Die Zuschauer
Описание книги
27. November 1967 – kurz nach dem Ende des Sechstagekriegs schaut eine jüdische Exil-Familie in Paris die TV-Übertragung der berühmt gewordenen Pressekonferenz von General de Gaulle, in der er die Juden als ein «Elitevolk, herrschbegierig und selbstbewusst» bezeichnet: Fassungslosigkeit breitet sich bei den Eltern aus, die Jahre zuvor über Nacht den Orient hatten verlassen müssen. Nathalie Azoulai kreiert um dieses schockierende Schlüsselerlebnis einen fein gewobenen Text, der mit seinen schillernden Erzählfäden der Textur jenes dunkel leuchtenden Etuikleides gleicht, das die Mutter ihre Nachbarin Maria zu nähen beauftragt – scheint ihr doch nichts wichtiger zu sein, als in die nachgeschneiderten Kleider der großen Hollywood-Filmdiven schlüpfen zu können, wie in deren glänzende, von Leidenschaft und Stolz geprägte Rollen. Ihr dreizehnjähriger von Sprachen besessener Sohn jedoch, der de Gaulle bislang als Held verehrte und unter seinem Bett Berichte über ihn gesammelt hat, beginnt den «Retter Frankreichs» zu hinterfragen, denn er spürt, dass etwas ins Wanken geraten ist. Immer wieder befragt er seine Mutter nach dem Grund ihres Exils, nach dem Moment, da sie wusste, dass sie ihr Land verlassen muss, erhält aber nur schemenhafte Erinnerungsfetzen zur Antwort. Bis er eines Nachts mithören wird, wie sie Maria von ihrer Vergangenheit erzählt … In «Die Zuschauer» verknüpft Nathalie Azoulai Momente unerfüllter Leidenschaft und gut gehüteter Geheimnisse mit der magischen Illusionsmaschine Hollywoods und dem unbedingten Wahrheitsanspruch eines Kindes zu einer schillernden Erzählung über Identität und Exil.
Отрывок из книги
Nathalie Azoulai
Die Zuschauer
.....
Er nähert sich ihr, um leise zu fragen: Und? Was macht sie? Wer? Marlene Dietrich. Ah, na klar geht sie! Natürlich! Zunächst mit ihren beigen Stöckelschuhen, bestimmt aus schönstem italienischem Leder gefertigt. Sternberg nahm es mit seinen Kostümen sehr genau. Er hatte in einer Stickereiwerkstatt angefangen und widmete sich dem Kino, weil er sehr feine Finger hatte, die mit Filmstreifen genauso gut umgehen konnten wie mit Spitze. Dann zieht sie ihre Schuhe aus und folgt der Karawane. Sie lässt alles zurück, um in der Wüste Marketenderin zu werden. Das Bild ist immer noch hier drin, sagt sie und zeigt auf ihre beiden Schläfen: die herrlichen, in den Sand geworfenen Pumps, kurz davor, von den Dünen geschluckt zu werden, was für ein Jammer … Sie hält inne. Meinst du, sie hat die richtige Entscheidung getroffen oder die falsche?, fragt er. Sie legt den Zeigefinger auf ihre Lippen, deutet mit einer Kinnbewegung auf den Bildschirm, aber er ahnt, dass sie zögert, nicht weiß, welche Antwort sie ihm geben soll. Sie schweigt einige Sekunden, dann flüstert sie, in der letzten Filmszene packt die Dietrich energisch eine Ziege bei der Leine, und ballt zur Nachahmung die Faust. So, sagt sie lauter und zieht an einem unsichtbaren Strick.
Seid ihr endlich still!, knurrt sein Vater, ohne sich umzudrehen.
.....