Was ist eigentlich evangelisch?
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Okko Herlyn. Was ist eigentlich evangelisch?
Inhalt
I. Was ist eigentlich evangelisch? Gute Frage. 1. „Dann geht’s ja noch“
2. Sich auf die Suche machen
3. Keine Nostalgie
II. „Evangelisch“ kommt von „Evangelium“ 1. Ein paar Worterklärungen
2. Ein kleiner Blick zurück
3. Ein vorläufiges Fazit
III. Die Bibel aufschlagen. 1. Wo anfangen, wo aufhören?
2. Hineininterpretieren, was man will?
3. Keine falsche Scham
IV. Einem Anderen angehören. 1. „Think pink“?
2. Die Wahrheit: ein Name
3. Ein mitunter brisantes Bekenntnis
V. Befreit aufatmen. 1. Ein merkwürdiger Eindruck
2. Luthers Entdeckung
3. Ein empfindlicher Nerv
VI. Einfach glauben. 1. „Manche Sachen, die wir getrost belachen“
2. Sich vertrauensvoll einlassen
3. Keine Geschäftemacherei
VII. Glauben und Verstehen. 1. Ein Rest Romantik?
2. Vertrauen und Erkennen
3. Den Verstand in Anspruch nehmen
VIII. Nüchtern fromm sein. 1. Ein Wort, das keinen besonders guten Ruf besitzt
2. Ein paar historische Hintergründe
3. Ein neues Zauberwort: „Spiritualität“
4. „Meine Augen sehnen sich nach deinem Heil“
5. Auf der Suche nach einer evangelischen Spiritualität
IX. Evangelisch beten? 1. „Jetzt hilft nur noch beten“
2. Eine andere Gebetslogik
3. „Nötig“ statt „nützlich“
X. Gutes tun – aber warum nur? 1. „Leistung muss sich wieder lohnen“
2. „… dass ich in den Himmel komm“
3. „… sorglose und verruchte Leute“?
4. Eine ernste Verantwortung
XI. Gottesdienst. 1. Ein buntes Sammelsurium?
2. Biblische Auffälligkeiten
3. „Gottesdienst“ so oder so herum gelesen
4. Fragen, mit denen man sich beschäftigen sollte
XII. Die evangelischen Sakramente. 1. Was ist eigentlich ein Sakrament?
2. Taufe: Eine andere Welt ist möglich
3. Abendmahl: Etwas für unterwegs
XIII. Kirchenmusik – der große Bluff? 1. Fast eine Musikschule
2. Das Geheimnis der Musik
3. Kein Selbstzweck
4. Fragen, die erlaubt sein müssen
XIV. Den Mund aufmachen. 1. Zwischen Missionssonntag und „Mission Impossible“
2. „Ich glaube, darum rede ich“
3. Mission am Gartenzaun
4. Die Stunde des Petrus
XV. Kirche von unten. 1. Evangelische Umständlichkeit
2. Calvins Impuls
3. Fast revolutionär
XVI. Kirche für andere. 1. „… dass allen Menschen geholfen werde“
2. „Anwältin der Schwachen“
3. Kirchliche Volkshochschule?
4. „Sucht des Stadt Bestes!“
5. Anders als anderswo
XVII. Evangelisch und Humor – eine Zugabe. 1. Hauptsache locker?
2. „Narren um Christi willen“
3. Heilsame Entlarvung
Отрывок из книги
Wir schreiben das Jahr 1971. Wieder einmal bin ich per Anhalter unterwegs. Von Wesel, meinem damaligen Heimatort am Niederrhein, nach Tübingen, meinem Studienort im Schwäbischen. Zum Teil, weil in jenen Zeiten das Geld wie immer ein wenig knapp ist. Zum Teil aber auch, weil „Trampen“ immer so ein wenig den Hauch des Abenteuerlichen hat. In Höhe Bruchsal hält endlich ein Opel Rekord. Ein freundlicher Vertreter Richtung Stuttgart. Immerhin. Wahrscheinlich nimmt er mich mit, weil ihm ein wenig langweilig ist. Schon nach ein paar Minuten sind wir im Gespräch. Was ich denn so machen würde. „Studieren.“ „Aha. Und was, wenn man fragen darf?“ „Theologie.“ „Katholisch oder evangelisch?“ „Evangelisch.“ „Na, dann geht’s ja noch.“
Ich weiß nicht, wie oft in meinem Leben ich solche Dialoge – zum Teil wörtlich – geführt habe. Offenbar sind allein die Stichworte „katholisch“ und „evangelisch“ mit bestimmten festen Vorstellungen verbunden. Katholisch – das ist doch vor allem konservativ, mittelalterlich im Denken, hierarchisch, männerdominiert, moralisierend, sexualfeindlich, rituell erstarrt, politisch eher Mitte-Rechts. Die Kirchen: viel zu viel Prunk und Protz. Und vor allem: „Die Priester, die dürfen ja nicht heiraten.“ Furchtbar. – Evangelisch – das ist dagegen doch viel moderner, aufgeklärter, demokratischer, lebenszugewandter, emanzipierter, in Sexualfragen freier, politisch eher links-liberal. Die Kirchen: wohltuend nüchterner und bescheidener. Und vor allem: „Bei euch dürfen ja auch die Pfarrer heiraten.“ Außerdem muss man als Protestant zum Glück nicht jeden Sonntag in die Kirche rennen wie bei den Katholiken. Irgendwie scheint es bei den Evangelischen alles nicht so sehr drauf anzukommen. „Katholisch oder evangelisch?“ „Evangelisch.“ „Na, dann geht’s ja noch.“
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Bis heute begegnen im evangelischen Raum alle Begriffe. Wollten wir ein vorläufiges Fazit ziehen, so müssten wir konstatieren, dass jeder von ihnen irgendein Argument für sich hat. In „lutherisch“ ist immerhin die Erinnerung an den Mann wach, der die ganze Geschichte historisch überhaupt ins Rollen gebracht hat. In „reformiert“ meldet sich der berechtigte Anspruch zu Wort, dass die Kirche nicht aus ihrer Tradition, sondern von ihrer steten Erneuerung durch das Wort Gottes lebt. In „protestantisch“ klingt etwas von dem an, dass die Botschaft des Evangeliums nicht einfach identisch ist mit den vielen Botschaften dieser Welt, sondern sich zunächst einmal in Opposition dazu befindet. Selbst in „uniert“ ist ja eine Wahrheit vorhanden, nämlich die, dass es schon zum Auftrag der Kirche gehört, nach Glaubensgemeinschaft zu streben. „Auf dass sie alle eins seien“, wie Jesus sagt (Johannes 17,21).
Doch nach all dem erscheint am Ende das Wort „evangelisch“ wohl noch der sachlich angemessenste Begriff zu sein zur Bezeichnung von Menschen und Kirchen, die sich vor allen anderen Dingen eben auf das Evangelium, also die gute Botschaft von Jesus Christus, beziehen. „Evangelisch“ kommt von „Evangelium“. Insofern kann man evangelisch grundsätzlich nur im Hören der biblischen Botschaft sein. Deshalb steht in einem evangelischen Gottesdienst unbedingt die Predigt, d. h. die Auslegung eines biblischen Textes, im Mittelpunkt. Äußerlich drückt sich das so aus, dass wir in vielen evangelischen Kirchen als Blickfang nicht das Kreuz oder irgendeine künstlerische Darstellung vorfinden, sondern eine aufgeschlagene Bibel vorne auf dem Altar bzw. auf dem Abendmahlstisch. Sie erinnert an den reformatorischen Grundsatz „sola scriptura“. Allein die Schrift. Evangelisch sein geht nicht ohne das Aufschlagen der Bibel.
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