Die Lilie im Tal

Die Lilie im Tal
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Der Roman Die Lilie im Tal , welcher erstmals 1835 erschien, erzählt die Geschichte des Gymnasiasten Felix de Vandernesse, dessen leidenschaftliche Liebe zu der zwanzig Jahre älteren und verheiratete Henriette de Mortsauf gegen die strikten gesellschaftlichen Konventionen und Moralvorstellungen seiner Zeit verstößt.

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Оноре де Бальзак. Die Lilie im Tal

Für Monsieur J.-B. Nacquart

An Madame la Comtesse Natalie de Manerville

Der Brief der Madame de Mortsauf an den Vicomte Felix de Vandenesse

An den Comte Felix de Vandenesse

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Honoré de Balzac

Die Lilie im Tal

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Obwohl ich der aristokratischen Anschauungen zu unkundig war, um Monsieur de Chessel zu verstehen, fiel mir doch der Ton auf, mit dem er sich verraten hatte. Mein Gastgeber war mit dem Namen Durand behaftet und machte sich dadurch lächerlich, dass er den Namen seines Vaters verleugnete, eines großen Fabrikbesitzers, der sich während der Revolution ungeheuer bereichert hatte. Seine Frau war alleinige Erbin der Chessel, eines alten Parlamentariergeschlechts, das unter Heinrich IV. noch bürgerlich war, wie die meisten Pariser Magistratspersonen. Von hochstrebendem Ehrgeiz beseelt, wollte Monsieur de Chessel den ursprünglichen Durand aus der Welt schaffen, um so dem Ziel seiner Träume näherzukommen. Er nannte sich zuerst Durand de Chessel, dann D. de Chessel, schließlich war er nur noch Monsieur de Chessel. Während der Restauration gründete er auf Grund eines Adelsbriefes, den ihm Ludwig XVIII. verlieh, ein Majorat mit dem Grafentitel. Seine Kinder ernteten die Früchte seines Mutes, ohne dessen ganzen Umfang zu kennen. Oft hat der Ausspruch eines spottlustigen Prinzen schwer auf ihm gelastet, der von ihm sagte: »Monsieur de Chessel kehrt den Durand nur selten heraus.« Dieser Satz hat lange Zeit die Touraine entzückt. Emporkömmlinge sind wie die Affen, deren Geschicklichkeit sie besitzen: man sieht sie steigen, man bewundert ihre Gelenkigkeit, solange sie klettern, aber wenn sie zuoberst angelangt sind, gewahrt man nur noch ihre ekle Rückseite! Die Kehrseite meines Gastgebers, das waren all seine kleinlichen Züge, die der Neid noch verstärkte. Die Pairswürde und er waren bisher unvereinbar gewesen. Ansprüche haben und sie durchsetzen, macht die Impertinenz der Kraft aus; aber seinen offen eingestandenen Ansprüchen nicht genügen bedeutet eine beständige Lächerlichkeit, an der kleine Geister sich weiden. Monsieur de Chessel hat nicht den geraden Weg des starken Mannes verfolgt. Zweimal wurde er in die Kammer gewählt, zweimal fiel er bei der Wahl durch. Gestern war er noch Generaldirektor, heute nichts, nicht einmal Präfekt. So hatten Erfolge und Niederlagen seinen Charakter verdorben und ihm die ganze Herbheit machtlosen Ehrgeizes gegeben. Im Grunde war er ein liebenswürdiger Mensch, geistvoll und großer Dinge fähig. Aber vielleicht war ihm der Neid verderblich, der das Leben in der Touraine beherrscht, wo jeder seinen Geist benutzt, um über den andern herzufallen. Das schadete ihm in den hohen gesellschaftlichen Kreisen, wo die schlecht bestehen, denen der Erfolg anderer Grimassen verursacht, wo man nicht gern trotzige Lippen sieht, die mit Komplimenten kargen, aber von bissigen Bemerkungen übersprudeln. Hätte er weniger gewollt, so hätte er vielleicht mehr erreicht; aber zu seinem Unglück war er überlegen genug, immer eine aufrechte Haltung zu wahren. Damals sah er gerade die Morgenröte seiner ehrgeizigen Hoffnungen: königliche Gunst lächelte ihm. Gewiss spielte er gern den großen Herrn, aber für mich war er vollendet. Übrigens gefiel er mir aus einem sehr einfachen Grunde: bei ihm fand ich zum erstenmal Ruhe und Behagen. Das an und für sich vielleicht geringe Interesse, das man mir erwies, schien dem unglücklichen, vernachlässigten Kind das Bild elterlicher Liebe. Die warme Gastfreundschaft stand so sehr im Gegensatz zu der Gleichgültigkeit, die mich bisher gequält hatte, dass ich wie ein Kind dafür dankbar war, ohne Ketten und gewissermaßen gehegt leben zu dürfen. Auch sind die Herren von Frapesle so eng mit dem Anfang meines Glückes verknüpft, dass meine Gedanken sie mit einschließen in die Erinnerungen, die lauter Freude für mich sind. Später, eben in der Angelegenheit der Adelsbriefe, hatte ich das Vergnügen, meinem Gastgeber einige Dienste erweisen zu können ... Monsieur de Chessel genoss sein Vermögen mit einem Aufwand, an dem sich einige seiner Nachbarn stießen. Er konnte es sich leisten, seine schönen Pferde und eleganten Wagen immer wieder zu ersetzen; seine Frau trug ausgesucht schöne Toiletten. Er machte ein großes Haus, und seine Dienerschaft war zahlreicher, als es die hergebrachten Sitten des Landes zuließen. Er spielte sich ein wenig als Fürst auf ... Das Gebiet von Frapesle war riesengroß. Dem Luxus seines Nachbarn gegenüber musste sich der Comte de Mortsauf mit einem simplen Familienwagen begnügen, der in der Touraine ein Mittelding zwischen Omnibus und Postkutsche ist. Seine Vermögenslage nötigte ihn, Clochegourde so ertragreich wie möglich zu machen; und so blieb er ein bescheidener Grundbesitzer, wie es in der Touraine viele gibt, bis zu dem Tage, wo königliche Gunst seiner Familie einen Glanz verlieh, auf den er vielleicht nicht einmal mehr gehofft hatte. Durch die Art, wie er den jüngeren Sohn einer verarmten Familie empfing, deren Wappen man aber schon zur Zeit der Kreuzzüge gekannt hatte, setzte er den Wert seines großen Vermögens herunter und demütigte seinen Nachbarn, der Wälder, Felder und Wiesen besaß, aber nicht von altem Adel war. Monsieur de Chessel hatte den Comte wohl verstanden. So verkehrten sie auch späterhin immer sehr höflich miteinander, ohne dass es zwischen ihnen zu den regelmäßigen Beziehungen und dem herzlichen Verhältnis gekommen wäre, die zwischen Clochegourde und Frapesle hätten bestehen sollen; waren doch die Gebiete nur durch die Indre getrennt, so dass beide Schlossherrinnen sich von ihren Fenstern hätten zuwinken können.

Neid war nicht der einzige Grund der Einsamkeit, in die der Comte de Mortsauf sich verschanzte. Seine erste Erziehung war die der meisten Söhne aus vornehmen Familien: ein unvollständiger, oberflächlicher Unterricht, zu dem gesellschaftlicher Drill, höfische Bräuche, Ausübung großer Hofämter oder die Bürden hoher Staatsstellen als ergänzende Erziehungsmittel hinzukamen. Monsieur de Mortsauf war gerade in dem Augenblick ausgewandert, als diese seine zweite Erziehung hätte beginnen sollen; sie fehlte ihm. Er gehörte zu denen, die an eine schnelle Wiederherstellung der Königsgewalt glaubten, und dank dieser Überzeugung war sein Exil eine Zeit jämmerlichen Nichtstuns gewesen. Als die Armee Condés sich auflöste, in der er sich durch seine Tapferkeit außerordentlich hervorgetan hatte, rechnete er damit, bald wieder unter der weißen Fahne kämpfen zu können, und versuchte auch gar nicht, sich wie andere Emigranten durch Arbeit eine neue Existenz zu gründen. Vielleicht hielt ihn auch die Furcht, seinen Namen zu kompromittieren, davon ab, sein Brot durch entwürdigende Arbeit im Schweiße seines Angesichts zu verdienen. Seine immer auf morgen gerichteten Hoffnungen, vielleicht auch seine Ehre, hielten ihn davon ab, in den Dienst einer fremden Macht zu treten. Das Elend untergrub seinen Mut. Lange Märsche mit leerem Magen und am Ziel stets getäuschte Erwartungen schadeten seiner Gesundheit und entmutigten ihn. Nach und nach geriet er in die ärgste Armut. Während das Elend für viele Menschen ein Kräftigungsmittel ist, wirkt es auf andere zersetzend, und zu diesen gehörte der Comte de Mortsauf. Wenn ich an den armen Edelmann der Touraine dachte, wie er durch Ungarn streifte, einen Fetzen Hammelfleisch mit den Hirten des Fürsten Esterházy teilte, wie er sie als Fremdling um das Stück Brot bat, das der Edelmann von ihrem Herrn nicht angenommen hätte, und es manchesmal zurückstieß, wenn es ihm von Feinden Frankreichs geboten wurde, sooft ich daran dachte, schwand in mir der Hass gegen den Emigranten, selbst wenn ich sah, dass er sich in seinem Triumph lächerlich machte. Die weißen Haare Monsieur de Mortsaufs sprachen von grässlichen Leiden, und ich habe zuviel Mitgefühl für den Verbannten, als dass ich ihn verurteilen könnte.... Die französische Heiterkeit versiegte beim Comte, er wurde mürrisch und krank und fand in irgendeinem deutschen Hospiz aus Gnade und Barmherzigkeit Pflege. Er litt an einer Bauchfellentzündung, einer meist tödlichen Krankheit, die im Falle der Heilung oft das Wesen eines Menschen verändert und häufig Hypochondrie zur Folge hat. Seine Liebesabenteuer, die tief in seiner Seele eingesargt waren und die ich allein entdeckt habe, wären niedrigster Art, sie zehrten an seiner Lebenskraft und lähmten ihn. Nach zwölf Jahren tiefsten Elends wandte er seine Blicke nach Frankreich, wohin zurückzukehren ihm Napoleons Dekret erlaubte. Als der kranke Wanderer den Rhein überschritt und an einem schönen Abend den Turm des Straßburger Münsters auftauchen sah, brach er zusammen.

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