Читать книгу Infam cassirt - Multatuli - Страница 1
ОглавлениеEine der verbrauchtesten Romanfiguren ist der Musik- oder Zeichnenlehrer, der in irgend einem vornehmen Hause der liebenswürdigen und schönen Tochter Unterricht giebt und das junge Herz für sich gewinnt. Man denke nur an das hübsche Schauspiel »Mathilde« von Roderich Benedix, wo das oft dagewesene Thema mit so ausgezeichnetem dramatischen Geschick behandelt wird. Uebrigens ist dieser Vorfall nicht nur in Komödien und Romanen ein häufig wiederkehrender, sondern er kommt auch wirklich im Leben oft genug vor, und dann gewöhnlich in viel unglaublicherer und absonderlicherer Art; denn in den Romanen wird der betreffende Lehrer doch gewöhnlich als ein Mann von schönem Aeußeren und edlen Geistesgaben geschildert, der sich später als ein großer Künstler entpuppt, oder die Geliebte muthvoll entführt, oder aber sich als verzweifelnder Held todtsticht, während im wirklichen Leben gar oft kein Mensch begreifen kann, was das junge sechzehnjährige Herz an dem spindeldürren Pedanten oder geckenhaften Taugenichts findet. Mitunter capricirt sich solch ein junges Ding auf die verliebte Albernheit und es sind Fälle dagewesen, daß der Gegenstand ihrer Frühlingsneigung sich nicht anders zu helfen wußte, als indem er auf die einträgliche Kundschaft der Schülerin verzichtete und sie am Ende gar bei ihren Eltern selbst denuncirte.
Wenn die Heldin der nachfolgenden Erzählung, die Tochter des Finanzraths von Bremer, sich nun ebenfalls in ihren Musiklehrer Herrn Palm verliebt hat, und wenn diese Liebe sogar den Grundstein bilden soll, auf dem das ganze Gebäude von ernsthaften Verwicklungen, die wir dem Leser vorzuführen gesonnen sind, sich erhebt, so müssen wir im Voraus versichern, daß bei Herrn Palm allerdings mancherlei Umstände mitwirkten, welche Karoline von Bremer rechtfertigen konnten, wenn überhaupt die Liebe junger Mädchen einer Rechtfertigung bedarf.
Erstens war Herr Palm äußerlich wirklich ein vollkommener Cavalier; damit soll nicht gesagt sein, daß er es etwa darauf abgesehen habe, als Mann von Welt und feinen Manieren zu erscheinen; er gab sich im Gegentheil alle Mühe, so schlicht und einfach wie möglich aufzutreten, aber jeder Blick seiner Augen, jeder Schritt, den er ging, und jedes Wort aus seinem Munde bewies, daß er von Jugend an gewohnt sein mußte, in der besten Gesellschaft zu leben und sich mit Sicherheit und Selbstbewußtsein überall zurechtzufinden. Zweitens war auch die Art und Weise, wie Herr Palm nach Hellhausen gekommen war, eine so eigenthümliche; er war daselbst so vollständig unbekannt und ohne allen verwandtschaftlichen Anhang, daß die Phantasie eines jungen Mädchens Spielraum genug hatte, ihn als verwunschenen Prinzen oder was sie sonst Lust hatte zu betrachten.
Man hatte nämlich im vergangenen Winter ein Wohlthätigkeitsconcert arrangirt, zu welchem ein namhafter Pianist aus Brüssel seine Mitwirkung zusagte. Zur Verzweiflung der Unternehmer hatte derselbe an dem Tage, an welchem das Concert sein sollte, seine Ankunft telegraphisch abgesagt und man war rathlos, was zu thun sei. Da war nun Herr Palm, der seit drei Tagen im Gasthofe zur Krone, dessen großer Saal bei dem Concerte benutzt werden sollte, logirt hatte, als Retter des Unternehmens aufgetreten, hatte Beweise einer außergewöhnlichen Künstlerschaft auf dem Piano abgelegt und sich dann erboten, die sämmtlichen Nummern, welche der Brüsseler Künstler zugesagt hatte, in dem Concerte zu übernehmen. Der Saal war an dem Abend sehr gefüllt. Das Publicum nahm die Ankündigung, daß ein fremder Künstler die Stelle des erwarteten Pianisten einnehmen werde, nicht mit besonderer Zufriedenheit auf; kaum aber hatte sich die edle, zwanglose und dabei doch bescheidene Erscheinung des Herrn Palm präsentirt, als ein Flüstern der Ueberraschung entstand und man bereits günstig für ihn gestimmt war. Diese Voreingenommenheit wurde nicht getäuscht und Herr Palm hatte einen vollständigen Erfolg; er mußte am Schlusse des Concertes noch eine kleine Nummer zugeben und wählte dazu eine allerliebste moderne Bravourcomposition, mit deren brillantem Vortrage er die Zuhörer geradezu elektrisirte.
Am anderen Tage empfing Herr Palm die Besuche mehrerer Herren, welche als die Unternehmer jenes Concertes und Freunde der Kunst ihm den Dank der Stadt ausdrückten. Der Finanzrath von Bremer war darunter. Palm konnte in Folge des Concertes einige Einladungen nicht ablehnen; er hatte ursprünglich die Absicht gehabt, nur wenige Tage in Hellhausen zu bleiben, bis zur Erledigung dringender Angelegenheiten, aber man überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten, bat ihn, wenn es seine sonstigen Verhältnisse gestatteten, sich längere Zeit in Hellhausen aufzuhalten und gab ihm auf die zarteste Weise zu verstehen, daß einige junge Damen gern bei ihm Unterricht nehmen würden, so daß er sich bewegen ließ und den Versuch machte, sich daselbst eine Stellung als Clavierlehrer zu gründen.
So war es gekommen, daß Karoline von Bremer, welche ein ziemlich bedeutendes Talent besaß, eine der ersten Schülerinnen Palm's wurde, oft und viel mit ihrem Lehrer zusammenkam und mit ihm in jenen Regionen der Kunst verkehrte, die so gefährlich für jugendliche Gemüther sind und so leicht zu einem Einverständnisse führen, welches gerade deshalb, weil es auf außergewöhnlichen Interessen basirt, einen um so höheren Reiz, eine um so größere Gewalt besitzt.
Wenn nun in anderen Fällen gar häufig die jugendliche Neigung eines eben erst erwachenden Mädchenherzens auf den Irrweg geräth, so war dies hier wenigstens nicht vollständig der Fall; denn obgleich der Rang des Finanzraths von Bremer, der obendrein in zweiter Ehe mit einer verwittweten Baronin von Richthaus verheirathet war, eine Verbindung seiner Tochter mit dem Musiklehrer Palm sehr schwer möglich erscheinen ließ, so fiel dagegen einestheils Palm's Persönlichkeit, sein durchweg distinguirtes Wesen ins Gewicht, und die bekannte Leutseligkeit des Finanzraths ließ am Ende vermuthen, daß von seiner Seite die Hindernisse nicht vermehrt, sondern vielmehr der Weg zum Ziele so viel als möglich geebnet würde. Alles dies wirkte bei Karoline dahin, daß sie ihrer aufkeimenden Liebe nicht entgegenarbeitete und mit vollem und klarem Bewußtsein das Gefühl für Palm sich vertiefen und ihr ganzes Wesen ausfüllen ließ. Uebrigens war zwischen Beiden noch kein Wort der Erklärung gewechselt worden und Palm schien von Tag zu Tage, je mehr ihm Karolinens Liebe klar wurde, um so mehr sich zurückzuhalten und seine eigene Empfindung niederzukämpfen.
Eines Tages kam Palm, wie dies öfters zu geschehen pflegte, zu einer nicht vorher festgesetzten Vormittagsstunde in das Haus des Finanzraths und begab sich sofort in das Musikzimmer. Sophie, das Mädchen der Frau von Bremer, hatte ihn kommen sehen und beeilte sich, Karoline davon in Kenntniß zu setzen.
Inzwischen ging Palm in dem Zimmer heftig bewegt auf und nieder; er hatte eine Rolle in der Hand, die er auf das Clavier niederlegte, während er selbst an das Fenster trat und trübe durch die Scheiben blickte. Er rang nach Fassung.
Ruhig, ruhig, mein Herz, sagte er zu sich selbst; ist es denn ein so gewaltiger Kampf, der dir bevorsteht, und mußt du ihn nicht zu Ende führen? Hätte mein Vater voraus wissen können, welch eine Pflicht er mir auferlegte und hätte ich selbst alle die Folgen, die sich nun für mich ergeben, vorher ermessen können, es würde vielleicht nicht bis zu diesem herben Entschlusse gekommen sein; nun aber giebt es keinen Rückweg mehr und ich muß ertragen, was das Schicksal über mich verhängt.
Eine Weile starrte er wieder vor sich hin.
Karoline! seufzte er dann und eine Thräne trat in sein Auge; aber rasch wischte er dieselbe fort und sagte: Fort mit diesem Namen, einmal noch will ich sie sehen und dann ist Alles auf immer vorbei.
Aus seinem düsteren Nachsinnen riß ihn der Eintritt Sophiens, welche in Karolinens Namen kam und ihn bat, zu entschuldigen, daß das gnädige Fräulein heute leider nicht im Stande sei, mit ihm zu musiciren.
Diese Mittheilung erschreckte Palm so sehr, daß er auffallend rasch die Frage an das Mädchen richtete, ob Fräulein Karoline krank sei, oder weshalb sie auf so ungewöhnliche Art sich dem Unterrichte entziehe.
»Ich weiß wahrhaftig nicht, was dem gnädigen Fräulein fehlt,« entgegnete Sophie, »ich weiß nur, daß sie den ganzen Vormittag geweint hat, mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«
»So gehen Sie zu ihr,« bat Palm, »und sagen Sie dem gnädigen Fräulein, daß ich sie dringend ersuchen lasse, herunter zu kommen, sagen Sie, daß ich eine neue Composition mitgebracht habe, und daß ich heute zum letzten Male – doch nein! sprechen Sie nur von der Komposition.«
Sophie wußte sich die Hast und Erregtheit des Musiklehrers nicht recht zu erklären, aber da sie als Kammermädchen selbstverständlich ihre eigenen Ideen hatte und Palm's Gleichgültigkeit gegen sie selbst schon lange aus einem gewissen Grunde erklärt hatte, so schüttelte sie ein wenig den Kopf und ging dann, um den Auftrag an Karoline auszurichten.
Palm trat wieder an das Fenster und trotz der Unruhe, die sich seiner immer mehr bemächtigte und sein Herz immer stärker klopfen machte, bemerkte er es nicht, daß die sehnlich erwartete Karoline leise von der Seite eintrat; erst als sie an das Instrument getreten war und einige Accorde gegriffen hatte, schrak er auf und drehte sich nach ihr um.
»Vergeben Sie meine dringende Bitte, gnädiges Fräulein,« sagte er; »Sophie theilte mir mit, daß Sie heute nicht aufgelegt seien, Musik zu machen, und dennoch ließ ich Sie bitten, sich hierher zu bemühen, weil ich – ich hatte –« er gerieth in Verwirrung und fand die rechten Worte nicht, um seine Gedanken auszudrücken.
Karoline setzte sich, offenbar in der Absicht, ihm so wenig als möglich in das Gesicht zu sehen, vor das Piano und sagte: »Sophie hat mir von einer neuen Composition gesprochen, und obgleich ich sehr beschäftigt war, trieb mich die Neugierde doch hierher. Wo haben Sie die Composition?«
Palm nahm die Rolle von dem Tische, öffnete diese und stellte sie auf das Notenpult des Instruments.
Karoline versuchte die Composition zu spielen, aber sie fand bald einige Schwierigkeiten, und indem sie Palm bat, ihr dieselbe zuerst einmal vorzuspielen, rückte sie zur Seite, so daß er einen Stuhl vor das Instrument neben ihren Sitz stellen und sich dort niedersetzen konnte, um die Composition zu spielen.
Es war eine Art Elegie, ein kurzes, von tiefstem schmerzlichen Gefühle eingegebenes Tonstück, welches, auch von jeder anderen Hand gespielt, immer eine ergreifende Wirkung hätte machen müssen, von ihm aber in diesem Augenblicke vorgetragen, wie eine tiefe, unbeschreiblich schmerzliche Klage aus wundem Herzen klang. An jedem Tone, den er spielte, hing gleichsam eine Thräne, und als er geendet hatte, saß Karoline in tiefster Seele ergriffen und überwältigt, und die heißen Tropfen rannen über ihre Wangen.
Nach einer Pause sagte sie: »Das ist herrlich, unaussprechlich schön; von wem ist diese ergreifende Composition?«
Palm erhob sich, und indem er das Heft zusammenfaltete, reichte er es ihr und sagte: »Der Name steht außen auf dem Notenhefte.«
Karoline nahm es und las:
»Abschied, dem Fräulein Karoline von Bremer gewidmet von Palm.«
Sie fuhr zusammen. »Was bedeutet das, Herr Palm?« sagte sie und blickte ihn an. Aber sie erkannte in seinen Mienen auch sofort den Sinn jener Worte, und schmerzlich bewegt setzte sie fassungslos im Drange ihrer Empfindung hinzu: »Warum wollen Sie Abschied nehmen? Warum wollen Sie mich verlassen?«
Kaum aber hatte sie dies gesagt, so setzte sie, über und über roth werdend, hinzu: »Ich fühle so sehr, daß ich Ihrer Leitung noch bedarf; Papa würde gewiß sehr bedauern.«
»Ich muß durchaus von hier fort,« entgegnete Palm, »und zwar schnell, so schnell als möglich, wenn es nicht zu spät werden soll,« und er setzte hinzu: »Es sind dringende Angelegenheiten, die mich von hier fortrufen.«
»Und wenn ich Sie bitte, hier zu bleiben, werden Sie mir diese Bitte abschlagen?« sagte Karoline mit Herzlichkeit, indem sie ihm die Hand reichte. Aber Palm wagte weder, ihr in das Gesicht zu sehen, noch die dargebotene Hand anzunehmen.
»Ich kann nicht,« sagte er mit gepreßter Stimme, »ich darf nicht.«
Karoline wendete sich ab und sprach im Tone tief verletzten Gefühls: »Ich hätte nicht gedacht, daß eine Bitte von mir so wenig über Sie vermöchte.«
Diese Worte drangen dem armen Palm tief ins Herz. »Hören Sie mich, gnädiges Fräulein,« stieß er hervor, indem er mühsam nach Worten rang; »schon lange, bevor ich das Haus Ihrer Eltern zum ersten Male betrat, hatte ich Verbindlichkeiten übernommen, die einem Manne von Ehre heilig sein müssen, Verbindlichkeiten, die ich nicht brechen kann und die mich auf ewig fesseln werden; ich gehöre mir selbst nicht an und obgleich mein Leben hinfort freudenlos und düster sein wird, muß ich Sie doch bitten: lassen Sie mich gehen, und wenn später Ihr schönes Herz nicht ganz von anderen neuen Eindrücken beherrscht wird, so soll es mir zum Troste gereichen, zu wissen, daß Sie sich zuweilen der herrlichen Augenblicke erinnern, die ich hier in Ihrer Nähe verleben durfte.«
Karoline wußte nicht, was sie davon denken sollte. Wenn Palm anderwärts gefesselt war, wenn er sein Herz nicht mehr frei wußte, weshalb denn dieser traurige Abschied, weshalb ein Geheimniß? Ihr eigenes Herz trieb sie weiter, als sie sonst wohl gewagt hätte zu gehen, und zögernd frug sie: »Aber wenn Jemand, der Sie liebt, jemand, an dem Ihr Herz mit Neigung hängt, Sie hier zurückhalten würde?« –
Rasch entgegnete Palm: »Ich liebe Niemanden und Niemand liebt mich; ich darf Niemanden lieben, denn meine Liebe würde für den Gegenstand derselben ein Fluch sein.«
Karoline fühlte sich aufs Neue von tiefem Schmerz durchdrungen; sie sah den Unglücklichen leiden und konnte sich die Ursache seines Kummers nicht erklären; gern hätte sie ihm ihre Liebe bekannt, wäre sein seltsames Verhalten ihr nicht gar zu unerklärlich erschienen, sie wartete auf irgend ein entgegenkommendes Wort von seiner Seite, um ihm dann zu sagen, daß sie alle Hindernisse überwinden und die Seine werden wolle.
Palm ergriff nun die Hand des jungen Mädchens, und indem er dieselbe an seine Lippen drückte, sagte er: »Leben Sie wohl, denken Sie zuweilen an mich, Sie werden mich niemals wiedersehen!«
Nun aber konnte sich Karoline nicht zurückhalten. Schluchzend und mit dem Ausdrucke vollster Leidenschaft rief sie Palm's Namen, und dieser, der bereits an der Thür des Zimmers angelangt war, wendete sich wie von magischer Gewalt erfaßt um, eilte auf sie zu, und indem er sie in schmerzlicher Gluth umarmte, sagte er:
»Ja, Karoline, ich habe Sie lieb; feurig, glühend liebe ich Sie, als das Ideal meiner Träume, als das Ziel meines Lebens, als meine höchste Seligkeit. Diese Gluth brannte in mir und verzehrte mein Herz, und je mehr ich dieses Feuer unterdrücken wollte, um so stärker flammte meine Liebe und meine Raserei empor. Lieben Sie mich denn auch, Karoline? Sagen Sie mir es nur einmal, sprechen Sie es aus, dieses Wort, das mich armen Menschen selig macht! Sagen Sie es, Karoline, haben Sie den unglücklichen Palm lieb?«
Karoline verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und konnte nichts weiter hervorbringen, als leise flüsternd den Namen Palm, aber der Ton, womit sie diesen Namen sprach, enthielt Alles und er drang dem Liebenden wie ein Götterwort ins Herz. »Sag' es noch einmal, Karoline,« flehte er, »noch einmal, daß du mich lieb hast.«
Da schlang Karoline ihre Arme um seinen Hals und flüsterte: »Palm, lieber Palm, ich liebe dich jetzt und für ewig.«
Aber kaum hatte sie dies gesagt, als Palm plötzlich wie aus einem Traume erwachte. Er riß sich aus ihren Armen los, schlug sich vor den Kopf und sagte knirschend: »Was thue ich! Ein Schurkenstreich ist es, was ich hier begangen habe!«
»Gott im Himmel!« rief Karoline, die nicht begreifen konnte, was in Palm vorging.
Die Angst, welche sich in ihrem Gesichte ausprägte, brachte Palm rasch wieder zur Besinnung, und mit erzwungener Ruhe sagte er nun: »Vergeben Sie meine unbedachtsame Schwäche, gnädiges Fräulein, es ist wahr, daß ich Sie liebe, aber niemals hätte ein Wort von Liebe über meine Lippen kommen dürfen, da es unsinnig wäre, irgend eine Hoffnung auf dieselbe zu setzen; mein Stand, der Rang Ihres Herrn Vaters, die Ansichten und Erwartungen Ihrer Frau Mutter sind Umstände, die mir jede Hoffnung rauben. Vergeben Sie mir, was ich soeben in der Uebereilung gesprochen habe; vergessen Sie, daß ich Sie liebe, daß ich lebe, und wenn die Nothwendigkeit ein Opfer fordert, so lassen Sie mein gebrochenes Herz das einzige Opfer sein.«
Karoline ließ sich nicht so rasch entmuthigen: »Mein Vater,« sagte sie, »ist ein edler Mann und Sie wissen, daß er, der die Menschen nur nach ihrem Werthe schätzt, Sie hochachtet; weshalb also wollen Sie die Hoffnung aufgeben?«
Palm ließ sich nicht halten; er sagte: »Es ist wahr, Karoline, Ihr Vater ist der edelste Mensch, aber dennoch kann ich nicht bleiben. Leben Sie wohl und vergessen Sie mich.«
Er wollte das Zimmer verlassen, und Karoline, die sein Benehmen durch nichts erklären konnte, stand rathlos, als sich eine Seitenthür öffnete und Herr und Frau von Bremer eintraten.
Palm blieb mit ehrerbietigem Gruße an der Thür stehen, aber es konnte den Eintretenden nicht verborgen bleiben, daß irgend etwas vorgefallen war.
Der Finanzrath betrachtete die beiden jungen Leute aufmerksam und sagte dann freundlich: »Was hat es hier gegeben?«
Auch Frau von Bremer, die es sonst vortrefflich verstand, nicht zu bemerken, was andere Menschen nahe berührte, setzte hinzu: »Weshalb diese Bestürzung?«
Palm faßte sich rasch und versetzte: »Das gnädige Fräulein war so gütig, sich darüber zu betrüben, daß ich ihr die Mittheilung meiner bevorstehenden Abreise machte. Auch Ihnen, Herr Finanzrath, und der gnädigen Frau möchte ich hiermit meinen Dank für alle Freundlichkeit, die Sie mir erwiesen, abstatten, da ich noch heute von hier abreisen werde; dringende Angelegenheiten fordern anderwärts meine Gegenwart.«
Der Finanzrath schien betreten, und nachdem er einige Zeit in Nachdenken versunken war, sagte er: »Das sollte mir herzlich leid thun, Herr Palm; ist an Ihrem Entschlusse nichts mehr zu ändern?«
»Nichts, Herr Finanzrath,« entgegnete dieser.
Frau von Bremer begriff wenig von der tiefer liegenden Bedeutung dessen, was um sie her vorging; sie wendete sich mit den Worten zu Karoline: »Was spieltest du doch vorhin? es war ein schönes Stück, nur etwas düster.« Nachdem sie dies gesagt hatte, trat sie an das Instrument, aber Karoline kam ihr zuvor, und indem sie eilig das Notenheft von dem Pulte nahm, rollte sie dasselbe zusammen und verließ damit das Zimmer, indem sie sagte: »Schön, Mama? Du findest es schön? Ich finde es abscheulich, unerträglich!«
Auch dies war dem Finanzrathe nicht entgangen; er legte einige Briefe und Zeitungen, die er beim Eintreten in das Zimmer in der Hand trug, auf den Tisch und blickte nochmals einen Augenblick in nachdenkendem Schweigen vor sich nieder. Dann wendete er sich rasch zu Palm, der nach einer letzten Verbeugung eben im Begriffe war, das Zimmer zu verlassen, und rief ihm zu:
»Wollen Sie mir einen Gefallen thun, Herr Palm?«
»Wenn es mir möglich ist, gern.«
»Bleiben Sie noch einige Tage hier.«
»Ich kann es nicht,« entgegnete Palm.
»Bis morgen,« bat der Finanzrath.
»Ich kann es nicht,« wiederholte Palm.
»Nun, so versprechen Sie mir wenigstens,« sagte nun der Finanzrath, »nicht abzureisen, bevor wir uns noch einmal allein gesprochen haben.«
Nach einer Pause peinlicher Ueberlegung entgegnete Palm: »Es sei, ich verspreche es Ihnen.«
»Geben Sie mir Ihre Hand darauf,« sagte Herr von Bremer. Palm reichte ihm die Hand, grüßte ehrerbietig und verließ dann das Zimmer.
Mit der größten Unbefangenheit hatte Frau von Bremer inzwischen geklingelt und der eintretenden Sophie den Auftrag gegeben, das zweite Frühstück zu serviren. Dies geschah.
Der Finanzrath nahm Platz, und während er eine Tasse Bouillon ausschlürfte, las er aufmerksam die Briefe, welche angekommen waren, und bei deren Durchsicht er hier und da einige Bemerkungen machte. Ungeduldig beobachtete ihn seine Frau; sie wußte, daß ein Schreiben dazwischen war, welches sie selbst im höchsten Grade interessirte, und sie frug endlich: »Darf ich fragen, ob irgend etwas dabei ist, das auch mich angeht?«
»Es sind lauter dienstliche Angelegenheiten,« erwiderte der Finanzrath; »doch sieh!« setzte er hinzu, indem er zuletzt noch ein zierliches Briefchen ergriff; »irre ich mich nicht, so ist dies, Vetter Karl's Hand.«
»Ein Brief vom jungen Baron von Wiesen?« frug Frau von Bremer, indem sie sehr geschickt scheinbar verwundert war; »da bin ich doch neugierig, zu wissen, was er schreibt, denn seit der Correspondenz in Bezug auf Karoline hat er nichts wieder von sich hören lassen.«
Der Finanzrath schien nicht sehr angenehm überrascht durch den voraussichtlichen Wiederbeginn dieser Korrespondenz, er stand auf, und indem er seiner Frau den Brief übergab, sagte er: »Lies selbst, liebes Kind, ich dachte, die Sache sei längst vollständig aus der Welt, aber freilich,« fuhr er fort, indem er im Zimmer auf und ab ging, während seine Frau den Brief öffnete und las, »man kann es dem jungen Menschen nicht verdenken, denn die Ausrede, daß Karoline zu jung sei, gilt nicht mehr, da das Mädchen achtzehn Jahre alt geworden ist, und es gefällt mir von ihm, daß seine Neigung nicht gar zu flüchtig war, obgleich ich nicht sagen kann, daß ich sonst jemals besondere Vorliebe für ihn gehabt hätte.«
Unterdessen hatte Frau von Bremer den Brief gelesen und faltete ihn wieder zusammen.
Ihr Mann trat zu ihr heran und fragte: »Was enthält der Brief, und was sagst du dazu, liebes Kind?«
Frau von Bremer sah sich um, ob nicht vielleicht ein unberufener Mensch im Zimmer sei, dann setzte sie sich möglichst in Positur und sagte:
»Vor allen Dingen bin ich sehr erfreut, daß meine Ansicht über Vetter Karl die richtige war; du wirst dich erinnern, daß du seine Absicht auf Karolinens Hand als eine vorübergehende Laune betrachtetest, während ich ihn richtiger beurtheilte, und die Consequenz, mit welcher Karl auf seiner Absicht besteht, beweist, daß ich Recht hatte. Meiner Meinung nach werden wir schwerlich für Karoline eine bessere Partie finden; der Baron ist von altem Adel, steht, wie man sagt, in besonderer Gunst beim Könige und wird wegen seines Geistes und seiner Fähigkeiten allgemein gerühmt. Außerdem besitzt er ein ansehnliches Vermögen, und obgleich ich deine Ansichten in dieser Beziehung kenne, so glaube ich doch, du wirst in Bezug auf deine Tochter nicht wünschen, sie einem Bettler zur Frau zu geben.«
»Gewiß nicht,« entgegnete von Bremer mit ironischem Lächeln, »ich möchte Karoline nicht an einen Bettler, aber ich möchte sie an einen braven Mann verheirathen.«
»Ueber das Betragen des jungen Barons kann gewiß nicht der geringste Tadel aufgebracht werden,« meinte Frau von Bremer, »er genießt einen ausgezeichneten Ruf und bewegt sich in allen Kreisen, in denen guter Ton herrscht.«
»Das ist wahr,« erwiederte der Finanzrath, »aber das beweist nichts. Ich habe Menschen gekannt, die in den höchsten Kreisen willkommen waren, aber vergeblich in der Wohnung eines verständigen und redlichen Bürgers Zugang gesucht haben würden, und ebenso erinnere ich mich manches Menschen, den ich von Herzensgrund hochschätzte, obgleich er niemals die Gesellschaften der großen Welt betreten hatte. Wir wollen deshalb lieber einen anderen Maßstab anlegen und für Karoline einen Mann wählen, der kein Hans Narr, kein Schleppenträger und kein Sodomsapfel ist, von Außen schön, von Innen faul.«
Ungeduldig hatte Frau von Bremer bis hierhin zugehört; jetzt sagte sie: »Das ist Alles ganz vortrefflich, aber ich möchte wissen, wie ich alle diese Redensarten mit dem jungen Baron in Beziehung bringen soll.«
»Kurz und bündig,« entgegnete der Finanzrath, »Vetter Karl gefällt mir nicht.«
»Warum nicht, wenn ich fragen darf?«
»Er ist ein Spieler.«
Mit vornehmer Miene entgegnete Frau von Bremer: »Diese Beschuldigung ist mir schon öfter zu Ohren gekommen, und da ich selbst nicht wünschen kann, daß deine Tochter einen Spieler zum Manne bekäme, so habe ich genaue Erkundigungen eingezogen und mich überzeugt, daß, wenn Karl wirklich hier und da spielt, dies doch immer in auserlesener Gesellschaft geschieht, er spielt nur mit jungen Leuten comme il faut