Jesus der Zweite
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Norbert Schneider. Jesus der Zweite
ALLES ZU RETTEN, MUSS ALLES GEWAGT WERDEN. Friedrich Schiller. Kapitel 1. Wenn Isaiah zur Hauptstraße schaute, sah er meistens nichts, überhaupt nichts. Nur einmal in der Woche kam der Bus vorbei, der zwischen Salmonsla und Modutung verkehrte. Früher hatte er noch angehalten. Dann kamen die Frauen vom Markt zurück oder auch einige wenige Touristen stiegen aus und kamen in ihr Dorf. Aber seit die meisten im Dorf krank wurden, sah Isaiah den Bus immer nur vorbeifahren. Auch heute erwartete er, dass der Bus vorbeifuhr. Doch diesmal hielt er an. Als er weiterfuhr, sah er einen Mann an der Straße stehen. Ab und zu kam ein Arzt von der Stadt vorbei aber der konnte es nicht sein, denn der kam mit dem Jeep und hatte immer eine Tasche dabei. Der Fremde kam zielstrebig näher, als wenn er genau wüsste, wo er hinwollte. Beim Näherkommen sah sich Isaiah den Mann genauer an. Er schien gut 30 Jahre alt zu sein, war hoch gewachsen, schlank und hatte ein angenehm geschnittenes Gesicht. Er trug gepflegte Jeans, darüber ein kariertes Hemd und bequeme Ledersandalen. Trotz der großen Hitze war er ohne Hut. Als er vor der Hütte ankam, vor der Isaiah saß, setzte er sich zu ihm auf den Boden, kreuzte die Beine und sprach ihn in seiner Muttersprache an. Ein immer selten werdender Bantu-Dialekt. Er war stolz darauf ihn noch zu sprechen. Aber die Gelegenheit, ihn an Jüngere weiterzugeben wurde immer geringer. Es interessierte sich niemand dafür. „Ich grüße dich, ich weiß, du bist Isaiah und hier der Dorfälteste. Du hast großen Kummer. Viele deiner Stammesbrüder und -Schwestern sind todkrank. Es gibt keine Medikamente und auch der Arzt, der öfters vorbeischaut, ist euch kaum eine Hilfe. Auch zu essen habt ihr nicht genug, weil immer weniger von euch noch arbeiten können und daher niemand mehr zum Markt gehen kann. Viele der Kinder haben keine Eltern mehr. Die Krankheit hat die Zukunft eures Dorfes ruiniert“ Isaiah dachte im ersten Moment, der Fremde komme von der Regierung und wolle ihm die Aufgabe ihres Dorfes vorschlagen. Er hatte auf dem Markt schon von solchen Versuchen gehört. „Ja“, antwortete Isaiah, „uns geht es zwar sehr schlecht, aber wir glauben daran, dass Gott sich unser erbarmt und die Krankheit verschwindet. Der Arzt, der uns manchmal besucht sagt, dass es bald Medikamente gibt, welche uns helfen werden. Dann ist es vielleicht bald wie früher. Dann kommen vielleicht auch wieder die Touristen und kaufen uns die geflochtenen Körbe oder unsere geschnitzten Masken ab. Ich hoffe nur, dass dann noch genügend von uns leben werden. Auf jeden Fall möchten wir hier bleiben. Hier sind unsere Vorfahren begraben, hier wird auch mal mein Grab sein“ Der Fremde hörte Isaiah zu, ohne ihn zu unterbrechen und fragte dann: “Kann ich die Kranken sehen?“ „Gehe rüber in unsere größte Hütte, wir haben dort alle kranken Frauen zusammengelegt. Wir hoffen, damit die gesunden Dorfbewohner zu schützen. Die kranken Männer sind alle nebenan in der kleineren Hütte. Die kranken Kinder sind bei Ihren Müttern“. Darauf stand der Fremde auf und ging in eine Hütte, zunächst zu den Frauen. Isaiah blieb vor seiner Hütte sitzen. Er konnte den Anblick der Todkranken kaum ertragen. Es waren Freunde darunter, bei den Frauen auch seine Lieblingsfrau. Aber auch zwei ihrer gemeinsamen Kinder. Drei seiner Söhne waren schon gestorben. Meistens begann es mit Durchfall, Erbrechen und quälenden Hustenanfällen. Die Kranken wurden immer schwächer. Dazu kamen meist noch fleckige Ausschläge. Schließlich dämmerten sie nur noch teilnahmslos vor sich hin. Die noch wenigen gesunden Angehörigen versorgten sie dann mit Wasser und fütterten sie mit Hirsebrei oder Bohnen. Immer öfter wurden Verstorbene aus den Hütten getragen, in einfachste Brettersärge gebettet und hinter dem Dorf begraben. Inzwischen waren auch die Bretter ausgegangen und es mussten einige Tücher genügen. Die Zurückgebliebenen mussten nicht erst beginnen zu trauern. Trauer war im Dorf ohnehin ein Dauerzustand. Nein, in die Hütten der Kranken ging Isaiah kaum noch. Der Gestank darin erinnerte ihn zu sehr an den Tod. Isaiah wunderte sich, dass der Fremde so lange in der Hütte blieb. Hören konnte er nur ein leises Gemurmel. Nach etwa zehn Minuten verließ der ihm immer seltsamer vorkommende Fremde die Frauenhütte, um direkt in dem dunklen Eingang der Männerhütte zu verschwinden. Auch hier blieb er einige Zeit und kehrte dann zurück zu Isaiah. „Sorge dafür, dass genug Wasser verteilt wird, schicke morgen alle Kranken wieder zu ihren Familien und verbrenne dann die beiden Hütten“ Isaiah verstand nichts davon. Wie und von wem sollte er diese stinkenden Wesen zurück zu ihren Familien schleppen lassen? Der Fremde musste seine Gedanken lesen können, denn er antwortete: „Morgen wirst du verstehen, was ich meine“. Die Rätsel, die dir bleiben, werden dir noch lange zu denken geben. Aber irgendwann wirst du erfahren, warum ich hier war!“ Er streckte ihm die Hand entgegen. „Halte dich bei Kräften, du wirst in der nächsten Zeit viel zu tun bekommen. Dein Dorf wird bald jeder kennenlernen wollen“ Der Händedruck war fest, der Blick in seine Augen eindringlich. Irgendwie verspürte Isaiah, dass gerade etwas Besonderes geschehen war und der Fremde die Wahrheit sagte. Welche, wusste er nicht. Aber bald würde er es erfahren. Der mysteriöse Fremde machte sich auf den Weg und Isaiah sah ihm nach, bis er in der Ferne verschwand
Kapitel 2. Sie waren alle gekommen. Die Marketingstrategen der drei großen Pharmariesen, die Patentanwälte von den bestrenommierten Patentbüros aus London und New York. Sie hatten das ganze Hotel gebucht. Selbst hier in Saint Tropez gab es nichts Besseres, nichts Verschwiegeneres als das „La Bastide de St. Tropez“. Sie wollten unter sich sein, wollten feiern, sich an ihrem Erfolg ergötzen, die wirklich ersten großen Lizenzeinnahmen und Patenttantiemen genießen, die Weichen stellen für noch größere Erfolge. Hier konnte man sich abschotten von lästigen Reportern. Die Führung des „La Bastide de St. Tropez“ konnte mit beidem umgehen. Mit denen die gerne gesehen werden wollten in den Gazetten der Journale von London oder Paris, denen es nichts ausmachte, wenn alle Welt von ihrem Reichtum erfuhr, oder auch mit denen, die Diskretion bevorzugten. Nicht jedem war es recht, wenn die Öffentlichkeit mitbekam, dass man für eine Nacht im Doppelzimmer 1000 € ausgeben kann. Da funktionierte die Verschwiegenheit perfekt. So war es bei dem Treffen der Pharmaelite. Das „La Bastide de St. Tropez“ war deswegen einfach wegen Renovierung einige Tage geschlossen. Mit 46 Teilnehmern war das Hotel damit immerhin fast zu dreiviertel belegt. Eingeladen hatte J.S.Morgenthaler der Patentkanzlei Morgenthaler & Benson. M&B hatten die Hauptgefechte der Patente für diverse Aids-Medikamente der Pharmaindustrie geführt. Die großen Drei hatten sich den Kuchen der Aidspräparate geteilt. Da die Behandlung von Aids nie aus nur einem Wirkstoff, sondern aus einer Mixtur verschiedener Wirkstoffe bestand, gab es für alle Hersteller genug große Stücke davon. Vorausgesetzt, man konnte die Preise hochhalten. Bisher hatte das hervorragend funktioniert. Bei genügend öffentlichem Druck senkte man zwar kurz die Preise aber die ständig steigende Anzahl der neu Infizierten kompensierte das immer wieder. Zusätzlich ersetzte man ältere Wirkstoffe durch neuere Entwicklungen, für die man weit höhere Preise erzielte. Um dieses Spiel ständig am Laufen zu halten bedurfte es der besten Patentanwälte, die man auftreiben konnte. Und dies war die Agentur M&B. Aber man verspürte doch zunehmenden Gegenwind. In den Ländern der Dritten Welt, aber auch in Schwellenländern wie Brasilien und Südafrika war man nicht mehr bereit und auch in der Lage, sich die hohen Medikamentenkosten zu leisten. Auch dort gab es clevere Anwälte und auch eine chemische Infrastruktur, welche in der Lage war, HIV-Medikamente nachzukochen und als Generika zu weit niedrigeren Kosten auf den Markt zu werfen. Dies trübte aber nur etwas die Stimmung im „La Bastide de St. Tropez“. Man war sich sicher, auch dagegen die richtigen Gegenmaßnahmen zu finden. So war auch die Stimmung am ersten Abend alles andere als pessimistisch und man hatte sich zu einem Cocktail am Pool versammelt. Wie so oft im Oktober an der Côte Azur war es auch an diesem Abend herrlich lau und man konnte noch so richtig die Wärme des von der Sommerhitze aufgeheizten Mittelmeeres genießen. Es hatten sich rings um den Pool kleinere Grüppchen gebildet. Obwohl man nach außen hin erbitterter Konkurrent war kannte man sich. Besser als erlaubt. Die Marketingspitzenleute der drei Großen hatten oft Kontakt, wenn auch meist konspirativ. Wäre herausgekommen, welche Weichen in diesen Zirkeln gestellt wurden, wären abgesehen vom Imageverlust Milliardenzahlungen der EU und auch der amerikanischen Aufsichtsbehörden unausweichlich gewesen. An einem etwas abgelegenen Stehtisch mit herrlichem Blick zum Cap Cameret prostete J.S.Morgenthaler mit feinstem Champagner, einer „Diamond Edition" von De Watère, dem ranghöchsten Marketingmanager, Carl Wenstedt von Abott zu. „Schade, dass wir uns so wenig sehen, Carl. Wir sollten mal wieder mit unseren Frauen was Gemeinsames unternehmen. Hier im Hotel haben sie eine Zwanzig-Meter-Yacht vom Feinsten, wir könnten mal rüber nach Korsika. Ich kenne da ein Fischrestaurant. Liegt an der Ostküste an einem Salzsee, direkt am Meer!“ „Würde mir schon gefallen, aber du weißt ja, dass Martha schon seekrank wird, wenn sie die „Meuterei auf der Bounty“ guckt. „Dann nehmen uns halt eine Motoryacht, in fünf Stunden sind wir drüben!“. Wenn du vorher mit Martha zusammen eine Flasche Champagner leerst, merkt die davon überhaupt nichts. „Na ja, bringen wir erst mal das Brasilienproblem hinter uns!“ „Ich nehme das nicht mehr so ernst. Wir haben unverschämtes Glück. Ich habe von unserem Verbindungsmann aus Kapstadt eine Meldung, die kann uns zig Millionen bringen. Dort ist ein besonders aggressiver Virus aufgetreten, gegen den unser bisheriger Dreierpack nichts mehr ausrichtet. Unsere Labors werden sich dem Ding annehmen und sich damit mehr als genügend Zeit lassen. Bis die was haben, haben wir die richtige Durchseuchungsdichte auch bei uns. In der Zwischenzeit reduzieren wir die Preise für unseren bisherigen Mix und schon stehen wir nach außen wieder gut da. Stell Dir vor: Allein in Westeuropa im ersten Jahr, wenn wir unsere neuen Wirkstoffe einsetzen, 100 000 neue Fälle, das sind pro Infizierten 2000 € pro Jahr. Wir müssen nur abwarten, bis sich genügend Leute infiziert haben. Hoffentlich durchkreuzt uns der Papst nicht mit einer Präservativerlaubnis unsere Pläne“ „Dann dauert es halt etwas länger...“ Ihr Gespräch brach abrupt ab, als sich jemand zu ihnen gesellte. J.S.M. aber auch Carl hatten ihn noch nie gesehen. J.S.M. hätte eigentlich jeden Gast kennen sollen und Fremde kamen hier nicht ins Hotel. J.S.M. würde das Hotel nie wieder für ein solches Event anmieten. Das konnte sich auch ein „La Bastide de St.Tropez“ nicht leisten „Wen darf ich begrüßen?“ J.S.M. war sofort misstrauisch. Der Fremde war gegen dreißig, gepflegt, machte einen selbstsicheren Eindruck und antwortete: „Gehen Sie einfach davon aus, dass ich Ihnen sehr wichtig sein werde. Würden Sie mich an die frische Luft setzen, wären Sie mit der dann anrollenden Presse überfordert. Ich interessiere mich für Ihre Geschäfte. Ich kenne alle Ihre Aktivitäten, Ihre Verflechtungen, Ihre Einflussnahmen auf die Politik. Was Sie vielleicht nicht kennen oder kennen wollen, sind die Folgen daraus. Sie erhalten von mir die einmalige Chance dies hautnah kennenzulernen. Dazu werden Sie bald Gelegenheit haben“ Bevor es zu einem richtigen Dialog kam, verabschiedete sich der Fremde, verließ den Park und verschwand im Dunkeln. Carl wollte noch jemanden vom Personal verständigen um den Eindringling zurückzuhalten, aber J.S.M. hielt ihn zurück. “Wenn uns der Fremde die Presse auf den Hals hetzt, tut das unserer Angelegenheit nicht gut!“ Beide konnten nicht viel mit den wenigen Worten anfangen. Er machte aber nicht den Eindruck, dass er nicht wisse wovon er spreche. Das seltsame Gespräch war aber schnell vergessen, als sich die Runde vergrößerte und die erwarteten Zahlen fürs nächste Quartal diskutiert wurden
Kapitel 3. Isaiah lebte und schlief, seit seine Lieblingsfrau gestorben war, alleine in seiner Hütte. In der Nacht nach dem Besuch des seltsamen Fremden schlief er entgegen seiner sonst üblichen Nächte tief und er erwachte auch ungewöhnlich spät. Meist konnte er wegen der Hustenanfälle, die aus den Hütten der Kranken kamen, schlecht einschlafen. Er litt oft mit den armen geplagten Todkranken, denen er doch nicht helfen konnte. Aber in dieser vergangenen Nacht war es ruhiger als sonst. Auch am Morgen als er aufwachte war es anders als gewöhnlich. Die ersten Geräusche die er meist hörte, waren quälende Hustenanfälle und hie und da das Stöhnen der Todgeweihten. Heute war es anders, er hörte leises Gemurmel, eher freundliche Töne und sogar vereinzeltes Lachen. Isaiah war neugierig darauf sich selbst ein Bild davon zu machen, was da vor sich ging. Er ging nach draußen und er konnte es kaum fassen. Vor den Hütten der Kranken saßen die, die gestern noch im Sterben lagen, machten miteinander Scherze und verhielten sich so, als wenn sie niemals krank gewesen wären. Natürlich waren die meisten unter ihnen abgemagert bis auf die Knochen, aber ihre Augen strahlten, als wenn ihnen gerade großes Glück widerfahren wäre. Anscheinend waren bei allen, die noch vor wenigen Stunden ohne Hoffnung vor sich hindämmerten, sämtliche Krankheitssymptome spurlos verschwunden. Isaiah dachte sofort an den Fremden. Hatte der nicht angedeutet, dass etwas Besonderes in seinem Dorf passieren würde, und dass er viel Arbeit bekommen sollte? In zwei Tagen erwartete er den Arzt aus der Stadt, bis dahin hatte er noch viel zu tun
Kapitel 4. J.S. Morgenthaler war ein sehr disziplinierter Mensch. Sich gehen lassen war ihm zuwider. Bei seinen Aufgaben hatte er immer hellwach zu sein. Keine Phase von Schwäche wurde ihm bei seinem Job verziehen. Außer einem Gläschen Champagner hatte er wie immer nichts getrunken. Meist schlief er auch gut und fest. Aber diese Nacht hatte es in sich. Es war noch nicht mal zwei Uhr als er erwachte. Ihm war speiübel. Es schaffte es gerade noch bis zur Toilette, wo er sich übergeben musste. Es wird wohl irgend etwas beim Fischbuffet dabei gewesen sein, das nicht in Ordnung war, dachte er sich und versuchte sich zu beruhigen. Er legte sich wieder ins Bett und versuchte einzuschlafen. Doch ein Hustenreiz, der nicht enden wollte, trieb ihn wieder aus dem Bett. Als Kind hatte er einen Keuchhusten überstanden. Seitdem hatte er nie wieder Ähnliches erlebt. Er fühlte sich wie erschlagen. Er schluckte zwei Aspirin, um endlich etwas Ruhe zu finden. Gegen vier Uhr schlief er wieder kurz ein. Wenig später erwachte er mit Magen- und Darmkrämpfen, stürzte zur Toilette. Dann schien sein Darm zu explodieren. Dazu kam noch ein unwiderstehlicher Brechreiz. Er wusste nicht mehr ob er sitzen bleiben oder sich über die Kloschüssel beugen sollte. Als er sitzen blieb, musste er sich dann doch nochmals übergeben. Zusammengesunken hing er über der Toilette, es wollte einfach nicht aufhören. Irgendwann, als sein Gedärm, sein Magen, sich unter Krämpfen ausgewrungen hatte, kam er wieder einigermaßen zu sich. Bevor die Zimmermädchen kamen, musste er noch schnell das Badezimmer reinigen. Eigentlich war er viel zu schwach dazu, aber diese Blöße wollte er sich nicht geben. Eimer und Putzlappen gab es natürlich nicht in der Suite, aber mit einem Handtuch versuchte er sich zu behelfen. Mit etwas Duschgel und viel Wasser schaffte er es, das Badezimmer wieder einigermaßen zu säubern. Trotzdem, der saure Geruch des Erbrochenen blieb im Raum hängen. Jetzt erst betrachtete er sich im Spiegel. Was er sah, war nicht der, der sich vor wenigen Stunden in dieser Suite zum Schlafen gelegt hatte. Auf der Stirn stand kalter Schweiß, das Gesicht aschfahl, die Augen rot unterlaufen. Er hatte auch ein eigenartiges taubes Gefühl im Mund. Im Spiegel sah er dann einen weißen Belag in seiner Mundhöhle. Es war der Moment, in dem er das erste Mal an eine HIV-Infektion dachte. Alle Symptome passten. Er verdrängte sofort diesen ersten Anflug von Panik. Er wusste in diesem Umfeld darüber bestens Bescheid, kannte alle bekannten Übertragungswege, die Inkubationszeiten, den Verlauf dieser Krankheit in allen Facetten. Es konnte einfach nicht sein! Er wusste, dass im Zimmer nebenan Dr. Werner untergebracht war, der Mediziner und Chemiker zugleich war. Wenn ihm jemand seinen aktuellen Zustand beschreiben konnte, war er es. Die Zimmernummer kannte er und damit die Direktanwahl „Doktor, ich brauche Ihren Rat“. Er erzählte in kurzen. Worten was er erlebte, präzise, ohne was auszulassen oder zu übertreiben. Der Doktor sagte zuerst einmal nichts. Nach einer langen Pause bat er ihn zu sich in sein Zimmer. J.S. zog seinen Bademantel über und ging zum Zimmer nebenan. Schon beim ersten Anblick wusste er, Dr. Werner hatte das Gleiche wie er hinter sich. Sie setzten sich nach draußen auf die Terrasse. Von der Bucht von Saint Tropez sah man schon die Morgendämmerung aufziehen. „Doc, was haben wir uns da eingefangen?“ Die Antwort war, dass er ihm ein Visitenkarten ähnliches Papier hinschob. „Das lag heute Morgen vor meiner Zimmertür, wurde wohl in der Nacht unter der Tür durchgeschoben. Darauf standen nur wenige Worte: „Gruß von siehe: Google, Johannesburg, Spontanheilung Aids“ Dr. Werner klappte sein Notebook auf, loggte sich ein und gab die Suchbegriffe ein. Bereits der erste gefundene Link war ein Treffer: Unter http://www.witness.co.za/ fand er folgenden Text „Spontanheilung von 46 Aidskranken in einem Dorf nahe KwaZulu Natal! In dem geöffneten Link waren dann noch die Einzelheiten beschrieben. Es war eine Meldung der „The Natal Witness“, einer großen Zeitung für die Gegend um KwaZulu Natal „Mysteriöse Spontanheilung von Aidskranken in Südafrika. Unser Reporter war vor Ort. Noch bis vorgestern waren in dem Ort 46 Personen an HIV erkrankt. Der zuständige Doktor für dieses Dorf bestätigte uns, dass alle Personen im Dorf, welche an HIV erkrankt waren, über Nacht gesund wurden. Sie waren zwar noch alle sehr schwach, zeigten aber keinerlei Symptome mehr. Der Dorfälteste berichtete, dass am Tag zuvor ein Fremder ins Dorf gekommen wäre, hätte kurz mit ihm gesprochen, dann die Hütten der Kranken besucht und sich dann mit den Worten „Dein Dorf wird bald jeder kennen lernen wollen“ verabschiedet. Auch wenn uns der Doktor und auch der Dorfälteste diese Geschichte glaubhaft erzählten: Es klingt doch alles zu phantastisch um wahr zu sein. Die zuständigen Gesundheitsbehörden werden sich der Sache annehmen und mit medizinischen Tests wie z.B. umfangreichen Blutuntersuchungen versuchen die mysteriösen Vorgänge aufzuklären“
Dr. Werner und J.S. Morgenthaler dachten beide sofort an den gestrigen Besucher. Den Schluss den sie daraus zogen war genauso absurd, wie in seiner Konsequenz ungeheuerlich. Der Fremde hatte ihnen, wie auch immer, die Seuche der Südafrikaner mitgebracht. Nicht nur weitergegeben, sondern wie ein Staffelholz übergeben. Wenn dies stimmte, waren alle 46 Teilnehmer ihres Treffens nun HIV infiziert. Ein grauenvoller Gedanke. Das Frühstücksbuffet, inzwischen war es fast 8:00 geworden, würde schnell darüber Klarheit bringen. Der Doktor und J.S.M. hatten seit dem Lesen des Artikels noch kein Wort miteinander gewechselt. Keiner wollte es aussprechen. Bei schönem Wetter war vorgesehen, das Frühstück auf der Dachterrasse einzunehmen. Das Wetter war sehr angenehm. Die aufgehende Morgensonne wärmte schon etwas und vom Meer her kam eine leichte laue Brise. Als beide die Dachterrasse betraten, war schon mehr als die Hälfte der eingeladenen Gäste eingetroffen. Niemand saß aber an den bereits gedeckten Tischen oder bediente sich am Buffet. Es hatten sich größere Gruppen gebildet, die fast schweigend zusammenstanden. Als sie sich einer Gruppe zugesellten, wussten sie, dass ihre schlimmsten Vermutungen bestätigt waren. Alle hier auf der Terrasse hatten keinen Blick auf das einzigartige Panorama der aufgehenden Sonne über der Bucht von Frejus. Man sah es jedem an. Alle hatten schreckliche Stunden hinter sich. Doch im Unterschied zu Dr. Werner und J.S. Morgenthaler wussten sie nicht, was sie noch vor sich hatten. Es war wohl der Fisch, das war die allgemeine Ansicht. Auch Carl ahnte noch nicht, wie recht der Besucher von gestern mit seinen letzten Worten hatte
Auf Postkarten scheint immer die Sonne, überall, also auch in London. Ausnahmsweise aber heute nicht. Sam Berklin kam gegen acht zurück in sein Appartement in der Baywaterstreet. Es war heute kein guter Tag gewesen, keine Leichen, kein spektakulärer Verkehrsunfall, nichts. Außer, dass ein Betrunkener einem Wachsoldaten am Buckingham Palast ans Bein pinkeln wollte. Man hatte ihn dorthin gerufen, damit er wieder eine viertel Seite der Sunday Times füllen sollte. Das war sein Job. Leere Seiten in Zeitungen mit Futter versehen. Dafür wurde er bezahlt. Eher schlecht als ausreichend. Aber er hatte den Ruf, dass seine Beiträge wenigstens wahr waren. Dies verschaffte ihm das Vertrauen der Redakteure. Keine Nachricht von ihm hatte je Regressforderungen wegen Unwahrheiten zur Folge. Bevor er die Treppenstiegen hinaufging, schaute er wie immer in seinen Briefkasten. Neben der üblichen Werbung war darin ein Briefumschlag. Kein Absender oder ein sonstiger Hinweis war von außen erkennbar. Sam öffnete den Umschlag. Darin lag ein zusammen gefalteter Brief. Brief wäre zu viel gesagt, eher ein Zettel. Darauf stand mit Maschinenschrift geschrieben ein kurzer Text:
Wenn Sie eine einmalige Story suchen, gehen Sie Morgen gegen 18:00 in den Green Park. Nehmen Sie Ihre Videokamera mit. Setzen Sie sich dort auf die Parkbank unmittelbar nach dem Kinderspielplatz. Etwa 10 Minuten nach 18:00 Uhr wird ein etwa 60 Jahre alter Herr an Ihnen vorbeilaufen. Er führt einen Hund, einen weißen Terrier mit sich. Verfolgen Sie diesen Herrn mit Ihrer Kamera. Ich werde mich anschließend bei Ihnen melden!
Was soll ich damit, dachte sich Sam. Und doch, wenn Morgen, am späten Mittag, nichts unverhofft Schreibenswertes passierte, nahm er sich vor seine Neugierde zu befriedigen und die Aufforderung anzunehmen
Kapitel 6. Jonathan Fisher war ein auch zu sich selbst gnadenloser Pedant. In Verbindung mit seiner Eigenart nichts dem Zufall zu überlassen, alles bis zum letzten i- Tüpfelchen durchzuplanen, war er zwar ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann geworden, aber niemand wusste mehr über ihn, denn niemand kam mit ihm sonderlich zurecht. So war er einsam reich geworden und konnte sich ein Haus in den besten Lagen Londons leisten. 17:00 bis 17:30 Teestunde, 17:45 mit Sigurd, so nannte er seinen Hund, obwohl zu dessen Statur eigentlich höchstens Bello als Namen passte. 30 Minuten mit ihm um den Park gehen und dies täglich wenn er Zuhause war. Egal wie das Wetter auch war. Das war einfach so in seinem Kopf fest zementiert. Der Weg führte aus dem Haus direkt in den Park, vorbei an einem Spielplatz. Dahinter kam eine kleine Lichtung mit einer Gedenktafel der Gefallenen beider Weltkriege. Nach etwa einem Kilometer drehte der Rundweg bereits wieder in Richtung Heimweg. Schon bald tauchte im Hintergrund der Umriss seines Hauseinganges auf. Er ließ immer die alte Eingangslaterne, die er unmittelbar vor seiner Haustür installieren ließ, brennen. Auf den letzten Metern standen rechts und links des Parkweges noch einige Parkbänke. Meistens waren diese aber um diese Zeit leer. Deswegen wunderte es sich doch. etwas, dass auf einer Bank noch jemand saß. Ein Herr etwa in seinem Alter. Für die Wohngegend hier etwas nachlässig gekleidet. Obwohl es doch schon etwas frisch geworden war, hatte der Mann auf der Parkbank seinen Mantel über dem Schoß liegen. Bevor er aber weiter darüber nachdenken konnte, bemerkte er vor sich, dass die Baustelle der letzten Tage, über die er sich so sehr ärgerte, geräumt war. Mitten auf dem Weg war noch bis gestern ein Loch ausgehoben worden. Der Weg war deswegen abgesperrt. Jonathan musste tagelang um diese Stelle außen herum laufen. Da die Wiese neben dem Weg mit dem Erdaushub doch ziemlich bedeckt war, musste er immer wenn er sein Haus betrat seine Schuhe ausziehen. Wenn es dazu noch regnete, musste er zudem Sigurd noch in die Badewanne stecken. Jetzt konnte er endlich wieder seinen gewohnten Weg gehen
Kapitel 7. Sam Berklin war pünktlich. Der Erwartete auch. Er musterte ihn kurz im Vorbeilaufen, lief dann aber zielstrebig weiter. Der Hund, den er angeleint führte, trottete neben ihm her. Nachdem er einige Meter entfernt war, traute sich Sam seine Kamera unter dem Mantel hervor zunehmen und den Mann mit Hund zu filmen. Zu was das gut sein sollte wusste er nicht. Nachdem er die ersten Sekunden gefilmt hatte, benahm sich der Hund irgendwie merkwürdig. Während er die Beiden beobachtete, war er eher unauffällig neben seinem Herrchen her gelaufen, wollte er plötzlich nicht mehr weiter. Dem Halter des Hundes gelang es kaum mittels der Leine den Hund zu sich zu ziehen. So nahm er ihn kurzerhand auf den Arm und lief weiter. Die Kamera von Sam Berklin lief immer noch. Plötzlich, Sam wollte gerade die Kamera abschalten, gab es unmittelbar da, wo sich der Gefilmte befand, einen grellen Blitz und dumpfen Knall. Es war nur noch eine Rauchwolke zu erkennen, keine Einzelheiten mehr. Sam hielt die Kamera auf diese sich so abrupt einstellende Szene. Langsam zog der Rauch ab und es begann sich abzuzeichnen, was geschehen war. Dort wo die Explosion stattfand, lag auf dem Boden eine zusammen gekrümmte Gestalt. Näheres war aus der Entfernung kaum auszumachen. Als der Rauch völlig abgezogen war, sah Sam Berklin direkt vor dem Daliegenden den Hund. Der Hund hielt zwischen den Zähnen ein etwa halben Meter langes Teil. Sam konnte es zunächst nicht. ausmachen was dies war und versuchte die Szenerie bei zu zoomen. Dann sah er Schreckliches. Der Hund, so klein wie er war, hatte ein Bein im Maul, das er hinter sich herzog, da es zu schwer war. Gerade wie ein zu großer Stock, den ein Hund seinem Herrchen zurück bringt, wenn dieser den Stock zum Apportieren vor- her weggeworfen hat. Die Explosion hatte dem Gefilmten ein Bein abgerissen. Beim genaueren Hinsehen sah er zudem noch, das auch das andere Bein in unnatürlichem Winkel von dem Körper ab stand. Der Knall hatte doch einige Passanten in der Nähe neugierig gemacht. Sam sah die ersten näher kommen. Er schaltete die Kamera aus und versuchte sich unauffällig der ganzen Szenerie zu entziehen. Er wollte, so waren seine ersten Gedanken, nicht mit diesem Ereignis in Zusammenhang gebracht werden. Warum sollte jemand dieses unwirkliche Geschehen filmen. Was tun mit dem Film? Die nächste U-Bahnhaltestelle war nur wenige hundert Meter vom Park entfernt. Da die U-Bahn im Zehnminuten-Takt verkehrte, musste er auch nicht lange warten. Mit ihm zusammen stieg nur ein junger Mann ein
Kapitel 8. Jonathan Fisher war bei vollem Bewusstsein. Er wusste sofort was passiert war. Er kannte auch den Typ der Landmine. Es war eine PFM-1 eines russischen Herstellers. Er hatte keine Schmerzen. Nur, dass etwas mit seinen Beinen anders war als sonst fühlte er irgendwie. Er sah an sich hinunter. Dort wo das rechte Hosenbein sein sollte, war nichts. Nur Blut durchdrungener roter Dreck. Das andere Hosenbein war zwar noch vorhanden, aber der blaue Tweedstoff blutgetränkt. Ihm war auch sofort klar, dass genau ihm das galt, was mit ihm passiert war. Auch dass er es verdient hatte wie kein anderer. Jetzt hatte er bezahlen müssen! Als er nach oben schaute, blickte er genau in die Augen von Sigurd. Dann erst bemerkte er, dass Sigurd das Bein, das ihm fehlte zwischen den Zähnen hatte. An einem Ende mit einem Schuh, am anderen Ende sah er das passende Stück Fleisch. „Braver Hund“ dachte er noch, dann verlor er das Bewusstsein
Kapitel 9. Obwohl die Bahn nur etwa zu einem Viertel gefüllt war und es noch viele unbesetzte Plätze gab, setzte sich ein junger Mann neben Sam Berklin. Das Wundern von Sam dauerte nicht lange. Sein Sitznachbar sprach ihn direkt an. Er war gut gekleidet und hatte eine angenehme Stimme „Die Information, die Sie zu den eben gemachten Filmaufnahmen führte, stammt von mir“. Bevor Sam sich gedanklich sammeln konnte, sprach der Fremde weiter: „Sie können davon ausgehen, dass ich der Initiator dieser Aktion war. Sie müssen sie für höchst abstrus und pervers halten. Aber Sie sollten mehr über diese Person wissen. Er wird dies überleben. Er wird dann die Erfahrung machen, die er verdient. Der Mann heißt Jonathan Fisher. Es gibt fast keine Landmine auf der Welt, bei welcher dieser Herr keine Provisionen einkassiert. Er ist das Verbindungsglied zwischen dem Landminenhersteller und denen, die diese grausamen Tötungsapparate auslegen. Er ist der, der Politiker besticht, die erlauben oder wegsehen, wenn es darum geht, ob diese Waffen weiterhin zum Einsatz kommen“. Er zog einen Umschlag aus seiner Tasche und fuhr fort: „Hier habe ich einige Dokumente, die eindeutig beweisen, welche Rolle Jonathan Fisher in der Landminenszene einnimmt“ „Mit diesen Unterlagen und dem Film machen Sie eine Story und bieten sie einem seriösen Zeitungsverlag an. Machen Sie den Film für jedermann zugänglich. Vergessen Sie nicht das „Warum“ gerade Jonathan Fisher. Sorgen Sie dafür, dass alle, welche sich mit ähnlichen Mitteln bereichern, nachts nicht mehr ruhig schlafen können“. Bevor Sam Berklin reagieren oder nachhaken konnte, verabschiedete sich der Unbekannte und stieg an der nächsten Halteelle aus
Kapitel 10. Paolo Luciano war noch nie in einem Krankenhaus. Bis jetzt. Es war nie notwendig. Er war der Meinung, so wie er lebte, so gesund, so alles vermeidend was ihm schaden konnte, da würde jede Bazille, jeder Virus einen großen Bogen um ihn machen. Er trank keinen Alkohol, höchstens mal zu seinem Geburtstag. Aber da er diesen am 29. Februar feierte, gab es nur alle vier Jahre ein Gläschen Sekt. Wehe dem, der sich in seiner Familie in seiner Anwesenheit eine Zigarette angezündet hätte, es wäre ein Grund gewesen, denjenigen aus seinem Umkreis zu verbannen. Er war einfach der Meinung, bei seinem Job müsse man jede Sekunde hellwach sein. Er lag zwar hier im Krankenhaus, einer kleine Privatklinik in der Nähe von Salerno, aber krank war er eigentlich nicht. Die Klinik war bekannt dafür, dass man als anderer Mensch herauskam, als man hineinging. Und damit war das Aussehen gemeint. Die Liste der Prominenten, welche diese Klinik aufsuchten war lang. Erst neulich war der italienische Ministerpräsident einige Tage zu Besuch. Diese Information hatte er von dem Professor, der ihn morgen operieren sollte. Manche von denen, die der Professor unter dem Messer hatte, wollten nur etwas jünger aussehen, manche aber ganz anders. Er gehörte zu der zweiten Kategorie. Eigentlich gefiel er sich. Er war zwar nur 1,61 m groß, hatte aber mit seinen 63 Jahren noch einen durchtrainierten Körper und noch die Haarfülle eines Adonis. Auch sein hervorstechendes Merkmal mitten in seinem Gesicht, seine Nase, war er besonders stolz. Hätten Barbara Streisand und Fernandel einen Sohn gezeugt, sie hätten es nicht geschafft, eine solche Nase weiterzugeben. Aber jetzt war sie ihm im Weg. Ab Morgen sollten in ganz Italien Steckbriefe von ihm hängen. Ein Informant, der in einer Druckerei arbeitete, hatte ihm diese Botschaft zukommen lassen. Gerade weil er wusste, dass sein Aussehen niemals in der Öffentlichkeit erscheinen sollte, vermied er jeglichen Kontakt mit Leuten die einen Fotoapparat schwenkten. Aber seit es diese Handys mit allen nur erdenklichen Funktionen gab, war das nicht so einfach. Jemand musste ihn heimlich fotografiert und ein Bild von ihm den Behörden zugespielt haben. Und die interessierten sich heftig dafür. Schließlich zahlten sie 50.000 € demjenigen, der wichtige Hinweise zu seiner Person geben konnte. Derjenige der ihn verraten hatte, musste ja aus seinem näheren Umfeld stammen, ihm vielleicht von Geldsorgen berichtet haben. Das hatte aber keiner, 50.000 € hätte er aus der Portokasse bezahlt. Schließlich gab es in ganz Kampanien keinen Joint, keinen Schuss, an dem er nicht mit verdient hätte. Er hatte eine Handvoll Vertraute um sich geschart, die seine Geschäfte betrieben, ihn von missliebigen Konkurrenten befreiten, welche die vielen Hundert Zwischenhändler belieferten. Er selbst hatte sich mit seiner Familie abseits auf dem Lande, nahe Salerno niedergelassen. Dort lebte er nach außen unauffällig und fast anonym. Seinen engsten Vertrauten hatte er ans Herz gelegt, wenn sie ihn besuchten ihre Ferraris und Maseratis zu Hause zu lassen und stattdessen einen Fiat zu nehmen. So ahnte niemand im nahen Dorf, wer sich eigentlich bei ihnen eingenistet hatte. Auch seine auffällige Nase war hier kein Thema. Auf dem Lande wohnte hier ohnehin nicht der hübscheste Menschenschlag und so genau hatte ihn hier ohnehin niemand gesehen. Niemand kannte somit seine wahre Identität. Was man lediglich wusste war, dass er eine ungewöhnlich auffällige Nase hatte. In der einschlägigen Szene nannte man ihn „Il Peperone“. Und morgen sollte jeder wissen wie Paolo Luciano aussah. Mit seinem bisherigen Gesicht war er dazu verbannt, nie mehr einen Schritt vor die Tür zu tun. Die Freiheit, sich unerkannt in der Öffentlichkeit zu zeigen, war ihm seine Nase schon noch Wert. Der Professor hatte ihm einige gezeigt, verschiedene Größen. Das ganze wurde dann in einem Computer aufbereitet und mit seinen Gesichtszügen vereint. So konnte er sich aussuchen, wie er in ca. 2 Wochen die Klinik verlassen wollte. Gegen Nachmittag sollte es losgehen. Angst davor hatte er keine. Er war nur neugierig darauf, den ersten Blick in den Spiegel zu werfen. Er, mit einer Allerweltsnase. Aber da würden schon noch einige Tage vergehen, bis der Verband abgenommen, die Schwellungen sich zurück bildeten, die Spuren des Eingriffes vollständig verheilt waren. Er rechnete ständig damit, dass die Vorbereitungen zu der Operation losgingen. Noch ein Vorgespräch mit dem Anästhesist, das Überziehen eines OP-Hemdes, noch eine extra gründliche Rasur, da ging auch schon die Tür auf. Er hatte ihn noch nie gesehen, hier in der Klinik. Ein blendend aussehend junger Mann, mit weißem Dress, sofort Sympathie ausströmend. „Na, dann wollen wir mal. Ich gebe Ihnen zunächst eine Beruhigungsspritze. Wenn diese anfängt zu wirken, werden Sie der Meinung sein, Sie könnten sich selbst operieren“ Paolo Luciano krempelte seinen rechten Ärmel hoch. Seine Venen waren auf seinem Unterarm so deutlich abgebildet wie ein Flussdelta auf einer Landkarte und hervorragend geeignet, so dass Schwesternschülerinnen im ersten Ausbildungsjahr bei ihrem ersten Versuch eine Spritze zu setzen, gar nicht daneben stechen konnten. Der junge Mann, Paolo hielt ihn für eine OP-Assistenten, betupfte die Stelle, wo er die Spritze setzen wollte, leicht mit einem Alkohol getränkten Wattebällchen und stach geschickt zu, so dass er den Einstich nur ganz kurz bemerkte. „Sind Sie bei der Operation dabei?“ „Nein“, antwortete der vermeintliche OP- Arzt, “Ich kümmere mich eher um Ihr Wohlergehen vor und vor allem nach Ihrer Operation. Sie werden noch viel mit mir zu tun haben“ Paolo hielt ihn jetzt für einen Pfleger, einen angenehmen und er wurde immer zuversichtlicher für das was ihm in den nächsten Stunden bevorstand. Jetzt hatte er auch jemanden, dem er mal was fragen konnte, einen Ansprechpartner neben den behandelnden Ärzten, die er ohnehin kaum sah. Als eine Stunde später die Krankenschwester an sein Bett kam um ihn für die Operation abzuholen, musste sie ihn wecken. Nach dem Wachwerden zeigte Paolo ein eigenartiges Lächeln, als wenn er ganz entrückt von dieser Welt sei. Na ja, dachte sich die Schwester, jeder reagiert anders auf eine bevorstehende Operation und mit einem Patienten, der das Ganze so entspannt sah, ist es leichter umzugehen, als mit einem übertrieben ängstlichen. Die Operation dauerte über vier Stunden, nicht unüblich, aber doch für den Patienten mit einer langen Aufwachphase nach der Operation verbunden. Als er aufwachte, spürte er zu seiner Überraschung einfach nichts. Kein Schmerz, kein Unwohlsein, er war eher heiterer Stimmung, seine Nase interessierte ihn nicht, er war einfach rundum zufrieden. Kein falscher Gedanke trübte seine innere Heiterkeit. Er nahm auch nur so am Rande wahr, dass der freundliche Krankenpfleger ihm wieder eine Spritze setzte. Wird was gegen die Schmerzen sein, vielleicht auchgegen eine Infektion. Es war ihm einerlei. Bald glitt er in die nächste Schlafphase, aus der er wieder in einem wohligen Zustand langsam zu sich fand. Er wusste nicht wie viele Stunden oder Tage seit der Operation vergangen war, es war ihm egal, denn so wie er sich jetzt fühlte, so wollte er sich weiterhin fühlen. Was doch so eine gerade überstandene Operation aus einem Menschen wie ihm, der bisher nie entspannt, nie innerlich ausgeglichen, immer unter Druck war, sich nie unbeobachtet fühlte, macht. Das war für ihn eine tief greifende ganz neue Erfahrung Er hatte weder Hunger noch Durst, überhaupt keine Bedürfnisse. Es schien für ihn so, als gäbe es nichts auf der Welt, was ihn hätte noch glücklicher machen könnte. So dämmerte er zwischen halb wach und halb Traumland vor sich hin. Aber so ganz schleichend stellte sich doch eine innere Unruhe ein, nicht greifbar, nicht an irgend etwas Bestimmtes gebunden. Er entfernte sich ganz langsam aus seinem Idealzustand heraus in einen sich stetig steigenden Wunsch, wieder in seine gerade noch eben erlebte Glückseligkeit zurückzukehren. Plötzlich war sie wieder da, diese Unruhe, die Schweißtropfen auf der Stirn, die Angst vor was, vor wem und wovor, das wusste er nicht. Aber sie war da und nahm ihn in Besitz. Rechts neben seinem Bett war ein graues Kabel, an dessen Ende ein roter Knopf war. Es war der Notfallknopf. Er drückte ihn mehrfach heftig, er wollte unbedingt mit jemand reden, irgend jemandem seine Ängste beschreiben, vielleicht war ihm dann besser. Und dann kam er auch wieder, der ihm so sympathische Pfleger „Ich fühle mich schrecklich, habe Angst hier im Zimmer alleine zu bleiben. Die Schmerzen sind plötzlich da, nicht nur im Gesicht spüre ich, dass da was anders ist. Mein ganzer Körper ist wie wund. Ich brauche dringend etwas zum Schlafen, gegen die Schmerzen, den Blutdruck, das Herzrasen“. Er wusste kaum noch etwas was ihm nicht wehtat, wobei er sich nicht sicher war, ob es wirklich Schmerzen waren oder ob sich das Ganze nur in seinem Kopf abspielte „Sie brauchen sich nicht zu sorgen. Das ist immer so in der ersten Tagen nach einer solche Operation. Ich gebe Ihnen. jetzt etwas zur Beruhigung und Sie werden wieder schlafen wie ein Neugeborenes“ Paolo hatte sich während seines Klagens etwas hoch gebeugt, jetzt ließ er sich wieder tief ins Kissen zurückfallen und streckte bereitwillig seinen rechten Arm aus dem Bett. Den kurzen Einstich merkte er kaum und nach wenigen Minuten verflüchtigte sich seine Angst wieder ins Nichts und er schlief schon wieder ganz ohne belastende Gedanken friedlich ein. Die nächsten Tage war es immer das Gleiche. Phasen der totalen Entspanntheit wechselten mit panischen Ängsten. Die Stimmungsausschläge nach oben wurden für ihn immer höher, die Abstürze immer dramatischer. In den Phasen der Panik war er manchmal nahe daran aus dem Fenster zu springen. Aber immer wieder brachte der Krankenpfleger es fertig, ihn mit einigen freundlichen Worten und auch einem Beruhigungsmittel, das er indizierte, wieder aus den Tiefs herauszuziehen, hinein in Phasen wo der Begriff Glückseligkeit noch eine Untertreibung für ihn darstellte. Paolo Luciano hatte inzwischen jedes Zeitgefühl verloren. Auch von seinem Umfeld bekam er nur wenig mit. Das Ablösen der Drainagen und Verbände rund um seine Nase bekam er kaum mit. Im Spiegel hatte er sich auch noch nicht angesehen. Er hatte schlicht und einfach vergessen, warum er sich in dieser Umgebung befand. Bis auf einen Moment, wo er wieder einigermaßen klar denken konnte. Er sah sich im Zimmer um und bemerkte, dass er in einem weiß gestrichenen Krankenbettzimmer lag. Es war das typische Krankenhausbett. Vorne und hinten die üblichen Gitterkonstruktionen, die relativ hohe Liegeposition, der hochklappbare Kopfbereich, über ihm der Galgen für die Infusionen. Dazu noch der obligatorische kleine Tisch mit 2 Stühlen, darauf eine Blumenvase, leer. Links neben ihm eine kleine Wandnische durch einen Vorhang abgetrennt. Er vermutete dahinter eine kleine Sanitärzelle. Wie lange er nicht mehr auf zwei Füßen stand, wusste er nicht, aber er versuchte es einfach. Schon beim ersten Kontakt mit dem Boden merkte er, wie ungelenk er sich bewegte. So muss es sein, wenn ich noch zwanzig Jahre älter bin. Er schlurfte dann zu dem Vorhang, zog ihn zur Seite und blickte ohne Vorwarnung in einen Spiegel. Was er darin sah, wusste er im ersten Moment nicht einzuordnen. Er war es und war es doch nicht. Er ging näher heran und schloss das linke Auge. Das Gesicht gegenüber kannte er irgendwie. Er war es selbst, aber so hatte er sich noch nie gesehen. Da wo vorher eine riesige Nase sein Gesicht unverwechselbar machte, war nur noch ein Näschen. Zwar purpurrot, so wie man sich die Nase eines italienischen Chianti Winzers vorstellte, aber davon abgesehen, sein Gesicht hatte jetzt die langweilige Ausstrahlung eines Notars. Jetzt wusste er wieder warum er sich hier befand und war zufrieden. Er fasste sich an seine neue Errungenschaft, sie war noch etwas gefühllos, fühlte sich noch etwas wund an, aber er konnte sich damit anfreunden. Die nächsten Stunden lag er wieder im Bett und grübelte, machte Pläne für die Tage nach seiner Entlassung. Je mehr er darüber nachdachte, desto unruhiger wurde er. Sollte er sich zurückziehen aus seinen Geschäften. Wie konnte er sich auf Dauer unerkannt eine neue Identität aufbauen? Dann kam er wieder, der Schweißausbruch, ein leichtes Zittern, den unerbittlichen Drang wieder um Hilfe zu bitten, den Alarmknopf zu betätigen. Es kam ihm wie Stunden vor, bis die Tür aufging und der Pfleger an sein Bett trat. Bevor er überhaupt einen klaren Gedanken fassen und einen Wunsch formulieren konnte, sprach dieser ihn an. „Senor Paolo Luciano, Sie haben selbst im Spiegel gesehen, dass jetzt der Moment gekommen ist, wo Sie unsere Klinik verlassen können. Ich hoffe, Sie waren hier mit dem Aufenthalt und dem Ergebnis des Eingriffes zufrieden“ Paolo war ganz verwirrt, eigentlich fühlte er sich überhaupt nicht fähig wieder in sein früheres Leben zurückzukehren. Er hatte davor eine Riesenangst. „Ach und übrigens, wenn es Ihnen wieder schlecht gehen sollte, die idealen Medikamente, die Sie hier in der Klinik verabreicht bekamen, die finden Sie bei sich Zuhause. Sie haben ja da extra einen geheimen, gut abgesicherten Raum im Keller. Dort finden Sie in Übermengen von dem, das was Sie ab jetzt ihr Leben lang brauchen werden. Auch lernen Sie jetzt das Gefühl kennen, das viele Ihrer Kunden durch Ihr Geschäft haben, tagtäglich erleben“ Dann ging der Pfleger, ohne ihm noch eine Injektion verabreicht zu haben, aus dem Zimmer. Auch verabschiedete er sich nicht von ihm. Paolo Luciano war noch ganz benommen von den wenigen Sätzen. Er sollte diese Medikamente Zuhause im Keller lagern, auch noch in seinem geheimen Versteck, das nur er und einige wenige engste Vertraute wissen, dass es das überhaupt gibt! Darin waren all seine Schätze aufbewahrt, alles was ihn und seine Familie reich gemacht haben, seine letzten 20 Jahre prägten. Aktuell, schätzte er, waren darin ca. 7 kg Heroin, eine noch größere Menge Kokain und mindestens 150 kg Cannabis. Dazu noch einige diverse Mittel zum Verschneiden, Kartons mit Spritzen und dazugehörige Geschäftsunterlagen. Er brauchte gar nicht lange um zu verstehen, was ihm gerade fehlte, wonach sein Körper verlangte, was er in den letzten Tagen an Infusionen bekommen hatte. Hastig packte er seinen Koffer mit den wenigen Sachen, die er gerade herumliegen sah, stieg in seine Hosen, streifte Hemd und Jackett darüber und verließ die Klinik. Auf dem Gang sah er überhaupt niemand, alles schien wie ausgestorben, ganz anders als zu dem Zeitpunkt, als er die Klinik vor Tagen oder Wochen betrat. Er wusste nicht mehr wann das war, er nahm es ohnehin kaum wahr. Hauptsache nach Hause und in den Keller. Als wenn er es bestellt hätte stand das Taxi schon vor der Eingangstür. Es waren etwa 25-30 km bis zu seinem Haus, das etwas abseits eines kleinen Ortes lag. Nach etwa einer halben Stunde war er Zuhause. Ein altes Herrenhaus mit einigen kleineren Nebengebäuden, wo offensichtlich früher das Personal der Herrschaft wohnte. Seine Familie hatte er seit seinem Klinikaufenthalt nicht mehr gesehen, er hatte sich jeden Besuch verbeten. Auch wusste niemand in seiner Familie genau, warum und wohin er sich für einige Tage verabschiedet hatte. Er gab dem Taxifahrer viel mehr als dieser für die Fahrt forderte, er hatte ja nur einige 100 € Scheine greifbar. Hauptsache schnell in den Keller. Dass die Haustür offen stand, registrierte er schon gar nicht mehr. Unmittelbar am Ende der großen Eingangsdiele war links eine Tür. Durch die kam man in einer steilen Treppe hinunter in den besonderen Kellerraum. Unten angekommen, war ein großes Weinregal mit erlesenen Weinen der bedeutenden Lagen aus ganz Europa. Allein schon diese Kostbarkeiten waren ein Vermögen wert. Hinter einigen, eher unscheinbaren Flaschen, die man wegräumen musste, war ein kleiner Hebel. Legte man den um, konnte man das gesamte Regal zur Seite schieben und es öffnete sich der Blick auf eine große graue Panzerschranktür. Nein, es war eher die Dimension eines Banktresorraumes. Eine geniale Konstruktion. Der Konstrukteur, sowie zwei seiner Mitarbeiter, die ihm diese Anlage errichteten, kamen unmittelbar nach der Fertigstellung durch ungeklärte Umstände gemeinsam ums Leben. Die Zahlenkombination, die er brauchte um die schwere Tür zu öffnen, kannte er auswendig, eine zwölf stellige Zahl, die er sich durch einfache Eselsbrücken hatte einprägen können. Schon fast in Trance steppte er sich durch die Kombination der Zahlen und öffnete die Tür. Gleich würde es ihm besser gehen, nur noch wenige Minuten. Doch was er sah, lies ihn zusammensacken. Der Raum war besenrein sauber und fast absolut leer. Es lag nur ein kleiner weißer Briefumschlag auf dem Boden. Paolo Luciano griff sofort danach und öffnete ihn mit zitternden Händen. Darin waren zwei Zeitungsausschnitte. Beide in englischer Sprache. Er faltete den ersten auseinander. Es sah da nur ein abgeschnittenes Sportfoto, Leichtathletik, ein Laufwettbewerb, dazu Texte, welche auch scheinbar willkürlich beschnitten waren. Als er den Ausschnitt herumdrehte, wusste er sofort, dass er jetzt die richtige Seite vor sich hatte. Er starrte auf die Schlagzeile: „Waffenhändler überlebt schwer verletzt Anschlag durch Landmine“ Beim Weiterlesen erfuhr er, dass ein dubioser Waffenhändler, der vorzugsweise mit Landminen handelte, dabei Millionen verdiente gerade mit solch einer Mine so schwer verletzt wurde, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. Über den Attentäter gab es keinerlei Hinweise. Der andere Artikel handelte von einer mysteriösen Spontaninfektion von Aids, die sich eine Gruppe von Pharmavertretern verschiedenster Unternehmen innerhalb weniger Stunden zugezogen hatte. Die Pharmavertreter trafen sich in einem Hotel in St. Tropez zu einem zunächst geheim gehaltenen Meinungsaustausch. Journalisten hatten nach Recherchen herausgefunden, dass es bei diesem Treffen um verbotene Preisabsprachen und um gezielte Zurückhaltung von neueren, wirksameren Medikamenten zur. Aidsbekämpfung ging. Nach Meinung von Medizinern wäre eine derart spontane Infektion von Aids einer geschlossenen Gruppe eigentlich nach dem Stand der aktuellen Aidsforschung zwar theoretisch nicht möglich, wurde aber trotzdem nachgewiesen. Noch mysteriöser wurde die Geschichte, nachdem bekannt wurde, dass irgendwo im tiefsten Afrika bei der gleiche Anzahl von Aids erkrankten Personen eine genau so wenig erklärbare Spontanheilung auftrat. In Paolos Kopf überschlugen sich die Gedanken. Da gab es irgendwo doch einen Zusammenhang zu seiner Geschichte. Es gab jemanden, der sich ganz gezielt Personen aussucht, an denen dieser Jemand ein Exempel statuieren, sich rächen oder abschrecken, eine Aug um Aug, Zahn um Zahn-Gerechtigkeit ausüben wollte. Die Geschichten sollte die Öffentlichkeit erfahren und zur Verunsicherung von Schreibtischtätern führen. Er war jetzt das dritte Opfer in dieser Kette von mysteriösen Aktionen. Wer steckte dahinter? Eine einzelne Person, eine Organisation. Zumindest in der Aidsgeschichte war das Attribut „Unmöglich, aber geschehen“ darin enthalten. Das sprach zumindest für eine sehr professionelle, vielleicht sogar übersinnliche Fähigkeit der Akteure. Die „Fast-Hinrichtung“ des Waffenhändlers, so dachte er, kam seinem jetzigen Zustand am nächsten. Aber alle drei Ereignissen hatten zur Folge, dass den Verursachern von Opfern eine brutale Gerechtigkeit widerfuhr. Er gab sich keinen Illusionen hin, ab jetzt musste er sich, wie auch immer, möglichst schnell den Stoff besorgen, den er noch vor wenigen Wochen kiloweise im Keller hatte und nie daran dachte, auch nur ein Milligramm davon zu sich zu nehmen. Die Quellen, zu denen er jetzt Kontakt aufnehmen musste, kannte er. Er wusste auch, wo die Straßenecken und Hinterhöfe waren, die er aufsuchen musste. Paolo Luciano hatte sich des Öfteren von einem Chauffeur im Fond eines abgedunkelten Wagen dort vorbeifahren lassen. Manchmal hatte er dort anhalten lassen und eine Weile die Geschäfte beobachtet. Dort musste er jetzt möglichst schnell hinkommen. Dazu brauchte er Geld. Geld von seinem Konto von dem er nicht wusste, ob es überhaupt noch da war. Nachdem schon sein Tresor leer war, wie sah dann sein Konto aus? In seinem Arbeitszimmer stand hoffentlich noch sein PC. Von da aus konnte er Einblick auf seinen Kontostand nehmen. Der PC stand noch da, so wie er ihn vor seinem Klinikaufenthalt zurückgelassen hatte. Nach dem Einschalten des PC ́s erwartete er die üblichen Menüs, so wie er sich den Computer eingerichtet hatte. Doch es kam anders. Statt seiner Startseite mit den nur ihm zugänglichen diversen Aufstellungen seiner verschiedenen Geschäfte kam lediglich ein einziges noch zu öffnendes Symbol, das von seiner Bankverbindung. Sämtliche Geschäftsunterlagen waren nicht mehr vorhanden. Immerhin konnte er noch seinen Kontostand erfahren. Sein gesamtes Vermögen war aufgeteilt in verschiedenste Anlagen wie Aktien, Fonds, auch Goldbestände waren darunter. Alles war bei ihm wohlgeordnet. Als er seine Konten so nach und nach öffnete, stellte er zu seinem Entsetzen fest, dass alle Wertpapiere verkauft waren. Das letzte Konto, was er dann anschaute, war dies mit. Wichtig war jetzt nur noch eine Zahl: Wie viel war von den Millionen übrig geblieben. Nach einigen Mausclicks fand er sie. Es waren gerade noch 1000 € übrig geblieben. Das reichte gerade für 10 Tage, ihn mit dem zu versorgen, nach dem es ihm immer stärker drängte. 10 Tage hatte er dann keine Sorgen, keine Gedanken an Belastendes, einfach in eine Welt voller Wonne schweben. Was danach kam, war ihm jetzt noch egal
Kapitel 11. Fernando Contraves konnte sich kaum noch an seinen wirklichen Namen erinnern. Damals in den Achtzigern in Santiago de Chile hieß er noch anders. Er wollte sich auch nicht mehr daran erinnern. Auch sollten sich andere nicht mehr daran erinnern. Er war zu der Zeit bei der Polizei, doch nicht bei denen, die an der Kreuzung den Verkehr versuchen in richtige Bahnen zu lenken oder Parksünder aufzuschreiben. Er war bei der politischen Polizei. Unmittelbar nachdem Salvatore Allende nicht mehr im Amt war, hatte er sich dort beworben. Sie nahmen damals jeden, der in General Pinochet die Zukunft Chiles wieder gesichert sah. Unter Allende hatte er Angst um seine Privilegien. Er stammte aus einer begüterten Familie und außer das Geld auszugeben, das in Fülle vorhanden war, hatte er nichts zu tun. Es war deshalb auch nicht notwendig mit irgendeiner sinnvollen Tätigkeit Zeit zu verschwenden. Jetzt, mit Pinochet, sah er sein bisheriges Leben wieder in den rosigsten Farben und es konnte genau so weitergehen. Und damit ihm dies niemand mehr streitig machen konnte, mussten alle, die als Sympathisanten der demokratischen Bewegung erkannt wurden, erfasst und ausgemerzt werden. In der geheimen Polizei konnte er sich da bestens einbringen. Spitzel gab es genug. Für ein paar Pesos verkauften manche ihre besten Freunde. Nicht alle, die man einsperrte, waren auf Anhieb bereit, ihre Einstellung preiszugeben. Aber waren diese, die sich Demokraten nannten, erst in der Obhut der Geheimpolizei, gab es schon Methoden sie zum Reden zu bringen. Hilfreich waren da einige amerikanische Kollegen der CIA, die dazu gerne Hilfestellung leisteten. Anfangs führten sie die Verhöre, er musste nur übersetzen und er lernte eine Menge dabei. So kam es dazu, dass er rasch aktiv in die Verhöre eingebunden wurde. Er wusste schnell, dass man von jedem Gefangenen nach einer Spezialbehandlung alles erfahren konnte. Mit der Zeit wurde er immer erfahrener in der Führung der Verhöre und auch immer erfolgreicher. Seine Vorgesetzten lobten ihn über alle Maßen und man ließ ihn sogar selbständig über die Verhandlungsführung entscheiden. Das hatte den Vorteil, dass keinerlei Zeugen zugegen waren. Er bedauerte doch manchmal seine ihm zugewiesenen Gefangenen. Aber es war auch für ihn nicht einfach, das Winseln vor Schmerzen und auch das Betteln um einen Gnadenschuss zu ertragen. Aber schließlich hatte er seine Order und niemand sollte ihm jemals mehr fragen wo und womit er sein Geld verdiene und ob das zudem noch gerecht wäre. Wenn er seine Informationen hatte, meistens dauerte es nur einige Stunden, bis er am Ziel war, dann wurden die Gefangenen weggebracht. Meist waren das kaum noch menschliche Wesen, sondern nur noch zusammengebrochene Haufen von Fleisch und Knochen. Wohin damit wusste er nicht. Aber man versicherte ihm, dass es keine Möglichkeit mehr gab, ihn jemals als Adolfo Cavallo zu identifizieren, der ihnen mal gegenüber saß und sie verhörte. Nach 2-3 Jahren gab es immer weniger zu tun. Die Lage hatte sich in so weit beruhigt, dass niemand mehr an Demokratie laut denken wollte. Als Dank für seine aufopferungsvolle Tätigkeit in den schwersten Stunden von Chile, so empfand er es nun mal, versetzte man ihn nach Illapel im Süden von Chile als oberster Polizeidienstellenleiter. Ein einfacher Job, er war geachtet, nicht mehr gefürchtet und hatte nur die Aufgabe, eine Handvoll Polizisten zu betreuen. Da nicht viel passierte, gab es nicht viel zu tun. Das kam seinem Naturell ohnehin zu Gute. Seitdem hieß er Fernando Contraves. Den Kontakt zu seiner Familie hatte er längst abgebrochen. Das Geld brauchte er nicht, er war hier bestens versorgt. Es war besser niemanden wissen zu lassen was inzwischen aus ihm geworden war. Auch wenn er sich zunächst sicher fühlte, nach dem Ende der Amtszeit von Pinochet gab es immer öfters in den Zeitungen Stimmen, welche Aufklärung über das Verschwinden von einigen tausend chilenischen Bürgern in den ersten Jahren der Pinochet-Ära verlangten. Er war doch froh hier in der Provinz als Fernando Contraves zu leben. Nicht dass er ein schlechtes Gewissen hatte, er hatte ja nur seine Pflicht getan. So lebte er ein ruhiges Leben ohne besondere Höhepunkte. Lediglich die Jagd hatte es ihm angetan. In der Umgebung, die fast menschenleer war, gab es genug Ziele für sein Jagdgewehr. Er liebte es früh morgens, kurz nach Sonnenaufgang, auf einem Hochsitz zu warten, bis ihm was vor die Flinte kam. Meist waren es Rehe, manchmal sogar Hirsche. Wegen des Fleisches tat er das nicht. Seit seiner Tätigkeit im Geheim- dienst konnte er kein Blut sehen und auch kein Fleisch mehr essen. Er überließ dann die geschossenen Tiere einfach der. Wildnis, die sich schnell darum kümmern würden. Es dauerte nur wenige Tage, bis auch der größte Hirsch nur noch als Gerippe da lag. Auch heute war wieder unterwegs zu seinem Hochsitz. Er hatte ihn eigens für sich bauen lassen. Ganz abseits von irgendwelchen Wegen und Pfaden. Ganz allein am Waldrand mit Sicht auf eine Lichtung. Um den Hochsitz zu erreichen, musste er wenige hundert Meter durch hüfthohes Gestrüpp laufen. Den Weg kannte er wie seine Westentasche. Er war noch etwa 200 m von seinem Ziel entfernt, als es plötzlich einen heftigen Schlag gegen sein rechtes Bein gab und ein brutaler Schmerz ließ ihn fast ohnmächtig werden. Vom Schmerz übermannt fiel er auf den Boden. Nach der ersten Schmerzwelle versuchte er die Ursache zu ertasten. Er fasste vorsichtig nach unten zu seinem Bein. Dort fühlte er was metallisches sein Bein zu umschließen. Er war offensichtlich in eine Wildfalle geraten, die zuschnappte, als er diese passierte. Der Versuch, die Umklammerung zu lösen, misslang zunächst. Die beiden gebissähnlichen Klammern, mit zentimeterlangen Spitzen besetzt, waren mit zu großer Federkraft zusammengepresst und hatten sich in seinen Unterschenkel und sein Schienbein gegraben. Blutrot war inzwischen seine Hose rund um die eingedrungene Falle geworden. Das Blut färbte inzwischen das Gras rund um sein Bein. Er überlegte jetzt fieberhaft, wie er sich aus der Falle befreien konnte. Handykontakt gab es hier draußen ohnehin nicht und sein Gewehr war ihm bei dem Sturz unerreichbar entglitten. In seiner unmittelbaren Umgebung sah er auch keinen längeren Ast, mit dem er evtl. das Gewehr hätte herbeiziehen können. Zwei, drei Meter vor ihm sah er einen kleinen Ameisenhaufen, sonst nur niedriges Buschwerk. Wenn es ihm gelänge, sein Gewehr zu erreichen, könnte er wenigstens durch Schüsse auf sich aufmerksam machen. Er hatte genug Munition dabei. Unweit von seinem Hochsitz lag eine Farm, wenn er genügen Schüsse abgeben würde, vielleicht auch in einer für Schüsse ungewöhnlichen Reihenfolge 3 mal kurze Abstände, 3 mal größere und dann wieder kürzere Abstände, könnte jemand hellhörig werden. Aber das Gewehr lag ca. eineinhalb Meter direkt vor seinem Kopf, ohne Hilfs- mittel unerreichbar. Wenn er seine Jacke auszog und sie Richtung Gewehr warf, könnte sich vielleicht ein Jackenteil am Gewehr verfangen und er könnte versuchen, es damit zu sich zu ziehen. Es schien ihm eine gute Idee und er wand sich aus der Jacke. Beim ersten Versuch merkte er, dass die Jacke zu kurz war. Aber er hatte jetzt doch Hoffnung bekommen. Als Verlängerung bot sich noch sein Hemd an. Würde er die Ärmel der Jacke und des Hemdes aneinander knoten, müsste es reichen. Schmerzverzerrt, das Bein tat ihm bei der geringsten Bewegung höllisch weh, gelang es ihm auch das Hemd auszuziehen. Jetzt hatte er, was er brauchte. Nur noch mit einem Knoten Jacke und Hemd verbinden und dann hatte er genügend Reichweite um mit seiner Jacke-Hemd-Kombination nach dem Gewehr zu werfen. Gerade als er den ersten Versuch starten wollte, öffnete sich das Gebüsch und ein Mann trat hervor. Das war seine Rettung. Das erste was der Fremde tat, war das Gewehr noch einen Meter weiter von ihm weg zu schieben. „Bitte öffnen Sie mir die Falle, alleine schaff ich das nicht“. Mit beiden Händen zeigte er auf das rechte Bein. „Ich hänge hier fest und seien Sie vorsichtig beim Öffnen, wenn Sie es nicht schaffen, dann holen Sie Hilfe, ich glaube Gott hat Sie mir im richtigen Moment geschickt“ „Mit dem letzten Satz könnten Sie richtig liegen“, sagte der Fremde. Er hatte eine Tasche dabei und öffnete diese. Vielleicht hat er Werkzeug, irgendein Hilfsmittel darin, um mich endlich zu befreien, dachte er. Aber nein, was er heraus holte war ihm unerklärlich. Es war ein Stativ. Er baute es kurz neben dem Gewehr auf. Es war ein niedriges Stativ, höchstens einen halben Meter hoch. Dann griff er wieder in die Tasche und holte einen Camcorder heraus und schraubte ihn auf das Stativgewinde, bückte sich und schaute durch das Objektiv, das direkt auf ihn gerichtet war. „Sie müssen doch nicht das Ganze noch filmen, bevor Sie mich da aus der Falle holen, beeilen Sie sich!“ „Ich werde jetzt die Kamera so programmieren, dass sie jede Stunde nur 1 Minute aufzeichnet. Morgen früh werde ich Sie wieder besuchen. Und machen Sie sich keine Gedanken wegen der Ameisen. Einige wenige sind harmlos, erst wenn es mehr werden, sollten Sie sich daran erinnern, was es heißt, sich den Tod zu wünschen“ Das „sich den Tod zu wünschen“ ihn sogar flehentlich einzufordern, das kannte er. Er hatte dies oft den Augen, in den Blicken seiner Gegenüber in den Verhören herauslesen können. Was hatte der Fremde vor? Bevor dieser verschwand, kam er nochmals näher, beugte sich über ihn. Aber statt ihm aus seiner misslichen Lage zu befreien, klopfte dieser ihm noch die Taschen ab. Sämtliche, auch die seiner Hose, und dabei fand er sein Taschenmesser. Er nahm es heraus und steckte es in seine Tasche. Eigentlich war er absolut wehrlos, eingeklemmt in einer zahnbewehrten Eisenklammer, mit zerfetztem Unterschenkel lag er nun da. Der Fremde über ihn gebeugt. Er wollte ihn noch festhalten, immer noch in der Hoffnung, dass dieser ihn endlich von seiner Fesseln erlöste. Die Hoffnung schwand aber sofort, als dieser ihm ruckartig beide Unterarme packte und blitzschnell um beide einen Kabelbinder spannte und fest anzog. Bevor er ihn dann alleine ließ, tat er noch etwas Seltsames. Er stellte eine Flasche mit Wasser unmittelbar vor ihn und zu seiner Verwunderung zog er aus seinem Rucksack, den er abgelegt hatte, eine tote Maus und legte die etwa eineinhalb Meter vor seinen Kopf. „Also dann bis morgen früh, spätesten dann werden Sie begreifen, warum das alles passiert“ Das Ganze dauerte nur wenige Minuten. Seine Situation hatte sich erheblich verschlechtert. Aus dem kurzen Aufflackern von Hoffnung auf Hilfe, hatte er jetzt eine lange Nacht vor sich, mit immer noch heftigen Schmerzen an seinem Bein, durch die Handfessel kaum bewegungsfähig, aber wenigstens mit etwas Wasser für den Durst. Aber was soll die Maus da vor ihm? Noch war es hell und er konnte sich etwas umsehen. Er lag hier in einer kleinen Lichtung, außen herum war etwas höheres Buschwerk. Da wo er lag, gab es hüfthohe kleinere Büsche und kniehohes Gras. Vielleicht würde ihn der Fremde morgen früh dann befreien und ihn nur die eine Nacht hier schmoren lassen. Aber passte dazu die Kamera und die Maus? Die Kamera war so aufgestellt, dass sie ihn von der Kopfseite frontal erfasste. Wer sollte Interesse haben, an einem Film, der einen verwundeten, im Gras liegenden hilflosen Mann zeigte? Und erst die Maus? Er schaute um sich. Außen herum war das Gras etwas niedergetreten, so dass er direkt auf sie schauen konnte. Es war schon ein größeres Exemplar, bestimmt 15 cm. Die ersten Mücken hatten schon Fühlung aufgenommen und schwirrten um die tote Maus herum. Weiter vorn war ja noch der Ameisenhaufen. Von dort aus sah er schon erste Ameisen sich zur Maus hin zu bewegen. Jetzt dämmerte es ihm. Er versuchte den Gedanken sofort zu verdrängen, aber er nahm immer mehr Besitz von ihm. Der Gedanke war so grauenvoll, dass er sofort seinen Schmerz im Bein vergaß. Eine Erinnerung kam in ihm hoch. Es war eine Geschichte, die er gerade vor einigen Wochen gelesen hatte. Überraschend lag damals in seinem Briefkasten eine Zeitschrift über afrikanische Sitten und Gebräuche. Er wusste nicht, woher diese Broschüre stammte, aber er blätterte sie eher halb interessiert durch. Darin waren verschiedenste Zeremonien und Rituale beschrieben. Bei einem Artikel blieb er dann doch hängen. Es war eine Beschreibung von irgendeinem Eingeborenenvolk. Für schwere Vergehen hatten diese sich eine sehr perverse Bestrafung ausgedacht. Der Unglückliche wurde bis zum Hals eingegraben. Dies tat man in Sichtweite eines Termitenhügels. Was dann passierte, war nicht näher beschrieben, aber seine Phantasie war damit sofort angesprungen. Tage danach noch, vor allem vor dem Einschlafen versuchte er in Gedanken nachzuvollziehen, was der Eingegrabene durchmachte, wie die Termiten so nach und nach die erreichbaren Kopföffnungen eroberten, von dort in den Körper des Delinquenten eindrangen. Wahrscheinlich war alles noch grauenhafter, als er sich das überhaupt vorstellen konnte. Ob der Bericht der Wahrheit entsprach, war nicht eindeutig. Niemand hatte es je gesehen oder gar im Film festgehalten. Es war eher eine überlieferte, nicht bestätigte Geschichte. An diesen Artikel, seine Gedanken darüber, erinnerte er sich jetzt. Und wer hatte ihm diese Broschüre zukommen lassen? Die Parallelität zu seiner aktuellen Situation war nicht zu übersehen. Er sah jetzt die Maus und den Ameisenhügel, oder war es ein Termitenhügel, mit ganz anderen Augen. Die Maus sollte ihm anschaulich anzeigen, wie Ameisen oder Termiten ein Tier im Zeitlupentempo entfleischten. Sozusagen zunächst als Köder für die kleinen Landpiranhas und zur Einstimmung für das, was ihm bevorstand. Zu seiner Zeit als Verhörspezialist für hartnäckige Fälle hatte er so allerhand Methoden entwickelt, um erfolgreich Informationen zu erhalten, aber dies überstieg alles je in seiner Phantasie ausgebrüteten Vorstellungen von Torturen, die man einem Menschen zufügen konnte
Kapitel 12. Sam Berklin hatte Post bekommen. Ein sich voluminös anfühlender weißer DIN A5 Umschlag. Er ahnte aber beim Abtasten des Umschlages, dass sich darin eine CD oder DVD befand. Und wirklich, darin war, in einer Hülle verpackt eine Disc, beschriftet mit „Alias Fernando Contraves“. Zusammengefaltet lag noch ein Brief dabei „Sie erinnern sich noch an die Videoaufnahmen im Green Park?“ „Sehen Sie sich diese Aufnahmen an und verbreiten Sie diese so, dass es möglichst viele zu Gesicht bekommen. Und senden Sie ein persönliches Exemplar an Henry Kissinger". Recherchieren Sie auch die Vergangenheit von Fernando Contraves. Sein früherer Name war Adolfo Cavallo. Sam erinnerte sich sofort. Seit seinen Videoaufnahmen in dem Londoner Park war er nicht mehr der unbedeutende Lokalblättchenschreiberling. Er war jetzt gefragt. In den Talkshows war er die Attraktion. Alle wollten von ihm mehr wissen als er selbst wusste. Sein geheimer Auftraggeber machte die ganze Angelegenheit noch mysteriöser. Seine nur vagen Andeutungen schufen die Basis für die wildesten Spekulationen. Das war genau das, was die Öffentlichkeit wollte. Die Intention, Hintergrund und wahrscheinlichstes Motiv, die Abstrafung von unmenschlichem Verhalten möglichst weit zu verbreiten, ging auf. Die Veröffentlichung bei YouTube war über zig-Millionen mal angeklickt worden. Es gab wohl keinen Waffenhändler mehr, der unbefangen weitere Geschäfte machen konnte. Sein Computer war gerade noch an. So konnte er sich die Videodisc sofort ansehen. Zu Beginn der Aufzeichnung sah man einen safaritauglich gekleideten Mann im Gras sitzen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Beim näheren Hinsehen sah man, dass dessen Bein in irgendwas eingeklemmt war. Offensichtlich war es eine Falle für größere Wildtiere, in der sein Bein steckte. Anschließend wurde eine Uhr eingeblendet. Danach zeigte die Videoaufzeichnung immer das gleiche Bild zu verschiedenen Zeiten. Zeitweise wurde das Gesicht der Person auf größere Ansicht gezoomt. Zunächst waren fast keine Veränderungen zu sehen. Doch nach und nach wurde deutlich, dass sich hier etwas fast Unvorstellbares abspielte. Das nun größer gezeigte Gesicht war immer mehr von Ameisen bedeckt, die in die Gesichtsöffnungen dieses armen Menschen eindrangen. Die Augenhöhlen waren eine einzige schwarze wimmelnde Ameisenmasse.. Es waren regelrechte Ameisenstraßen, die in Augen-, Nasen- und Ohrenöffnungen endeten. Dazwischen waren auch Tonaufnahmen zu hören, wobei der Wehrlose immer weniger menschenähnliche Laute von sich gab. Bald war nur ein unverständliches Grunzen zu vernehmen. Sam Berklin konnte sich die Aufnahmen nicht mehr ansehen. Er schaltete auf Schnelldurchlauf. Gegen Ende der Aufnahmen sah er noch mal kurz hinein. Da sah er einen bereits anskelettierten, von Ameisen vollständig bedeckten Schädel, der sich aber immer noch zuckend bewegte. Wenn er sich die Zeitmarkierungen anschaute, so dauerte der Todeskampf fast zwei Tage und Nächte. Was muss ein solcher Mensch angerichtet haben, dass er einen solchen Tod verdiente? Sam Berklin hatte vor, dieses zu ergründen. Im Hinterkopf sah er schon seinen Kontostand sich wieder um einige Nullen nach rechts zu verschieben. Vor lauter Spannung hatte er den beigelegten Brief gar nicht zu Ende gelesen. Ganz unten stand noch als P.S.: „Frankfurt, IAA, Gebäude 23, Raum 02 18:00, Schlüssel für Vorführkabine liegt bei, diskret alles mitfilmen!! Da war noch etwas Zeit, sich darauf vor- zubereiten. Zunächst musste er sich mit dem Video befassen. Vor allem musste er der Frage nachgehen, war Fernando Contraves in Wirklichkeit war. Die Recherchen waren eher einfach. Adolfo Cavallo war ein untergetauchter Offizier der chilenischen Militärjunta aus den 70er Jahren. Ihm wurden persönlich durchgeführte Folterungen in der Zeit um 1973- 1974 angelastet
Kapitel 13. Sie waren alle gekommen. Schließlich war IAA und da durfte man nicht fehlen. Gerade jetzt in diesen Zeiten, wo der Gegenwind zunahm. Drohendes Tempolimit, ständig zunehmend strengere Verbrauchs- und Abgasvorschriften, politisch abnehmende Unterstützung. Da musste man sich dagegen positionieren. Nach außen jeder für sich, doch im Hintergrund abgestimmt, mit ähnlichen Argumenten und Strategien. Man traf sich deshalb von der Öffentlichkeit abgeschirmt in illustrem Kreis in einem kleinen Seminarraum in irgendeinem Kellergeschoss des Kongresszentrums. Die Verkaufsleiter von Alfa bis VW. Sie waren zwar Konkurrenten, aber hier hatten sie gemeinsame Interessen. Dazu hatten sie einige Experten eingeladen, die kurze Referate halten sollten. Danach sollte diskutiert werden. Alles ohne Protokoll, aber hinterher mit einer gemeinsamen Botschaft im Hinterkopf. Von den Referenten erwartete man, dass sie in der Lage waren, stichhaltige Argumente pro Individualverkehr zu liefern. Man wollte sich wappnen für Talkshows, gegen Argumente von Klima- und Umweltschützern in den diversen Medien. Da taten sich doch einige inzwischen schwer, dieser zunehmend autokritischen Stimmung etwas entgegen zu setzen. Der dafür angemietet Raum im Keller war gerade richtig für diesen exklusiven Kreis der Automanager. Zugeschnitten wie ein kleiner Hörsaal mit etwa 10 ansteigenden Sitzreihen, bei 10 Sitzplätzen nebeneinander. Über der letzten Sitzreihe waren mehrere kleine schießschartenähnliche Fenster, etwa wie die Vorführfenster in einem Kino. Vor der ersten Sitzreihe war ein kleines Rednerpult mittig platziert. Der einzige Ausgang befand sich rechts unten neben dem Rednerpult. Als erster Redner referierte ein kleiner Japaner über die Chancen von elektrischen Antrieben. Sein Fazit: noch mindestens 10 Jahren Nische. Der Kreis der Zuhörer quittierte dies am Ende der Ausführungen mit doch ehrlichem Beifall, in dem auch etwas Erleichterung mitschwang. Der nächste der Vortragenden war laut Programm ein Professor für Zukunftsforschung. Professor und Zukunft klang beides gut. Man erhoffte sich von dem Referenten Entscheidungshilfen für die nächsten großen Investitionen. Es war jetzt an der Zeit, entweder die vorhandene Technik so lange wie nur möglich noch zu nutzen, Neueres vielleicht verzögern, um noch möglichst hohe Renditen aus den alten Fertigungsstraßen erzielen zu können oder Unvermeidbares beginnen zu müssen. Der angekündigte Professor entsprach in seinem Äußeren nicht dem Klischee von einem weißhaarigen Theoretikergesicht. Nein, er war ein smarter Mittdreißiger mit positiver Ausstrahlung, auch ohne ein Wort zu sagen, Er begann die Versammelten zu begrüßen: "Meine Herren, eine Dame vermisse ich leider in dieser Runde. Ich garantiere Ihnen heute einen ungewöhnlichen Auftritt. Ich werde Sie nicht mit vielen Zahlen langweilen, sondern Sie direkt bekannt machen mit dem Produkt, für das Sie stehen. Nur wenn Sie in der Lage sind, das Automobil in seinem gesamten Wesen und seiner Auswirkung zu begreifen, können Sie dies auch nach außen glaubhaft vertreten. Dann wird keiner mehr Sie in Talkshows mit Ihnen vielleicht jetzt noch unangenehmen Fragen in Verlegenheit bringen können“ Dann stellte er eine Flasche Champagner auf das Rednerpult, entfernte die goldglänzende Manschette, dröselte der Verschlussdraht auf und lockerte den Korken, der auch sofort an die Decke schoss. „Sehen Sie, das wird Ihnen allen als größter Feind entgegengehalten: „Kohlendioxid“, kein Champagner, keine Maß Bier würde mehr ohne dieses als Klimagas bezeichnetes Notwendige schmecken. Und gehen Sie in den Wald, kein Baum würde da ohne CO2 herumstehen. Also Kohlendioxid muss man nur richtig verkaufen, dann verliert es schnell seinen Schrecken. Ich werde dies noch an weiteren praktischen Beispielen demonstrieren“ Hinter sich hatte er ein Tablett mit Sektgläsern vorbereitet, schenkte diese mit der geöffneten Flasche halbvoll, und lies dann das Tablett reihum gehen. Die Stimmung unter den Managern konnte jetzt kaum besser sein. Endlich jemand, der nicht einfach seinen Vortrag mit endlosen Zahlenspielereien zum Langweilen herunter leierte. „Damit Sie hautnah verstehen um was es hier geht, möchte ich noch ein weiteres vielleicht etwas ungewöhnliches Beispiel demonstrieren“ „Sie, hier vorne, sind ja der Repräsentant vom BMW“, fuhr er fort. Sie kamen gestern mit ihrem X6, motorisiert mit einem 8 Zylinder, Allrad. Ein zwar im Design sehr umstrittenes Fahrzeug, aber in dieser Ausführung doch ein Leckerbissen für jeden Autofreak. Der Wagen ist in der besten Klasse bezüglich Schadstoffausstoß, das heißt hinten kommt fast nur noch das heraus, was gerade in euren Gläsern perlt. Das sind pro km gerade ca. 300g. Ihre Ingenieure haben da tolle Arbeit geleistet“ „Sie haben ja alle Abitur, die meisten dann ein Studium mit technischem Hintergrund, hatten also Physik und Chemie und auch mal was von Avogadro gehört. 300g Kohlendioxid, also CO2, bedeutet, dass dies ca. 150 ltr. sind. Von München hierher sind es ca. 450km. Damit ca. 68m3“!. Übrigens, für 300 g CO2 müssten Sie ca. 50 Flaschen Champagner austrinken!“ „Ich habe etwas an der Klimaanlage manipulieren lassen und werde jetzt diese 68m3 CO2 in unseren Raum eindringen lassen“ „Unser Raum ist etwa 150 m2 groß, und da das CO2 schwerer als Luft ist und die Klimaanlageneinlassöffnungen bodennah sind, passiert zunächst mal gar nichts. Nur in den vorderen Reihen stehen dann Ihre Beine bis zu den Knien im Kohlendioxid. Das schadet dann höchstens Ihrem Fußpilz“ Die doch sehr lockere Atmosphäre der ersten Minuten des Vortrages schlug jetzt in ungläubiges Geraune um. Auf der Leinwand wurde jetzt ein Schnittbild des Raumes gezeigt. Darin war, ähnlich einer Wasserstandanzeige, im unteren Bereich eine waagrechte Linie angezeigt. Da der Raum ja etwas Gefälle hatte, war im Bereich des Rednerpults die Linie knapp bei einem Meter und endete dann etwa auf dem Bodenniveau der 6. Reihe. Es wurde also in Echtzeit der CO2 Stand des Raumes hier graphisch abgebildet. „Sie wissen ja alle, dass Kohlendioxid ein Inertgas ist. Das heißt, es reagiert unter Normalbedingungen mit nichts, ist also zunächst völlig unbedenklich. Sie sehen ja, mir steht das Gas schon etwa in Bauchhöhe, aber davon spüre ich überhaupt nichts!“ „Jetzt schauen wir weiter! Sie, der Herr in der zweiten Reihe, links außen. Sie kamen mit einem Porsche Cayenne S. Einem Hybridfahrzeug. Immerhin schaffte es Porsche damit den CO2 -Ausstoß unter 200 g auf 193 g zu drücken. Mit dieser Motorisierung sprechen Sie auch umweltsensible Käuferschichten an. Ihr Anreiseweg von Stuttgart nach Frankfurt war ca. 250 km. Das entspricht 25,7 m3. Auch die werden wir wieder in unseren gemeinsamen Raum einlassen!“ Bis dahin hatten alle geglaubt, die Demonstration wäre nach dem ersten Beispiel beendet. Jetzt schien es aber plötzlich so, dass daraus mehr werden könnte! In den Köpfen der Manager fing es an zu arbeiten. Einer der Herren, er hatte am Revers einen Stern angeheftet, wollte zur Tür neben dem Rednerpult gehen. Als er die Tür öffnen wollte, war diese abgesperrt. „Wir wollen doch bei unserem Experiment niemanden da draußen gefährden. Schließlich sind das alles Unbeteiligte!“ Schlagartig war es danach für einen kurzen Moment absolut still. Was wollte denn dieser Mann da unten am Rednerpult, der jetzt zu aller Verblüffung aus seiner mitgebrachten Tasche eine kleine Maske hervor holte, ähnlich denen, welche in den Flugzeugen automatisch herunterfallen, wenn es einen plötzlichen Luftdruckabfall gibt. Von der Maske aus ging ein kleiner Schlauch in seine aufgeklappte Tasche. „Es sind ja noch einige von Ihnen per Flugzeug angereist, einer von Mailand, der Herr da von GM aus dem schönen Brüssel. Das sind einfach 667 km bzw. 320 km. Man rechnet so zwischen 150-250 g CO2 pro Flugkilometer. Nehmen wir den Mittelwert von 200 g. Sind noch mal 105 m3. Die lassen wir jetzt auch herein. Wenn wir das auf unseren Raum hier hochrechnen, kommen dann noch mal ca. 70 cm hinzu“ Die Anzeige des CO2 Standes im Raum begann nun langsam nach oben zu wandern. Diejenigen, die in der vorderen Reihe saßen, sprangen wie auf Kommando auf und kletterten über die Bänke zu den oberen Reihen. Aus den bisher sich so kontrolliert verhaltenden Anzugträgern wurden jetzt um ihr Leben ringende rücksichtslose Einzelkämpfer. Jeder versuchte die letzte obere Bankreihe zu erreichen. Die, welche als erste dort waren, bei denen versuchten die Nachrückenden noch über deren Körper zu steigen, um noch höhere Positionen zu erhalten. Währenddessen filmte Sam Berklin dieses surreale Szenario der in Panik geratenen Managerherde unbemerkt aus den Vorführfenstern. Keiner hatte bemerkt, dass der Platz am Rednerpult inzwischen leer war. Jetzt hatte der Beamer das Kommando übernommen. Das aktuelle Bild zeigte einen CO2 Stand von etwa 4/5 der Raumhöhe an. Dann wechselte das Bild zu einer schriftlichen Mitteilung „Mangels CO2 -Gasvorrat können wir die Präsentation nicht zu Ende führen. Wir werden jetzt das Gas langsam abziehen. Verfolgen Sie bitte die Anzeige auf der nächsten Bildschirmseite“ Schlagartig verstummte der Tumult. Die aufeinander getürmten Akteure verharrten in ihrer zuletzt eingenommen Position und stierten auf die Leinwand. Dort erschien die nächste Bildschirmseite. Zu sehen war dort zunächst eine tiefblaue Meeresoberfläche. Daraus ragten Palmen und die Dachspitzen einiger in der Südsee so typischen Hütten. Darauf saßen mehrere Insulaner. Einer davon hatte eine weiße Fahne in der Hand. Dann erschien am unteren Bildrand eine Laufschrift: "Diese Menschen hoffen vergebens, dass das Wasser wieder abläuft!“ Danach wurde wieder die Gasstandanzeige gezeigt, wo sich zu aller Erleichterung jetzt der Gaspegel schnell nach unten bewegte. Das Managerknäuel begann sich nun zögerlich zu entwirren. Die obersten Sitzreihen wurden jetzt wieder einzeln eingenommen. Die Krawatten wurden wieder gerade gerückt, dass Sakko wieder zugeknöpft. Als wenn nichts gewesen wäre, wurden nach und nach auch wieder die unteren Sitzreihen eingenommen. Als nun alle wieder ordentlich auf ihren Plätzen waren, erschien wieder der Moderator. Noch immer sagte niemand etwas. Es war ihnen offensichtlich peinlich, wie sie sich benommen hatten. Ein Manager in dieser Hierarchieebene mit Kontrollverlust, dazu noch vor anderen dieser Kaste, so etwas durfte einfach nicht passieren. Es wäre ihnen noch weit peinlicher gewesen, hätten sie gewusst, dass in einigen Tagen sie sich selbst in "YouTube" sehen konnten. Die Filmaufnahmen wurden zudem auch live in die Hallen der IAA übertragen. „Na, meine Herren, jetzt haben Sie über die Folgen ihres Jobs mehr erfahren, als Ihnen lieb war. Sicherlich sind Sie alle jetzt bestens gerüstet für alle Fragen, mit denen man sie in Talkshows attackiert. Die Antwort darauf, ob dies alles nur ein Spiel war, oder ob wir hier wirklich mit CO2 gespielt haben, werden Sie wohl nie beantwortet bekommen. Ob Sie nun schlauer geworden sind, bezweifle ich aber. Aber gerne biete ich Ihnen allen wieder ein Folgeseminar an. Dort kann ich Sie mit weiteren Argumenten für Ihr Jobverständnis versorgen. Nichts ist so lehrreich wie eine praktische Demonstration dessen, was wir zu verantworten haben. In diesem Sinne verabschiede ich mich. Empfehlen Sie mich gerne weiter. Ich wünsche Ihnen allen eine entspannte Heimfahrt“
Kapitel 14. Gernot Hainbichler hatte es zu was gebracht. Sein Vater hatte ihm einen heruntergewirtschafteten Hof überlassen. Einige Schweine, 4 Kühe, aber mehr als 100 Hühner. Jetzt hatte er zwar keine Kuh mehr, auch keine Schweine, aber dafür 32 000 Hühner. Es waren ihm noch nicht genug. Er wollte, musste investieren, wenn er konkurrenzfähig bleiben wollte. Aber dann kam diese neue Legehennen-Verordnung. Nach diesen neuen Bestimmungen musste er jetzt den 1,6 fachen Platz pro Huhn vorsehen. In einer Branche, wo jeder Zehntel Cent über einen Großauftrag entschied, war das kaum noch zu verkraften. Und schließlich wollte er ja auch noch einigermaßen leben. Da kam ihm ein Angebot recht, das ihm ein Vertreter einer Manufaktur für Stallanlagen bei der letzten Landwirtschaftsausstellung gemacht hatte. „Ich kann Ihnen eine flexible Lösung für Ihr Problem anbieten. Kostet zwar etwas mehr, aber amortisiert sich bereits nach einem Jahr“ Sie hatten gleich einen Termin vereinbart. Auf diesen Herren wartete er jetzt. Es traf sich gut, dass seine Frau einige Tage mit ihrer Freundin zu einem Wellnessaufenthalt nach Baden-Baden gefahren war. Sie mischte sich zu gerne in seine geschäftlichen Angelegenheiten ein. Na ja, schließlich hatte er durch diese Heirat erst sein Startkapital für seine Hühnergroßfarm erheiratet und das ließ ihn seine Frau doch zuweilen spüren. Seine Kamera, die er am Eingang installiert hatte zeigte an, dass sein Gast pünktlich war. Ein dunkelroter Morgan 8 passierte das offene schmiedeeiserne Eingangstor. Er schaute aus dem Fenster und sah den Wagen vor der Eingangstreppe anhalten. Ein Vertreter im Morgan 8, das konnte sich nicht um eine Klitsche halten. Das versprach Augenhöhe. Gernot Hainbichler öffnete dem Gast die Haustür. Es war draußen recht warm gewesen, so gab es nichts zum Ablegen und so ging es gleich an die Hausbar. Etwas Smalltalk, Wetter, Strohwitwerscherze, dazu einen alten schottischen Whisky und dann kam man schnell zum Thema „Sehen Sie“, begann der Gast das Gespräch. „Die neue Verordnung bedeutet für Ihre Anlage eine Investition von knapp einer Million. Damit haben Sie aber ca. 30% weniger Kapazität. Ich biete Ihnen eine Anlage zum gleichen Preis mit der bisherigen Kapazität bei unverändertem Platzbedarf an“. „Versteh ich nicht!“. Gernot Hainbichler verstand wirklich nicht. Gleicher Platzbedarf, identische Kapazität, wo soll da der Mehrbedarf an Stellfläche pro Huhn herkommen? „Dafür haben wir genau unser flexibles Raumbedarfskonzept entwickelt. Unserer Erfahrung nach wird die Anlage bei Inbetriebnahme von einer Genehmigungsbehörde abgenommen. Ist diese ohne Beanstandung, haben Sie erst mal Ruhe. Wenn überhaupt, kommen nach 2 bis 3 Jahren die nächsten Kontrollen, vielleicht sogar unangemeldet. Unsere Anlage ist für alle diese Fälle gerüstet. Ist erst mal die allererste Abnahme geschafft, und diese garantieren wir Ihnen, dann können wir auf Knopfdruck die Käfiggröße auf vorprogrammierte Stellgrößen verändern. Das System ist so schnell, das wir innerhalb von ca. 10 Minuten wieder das von den Behörden vorgeschriebene Maß herstellen können. Die dann temporär zu vielen Hühner lassen sich einfachst entsorgen und als proteinhaltiges Futter wieder weiterverwenden. Wird in Zukunft weiter an der Platzbedarfsschraube gedreht, ist die Anlage auch dafür ausgelegt“ Genial, Hainbichler war sofort Feuer und Flamme. Er sah, dass das Glas seines Gastes fast leer war und ging zum Barfach um etwas nachzugießen. Dabei dachte er sich, dem bietest du jetzt das Du an, das bringt doch eine noch entspanntere Gesprächsatmosphäre, was sich vielleicht positiv auf den Preis auswirken könnte. Während Gernot Hainbichler nach der Flasche griff, konnte er nicht sehen, dass sein Gast einige Tropfen aus einer Minipipette in sein Glas gab „Solche Geschäftspartner wünsche ich mir öfters, nicht die Pfennigfuchser, die um jeden Cent feilschen. Endlich jemand der weiß, wo uns der Schuh drückt. Das heute ist erst der Anfang einer bestimmt längeren und erfolgreichen Geschäftsbeziehung. Wir sollten darauf anstoßen und was soll es, wir können ja Du zueinander sagen. Ich bin also der Gernot, Prost“. Gernot Hainbichler kippte das Glas in einem Zug herunter und hatte sich jetzt so in Fahrt geredet, dass er gar nicht merkte, dass sein neuer Duzfreund seinen Vornamen überhaupt nicht nannte. Dieser klappte jetzt seinen Laptop auf und zeigte eine kurze technische Präsentation der Anlage. Die Gesprächsatmosphäre wurde langsam wieder ruhiger. Gernot Hainbichler stellte ein paar Fragen über genaue Lieferzeiten und Kosten, die alle zu seiner Zufriedenheit beantwortet wurden. Aber so nach und nach konnte er der Unterhaltung nicht mehr folgen und er wurde immer fahriger, bis er dann irgendwann überhaupt keine Antworten mehr gab und teilnahmslos vor sich hinstarrte. An das letzte, was gesprochen wurde, würde er sich nicht mehr erinnern. Aufwachen, das war etwas, was Gernot Hainbichler immer genoss. Sich noch mal räkeln, vielleicht noch mal kurz einnicken, nach seiner Frau tasten, den Tag genießend beginnen. Als er jetzt aufwachte, war da ein völlig anderes Gefühl. Außer rasenden Kopfschmerzen nahm er überhaupt nichts wahr. Dieses Hämmern im Kopf unter- drückte sämtliche anderen Wahrnehmungen. Nur sehr langsam wich dieses Hämmern einem immer noch starkem Dauerschmerz. Jetzt begann er so langsam zu fühlen wo er sich befand, in welcher Umgebung, in welchem Zustand er überhaupt war. Noch traute er sich nicht seine Augen zu öffnen, weil er ahnte, dass alles gänzlich anders war als sonst. Er lag nicht in einem Bett, er saß auf etwas Ungewohntem. Beim Fühlen mit immer noch geschlossenen Augen spürte er etwas kaltes, metallisches, etwas mit Löchern unter sich. Darauf saß er auch. Er tastete an sich von den Beinen nach oben und merk- te, dass er nackt war. Träumte er das nur, oder war er in der Realität angekommen? Da half jetzt nur noch die Augen öffnen. Ganz langsam hob er die Oberlider und senkte die Blickrichtung nach unten. Er war wirklich nackt und die vorher gefühlte Sitzfläche war eine Art Metallrost mit rautenförmigen Löchern. Diese Metallrostfläche war vielleicht 1 m breit und höchstens 2 m lang. Bedächtig dreht er jetzt den Kopf nach oben. Es bereitete ihm immer noch Probleme den Kopf schnell zu bewegen, so stark waren seine Kopfschmerzen. Was er dann sah, veranlasste ihn sofort wieder seine Augen zu schließen. Er sah, dass er in einem Käfig saß. Der Rost auf dem er sich befand, war umgeben von einem Metallgitter. Metallstäbe im Abstand von vielleicht 10 cm mit Querstreben in ähnlichem Abstand. Man hatte ihn also nackt in einen Käfig gesetzt. An der Vorderfront, also vor seinen Füßen, war statt des Metallgitters eine geschlossene Holzwand mit einer Klappe, ähnlich der, die er schon im Fernsehen oder im Kino bei den Gefängniszellen gesehen hatte. Dort, wo den Gefangenen das Essen gereicht wird. Um wirklich sicher zu gehen, dass er nicht träumte, schaute er sich jetzt doch noch mal näher an, wo er sich befand. Der Käfig stand in einem Kellerraum seines eigenen Hauses. Er erkannte dies, wenn er zur Rechten seines Käfigs nach außen schaute. Dort stand sein Weinregal mit in langen Jahren angesammelten Weinen, vor allem Rotweinen der Premiumklasse. Wie und warum kam er in diesen Käfig? Das letzte, woran er sich noch erinnern konnte war, dass er irgendwie Besuch erwartete, der auch kam. Aber ab dann hatte er keine Erinnerungen mehr. Er überlegte, spätestens, wenn seine Frau zurückkam, müsste sie ihn finden. Das Problem war aber, sie war erst seit gestern weg und als sie ging, sagte sie noch ein- dringlich „Kein Handy, kein Internet, ich möchte endlich mal ganz in Ruhe ohne Ablenkung 4 Wochen nichts mehr von der Welt und von dir hören. Du brauchst es erst gar nicht zu probieren und wage bloß nicht mich zu besuchen!“ Die Situation war surreal. Nackt in einem Käfig, im eigenen Haus, niemand würde ihn vermissen. Wie und warum kam er in diese verrückte Lage? Beim näheren Umschauen sah er außerhalb der Gitter einen Fernsehbildschirm. Das Bild, das dort gezeigt wurde, war eines seiner Kameras, die er in seinen Hühnerhallen montieren lies. Normalerweise wurden diese Bilder auf einen Monitor in seinem Büro überspielt. Dort war es möglich, die Kameras zu steuern, auch zu zoomen, um evtl. Unregelmäßigkeiten zu erkennen. Obwohl seine Anlagen voll automatisiert waren, hatte er doch einiges Personal auf der Lohnliste. Immerhin waren das 14 Mitarbeiter, die im Schichtdienst rund um die Uhr die Anlagen in Betrieb hielten. Die Videoaufnahmen standen auch dem Personal zur Verfügung. Die Kameraposition die er jetzt sah, erfasste einen größeren Abschnitt der Käfigzone. Würde einer seiner Mitarbeiter dort vorbeikommen, würde er dies erkennen. Da er seine Mitarbeiter gründlich geschult hatte, lief alles weitgehend ohne sein Zutun. Man würde ihn nicht vermissen. Oft war er in der Vergangenheit mal für mehrere Wochen unterwegs. Also auch von dieser Seite würde niemand eine Vermisstenmeldung aufgeben. Aber noch wusste er ja überhaupt nicht, was ihn erwartete. Vielleicht war alles nur ein derber Scherz und er würde bald wieder freikommen. Die Klappe vor ihm machte ihm Hoffnung. Irgendwann würde diese sich öffnen und er konnte Kontakt mit wem auch immer aufnehmen. Er schaute sich noch mal genau um. Der Käfig war vollkommen leer. Beim Abtasten unter seiner Sitzfläche fühlte er einen waagrecht eingeklappten, senkrecht aufrichtbaren Ring. Das machte ihn neugierig, Er erhob sich aus seiner doch inzwischen sehr unbequemen Sitzposition und schaute sich das Ganze näher an. An dem Ring ließ sich ein ca. 30 cm im Durchmesser kreis- förmiger Deckel hochklappen, der aufgeklappt an der hinteren Käfigwand lehnte. Der Deckel gab ein Loch frei. In diesem Loch befand sich ein blauer Eimer, der mit einem Deckel verschlossen war. Man musste kein Hellseher sein, was hier für ihn vorbereitet war. Das war seine Toilette. Das sah nicht nach einem Kurzaufenthalt, nicht nach einem Scherz aus. Der oder diejenigen, die ihn da einsperrten, hatten sich sehr gründlich vorbereitet. Er schloss den Deckel wieder und setzte sich. Die Käfigzelle war gerade so groß, dass er neben dem Sitzen noch liegen und etwas gebückt stehen konnte. Mehr Bewegung war nicht möglich. Was wollte man damit bezwecken, was waren die Motive, ihn wie ein Käfighuhn zu behandeln? Vielleicht militante Umweltschützer, ein derber Scherz eines. Konkurrenten. Mehr fiel ihm dazu nicht ein. Der Raum, in dem er sich jetzt befand, kannte er ja. Das rote Licht, das von der Decke seitwärts herunter leuchtete, war neu darin. Beim näheren Hinsehen meinte er, dass dahinter eine Kamera versteckt sein konnte. Man beobachtete ihn also. Wenn nicht, dann filmte man ihn zumindest zeitweise. Wer interessiert sich denn für einen nackten Mann in einem Käfig? Normalerweise hatte er für diesen Raum an der Decke zwei helle Neonleuchten montiert. Diese waren jetzt ausgeschaltet. Trotzdem war es nicht ganz dunkel. Irgendwo musste es noch eine zusätzlich abgedeckte Beleuchtungsquelle geben, die etwas diffuses, schummriges Licht verbreitete. Soweit er sich zurück erinnern konnte, gab es in seinem Leben noch nie einen wachen Moment, in dem er nichts tat. Jetzt war es soweit. Er konnte absolut nichts tun, außer warten. Wenn man ihn nicht verhungern oder verdursten ließ und davon ging er aus, dann konnte er wenigstens darauf warten, dass irgendwann die Klappe aufging und er irgendwie versorgt wurde. Niemand betreibt solch einen Aufwand, um jemanden verhungern zu lassen. Also wartete er, äußerst unbequem, im Sitzen, im Liegen, mal halb eingeschlafen, immer gespannt darauf, irgendein Geräusch zu hören. Und es kam, das Geräusch. Er hatte vorher keine Schritte gehört. Plötzlich ging die Klappe kurz auf und es wurde etwas rasch hindurch geschoben. Er wollte sich noch schnell aufrichten um was zu sehen, etwas zu rufen. Eine Erklärung zu verlangen. Aber da war der Spuk schon wieder vorbei. Er richtete sich ganz auf, um zu sehen, was durch die jetzt wieder geschlossen Klappe ihm zugekommen war. Es war ein etwas tieferer Teller mit einem nach Brei aussehenden Inhalt. Darin lag ein Löffel. Daneben standen 3 Kunststoffflaschen mit Wasser und ein zusammengefalteter Zettel. Er klappte ihn auf. Da stand nur „halbe Tagesration Essen, Ganztagesration Trinken und Hygiene“ Gernot Hainbichler ließ sich wieder nach unten abgleiten. Wenn das der einzige Kontakt nach außen war, dann konnte die Isolierung nicht größer sein. Er hatte ja immerhin das Monitorbild seiner Hühnerstallungen. Während er seine Hühner dort beobachtete, beneidete er sie fast. Sie wussten es ja nicht anders. Kein Huhn in seiner Anlage kannte ja den Geschmack einer saftigen Butterblume oder den nassen Morgentau auf einer bunten Wiese, einen blutroten Sonnenunter- gang oder die angespannte Stimmung eines heranziehenden Gewitters. Also fehlt ihnen auch nichts. Außerdem waren sie nicht alleine. Er wusste zwar nicht wie und ob Hühner untereinander kommunizieren, aber nicht allein sein ist immer besser. Gernot Hainbichler probierte jetzt seinen Brei. Lauwarm, wohl eine Mischung von Haferflocken mit einigen Rosinen, wenigen gekochten Fruchtstücken, wahrscheinlich Apfel in Milch, etwas gesüßt. Eher für Kinder und Zahnlose gedacht. Zwar essbar, aber immer wollte er so was nicht haben. Dazu noch einige Schluck Wasser. Das war dann sein Nachtessen, vielleicht auch das Frühstück, das Mittagessen? Er hatte überhaupt keine Zeitvorstellung. Aber immerhin hatte er jetzt ein Zeitmaß. 2-mal Essensausgabe entspricht 1 Tag. Er nahm sich vor, diese Information irgendwie festzuhalten. Den Zettel, den er mit seinem Essen erhalten hatte, konnte er dazu verwenden. Immer wenn er zwei Essensausgaben hinter sich hatte, wollte er an dem Zettel ein kleines Stück abreisen. Damit konnte er die Tage zählen. Es erinnerte ihn an die Strichlisten in Gefängniszellen, wo Strafgefangene ihre abgesessenen Tage festhielten. Die Steigerung von Langeweile ist wohl die Apathie. Außer den Essensausgaben, die immer sehr diskret verliefen, gab es keinerlei Abwechslung. Zunächst versuchte Gernot Hainbichler seine Zeit mit Nachdenken auszufüllen. Die Jahre der Kindheit, die Jugend, der Aufbau seiner Existenz, das Kennenlernen seiner Frau, ihre gemeinsamen Urlaube, das Auseinanderdriften ihrer Ehe, alles nur erinnerbare Höhen und Tiefen. Alles versuchte er aus seinem Gedächtnis hervorzuwühlen, es auszugraben, die Folgen auf sein Leben einzuordnen. Nach wenigen Tagen war er damit fertig. Nichts fiel ihm mehr ein. Sein Hirn leerte sich so nach und nach. Das einzige was ihn jetzt noch beschäftigte, das waren seine Stuhlentleerungen und deren Umstände damit. Er hatte schon immer eine Abneigung gegen die französischen Stehklos gehabt. Auf zwei kleinen Podesten zu stehen, Hose nach unten und versuchen zu zielen, das war ihm nie geheuer. Und Zeitung konnte man dabei auch nicht lesen. Das was er aber in seinem Käfig vorfand, das war noch weit unangenehmer. Er musste den Bodendeckel nach hinten aufklappen, die Beine breitbeinig neben das Loch stellen, dann irgendwie so balancieren, dass sein Hinterteil einigermaßen über dem Loch in Position kam, um dann möglichst schnell den Darm zu entleeren. Klopapier gab ́s keins. Er hatte ja drei Einliterflaschen Wasser als Tagesration zur Verfügung. Etwa einen Liter davon verwendete er zur Reinigung seiner linken Hand, die er anstelle des fehlenden Klopapiers einsetzte. Trotzdem, die Fingernägel, die nun immer länger wurden, bekam er davon nicht sauber. Das Ekeln vor sich selbst hatte er nach einigen Tagen aufgegeben. Sein Allgemeinzustand wurde immer schlechter. Durch das viele Liegen auf dem Metallrostboden hatte er zunehmend Druck- stellen. Besonders beide Hüften, die Ellenbogen und beide Schultern waren arg lädiert. Er konnte sich kaum noch auf die Seite legen. Immer mehr lag er nur noch gekrümmt auf dem Rücken. Dann geschah etwas Unerwartetes. Bei einer der Essensausgaben spürte er, dass diese anders verlief. Es dauerte etwas länger als sonst. Und als die Klappe wieder zuging, hörte er ein Geräusch, das er kannte. Zunächst dachte er, dass zu dem Monitorbild, das ja immer noch lief, jetzt der Ton zugeschaltet war. Doch es klang dann doch irgendwie anders. Er schaute nach vorne zu dem Brett vor der Klappe, wo sonst immer der Teller mit seiner Essensration stand. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Neben seinem Teller saß ein Huhn, das gerade mit seinem Schnabel in seinen Brei eintauchte. Sein erster Gedanke: „Ich bin nun nicht mehr allein!“ Bestimmt war das ein Huhn von seinen eigenen Beständen. Eins von Zigtausend hatte nun ein Vielfaches an Platz und konnte ihm Gesellschaft leisten. Jemand mit dem man auf engsten Raum jetzt leben musste brauchte einen Namen. Ihm viel sofort Klara ein. Warum? Bei seinen Gedankenrück- blenden kam er irgendwann auf eine kurze Episode. Er war vielleicht 15, höchstens 16. Da lernte er Klara kennen. Bildhübsch, er sah sie Jahrzehnte später wieder. Da war sie als Frau dann noch viel hübscher. Aber damals war das schnell wieder vorbei. Und warum? Weil sie Klara hieß! Eine Freundin die Klara hieß, konnte er sich einfach nicht vorstellen. Jetzt hatte er sie wieder, die Klara. Jetzt noch viel wichtiger als vor den vielleicht 30 und mehr Jahren. Klara war noch etwas scheu. Als er sie anfassen wollte, versuchte sie davon zu flattern. Gernot Hainbichler zuckte schnell zurück. „Ich muss Ihr etwas Zeit geben, um sie an mich zu gewöhnen“. Bei seiner ersten Klara war das ähnlich. Er setzte sich in die Ecke und beobachtete seine neue Käfiggenossin. Diese lief unruhig an seinem Fußende auf und ab. „Viel- leicht sucht sie was zum Fressen“. Er hatte noch seinen Teller in der Hand. Diesen schob er dann langsam an sein Fußende. Klara hatte schnell begriffen was er damit meinte und hielt inne, schaute auf den Teller und tunkte den Schnabel in den Brei. Offensichtlich schmeckte Klara der Brei. Ihm selber schon lange nicht mehr. Die Zeit mit Klara richtete Gernot Hainbichler deutlich wieder auf. Die Tatsache, dass er jetzt den Käfig mit einem weiteren Lebewesen teilte, weckten seine Ur-Instinkte. Er konnte jetzt wieder beschützen und hatte jetzt jemanden der ihm zuhörte. Zumindest bildete er sich da ein. Wenn er seiner Frau irgendwas erzählen wollte, was ihn gerade bewegte, merkte er schnell Desinteresse. Er spürte das an der Körpersprache, dem Gesichtsausdruck. Wenn er jetzt erzählte, dann hörte Klara auf hin und her zu laufen, hörte auf zu picken, setzte sich hin und schaute auf ihn und blieb dabei ganz ruhig. War er fertig mit seinen Ausführungen, stand Klara wieder auf und spazierte wieder auf und ab. Auch seinen Schlafrhythmus hatte er geändert. Er hatte ja keine genaue Zeitvorstellung, die diffuse Beleuchtung änderte nie ihre Intensität. Klara schien eine sehr präzise Schlafgewohnheit zu haben, die nicht von der Beleuchtung abhängig war. Etwa 2 bis 3 Stunden, so war seine Abschätzung nach der Essensausgabe, schien Klara müde zu werden, setzte sich zu ihm und schloss die Augen. Es war wie ein ansteckendes Gähnen. Auch er wurde müde und so dämmerten beide einige Stunden vor sich hin. So war es irgendwie auszuhalten. Die quälende Eintönigkeit der Zeit vor Klara war jetzt verflogen. Der Tag, was das auch immer war, seine begonnene Zeitmessung, hatte er längst aufgegeben, hatte jetzt eine Struktur. Der Höhepunkt war dabei, dass Klara ein Ei legte, nur für ihn allein. Das war für ihn ungleich mehr wert, als die hunderttausende von Eiern die seine Anlagen jährlich ausspuckten. Dieses eine Ei versuchte er vorsichtig an einer Oberseite zu öffnen. Er bediente sich damit dem spitzen Schnabel von Klara. Hatte er dies geschafft, Der Film, der sich öffnet hieß „Justness3“ Was sie dann sah, überstieg ihr Vorstellungsvermögen bei weitem. Ihr Keller, ihr Mann nackt in einen Käfig. Der Film dauerte nur höchsten 3 Minuten und zeigte dennoch 4 Wochen in Zeitrafferaufnahmen, was ihrem Mann in dieser Zeit widerfahren war. Irgendwann kam dann noch ein Huhn dazu. Danach wusste sie, dass ihr Mann nicht verrückt war. dann saugte er das Ei mit großem Genuss ganz leer. Gemessen an seinem täglichen Brei war dies eine Köstlichkeit. Inzwischen war er der Meinung, dass er schon wochenlang in seinem Käfig verbrachte. Manchmal überkam ihm der Gedanke, dass er hier bis zu seinem Lebensende eingesperrt bliebe. Noch schlimmer aber schien ihm die Aussicht, Klara zu verlieren. Da würde er wohl wahnsinnig werden. Irgendwann beim Aufwachen spürte er eine Veränderung. Zum Einen hatte er starke Kopfschmerzen, ähnlich wie zu Beginn seines Käfigdaseins, zum Anderen lag er nicht mehr so unnachgiebig hart. Da war etwas Weiches, Angenehmes, wie früher. Er versuchte sich trotz der Kopfschmerzen zu orientieren und öffnete kurz die Augen. Da war sie, die weiße Tapete mit den pinkfarbenen Streifen, die ihm noch nie gefiel, aber seiner Frau zuliebe ankleben ließ. Er tastete um sich, Klara? Sie war nicht mehr neben ihm. Er verdrängte diesen Verlust zunächst und versuchte noch etwas zu dösen. Sein Martyrium war nun offensichtlich zu Ende. Er wurde erst wieder wach, als jemand an ihm rüttelte. „Gernot, wie siehst du denn aus, ist ja schrecklich, du stinkst ja erbärmlich und hast einen Bart wie ein Penner unter den Brücken und nackt bist du auch noch. Man kann dich wohl nicht mehr alleine lassen, hast wohl die ganze Zeit gesoffen!“ Gernot Hainbichler öffnet die Augen. Ja er war wirklich wieder Zuhause angekommen. Er richtete sich auf, überlegte kurz und sagte zu seiner Frau „Komm mit!“. Beim Aufstehen aus dem Bett spürte er, dass er sich wochenlang kaum bewegt hatte. Er war des Laufens kaum mehr fähig. Seine Frau musste ihn einfach für betrunken halten. Er eierte und schwankte die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und weiter bis in den Keller. Seine Frau folgte ihm in einigem Abstand. Er musste wohl riechen wie eine ganze Fäkaliengrube. Im Keller angekommen steuerte Gernot Hainbichler auf eine bestimmte Tür zu, öffnet sie und sagte zu seiner Frau „Da, sieh rein“. Sie sah hinein, er hinterher. „Was soll da sein“, fuhr ihn seine Frau an. Und wirklich, in dem Raum, in dem sich wochenlang befand, waren keinerlei Spuren seines Käfigaufenthaltes mehr erkennbar. Das Weinregal stand immer noch an der gleichen Stelle. Noch nicht einmal roch es anders als sonst. Beim Hinausgehen entdeckte seine Frau noch einen kleinen Zettel auf dem Boden. Gründlich und ordnungsliebend wie sie war, hob sie ihn auf und steckte ihn in ihre Brusttasche. Ihr Mann ging wieder nach oben. Sie schaute ihm nach, er war immer noch nackt und sah jämmerlich aus, er musste zudem noch bestimmt 5 kg zugenommen haben. Als wenn er sich gemästet hätte. Sie sah ihn kurz stehen bleiben, als wenn er über etwas nachdachte. Dann ging er zielstrebig zur Tür nach draußen, immer noch nackt. Sie ging in die Küche, von da aus konnte sie gut beobachten, was er draußen wollte. Gegenüber dem Hof, den sie einsehen konnte, befand sich das größte Hühnerhaus, eins von drei das sie hatten. Die Kapazität allein dieser Anlage lag bei 15 000 Hühnern, alles vollautomatisch. Der ganze Stolz von Gernot Hainbichler. An der Frontseite des Gebäudes war eine große Schiebetür. Die war natürlich ge- schlossen. In dieser Tür befand sich noch eine kleine, extra zu öffnende kleine Tür. In die sah sie ihren Mann hineingehen. Was sollte er denn da drin suchen? Es dauerte eine Weile, dann sah sie, wie sich das große Schiebetor öffnete. Dann geschah zunächst einige Minuten gar nichts, dann aber was Ungeheuerliches. Zunächst erschien ein Huhn vor der großen Schiebetür, es schien kurz zu zögern, aber dann trat es ins Freie und kaum war es die ersten Schritte vor der Tür im Hof, strömten vom Halleninneren Massen von Hühnern nach, eine fast unübersehbare Menge von dicht gedrängten Hühnern breitete sich in ihrem Hof aus. Ständig rückten Hühner aus der Halle nach. Der Exodus der Hühner wollte einfach nicht abreißen. Frau Hainbichler war entsetzt, schockiert, wusste nicht was tun. Vielleicht nach 10 oder 15 Minuten ebbte der Hühnerstrom langsam ab. Der Hof, die Wiesen rund ums Haus, alles war voller Hühner. Als nur noch vereinzelt einige Hühner die Halle verließen, kam er auch. Ihr Mann, der wohl die Schleusen geöffnet hatte. Es sah kurios aus. Er schritt langsam aus der Halle, nackt, auf seiner Schulter ein Huhn. Vor der Halle stand eine Bank. Darauf setzte er sich und machte einen ganz entspannten, ja zufriedenen Eindruck. Frau Hainbichler wusste jetzt was zu tun war. Sie forderte einen Krankenwagen an, denn ihr Mann war ohne Zweifel geistesgestört. Sie schilderte kurz am Telefon die Situation. Es dauerte auch nicht lange und sie hörte das Signalhorn des Krankenwagens. Beim Näherkommen musste er sich vorsichtig eine Gasse durch die Hühner schaffen. An der Bank, wo immer noch der nackte Gernot Hainbichler mit dem Huhn auf der Schulter saß, hielten sie an. Zwei Rettungssanitäter gingen auf die Bank zu, sprachen offensichtlich einige Worte mit ihrem Mann. Ihr Mann stand auf und ging zu dem Rettungswagen. Sie beobachtet dann noch einen kurzen Wortwechsel zwischen ihrem Mann und den Sanitätern. Es ging wohl um die Mitnahme des Huhnes. Nach einigem Hin und Her waren die Sanitäter einverstanden, dass das Huhn mitfahren konnte. Frau Hainbichler ließ sich erschöpft in einen Stuhl fallen. Die ganze Erholung war in wenigen Minuten zerronnen. Einen verrückten Mann, zigtausende von Hühnern ausgebrochen, unkontrolliert in der Umgebung. Das war zu viel für heute. Irgendetwas Besonderes musste in ihrer Abwesenheit passiert sein. Vielleicht in dem Kellerraum, zu der sie ihr Mann geführt hatte. Sie dachte in diesem Zusammenhang an den Zettel, den sie vom Boden aufgehoben hatte. Sie nahm ihn aus ihrer Brusttasche und entfaltete ihn. Darauf war eine Folge von Buchstaben, kleine, große, auch Zahlen und Zeichen. Zunächst keinen Sinn machend. Aber irgendwie kamen ihr diese kryptische Aneinanderreihung bekannt vor. „YouTube“, das war's, von dort kannte sie dieses Schriftbild. Es war eine Adresse für ein „YouTube-Video“ Sie ging ins Arbeitszimmer, schaltet den PC ein, es dauerte ewig, bis sie die Adresse eingeben konnte. Dkswdksnk555. Der Film, der sich öffnet hieß „Justness3“ Was sie dann sah, überstieg ihr Vorstellungsvermögen bei weitem. Ihr Keller, ihr Mann nackt in einen Käfig. Der Film dauerte nur höchsten 3 Minuten und zeigte dennoch 4 Wochen in Zeitrafferaufnahmen, was ihrem Mann in dieser Zeit widerfahren war. Irgendwann kam dann noch ein Huhn dazu. Danach wusste sie, dass ihr Mann nicht verrückt war
Kapitel 15. Das Hauptquartier von YouTube in San Bruno war kein besonders auffälliges Gebäude. Gerade mal drei Stockwerke. Schlicht und funktional gestaltet. Niemand Außenstehendes hätte darin Milliardenumsätze vermutet. Normalerweise war das Gebäude ab 23:00 fast stockdunkel. Wenn die Putzfrauen gegen 22:00 gegangen waren, brannten nur noch in den Fluren schummrige Notbeleuchtungen. Aber in den letzten bei- den Tagen waren fast in jedem Büro, selbst weit nach Mitternacht, die Lichter an. Und man sah auch hinter den Glasfronten Personen agieren. Unfassbares war passiert und das gesamte YouTube-Team war fast 24 Stunden im Einsatz. Begonnen hatte es ganz harmlos. Es waren 2 Videos eingestellt worden, die gegen die Spielregeln verstießen, aber bereits ungewöhnlich oft abgerufen wurden. Ein Mitarbeiter von YouTube hatte dann diese Videos routinemäßig gesperrt. Dies kam jeden Tag zigmal vor und zunächst kein Grund zur Aufregung. Auch eine Drohung des Einstellers beider Videos war noch nicht ungewöhnlich auffällig. Dieser hatte angedroht, falls die Videos binnen 24 Stunden nicht wieder eingestellt werden, wolle man YouTube für 10 Minuten vollständig weltweit sperren, war nichts, worauf besonders zu reagieren wäre. Drohungen ähnlicher Art gab es des Öfteren. Irgendwelche Spinner, immer leere Drohungen, kein Grund zur Aufregung. In der Mail, die dies ankündigte, war auch eine exakte Zeit angegeben, wann man YouTube blockieren werde. Sonntag den 21. April, genau zwischen 20:00 und 20:10. Der. Mitarbeiter von YouTube, der diese Androhungen las, sah keinerlei Veranlassung, darüber seine Vorgesetzten zu informieren. Zu abstrus war die Drohung, zu gut die Server abgesichert. Als dann aber exakt um diese Zeit jegliche Verbindung zu YouTube unterbrochen und sekundengenau wieder erreichbar war, meldete sich der Mitarbeiter bei seinen Vorgesetzten und berichtete über die jetzt wahr gemachte Drohung. Man konnte sich zunächst nicht erklären, wie das technisch möglich sei, in das mehrfach abgesicherte System von YouTube einzudringen. An einen Zufall glaubte man wegen der exakten Angaben und deren Ausführung jedoch nicht. Natürlich waren die Videos innerhalb der gesetzten Frist nicht wieder frei geschaltet worden und so erwartete man ein weiteres Ultimatum. Und richtig, wenige Minuten nach dem wieder Erreichen der YouTube Plattform kam eine weitere Mail. „Noch eine letzte Chance! Sie haben 24 Stunden Zeit die beiden Videos frei zu schalten, dann wird YouTube erst wieder erreichbar sein, wenn die Videos wieder im Netz verfügbar sind“ Das war die Chance. Schnell orderte man alle IT-Spezialisten in die Zentrale, schaltete redundant einen weiteren Großserver zu und machte sich für den Angriff bereit. Natürlich wollte man die Videos nicht freigeben, sondern den Angriff abwarten und analysieren, auf welchem Weg der Erpresser in das System eindringen konnte. Schlimmstenfalls riskierte man ja nur einen temporären Ausfall, den man durch Freigeben der Videos ja rasch beheben konnte. Als man sich genügend vorbereitet fühlte, waren es nur noch wenige Minuten, bis man den Angriff erwartete. Gespannt saßen sie alle gemeinsam in einem Großraumbüro, das voll gestellt war mit zig Monitoren. Alle Topleute waren dabei, selbst hochrangige „Google“ Manager waren kurzfristig angereist. Als der Sekundenzeiger sich in der letzten Umrundungsphase befand, war es wie bei einem Apollo-Start. Die Spannung stieg mit jeder Sekunde. Als der Zeiger die Senk- rechte erreichte, passierte das Unglaubliche: Sämtliche Monitore, welche auf die Startseite von YouTube eingestellt waren veränderten sich schlagartig und es kam die Meldung „YouTube ist wegen einer technischen Störung bis auf weiteres nicht erreichbar“ Vor den Kontrollmonitoren, welche die Peripherie auf evtl. Eindringen in das System untersuchten, ging es inzwischen hektisch zu. Man wollte unbedingt herausfinden, wie das System überlistet wurde. Dazu hatte man sich vorher abgesprochen. Würde man innerhalb von 15 Minuten das Leck nicht finden, müsse man notgedrungen die Videos frei schalten. Man hatte ja einige der besten Hacker aus der Szene verpflichtet, die jetzt fieberhaft alle nur denkbaren Möglichkeiten der Einflussnahme von außen, die es ja eigentlich gar nicht geben durfte, prüften. Nach 15 Minuten mussten sie ohne verwertbare Hinweise passen. Das Abschalten der YouTube-Plattform von unbekannter Hand geschah, ohne nur die geringste Spur zu hinterlassen. Genial, beängstigend, aber Fakt. YouTube musste sich dem Ultimatum beugen und die Videos freischalten. Intern wurde vereinbart, nichts von diesem Vorgang an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Die Tatsache, dass man ohne Spuren zu hinterlassen eine Megaplattform ausschalten könne, würde in der IT-Welt Panik hervorrufen. Man stelle sich nur vor, ein Erpressungsversuch an Apple oder Windows würde stattfinden!
Kapitel 16. Sam Berklin hatte inzwischen Karriere gemacht. Seine Reportagen und Videoaufnahmen waren die Sensation. Ein Attentat auf einen Waffenhändler, hautnah gefilmt, das Entdecken eines von Ameisen skelettierten ehemaligen Folterknechtes der chilenischen Junta der 70er Jahre, der offensichtlich in eine ihm gestellte Falle geraten war, das waren Blockbuster. Sie brachten hohe Zeitungsauflagen und bei Talkshows zu diesem Thema außergewöhnliche Einschaltquoten im Fernsehen. Vorbei die Zeiten, wo er wegen ein paar Pfund nachts zu irgendwelchen Verkehrsunfällen gerufen wurde, um ein paar Bilder zu machen, einige Interviews zu führen. Jetzt konnte er sich die Aufträge und Auftraggeber aussuchen. Natürlich war sein liebster Auftraggeber der mysteriöse Unbekannte, der ihn zu seinen Tops gelotst hatte. Insgeheim dachte er schon manchmal an den Pulitzerpreis. Als er nun die Einladung bekam, am 5. Mai nach Rom zu kommen, dort gegen 9:30 seine Kamera aufzubauen, sein bestes Zoom dabei einzusetzen, war Sam Berklin wieder in seinem Element. Er wusste, da passiert wieder was Großes und ich bin dabei. Der Erste, der Schnellste, der Aktuellste
Kapitel 17. Joseph schaute aus seinem Fenster, es war jetzt gerade ungefähr 21 Uhr, schon leicht dämmrig. Er schaute auf den Platz der unter ihm lag, auf die Stadt, die sich vor ihm ausbreitete. Er war stolz auf sich. Hier oben zu stehen, wo schon viele standen, die jetzt in den Bibliotheken ganze Wände mit ihren Biographien füllten. Es war jetzt Zeit, sich zur Ruhe zu begeben, Zeit, die Zeitschaltuhr zu seiner Schreibtischleuchte in seinem Arbeitszimmer auf 1:30 zu stellen. Es machte Eindruck, wenn das Arbeitszimmer vor dem unten liegenden Platz, wo sich noch lange nach Mitternacht Touristen aufhielten, wenn genau in diesem Zimmer noch Licht brannte. Leute seines Schlages können nun einfach nicht schon lange vor Mitternacht im Bett liegen. Sein Schlafzimmer lag direkt nebenan. Die Klappläden an den Fenstern dunkelten das Schlafzimmer nicht vollständig ab. Deswegen legte er sich jeden Abend eine beidseitige Augenklappe an. Er versuchte, wie oft bevor er dann einschlief, daran zu denken, wie es gewesen wäre, wenn Gott die Weichen für ihn anders gestellt hätte. Er kam dabei immer wieder zu anderen Szenarien. Gerne wäre er in seinen jungen Jahren in Regensburg gewesen, bei den Domspatzen. Er hatte einen wunderschönen Bildband mit den Jungs, einer schöner als der andere. Es war eines seiner Lieblingsbücher. Den Chorleiter hatte er schon damals beneidet. Abgesehen davon, war er aber meist mit Gottes Weichenstellung einverstanden. So dämmerte er sich wohl fühlend und selbstzufrieden vor sich hin, als plötzlich jemand „Joseph, aufwachen“ rief. Joseph, wer war Joseph? Er konnte sich kaum noch erinnern, dass er einmal Joseph hieß. Niemand, den er kannte, selbst sein eigener Bruder nicht, sprach ihn mit Joseph an. Der, der ihm am nächsten stand, sprach ihn bei den wenigen Gelegenheiten, wo sie sich noch trafen, in der dritten Person an „Joseph, aufwachen“, das erinnerte ihn an seine Mutter. Sie hatte ihn immer morgens so geweckt, wenn er zur Schule musste „Joseph, aufwachen“, das „Joseph“ war jetzt doch etwas zu eindringlich, um nur eine Erinnerung an früher zu sein. Da war jemand in seinem Schafzimmer, der so mit ihm sprach. Nein, kann nicht sein, sagte er sich, ein Fremder, der ihn mit „Joseph“ ansprach. Ich bin wohl noch im Halbschlaf und bilde mir das nur ein! Als jedoch seine Bettdecke hochgezogen wurde und er reflexartig sein Nachthemd nach unten zog, hatte er keinen Zweifel mehr. Er war nicht allein in seinem Schlafzimmer und er lag im Nachthemd in seinem Bett, immer noch blind, da seine Augenklappen immer noch seinen Horizont schwärzten. Mit der einen Hand das Nachthemd so lange wie möglich ziehend, mit der anderen Hand die Augenklappe von den Augen ziehend, versuchte er sich ein Bild von der Situation zu machen. Was er sah, war, dass unmittelbar an seinem Bett ein groß. gewachsener, höchstens 30 Jahre alter Mann stand, der die Bettdecke noch in der Hand hielt, die er aber zu seiner Erleichterung dann fallen ließ. Nie hatte ihn jemand in den letzten 70 Jahren im Nachthemd gesehen. Joseph rang nach Worten. “Wer sind Sie, was wollen Sie, wie kommen Sie überhaupt hier herein?“. Der Fremde zog sich einen Stuhl heran und setzte sich unmittelbar an Josephs Bett. Dieser sah sich suchend um und der Blick bleib an einem Zugschalter hängen. Dessen goldfarbene Kordel hing etwa in Greifhöhe unmittelbar am Kopfende des Bettes. „Zieh ruhig Joseph, es wird niemand wahrnehmen, wir sind ganz allein und es wird uns niemand stören können“ Ein Irrer dachte Joseph und er erinnerte sich an einen Bericht, wo jemand des Nachts plötzlich am Bett der Queen stand. Joseph musterte den Eindringling und seine erste Einschätzung war, dass er es zumindest mit einem halbwegs zivilisierten Irren zu tun hatte. Bis ins Schlafgemach von ihm eindringen zu können ohne dabei gestört zu werden, das bedarf schon mehr als sich so einfach mal zu verlaufen. „Ich sollte mich zuerst bei dir vorstellen“ begann der vor ihm Sitzende mit klarer Stimme. „Ich bin ab morgen dein Nachfolger!“ „Doch ein Verrückter“ dachte Joseph. Antworten konnte er darauf zunächst nicht. Was hätte er auch sagen sollen, das klang einfach zu abstrus. „Ich kann verstehen, dass du das als Hirngespinst eines Übergeschnappten wertest, aber ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Danach wirst du mich innigst bitten, deine Nachfolge anzutreten“ Den Stuhl näher ans Bett rückend, begann er zu erzählen. Je länger die Erzählung dauerte, desto gebannter hörte Joseph zu. Ab und zu stellte er ein paar Zwischenfragen, ansonsten sprach aber nur der Fremde. Der Monolog dauerte etwa eine knappe halbe Stunde. Danach reichte dieser Joseph 2 Seiten Papier mit einem Text darauf. “Morgen früh wirst du das vom Balkon aus vorlesen. Du wirst dort gegen 10 Uhr von tausenden erwartungsvollen Christen erwartet“ Joseph las das ihm überreichte Schriftstück, schwieg danach einige lange Sekunden und sagte: „Und wenn ich das nicht tue?“ Da zog sein jetzt inzwischen für ihn nicht mehr Unbekannter eine Mappe aus seiner Tasche. Sie trug die Überschrift „Johannes Paul I“ Joseph schaute nur kurz auf die Mappe und nickt dann leicht mit dem Kopf. „Dann habe ich wohl keine Wahl!“ Der Fremde reichte ihm danach die Augenbinde und verabschiedete sich mit einem kurzen „bis morgen“ Joseph schloss die Augen unter der Augenbinde, was eigentlich gar nicht notwendig war. Aber jetzt konnte er besser in sich hineinsehen. Was er in der letzten halben Stunde erfahren hatte, stellte seinen bisherigen Glauben auf den Kopf. Ja er fragte sich, wofür habe ich mein bisheriges Leben geopfert, was habe ich ohne zu hinterfragen vertreten, fast einer Milliarde Menschen versucht weiszumachen was sie zu tun und zu lassen hatten? Joseph grübelte und dachte nach. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr machte sich sein eigener Schutzmechanismus bemerkbar. Irgendwann kam er zu dem Schluss, dass er das alles nur geträumt haben muss. Joseph lächelte nun in sich hinein, so langsam fiel die Spannung von ihm ab und er schlief friedlich ein. Joseph hatte ein sehr präzises Zeitgefühl. Selbst im Schlaf schien seine innere Uhr minutengenau mitzulaufen. Wenn er nachts wach wurde, überlegte er nur kurz wie spät es sein könne und traf dabei die reale Zeit meist höchstens eine viertel Stunde davon abweichend. Auch wenn er sich vornahm zu einer bestimmten Zeit aufzustehen, benötigte er dazu keinen Wecker. Im Allgemeinen aber wachte er pünktlich um 6:30 auf. Auch diesmal musste ihn niemand wecken. Die ersten Gedanken an diesem Morgen verweilten bei dem irren Traum der vergangenen Nacht. Er war sich jetzt wirklich sicher, dies nur geträumt zu haben. Doch diese Einschätzung sollte nur kurz andauern. Wie jeden Morgen unmittelbar nach dem Aufstehen ging er kurz ans Fenster, um über den Petersplatz auf die erwachende Stadt zu sehen. Was er aber da unten sah, erinnerte ihn schlagartig an den vermeintlichen Traum der gestrigen Unterredung. Auf dem Petersplatz waren mindestens ein dutzend Übertragungswagen aufgefahren. Manche hatten bereits ihre Parabolspiegel aufgerichtet. Auch waren schon erheblich mehr Menschen auf dem Platz als sonst zu dieser frühen Stunde. Joseph wurde schlagartig bewusst, dass das in Träume verdrängte Zwiegespräch vom vergangenen Abend Realität war. Und auf seinem Nachttisch lag noch das Script, das er vorzulesen hatte. Der Text, den er vor sich sah, war inhaltlich für ihn selbst logisch und aufgrund seiner Einschätzung der vergangenen Nacht auch nachvollziehbar, doch in seiner Konsequenz ungeheuerlich. Er musste vor die gesamte Christenheit treten, und einen Unbekannten zu seinem Stellvertreter ernennen. Es würde ein Medienhype ausbrechen, wie es sie noch nie gegeben hatte. Aber da war er schon nicht mehr gefragt. Dies musste dann sein Nachfolger überstehen und er hatte keinen Zweifel, dass dieser damit fertig werden würde. Noch hatte er fast 3 Stunden Zeit, um sich in Gedanken auf diesen Moment vorzubereiten. Vielleicht sollte er den Text, den er vortragen sollte, noch mit eigenen Worten ergänzen. Joseph war noch im Nachthemd. Seine Kleider waren wie immer bereits am Abend zuvor an einem Kleiderständer im Badezimmer direkt neben seinem Schlafgemach vorbereitet worden. Der Tagesanbruch von Joseph begann auch trotz den turbulenten Ereignissen, die bevor standen sehr diszipliniert, immer nach dem gleichen Schema. Nach dem ausgiebigen Badbesuch ging es um 7:30 in die Privatkapelle. Hier hielt er ca. 30 Minuten eine persönliche Andacht und versuchte, sich wie immer vor wichtigen Ereignissen, in einer Art Zwiegespräch mit dem Kreuz an der Wand gedanklich auf die Aufgaben des Tages vorzubereiten. Heute war das anders. Er schaute zum Kreuz und wusste zunächst nicht wie er beginnen sollte. Mit wem hatte er sich Jahrzehntelang imaginär ausgetauscht? War das alles nur Mumpitz, hatte man ihm als Kind bereits das Gehirn und den gesunden Menschenverstand ausgetrieben? Nach dem, was er gestern Abend erfahren hatte, musste er das annehmen. Joseph senkte die Augen um nicht auf das Kreuz schauen zu müssen, schloss die Augen und versuchte sich selbst eine Antwort zu geben. Direkt neben seinem Schlafzimmer befand sich sein Schreib- oder besser Arbeitszimmer. Dort erledigte er seine Korrespondenz und schrieb auch seine Memoiren auf. Viel Zeit dazu, das wusste er auch, hatte er nicht mehr dafür. Als er das Zimmer betrat, saß auf seinem Stuhl vor dem Schreibtisch sein Gast von gestern Abend. „Ich hoffe, du hast einigermaßen gut geschlafen. Glaube mir, wenn du nicht mehr Papst bist, schläfst du noch weit besser“ Auch wenn es völlig ungewohnt war, Joseph störte das du inzwischen nicht mehr. Von dem Fremden ging eine derartige Selbstsicherheit und auch Überlegenheit aus, dass er sich dagegen gar nicht wehren wollte. Das Frühstück nahm Joseph zumeist in seinem Arbeitszimmer ein. Eine der Dienst habenden Schwestern brachte es ihm immer minutengenau, jeden Morgen exakt 8:15. Zwei Panini, an den faden Geschmack der italienischen Brötchen hatte er sich inzwischen gewöhnt. Dazu einen koffeinfreien Kaffee mit viel Milch, ein Stück Butter und - das wollte er kompromisslos immer dazu - selbst gemachte Marmelade aus Bayern. Er hatte da immer noch seine Verbindungen. Als das Frühstück hereingebracht wurde, stutzte die Schwester kurz, zu mehr traute sie sich nicht, einen Papst fragt man nichts. „Bringe uns bitte dasselbe noch einmal für meinen Gast!“, bat er sie. Der Papst wandte sich an seinen Gast: „Wie wollen Sie die Legitimation der Kardinäle denn gewinnen! Ohne die Anerkennung der Kardinäle wird es nicht gehen. Selbst die Kraft meines verblichenen Amtes genügt da nicht mehr“. „Schau“ begann sein Gegenüber, „Ich kenne alle Kardinäle weit besser als du. Ich kenne ihre kleineren und großen Schwächen und keiner dieser Herren möchte bloßgestellt werden. Nimm zum Beispiel den Kardinal von Chicago. Wenn ich mit ihm unter vier Augen spreche, so wie jetzt mit dir, dann bin ich überzeugt, dass er mindestens zehn weitere Kardinäle insoweit beeinflusst, dass sie notgedrungen auf meiner Seite stehen werden. Es wird einige Tage unruhig werden, aber. danach wird nichts mehr so sein wie es mal war und keiner der Kardinäle wird etwas dagegen tun können. Viele werden nicht mehr in ihrem Amt sein, einige werden sich vor Gericht verantworten müssen“ Der Dialog wurde durch heftiges Klopfen unterbrochen. Ohne auf ein „Herein“ zu warten ging die Tür auf. Der Camerlengo stürzte herein. „Heiliger Vater, wieso weiß ich nichts von der Generalaudienz, die Ihr nachher abhalten wollt? Die Presse weiß es schon seit gestern Abend. Der Petersplatz ist bereits mit tausenden Gläubigen besetzt und ständig strömen weitere Massen dazu. Man erwartet irgendetwas Besonderes von Eurer Heiligkeit“ „Lass nur, ich weiß schon Bescheid. Schau zu, dass du die Übertragungsanlage in Ordnung bringst!“. Der Camerlengo war völlig verwirrt. Alle bisherigen Auftritte auf dem berühmtesten Balkon der Welt waren bisher immer langfristig und bis ins Detail abgesprochen. Es wurde zwar selten am Redetext noch etwas verändert, aber jeder Satz den der Papst vortragen wollte, kannte der Camerlengo bereits vorher, Und jetzt dies! Keinerlei Information über Anlass oder Thema der so überraschend einberufenen Generalaudienz, und was sollte der Besuch beim Papst. Er hatte ihn nie vorher gesehen „Beeile dich, damit es keine Verzögerungen gibt“. Auch das waren Worte, die er sonst nie vom Papst gehört hatte. Der Camerlengo zog sich mit einem unterwürfigen Nicken zurück. Sie waren jetzt wieder allein. „Was wollen Sie überziehen, wie wollen Sie den Gläubigen entgegentreten? In unserem Kleiderarchiv sind hunderte verschiedenste Gewänder, eines prachtvoller als das andere. Es werden da genügend passende dabei sein“ „Sieh, Joseph, durch deine und auch der Bischöfe und Kardinäle getragenen Gewänder schafft ihr Distanz zu den Gläubigen. Ihr werdet da wie Popstars wahrgenommen. Jesus hätte sich nie durch eine extravagante Kleidung von seinen Aposteln oder gar vom Volk abgehoben. Sein Hervorheben war eine Botschaft. Oder was hat ein Petersdom mit dem Wirken von Jesu zu tun? Die Kirche hat den Dom doch nicht für Jesus bauen lassen, sondern sie wollte dadurch ihre Macht demonstrieren, genau wie ein Palast nur dem Imponiergehabe eines Fürsten oder Königs dient. Du lässt dich mit Sänften durch die Gegend tragen, winkst hinter Panzerglasscheiben den Gläubigen zu, du weißt überhaupt nicht mehr was in der normalen Welt derer, die du meinst zu vertreten, vor sich geht. Du bist umgeben von alten Männern und sollst wissen, was in jungen Köpfen vorgeht. Von Frauen weißt du nur, dass du keine bist. Du trägst teure Designerschuhe, dabei solltest du barfuß gehen, dann bräuchtest du dich nicht hinter Bodyguards und gepanzerten Glasscheiben verstecken“ Joseph kannte das nicht, dass ihn jemand so direkt kritisierte. Aber er erinnerte sich daran, dass er ähnlich dachte, aber das war schon sehr, sehr lange her. Inzwischen rückte der Zeiger der Standuhr immer näher gegen 10 Uhr. Joseph überlas nochmal den Text, den er vorzulesen hatte, als der Camerlengo wieder hereinkam. „Seine Heiligkeit, es ist alles wie Ihr angeordnet habt. Der Balkon ist bereit. Wer sollte Euch noch begleiten?“ „Es reicht, wenn Sie mit dabei sind. Mein Gast wird ebenfalls mit dabei sein“ Der Camerlengo war sprachlos. Es war ungeheuerlich. In wenigen Minuten sollte der Papst auf den Balkon treten, eine Rede halten, von der niemand wusste warum, er hatte keine Ahnung um was es dabei geht, begleitet wohl von einem jungen Priester oder Pater, der offensichtlich mehr wusste als der gesamte Hofstaat des Vatikans
Kapitel 18. Sam Berklin war vorher noch nie auf dem Petersplatz gewesen. Er war überwältigt. Von der Atmosphäre, der Weite des Platzes, mit der Front des Petersdoms und den außen herum gruppierten päpstlichen Gemächern. Wer auch hier immer eine Rede hörte, im Zusammenspiel mit diesem Ort gewann das auch immer hier Gesagte ungemein an Überzeugungskraft. Er hatte seine Kamera auf einem massiven Stativ befestigt und richtet das Objektiv auf die Benediktionsloggia. Dort erwartete er, dass irgendwas passierte. Was das mit seinem ominösen Auftraggeber zu tun hatte, war ihm absolut ohne jegliche Spur von Ahnung. Trotzdem musste es mit ihm zu tun haben. Dann ging sie auf, die Tür des Balkons des Arbeitszimmers des Papstes. Im Teleobjektiv beobachtete Sam Berklin was sich dort oben tat. Der Papst trat vor an das Mikrofon. Entgegen den bisherigen Reden des Papstes, der sonst immer von mehreren Vertrauten wie dem Camerlengo oder einigen Kardinälen begleitet wurde, war diesmal neben dem Camerlengo nur ein einziger Begleiter mit auf dem Balkon, der sich aber etwas unauffällig im Hintergrund aufhielt. Sam Berklin versuchte das Gesicht zu erkennen. Er hatte es irgendwie geahnt. Den Mann im Hintergrund kannte er. Es war sein Auftraggeber! Auf dem Petersplatz wurde es nach einem kurzen Raunen ganz still. Der Papst begann zu sprechen. Sam Berklin konnte genug italienisch um zu verstehen, was der Papst sagte. Nach dem üblichen „Friede sei mit Euch“ schloss er wieder beide Arme und trat einen Schritt näher ans Mikrophon. „Sicherlich seid Ihr überrascht über die so kurzfristig angekündigte Ansprache von meiner Seite, aber es gibt eine sehr wichtige Botschaft an Euch alle. Ihr werdet Zeugen von einem einmaligen Vorgang in der nun über zweitausend jährigen Geschichte unserer Kirche. Zum ersten Mal wird heute ein amtierender Papst kraft seiner unangefochtenen Autorität sein Amt direkt einem Nachfolger übergeben“ Jetzt war es auf dem Petersplatz noch stiller geworden. Nur die Blitzlichter zuckten unaufhörlich in Richtung des Balkons. Man wartete hochgespannt darauf, was der Papst noch weiter zu sagen hatte. „Die Entscheidung dies zu tun ist mir leicht gefallen, denn seit unserem Petrus gab es keinen würdigeren Nachfolger auf dem Heiligen Stuhl als dieser Mann hinter mir. Ich sage dies aus tiefer Überzeugungskraft und einem ungetrübten Urteilsvermögen. Gott wird mein Zeuge sein. Ab jetzt wird ein neuer Papst die Geschicke unserer Kirche lenken. Vertraut bitte meiner Urteilsfähigkeit“ Der Papst segnete noch die ungläubig staunende Menge auf dem Petersplatz und zog sich dann in den hinteren Bereich des Balkons zurück. Immer noch war der Balkon, auf dem bestimmt ein Dutzend Würdenträger mehr Platz gefunden hätte, nur vom Papst, dem Camerlengo und dem jetzt nach vorne tretenden Mann besetzt. Sam Berklin hatte jetzt dessen Gesicht scharf abgebildet in seinem Teleobjektiv eingefangen. Kein Zweifel mehr, das war er. Er war unauffällig gekleidet. Ein dunkelgraues Collarhemd, nichts deutete auf eine besondere Kleidung hin. Das kann nicht der neue Papst sein! Die Schärfe nachregelnd blieb das anvisierte Gesicht weiterhin im Focus der Kamera. Der Mann begann nun auf italienisch zu reden. Die Stimme war klar und durchdringend, anders wie das etwas Näselnde von vorher „Mein Dank gilt zunächst meinem Vorgänger. Ihr alle habt bestimmt nicht damit gerechnet, dass sich heute ein neuer Papst hier auf dem Balkon befindet. Dazu noch einer, der überhaupt nicht dem entspricht, was man bisher mit dem äußeren Auftreten eines Papstes verbindet. Ich bin noch einige Jahrzehnte weg von dem üblichen Papstalter, meine Kleidung ist der eines Papstes ungewohnt, keiner kennt meinen Hintergrund. Vorstellen möchte ich mich mit dem von mir ausgewählten Namen:" "Ich werde mich Jesus der Zweite nennen!“ Wenn es vorher auf dem Petersplatz schon still gewesen war, dann war es zunächst atemlos ruhig, dann aber nach einigen endlosen Sekunden begann ein zunehmendes Raunen, kein Beifall, kein Klatschen, auch keine Missfallensrufe. Der neue Papst hob kurz beide Hände nach vorne. Die Menge hatte sofort verstanden und beruhigte sich schlagartig „Für einige mag das nach Blasphemie, nach Anmaßung klingen, aber für mich ist es die Herausforderung, es Jesus gleich zu tun. Dies ist in der heutigen Zeit mehr denn je notwendig. Sowohl unsere Glaubensgemeinschaft, als auch der Gesamtzustand der Menschheit ist an einem Scheidepunkt angekommen. Demnächst werden auf unserem Planeten 8 Milliarden Menschen leben müssen. Davon sind über eine Milliarde katholische Christen. Unser Beitrag zu den Problemen, die jetzt sofort gelöst werden müssen, wie z.B. der Hunger von hunderten von Millionen Menschen, einer beispiellosen fast unumkehrbaren Umweltzerstörung, war eher kontraproduktiv. Unsere Positionen, die wir vertraten haben die Probleme eher noch verschlimmert. Eine übliche Neuwahl eines Papstes hätte nur die Fortführung der bisherigen Kirchenpolitik bedeutet. Deswegen ist eine Neuausrichtung unserer Kirche nur mit einer völlig neuen Führung möglich. Deshalb wird es auch meine Aufgabe sein, unser Gewicht von über einer Milliarde Christen weltweit bei den anstehenden notwendigen Veränderungen in die Waagschale zu werfen. Dabei bin ich auf die Mithilfe von euch allen angewiesen. Es wird dabei zu völlig überraschenden unkonventionellen Maßnahmen kommen müssen. Am Ende wird aber ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte geschrieben worden sein und ihr werdet dabei eine Hauptrolle gespielt haben. Wenn ihr jetzt nach Hause geht, dann gibt es keinen Grund zu beten. Beten heißt nämlich passiv darauf zu hoffen, dass es jemand anderes richtet als ihr selbst. Erwartet eher, dass ihr demnächst aktiv gefordert seid, einen vielleicht schmerzhaften Beitrag bei der Umgestaltung eurer bisherigen Lebensumstände zu leisten. Kein Gott kann den Hunger in der Welt bekämpfen, kein Gott ist in der Lage Kriege zu verhindern, kein Gott kann unsere desaströse Wirtschaftsordnung bändigen. Das alles können nur Menschen tun. Und dazu werde ich zusammen mit Euch meinen Beitrag leisten. Und, fragt nicht nach, woher ich komme, was ich bisher getan habe, sondern messt mich an dem, was ich in Zukunft tue“ „Gehet in Frieden“, das waren seine letzten Worte. Keine großen Gesten, keinen Segen in zig-Sprachen, nur ein kurzes Kopfnicken, dann zog sich der neue Papst vom Balkon zurück. Die versammelte Menge auf dem Petersplatz, der sich inzwischen weiter gefüllt hatte, begann jetzt zu reagieren. Erst eher zaghaft, dann wie ein Tsunami sich immer mehr steigernd, überwogen immer mehr die Beifallsbekundungen. Solche Worte hatte man sich immer gewünscht. Keine verklausulierten Verrenkungen über den Zustand der Kirche, kein Verdrängen des weltweit immer mehr zunehmenden Krisenpotentials, sondern ein klares An- und Aussprechen dieser Probleme. Und dazu noch Ankündigungen, dass man dagegen was tun kann und dass man als gläubiger Christ jetzt gefordert ist. Es war allgegenwärtig zu spüren, hier und eben begann etwas ganz Neues seinen Anfang zu nehmen. Das Umfeld des bisherigen Papstes war konsterniert. Innerhalb weniger Minuten hatten sie einem neuen Herren zu dienen. Zudem kam noch der Umstand, dass dieser nicht von den Kardinälen in einer Konklave gewählt, sondern direkt vom eben zurückgetretenen Papst ernannt worden war. Niemand kannte diesen jungen Mann, der so gar nicht in das Klischee Papst passte. So war es nicht verwunderlich, dass niemand etwas sagte, als der neue Papst wieder in sein Arbeitszimmer zurückkam. Da standen sie, der Camerlengo, der bisherige Privatsekretär und engster Vertrauter, 2 Köchinnen, eine Zimmerfrau, dazu noch mehrere Kardinäle, welche sich gerade in Rom aufhielten, und wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. „Seine Heiligkeit“ begann der Camerlengo. Der Papst unterbrach in sofort, „Jesus genügt“ um dann weiter zu den Köchinnen zu sagen: „Deckt für alle gemeinsam den Tisch, wir essen zusammen und sollten uns dabei näher kennenlernen. Macht, was ihr gerade da habt“. Das Eis war damit gebrochen, weil jeder dann damit zu tun hatte, das alles vorzubereiten. Stühle wurden herbeigeschafft und man rieb sich die Augen, dass dieser neue Papst auch Hand dabei anlegte. Keine abgehobene Heiligkeit, sondern ein Mensch. Da konnten auch die Kardinäle nicht tatenlos dabei stehen. Rasch war eine Tafel für etwa 10 Personen zusammengestellt. Das hatte es bis jetzt noch nicht gegeben, dass spontan eine Essensrunde von einem Papst organisiert wurde und der auch noch die beiden Köchinnen mit an den Tisch bat. Die servierte Minestrone war gleich zubereitet, dazu wurden einige Brotkörbe mit Weißbrot, 2 Flaschen Rotwein sowie Mineralwasser auf den Tisch gestellt. Alle warteten auf ein Tischgebet des Papstes, aber da kam nur das profane „guten Appetit“ Es war eine kuriose Tischrunde. Noch gestern wäre dies absolut unmöglich gewesen. Ein Papst sitzt zusammen mit einigen Vertrauten und dem Personal an einem Tisch und schlürft Minestrone. Aber jetzt war es so und es wurde sogar eine vergnügliche Runde. Der gerade zum neuen Papst Aufgerufene, sich auch noch Jesus II. nennende, saß neben dem Zimmermädchen, war völlig unbefangen, fragte nach der Familie, ob sie einen Freund hätte, lauter normale Dinge. Aber eben nicht für einen Papst. Auch die beiden zunächst sehr reservierten Kardinäle beteiligten sich zunehmend an den inzwischen ganz lockeren Tischgesprächen, wo jeder mit jedem redete. Nach dem Essen ging Jesus II auf den ehemaligen Privatsekretär des gerade zurückgetretenen Papstes zu und bat ihn in sein Arbeitszimmer. „Pater, ich möchte, dass Sie zunächst auch mir zur Seite stehen. Ich kann Ihnen versichern, es wird keine Stunde langweilig werden. Versuchen Sie bitte innerhalb einer Woche sämtliche Kardinäle in den Vatikan einzuladen. Die meisten werden sich doch über die Umstände meiner Ernennung etwas übergangen fühlen“
Kapitel 19. Die nächsten Tage waren im Vatikan besonders ruhig. Überraschend ruhig. Denn obwohl alle Zeitungen und Fernsehanstalten der Welt Teams nach Rom schickten, bekam niemand den neuen Papst zu Gesicht. Und doch verließ der neue Papst täglich den Vatikan. Mal im Laderaum des Lieferwagens der Gärtnerei, mal im Wäschetransporter. Irgendwo in der Innenstadt ließ er sich dann absetzen und am Nachmittag an abgesprochen Plätzen wieder abholen. Die Fahrer waren zur Verschwiegenheit verdonnerte Schweizer Gardesoldaten. In der Zwischenzeit bummelte Jesus II. in einfacher Priestermontur durch die Straßen Roms, sprach mit Marktfrauen, Kellern, Touristen. Niemand erkannte ihn dabei. Obwohl sämtliche Zeitungen mit dem Konterfei des Papstes ihre Titelseiten groß aufmachten, niemand konnte sich vorstellen, dass ein Papst in Rom so einfach spazieren geht. Und junge gut aussehende Priester liefen in Rom zu hunderten umher. Jesus II. wollte sich einfach ein Bild von den Menschen in Rom machen, was sie bewegte, beschäftigte, wie sie über ihren Alltag dachten, an was sie glaubten, was sie von der Kirche hielten. Die Kardinäle wollten natürlich kommen, auch ohne Einladung. Für sie war die Ernennung dieses Papstes ein Putsch. Sie wussten nicht wie alles ablief, aber da musste einfach etwas gelaufen sein, was nicht in Ordnung war. Deswegen folgten alle der Einladung bis auf 7 Kardinäle, welche akut erkrankt waren. Das waren immerhin 185 Kardinäle. Die meisten kamen schon nach wenigen Tagen und hatten viel Zeit, sich untereinander abzustimmen, zu rätseln warum man sie eingeladen hat, zu spekulieren was der neue Papst zu sagen hat. Aber vor allem wollten sie Auskunft über den Hintergrund des spektakulären Papstwechsels. Untergebracht waren die Kardinäle im Gästehaus Santa Marta, genauso als wäre eine Konklave einberufen. Dort waren sie wirklich angemessen unterbracht. Zum Essen mussten sie in das Haus Santa Clara, was nur wenige Meter daneben lag. Bereits nach 6 Tagen waren sämtliche Kardinäle, welche man erwartet hatte, in Rom eingetroffen. In ihren Zimmern wurden die Einladungen zu einem Treffen mit dem neuen Papst auf den Schreibtischen platziert. Das Treffen war für den Sonntag 10:00 in der Sixtinischen Kapelle vorgesehen. Die Spannung unter den Kardinälen stieg davor von Stunde zu Stunde. Zudem hatte niemand mit dem Papst vorher irgendwelchen Kontakt gehabt. Die Stimmung der Kardinäle, die sich ja jetzt vor dem bevorstehenden Treffen untereinander austauschten konnten und dies auch ausgiebig taten, war geladen. Die meisten der Kardinäle verurteilten die Art der Ausrufung des neuen Papstes ganz massiv. Sie hatten auch vor, diese Entscheidung nicht zu akzeptieren und wollten eine Konklave mit ordnungsgemäßem Ablauf fordern. Letztendlich waren aber alle hochgespannt auf diese erstmalige Zusammenkunft. Zum vereinbarten Zeitpunkt hatten alle der angereisten Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle Platz genommen. Es waren Stuhlreihen aufgestellt, davor stand ein kleines Stehpult, dahinter eine aufgebaute Leinwand. Ein ungewöhnliches Szenario für diesen geschichtsträchtigen Ort. Der Papst erschien pünktlich, begab sich an das Pult und begann die Kardinäle zu begrüßen: „Ich weiß, Ihr seid alle sehr skeptisch was meine Ernennung betrifft, aber besondere Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. In einer Zeit, in der unsere Kirche ständig an Ansehen verliert und zudem die gesamte Menschheit vor kaum mehr lösbaren Problemen steht, wäre die übliche Neuwahl eines Papstes ein nicht zu akzeptierendes „Weiter so“ gewesen. Keiner von Euch, der gewählt worden wäre, hätte den Mut gehabt, die dringend anstehenden Entscheidungen zu fällen. Jahrzehntelang, teilweise noch länger, scheut ihr euch die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist und habt euch dadurch von denen entfremdet, welche ihr angebt zu lieben. Deshalb werde ich bereits morgen einige Entscheidungen in einer Pressekonferenz abgeben, welche schon lange überfällig sind. Als erstes werde ich das Zölibat ohne Wenn und Aber mit sofortiger Wirkung abschaffen“ Die bislang regungslos da sitzenden Kardinäle wurden unruhig, bevor sie aber protestieren konnten, fuhr Jesus II fort: „Auch werden ab sofort Frauen genau die gleichen Rechte und Möglichkeiten in unserer Kirche haben wie Ihr alle“ Jetzt gab es kein Halten mehr unter den Kardinälen. Die sonst so zurückhaltenden ehrwürdigen Herren waren nicht mehr wieder zu erkennen. Sie schrien durcheinander, fuchtelten wild mit den Armen. Fast meinte man, sie wollten das Pult erstürmen. Da ging das Licht aus und die Leinwand erhellte sich, wodurch sich die Szene wieder beruhigte. Auf der Leinwand erschienen zunächst nur einige Namen. „Anne G. Taylor, Peter & Tom G.“ So nach und nach füllte sich die Leinwand mit Namen, Zahlen, Stichwörtern, bis die ganze Fläche voll mit diesen eigentlich zusammenhanglosen Ansammlungen von allerlei Buchstaben und Zahlenkolonnen ausgefüllt war „Kto. 123 678 235, Blz. 525 300 205, Club 69 S.V., Brillantmont Internat, 500€ mtl. an Karen G. Kto. 245 267 892, BVI., Tube 8, Auch waren Bilder zu sehen, Frauen, einige sogar nackt, Kinder, Frauen mit Kindern. Diese scheinbar zusammenhanglosen Einblendungen wären für Außenstehende unverständlich gewesen, aber für einen Teil der Anwesenden war es eine Entlarvung. Je mehr von diesen Informationsfragmenten auf der Leinwand erschienen, desto ruhiger wurde es auf den Plätzen, bis es mucksmäuschenstill war. Dann ging wieder das Licht an. Niemand sagte etwas, minutenlang. Dann ergriff Jesus II wieder das Wort: „Was muss das für eine Religion sein, deren höchste Repräsentanten ihre Frauen, die sie lieben, verleugnen, ihren Kindern verheimlichen, dass sie ihre Väter sind, ihr Geld heimlich auf Schwarzkonten schieben. Jesus kann auch nie gewollt haben, dass wir Frauen als Menschen zweiter Klasse ansehen. Was seid Ihr für scheinheilige Christen, die Ihr Anderes predigt als Ihr es selbst zu tun pflegt. Auch werde ich morgen in der Pressekonferenz unverzüglich dieses unsägliche Kondomverbot zurücknehmen. Wie könnt Ihr die Verantwortung für abertausende Aidsopfer auf euch nehmen! Und noch etwas: Und dabei fixierte er ein Augenpaar auf den hinteren Sitzreihen. „Mache ihr noch heute, auf welchem Weg auch immer, einen Heiratsantrag, damit euer Baby wenigstens einen legitimen Vater bekommt. Ich mache dabei gerne den Trauzeugen“ "Wer dieses alles nicht mittragen kann, der solle sein Amt niederlegen. Ihr anderen, die Ihr versteht, dass diese Einschnitte schon lange überfällig und auch notwendig sind, und den neuen Weg mitgestalten wollen, denen sag ich: „Es wird nicht die letzte durchgreifende Änderung sein, die Ihr erleben werdet. Wir sind über eine Milliarde, die an das Wort Jesu glauben und wir werden zusammen dafür sorgen, dass dies auch gehört wird“. Damit war in wenigen Sätzen alles Bisherige, womit die Kirche ihre Gläubigen reglementierte, hinweggefegt. Auf den Bänken wo die Kardinäle saßen, war es immer noch absolut ruhig. Sie hatten alle den neuen Papst unterschätzt. Selbst diejenigen, die sich nicht auf den aufgelisteten Kürzeln wiederfanden, wussten, dass ein Großteil ihrer Kardinalskollegen soeben enttarnt wurden und schweigen mussten. Damit schloss Jesus II. seine Ausführungen und ließ die Kardinäle alleine. Diese waren geschockt, konsterniert, unfähig sich zu artikulieren. Einer nach dem anderen verließ die Sixtinische Kapelle. Niemand sprach mit seinem Nebenmann, jeder machte sich so seine eigenen Gedanken. Zwar sprach es niemand aus, aber jeder wusste, dieser Papst war anders, völlig anders als sie erwartet hatten. Und das war wohl erst der Anfang
Kapitel 20. In der Öffentlichkeit war das alles nicht bekannt. Man hatte den Eindruck, es wäre Ruhe eingekehrt. Es gab zwar einige unbestätigte Gerüchte, dass des Öfteren große Luxuslimousinen mit abgedunkelten Scheiben in den Hof des Vatikans einfuhren, aber Details oder gar Personenbeschreibungen gab es keine. Ansonsten gab es keine Meldungen über irgendwelche Aktivitäten des neuen Papstes. Zumindest dachten das die vielen Reporter, die so nach und nach Rom verließen. Sam Berklin dachte auch daran wieder abzureisen, doch einen Tag vor seiner geplanten Abreise fand er eine Nachricht auf seiner Mailbox, die ihn aufforderte noch zu bleiben, unterzeichnet mit Jesus II. Dass nichts geschah, war nicht ganz richtig. Einige hundert Personen weltweit bekamen Post vom Vatikan. Jeder Einzelne erhielt einen individuellen Brief aus dem hervorging, dass der Vatikan sehr gut über den jeweiligen Adressaten Bescheid wusste. Jeder dieser Briefempfänger war nach dem Lesen des beiliegenden Schreibens hoch besorgt. Beispielsweise erhielt ein als sehr erfolgreich bekannter Manager einen Brief mit dem Inhalt: „Sie sind schon seit Kindesjahren nach außen hin ein praktizierender Christ. Sie haben alle Sakramente empfangen, gehen sonntags regelmäßig zur Kirche und spenden auch mal etwas in die Kollekte. Ihr Vermögen beträgt ungefähr 120 Mill. Dollar. Dieses Vermögen haben Sie erworben, in dem Sie Waffen in eigentlich als Kriegsgebiete bekannte Regionen liefern. Dabei umgehen Sie geschickt bestehende Gesetze. Dies ist nicht mit Ihrem Glauben vereinbar und natürlich auch nicht im Sinne unserer Kirche. Sollten Sie weiter Mitglied unseres Kirche sein wollen, dann erwarten wir von Ihnen, dass Sie nachweislich innerhalb der nächsten 4 Wochen 119 Mill. Dollar an gemeinnützige Organisationen spenden und in Zukunft keinerlei Geschäfte dieser Art betreiben. Sollten Sie dies nicht tun, so werden Sie unverzüglich aus unserer Kirche ausgeschlossen. Der Ausschluss aus der Kirche wird von unserer Seite mit Angaben von Gründen öffentlich gemacht werden“ Diese Art Mitteilung erhielten u.a. auch prominente Politiker bis hoch zu Regierungsmitgliedern, welche nach Meinung des Vatikans sich in ihrem Handeln nicht an der christlichen Lehre orientierten. Nicht nur Prominente waren darunter, sondern auch diejenigen, welche lieber in der Öffentlichkeit eher unerkannt bleiben wollten. Das reichte von Finanzspekulanten welche mit Lebensmittelpreisänderungen zockten, über Firmeninhaber deren Geschäftsmodell auf Basis von Niedrigstlohnempfängern basierte, bis zu Führern von Mafia Clans. Alle diese waren eifrige Kirchgänger und ihrem Umfeld als Vorzeigechristen bekannt. Diesen allen drohte jetzt die Enttarnung. Nur durch eine individuelle Spende und Aufgabe ihres Unwesens konnten sie sich eine öffentliche Blamage ersparen. Da dies keine leeren Drohungen waren, ergab sich. aus den stimmigen Einzelheiten der jeweiligen Botschaften. Es war also alles andere als Routine in der katholischen Kirche eingetreten
Kapitel 21. Um seine Kardinäle besser kennenzulernen, lud er diese zu passenden Gelegenheiten zu einem gemeinsamen Essen ein. Das galt vor allem für die italienischen Kardinäle oder auch für diejenigen, welche sich gerade in Rom aufhielten. Am interessantesten waren jene, von denen bekannt war, dass sie mit der Amtsführung des amtierenden Papstes unzufrieden waren. So lud er eines Tages den Kardinal von Mailand ein. Dieser hatte in vertraulichen Zirkeln die Meinung geäußert, dass in der Geschichte der Kirche unkonventionelle oder auch unbequeme Päpste selten alt wurden. Entweder wurde sie erschlagen, manche grausam gefoltert oder meist vergiftet. Einige Tage bevor dieses gemeinsame Essen stattfinden sollte, wurde der Koch des Vatikans krank. Durchfall, so dass ein Ersatz gefunden werden musste. Dies war kein Problem. Aus dem Umfeld des Küchenpersonals kamen Hinweise für einen Ersatz für die wenigen Tage. Am Tage der Einladung kochte also ein bislang nicht direkt im Vatikan beschäftigter Koch. Auch wenn der Papst einen Kardinal zum Essen einlud, gab es deswegen kein opulentes Mehrgangmenü. Bodenständige Hausmannskost war angesagt. Als Vorspeise eine Suppe, danach wurden Kohlrouladen mit Kartoffeln serviert. Als Nachtisch gab es eine Art Pudding mit eingelegten Kirschen darüber. Als weiterer Gast war noch der Camerlengo des Papstes anwesend. Das gemeinsame Essen verlief eigentlich ganz harmonisch. Das lag daran, dass beide Seiten, sowohl der Papst, als auch der Kardinal strittige Themen vermieden. Nach dem Hauptgang brachte seine vertraute Haushälterin drei Gläser mit dem Dessert und stellte diese auf den jeweiligen Platz. Kaum standen die drei Gläser auf ihren Plätzen, griff der Papst in seine Tasche, kramte ein 10 Cent Stück heraus und stellte darauf sein Dessertglas. Da dieses auf der der Unterseite leicht konkav war, verschwand das Geldstück und das Glas stand bündig auf dem Tisch. „Ja“, sagte der Papst, „Immer, wenn ich drei Gläser oder Becher sehe, erinnere ich mich an meine Kindheit“. Schnell ergriff der Papst die beiden anderen Gläser und stellte die drei in eine Reihe. „Kennt ihr das Hütchen Spiel?“. Wenn nicht, dann passt auf! Ich werde jetzt die drei Gläser mehrfach hin und her schieben, und ihr sollt erraten, unter welchem Glas meine 10 Cent liegen“. Bevor jemand etwas erwidern konnte, schob der Papst die Gläser mehrfach hin und her, vor und zurück. Nach vielleicht 10 bis 15 Sekunden hielt er inne und fragte: „Wo ist jetzt mein Geldstück?“ Offenbar hatten die beiden Tischgäste des Papstes gut aufgepasst und deuteten beide auf ein bestimmtes Glas. Der Papst hielt dies hoch. Tatsächlich war darunter das 10 Cent Stück. “Sehr gut aufgepasst, als Kind war ich halt doch noch schneller im „Hütchen mischen“ Der Papst nahm sich wieder sein Glas und verteilte die beiden anderen an seine Tischgäste. Ein ungewöhnliches Spiel für einen Erwachsenen, dachte sich der Camerlengo, aber er hatte mit dem neuen Papst schon einige Besonderheiten erlebt, so dass er sich kaum noch wunderte. Bei weiter belanglosem Gespräch löffelten sie ihren Nachtisch. Als die Gläser fast leer waren, brachte der Papst wieder das Gespräch auf das Hütchenspiel. „Es gibt da übrigens einen Trick, den ihr gleich erkennen könnt. Löffelt mal bis zum Grund eures Glases!“. Beide kratzen mit ihrem Löffel den Boden ihres Glases frei um zu entdecken, dass auch unter ihren Gläsern ein 10 Cent Stück lag „Ihr seht, ich kann's immer noch. Das konnte ich schon als kleiner Bube und habe mir damit damals einiges Kleingeld ergaunern können. Der Camerlengo lachte kurz auf, der Kardinal aber wurde ganz bleich. Der Papst fragte auch gleich nach: „Ist Ihnen nicht wohl?“. Der Kardinal antwortete bereits nicht mehr. Offenbar hatte er massive gesundheitliche Beeinträchtigungen. Die letzten Worte, die er verstand war die Feststellung des Papstes. „Oh, Sie haben dann doch wohl vom falschen Glas gegessen!“. Dann fiel der Kardinal vom Stuhl und nach einigen Zuckungen erlosch sein Leben
Kapitel 22. Der alljährliche G20-Gipfel sollte in diesem Jahr in Rom stattfinden. Doch wegen der zu erwartenden Proteste und einer Sicherheitslage, welche den Einsatz der Armee notwendig gemacht hätte, war man auf Ponza ausgewichen. Eine kleine Insel südlich von Rom gelegen. Dort gab es genügend exklusive Hotels mit Tagungsräumen und die Insel war relativ einfach von der Öffentlichkeit abzuriegeln. Die Themen der diesjährigen Zusammenkunft war zum einen die globale Klimaerwärmung und nicht weniger wichtig, die weltweite Ernährungssituation. Die Dauer des Treffens war auf drei Tage angesetzt. Sie waren alle dabei, die Präsidenten, Regierungschefs, Staatspräsidenten, Ministerpräsidenten, Premierminister, Kanzler und Kanzlerinnen. Alle mit vielköpfiger Assistenz, Beratern und Hofschranzen, Souffleure und Bodyguards. Man tat sich wie immer sehr schwer in der Beurteilung der Ausgangslage und daraus mögliche, für alle verbindlich geltende Maßnahmen. Die Chinesen wollten z.B. erst ihre Treibhausgase reduzieren, wenn der auf pro-Kopf berechnete CO2-Ausstoss der US- Bürger auf dem Niveau eines Chinesen reduziert würde. Die Japaner machten weit reichende Vorschläge zur Einschränkung des CO2-Ausstosses von Kraftfahrzeugen. Sie hatten einen erheblichen Vorsprung in der alternativen Motortechnik erreicht und wollten somit ihre Marktchancen verbessern. Die deutsche Delegation war vehement gegen diesen Vorstoß. So gab es wie immer bei solchen Treffen zwar einige brauchbare Vorschläge, welche aber sofort von einer Gegenseite blockiert wurden. Nach drei Tagen hatte man viel palavert, aber nichts Konkretes beschließen können. Das war ein Problem, aber eigentlich nur intern. Man musste nur ein diplomatisch konstruiertes Statement abgeben, das einen Scheindurchbruch nach außen signalisierte, bei dem nur einige wenige Punkte noch offen waren. So ging man mit aufgesetzt stolzer Brust in eine Pressekonferenz und verkündete den großen Durchbruch, ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Dies hinge nur noch von einigen wenigen noch offenen Fragen ab, die rasch in einem Faktencheck zu klären seien. Ein Expertenteam sollte noch die letzten Details klären. Das wäre aber nur noch Formsache. Der G20-Gipfel ging damit, wie alle Treffen vorher, in erleichtertem Wohlklang zu Ende. Man konnte sich wieder Zuhause sehen lassen. Man hatte nichts versprochen, was einem die Wahlchancen verhageln könnte. Jetzt konnte man sich auf den Höhepunkt des Treffens freuen. Der neue Papst hatte eingeladen zu einer exklusiven Vatikanführung. Alle waren gespannt auf diesen neuen Papst, dessen Amtsübernahme für so viel Furore gesorgt hatte. Den Weg von Insel zum Festland legte man mit dem Hubschrauber zurück. Es flogen nur die Staatsoberhäupter mit. Man hatte mit dem Vatikan und den. Sicherheitsverantwortlichen abgesprochen, dass der Besuch vor der Öffentlichkeit verborgen stattfinden sollte. Im Vatikan selbst sollte dann die Schweizer Garde die Sicherheit gewährleisten. Am Festland wartete ein Bus mit abgedunkelten Fenstern und es ging nur mit zwei diskreten Begleitfahrzeugen in die Heilige Stadt bis hinein in den Vatikan. Dort hatte man vorsorglich einige Gebäude für den Besuch von Touristen gesperrt und dies mit Renovierungsarbeiten begründet. Unter andere war auch die Sixtinische Kapelle nicht öffentlich zugänglich. Die Fahrt nach Rom in einem Omnibus war für Gipfelteilnehmer ein Novum. Endlich keine Fotografen, keine Paparazzi, keine Bodyguards. Die meisten waren seit ihren Kindheitstagen nicht mehr mit einem Bus gefahren und es war eine wohltuende Abwechslung nach dem Verhandlungsmarathon auf Ponza. Der Bus war ja nicht vollständig besetzt. Ungefähr 50 Sitzplätze für 20 Insassen, da waren vor allem im hinteren Teil des Busses einige Sitzbänke frei. Auf einem dieser Sitzreihen saßen die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Ministerpräsident direkt nebeneinander. Der Fahrer sah im Rückspiegel, dass die beiden miteinander tuschelten. Die Stimmung stieg, je näher man sich Rom näherte. Als dann noch der US-Präsident einige bis dato unbekannte offensichtlich abgehörte Telefonmitschnitte des früheren italienischen Ministerpräsidenten zum Besten gab, glich das Businnere dem eines Klassenausfluges eines Abiturjahrgangs nach dem Feiern des bestandenen Abis. In solch aufgelockerter Stimmung fuhr der Bus in einen abgeriegelten Hof des Vatikans, wo er auch schon erwartet wurde. Nachdem alle ausgestiegen waren, sahen sie sich um. Auf der rechten Seite sahen sie die Nordseite des Petersdoms aufragen. Zu ihrer Linken war eine parkähnliche Grünanlage. Sie wurden erwartet. Es war der Papst selbst, der sie empfing. Er entsprach in seinem Aussehen und in seiner unauffälligen Kleidung dem, was man von ihm berichtete. Kein mit großen bunten Gewändern behängter Greis. Gemessen an den Papstklischees ein völlig anderes Bild. Noch relativ jung, höchstens vierzig, angenehme, gewinnende Gesichtszüge. Er ging auf die Gruppe mit ausgebreiteten Armen zu und begrüßte jeden einzelnen von ihnen in seiner jeweiligen Landessprache, ohne Akzent, perfekt in Grammatik. Damit überraschte er alle, baute sofort Distanz ab und schuf eine positive Atmosphäre. Nachdem er alle begrüßt hatte, bat er um Aufmerksamkeit und hielt eine kurze Begrüßungsrede. Er freue sich, dass er einen solch erlesenen Besuch habe und verkündete, dass er ihnen allen einen unvergesslichen Tag bereiten würde. Zunächst wolle er gemeinsam mit ihnen die Sixtinische Kapelle aufsuchen. Er bat die Gruppe der Staatshäupter ihm zu folgen. Sie gingen vom Bus aus wenige Meter auf einem kleinen Weg zu einem Nebeneingang, der direkt in die Sixtinische Kapelle führte. Der Eindruck derjenigen, welche dieses Prachtwerk noch nie gesehen hatten, war überwältigend. Und das von Besuchern, die in ihren Heimatländern teilweise in Palästen wohnten. Die Wand- und Deckengemälde waren in ihrer Farbwirkung, ihrer Perspektive unvergleichlich. Der Papst, jetzt als hoch kompetenter Fremdenführer, erklärte die verschiedenen Motive, gab Informationen über Michelangelo, der dieses Werk noch in hohem Alter schuf. Dabei wechselte er ständig die Sprache, je nachdem welche Nationalität das Staatsoberhaupt hatte, das ihm gerade am nächsten stand. Die Ausführungen des Papstes wurden von den illustren Besuchern als sehr spannend und informativ empfunden. Man merkte dies an den vielen Zwischenfragen, die man ihm stellte. Er ging auch auf die jahrhundertelange Geschichte der Kapelle ein. Auffällig für die Besucher war die Innenausstattung der Kapelle. Man erwartete in einem Gotteshaus katholischer Prägung in Reihen angeordnete Sitzbänke mit harten Brettern zum Knien, so dass manch älterer Kirchgänger bedauerte ein Christ zu sein. Aber hier war es völlig anders. Statt Bänke zum Sitzen und Knien waren im vorderen Teil der Kapelle spanische Wände aufgestellt. Dahinter sah man Schreibtische mit aufgestellten Computerbildschirmen. Zwischen den Stellwänden sah man vereinzelt Köpfe bei der Arbeit vor den Bildschirmen. Eigenartig, dachten einige der illustren Besucher. Vielleicht Kunststudenten, vielleicht Historiker, welche hier ihre Studien direkt vor Ort fest hielten. Der Papst hob jetzt seine Stimme etwas an und bewirkte dadurch größerer Aufmerksamkeit in der Runde. „Diejenigen unter Euch, die dem Christentum nahe stehen, brauche ich wohl nicht zu erklären, welche besondere wieder kehrende Ereignisse in der Sixtinischen Kapelle immer wieder stattfanden und auch in Zukunft stattfinden werden“ „Es ist die so genannte Konklave. Eine Veranstaltung, wo ungefähr 120 ältere Herren hier eingesperrt werden, um sich am Ende auf eine von allen getragene Entscheidung einigen zu müssen“ „Diese Einrichtung hat sich sehr bewährt“ fuhr der Papst fort. „Wenn ich mir Ergebnis eures Treffens auf Ponza ansehe, da wäre es besser gewesen man hätte das Treffen ähnlich einer Konklave abgehalten. Dann hätte man sich auf etwas Weiterführendes, Konkretes, einigen müssen“ „Eure Aufgabe wäre es ja gewesen, dringend notwendige Entscheidungen zu fällen und nicht ständig vor Euch her zu schieben!“ Plötzlich war es totenstill. Die eben noch aufgelockerte Stimmung schlug zunächst in betretenes Schweigen um. So hatte noch nie jemand mit ihnen geredet und keinem fiel eine passende Gegenrede ein. „Die Welt wartete auf Signale von Euch. Seit Jahrzehnten wird von den Wissenschaftlern eine dramatische Klimaveränderung prognostiziert, jeden Tag verhungern noch zehntausende Kinder, wogegen in anderen Teilen der Welt die Zahl der Überernährten ständig zunimmt, und ihr haltet ständig unnötige Konferenzen ab, ohne dass sich etwas ändert!“ „Ihr habt Studien machen lassen, und dabei schaute er besonders auf den amerikanischen Präsidenten, dabei ist herausgekommen, dass in spätestens 200 Jahren sämtliche Küstenstädte wegen des steigenden Meeresspiegels unbewohnbar werden. Darunter natürlich auch New York, Hamburg, Tokio und noch viele andere Küstenregionen werden untergehen. Die Studien werden unter Verschluss gehalten, damit Ihr ja nichts tun müsst. Solche und ähnliche Studien, da könnte ich euch weitere nennen, beinhalten alle das Gleiche: Unsere Erde steuert unaufhaltsam auf einen Kollaps zu!“ „Während Ihr auf Ponza sündhaft teure Menüs zusammen mit den besten Weinen der Welt genießt, führen andere Länder Kriege, welche Ihr durch Waffenlieferungen noch anheizt. Obwohl es in Eurer Macht liegt, seid Ihr nicht Willens dies zu beenden. Dafür tragt Ihr die volle Verantwortung!“ Der Papst hielt kurz inne: „Deswegen habe ich Sie hierher eingeladen! Sie haben hier ungestört Zeit sich mit den wirklichen Problemen auf unserem Planeten zu beschäftigen. Euer Ziel wird sein, eine Welt zu schaffen, welche zukunftsfähig ist. Dazu gehört eine Vollbremsung unseres globalen Wirtschaftssystems, die Beseitigung von Hunger und Armut“ „Jetzt könnt Ihr endlich mal regieren. Keine Opposition, keine Lobbyisten, keine Volksbefragung, keine Rücksichtnahme auf bevorstehende Wahlen und auch keine Presse wird Eure Entscheidungen beeinflussen können“ „Die Weltordnung wird, nachdem Ihr Eure Entscheidungen getroffen habt, eine völlig andere sein müssen. Da es sich um einen globalen Ausnahmezustand handelt, werden nationale Belange keine Rolle mehr spielen können. Weder demokratische noch diktatorische Regierungsformen kann es mehr geben. Es wird dann nur noch eine einzige Macht die Geschicke des Planeten bestimmen, nämlich die der Notwendigkeit des Überlebens der Menschheit. Alles andere, egal wie die bisherigen Machtverhältnisse auch aufgeteilt waren, ob Religion, Besitzverhältnisse von Industrie oder Privatpersonen, wird sich diesem Ziel unterordnen müssen“ „Das Ziel Eurer Maßnahmen wird klar definiert werden und basiert auf wissenschaftlich ermittelten Daten über die erwartenden Klimaveränderungen in Abhängigkeit zu den Treibhausgasemissionen. Sie erhalten hier jegliche Unterstützung welche Sie brauchen. Sie werden unterstützt von den fähigsten Köpfen aus den Gebieten der Wirtschaftswissenschaften, IT-Technik und anderen mehr. Gehen Sie davon aus, dass es sich um einen globalen Notstand handelt und Sie sich nicht um Opposition oder gar Wahlen kümmern müssen. Mein Beitrag dazu wird sein, dass es am Tag der Verkündung der notwendigen weltweiten Veränderungen welche ihr beschließt, kein Finanzsystem alter Prägung mehr geben wird!“ Die Reaktion der Angesprochenen war sehr unterschiedlich. Einige dachten, da erlaube er sich wohl einen Scherz mit ihnen. Andere waren der Meinung, der da hatte zwar Recht, aber wie er sich das vorstellte, war wohl reine Phantasterei und was geht das einen Papst an. G20 Teilnehmer. Dazu gesellten sich zunehmend auch diejenigen, welche bereits an den Monitoren gearbeitet hatten. Bevor sich ein Gespräch zwischen den verschiedenen Gruppen ergab, kam der Papst dazu. Man hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass der Papst nicht wie ein Papst aussah. Er hätte einer von ihnen sein können, jetzt wo alle in bequemer Freizeitkleidung waren. Alle erwarteten, dass er das Wort ergriff. Und das tat er dann auch: „Ich habe den Eindruck, dass Sie alle akzeptieren, dass wir hier zusammenarbeiten werden. Die Entscheidungen die anstehen, sind von großer Bedeutung. Die Fakten, die es dazu zu bewerten gibt, sind hochkomplex und bedürfen Hilfestellung. Sie alle haben und hatten wohl wenig Ahnung über das, was Sie zu entscheiden hatten und jetzt haben. Das war übrigens immer so. Sie haben sich von Beratern, die eher Lobbyisten waren und ihre eigenen Interessen hatten, beraten lassen und danach ihre Entscheidungen gefällt. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. Warum, das werden Sie nachher in verschiedenen Dokumentationen erklärt bekommen“ Die G20-Teilnehmer verzogen keine Miene. Sie wussten, dass er Recht hatte. „Das wird nun anders. Sie werden jetzt unterstützt von den weltweit führenden Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Fachbereiche. Darunter sind z.B. auch Nobelpreisträger. Diese werden mit Ihnen einen Rettungsplan für unseren Planeten erarbeiten. Sie haben richtig gehört: Einen Rettungsplan! Sie werden nach den Informationen über den aktuellen Zustand unseres Planeten diese Formulierung für nicht übertrieben halten“ Die an den Computern Beschäftigten, im Alter eine bunte Mischung von jüngeren und älteren Männern und Frauen, erhoben sich von ihren Arbeitsplätzen und gesellten sich zu den 20 Politikern. Sie stellten sich gegenseitig vor und es begann ein erster smalltalk untereinander. Nach etwa einer viertel Stunde ergriff der Papst wiederum das Wort: „Zu Beginn unserer Zusammenarbeit werden sie von den hier anwesenden Fachleuten auf den aktuellen Wissensstand über den jetzigen Zustand unseres Planeten gebracht. Die Informationen, welche Sie erhalten sind wissenschaftlich unstrittig und vor allem nicht von Interessengruppen verfälscht. Da wo sie Fragen haben, stellen Sie sie. Diskutieren Sie mit den jeweiligen Referenten“ Und dann begann eine Reihe von sehr unterschiedlichen Vorträgen. Es war eine Fülle von Informationen verschiedenster Themen. Sie reichten von Infos über aktuelle Gletscherschmelzraten, über Probleme beim Auftauen von Permafrostgebieten, Methanfreisetzung von Massentierhaltung, Abhängigkeit von Meeresspiegel und CO2-Gehalt in der Luft im Laufe der Erdgeschichte, CO2-Emissionen verschiedenster Quellen bis zum aktuellen Stand des Artensterbens. Die Vorträge dauerten bis zum späten Abend und gingen am nächsten Tag weiter. Zunächst eher zögerlich, dann aber zunehmend aktiv beteiligten sich die G20-Teilnehmer an den nach jedem Vortrag stattfindenden Diskussionen. Besonders fachkundig zeigte sich dabei die Bundeskanzlerin aus Deutschland. Schließlich hatte sie Physik studiert und versuchte kritisch die vorgebrachten Fakten der Vortragenden zu hinterfragen. Die Antworten, die sie bekam, schienen sie jeweils überzeugt zu haben. Am Ende der Vortragsreihe wurde das Fazit vorgestellt. Es war für die Vertreter der 20 wichtigsten Industriestaaten ein Horrorszenario. Sollten in den nächsten 10 Jahren die in die Atmosphäre freigesetzten Klima schädigenden Gase nicht auf fast 0 gesetzt werden, drohe ein nicht mehr zu beherrschender Klimakollaps, der ab den nächsten 2-3 Generationen für hunderte Millionen Menschen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen würde. Große Landstriche, auch in bisher dicht besiedelten Gebieten werden unbewohnbar. Viele Küstenstädte müssten aufgegeben werden. Fakten: 2013 35Mrd t/7Mrd. =5t/Person. Von den weltweiten CO2-Emissionen entfallen inzwischen 27 Prozent auf China, 14 Prozent auf die Vereinigten Staaten, 10 Prozent auf die Europäische Union und 6 Prozent auf Indien. Allerdings sieht das Ergebnis ganz anders aus, wenn man den Pro-Kopf-Verbrauch als Maßstab heranzieht. Danach verursacht jeder US-Amerikaner 16 Tonnen CO2. Damit sind die Amerikaner die mit Abstand größten Emittenten. China und die EU kommen mit rund 7 Tonnen pro Kopf auf nicht einmal die Hälfte. Das Schwellenland Indien erreicht einen Ausstoß von nur 1,8 Tonnen je Einwohner. Betrachtet man nun die 4,5 Prozent anthropogenen (vom Menschen verursachten) Kohlendioxids genauer, dann stammt ein Viertel davon aus dem Transportwesen, und die restlichen 75% teilen sich Heizkraftwerke. Die 25% Verkehr gehen zu 77% auf den Straßenverkehr, 11,6 Prozent nimmt die Schiene, 11,4 Prozent die Luftfahrt. Der verbleibende Rest geht zu Lasten des Schiffsverkehrs. Der CO2-Anteil der Straße wiederum wird weltweit zu 72 Prozent den Personen- und zu 28 den Lastwagen zugeschrieben. Bleiben weltweit 0,4 der CO2-Emissionen für den Personenverkehr. (Quelle VDA, Verband Deutscher Automobilindustrie) In Deutschland ist der Pkw mit 12 – 16 Prozent am anthropogenen Ausstoß beteiligt, je nachdem auf welche Quelle man sich bezieht. Der Verkehrssektor ist verantwortlich für 23% der globalen CO2 Emissionen, von denen allein 73% auf den Straßenverkehr entfallen. Dieser Anteil ist zwischen 1990 und 2008 um 48% gestiegen (Quelle: ITF - Transport Greenhouse Gas Emission 2010) Das jahrzehntelange Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse machte jetzt eine Vollbremsung notwendig. Das zu akzeptieren, war für die Politiker ein Schock. Sie hatten jetzt die Aufgabe, die notwendigen Schritte einzuleiten. Immerhin hatte man nun ein Ziel, was zwar unerreichbar schien, aber die Wege zu diesem Ziel konnten jetzt diskutiert werden. Dies war sehr mühsam. Vor allem, weil jeder immer nur Vorschläge einbrachte, die jeweils für sein Land, seine Bevölkerung, wenig Änderungen abverlangte, gar Vorteile einbringen könnte. Alle eingebrachten Ideen wurde von den anwesenden Fachleuten auf ihre Wirksamkeit hin überprüft, durchgerechnet und das Ergebnis dann vorgetragen. Die einen wollten wieder mehr Atomkraftwerke bauen, andere den Benzinverbrauch der Automobile drastisch senken oder Kohlekraftwerke abschalten. Andere propagierten eine massive Preiserhöhung fossiler Brennstoffe. Immer waren einige dagegen oder es rechnete sich einfach nicht. Besonders Teilnehmer mit niedrigen CO2-Emmisionen/Kopf wehrten sich gegen irgendwelche Einschränkungen bevor z.B. die USA drastische Einsparmaßnahmen beschließen würden. Die Verhandlungen kamen nicht weiter. Bis die Bundeskanzlerin, bislang in der Diskussion bezüglich neuer Vorschläge eher Zuhörerin, das Wort ergriff. Sie redete vielleicht 10, 15 Minuten dann war es ganz still geworden in der Runde. Der chinesische Ministerpräsident ergriff als erster das Wort. „So machen wir es“, nur so wird es funktionieren! Nach kurzem Zögern schien der Bann gebrochen. Die Bundeskanzlerin hatte offensichtlich den richtigen Ansatz gefunden. Ein Ansatz, dem sich alle Teilnehmer anschließen konnten. Es waren revolutionäre Vorschläge mit weitreichenden Folgen aber mit einer beliebten Floskel der Bundeskanzlerin garniert, gemessen an dem zu lösenden Problem „alternativlos“ Man hatte jetzt ein gemeinsames Gerüst gefunden, bei dem man zwar noch Einzelheiten abstimmen musste, aber es war eine Basis zum Weiterdiskutieren gefunden. Der Bundeskanzlerin war das alles nicht geheuer, zumal sich an den Seitenausgängen der Sixtinischen Kapelle die Schweizer Garde inzwischen positionierte. Sie kramte aus ihrer Blazer-Jackentasche ihr Handy hervor. Sie wollte gerade anfangen zu wählen, als der Papst weiter sprach: „Bei einer Konklave ist allererstes Gebot, dass nichts außerhalb dieser Mauern dringt, denn dann wären Manipulationen nicht ausgeschlossen. Natürlich ist auch während Eurem Beisammensein keinerlei Kontakt nach außen möglich. Das Gebäude ist hermetisch gegen Handy- oder Internetempfang abgeriegelt. Also probieren Sie erst gar nicht dies zu testen und genießen Sie den ungestörten Aufenthalt im Vatikan“ Die Bundeskanzlerin spürte, dass zunächst sie gemeint war und packte ihr Handy weg. Jetzt dämmerte es auch dem letzten der G20-Runde: Sie waren entführt worden, kurioserweise von einem leibhaftigen Papst. Inmitten dieser Überlegungen fuhr der Papst fort: „Natürlich wird das öffentliche Zurückziehen der 20 wichtigsten Staatsmänner, zumindest haltet Ihr euch dafür, auffallen. Ich werde in einer Stunde eine Pressekonferenz abhalten und darin Euren Wunsch bestätigen, eine Einladung meinerseits zu einer mehrtägigen ungestörten Klausur angenommen zu haben“ „In der Zeit Eures Aufenthaltes stehen Euch die Zimmer des Gästehauses zur Verfügung. Dorthin werden euch jetzt Offiziere der Schweizer Garde begleiten. Nach etwa einer Stunde treffen wir uns hier wieder, um das weitere Vorgehen zu diskutieren" „Da können Sie nicht mit uns machen!“, der französische Ministerpräsident war ganz außer sich. „Auch wenn Sie der Papst sind, so haben Sie kein Recht, uns hier gegen unseren Willen festzuhalten. Ich habe vor, morgen früh einen Urlaub mit der Familie auf Tahiti anzutreten. Ich gehe davon aus, dass das alles hier nur ein Scherz ist und Sie jetzt wieder die Türen öffnen lassen“ „Monsieur Ministerpräsident, wie können Sie angesichts der vielen Probleme überall auf Welt auf Ihrem Urlaub bestehen! Gerade in der Südsee werden in den nächsten zwei Jahrzehnten mehrere Inselstaaten nicht mehr bewohnbar sein. Darunter auch eine ehemalige französische Kolonie. Wenn Sie Ihre Pflicht zur Erhaltung unserer Ökosphäre getan haben, steht Ihren Urlaubsplänen nichts mehr im Wege. Nur bezweifle ich, dass Sie dann noch nach Tahiti kommen können“ Inzwischen waren die Schweizer Gardisten hinzugekommen und gingen zu den einzelnen Mitgliedern der G20 Gruppe und baten Sie mitzukommen. Es war kaum zu glauben, diese hatten sich offensichtlich mit Ihrer Situation abgefunden. Über den Hof ging es ins Gästehaus. Die Schweizer Gardisten führten jeden einzeln in die Zimmer. Alle der G20-Teilnehmer waren luxuriöse Zimmer gewohnt. Bei sämtlichen Staatsbesuchen im In- und Ausland nächtigten sie jeweils in den führenden Häusern. Das hier war aber etwas ganz anderes. Manche hatten ja in ihrer Jugend in Internaten verbracht. So etwa sah die Unterkunft aus, welche man ihnen jetzt zumutete. Das Zimmer hatte höchstens 15 m2, ausgestattet mit einem soliden Holzbett. Ein Schreibtisch, ein etwas antik anmutender Stuhl, ein PC auf dem Schreibtisch, an der Wand ein Flachbildschirm, ein zum Schreibtisch passender Schrank, ein Kreuz an der Wand. Alles sehr solide und blitzsauber, nicht luxuriös, aber gediegen und wohnlich eingerichtet. Die deutsche Bundeskanzlerin probierte sofort den PC aus. Man kam sogar ins Internet, aber es war eine Einbahnstraße. Es ließen sich nur Nachrichten von außen öffnen. Nach draußen kommunizieren z.B. mit einer E-Mail war nicht möglich. Als sie den Schrank öffnete, sah sie eine ganze Kollektion an Kleidungsstücken, vom Slip über die Bluse bis zu den Schuhen. Es sah so aus, als würde sie in ihren eigenen Schrank schauen. Vom Umfang her würde das für einige Tage ausreichen. Der Fernseher ließ sich über die Fernbedienung einschalten. Auf dem Schreibtisch lag eine Senderliste, welche auch deutschsprachige Sender auflistete. Als sie das Zweite Programm einschaltete, fand sie sich unmittelbar beim Beginn einer Pressekonferenz, welche der neue Papst ankündigt hatte. Der Papst begrüßte zunächst die anwesenden Journalisten von Presse und den diversen TV-Sendern, dann sprach er weiter: „Ich darf Ihnen heute eine besondere Nachricht übermitteln. Sie alle wissen, dass das G20 Treffen heute Morgen in Ponza mit einem Vertagen von Entscheidungen zu Ende ging. Danach nahmen sämtliche Teilnehmer eine Einladung von mir zur Besichtigung des Vatikans an. Dieser Besuch fand vor wenigen Stunden statt. Dabei informierten sich meine Besucher auch über die Geschichte und die Funktionen der verschiedenen Gebäude des Vatikans. Beim Besuch der Sixtinischen Kapelle kam auch die Konklave zur Sprache. Die Teilnehmer waren sehr fasziniert von der Tatsache, dass nur bei einer von Allen getragenen Entscheidung eine Konklave beendet werden kann. Solange bis eine Entscheidung über die Papstnachfolge entschieden ist, unterziehen sich alle an der Konklave Beteiligten einer freiwilligen Quarantäne. Das kann Tage oder auch Wochen dauern. Entscheidend ist, dass ein bindender Entschluss gefasst wird. Da kam aus der Gruppe heraus der Wunsch, es wie bei einer Konklave zu halten. Sich freiwillig einschließen zu lassen, bis sich die Gruppe auf einen gemeinsamen Plan geeinigt hat. Die Themen waren ja schon vor dem Treffen in Ponza bekannt. Alle waren sich einig. Die anstehenden Entscheidungen müssen jetzt und hier gefällt werden. Ich selbst bin natürlich auch von dieser Idee angetan und werde zusammen mit meinen Mitarbeitern alles tun, dass diese doch so ungewöhnliche Konklave ihren erfolgreichen Abschluss findet. Dies ist ein bedeutender Moment in der Geschichte der Weltpolitik. Zum ersten Male erkennen die führenden Staatsoberhäupter, dass sie nicht nur für die aktuelle Generation, sondern auch für die nachfolgenden Generationen eine gemeinsame Verantwortung haben. Die zu fallenden Entscheidungen werden schwierig zu treffen sein. Deshalb hat die Gruppe um Beratung von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen gebeten. Der Vatikan wird dies organisatorisch bestens unterstützen. Machen Sie sich auf einige Tage Wartezeit gefasst“ Die Bundeskanzlerin war fassungslos. Da verkaufte der Papst die Entführung der 20 höchstrangigen Politiker der ganzen Welt als freiwillige Veranstaltung. Aber sie musste zugeben, das war ein genialer Schachzug. Sie hatten keine Chance, ohne weltweiten Spott da herauszukommen. Sie mussten das Spiel einfach mitmachen. Wenn es zu achtbaren Entschlüsse kommen könnte, wäre das sogar mit wieder gewonnenem Vertrauen in die Politiker verbunden. Es begann interessant zu werden. Die Pressekonferenz schlug wie eine Bombe ein. Sämtliche Fernsehkanäle unterbrachen ihr Programm und gaben Sondermeldungen heraus. Sofort gab es wilde Spekulationen. Besonders die Börsen meldeten Rekordumsätze. Nach einigen Jahren sinkender Kurse erwartete man neue Wachstumsimpulse für die Weltwirtschaft. Was sollte denn anderes beschlossen werden, als ein besonders fettes Konjunkturprogramm. Fast alle Volkswirtschaften kämpften mit einer Rezession. Massenarbeitslosigkeit war die Folge, was auch zunehmend zur Radikalisierung führte. Die Hoffnungen waren riesig. Endlich sah es nach Erfolg versprechenden globalen Maßnahmen aus. Die Akteure dazu hatten die Notwendigkeit zum Handeln eingesehen. Nach einer Stunde traf man sich wieder in der Sixtinischen Kapelle, die für diese doch außergewöhnliche Klausur eigens präpariert worden war. Mehrere Schreibtische in Gruppen zusammen platziert, alle Schreibtische mit großen Computermonitoren bestückt. Dazwischen immer wieder kleinere Sitzgruppen gruppiert. Im Zentrum des „Großraumbüros“ war eine Art Besprechungszone eingerichtet, mit Platz für etwa 40 Personen mit Präsentationsleinwand, Beamer, etc. Die Topp 20 der Weltpolitik waren auf Anhieb nicht mehr zu erkennen. Statt dunklen Anzügen bei den Herren oder edlem Blazer bei den Damen sah man jetzt leger gekleidete, fast wie Normalos aussehende Unauffällige. Man bestaunte sich gegenseitig, denn so war man sich noch nie begegnet. Die „neue“ Kleiderordnung schuf eine besonders lockere Atmosphäre. Es war fast wie auf der Busfahrt zum Vatikan. Man hatte sich wohl mit der Situation abgefunden und wartete auf das, was nun kommen würde. Einige der Schreibtische waren bereits besetzt. Dort saßen meist jüngere Männer, auch wenige Frauen, die vor ihren Monitoren arbeiteten. Auf den Monitoren sah man teils lange Tabellen und auch Graphiken. Da der einzige Bereich, wo alle genug Platz hatten die größere Besprechungszone war, versammelten sich dort die G20 Teilnehmer. Dazu gesellten sich zunehmend auch diejenigen, welche bereits an den Monitoren gearbeitet hatten. Bevor sich ein Gespräch zwischen den verschiedenen Gruppen ergab, kam der Papst dazu. Man hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass der Papst nicht wie ein Papst aussah. Er hätte einer von ihnen sein können, jetzt wo alle in bequemer Freizeitkleidung waren. Alle erwarteten, dass er das Wort ergriff. Und das tat er dann auch: „Ich habe den Eindruck, dass Sie alle akzeptieren, dass wir hier zusammenarbeiten werden. Die Entscheidungen die anstehen, sind von großer Bedeutung. Die Fakten, die es dazu zu bewerten gibt, sind hochkomplex und bedürfen Hilfestellung. Sie alle haben und hatten wohl wenig Ahnung über das, was Sie zu entscheiden hatten und jetzt haben. Das war übrigens immer so. Sie haben sich von Beratern, die eher Lobbyisten waren und ihre eigenen Interessen hatten, beraten lassen und danach ihre Entscheidungen gefällt. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. Warum, das werden Sie nachher in verschiedenen Dokumentationen erklärt bekommen“ Die G20-Teilnehmer verzogen keine Miene. Sie wussten, dass er Recht hatte. „Das wird nun anders. Sie werden jetzt unterstützt von den weltweit führenden Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Fachbereiche. Darunter sind z.B. auch Nobelpreisträger. Diese werden mit Ihnen einen Rettungsplan für unseren Planeten erarbeiten. Sie haben richtig gehört: Einen Rettungsplan! Sie werden nach den Informationen über den aktuellen Zustand unseres Planeten diese Formulierung für nicht übertrieben halten“ Die an den Computern Beschäftigten, im Alter eine bunte Mischung von jüngeren und älteren Männern und Frauen, erhoben sich von ihren Arbeitsplätzen und gesellten sich zu den 20 Politikern. Sie stellten sich gegenseitig vor und es begann ein erster smalltalk untereinander. Nach etwa einer viertel Stunde ergriff der Papst wiederum das Wort: „Zu Beginn unserer Zusammenarbeit werden sie von den hier anwesenden Fachleuten auf den aktuellen Wissensstand über den jetzigen Zustand unseres Planeten gebracht. Die Informationen, welche Sie erhalten sind wissenschaftlich unstrittig und vor allem nicht von Interessengruppen verfälscht. Da wo sie Fragen haben, stellen Sie sie. Diskutieren Sie mit den jeweiligen Referenten“ Und dann begann eine Reihe von sehr unterschiedlichen Vorträgen. Es war eine Fülle von Informationen verschiedenster Themen. Sie reichten von Infos über aktuelle Gletscherschmelzraten, über Probleme beim Auftauen von Permafrostgebieten, Methanfreisetzung von Massentierhaltung, Abhängigkeit von Meeresspiegel und CO2-Gehalt in der Luft im Laufe der Erdgeschichte, CO2-Emissionen verschiedenster Quellen bis zum aktuellen Stand des Artensterbens. Die Vorträge dauerten bis zum späten Abend und gingen am nächsten Tag weiter. Zunächst eher zögerlich, dann aber zunehmend aktiv beteiligten sich die G20-Teilnehmer an den nach jedem Vortrag stattfindenden Diskussionen. Besonders fachkundig zeigte sich dabei die Bundeskanzlerin aus Deutschland. Schließlich hatte sie Physik studiert und versuchte kritisch die vorgebrachten Fakten der Vortragenden zu hinterfragen. Die Antworten, die sie bekam, schienen sie jeweils überzeugt zu haben. Am Ende der Vortragsreihe wurde das Fazit vorgestellt. Es war für die Vertreter der 20 wichtigsten Industriestaaten ein Horrorszenario. Sollten in den nächsten 10 Jahren die in die Atmosphäre freigesetzten Klima schädigenden Gase nicht auf fast 0 gesetzt werden, drohe ein nicht mehr zu beherrschender Klimakollaps, der ab den nächsten 2-3 Generationen für hunderte Millionen Menschen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen würde. Große Landstriche, auch in bisher dicht besiedelten Gebieten werden unbewohnbar. Viele Küstenstädte müssten aufgegeben werden. Fakten: 2013 35Mrd t/7Mrd. =5t/Person. Von den weltweiten CO2-Emissionen entfallen inzwischen 27 Prozent auf China, 14 Prozent auf die Vereinigten Staaten, 10 Prozent auf die Europäische Union und 6 Prozent auf Indien. Allerdings sieht das Ergebnis ganz anders aus, wenn man den Pro-Kopf-Verbrauch als Maßstab heranzieht. Danach verursacht jeder US-Amerikaner 16 Tonnen CO2. Damit sind die Amerikaner die mit Abstand größten Emittenten. China und die EU kommen mit rund 7 Tonnen pro Kopf auf nicht einmal die Hälfte. Das Schwellenland Indien erreicht einen Ausstoß von nur 1,8 Tonnen je Einwohner. Betrachtet man nun die 4,5 Prozent anthropogenen (vom Menschen verursachten) Kohlendioxids genauer, dann stammt ein Viertel davon aus dem Transportwesen, und die restlichen 75% teilen sich Heizkraftwerke. Die 25% Verkehr gehen zu 77% auf den Straßenverkehr, 11,6 Prozent nimmt die Schiene, 11,4 Prozent die Luftfahrt. Der verbleibende Rest geht zu Lasten des Schiffsverkehrs. Der CO2-Anteil der Straße wiederum wird weltweit zu 72 Prozent den Personen- und zu 28 den Lastwagen zugeschrieben. Bleiben weltweit 0,4 der CO2-Emissionen für den Personenverkehr. (Quelle VDA, Verband Deutscher Automobilindustrie) In Deutschland ist der Pkw mit 12 – 16 Prozent am anthropogenen Ausstoß beteiligt, je nachdem auf welche Quelle man sich bezieht. Der Verkehrssektor ist verantwortlich für 23% der globalen CO2 Emissionen, von denen allein 73% auf den Straßenverkehr entfallen. Dieser Anteil ist zwischen 1990 und 2008 um 48% gestiegen (Quelle: ITF - Transport Greenhouse Gas Emission 2010) Das jahrzehntelange Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse machte jetzt eine Vollbremsung notwendig. Das zu akzeptieren, war für die Politiker ein Schock. Sie hatten jetzt die Aufgabe, die notwendigen Schritte einzuleiten. Immerhin hatte man nun ein Ziel, was zwar unerreichbar schien, aber die Wege zu diesem Ziel konnten jetzt diskutiert werden. Dies war sehr mühsam. Vor allem, weil jeder immer nur Vorschläge einbrachte, die jeweils für sein Land, seine Bevölkerung, wenig Änderungen abverlangte, gar Vorteile einbringen könnte. Alle eingebrachten Ideen wurde von den. anwesenden Fachleuten auf ihre Wirksamkeit hin überprüft, durchgerechnet und das Ergebnis dann vorgetragen. Die einen wollten wieder mehr Atomkraftwerke bauen, andere den Benzinverbrauch der Automobile drastisch senken oder Kohlekraftwerke abschalten. Andere propagierten eine massive Preiserhöhung fossiler Brennstoffe. Immer waren einige dagegen oder es rechnete sich einfach nicht. Besonders Teilnehmer mit niedrigen CO2-Emmisionen/Kopf wehrten sich gegen irgendwelche Einschränkungen bevor z.B. die USA drastische Einsparmaßnahmen beschließen würden. Die Verhandlungen kamen nicht weiter. Bis die Bundeskanzlerin, bislang in der Diskussion bezüglich neuer Vorschläge eher Zuhörerin, das Wort ergriff. Sie redete vielleicht 10, 15 Minuten dann war es ganz still geworden in der Runde. Der chinesische Ministerpräsident ergriff als erster das Wort. „So machen wir es“, nur so wird es funktionieren! Nach kurzem Zögern schien der Bann gebrochen. Die Bundeskanzlerin hatte offensichtlich den richtigen Ansatz gefunden. Ein Ansatz, dem sich alle Teilnehmer anschließen konnten. Es waren revolutionäre Vorschläge mit weitreichenden Folgen aber mit einer beliebten Floskel der Bundeskanzlerin garniert, gemessen an dem zu lösenden Problem „alternativlos“ Man hatte jetzt ein gemeinsames Gerüst gefunden, bei dem man zwar noch Einzelheiten abstimmen musste, aber es war eine Basis zum Weiterdiskutieren gefunden
Kapitel 23. Unterdessen, einige tausend Kilometer westlich, nahe New Jersey. Stephen Clark ging wie jeden Morgen zum Briefkasten. Eigentlich meistens unnötig, denn sein wirklicher Briefkasten war sein Email- Account. Dort waren jeden Tag mindestens 50 Mails zu durchsichten, davon höchstens 2-3 überhaupt lohnenswert geöffnet zu werden. Deswegen der Gang zum Briefkasten, so wie früher, als es immer spannend war, wer sich denn wohl die Mühe gemacht hatte etwas an ihn zu schreiben. Doch inzwischen kam auch nur meistens Werbung. Heute kam mal wieder ein Brief. Ohne einen auf dem Umschlag ersichtlichen Absender, was neugierig machte. Was er nach dem Öffnen und dem Auseinanderfalten eines Briefes fand, war eine wirkliche Überraschung. Es war eine Einladung zu einer besonderen Kreuzfahrt. Es sollte sich in 2 Tagen am Kreuzfahrtterminal von New York gegen 10:00 Uhr einfinden. Dort wartete die „SeaDream 1“ auf ihn. Auf dem Schiff war ein Seminar vorgesehen. Die Dauer des Seminars war auf 3 Wochen angesetzt, ungewöhnlich lange! Das Thema lautete „Neue Herausforderungen der IT-Technologie an aktuelle Problemstellungen“. Das klang sehr allgemein, etwas diffus, aber durchaus war es ein Thema, das ihn auch berührte. Schließlich war er kurz nach seinem IT-Studium als einer der erfolgreichsten Hacker von Google angeworben worden. Er hatte damit die Seiten gewechselt und bekam dafür jetzt ein so hohes Gehalt, das er kaum ausgeben konnte. Er war unabhängig, hatte keine feste Beziehung und konnte somit der Einladung folgen. Aus dem Schreiben ging nicht hervor, wer der eigentliche Einladende war. Nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten bei Google, der offensichtlich davon Kenntnis hatte, war er dann pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt im Hafen von New York. Der genaue Liegeplatz des Schiffes war in der Einladung gut beschrieben und so stand er dann vor dem Kreuzfahrtschiff. Kein schwimmendes Hochhaus mit hunderten Balkonen auf jeder Seite, sondern erheblich kleiner, auch mit Balkonen aber höchstens 40-50, sehr edel aussehend. An der Gangway zum Schiff standen 2 Frauen in Uniformen. Denen zeigte er seine Einladung, die diese gründlich prüften, seinen Pass musste er vorzeigen. Dann wurde er höflich aufgefordert das Schiff zu betreten. Dort würde man ihm die Kabine zeigen, auf der er die nächsten Wochen verbringen würde. So war es dann auch. An der Rezeption im Innern des Schiffes bekam er einen Kabinenschlüssel. Vom Fahrstuhl aus fuhr nach Deck 4 zu der Kabinennummer 412. Die Kabine war überraschend groß, bestimmt 25 m2. Er hatte mal während seiner Studienzeit zusammen mit einer Freundin eine Kurzkreuzfahrt zu den Bahamas gemacht und hatte die Kabine noch in Erinnerung. Sie war kaum größer als ein Schlafwagenabteil in einem Nachtzug gewesen. Zudem war sie noch innen gelegen. Jetzt empfand er die Kabine wie eine Hotelsuite. Sogar einen Balkon hatte er. Das sagte ihm besonders zu. Er war damit unabhängig von der Klimaanlage. Wenn schon auf dem Meer, dann wollte er es auch schmecken und riechen. Auf dem Schreibtisch stand ein Computer mit einem extra großen Monitor. Es sah alles nach einem „sehr Wohlfühlen“ aus. Neben dem Computer lag ein Willkommensschreiben. Sehr allgemein gehalten, ohne näher auf den Anlass dieser doch etwas ungewöhnlichen Einladung einzugehen. Immerhin wurde auf ein gemeinsames Infotreffen hingewiesen, das in etwa einer Stunde beginnen sollte. Etwas war ihm dann doch nicht ganz geheuer. Als er eine SMS an einen Freund schicken wollte, hatte er keinen Empfang. Noch nicht einmal die Spur eines Signales. Und als er den Computer einschaltete, hatte er zwar Verbindung ins Internet, konnte aber keinerlei Nachrichten nach Außen senden. Seltsam, dachte er. In dieser noch freien Stunde beschloss Stephen Clark, sich mehr auf dem Schiff umzusehen. Auf dem Oberdeck traf er auf weitere, wohl ebenfalls eingeladene Passagiere, dem Aussehen nach doch sehr unterschiedlicher Herkunft. Da waren Inder, Chinesen, meist jüngere, etwa in seinem Alter. Einen Inder sprach er an und wollte von ihm wissen, ob er auch bei Google angestellt war. Nein, erwiderte der so Angesprochene, nein, er wäre bei Microsoft beschäftigt und auch er wüsste nichts Genaueres. So war er jetzt doch neugierig auf die kurz bevorstehende Infoveranstaltung. Das Treffen fand im großen Salon, der wahrscheinlich auch der Speiseraum war, statt. Er war einer der Ersten. Nach und nach füllte sich der Raum, bis dann mindestens 100 Leute auf den Beginn der Informationsveranstaltung warteten. Nachdem alle ihren Platz gefunden hatten, wartete man auf jemanden, der erklären konnte, was der eigentliche Seminarinhalt sei. Es kam niemand. Stattdessen wurde das Licht abgedunkelt, und eine Großleinwand wurde herabgelassen. Nach einigen Sekunden erschien ein Bild. Ein mit Fresken üppig bemalter Saal, an einer Seite zugestellt mit Schreibtischen mit großen Monitoren. Langsam zoomte der Bildausschnitt an eine Person heran. Als das Bild Porträtgröße annahm, begannen einige schon, dieses Gesicht zu erkennen. Es war der neue Papst. So wie man ihn inzwischen kannte. Nichts war an ihm auffällig, was ihn aus dem Kreis der ihn Umgebenden abhob. „Entschuldigt bitte, dass ich nicht bei Euch sein kann. Ich hätte Euch gerne meinen Auftrag persönlich mitgeteilt. Aber wenn Ihr hinter mich seht, und dabei schwenkte die Kamera etwas in den Hintergrund, dann seht Ihr, dass ich auch hier gebraucht werde“ Stephen Clark traute seinen Augen nicht. Er erkannte im Hintergrund deutlich seinen Präsidenten, der sich angeregt mit dem französischen Premierminister unterhielt. Das Ganze spielte sich in einem üppig bemalten Raum ab. „Ich habe Euch eingeladen, weil Ihr die Besten seid in Eurem Fach. Und ich habe eine Aufgabe, welche alles von Euch abverlangen wird. Eine ungewöhnliche Aufgabe, die euch im ersten Moment vielleicht erschrecken wird. Aber alles ist von den hier Anwesenden autorisiert“ Dabei schwenkte die Kamera wieder kurz in den Hintergrund, und man sah die beiden Staatsoberhäupter heftig nicken. „Ihr sollt als erstes alle wichtigen Börsen, also New York, London, Tokio, Frankfurt zu einem gemeinsamen Zeitpunkt lahm legen. Das heißt alle Bildschirme in den Börsen sollen entweder schwarz werden oder völligen Unsinn anzeigen. Parallel dazu sollen die wichtigsten Banken der Welt nicht mehr miteinander kommunizieren können. In einem weiteren Schritt sollen gleichzeitig sämtliche Finanztransaktionen unmöglich gemacht, alle Konten der Welt auf null gestellt werden. Seht das als Start in eine globale Währungsreform. Gleichzeitig sollen sämtliche militärische Aktivitäten durch eine Störung der Kommunikationswege unmöglich gemacht werden. Die Aktion muss selbstverständlich geheim bleiben. Ihr werdet das vielleicht schon an Eurem Handy gesehen haben. Ein Kontakt nach außen ist zunächst nicht möglich. Lediglich was Euren Auftrag betrifft sind Aktivitäten erlaubt. Ich hoffe, Ihr habt dafür Verständnis. Und nun viel Erfolg bei Eurer Arbeit! “ Danach verschwand das Bild und die Lichter im Saal gingen wieder an. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens, um alles zu verstehen, was da eben übermittelt wurde, war der Bann gebrochen und ein wildes Durcheinander von Kommentaren begann lautstark. Stephen Clark musste das erst einmal verdauen und versuchen zu verstehen. Der Auftrag bedeutete ein abruptes Ende der bisherigen globalen Finanzpolitik, ja zu Ende gedacht, sogar das Ende der Banken. Und dies alles sollten sie mit ihren Köpfen einleiten. Zugegeben, die Finanzpolitik war ihm selbst schon immer suspekt gewesen. Zu Stephen Clark ́s Zeiten als Hacker waren Finanzjongleure immer schon sein Ziel gewesen. Jetzt durfte er es offiziell. Zwar geheim, aber von ganz oben autorisiert. Langsam kehrte etwas Ruhe im Saal ein und es begannen sich erste Diskussionsrunden zu bilden. Stephen Clark war der Meinung, dass es keine besondere Schwierigkeit war, die Börsen lahmzulegen. Schließlich waren alle miteinander vernetzt, man musste nur die passende Lücke finden. Banken und Konten angreifen fand er schon schwieriger. Aber offensichtlich hatte man genau die richtigen Leute hier versammelt. Er bekam mit, dass exakt die Programmierer von der bei den Banken verwendeten Software unter ihnen waren. Nach einem ersten Kontakt untereinander bat einer der Anwesenden um Aufmerksamkeit. Er stellte sich kurz als Ali vor, und erklärte seine Rolle als Moderator. Seine erste Aufgabe sah er darin, die richtigen Teams zusammenzustellen. Dazu forderte er jeden auf, sich kurz vorzustellen und etwas über seine speziellen Kenntnisse zu berichten, um sich gezielt bei den verschiedenen Aufgabenstellungen einzubringen. Stephen Clark war überrascht über die breite Streuung an Fachleuten. Sie kamen aus allen großen IT-Softwareschmieden der ganzen Welt. Von SAP, Oracle, Google, auch Amazon, selbst Bankenspezialisten der größten Banken der Welt waren in ihrem Kreis. Die vor ihnen liegenden Aufgaben schienen lösbar
Kapitel 24. Die Stimmung im wohl schönsten Saal der Welt war jetzt doch entspannter. Man konnte sich nun auch mal die Fresken im Detail anschauen. Mal nachdenken über die Szenen des Jüngsten Gerichtes, die über ihnen schwebten. Alles war voll überwältigender Schönheit. Ein Gigant der Kunst hatte sich hier verewigt. Dem G20-Kreis war nun bewusst, dass nun auch sie unmittelbar vor der Schwelle ihrer Verewigung standen. Der Schwerpunkt ihrer gemeinsamen Unterredung war, „Wie bringen wir das rüber!“. Was passiert wenn? Wie können wir einer weltweiten Panik vorbeugen? Ihnen war bewusst, dass es nach dem Bekanntwerden ihrer gefassten Beschlüsse einen Crash der bisherigen Ordnung in Politik und Finanzwelt geben würde. Diesem Vakuum musste sofort durch geeignete Maßnahmen entgegen gesteuert werden. Die bisher das Sagen hatten, sowie vor allem der mitdenkende und verstehende Anteil der 7 Mrd. Menschen musste alles was er bisher über regieren und regiert werden, ob Demokratie oder autoritärer Regierungsform verinnerlicht hatte, einfach vergessen. Und man musste alle mitnehmen, vom Afghanen bis zum Zyprioten, vom Analphabeten bis zum Wissenschaftler. Die Erde sollte sich plötzlich in entgegen gesetzter Richtung drehen. Doch sie waren zuversichtlich, weil zum ersten Mal niemand nur Vorteile erhielt und andere dafür bezahlen mussten, weil jeder spüren konnte, dass auch sein Beitrag, sein Verzicht oder eine notwendige Veränderung ein Teil einer großen Lösung sei. Und diejenigen, welche bisher ihre Pfründe mit allen Mitteln und sei es sogar Krieg verteidigten, hatten nicht mehr die Machtmittel dazu. Um an die Öffentlichkeit zu gehen, musste noch abgewartet werden, bis einige bereits eingeleitete Vorbereitungen abgeschlossen waren. Einige Tage später war es soweit. Als Zeichen einer erfolgten Einigung ließ man weißen Rauch aufsteigen. Dieses Zeichen wurde sofort von den auf dem Petersplatz Wartenden verstanden. Rasch füllte sich der Platz mit abertausend erwartungsvoll gestimmten Römern, Touristen und vor allen wichtigen Presseleuten aus der ganzen Welt. Wohl vergebens. Es wurde die Meldung verbreitet, dass die G20 Teilnehmer zusammen mit dem Papst eine Pressekonferenz im Pressesaal des Radio Vatikans, Via della Conciliazione 54, außerhalb des Vatikans unmittelbar vor dem Petersplatz gelegen, gegen 16:00 Uhr abhalten würden. Diese sollte weltweit ausgestrahlt werden. Auch auf den inzwischen aufgestellten riesigen Leinwänden des Petersplatzes. Die wenigen akkreditierten Journalisten fanden sich dann auch sehr rasch ein. Im Podium waren zusätzlich Stühle aufgestellt worden. Schließlich erwartete man ja nicht nur den Papst, sondern Staatsoberhäupter der 20 größten Industrienationen und die hatten fast 2 Wochen getagt. Es war offensichtlich wichtig genug, dies weltweit, zeitgleich und simultan übersetzt zu verbreiten. Und dann begaben sie sich schon nacheinander auf das Podium. Zunächst war das gar nicht richtig von den wartenden Journalisten bemerkt worden, denn es kamen keine Männer mit schwarzen Anzügen und Frauen mit dezent bunten Blazern, sondern alle waren eher leger, unauffällig gekleidet. Erst als sie dann einzeln auf den Stühlen auf dem Podium Platz nahmen, wurden sie erkannt. In deren Mitte positionierte sich der Papst. Ein mehrminütiges Blitzlichtgewitter setzte ein, danach wurde es im Saal ganz still. Der amerikanische Präsident rückte sich das Mikrofon zurecht und begann zu reden „Wir, die wir Euch zu dieser Pressekonferenz eingeladen haben, waren fast 14 Tage beisammen gesessen und Demut und Scham haben sich unter uns breit gemacht. Wir haben lernen und erfahren müssen, dass wir bisher unserer Verantwortung gegenüber unseren Wählern oder gegenüber jenen die wir führen und leiten wollen, nicht gerecht geworden sind. Noch mehr trifft dies für unsere Verantwortung gegenüber denen zu, die nach uns kommen. Zum ersten Mal nahmen wir bewusst zur Kenntnis, wie es um unseren Planeten steht. Keine Interessengruppen, keine Lobbyisten haben die Informationen, die uns neutrale Wissenschaftler vermittelten, verfälschen können. Niemand hat uns eingeflüstert, wenn du dies oder jenes tust, wirst du nicht mehr gewählt oder aus dem Amt gejagt. Das, was wir erfahren und auch verstanden haben, ist erschreckend. Vielleicht nicht für diejenigen, die in ihren Villen mit Klimaanlagen sitzen, wenn ́s ihnen zu heiß ist, in die Berge fahren oder in den hauseigenen Pool springen, sondern eher für hunderte Millionen von Menschen, welche in küstennahen Gegenden oder an Flussufern wohnen. Vielleicht nicht in 5 oder 10 Jahren, aber bereits die nächste Generationen, unsere Enkel und deren Kinder werden uns verfluchen. Die Prognosen bezüglich Klimaveränderung lassen für die nächsten Dekaden Schlimmstes erwarten. Dies zwingt uns jetzt zu handeln. In unseren Diskussionen ist uns klar geworden, dass dies nicht von einzelnen Nationen, gleich welcher Größe getan werden kann, sondern es muss eine Nationen übergreifende gemeinsame Aktion werden. Wir haben deshalb ein Programm beschlossen, das unverzüglich umgesetzt werden muss. Nur so können wir ein Desaster für die Menschheit zwar nicht mehr verhindern, aber spürbar abmildern. Die Situation ist mit einer Vollbremsung unserer bisherigen Art zu leben verbunden. Der Maßnahmenkatalog wird zu nie gekannten Verwerfungen in den verschiedensten Gesellschaftsformen, die wir hier vertreten, führen. Da es sich um eine globale Notstandssituation handelt, können die jetzt gleich vorgestellten einzelnen Punkte auch nicht durch Parlamente, irgendwelche Volksabstimmungen oder Religionsbesonderheiten wo auch immer unterlaufen werden. Gerade in Ländern mit demokratischen Strukturen war es ja bisher nicht möglich, irgendwelche ökologisch notwendigen Veränderungen, welche mit Verzicht zu tun hatten, durchzusetzen. Gerade dies wird aber jetzt, zumindest von dem wohlhabenden Teil der Bevölkerung notwendig sein! Damit übergebe ich das Wort an meinen französischen Kollegen“ Die Worte des amerikanischen Präsidenten brachten etwas Unruhe unter den Journalisten. Keine Finanzspritzen, Verzicht, Notstand. Alles Fremdwörter, bisher eher als Panikmache bekannt. Einige sich besonders clever vorkommende Journalisten zückten ihr Smartphone und gaben Verkaufsorder „Sofort“ für ihren gesamten Aktienbestand. Der französische Ministerpräsident sah eher wie ein gut situierter Endsechziger nach dem Golfspielen an der Club Bar aus. „Madame et Monsieurs, mein Vorredner hat es angedeutet. Wir müssen alle was ändern. Und die Veränderungen müssen gewaltig sein und nicht von Interessengruppen gestört werden. Bisher waren alle politisch gewollten Änderungen nicht durchführbar. Bereits schon Ansätze im Umdenken wurden systematisch ausgebremst. Die Hauptschuld daran war eine Kraft, welche mächtiger ist als alle nur erdenklichen Regierungsformen. Es war die Gier, verkleidet als Finanzwirtschaft oder entlarvender als Finanzindustrie. Diese hat bestimmt, wer welche Rohstoffe wo ausbeuten kann. Welche Produkte man zu kaufen hat, wer davon reich wird. Ohne auf Umweltschutz oder gar Nachhaltigkeit zu achten, wird unser Planet hemmungslos geplündert. Eine Schamgrenze ist da nirgends erkennbar. Es gilt also zunächst den Einfluss der Finanzindustrie massiv einzuschränken. Zähmen lässt sich diese nicht, sondern man muss sie abschalten. Wie das geht, werden Sie jetzt live miterleben“ Der Redner stockte kurz. Er wartete, bis drei große Monitore begannen Bilder anzuzeigen. Zunächst sah es eher nach einer Bildstörung aus. Alle 3 Monitore zeigten heftig wandernde Streifen. Dann ordneten sich die Anzeigen. Es waren erkennbar Szenen aus drei verschiedenen Börsen zu sehen. Die Texteinblendungen bestätigten dies: Frankfurt, London, New York, Livestream, erkennbar an den angezeigten Echtzeiten. Wie überall an Börsen, wirres Brokergewimmel gepaart mit heftigem Gestikulieren, für Laien babylonisches Sprachengewirr. Überall riesige Monitore, überfrachtet mit mehreren Tabellen, Riesengeschrei. Ein eher surrealistisches Szenario. Eigentlich aber so, wie es dort immer zuging. Unterdessen sah man den französischen Präsidenten sein Handy benutzen. Er sprach kurz etwas hinein und steckte es sofort wieder ein. Im Auditorium des Pressesaals fragte man sich, was dieses Zeigen der Finanzplätze wohl soll. Sie hatten kaum Zeit sich darauf einen Reim zu machen, als sich abrupte Veränderungen an den verschiedenen Börsenplätzen zeigten. An allen 3 Monitoren änderte sich plötzlich die Atmosphäre in den Börsentheatern. Wo vorher scheinbares Chaos vorherrschte, war Stille. Alle Broker starrten auf ihre Monitore. Auf den Livestreams im Pressesaal sah man nichts Besonderes. Erst beim Heranzoomen auf eine der vielen Tabellen sah man den Grund. Überall, wo sich vorher ständig verändernde Zahlen von Kursen, Bewertungen etc. überschlugen, stand jetzt eine Null. Die Kameramänner der verschiedenen Börsen hatten dies wohl mitbekommen und zeigten auch andere Monitore. Überall nur Nullen. Der französische Präsident fuhr jetzt mit seiner Rede fort: „Das was Sie hier eben in Echtzeit gesehen haben, ist kein technischer Defekt oder eine Computerstörung. Ab diesem Moment gibt es weltweit keine Börsennotierung, kein Aktienvermögen, keinerlei Spekulationsobjekte mehr. Sämtliche Daten hierzu sind unwiederbringlich vernichtet. Damit gibt es keine Finanzindustrie mehr" "Mehr noch, was Sie hier nicht sehen. Zeitgleich dazu ist sämtliche Bankensoftware nicht mehr verfügbar. Demnach sind auch alle Vermögen auf Bankkonten gelöscht. Lediglich Tausend Dollar bzw. ein Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung bleiben jedem Bürger weltweit als Neustart zur Verfügung. Mit dieser Summe starten auch Menschen, die bisher noch kein Ein- kommen oder Bankkonto hatten. Damit werden sämtliche Menschen, gleich wo sie leben, auf einen gemeinsamen Startpunkt gebracht. Sowohl Sie alle hier, ein Warren Buffet, ein Scheich, ein Obdachloser, ob Kind oder Greis, ob US-Bürger oder Sudanese, auch ich, beginnen hiermit bei Null. Dies war erforderlich, um eine Wende in der globalen Wirtschaftspolitik einzuleiten“ Das Auditorium war starr vor Schreck. Das konnte einfach nicht wahr sein. Einige der anwesenden Journalisten loggten sich bei ihrer Bank ein, um ihren Kontostand abzurufen. Überall wieder die Null bei ihren Anlagenkonten! Bevor man er richtig zu Ende denken konnte, übernahm die deutsche Bundeskanzlerin das Mikrophon. „Ich kann verstehen, dass Sie das alles nicht für bare Münze nehmen und es nur für ein Spiel halten, dass es eine vorbeigehende Panikmache ist. Dafür ist die Lage aber zu ernst. Wir haben alle gemeinsam beschlossen einen Neuanfang ein- zuleiten und dafür müssen bisherige Strukturen aufgelöst werden. Ohne diese doch brachial erscheinenden Maßnahmen gäbe es dafür keine Chancen. Das Ziel ist es ja, die Weltwirtschaft auf ein Zukunftsprogramm einzustellen, das ein Überleben unserer Zivilisation garantiert. Nicht für einige wenige Generationen, sondern dauerhaft. Dazu gilt es mit den vorhandenen Ressourcen so umzugehen, dass diese nie versiegen. Aktuell haben wir ja den Zustand, dass 10 % der Weltbevölkerung 90 % der verbrauchten Ressourcen für sich in Anspruch nehmen. Schlimmer noch, es ist mehr als der Planet länger als 2-3 Generationen zur Verfügung hat. Das bedeutet, ohne eine Kehrtwendung dieses Tatsachenbestandes sind in spätestens 50 Jahren einige Rohstoffe unwiederbringlich verbraucht. Das trifft ins besonders für Erdöl zu. Dazu kommt noch die ungeheure Menge an freigesetzten Treibhausgasen. Wie wollen wir das verhindern? Nachdem alle Erdbewohner zunächst mal auf einen Punkt gesetzt worden sind, auf dem man aufbauen kann, ist dies jetzt möglich. Am einfachsten kann man dies an den Gesamtemissionen an CO2 festmachen. Im Jahr 2013 wurden 35 Mrd.t CO2 freigesetzt. Das entspricht pro Erdenbürger ca. 5 t. Wobei es je nach Land sehr große Unterschiede gibt. Ein US-Amerikaner kommt auf 16 t, ein Inder lediglich auf 1,8 t, ein Kameruner auf 0,4 t. Ca. 40 % davon werden von den Pflanzen wieder in Biomasse verwandelt. Bleiben also 21 Mrd.t. Würden wir jedem Menschen auf dem gesamten Planeten einen Verbrauch von ca. 3 t/a CO2 zubilligen, hätten wir keinerlei zusätzliche Treibhausgase freigesetzt. Und das müssen wir sofort tun. Nur, wie wollen wir das gerecht umsetzen. Wir haben beschlossen, dies in Form eines CO2-Kontos zu tun. Jeder, zumindest die Bürger in den Industrieländern, bekommt ein Kontingent von 2 t/a in Form eines Guthabens, das auf einer Scheckkarte gespeichert ist. Bei jedem Kauf oder Inanspruchnahme einer Dienstleistung wird die zu diesem Vorgang freigesetzte Treibhausgasmenge abgebucht. Damit hat jeder die Freiheit dieses Guthaben nach seinen persönlichen Prioritäten einzusetzen. Dazu ist es allerdings notwendig zu jedem Produkt, zu jedem Produktionsschritt, vom Fördern eines benötigten Rohstoffes, über dessen Verarbeitung, dessen Verpackung, alles zu erfassen und damit die jeweilige CO2-Gesamtbilanz zu ermitteln. Dies wird in der Praxis dazu führen, dass viel nachhaltiger und überlegter produziert wird. Die noch freie 1 t/a pro Person wird in Form von Energieversorgung/Mobilität/etc. allgemein benötigt. Damit sind wir auch schon bei der Mobilität. Dazu gebe ich das Mikrofon weiter“ Die Zuhörer im Pressesaal waren jetzt doch erschrocken über die bereits konkreten Vorstellungen. Der nächste der G20 Teilnehmer, der das Wort ergriff, war der italienische Ministerpräsident, ein noch jungenhaft aussehender Mann, dem man zumindest äußerlich so ein staatstragendes Amt nicht zutraute „Meine Damen und Herren, wie können wir eine solch ambitionierte Absenkung unserer klimaschädlichen Gase in der Praxis umsetzen? Es gibt da einen besonders wirksamen Hebel. Das wäre die Abschaffung jeglichen privaten Autoverkehrs. Das klingt nun wirklich revolutionär und erscheint nicht realisierbar. Und doch muss dies geschehen. Bei 7 Mrd. Menschen haben wir einen aktuellen PKW-Bestand von 1,2 Mrd. Man muss sich mal diese Zahl näher anschauen. Das ist eine Autoschlange die 120 mal um den Erdball führen würde. Jeder PKW ist für ca. 3 t Treibhausgas pro Jahr verantwortlich. Und die Zahl der PKWs wird weiter stark zunehmen. Damit ist die Erfindung des Automobils wohl die verheerendste in der Schöpfungsgeschichte. Wir haben damit unsere Städte schier unbewohnbar gemacht. Lärm und Abgase sind weit über einer Toleranzgrenze hinaus eine massive Gesundheitsgefährdung. Und der Wahnsinn wird weitergehen. Die Prognosen für 2030 liegen bei fast 2 Mrd. PKW weltweit. Obwohl diese Zahlen jeder Verantwortliche kennt, verhalten wir uns da alle wie Lemminge. Ein Neustart unseres Wirtschaftssystems, wo die Nachhaltigkeit oberstes Ziel hat, kann nur ohne die private Nutzung von Automobilen stattfinden! Eine Änderung der Antriebstechnik von Benzin/Diesel auf Elektroantrieb ist bei dieser hohen Anzahl an PKWs nicht realisierbar. Deshalb werden ab sofort keine Tankstellen mehr mit Kraftstoff beliefert. Sämtliche dazu notwendigen Schritte sind über Eingriffe in die Software dieses Industriezweiges bereits eingeleitet. Lediglich Rettungsfahrzeuge, Polizei und Versorgungsfahrzeuge werden ausreichend mit Treibstoff versorgt werden. Ähnliches gilt für den zügellosen Luftverkehr. Hier drohen ähnliche Auswüchse wie beim privaten Autoverkehr. Das klingt alles jetzt nach Einschränkungen persönlicher Freiheit. Ist es aber nicht. Es hat nichts mit Freiheit zu tun, wenn sich eine Minderheit des Vermögen besitzenden Teils der Menschheit sich Ressourcen bedient, welche in wenigen Jahrzehnten unwiederbringlich verbraucht sind. Das ist epidemischer Missbrauch von Freiheit. Besinnen wir uns also auf unsere Verantwortung für die nachkommenden Generationen. Was wird das für eine Welt sein, ohne wild gewordenes Kapital, ohne Banken in heutigem Sinn, ohne uneingeschränkte Mobilität? Darüber wird nun mein chinesischer Kollege berichten“ In etwas asiatisch eingefärbtem Englisch fuhr dieser fort „Als Vertreter des volkreichsten Landes fühle ich die besondere Verantwortung für die gesamte Weltbevölkerung. Wenn es gelingt, bei über einer Milliarde Chinesen das hier alles umzusetzen, dann wird das überall gelingen können. Wie kann man ohne eine Börse, ohne ein Streben nach Profit überhaupt wirtschaften, die Bevölkerung ausreichend ernähren, mit Energie versorgen? Es funktioniert, wenn man gänzlich neue Strukturen des Verteilens schafft, welche die Grundbedürfnisse der Menschen wie Nahrung, Bildung, Zugang zu sauberem Wasser, Mobilität und Arbeit befriedigt. Von allem ist mehr als genügend da, nur muss man es neu organisieren und gerecht verteilen. Dazu müssen wir akzeptieren, dass unsere bisherige Art, was die Amerikaner „way of live“ nennen, gescheitert ist. Mit dem nun erzwungenen Neustart haben wir dazu die beste Basis. Ich will anhand von einigen Beispielen erklären, was ich damit meine. Was passiert, wenn von heute auf morgen keine Autos mehr fahren werden. Zunächst werden wir mal alle in unseren Großstädten frei durchatmen können. Unsere Ohren werden Dinge hören, welche vorher der Verkehrslärm überdeckt hat. Unsere Kinder werden wir wieder zum Spielen auf die Straße schicken können. Aber wie kommen wir zum Einkaufen, zur falls noch vorhandener Arbeit, zu Freunden? Wir haben inzwischen dank modernster Kommunikationstechnik alle Mittel, unsere Mobilitätsziele zu artikulieren. Intelligent vernetzte Verkehrssysteme, welche natürlich massiv ausgebaut werden müssen, bringen uns schnell an unser Wunschziel, stressfrei, staufrei und umweltfreundlich. Werden wir überhaupt noch Arbeit haben, wenn ganze Industriezweige zusammenbrechen? Natürlich werden wir das! Die Umstellung auf ein global nachhaltiges Wirtschaften macht zwar eine Vielzahl von Jobs. unnötig, schafft aber dafür mindestens genau so viel neue. Nehmen wir das Beispiel das Wegfallen der gesamten Automobilbranche. Bereits jetzt werden diese in fast menschenleeren Produktionstrassen hergestellt. Diese noch überschaubare Anzahl an Arbeitsplätzen fallen zwar weg, aber dafür müssen über eine Milliarde PKWs fachmännisch zerlegt und wieder zu Rohstoffen aufgearbeitet werden. Gleichzeitig müssen abertausende von unnötigen Straßen und die meisten Flughäfen wieder zu Landschaft umgewandelt werden. Ganze Innenstädte müssen wieder zu urbanen Stadtlandschaften zurückgebaut werden. Die an den Randzonen der Städte jetzt nicht mehr erreichbaren Einkaufszentren werden weichen müssen, dafür entstehen wieder in den Zentren von Dörfern und Städte kleine, gut erreichbare Einkaufsmöglichkeiten, welche wieder mehr Personal benötigen. Öltanker werden zu Wassertankern umgebaut. Mit dem Wasser wird das Wasser weltweit gerechter verteilt werden. Es werden gigantische Aufforstungsprogramme gestartet werden. Die globale Umstellung auf regenerative Energien werden Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Die Beschäftigungssituation wird sich daher weltweit eher verbessern“ Der chinesische Ministerpräsident verneigte sich kurz und zeigte damit das Ende seiner Ausführungen an und reichte das Mikrofon weiter an den japanischen Ministerpräsidenten „Wenn Sie die bisherigen Statements verfolgt haben, werden Sie sich sicher fragen: Ja, und wer regiert uns dann? Die Demokraten unter uns waren zunächst der Meinung, dass dies alles demokratisch legitimiert werden muss. In den Diskussionen unter uns, aber auch mit den externen Beratern, mussten wir aber erkennen, dass es gerade die demokratisch geführten Länder waren, die an dem jetzigen Zustand der Erde die Hauptverantwortung auf sich nehmen müssen.Keine der vielen diversen Parteien ob eher links oder rechts orientiert, wäre an die Regierung gekommen, hätte es seinem Volk die Wahrheit mitgeteilt. Jede der regierenden Parteien wurde gewählt, weil sie Versprechungen abgegeben hat, die zwar kurzfristig in manchen Fällen eingehalten werden konnten, aber in Bezug auf Nachhaltigkeit die jetzige Situation unseres Planeten zur Folgen hatten. Noch schlimmer, der üppige Wohlstand der Industrienationen galt als Vorbild der so genannten Schwellenstaaten einschließlich der Entwicklungsländer. Immer mehr Bürger aus diesen Ländern wollen auch ein Auto besitzen und rund um die Welt fliegen. Da die verfügbaren Ressourcen nun mal nicht unendlich sind, steuert unser Wirtschaftsgefüge, die Gesellschaftsordnungen, unsere Umwelt, unaufhaltsam dem globalen Kollaps zu. Dies können wir nur noch durch die jetzt und heute vollzogene Vollbremsung der aktuellen globalen Ordnung aufhalten. Das komplexe Zusammenspiel von Grundbedürfnissen der Menschen und den zu Verfügung stehenden Ressourcen mit all den Verteilungsmechanismen ist durch Regierungen, Parteien gleich welcher Regierungsform nicht mehr überschaubar und damit auch nicht steuerbar. Es muss daher eine völlig neue Form des Regierens gefunden werden. Wir haben darüber mit den Wirtschaftsfachleuten lange diskutiert und kamen zu dem Schluss, dass hier nur die Wissenschaft in enger Verzahnung mit der IT-Industrie die Lösung darstellt. Dank dem hohen Wissensstand der Wissenschaft über das Verbraucherverhalten und dessen Folgen auf die Umwelt und dem immensen Datenbestand über die Lebensgewohnheiten von hunderten Millionen Bürgern lassen sich heute verlässliche neue Regularien zur Steuerung einer nachhaltigen Weltwirtschaft ableiten. Es gilt also nicht mehr das Machbare, egal welche Folgen daraus entstehen, sondern nur noch das Mögliche, welches ohne Schaden für die aktuelle und auch in Zukunft lebende Weltbevölkerung sich vertreten lässt. Dabei kann nun mal nicht das Wohl des Einzelnen, sondern nur das Gesamtwohl im Vordergrund stehen. Dabei wird im Vordergrund die Gerechtigkeit stehen müssen. In der Vergangenheit wurde immer nur von den einfachen Menschen Opfer abverlangt. Reformen waren immer nur Umverteilungen von unten nach oben“ „Jetzt muss aber erkennbar sein, dass alle Menschen den gleichen Beitrag zur Erhaltung unseres Lebensraumes zu leisten haben. Der gemeinsame Neustart mit gleichen Startbedingungen wird dies gewährleisten“ Alle der Sitzung beiwohnenden Journalisten wischten und tippten wild auf ihren Smartphones herum, um diese unglaublichen Neuigkeiten weltweit zu verteilen. Nach einer kurzen Pause ergriff der indische Ministerpräsident das Wort „Als Vertreter eines Landes, einer Region, die wegen verschiedener Religionen schon sehr viel Leid erfahren musste, möchte ich etwas über die Rolle der Religionen nach diesem Neustart unserer Zivilisation sagen. Natürlich muss es noch möglich sein, auch weiterhin für jeden Erdenbürger seiner Religion nachzugehen. Aber es darf nicht wie bisher dazu führen, dass deswegen weltweit Kriege stattfinden. Oft war die Religion nur ein Vorwand für Aggressionen gegenüber anderen, die entweder mehr oder weniger Wohlstand besaßen. Nachdem jetzt materiell alle Menschen gleich gestellt sind, wird es diese Gründe nicht mehr geben. Gleichwohl muss es gegenüber den verschiedensten Religionen eine übergeordnete Gemeinsamkeit geben, die verhindert, dass sich bestimmte Religionen überlegen fühlen und andere Glaubensgemeinschaften versuchen zu diskriminieren. Es gibt da eine gemeinsame Formel, das gilt auch für diejenigen, die keinerlei Glauben für sich in Anspruch nehmen. Diese universale Formel hat vor über 200 Jahren der Philosoph Immanuel Kant erstellt. Sie ist bekannt als der kategorische Imperativ. Er lautet: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ Diese wohl bedeutendste universale Empfehlung für ein ungestörtes Zusammenleben aller Menschen, egal welche Religion oder Nationalität, hat für 7, demnächst über 10 Mrd. Menschen andere Konsequenzen, als zu der Zeit als Immanuel Kant sie erdacht hat. 10 Mrd. Menschen auf unserem Planeten müssen nach anderen Regeln leben als z.B. 10 Millionen. Man muss also das Miteinander, das individuell Mögliche, den aktuellen Gegebenheiten anpassen. Mit dieser Formel, angewandt auf das Verhältnis aller Menschen miteinander umzugehen, lässt sich eine gerechte neue Weltordnung erreichen. Diesem Prinzip müssen sich auch Religionen unterordnen!“ Damit hatten jetzt schon einige Regierungschefs die verschiedensten Facetten des Neustarts unserer Zivilisation beschrieben. Ein wichtiger Komplex fehlte aber noch. Alle Journalisten warteten noch darauf, wie man mit dem Militär in Zukunft verfahren wolle. Die Antwort darauf sollte der russische Ministerpräsident geben. „Meine Damen und Herren. Sie sehen mich hier nicht nur als den russischen Ministerpräsidenten, sondern auch als Oberbefehlshaber der russischen Armee. Das wird in der von uns anvisierten neuen Weltordnung nicht mehr möglich sein. Dies gilt auch für den amerikanischen, den chinesischen, englischen, französischen, deutschen Regierungschef. Nicht, dass wir das Militär abschaffen wollen, nein, es wird aber in Zukunft unter dem Befehl der Weltengemeinschaft weiter existieren müssen. Diese, und wirklich nur diese Militärorganisation hat dann das Gewaltmonopol. Dies durchzusetzen wird ihre erste Aufgabe sein. Unterstützung wird dadurch gegeben, dass ab sofort sämtliche Waffenbedienungen, ein Waffenerwerb nicht mehr national möglich ist. Bereits jetzt sind z.B. sämtliche militärische Flugbewegungen der verschiedensten weltweit operierenden Einheiten nicht mehr durchführbar, da ab sofort die militärischen Flugsicherungen nachhaltig gestört sind. In Zukunft wird es nur noch diese eine multinationale Truppe geben. Diese wird nur ein Bruchteil der aktuellen weltweiten Rüstungsausgaben benötigen, aber trotzdem auf allerhöchstem technischem Niveau ausgestattet sein. Als Allererstes wird es notwendig sein, eine weltweite Entwaffnung bis in jeden Winkel der Welt aktiv zu kontrollieren. Wenn nötig, muss hier Gewalt angewendet werden. Das Ziel wird sein, dass Bürger keine Angst mehr vor unkontrollierbaren Söldnern und Milizen haben müssen“ Die anwesenden Journalisten konnten immer noch nicht glauben, was hier gerade passierte. Hier wurde nichts anderes verkündet als eine weltumspannende Revolution. Zum ersten Mal ging es nicht mehr um Machtverteilung, wer gegen wen, sondern es ging hier um Selbstentmachtung der mächtigsten Politiker auf der Welt und offenbar hat dies der neue Papst wie auch immer initiiert. Dieser ergriff jetzt wieder das Wort: „Das, was Sie jetzt gehört haben, wird nicht von selbst stattfinden. Es wird sich sehr viel Widerstand dagegen bilden. Deswegen bedarf es einer völlig anderen Verwaltung von Bedürfnissen und deren Befriedigung. Bislang galt das Motto „Alles was möglich ist wird auch getan, egal welche Folgen daraus entstehen. Hauptsache es dient dem Wohl eines Einzelnen“ Ab jetzt gilt: Nicht mehr das Mögliche, sondern das Verantwortbare zählt. Und darüber entscheiden nicht Politiker oder gar Wahlen, sondern Wissenschaftler mit der Unterstützung der IT-Spezialisten. Wir haben dazu alle zur. Verfügung stehenden Daten und Algorithmen der verschiedensten Netzwerke wie Google, Microsoft, Facebook, Amazon, eBay, SAP, Oracle etc. zur Verfügung, die sich in den Dienst der neuen Ordnung einbringen. Dabei zählt aber jetzt nicht mehr der Profit dieser Konzerne, sondern deren Datenbestand. Darauf basierend lassen sich jetzt die gänzlich neu aufgestellten notwendigen Warenströme so steuern, dass nirgends auf der Welt mehr gehungert werden muss. Wenn Sie jetzt den Raum verlassen, werden Sie sofort die ersten Änderungen in Ihrem Alltag zu spüren bekommen. Eine Möglichkeit sich dagegen zu wehren wird es nicht geben. Diese Institutionen wo Sie das tun könnten, gibt es einfach nicht mehr. 7 Mrd. Menschen können nicht mehr so regiert werden, dass Einzelinteressen in erforderliche Maßnahmen einbezogen werden können“ Nachdem niemand mehr auf dem Podium das Wort ergriff, ergoss sich ein Wortschwall der Journalisten in Richtung der Redner. Alle wollten Fragen stellen. Nach einer Weile ebbte die Lautstärke doch etwas ab. Das nutzte einer der Podiumsanwesenden und sprach die Journalisten an: „Die wenigsten hier werden mich kennen. Ich bin Professor Walter Hawkins und leite ein renommiertes Institut in Baltimore, das sich mit Zukunftsfragen beschäftigt. Wir hier nehmen uns jetzt die Zeit, einige erste Fragen zu beantworten“ Natürlich reckten sich mindestens genauso viele Arme wie Anwesende da waren. Der Professor deutete auf einen der Herren in der ersten Reihe. „Können Sie uns sagen“, begann der Fragesteller, „was passiert, wenn sich ein Land weigert dies alles umzusetzen? Es bedeutet ja sämtliche Regierungsgewalt an irgendwelche Institutionen abzugeben“ Die Antwort kam sofort. „Es sind nicht irgendwelche anonyme Institutionen, sondern das Beste, was die Menschheit an Wissenschaftlern aufbieten kann, gleich welcher Nationalität. Alles was entschieden wird, ist transparent und wissenschaftlich untermauert. Dagegen sind einzelne nationale Interessen selten nachhaltig und immer nur auf eigene Vorteile ausgerichtet. Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. In einer Region gibt es Wasser im Überfluss, woanders scheint an 365 Tagen im Jahr die Sonne. Bislang nutzte die jeweilige Region diese lokal beschränkte Ressource nur zu einem Bruchteil. In Zukunft werden diese Ressourcen global nutzbar sein. D.h. der Strom, der im Überfluss in Wüstenregionen produziert werden kann, steht jetzt weltweit zur Verfügung. Er könnte z.B. vor Ort zur Wasserstoffelektrolyse eingesetzt werden. Dort, wo Wasser im Überfluss zur Verfügung steht, könnte man dieses entweder in Pipelines oder auch in umgerüsteten Öltankern in wasserärmere Regionen transportieren. Genauso wie hier an diesem Beispiel beschrieben, werden auch andere Rohstoffe oder auch Agrarprodukte weltweit zur Verfügung stehen. In einem solchen globalen Wirtschaftssystem kann es einfach keine nationalen Zuständigkeiten mehr geben“ Der Professor forderte einen weiteren Fragesteller auf, eine Frage zu stellen: „Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Ken Douglas. Ich bin freier Journalist. Zu meiner Frage. Man hat angedeutet, dass sämtlicher privater Autoverkehr und auch dementsprechend der private Flug- uns Schiffsverkehr praktisch fast völlig zum Erliegen kommt. Das muss doch einen gravierenden Einfluss auf den Tourismus haben. Was wird aus den Flughäfen, den Autobahnen, aus den Hotels, den Restaurants, den dort Beschäftigten?" „Natürlich hat das Einfluss auf den Tourismus! Bisher konnte jedermann, wenn er nur Geld hatte jeden Winkel der Erde heimsuchen. Mit Flugzeug, Schiff, sogar per Helikopter war alles möglich. Das kann kein Modell für den Tourismus der Zukunft sein. Wenn in Zukunft das Bedürfnis besteht andere Länder, Kulturen zu erkunden, muss auch dies nachhaltig sein. Die Möglichkeiten dazu müssen geschaffen werden. Dazu muss ein Umdenken stattfinden im Sinne von Entschleunigung. Das Reisen der Zukunft wird erheblich langsamer stattfinden. Die dann nicht mehr benötigten Flughäfen, Autobahnen oder touristische Einrichtungen, welche bisher die Landschaft verschandeln, werden der Natur zurückgegeben. Bei der Frage der Beschäftigung für diejenigen, welche bisher z.B. im Tourismus tätig waren, werden neue Jobs entstehen. Es wird ja nicht so kommen, dass niemand mehr reisen kann, sondern es wird eine völlig neue Art des Reisens entstehen, wo man eine andere Kultur kennenlernen kann und dazu wird es eine kundige Führung brauchen. Im Übrigen, die Absicht jeden Bürger mit einer Kaufkraft von ca. 1000 Dollar im Monat zu versehen, wird verhindern, dass es Menschen gibt, die nach einem Jobverlust im Abseits stehen werden. Ich hoffe ihre Frage verständlich beantwortet zu haben“ Und weiter ging es mit den Fragen. Ein Journalist wollte eine Antwort auf das Problem einer leistungsgerechten Vergütung „Mit diesem Thema haben wir uns intensiv befasst. Gehen wir zunächst einmal vom bisherigen Zustand aus. Auch jetzt haben wir keine Entlohnung, welche an einer Leistung orientiert ist, welche der Gesellschaft insgesamt nutzt. Im Gegenteil! Diejenigen, welche Arbeitsplätze weg rationalisieren, welche mit Finanzen jonglieren, gehörten zu denen mit den höchsten Einkommen. Diejenigen, welche einen sozialen Dienst an Mitmenschen verrichten, die Krankenschwestern, Altenbetreuer, gehörten zu denen, welche am unteren Ende der Verdienstmöglichkeiten liegen. Dies gilt insbesondere für die Industriegesellschaften und hat mit dazu geführt, dass jedes Maß an Verantwortlichkeit für unsere nächst folgenden Generationen verloren ging. Wenn Profit damit verdient wird, dass noch die allerletzten Ressourcen unserer Erde herausgepresst werden, wenn belohnt wird, Arbeit immer billiger verrichten zu lassen, dann hat das bisherige System einer angeblich leistungsorientierten Vergütung versagt. Ein neues System muss so gestaltet werden, dass es diese Menschen besonders belohnt, welche zum Wohl der jetzigen und auch der zukünftigen Generationen beiträgt. Sie werden sich erinnern, der französische Ministerpräsident hat eingangs eine CO2-Quote benannt, welche jedem Bürger weltweit zugestanden wird. Eine Belohnung kann aber nicht sein, dass man diese in Form eines höheren CO2-Bonus zugesteht, sondern muss es ein System von ideellen Zuwendungen geben. Es gibt da eine Fülle von Möglichkeiten wie z.B. das Erhalten von klimaneutralen Dienstleistungen wie Theaterbesuch, das kostenlose Erlernen bzw. zur Verfügung stellen eines Musikinstruments, einen Urlaub auf einem Segelschiff, eine höherwertige Wohnung bereitstellen. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Das muss alles erst noch mit weiteren Vorschlägen beginnen sich zu entwickeln. Es wurden noch viele weitere Fragen gestellt. Alle führten Bedenken im Hintergrund, ob diese radikalen Maßnahmen nicht zu einem weltweiten Kollaps des Zusammenlebens von Gesellschaften und Völkern führen würde. Nicht auf alles gab es eine zufriedenstellende Antwort, aber das Kombinieren eines festen Einkommens ohne Existenzangst, das eine Art Grundsicherung sein sollte, mit dem Limitieren von Treibhausgasen, würde für die meisten Erdbewohner eine erhebliche Verbesserung bringen. Parallel dazu würden die bisherigen Auswüchse an persönlicher Bereicherung zu Lasten aktueller und nachfolgender Generationen rigoros gestoppt. Der Erfolg der eingeleiteten Maßnahmen würde direkt von der Leistungsfähigkeit der auf dieses Szenario programmierten IT abhängen. Versorgungssicherheit weltweit, lückenlose Vernetzung, Vertrauen der Bürger in das neue Wirtschaftssystem würden den befürchteten Kollaps verhindern
Kapitel 25. Zur etwa gleichen Zeit in London. Sam Berklin war jetzt wieder zurück in seiner Heimatstadt London. Bereits die Fahrt von Rom hierher unterschied sich fundamental von seinen bisherigen Reisen. Früher buchte er einige Tage, manchmal auch nur Stunden vor Antritt einer Reise einen Flug und war innerhalb weniger Stunden an seinem Ziel angekommen. Das war jetzt anders. Einen zivilen Flughafen in Rom gab es nicht mehr. Dafür konnte er jetzt umsonst innerhalb weniger Minuten ein öffentliches Verkehrsmittel per Handy anwählen, das ihn vor seiner Wohnung abholte. Diese Möglichkeiten waren ganz neu. An einem Tag vor etwa 2 Wochen waren plötzlich sämtliche Apps auf seinem Handy verschwunden und durch andere ersetzt worden. Darunter auch diese App zum Anfordern von Beförderungsmitteln. Neben dieser App waren weitere völlig neue Apps auf der Bedieneroberfläche zu finden. Darunter ein Jobfinder, eine App mit einem aufgeladenen Geldbetrag, ein persönlicher CO2-Verbrauchsindikator, welcher jeden seiner Einkäufe erfasste und sein jeweils verbleibendes CO2-Konto Tag genau anzeigte. Jetzt nutzte er dieses Tool und hatte wenig Mühe, von Rom mit dem Zug nach London zu kommen. Er war ja jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr in London gewesen. Damals quoll die Stadt noch über vom Autoverkehr. Die Straßenseiten zu wechseln war ohne die Fußgängerampeln überhaupt nicht mehr möglich. Nur wenn sich die Autos stauten, und das war zur rushhour die Regel, konnte man sich durch die stehenden Autos schlängeln. Vor allem lag über der ganzen Stadt ein ständiger Geräuschpegel. Selbst in seiner Wohnung, einer eher ruhige Gegend, war auch nachts bei geöffnetem Fenster nicht wirklich Nachtruhe. Damals fiel es ihm gar nicht mehr auf. Erst jetzt, schon beim Verlassen des Bahnhofs, spürte er eine ungewohnte Atmosphäre. Nicht dass die Straßen leer waren. Nein, es war richtig was los, aber der Autoverkehr fehlte fast völlig. Dies ergab einen völlig neuen Stadtklang. Nur Stimmen von Menschen waren zu hören. Kein Hupen mehr, kein Dauergeräusch einer Mischung des Motorenklanges unterschiedlichster Fahrzeuge. Und auch die Luft war eine andere. London roch immer nach London, bisher. Jetzt fehlte etwas in der Luft. Das Fehlen roch angenehm nach Nichts. Er erinnerte sich an seine neue App. Dort gab er ein, wo wohnte und hingebracht werden wollte. Es wurden ihm verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, mit der U-Bahn, mit einem Kleinbus, mit einem Taxi. Parallel dazu die CO2 Minuspunkte, mit der sein Konto belastet würde. Die U-Bahn war ohne Punktabzug, Kleinbus und Taxi mit zunehmendem Abzug. Sam entschied sich für den Kleinbus. Schließlich hatte er London schon einige Wochen nicht mehr gesehen und da wollte er seine Stadt nicht im Untergrund wieder erleben. Sofort nach seiner Eingabe erschien die Meldung: „Gehe nach 200 m links zu Haltepunkt 26“. Die Aufforderung war eindeutig. Nach wenigen Minuten war er auch dort angekommen. Dort stand ein Kleinbus für maximal 9 Personen, in dem schon 6 Leute saßen. Ein Fahrer war auch schon in dem Bus. Sam Berklin wollte dem Fahrer seine Adresse angeben, doch der Fahrer winkte freundlich ab. „Ich weiß schon, wo sie hinwollen. In wenigen Minuten fahre ich los“ Die Fahrt vom Bahnhof nach Baywater, es waren nur wenige Kilometer, zeigte ihm ein neues London. Er sah jetzt vor allem Menschen auf der Straße. Wo sich vorher mehrspurige Autokolonnen durch die Stadt schoben, war jetzt lediglich eine Spurbreie pro Richtung markiert. Der Rest, mindestens 2/3 der Straße gehörte jetzt den Radfahrern, den Fußgängern, den Frauen mit ihren Kinderwagen. Noch nie hatte er vorher am Straßenrand Kinder spielen sehen. Jetzt sah man sie Ball spielen. Vor einigen Häusern standen Stühle oder Bänke, manchmal stand ein Tisch dabei und es sah so aus, dass sich die Nachbarn des jeweiligen Hauses vor ihren Wohnungen trafen und das neue London genossen. Zuhause angekommen lüftete er erstmals seine 3 Zimmer-Wohnung. Seit Monaten war er nicht mehr zuhause. Innerhalb weniger Minuten war die abgestandene, stickige Atmosphäre einer jetzt angenehm sich anfühlenden Luft gewichen. Jetzt mal wieder den Fernseher anschalten, wieder durch die fast unzähligen Sender durch zappen, irgendwo hängen bleiben. Das hatte ihm in Rom doch etwas gefehlt. Zu seiner Überraschung hatte sich nicht nur London verändert, auch sein bisher gekanntes Sendermenü war jetzt ein völlig anderes. Wo vorher auf Sendeplatz 1 die BBC, Platz 2 Sky News etc. waren, gab es jetzt nur noch wenige Themen bezogene Kanäle, News, Kultur, Sport, Doku, Spielfilme und Kinder, mehr nicht. Mit dem Durchzappen war er schnell fertig. Angenehm fiel ihm auf, dass keinerlei Werbung die jeweiligen Sendungen unterbrachen. Wie oft hatte er sich schon geärgert, wenn bei Spielfilmen Werbeblöcke genau vor spannenden Filmpassagen eingeblendet wurden. Es geht einfach nicht, im Film „Zwölf Uhr mittags“ 2 Minuten vor Zwölf irgendwas von Suppen oder Baumärkten dazwischen zu zeigen. Keine bestimmte Werbung von Marken mehr zuzulassen bedeutet auch, dass sich das Positionieren von bekannten wie auch neuen Produkten nach völlig neuen Maßstäben zu orientieren hatte. Jetzt hing der Erfolg von Waren nicht mehr davon ab wie hoch der jeweilige Werbeetat dafür eingesetzt war, sondern nach deren Notwendigkeit, der Qualität und deren Nachhaltigkeit. Als er zum ersten Mal zum Nachrichtenkanal wechselte, wurde über internationale Ereignisse berichtet, welche er so nicht erwartet hatte. „In Pjöngjang wurde die amtierende Regierung von den neuen Weltmilitärs im Handstreich abgesetzt. Dazu wurden zunächst sämtliche Nachrichtenverbindungen des Landes unterbrochen. Ebenso die Stromversorgung des Regierungsviertels. Damit war keine Kommunikation zwischen der Regierung und der Armee mehr möglich. Der Präsidentenpalast war dann von Fallschirmjägern gestürmt worden. Die ganze Aktion verlief unblutig. Der amtierende Präsident wurde in Gewahrsam genommen“ Die nächste Meldung bezog sich auf die noch intakte Infrastruktur der Ölindustrie. Durch den Wegfall der privaten PKW-Nutzung und die zukünftige Vermeidungsstrategie von Klimagasen war diese jetzt auf einen Schlag fast völlig unnötig geworden. Sie jetzt weiter in veränderter Form zu nutzen wurde diskutiert und auch bereits Maßnahmen eingeleitet. So sollte die bisherige Öltankerflotte auf den Transport von Trinkwasser bzw. geeignetes Wasser zur Bewässerung der Landwirtschaft umgerüstet werden. Wasser aus Weltgegenden mit Wasserüberschuss sollte in wasserarme Zonen transportiert werden. Dazu wurden weltweit sämtliche Werften aufgefordert, Vorschläge zur Realisierung zu machen. Ein weiterer Punkt war das Vorgehen, den vorhandenen PKW-Bestand von weltweit über 1 Milliarde PKWs zu verschrotten und dabei bestmöglich zu verwerten. Dazu sollten die Fahrzeuge wieder an die jeweiligen Hersteller zurückgeliefert werden. Man ging davon aus, dass dort das benötigte knowhow vorhanden sei, die Fahrzeuge fachgerecht zu recyceln. Auch sämtliche privaten Motoryachten wurden auf passende Weise verschrottet. Meldungen über das Planen von Mega- Solaranlagen an geeigneten Standorten folgten. Wobei betont wurde, dass es dabei keinerlei Einflussnahme der jeweiligen Länder mehr geben konnte. Auch über die Weiterleitung bzw. Nutzung der dort produzierten Energie entschied ausschließlich die Faktenlage. Sam Berklin musste zugeben, das alles waren Nachrichten, welche ihm gefielen. Aber es störte ihn doch, dass es niemanden gab, der dahinter stand. Keine Person mit Namen, keine Institution, sondern nur die Notwendigkeit dies zu tun und dies entschied eine Software. Andererseits, welche Regierung, welche Konferenz hätte dies in wenigen Wochen durchsetzen können? Es erinnerte ihn doch irgendwie an Georg Orwells 1984. Es gab ja jetzt wieder einen großen Bruder. Aber dieser ließ das Denken zu. Neue Gedanken wurden gebraucht, aber nicht von Menschen aussortiert in sinnig, unsinnig, oder nicht in voreingenommene Meinungen passend, sondern letztendlich von Denkmaschinen, welche unbestechlich waren. Sam Berklin wurde immer klarer bewusst, dass das Abschaffen von Geld, das sofortige Stoppen der privaten Nutzung von PKWs, genau die richtige Initialzündung war, um einen Neustart der Weltwirtschaft einzuleiten. Der Begriff „Globalisierung“ hatte eine völlig neue Bedeutung erhalten. Als er seinen PC einschaltete um seine Emails zu lesen, blieb der Bildschirm zunächst sehr lange in der Suchposition. Dann erschien eine Meldung „Ihr Account steht Ihnen nicht mehr zur Verfügung. Ab sofort gibt es weltweit nur noch einen Email Provider. Richten Sie bitte einen öffentlichen und einen privaten Zugang ein. Ihr neuer Zugangsname ist Sam.Berklin184.@world “ Damit hatte die „Neue Ordnung“ auch die Macht über das Internet übernommen. Die nächsten Tag in London sammelte Sam Berklin einfach nur Eindrücke, wie sich die Veränderungen auf das allgemeine Leben der Bevölkerung auswirkte. Dabei lernte er auch die neuen Funktionen seines smartphones kennen. Es diente als Bezahlinstrument beim Einkaufen, beim Ordern von Verkehrsverbindungen. Es zeigte seinen Kontostand bezüglich der neuen Währung an oder auch seinen bisher aufaddierten Verbrauch an klimaschädlichem Gas. Es schickte ihn zu Vorsorgeuntersuchungen zu einem Arzt. Es gefiel ihm zwar, und doch bereitete es ihm Unbehagen. Hinter allem konnte er keine bestimmte Person oder Organisation, geschweige denn einen Ansprechpartner ausmachen. Das System funktionierte einfach von selbst. In seinem Stadtteil, den er schon von Kind an kannte, änderte sich auch stetig etwas. In seiner Kindheit gab es dort viele kleine Läden mit den unterschiedlichsten Angeboten. Von der kleinen Schuhmacherwerkstatt über den Fahrradhändler, den Lebensmittelladen oder den Friseur, alles war zu Fuß erreichbar. Und dies schien sich wieder einzustellen. Da wo diese Läden einst waren, wurden sie wieder instand gesetzt. Und so öffnete einige Häuser weiter wieder ein kleines Lebensmittelgeschäft. Beim ersten Besuch dort unterhielt er sich mit den neuen Betreibern, einem Ehepaar, so um die fünfzig. Vorher waren beide bei einer Bank beschäftigt. Dieser Arbeitsplatz fiel komplett weg. Ihre Kenntnisse des Bankgeschäftes waren nicht mehr brauchbar. Über die App ihres Smartphones „Jobs“ erfuhren sie von der Möglichkeit, dieses Geschäft zu führen. Es war ja null Risiko dabei. Ihr monatliches Einkommen war garantiert. Über zusätzliche Anreize, eine solche Tätigkeit auszuüben, werde in Kürze entschieden. Das Innere des Ladens unterschied sich erheblich von dem bisher Gewohnten. Der Laden war auf offen verkäufliche Waren ausgerichtet, also keine abgepackten Lebensmittel. Darunter zählten Zucker, Salz, Reis, Mehl, Grieß, aber auch flüssige Waren wie Öl und Essig. Sogar einen Milchabfüllautomat gab es wieder. Beim ersten Einkauf bekam der Kunde ein leeres verschließbares Gebinde und die benötigte Menge wurde ihm darin abgewogen. Das war zunächst gewöhnungsbedürftig, aber so sah die Zukunft des Lebensmittelbeschaffens einfach aus. Das Angebot war zwar begrenzt, aber zumindest die Grundnahrungsmittel waren hier erhältlich. Sam Berklin hatte sich nach einigen Wochen in die neue Welt eingelebt. Fast täglich erlebte er Neues. Er kam aus dem Wundern überhaupt nicht mehr heraus. Innerhalb weniger Wochen hatte sich ein völlig neues Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Londonern entwickelt. Die vorher vorhandenen Klassenschranken, wo jeder wusste, da gehöre ich dazu, die anderen aber nicht, gab es nicht mehr. Eines Morgens erhielt er einen Brief. Die Briefmarke verriet die Herkunft Italien. Als er ihn öffnete, war er dann doch überrascht. Handgeschrieben! Wer kann das heute noch! Der Brief kam vom Papst persönlich: Hallo Sam, nicht wundern, dass ich dir persönlich schreibe. Ich mache dir ein Angebot, das du dir gut überlegen sollst. Ich hätte dich gerne immer in meiner Nähe. Dort, wo ich demnächst hingehe, wärst du mir sehr hilfreich. Allerdings würdest du nie mehr nach England zurückkommen können. Und auch sonst wird für dich nichts mehr sein wie es war. Aber ich kann dir versprechen, es ist eine einmalige Chance für dich, deinen Horizont zu erweitern. Solltest du ernsthaftes Interesse daran haben, dann komme bitte in 14 Tagen morgens gegen 10:00 Uhr nach Rom auf den Petersplatz, es ist der Christi- Himmelfahrt-Tag. Packe dir einen Koffer mit Dingen, welche dir persönlich viel bedeuten, mehr nicht. Komme dann an diesem Tag einfach in den abgesperrten Bereich unmittelbar neben dem dort aufgebauten Rednerpult. Ich hoffe wir sehen uns bald. dein Freund Jesus. Ein etwas seltsamer Brief. Sam Berklin fand es aber durchaus reizvoll, dieses Angebot gründlich zu überdenken. Dort wo man aufwächst, entwickelt man zwar Heimatgefühle, aber besondere Bindungen zu Freunden oder Freundinnen hatten sich nie ergeben. Vor einigen Jahren hatte er sich in eine Arbeitskollegin heftig verliebt. Aber diese war schon vergeben. Immerhin hatte sich eine zaghafte Freundschaft entwickelt. Die Verbindung war aber nie ganz abgerissen. Er hatte sogar noch ab und zu noch E-Mail-Kontakt. Mehr kam aber nicht mehr zustande. Danach maß er alle weiblichen Kontakte an dieser einen Frau. Das führte dazu, dass er sich allmählich zu einem Einzelgänger entwickelte. Somit war es doch leichter für ihn, sich für diese neue unbekannte Zukunft zu entscheiden. Nachdem die Entscheidung feststand, begann er seinen Hausstand aufzulösen. Innerhalb von wenigen Wochen hatte er alles erledigt. Da sich seine Wohnung in einer bevorzugten Lage befand, und London ohnehin knapp an Wohnraum war, hatte er auch mit Nachbewohnern kein Problem. Einige Tage vor Christi Himmelfahrt, es war Mai geworden, fuhr er zum letzten Mal durch die Straßen Londons. Nicht mit einem privaten PKW, auch nicht mit einem Taxi. Er hatte sich für die jetzt in Mode gekommene E-Rikscha entschieden. So konnte er ausgiebig und ohne Hast noch mal die Stadt seiner Kindheit vorbeiziehen sehen. Er tat es mit Wehmut, aber auch mit wachem Blick für das was sich in dieser Stadt in den letzten Wochen und Monaten verändert hatte. Die früher fast 24stündige rushhour gab es einfach nicht mehr. Ruhe war eingekehrt, als wenn jemand Millionen von Londonern auf die Bremsen getreten hätte. Sie war jetzt richtig lebenswert geworden, noch mehr als in seinen Kindertagen, wo alles noch nicht so überfrachtet war vom Fortschritt, wie man das damals nannte. Auch die Straßen sahen jetzt so aus, wie er sie in Erinnerung hatte. In den vergangenen Wochen wurde Straße für Straße von den dort parkenden PKWs befreit. Ohne die Besitzer zu fragen, ohne Rücksicht auf vereinzelte Proteste. So mancher Autobesitzer konnte nicht verkraften, dass sein mehr oder weniger teures Gefährt einfach so zum Schredder gebracht werden sollte und versuchte noch, seinen Wagen in Sicherheit zu bringen. Spätestens beim letzten Tropfen Benzin musste er ihn doch irgendwo stehen lassen, wo er dann letztendlich auch seinen Weg zur sinnvollen Verwertung fand. Jetzt nahm man wieder die schönen Fassaden wahr. Kein Kind, kein Ball, konnte mehr unverhofft zwischen den parkenden Autos auftauchen. Die Gehwege waren jetzt frei davon. Am Bahnhof angekommen nahm er seinen Koffer und fand auch gleich seinen Zug. Auch der Bahnhof hatte sich mächtig verändert. Die Erweiterungen waren zwar noch nicht abgeschlossen, aber jetzt fuhr fast die doppelte Anzahl an Zügen als früher. Das war nur möglich gewesen durch deutlich mehr Personal bei der Bahngesellschaft und eine bessere Organisation der Zugfahrpläne. So konnte man jetzt stündlich unter dem Kanal nach Paris fahren. Auch ohne das Betreiben von privaten PKWs sollte eine möglichst spontane Mobilität aufrechterhalten werden. Deswegen waren auch die Bahnfahrten, gleich wohin, ohne Inanspruchnahme des verfügbaren Eigenbudgets möglich. Auch hatte er gelesen, dass fast alle bisher still gelegten Bahnhöfe in Europa, und das waren einige Tausend, wieder in Betrieb genommen würden. Obwohl ja das Bahnfahren quasi kostenfrei war, gab es immer noch Bedarf bezüglich Auskunft, Toiletten, Platzreservierung etc., einfach das Bereitstellen von Service. Deshalb sollten auch diese kleinen Regionalbahnhöfe wieder mit Personal besetzt werden. Sam Berklin genoss die Bahnreise. In Paris musst er umsteigen, alles war problemlos. Obwohl umsonst, brauchte man Fahrkarten und auch Platzreservierungen. Nur so war ein komfortables unbekümmertes reisen möglich. Die Fahrt ging über Lyon, Marseille. Dort Umstieg, dann über Nizza und Genua nach Rom. Unterwegs sah er die bereits in Angriff genommenen Abrissarbeiten von Autobahnen. Einige der früheren Autobahnen waren ja direkt von seinem Zugfenster einsehbar. Besonders in der Umgebung um Genua, wo eine Fülle von Autobahnen die Landschaften förmlich zerschnitten, wurde radikal rückgebaut. Ganze Autobahnbrücken wurden förmlich weg gesprengt und so die Landschaft wieder der Natur zurückgegeben. Damit gab es endlich auch wieder eine menschenwürdige Wohnqualität für die Häuser, welche an den Außenbezirken der Stadt unmittelbar an der früher dicht befahrenen Autobahn lagen. In Rom angekommen, sah er, dass auch Rom im Umbruch war. Er hatte noch von London aus ein Hotel buchen wollen, aber auch hier hatte sich einiges verändert. Die großen Hotelketten hatten geschlossen, denn sie passten einfach nicht mehr in die neue Zeit. Dafür gab es jetzt die kleinen Pensionen, oder auch Privatunterkünfte, sogar der Wohnungstausch hatte die besseren Karten. War es nicht sinnvoll, wenn eine Londoner Familie die Wohnung einer römischen Familie für die Urlaubszeit oder auch länger einfach tauschten? So kam er in einer kleinen Pension in der Nähe der Engelsburg unter. Fast mit Familienanschluss, ein wirklich gelungener Kontrast zu den bisherigen Aufenthalten in den austauschbaren Hotelkettensilos. Bis zu dem geplanten Auftritt des Papstes am Petersplatz hatte er noch einen freien Tag in Rom zur Verfügung. Er nutzte ihn ausgiebig, um sich ein Bild von den nicht mehr übersehbaren Änderungen der so geschichtsträchtigen Stadt zu machen. Alles, was antik römisch war, das Kolosseum, das Forum Romanum, alles wirkte jetzt noch eindrucksvoller, da. es nicht von Autos umzingelt, nicht von Lärm zugedeckt, nicht von Abgasen eingenebelt war. Mit etwas Phantasie konnte man fast schon in die Welt vor 2000 Jahren eintauchen. Abends ging er noch in ein Restaurant, das er noch von seinem letzten Besuch her kannte. Immer noch der gleiche Wirt, die gleiche Speisekarte, voll wie immer. Nur die Preisliste hatte sich verändert. Statt den Europreisen standen da jetzt die von seinem Monatskonto abzubuchende Punkte. Wenn er hochrechnete und in sein Budget einbaute, dann konnte er sich dies schon zwei- bis dreimal im Monat leisten. Er sprach auch kurz mit dem Wirt und fragte ihn, wie er denn jetzt auf seine Kosten käme. „Ganz einfach, ich habe mein festes Einkommen, wie jedermann. Bankrott kann ich nicht gehen, mein Koch, mein Kellner, besser gesagt unser Koch und Kellner haben ja auch ihr Einkommen, unabhängig wie das Lokal läuft. Uns macht es allen Spaß, den Gästen auch. Und das wichtigste: Ich habe Sicherheit!“
Kapitel 26. Am nächsten Morgen war er gespannt auf die Dinge, die auf ihn zukommen würden. Ahnung hatte er keine. Noch nicht mal die leiseste. Nach dem, was er bereits bisher mit dem Papst erlebt hatte, war es bestimmt kein Bürojob, der auf ihn wartete. Bereits um 9 Uhr war er auf dem Petersplatz. Es fiel ihm sofort auf, dass inmitten dieses Platzes ein etwa kreisrundes Teil vollkommen abgesperrt war. Bestimmt mit einem Durchmesser von 100 m. Eine kleine Rednertribüne war am Kreisrand aufgebaut. Neben dieser Tribüne war ein kleines Areal zusätzlich abgesperrt und mit einigen Stuhlreihen versehen. Dies schien der im Brief erwähnte Treffpunkt für ihn zu sein. Dort ging er hinein. Er war hier nicht der Erste. Einige Männer und Frauen hatten bereits Platz genommen. Außerhalb dieser abgesperrten Zonen füllte sich der Platz immer mehr und bald war die Menge nicht mehr übersehbar. Solch eine große Besucherzahl hatte der Petersplatz noch nie gesehen. Es war irgendwie verbreitet worden, dass es heute eine besondere Botschaft gab. Auch waren die Römer in ihrer Mehrheit begeistert von den doch sehr tiefgehenden gesellschaftlichen Veränderungen, die ihr bisher Gewohntes auf den Kopf stellte. Kein Stein stand mehr auf dem anderen und trotzdem war das Leben jetzt wieder ungemein spannend geworden. Die Ansprache des Papstes war für 10:00 angekündigt. Vom Ausgang der Papstgemächer bis zu dem Rednerpult war ein überdachter, geschlossener, von außer nicht einsehbarer Gang eingerichtet worden. Darin sollte der Papst unbehelligt von seinen Gemächern zu dem Rednerpult gelangen. So etwa eine viertel Stunde vor 10:00 Uhr wurde es unruhig in der Menge. Immer mehr Besucher auf dem Platz deuteten nach oben, auf den mit leichten Schleierwolken eingetrübten Himmel. Auch Sam Berklin wurde darauf aufmerksam. Dort oben, wo jetzt alle hinstarrten, war ein ungewöhnliches Flugobjekt zu sehen. Keines mit Flügeln, kein Hubschrauber, kein Heißluftballon. Nichts davon passte auf das, was langsam größer wurde. Es war kreisrund, von grauer Farbe und beim Näher kommen sah man auch einige Lichter, rote und weiße. Das Objekt schien sich auch leicht zu drehen. Etwa in 200-300 m Höhe, es war schwer abzuschätzen, Sam Berklin dachte da an den Eiffelturm, blieb das Objekt stehen, lautlos. Nach einigen Minuten kam Bewegung in dieses seltsame Gebilde dort oben. Aus seiner Unterseite löste sich ein Teil. Es war ebenfalls kreisrund und senkte sich ab Richtung Petersplatz. Eigenartigerweise war auch dieser Vorgang absolut lautlos. Jetzt wurde den staunenden, teils heftig Erschrockenen etwas klar: Sie wohnten gerade der Landung eines Raumschiffes bei und dieser kleinere Satellit des immer noch regungslos verharrenden Mutterschiffs senkte sich genau auf den kreisförmig abgesperrten Teil des Petersplatzes. Von den Dimensionen her war diese jetzt fast gelandete Scheibe etwa 20 m im Durchmesser mit etwa 3-4 m Höhe. Als es fast den Boden erreicht hatte, blieb es etwa in 1 m Höhe stehen. In der Luft, ohne erkennbaren Antrieb. Lautlos. Scheinbar hatten die Erbauer dieses Gebildes die Schwerkraft überlistet. Wie sonst wäre dies freistehend einfach so möglich, ohne Schubkraft, ohne Düsen, ohne das infernalische Geräusch, das z.B. Hubschrauber machen, wenn sie wenige Meter über dem Boden schweben. Der Anblick dieses Schauspieles zog die Menge der vielen tausend Besucher auf dem Petersplatz so in den Bann, dass sie nicht bemerkten, dass inzwischen der Papst seine Rednertribüne erreichte. Erst als sein Konterfei auf den aufgestellten Videoleinwänden erschien, richtete sich die Aufmerksamkeit weg von dem gelandetem Objekt auf den Papst. Gespannt darauf, was dieser jetzt zu sagen hatte. Die Spannung war nun auf einem Höhepunkt, die es zu lösen galt. Unerhörtes war passiert und die nächsten Worte des Papstes mussten erklären, was hier gerade geschah. Der Papst hatte das etwas erhöhte Rednerpult betreten: „Die Christen feiern heute den Christi Himmelfahrtstag“ begann er. „Vor ungefähr 2000 Jahren geschah das Gleiche was heute geschehen wird. Aber damals waren nur sehr wenige Zeugen anwesend“ Sam Berklin kombinierte, spekulierte etwas und kam zu einem ungeheuerlichen Schluss, bereits ohne dass der Papst weiter gesprochen hatte. Der Papst war ein Alien! Nicht von dieser Welt, genauso wenig wie das Ding, das eben gelandet war und gleich davon fliegen wird und ich mit ihm! Der Papst fuhr fort „Bevor ich die Geschichte erzähle, was vor 2000 Jahren geschah, muss ich noch weiter zurückgehen. Vor etwa zehntausend Jahren besuchten meine Vorfahren zum ersten Mal diese Erde“. Mit diesem Satz erklärte der Papst, dass er kein Erdenbürger sei. „Was sie dabei vorfanden, davon schwärmen unsere Geschichtsbücher noch heute. Ein wunderbarer Planet mit einer phantastischen Landschaft. Überall eine Fülle von Pflanzen, von kleinsten Gräsern und Blumen und riesigen Bäumen. Dazu Tiere der unterschiedlichsten Gattungen. Aber am meisten waren meine Vorfahren überrascht von ihnen sehr ähnlichen Menschen. Allerdings noch in einfachsten Behausungen lebend und mit einfacher Sprache sprechend. Das war noch nicht alles. Ein DNA Abgleich dieser Wesen ergab fast vollständige Übereinstimmung mit uns. Die Übereinstimmung war dermaßen perfekt, dass sogar ganz normale Kinder bei Paarungen möglich waren. Wie konnte das sein? Offensichtlich gab es mindestens noch eine dritte Quelle, die des Ursprunges dieser Gemeinsamkeit, denn eine identisch verlaufende Evolution auf 2 Lichtjahren voneinander entfernten Planeten ist oder scheint unmöglich. Diese Quelle ist übrigens bis heute noch nicht gefunden. Der einzige Unterschied der jetzt entdeckten Menschen zu den Unsrigen war einfach die mehrere zehntausend Jahre weniger kulturelle Entwicklung und auch die Evolution war noch nicht auf unserem Stand. Bei den Kontakten mit den Ureinwohnern zeigten sich diese sehr lernbegierig. Wir zeigten ihnen einige unserer Techniken. Natürlich nur diejenigen, mit denen sie ihre eigenen Fähigkeiten sinnvoll ergänzen konnten. Noch heute sind in Mittelamerika einige unserer Hilfestellungen wie die der perfekten Steinbearbeitung zu sehen. Die Kontakte unserer Welt zu dieser neuen Welt wurden immer wieder unterbrochen. Es gab zwischen damals und heute nur drei Kontakte. Der letzte war vor ca. 2000 Jahren. Immer aber haben wir Spuren hinterlassen. Noch heute bekannte Persönlichkeiten wie z.B. der Baumeister der Pyramiden, Imotheph, war einer von uns. Und jetzt bin ich bei der Zeit angekommen, wo es einiges zu korrigieren gilt. Zu dieser Zeit waren einige junge Männer von uns in Israel. Sie hatten die Aufgabe, ihre Eindrücke zu beschreiben, wie sich die Menschen weiterentwickelt haben. Niemand kannte aber die wahre Identität dieser Männer. Einer dieser jungen Männer verliebte sich in eine junge verheiratete Frau mit dem Namen Maria. Maria war mit einem älteren Mann verheiratet worden, weil sie aus ärmlichen Verhältnissen kam und Josef, so hieß der Mann, gut für sie sorgen konnte. Es war keine Liebesheirat, aber Josef behandelte seine Frau mit Respekt. Als Maria merkte, dass sie schwanger war, bekam sie Angst, zumal ihr Liebhaber sich nicht mehr blicken ließ. Josef konnte ja nicht der Vater sein, das wusste sie, aber auch Josef würde das wissen. Zu der damaligen Zeit wurde Untreue, zumindest die von Frauen, noch mit Steinigen geahndet. Maria wusste zunächst keinen Rat, bis sie einen Traum hatte. Darin erschien ihr ein noch nie gesehenes Wesen, das zu ihr sprach: „Maria, vergiss was geschehen ist, vergiss die schwachen Stunden. Tue einfach so, als sei es der Himmel gewesen, der dich zur Mutter gemacht hat“. Am nächsten Morgen erzählte sie Josef, dass sie ohne ihr Zutun bald Mutter werden würde. Es war eine Zeit auf Erden, da glaubten die Menschen noch an Götter, an Wunder, an Unmögliches. Und da Josef ohnehin etwas einfältig war und er Maria niemals zugetraut hätte einen anderen Mann zu haben, glaubte er diese Geschichte und freute sich zusammen mit Maria auf die baldige Niederkunft. Ja, er erzählte überall herum, dass seine Frau eine besondere Geburt erwartete und das Kind etwas ganz Besonderes sein werde. Und das wurde es dann auch, denn es hatte viele Erbanlagen des Vaters mitbekommen. So konnte es schon bald Gedanken lesen. Maria und Josef erzählten ihrem Kind, das übrigens Jesus hieß, dass es von besonderer Abstammung sei. Das war ja sogar richtig. Der heranwachsende Jesus glaubte übrigens auch, dass er etwas Besonderes sei. Das lag auch daran, dass er immer wieder von seinen Eltern auf das vermeintliche Wunder der unbefleckten Empfängnis hingewiesen wurde. Er war auch schon als Jugendlicher eine Person mit Charisma und er wusste das auch einzusetzen. Tief von seinem Sendungsbewusstsein überzeugt, versuchte er seine Mitmenschen mit seiner neuen Moral zu bekehren. Zunächst war dies den Herrschenden gleichgültig, denn es gab deren viele, die als Prediger durch die römische Provinz zogen. Erst als man Jesus als den neuen König ansah, begann er für die römische Herrschaft unbequem zu werden. Was dann geschah, erzählt die Bibel, die nicht immer Recht hat. Recht hat sie, wenn sie beschreibt, dass Jesus gekreuzigt wurde. Falsch berichtet sie, dass Jesus am Kreuz gestorben sei, für wen auch immer. Nein, er wurde von Maria und einigen helfenden Frauen noch lebend geborgen und dann einige Tage später von uns mit auf die lange Reise zu unserem Heimatplaneten gebracht. Euch wird das alles vielleicht schockieren. Denn das, woran ihr immer geglaubt habt, war ganz anders. Es gibt sie ja die Schöpfung, aber alle Religionen suchen den Schöpfer und meinen der, an den sie glauben, wäre der einzig Richtige. Auch wir, welche in unserem Denken viele Generationen Vorsprung vor dem Euren haben, suchen ihn noch, den Schöpfer. Auch wir hatten Religionen. Alle haben sich verflüchtigt, weil wohl keine eine schlüssige Erklärung hatte für das, was wir schon alles in den Weiten des Weltalls an Überraschungen fanden. Trotzdem suchen wir immer noch nach Erklärungen. Unsere Wissenschaft hat uns schon vieles beantwortet, aber den Schöpfer des allerersten Schrittes hat sie noch nicht gefunden. Und wenn auch dieser gefunden wird, wer hat diesen wiederum geschaffen und wer diesen? Manchmal ist es besser, nicht alles ergründen zu wollen. Es braucht keinen Gott, wie er auch immer genannt wird, keinen Allah, keinen Mohammed, keinen Jesus und wie sie alle heißen. Es reicht die genial einfache Philosophie des Immanuel Kant. Denkt bei allem was ihr tut daran und wenn die Dinge zu komplex werden, dann habt ihr jetzt eine absolut neutrale und gerechte Instanz die das entscheidet. Nicht mehr abhängige Politiker, Gierige, egal ob oben oder unten. Nur so werdet ihr als Menschheit überleben“ Sam Berklin war wie vor den Kopf gestoßen. Als Kind musste er sonntags zur Kirche, dann zur heiligen Kommunion. Auch wenn er inzwischen nicht mehr regelmäßig zur Kirche ging, das Beten hatte er nie ganz aufgegeben. Und jetzt sagte ihm jemand, das alles sei nicht wahr. Das sagte er nicht nur zu den Christen. Alle Religionen wären ein Irrtum. Er stand ja immer noch nahe bei dem Rednerpult des Papstes als dieser fort fuhr: „Einige von Euch habe ich eingeladen mit mir zu gehen. Jetzt wisst Ihr, was ich damit meine. Es steht Euch natürlich frei dieses Angebot anzunehmen oder auch hier zubleiben“ Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die meisten der in diesem abgesperrten Teil des Platzes, es waren vielleicht 20 Personen machten sich auf zu dem gelandetem Objekt. Sam Berklin mittendrin. Es waren sehr unterschiedliche Menschentypen dabei. Vom Alter zwischen 30 bis 60, Männer, Frauen verschiedener Hautfarben, auch der Camerlengo war mit dabei. Wie diese und warum sie zu der Einladung gekommen waren, hoffte er noch zu erfahren. Aus dem in einigen Metern Abstand vom Boden immer noch verharrende Objekt war eine Treppe herabgelassen worden. Über diese ging jetzt diese Gruppe hinauf, alle noch einen Blick zurückwerfend, zum letzten Mal die Erdluft einatmend. Im Inneren dieser außerirdischen Landefähre angekommen, waren sie sofort überwältigt von dem was sie da sahen. Von außen war die Landefähre von eher metallischem Aussehen. Ein graphitähnlicher Farbton, dunkelgrau mit leichtem Glanz. Jetzt aber innen hatte man der Eindruck, als sei sie aus durchsichtigem Glas, als wären sie in einer Glaskuppel. Der Blick nach draußen, egal ob oben oder nach unten, war völlig ungetrübt. Wie war das technisch möglich? Sam Berklin vermutete, dass die Innenwände dieses Objektes eine einzige Videoleinwand waren und die Bilder von außen auf die Innenwände projiziert wurden. Auf jeden Fall ein unglaublicher visueller Eindruck. Vor lauter Staunen hatten sie die Besatzung der Landefähre fast übersehen. Übersehen deswegen, weil sie sich in ihrem Aussehen überhaupt nicht von Erdmenschen unterschieden. Nur durch eine Art Uniform, nur durch die identische Hosen und Hemden waren sie von der Erdmenschengruppe zu unterscheiden. In der Mitte des Raumes war ein Art Kommandostand zu erkennen. Eine erhöhte Sitzposition umringt von einigen Monitoren. Weitere Räume oder Türen waren nicht erkennbar. Nach einigen Minuten des Umsehens erschienen Jesus und einige Begleiter in dem Raum. Am Kommandostand nahm Jesus Platz und drückte einige Knöpfe und gar nicht spürbar hob die Landefähre ab. Man merkte es nur beim Hinaussehen, dass der Abstand zum Petersplatz und der dort staunend zusehenden Menge langsam, dann immer schneller größer wurde. Man kam sich vor wie in einem Ballon, welcher sich lautlos vom Erdboden erhob. Nur die Geräusche dazu fehlten. Es war kein Summen oder gar Dröhnen zu verspüren, während die Menge auf dem Petersplatz immer kleiner wurde. Das war der Blick nach unten, quasi durch die eigenen Füße. Schaute man nach oben, sah man das Mutterschiff immer größer werden
Kapitel 27. Stephen Clark war zufrieden, sogar sehr zufrieden. Mit seiner Hilfe war die größte aller möglichen Revolutionen gelungen, unblutig. Jetzt sah er im Fernsehen den Landeplatz des Shuttles der Aliens live direkt vom Petersplatz. Die Kamera schwenkte über die Personen, welche das Shuttle betraten, als sein Blick an einer Person hängenblieb. Er kannte diesen jungen Mann. Er war bei ihm im Team derer, welche die Vorarbeiten zum globalen Datencrash schufen und dann die neue Software weltweit implantierten. Auch da war ihm dieser aufgefallen. Er kannte sich wenig bei den bestehenden führenden IT- Programmen wie Facebook, SAP, Windows usw. aus, dafür hatte er aber exzellente Ideen für ganz neue Ansätze. Er stellte sich übrigens damals mit dem Namen Ali vor, obwohl er kein arabisches Aussehen hatte. Bei Stephen Clark klickte es kurz, Ali - Alien, vielleicht kein Zufall. Er und Ali hatte am Ende der Arbeiten weiterhin Zugang zu dem Programm. Nur sie hatten Administratorrechte, in das Programm einzugreifen. Und jetzt sah er ihn auf immer verschwinden. Das hieße ja, nur noch er hatte Zugriff auf „Immanuel“, so nannten sie intern das von ihnen geschaffene IT-Werkzeug. Immanuel, benannt nach dem, welcher mit einem einzigen Satz das vernünftige Zusammenleben aller Erdenbürger treffend beschrieb. Besser als es jede Religion vermochte. „Immanuel“ war auf diesem Grundwert aufgebaut. Alle Entscheidungen wurde daran gemessen. Nicht die Programmierer von Immanuel hatten z.B. den privaten Autoverkehr schlichtweg verboten, sondern Immanuel hat ausgehend von Fakten dies als notwendig erkannt. Und nach diesem Entscheidungsmuster lässt sich die ganze Welt regieren. Und jetzt war nur noch er da, welcher in die Tiefen des Programms eintauchen konnte. Nur er kannte noch die Zugangswege, die Passwörter und konnte noch Details verbessern, verändern oder sogar Wesentliches korrigieren. Und sofort setzte er sich an seinen PC. Er wollte einfach nur mal ausprobieren, was noch veränderbar war. Die Sicherheitshürden waren naturgemäß sehr hoch, von Fingerabdrücken über Iriserkennung mit zusätzlichen Passwörtern, das was alles zu überwinden. Für Stephen Clark kein Problem. Schließlich hatte er selbst diese Barrieren errichtet. Deshalb war er umso mehr verblüfft, als im Programm die Meldung erschien „Immanuel bedarf keinerlei Einfluss mehr von außen, ab sofort ist kein Zugang mehr möglich“. Stephen Clark war schockiert. Offensichtlich hatte er Ali dies zu verdanken. Das Programm war ja zum Selbstlernen ausgelegt und es hatte nach eigenem Ermessen genug gelernt, um autark alle nur möglichen Probleme zu lösen und sich damit von menschlichen Ein- griffen vollkommen abgenabelt. Und Ali hatte die Nabelschnur zum Menschen gekappt. Das bedeutete: Ab diesem Zeitpunkt wird die Welt von einem Computerprogramm regiert! Keine Regierungen mehr, kein Kanzler, kein Staatspräsident, kein Diktator mehr, niemand mehr, den man mehr abwählen oder weg putschen kann. Alles was es auf der Welt an grundlegenden Entscheidungen bedarf, wird von Immanuel auf seine Richtigkeit geprüft. Dafür sind die gewaltigsten verfügbaren Rechnerkapazitäten im Einsatz. Stephen Clark wusste, dass dafür sämtliche Großrechner weltweit für Immanuel eingesetzt waren. Niemand anders außer dem von Jesus eingesetzten Team hatte darauf Zugriff. Jetzt noch nicht mal er. Niemand wusste, woher diese Großrechner ihre Energie bekamen. Damit konnte sie niemand von außen wie auch immer lahm legen, zumal alles redundant angelegt war. Eine anonyme Maschine bestimmte also ab jetzt die Zukunft der Menschheit
Epilog. Zwei Monate später. Es war wieder ruhig geworden in dem Dorf zwischen Salmonsla und Modutung. Eine Weile noch kamen die Reporter aus Johannesburg, auch eine Reporterin aus dem Ausland war zu Besuch. Sogar einige Ärzte aus den USA waren gekommen, und hatten sich über die Spontanheilung der von Aids befallenen Dorfbewohner informiert. Das alles führte zumindest vorübergehend zu einem besseren Einkommen einiger Familien. Diese konnten jetzt weider ihre selbst geflochtenen Körbe an die Besucher verkaufen. Aber die Besuche ebbten ab und der Alltag kehrte wieder ein. Immerhin waren jetzt alle im Dorf zwar wieder arm, aber von erträglicher Gesundheit. Isaiah, immer noch der Dorfälteste, tat, was er immer schon getan hatte. Er schaute zur Hauptstraße hinüber, wo der Bus immer noch vorbei fuhr und keine Fremden mehr ausstiegen. An einen etwas ungewöhnlichen Besuch erinnerte sich Isaiah. Irgendwann vor einigen Wochen kam ein Jeep vorgefahren. Ein Mann stieg aus und schaute sich sein Dorf an, machte sich Notizen und nahm unmittelbar am Dorfrand eine Bodenprobe, welche er in ein Glas abfüllte und mit einem Filzstift beschriftete. Isaiah sprach ihn an, was er hier wolle. Der Fremde gab nur die Auskunft, dass er den Auftrag hatte, sich näher hier umzusehen. Isaiah wusste ja nicht, dass sich etwas fundamental geändert hatte, draußen in der Welt. Er wusste auch nicht, dass diese Veränderungen sich bis in den letzten Winkel eines jeden Landes bemerkbar machen würden. Er rechnete auch nicht damit, dass sich irgendetwas an der Hauptstraße dort am Horizont tat und war dann doch überrascht, als er sah, dass ein ganzer Konvoi in Richtung seines Dorfes abbog. Es waren bestimmt 4 bis 5 große LKW, so genau konnte er das nicht erkennen, da die Sicht durch eine Staubwolke stark eingeschränkt war. Die Lastwagenkolonne kam langsam näher. Was sie geladen hatten, konnte man nicht erkennen, da alles mit Planen abgedeckt war. Ein LKW aber hatte ein großes Gestänge geladen. Isaiah konnte sich keinen Reim darauf machen, weshalb die LKW jetzt in sein Dorf kamen und sogar anhielten. Vielleicht brauchten sie Wasser, wollten Rast machen, hatten sich verfahren. Aus dem zuerst vorgefahrenen Lastwagen stieg ein Herr aus, ging zu ihm und fragte nach dem Dorfältesten. Isaiah gab sich als dieser zu erkennen „Ich möchte mich zunächst vorstellen“ begann der Fremde. „Mein Name ist Jeremy Wolff, ich komme aus Johannesburg und möchte in ihrem Dorf einiges zum Besseren verändern. Auf dem einen Lastwagen sehen sie ein Bohrgestänge. Damit werden wir einen neuen, weit besseren Brunnen für Euch bohren. Auf den anderen LKW´s sind Einrichtungen für Stromerzeugung. Weiter haben wir Baumaterial für den Bau einer kleinen Schule mitgebracht. Mit dem neuen Brunnen werdet ihr genügend Wasser haben, um eine Landwirtschaft zu betreiben, welche euch in die Lage versetzt, weitgehend selbständig und unabhängig von bisher not- wendigen Hilfslieferungen zu werden. Wir wissen aus Bodenuntersuchungen, dass mit genügend Wasser hier eine Fülle von essbaren Pflanzen, also Obst und Gemüse sehr gut gedeiht. Sogar einen kleinen Schatten spendenden Wald kann man sich vorstellen. Mit dem Strom, den Ihr selbst erzeugen könnt, ist es für Euch sogar möglich Kühlschränke zu betreiben, es können auch Fernsehgeräte betrieben werden. Für eure Kinder wird eine Schule gebaut. Da wir zunächst nicht genügend Lehrer haben, wird es eine Art Fernunterricht geben. Wir schaffen dafür alle Voraussetzungen. Über diese Fernverbindung habt Ihr auch Kontakt zu Ärzten, die bei Bedarf rasch zu euch kommen können. Die Veränderungen in Eurem Dorf werden auch für Eure Nachbardörfer so interessant sein, dass Ihr Euch um den Fortbestand Eures Dorfes keine Sorgen machen müsst. Die Männer hier im Dorf werden im weiten Umkreis die Begehrtesten sein“ Aus den verschiedenen Lastkraftwagen stiegen ca. 10 Männer aus und begannen auszuladen. Am Fahrzeug, welches die Gestänge geladen hatte, war am Heck ein Kran montiert, mit dem es sich selbst entladen konnte. Mehrere Männer errichteten aus dem Gestänge einen kleinen Bohrturm und begannen mit dem Bohren. Andere entluden mit Hilfe des Krans große Platten mit einer Glasoberfläche. Die Platten wurden am Rande des Dorfes auf einer ebenen Fläche in schräger Position aufgestellt. Wieder andere errichteten aus vorgefertigten Plattenelementen ein Fertighaus. Das ganze Dorf war auf den Beinen und schaute sich die Arbeiten an. Nachdem das Fertighaus aufgebaut war, trugen die Männer größere Kisten in das Haus. Gegen Abend waren die Arbeiten beendet. Jeremy Wolff kam aus dem neu gebauten Haus und bat die Dorfbewohner herein. Es gab kaum Platz in dem Haus für alle, zumal im vorderen Bereich einige Schreibtische aufgestellt waren, auf denen Bildschirme standen. Am Kopfende des Raumes war ein extra großer Bildschirm aufgehängt. Davor war ein kleines Pult aufgestellt. Jeremy Wolff stellte sich vor das Pult und sprach die Dorfbewohner an. „Ich bin Ihnen alle eine Erklärung schuldig“, begann er. „Wir haben bei Ihnen einige Dinge getan, welche Euer Leben hier im Dorf sehr verändern werden. Wir, das sind Abgesandte einer weltumspannenden Regierung, die zum Ziel hat Armut, wo sie auch immer auftritt zu beseitigen. Dazu genügen einfache Mittel. Wasser, Strom, eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung, ein erreichbarer Arzt und vor allem Bildung. Das alles wird Ihnen jetzt möglich sein. Mit den draußen aufgestellten Solarplatten und einem kleinen Windrad, das wir noch aufbauen werden, haben sie genügend Strom für Ihr Dorf. Der neue Brunnen gibt euch genügend Wasser, nicht nur zum Trinken, Waschen oder Kochen, sondern auch noch für eine kleine Landwirtschaft. Sie sehen hier die Bildschirme und den großen Monitor. Damit werden Eure Kinder die Möglichkeit haben, über einen Fernlehrer Schulunterricht zu nehmen. Aber auch für Euch Erwachsene Dorfbewohner gibt es Angebote. Über diese Bildschirme könnt Ihr euch aber auch über das informieren, was in Welt da draußen passiert. Ihr kanntet ja bisher nur Eure kleine Welt, vielleicht noch die nächste Stadt. Ab jetzt seid Ihr nicht mehr von der übrigen Welt abgeschnitten. Das alles ist zunächst sehr viel für Euch und Ihr braucht dazu zumindest am Anfang Unterstützung. Deshalb werden zwei Männer einige Zeit bei Euch bleiben, um Euch die neuen Möglichkeiten zu erklären". Und noch etwas: "Bislang hattet Ihr kaum Geld um euch etwas zu kaufen. Das wird ab sofort anders werden. Jeder von Ihnen, egal ob Mann, ob Frau oder Kind erhält ein kleines Kärtchen, das mit einer bestimmten Summe versehen ist. Mit dieser Karte könnt Ihr in der nächsten Stadt einkaufen, aber auch über diese Monitore etwas bestellen. Das alles wird Ihnen von den beiden Herren, die bei Euch bleiben, erklärt werden“ Ein Jahr später. Die Zeitrechnung wurde mit dem Start von Jesus dem Zweiten zurück wieder auf null gestellt. Warum die Geburt Jesu 1. weltweit der Standard sein sollte, konnte ohnehin nur ein unbeirrbarer Christ erklären. Andere Religionen hatten diesbezüglich ganz eigene Vorstellungen. Die Welt im Jahre eins war eine völlig andere geworden. Erdumspannend waren gewaltige Veränderungen sichtbar. Das größte globale Aufforstungsprogramm aller Zeiten war in Gang gekommen. Dazu beförderten aus Öltankern umgebaute Wassertanker Milliarden von Tonnen Wasser aus den wasserreichen Gebieten, wo Wasser im Überfluss vorhanden war, zu Häfen der afrikanischen Küsten. Dort, wo früher Erdölterminals waren, wurde jetzt Wasser umgeschlagen und in die verschiedensten Regionen Afrikas transportiert. Meist mit Tankfahrzeugen. Später sollten im Bau befindliche Pipelines dies ergänzen. Gleichzeitig entstanden im nördlichen Afrika, wo es über 300 Sonnentage im Jahr gab, riesige Solaranlagen. Der damit erzeugte Strom spaltete vor Ort Meerwasser zu Wasserstoff, der dann in Gastankschiffen abtransportiert werden sollte. Sämtliche Reedereien der Welt, sei es in Korea oder Deutschland hatten damit mehr als genug zu tun. Investitionen mit Kostenvoranschlägen, langwierige Genehmigungsverfahren, das alles war nicht mehr notwendig. Ländergrenzen spielten auch keine Rolle mehr. Es wurde einfach als notwendig gesehen und sofort mit der Umsetzung begonnen. Dagegen protestieren konnte man schon, aber es gab keine Person oder Institution, welche man in die Verantwortung nehmen konnte. Viele der jetzt nicht mehr benötigten Hochhäuser, wo bisher Banken und Großkonzerne residierten, wurden zu riesigen vielgeschoßigen Gewächshäusern umgerüstet. Dies galt auch für den Rückbau von Autostraßen. Da jetzt fast nur noch Busse und Lastkraftwagen auf den Straßen fuhren, waren viele unnötig geworden. Überall dort, wo sich die Bauwut in Form von Straßen breit gemacht hatte, wurden diese mit neu konstruierten Maschinen wieder an die Natur zurückgegeben. Zurück blieben nur die allernotwendigsten Straßen. Desgleichen galt für Flughäfen. Diese riesigen Flächen begann man Zug um Zug zu renaturieren. Überall wo in der Vergangenheit Bahnhöfe geschlossen wurden, wurden diese wieder aktiviert. Ausgestattet mit Personal waren es Anlaufpunkte für den stark zunehmenden Bahnverkehr. Denn Mobilität war jetzt umsonst. Jeder Bürger hatte die Möglichkeit, pro Jahr zehntausend Kilometer in die Ferne zu reisen. Allerdings nur mit Bahn, Bus oder Schiff. Ein Ausweiten der Freikilometer wurde in Aussicht gestellt, sofern die Bereitstellung von emissionsarmen Transportmöglichkeiten Fortschritte machte. Hochkonjunktur hatte das Recyceln von Autos. Hunderte Millionen von Autos, abertausende Flugzeuge und Motoryachten mussten umweltfreundlich wieder in nutzbare Rohstoffe umgewandelt werden. Was lag da näher, als die verschiedensten Marken wieder an die Stätte ihrer Entstehung zurück zubringen. Dort waren die notwendigen Kenntnisse über eine möglichst effiziente Zerlegung vorhanden. Die Mitarbeiter, welche bisher Autos zusammensetzten, zerlegten jetzt diese wieder, um damit Rohstoffe für neue Anwendungen zu gewinnen. Damit waren die Arbeitsplätze auf Jahre hin gesichert. Aber das Wichtigste war: Es gab nirgends mehr auf der Welt einen Krieg, denn dazu fehlten die Soldaten und vor allem ein Motiv. Es gab ja nichts mehr zu erobern. Die Oberhoheit über die Waffen hatten jetzt ausschließlich die UNO-Soldaten, welche bestens ausgestattet mit allen notwendigen Befugnissen, weltweit die nationalen Armeen entwaffneten. Das war kein größeres Problem, da die Versorgung mit Munition und Ersatzteilen den UNO-Soldaten vorbehalten war. Auch die bislang so gefürchteten Söldnertruppen lösten sich auf. Es war niemand da, der sie bezahlen konnte. Wer bisher Soldat war, bekam ja jetzt auch die Grundversorgung. Und damit waren seine Lebensgrundlagen einschließlich seiner Perspektiven gesichert. Viele der Exsoldaten, die ja teilweise heimatlos waren, halfen jetzt beim Wiederaufbau der von Ihnen verursachten Zerstörungen. Auch gab es keine Flüchtlingsströme mehr. Jeder konnte in seiner Heimat bleiben, denn seine Versorgung, seine Existenz war gesichert. Die sich ständig verbessernde Bildungssituation in den Entwicklungsländern reduzierte ohne besondere Reglementierungen die Geburtenraten drastisch. Arbeitslosigkeit war kein Thema mehr. Es gab mehr als genug zu tun. Kluge Köpfe wurden überall gebraucht, denn viele ein- gefahrene Gewohnheiten musste durch neue nachhaltige Lösungen ersetzt werden. Millionen von Jobs wurden zwar unnötig, dafür entstanden aber ganz neue Tätigkeitsfelder. Die gerechte Verteilung von den vorhandenen Ressourcen erforderte detailliertes Wissen über Bedarf und Steuerung der nun gänzlich neu geordneten Warenströme. Für die bisherigen Finanzjongleure und IT- Spezialisten genau das richtige Wirkungsfeld. So manche Berufswünsche, welche vorher kaum realisierbar waren, konnten jetzt verwirklicht werden. Der Versicherungskaufmann, der eigentlich schon als Kind das Bedienen einer Abrissbirne als seinen Traumberuf ansah, konnte sich jetzt diesen Traum erfüllen. Nicht alle waren von der neuen Weltordnung begeistert. Diejenigen, die aus niedrigen Motiven für die vielen Kriege, für verheerende Umweltschäden verantwortlich waren, wurden zur Rechenschaft gezogen. Natürlich weiß ein Manager, ein Politiker, der zulässt, dass pro Jahr mehrere Millionen PKW gebaut werden, dass dies die Lebensgrundlage späterer Generationen zerstört. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Personen alle eine vorzügliche Ausbildung hinter sich hatten und damit in der Lage waren, ihr Tun mit all seinen Folgen zu erkennen. Natürlich weiß ein Waffenproduzent, ein Waffenhändler, dass mit dem, was er herstellt bzw. damit handelt, kein Tontaubenschießen stattfindet. Ein internationaler Gerichtshof verurteilte diese Politiker, Manager, also diejenigen, welche an den Schalthebeln der Macht waren, die sich zu Lasten der aktuellen und kommenden Generationen bereicherten, zu sehr ungewöhnlichen Strafen. Sie alle wurden auf eine der Kiribati-Inseln verbannt. Diese Inseln werden die nächsten 20 bis 30 Jahren durch den sich erhöhenden Meeresspiegel zunehmend überflutet. Damit werden sie nun konfrontiert. Die für sie eigens ausgewählte Insel wurde von den dort bisher lebenden Bewohnern bereits verlassen. Die Infrastruktur wie die Wasserversorgung, die Hütten und Gärten waren noch weitgehend intakt. Die dort jetzt Internierten mussten also um zu überleben arbeiten, sich organisieren, Teamarbeit entwickeln. Gelingt ihnen das nicht, wird ihre Lebenserwartung drastisch reduziert werden. Abgesehen von einer medizinischen Grundausstattung wird keinerlei Hilfe von außen gewährt. Auch gibt es keine Telefonverbindung zur Außenwelt. Die dort jetzt auf sich allein Gestellten waren bis vor einem Jahr die angesehensten Männer und Frauen der Gesellschaft. Darunter waren Politiker, Ministerpräsidenten, Topmanager aus aller Herren Länder. Sie alle durften einen Koffer mit persönlichen Gegenständen packen und wurden mit einem Hubschrauber nach und nach auf der Insel abgesetzt. Damit verschwanden sie aus den Schlagzeilen der Presse. Nie würde man je wieder etwas von ihnen hören
Отрывок из книги
Jesus der Zweite
NORBERT SCHNEIDER
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NORBERT SCHNEIDER
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