Wir reden, noch
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Norbert Philipp. Wir reden, noch
Wir reden, noch
Inhalt
Ein Vorwort
REDEN WIR ÜBERS REDEN. Das persönliche Gespräch – der Showdown der Kommunikation
Kommunikation im Breitformat
Sender trifft Empfänger – Mit ein bisschen Luft dazwischen
Der Mensch als Multichannel-Manager
Doppelt „on“ und doppelt überfordert
Die digitale Beschleunigung
Digital verwirrt, bedroht, gefährdet
Lesen, schreiben, digital kommunizieren
WARUM WIR ÜBERHAUPT REDEN (UND WAS WIR UNS DAVON VERSPRECHEN) Es ist ja alles so zwischenmenschlich
Da ist immer noch einer mehr als ich
Tiere, Psyche und andere Netzwerkerinnen
Hört mich denn niemand?
Dabeisein ist tatsächlich fast alles
Social Media: Ach, wir sind es ja selbst
Das kommunikative Survival-Kit des Menschen
Sozial zu sein braucht nicht immer Worte
Der kommunikative Joker des Menschen: Die Sprache
Wir reden, um zu reden
Die Fellpflege wird digital
Reden macht glücklich: Danke, Dopamin
Digitales Fingerfood – kommunikatives Glück in kleinen Häppchen
Geteiltes Leid und andere Bedürfnisse
Wir reden, auch weil wir manchmal müssen
WIE WIR REDEN (UND WIE SICH DAS DIGITAL VERÄNDERT) Wie man redet, das sagt schon was
Gesichter und andere Gesprächspartner
Das Gesicht, ein Alphabet aus 26 Muskeln
Ein Schmierstoff, der immer wirkt: das Lächeln
„Schau nicht so!“ – „Ich schau‘ doch gar nicht!“
Die durchaus komplizierte Begegnung der ganz normalen Art
Der Körper und andere Berührungspunkte
Das Gespräch, ein Naturschauspiel
Ich und du – wer weiß, was daraus wird
Apropos: Ich bin ich und wer bist du?
Was gut läuft, soll man nicht aufhalten
Ich und der Andere: Da ist gar nicht einmal so viel Unterschied
Am Ende muss doch noch nicht Schluss sein
Was ist da zwischen uns?
Das Reden wird „tele“
Das Reden wird digital
Das Reden wird bildlich
Das Reden wird schriftlich
Der Mensch, ein Weltenhüpfer
WO WIR REDEN KÖNNEN (UND WARUM RÄUME EIN WÖRTCHEN DABEI MITZUREDEN HÄTTEN) Der Mensch braucht Rederaum
Ich bin hier und du bist dort
Einer redet immer mit: der Raum
Welche Räume das Reden braucht
Wie man sitzt, steht und geht, so redet man
Der Tisch, die Kommunikationsplattform
Als sich das Reden niedersetzte
Homeoffice ist doch kein Büro
MIT WEM WIR REDEN KÖNNTEN (UND WARUM ES NICHT IMMER MENSCHEN SEIN MÜSSEN) Ansprech-, Gesprächs- und andere Partner
Hallo, Unbekannter! Servus, Fremder!
Neue Gesprächspartner: Maschinen wie ich
Ich und die „virtuellen anderen“
DIE ÄRA DER VIDEOKONFERENZ. Gesicht und Gesicht, mit Internet dazwischen
Das neue Sehen und Gesehenwerden
Wie Videogespräche wirken
Mehr Stimme für das Bild
Danke
Quellenverzeichnis
Weiterführende Literatur. A
B
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D
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I
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Отрывок из книги
Norbert Philipp
Die Kultur des Gesprächs in der digitalen Ära
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Trotz allem Ausblenden von unserer und von der Gegenseite, trotz aller Exit- und Vermeidungstrategien, die bis tief hinein ins Handydisplay führen – bleiben noch immer eine Menge Menschen, mit denen man umgehen muss. Und dafür folgen die meisten gewissen Strategien, um aus dem Ganzen unbeschadet und womöglich zufrieden wieder herauszukommen: sich gegenseitig abzustimmen ist eine davon. Etwa mithilfe verschiedener Übereinkünfte, die man spontan schließt. Die erste und entscheidende für den Face-to-Face-Kontakt: Ich bin da. Du bist da. Auch das sollte mal für alle Beteiligten klar sein. Im Bestfall jedoch hat man sich gegenseitig wahrgenommen. Damit ist schon viel geschafft. Dann kann das Spiel beginnen: Man versucht zu antizipieren, Perspektiven einzunehmen, Hypothesen aufzustellen, was der andere vorhat und wie die Welt wohl aussieht, wenn man sie aus der Warte des anderen betrachtet. Gleichzeitig kündigt man sein eigenes Vorhaben an, gestisch, mimisch. Am Gehsteig hat das früher meist damit geendet, dass man kollisionsfrei aneinander vorbeigeglitten ist. Doch heute scheitert das Konzept oft schon an Punkt eins: eben der Wahrnehmung. Noch dazu, weil einseitige Wahrnehmung noch nicht reicht. Als Versuch, um festzustellen, wie wenig man tatsächlich wahrgenommen wird in stimulusdichten Umgebungen, muss man nur bei einem Geschäft einmal die Tür aufhalten und zählen, wie viele Menschen hineinschlüpfen, ohne zu bemerken, dass ihnen überhaupt die Tür aufgehalten wird.
Als der einzig relevante Raum noch der war, durch den man gerade ging, war eine Begegnung auf dem Gehsteig fast eine Performance. Zumindest klingt es so, wenn sie soziologische Beobachter menschlicher Interaktionen im 20. Jahrhundert beschrieben haben. Die Ellbogen werden eingezogen, die Schultern werden gedreht, das läuft ja wie geschmiert; kaum ist man vorbei, macht man sich wieder breit. Mit dem Körper setzt man kleine Hinweise auf die Richtung, die man gedenkt einzuschlagen. Doch mit ihrem ehemals inhärenten Koordinations- und Navigationssystem sind die Menschen inzwischen gehörig durcheinandergekommen. Es wirkt fast, als könnten sie zwar über einen Chat am Handydisplay die Präsenz jedes anderen erspüren, aber die eigene im konkreten Raum dafür umso weniger. Kein Wunder, dass das Standardnavigationssystem, das uns stets verlässlich durch die Räume geführt hat, das uns gesagt hat, ob wir schon zu nah sind oder doch noch zu weit weg, ein wenig aus der Balance geraten ist. So oft, wie sich virtuelle mit realen Räumen im Laufe eines Tages überblenden. Und auch die gepolsterte Komfortzone, der unsichtbare Airbag, den wir als „Personal Space“ vor uns hertragen, wäre fast ein Fall für eine Rückholaktion des Herstellers. Wenn man schließlich doch ein Gegenüber gefunden hat – eines, das menschlich, unmaskiert oder zumindest nur mit Mund-Nasen-Schutz, nüchtern und aufmerksam ist –, dann merkt man: Schon die stummen Begegnungen verlaufen anders, die sprachlichen umso mehr. Denn das Smartphone hat den Modus verändert. Allein dadurch, dass es dabei ist, auch wenn man es nicht benutzt, verändert sich die Kommunikation. Das meint etwa die deutsche Soziologin Angela Keppler.12 Doch oft genug liegt das Smartphone nicht nur daneben, als stumme Verheißung, dass sich ein anderer gleich einschalten könnte in die Situation – es bringt sich auch selbst in Gespräche ein. Oft ist es selbst schon Thema. Weil es neu ist und jetzt noch mehr kann als vorher. Oft liefert es aber auch neuen Stoff für die Unterhaltung, weil mit ihm automatisch der Zugang zum Wissen der Welt offenliegt. Der Content aus dem Netz könnte ja auch bebildern, illustrieren, untermauern und vertiefen, was man so beiläufig vor sich herplappert. Auch dadurch ist ein Gespräch gleich ganz anderes getaktet. Den Rhythmus geben dann etwa sprachliche Hinweise vor wie: „Das schau’ ich gerade mal nach“, „Google das einmal“, „Was meint Wikipedia dazu?“ All das verweist in einen parallelen, erweiterten Interaktionsraum, in den man kurz virtuell beiseitetritt. Wenn es das Gespräch verlangt. Oder wenn einem dann doch nichts mehr selbst einfällt. Als „Augmented Communication“ fasst Richard Pinner dieses Interaktionsphänomen in seinem Buch zusammen.13 Die Aufmerksamkeit wird gleichermaßen und gleichzeitig verteilt auf den Interaktionsraum vor Ort und den Cyberspace, denen man sich abwechselnd zuwendet. In einer Gesprächsspielform, die auch schon als „Cross Digital Talk“ bezeichnet wurde.14 So scheint vielleicht dieses Szenario dann doch am wahrscheinlichsten: Die Face-to-Face-Kommunikation wird nicht abgeschaltet, nur umgeschaltet in einen neuen Modus. Und der funktioniert fast wie „persönliches Gespräch Plus“. Also: die Qualitäten und Authentizität der fokussierten Interaktion unter vier oder mehr Augen, erweitert und bereichert auf Wunsch – mit dem Content, den der Gesprächsfluss, das Thema, die Situation gerade brauchen könnte. Eine kommunikative Interaktion, in der man sich dem Gesprächspartner und dem Stoff aus den Datenwolken gleichermaßen zuwendet.
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