Mythos Kaschmir

Mythos Kaschmir
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"Wenn es ein Paradies gibt, dann ist es hier", rief einst der Mogulherrscher Jehangir (1509 – 1627) beim ersten Anblick des Kaschmir-Tals in Verzückung aus. Über die Jahrhunderte etablierte sich ein Mythos um das kleine Kaschmir-Tal, der dieses Fleckchen Erde mit dem Garten Eden gleichsetzte. Ein fast verborgenes Paradies voll Mystizismus und Exotik, das Abenteurer, Missionare und machthungrige Herrscher gleichermaßen anzog.
Waren es vor Jahrhunderten die königlichen Herrscher selbst, welche Kaschmir durch ihre Bewunderung für das kleine Fleckchen Land adelten, so stellt sich das Kaschmir-Tal heute als eine Region dar, deren Natur und Kultur voll paradiesischer Potentiale steckt, die jedoch unglücklicherweise gegen abgründiges Handeln eingetauscht wurden. Seit mehr als 65 Jahren streiten sich die beiden Staaten Indien und Pakistan um dieses Stückchen Erde. Fast ebenso lange streben die Menschen in der Region nach politischer Unabhängigkeit. Von 1989 bis 2006 tobte im Kaschmir-Tal ein blutiger Bürgerkrieg, der die Gesellschaft spaltete; Akte von Gewalt, Rache und Verzweiflung, die zehntausende von Menschenleben gekostet haben und bei denen noch kein Ende abzusehen ist, prägen den Alltag – allen Regierungsverlautbarungen von Frieden und Wohlstand in Kaschmir zum Trotz.
Die beiden Autoren und Ethnologen, Oliver Uhrig und Vera Kudlinski haben das Kaschmir-Tal im Laufe der vergangenen 20 Jahre immer wieder besucht und insgesamt zwei Jahre dort gelebt. Während dieser Zeit haben sie das Leben, das Leiden und das Hoffen der Menschen in der konfliktgeplagten Region Nordindiens miterlebt und dokumentiert. Ihre Beobachtungen finden sich in diesem Band wieder, und sie geben Anlass zur Besorgnis. Zahlreiche Farbfotografien, historische Dokumente und erläuternde Grafiken visualisieren und unterstreichen nachdrücklich die Erkenntnisse der Autoren. Ein zeitgemäßer Beitrag zur Kulturgeschichte Indiens.

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Oliver Uhrig. Mythos Kaschmir

Table of Contents

Mythos Kaschmir - Vom Paradies der Mogulen zum Konfliktherd Südasiens

Vorwort

Einleitung

1.1. Wie Brahma den Wasserdämon Jalobhava tötete

Der Mythos

Geologische Anhaltspunkte

Historische Anhaltspunkte und Interpretationen

1.2. Ratarangini - der Fluss der Könige

Kalhana

Rajatarangini

1.3. My home is my castle

1.4. Die Mogulgärten von Srinagar

2.1. Sufistische Praxis in Kaschmir

2.2. Zain-ul-Abidin

2.3. Von Schreinen und Moscheen

2.4. Starb Jesus in Kaschmir?

Die Argumente der Verfechter dieser These

Die Quellenlage

2.5. Der Pir

3.1. Am Schrein des Dastagir Sahib

Update Dastagir Sahib

3.2. Instandhaltung eines Hausbootes

3.3. Paschmina: Eine alte Tradition kunstvoller Schalherstellung

3.4. Ein Besuch bei den Reisbauern von Telbal

3.5. Safran - das rote Gold aus dem Kaschmir-Tal

3.6. Die schwimmenden Vegetable Markets von Srinagar

3.7. Downtown-Srinagar: Wo die Zeit scheinbar stillsteht

Jamia Masjid

Zain-ul-Abidin

Zainakadal

Pather Masjid

Shah-i-Hamadan

3.8. Wazwaan: mehr als nur ein Essen

3.9. Die lieben Verwandten

4.1. Die Werbung mit einem Mythos

4.2. Stilvoller Urlaub längst vergangener Zeiten

4.3. Eine kleine Package-Tour

5.1. Rettet den Dal-See

5.2. Ausverkauf der Natur

6.1. Kashmiriyat - die schöne Konstruktion kollektiver Identität

6.2. Solidarität und gewaltsames Handeln

6.3. Den schwierigen Alltag meistern

6.4. Anschlagsziel „Schule“

6.5. Hunderttausend Rupien Bakschisch für einen Job

6.6. Mazar-i-Shuhada – warum Märtyrer unbesiegbar sind

6.7. Die Vertreibung aus dem Paradies

6.8. Gesichter des Widerstands

6.9. Gibt es Chancen für Frieden?

Gar nichts ist vorbei – eine aktuelle Bestandsaufnahme

7.1. Der Kaschmir-Konflikt geht in eine neue Runde

7.2. Generationenwechsel

7.3. Das Leid der jungen Frauen

7.4. Die Menschenrechtslage in Kaschmir

Menschenbilder

Die Autoren

Reise-Informationen

Soll man fahren?

Wann soll man fahren?

Wie soll man reisen?

Übernachtung

Kosten

Package oder individuell?

Souvenirs

Weitere Informationsquellen

Bibliografie

Autorenkennung

Impressum

Kontakt

Отрывок из книги

Als wir im Jahr 1995 zum ersten Mal gemeinsam nach Kaschmir reisten, waren wir noch Studenten der Ethnologie und befanden uns in der Vorbereitung zu unseren Magister-Arbeiten. Unvorhergesehene Umstände führten uns nach Srinagar, der Hauptstadt des Kaschmir-Tals, wo wir von der Zwiespältigkeit unserer Wahrnehmungen frappiert waren. Wie war es möglich, dass in solch einer lieblichen Umgebung derart unerfreuliche Lebensumstände herrschten? Allenthalben waren Bombenexplosionen oder das Knattern von Gewehrsalven zu vernehmen. Der Blick vom Hausboot verhieß Ruhe und Frieden; ein Besuch in der Altstadt offenbarte Hass und Gewalt - inmitten einer jahrhundertealten Kulisse, die jedem Touristen das Herz höher schlagen lässt. Was ging hier vor sich? Hatten die Menschen in Kaschmir nicht allen Grund, zufrieden und glücklich ihren Geschäften nachzugehen? Immer noch kamen zu jener Zeit westliche Touristen nach Kaschmir; die fünf Europäer, die wenig später ermordet werden sollten, darunter auch ein Deutscher, waren zu diesem Zeitpunkt noch frei und genossen das vermeintliche „Paradies Kaschmir“.

Unsere Erlebnisse warfen mehr Fragen auf, als wir in kurzer Zeit beantworten konnten. Wir suchten Abhilfe in diversen Buchhandlungen Srinagars und daheim, in der Fachbibliothek des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg. Schnell wurde klar, dass das Informationsangebot zum Thema „Kaschmir“ recht eingeschränkt war. Wissenschaftliche Werke befassten sich mehrheitlich mit historischen Perspektiven des Konflikts und traditionellen Lebensformen der Kaschmiris. Erst allmählich hielt der aktuelle - gewaltsam ausgetragene - „Kaschmir-Konflikt“ Einzug in die wissenschaftliche Literatur. Ein Anfang; visuelle Eindrücke waren jedoch von diesen Publikationen nicht zu erwarten. Die Informationen blieben größtenteils akademisch abstrakt. Auf der anderen Seite beließen es die wenigen „populären“ Buchveröffentlichungen über Kaschmir meist bei mehr oder weniger „paradiesischen“ Fotos, oder aber sie kamen in Form individueller Reiseberichte daher. Letztere häufig mit kulturellen Vorurteilen und Halbwissen gespickt. Zwei Ausnahmen, die auch Einfluss auf die Idee zu diesem Buch haben, sind der hervorragende Fotoband „Kashmir“ von Raghubir Singh sowie die bereits im 19. Jahrhundert verlegte Monografie „The Valley of Kashmir“ des britischen Kolonialbeamten Walter Lawrence. Wenn es gelänge, ein Buch über das Kaschmir-Tal zu schreiben, welches die Vorzüge dieser beiden Publikationen in sich vereint, so unsere Überlegungen in der Folge, hätte der Leser eine Informationsquelle, die unterschiedliche Ebenen dieser Kultur und ihre publizistische Darstellung miteinander verknüpft. Visuelle Eindrücke, Fotografien in Verbindung mit Geschichten, Beobachtungen und Fakten. Informationen, welche die Leser zunächst über das Auge erreichen, um das optisch Wahrgenommene in Verbindung mit korrespondierenden Artikeln in einen tieferen, kulturrelevanten Zusammenhang zu stellen. Die Idee zu diesem Band war geboren. Für die Umsetzung dieses Projektes wurden jedoch zunächst wissenschaftliche Forschung und zahlreiche Reisen nach Kaschmir notwendig.

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Noch immer existieren Semi-Nomaden wie beispielsweise die vor langer Zeit zugewanderten Gujjars, die während des Winters mit ihrem Vieh in die Rajouri - Region nahe der Stadt Jammu wandern, während sie die Sommermonate auf den Hochalmen des Kaschmir-Tals verbringen. Zwar haben auch bei ihnen zwischenzeitlich Coca-Cola und Mobilfunk Einzug gehalten, aber warum sollten sie deshalb eine Lebensweise aufgeben, die sich für sie bewährt hat und auf deren Tradition sie mit Selbstbewusstsein zurückblicken? Nahe der Stadt Baramulla existiert tatsächlich eine Art Abfluss im Fels, von dem allgemein angenommen wird, dies sei die Stelle, an der Satisaras das Tal verlassen habe. Schlüssige Beweise hierfür existieren freilich ebenfalls nicht. Heute ist es jedoch der Fluss Jhelum, der hier das Kaschmir-Tal verlässt und in den pakistanischen Teil Kaschmirs fließt. So verweisen auch heute noch zahlreiche Spuren im Leben und den Erzählungen der Menschen auf ihre mythische Herkunft. Eine Herkunft, auf die - obwohl ungesichert und teils im Dunkeln liegend, viele Kaschmiris stolz sind.

Mit den ursprünglich für den Transport im Kaschmir-Tal verwendeten Lastkähnen haben diese Luxusherbergen nur mehr gemein, dass sie schwimmen. Andererseits wären die nun schon seit gut 100 Jahren schwimmenden Hotels ohne die alte Tradition des Schiffens auf den Seen, Flüssen und Kanälen des Kaschmir-Tals nicht denkbar. Wer sich heute an Bord eines solchen Hausbootes begibt, ist nicht nur in einer der luxuriösesten Herbergen Indiens untergekommen; für ihn wird auch der koloniale Stil der Briten gepaart mit dem prunkvollen Luxus mittelalterlicher Herrscher nachvollziehbar.

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