Der scharlachrote Buchstabe
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Nathaniel Hawthorne. Der scharlachrote Buchstabe
Kapitel 1. Die Gefängnistür
Kapitel 2. Der Marktplatz
Kapitel 3. Die Erkennung
Kapitel 4. Die Zusammenkunft
Kapitel 5. Esther mit der Nadel
Kapitel 6. Perle
Kapitel 7. Das Haus des Gouverneurs
Kapitel 8. Das Elfenkind und der Geistliche
Kapitel 9. Der Heilkünstler
Kapitel 10. Der Arzt und sein Patient
Kapitel 11. Das Innere eines Herzens
Kapitel 12. Die Vigilie des Geistlichen
Kapitel 13. Ein zweiter Blick auf Esther
Kapitel 14. Esther und der Arzt
Kapitel 15. Esther und Perle
Kapitel 16. Ein Spaziergang im Walde
Kapitel 17. Der Pfarrer und sein Pfarrkind
Kapitel 18. Flut von Sonnenschein
Kapitel 19. Das Kind am Bache
Kapitel 20. Der Geistliche im Labyrinth
Kapitel 21. Feiertag in Neu-England
Kapitel 22. Der Aufzug
Kapitel 23. Die Offenbarung des scharlachroten Buchstabens
Kapitel 24. Schluß
Отрывок из книги
Der Rasenfleck vor dem Gefängnis im Kerkergäßchen war also an einem Sommermorgen vor nicht weniger als zwei Jahrhunderten mit einer ziemlich großen Anzahl von Einwohnern Bostons bedeckt, deren Augen aufmerksam auf die eisenbeschlagene Eichentür gerichtet waren. Bei jedem andern Volke oder zu jeder spätern Periode der Geschichte von Neuengland würde die düstere Starrheit, welche die bärtigen Physiognomien dieser guten Leute versteinerte, verkündet haben, daß irgend etwas Entsetzliches bevorstehe: sie hätte nichts Geringeres als die erwartete Hinrichtung eines bekannten Verbrechers bezeichnen können, bei dem der Spruch eines Tribunals nur den der öffentlichen Meinung bestätigt hätte. Aber bei der Strenge des Charakters der frühen Puritaner war ein Schluß dieser Art nicht so zweifellos zu ziehen. Es konnte sein, daß ein träger Dienstmann oder ein ungehorsames Kind, das seine Eltern der Zivilbehörde übergeben hatten, am Schandpfahl gezüchtigt werden sollte. Es konnte sein, daß man einen Antinomisten, einen Quäker oder andern ungläubigen Sektierer aus der Stadt peitschen oder einen faulen indianischen Landstreicher, den das Feuerwasser des weißen Mannes zur Verübung von Straßenunfug getrieben, mit Striemen in den Schatten des Waldes hinausjagen wollte. Es konnte sogar sein, daß eine Hexe, wie die alte Frau Hibbins, die bösartige Witwe einer Magistratsperson, am Galgen sterben sollte. In jedem dieser Fälle wäre ziemlich die gleiche Feierlichkeit auf den Gesichtern der Zuschauer zu bemerken gewesen, wie solches einem Volke ziemte, bei welchem Religion und Gesetz fast identisch und in dessen Charakter beide so vollkommen verschmolzen waren, daß die mildesten Handlungen der öffentlichen Disziplin ihm ebenso ehrwürdig und schauerlich erschienen wie die strengsten. Die Teilnahme, welche eine Gesetzesübertretung von solchen um die Schandbühne versammelten Zuschauern erwarten konnte, war in der Tat nur gering und kalt. Andererseits konnte eine Strafe, mit welcher in unserer Zeit unausbleiblich ein hoher Grad von spöttischer Infamie und Lächerlichkeit verbunden sein würde, damals von einer fast ebenso strengen Würde wie die Todesstrafe selbst begleitet sein.
Es war an dem Sommermorgen, wo unsere Geschichte beginnt, ein bemerkenswerter Umstand, daß die Frauen, von denen sich mehrere unter der Menge befanden, ein besonderes Interesse an der Bestrafung, welche hier bevorstand, zu nehmen schienen. Die Zeit besaß noch nicht so viel Gefühlsverfeinerung, daß eine Empfindung des Unpassenden dieTrägerinnen von Röcken und Miedern abgehalten hätte, auf die öffentlichen Straßen hinauszutreten und ihre nicht unsubstantiellen Personen, wenn Anlaß dazu vorhanden, bei einer Exekution in die dem Schafott nächsten Reihen der Zuschauer hineinzuzwängen.
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Sofort öffnete sich eine Gasse unter der Zuschauermenge. Unter dem Vorgange des Büttels und in Begleitung einer unregelmäßigen Prozession von finsterblickenden Männern und Weibern mit unfreundlichen Gesichtern brach Esther Prynne nach dem für ihre Strafe bestimmten Platz auf. Neugierige Schuljungen, die von der Sache wenig mehr verstanden, als daß sie einen halben Feiertag dadurch erhielten, liefen vor dem Zuge her und wendeten beständig den Kopf zurück, um in ihr Gesicht und auf das blinzelnde Kind in ihren Armen und den schmachvollen Buchstaben an ihrer Brust zu gaffen. Zu jener Zeit war die Entfernung von der Gefängnistür nach dem Marktplatze nicht groß. Nach der Erfahrung der Gefangenen zu messen, konnte sie jedoch für eine Reise von einiger Länge gelten, da sie, so hochfahrend ihr Benehmen auch war, wohl bei jedem Schritte jener, welche sich herbeidrängten, um sie zu sehen, eine Qual erlitt, als ob ihr Herz auf die Straße geworfen worden sei, damit sie alle darauf treten und es mit den Füßen von sich stoßen konnten. In unserer Natur liegt jedoch die ebenso wunderbare wie gnädige Vorkehrung, daß der Leidende das Äußerste, was er erduldet, nie an seiner gegenwärtigen Qual, sondern hauptsächlich an dem danach zurückbleibenden Schmerze erkennt. Esther schritt daher mit fast heiterer Haltung durch diesen Teil ihrer Prüfung und gelangte zu einer Art von Schandbühne am westlichen Ende des Marktplatzes. Sie stand fast gerade unter dem Giebel der ersten Kirche von Boston und schien dort niet- und nagelfest zu sein.
Wirklich bildete diese Bühne einen Teil von einer Strafmaschinerie, welche jetzt seit zwei bis drei Generationen bei uns nur noch historisch und durch die Sage bekannt ist, aber in den alten Zeiten für ein so wirksames Hilfsmittel zur Beförderung des guten Benehmens der Bürger galt, wie nur je die Guillotine unter den Schreckensmännern von Frankreich; kurz, es war die Bühne des Prangers, und über ihr erhob sich das Gestell dieses Disziplinarwerkzeuges, welches so geformt war, daß es den menschlichen Kopf umfaßte und ihn so den Blicken des Publikums hinhielt. In diesem Gerüste von Holz und Eisen verkörperte und offenbarte sich ein Ideal von Schmach. Ich glaube, daß es gegen unsere gemeinschaftliche Natur, was auch die Vergehen des Individuums sein mögen, keine größere Mißhandlung geben kann, als dem Schuldigen zu verbieten, sein Gesicht vor Scham zu verbergen, wie es das Wesen dieser Strafe ist. In Esther Prynnes Falle lautete jedoch, wie es nicht selten auch bei anderen vorkam, der Spruch nur darauf, daß sie eine gewisse Zeit auf der Schandbühne stehen solle, ohne aber den Griff um den Hals und die Fesselung des Kopfes zu erleiden, welche die teuflischste Eigenschaft der häßlichen Maschine war. Sie kannte ihre Rolle vollkommen, stieg eine hölzerne Treppe hinauf und zeigte sich so der sie umgebenden Menge in etwa der Höhe einer Mannsschulter über der Straße.
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