie eigentlich alles, was sie an sich trug, egal wie wunderschön es war.
Es war eine Last, die sie am liebsten sofort abschütteln wollte. Sie presste ihre Kiefer fest aufeinander, bis sie schmerzte, während sie sich von Bejina zum Spiegel des Waschtisches führen ließ.
Bejina trat zwei Schritte zurück, bewunderte eingehend ihr Werk und nickte zufrieden. Tarija selbst zögerte, in den Spiegel zu schauen, doch als sie es tat, sah sie erstaunt an sich herunter.
Das Kleid war sehr figurbetont, umschmeichelte ihre Rundungen, wobei der weiße Stoff bei jeder ihrer Bewegungen schillerte. In ihrem Rücken, soweit sie es erkannte, lief das Gewand nach hinten in einer Schleppe aus, unterdessen das Dekolleté, zu ihrem Missfallen, durch das eng geschnürte Mieder sehr betont wurde.
Der obere Teil des Kleides war so geschnitten, dass ihre Schultern frei blieben, während der Saum von Bändern in Silberbrokat umwandet wurde. Ihre nackten Schultern, konnte man mit dem weichen Fell des Umhanges bedecken, wohingegen die silberne, kunstvoll gefertigte Schnalle die Blicke von ihrem Dekolleté ablenkten.
Mehrmals sah sie an sich hoch und runter. Über das Kleid, den Umhang, der lang nach hinten über dem Boden lag, zurück in ihre verdutzt wirkende Gesichtszüge.
„Wenn du erst einmal in den Thronsaal schreitest, werden die Männer Alkje um dich beneiden. Nun aber müssen wir noch deine Haare vollends zu Recht machen, denn so läufst du mir nicht hier herum.“
Bin ich denn immer noch nicht fertig? Was noch alles?
Maulend ergab sie sich Bejinas Hände, fühlte sich wie ein kleines Mädchen, dem man die Haare machen musste. Aber sie ertrug es, unterdessen Bejina ihr erklärte: „Ashakische Frauen tragen ihre Haare nur nachts offen. Am Tage hat sie diese zu flechten, oder zu einer Frisur hochzustecken. Aber erst einmal, ziehen wir dir dieses ganze Zeugs aus. Ich habe auch noch etwas Einfaches für dich dabei.“ Prompt zog sie ihr den Umhang aus, dann das Mieder und zum Schluss das Kleid, um alles sorgsam in die Truhe zurückzulegen. Nicht aber, ohne vorher andere Kleidung auf dem Bett auszubreiten.
Tarija fröstelte, nachdem sie nackt im Raum stand, während Bejina ihr grinsend eine Unterhose und ein Brustband reichte. Danach zog sie Tarija ein schlicht geschnittenes Gewand mit einem Miedergürtel an, um sie auf dem Hocker zu platzieren.
„Wenn das alles hier vorbei ist, kannst du deine Haare von Neuem so flechten, wie du es am liebsten hast. Doch vor der ganzen Zeremonie halte dich an die Gepflogenheiten. Ich weiß, wie du dich im Moment fühlst, aber ich bin auch der festen Überzeugung, dass du das schaffen wirst.“ Damit teilte Bejina ihr die Haare, um sie zu zwei gleichmäßigen Zöpfe zu flechten.
„Heute erwartet dich die Königin zum Mittagessen, da solltest du einen guten Eindruck machen. Zudem sei gewarnt. Die Königin hat Todesängste ausgestanden, bis zu dem Tag, an dem dein Brief hier angekommen ist.“
Ein schwerer Seufzer kam über Tarijas Lippen. „Wieso macht sie sich Sorgen um mich? Ich bin eine Kriegerin und komme gut allein zu Recht. Außerdem kennen wir uns alles andere als gut und …“
„Sei nicht nachtragend mit ihr, Tarija. Sie hat dich vom ersten Tag an in ihr Herz geschlossen. Bedenke, du hast etwas geschafft, was bisher niemandem gelungen war. Du hast ihren wildesten Sohn gezähmt.“ Bejina kicherte und sah sie durch den Spiegel hindurch belustig an. „Ihm Demut gelehrt, was bisher nicht einmal Ansgar von sich behaupten kann.“
Demut gelehrt, dass ich nicht lache. Wenn dem so wäre, wieso hatte er mich dann so herabwürdigend behandelt? Nein, da liegt Bejina falsch. Doch das behielt sie lieber für sich.
Bejina indes legte die Zöpfe um ihren Kopf wie ein Kranz und befestigte ihn mit ein paar Haarnadeln.
„Du hast ihm wohl noch nicht ganz verziehen, oder sehe ich das falsch?“
Sieht man mir das so offensichtlich an?
Sie atmete tief ein. „Ja. So ist es. Weißt du, ich verstehe eins nicht. Erst macht er mich zu einer Kriegerin und dann…“
„Moment? Macht dich zu einer Kriegerin? Was meinst du damit?“
Mist, jetzt hab ich mich auch noch verplappert.
„Ähm … ich meinte … erst will er mich als Kriegerin und dann …“
„Tarija? Sag mir die Wahrheit!“
Nervös knetete sie ihre Finger, knabberte auf ihrer Unterlippe herum, um ertappt nach unten zu schauen.
„Er lernte mich kennen, da war ich noch eine unerfahrene Frau, die außer ihrem Dorf nichts von der Welt kannte. Er brachte mich zu zwei Schwertmeistern, bei denen ich mein Können lernte und zu der wurde, die ich nun bin.“
Bejina starrte sie erstaunt von der Seite her an. „Er hat dich zu einer Kriegerin gemacht?“, flüsterte sie ungläubig.
Tarija nickte. Unter Bejinas Blick wurde das mulmige Gefühl in ihrem Magen heftiger.
„Das ist ja mal was ganz Neues. Aber sei gewiss. Dieses Geheimnis bewahre ich sicher bei mir.“
„Danke.“
Bejina legte ihr, aufmunternd lächelnd, die Hand auf die Schulter. „So, meine Liebe, du bist fertig. Ich denke, du begibst dich jetzt auf den Weg zum kleinen Speisesaal.“
Ein wenig selbstkritisch betrachtete sie ihr Spiegelbild, erhob sich und zwang ein Lächeln um ihre Lippen.
„Nun denn, auf in den Kampf.“ Auf diesen Spruch hin, fing Bejina an, schallend zu lachen. Einen Herzschlag später fiel Tarija mit ein.
Bejina begleitete sie, weiterhin lachend, zur Tür und rief vor sich hin kichernd ihre zwei Diener, die ihr die Truhe ins Schneiderzimmer trugen.
Tarija selbst schritt langsam, in Gedanken versunken, durch die Gänge zum Speisesaal der Frauen. Vor der Tür zögerte sie. Sie war dem Diener dankbar, dass er ihr dir Tür noch nicht öffnete, sondern erst auf ihr Nicken hin, während sie mit gemischten Gefühlen eintrat.
Sofort schlug ihr ein Stimmengewirr entgegen. Sie erblickte die lachenden Kinder, die um den Tisch herumrannten. An der Tafel selbst saßen, wie schon bei ihren letzten Einladungen, Lady Elaria, zu der die drei quirligen Jungs gehörten. Lady Kimara, in deren Arme ein Säugling lag, wobei die größere Schwester gelangweilt daneben hockte.
Lady Kimara wiegte liebevoll den Säugling, während die Königin auf der anderen Seite der Lady weilte. In den Zügen der Königin lag ein mütterlich verträumter Blick, mit dem sie das Kleine anlächelte.
Langsam trat Tarija auf den Tisch zu. D die Jungs waren die Ersten, die sie bemerkten und unterbrachen abrupt ihr Spiel. Daraufhin richtete sich die Aufmerksamkeit der Damen auf sie.
Nachdem die Königin sie erkannte, sprang sie auf und eilte mit wehendem Kleid auf sie zu.
„Lady Tarija. Oh, wie schön Euch geht es gut und Ihr seid wohlbehalten und gesund wieder bei uns. Ihr habt uns ganz schöne Sorgen bereitet mit Eurer Abwesenheit.“ Die Königin nahm sie in die Arme, herzte sie, hielt sie eine Armlänge von sich, um sie erneut zu drücken. „Ich hatte solche Angst um Euch.“
Tarija setzte ein entschuldigendes Lächeln auf, woraufhin die Königin sie sanft zum Tisch führte.
„Seht nur, Lady Kimara hat ihren kleinen Sohn bekommen. Ist er nicht allerliebst? Kommt, nehmt Platz und esst mit uns. Ihr seid bestimmt hungrig nach dieser anstrengenden Reise.“
Zögernd blieb sie neben dem Stuhl von Lady Elaria stehen, die ihr besorgt entgegensah. „Ist alles in Ordnung, Lady Tarija? Ihr seht so … nachdenklich, irgendwie … verändert aus.“
Wieso finden alle ich hätte mich verändert? Ich bin immer noch die Alte.
„Es ist alles in Ordnung, Lady Elaria. Ich muss mich nur erst an all das hier gewöhnen. Ihr müsst wissen, ich genoss ein spärliches Vagabundenleben, bis mich Alkje wiedergefunden hat.“ Was zwar nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber das wusste ja keine von ihnen.