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L‘Arrabbiata
ОглавлениеDie Sonne war noch nicht aufgegangen. Über dem Vesuv lagerte eine breite graue Nebelschicht, die sich nach Neapel hinüberdehnte und die kleinen Städte an jenem Küstenstrich verdunkelte. Das Meer lag still. An der Marine aber, die unter dem hohen Sorrentiner Felsenufer in einer engen Bucht angelegt ist, rührten sich schon Fischer mit ihren Weibern, die Kähne mit Netzen, die zum Fischen über Nacht draußen gelegen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen. Andere rüsteten ihre Barken, richteten die Segel zu und schleppten Ruder und Segelstangen aus den großen vergitterten Gewölben vor, die tief in den Felsen hineingebaut über Nacht das Schiffgerät bewahren. Man sah keinen müßig gehen; denn auch die Alten, die keine Fahrt mehr machen, reihten sich in die große Kette derer ein, die an den Netzen zogen, und hie und da stand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem der flachen Dächer, oder machte sich mit den Enkeln zu schaffen, während die Tochter dem Manne half.
Siehst du, Rachela, da ist unser Padre Curato, sagte eine Alte zu einem kleinen Ding von zehn Jahren, das neben ihr sein Spindelchen schwang. Eben steigt er ins Schiff. Der Antonino soll ihn nach Capri hinüberfahren. Maria Santissima, was sieht der ehrwürdige Herr noch verschlafen aus! – Und damit winkte sie mit der Hand einem kleinen freundlichen Padre zu, der unten sich eben zurechtgesetzt hatte in der Barke, nachdem er seinen schwarzen Rock sorgfältig aufgehoben und über die Holzbank gebreitet hatte. Die andern am Strand hielten mit der Arbeit ein, um ihren Pfarrer abfahren zu sehen, der nach rechts und links freundlich nickte und grüßte.
Warum muß er denn nach Capri, Großmutter? fragte das Kind. Haben die Leute dort keinen Pfarrer, daß sie unsern borgen müssen?
Sei nicht so einfältig, sagte die Alte. Genug haben sie da und die schönsten Kirchen und sogar einen Einsiedler, wie wir ihn nicht haben. Aber da ist eine vornehme Signora, die hat lange hier in Sorrent gewohnt und war sehr krank, daß der Padre oft zu ihr mußte mit dem Hochwürdigsten, wenn sie dachten, sie übersteht keine Nacht mehr. Nun, die heilige Jungfrau hat ihr beigestanden, daß sie wieder frisch und gesund worden ist und hat alle Tage im Meere baden können. Als sie von hier fort ist, nach Capri hinüber, hat sie noch einen schönen Haufen Dukaten an die Kirche geschenkt und an das arme Volk, und hat nicht fort wollen, sagen sie, ehe der Padre nicht versprochen hat, sie drüben zu besuchen, daß sie ihm beichten kann. Denn es ist erstaunlich, was sie auf ihn hält. Und wir können uns segnen, daß wir ihn zum Pfarrer haben, der Gaben hat wie ein Erzbischof und dem die hohen Herrschaften nachfragen. Die Madonna sei mit ihm! – Und damit winkte sie zum Schiffchen hinunter, das eben abstoßen wollte.
Werden wir klares Wetter haben, mein Sohn? fragte der kleine Priester und sah bedenklich nach Neapel hinüber.
Die Sonne ist noch nicht heraus, erwiderte der Bursch. Mit dem bißchen Nebel wird sie schon fertig werden.
So fahr zu, daß wir vor der Hitze ankommen.
Antonino griff eben zu dem langen Ruder, um die Barke ins Freie zu treiben, als er plötzlich innehielt und nach der Höhe des steilen Weges hinaufsah, der von dem Städtchen Sorrent zur Marine hinabführt.
Eine schlanke Mädchengestalt ward oben sichtbar, die eilig die Steine hinabschritt und mit einem Tuch winkte. Sie trug ein Bündelchen unterm Arm, und ihr Aufzug war dürftig genug. Doch hatte sie eine fast vornehme, nur etwas wilde Art, den Kopf in den Nacken zu werfen und die schwarze Flechte, die sie vorn über der Stirn umgeschlungen trug, stand ihr wie ein Diadem.
Worauf warten wir? fragte der Pfarrer.
Es kommt da noch jemand auf die Barke zu, der auch wohl nach Capri will. Wenn Ihr erlaubt, Padre – es geht darum nicht langsamer, denn ‚s ist nur ein junges Ding von kaum achtzehn Jahr.
In diesem Augenblick trat das Mädchen hinter der Mauer hervor, die den gewundenen Weg einfaßt. Laurella! sagte der Pfarrer. Was hat sie in Capri zu tun?
Antonino zuckte die Achseln. – Das Mädchen kam mit hastigen Schritten heran und sah vor sich hin.
Guten Tag, l‘Arrabbiata! riefen einige von den jungen Schiffern. Sie hätten wohl noch mehr gesagt, wenn die Gegenwart des Curato sie nicht in Respekt gehalten hätte, denn die trotzige stumme Art, in der das Mädchen ihren Gruß hinnahm, schien die Übermütigen zu reizen.
Guten Tag, Laurella, rief nun auch der Pfarrer. Wie steht‘s? Willst du mit nach Capri?
Wenn‘s erlaubt ist, Padre!
Frage den Antonino, der ist der Patron der Barke. Ist jeder doch Herr seines Eigentums und Gott Herr über uns alle.
Da ist ein halber Carlin, sagte Laurella, ohne den jungen Schiffer anzusehen. Wenn ich dafür mit kann.
Du kannst‘s besser brauchen, als ich, brummte der Bursch und schob einige Körbe mit Orangen zurecht, daß Platz wurde. Er sollte sie in Capri verkaufen, denn die Felseninsel trägt nicht genug für den Bedarf der vielen Besucher.
Ich will nicht umsonst mit, erwiderte das Mädchen und die schwarzen Augenbrauen zuckten.
Komm nur, Kind, sagte der Pfarrer. Er ist ein braver Junge und will nicht reich werden von deinem bißchen Armut. Da, steig ein – und er reichte ihr die Hand – und setz dich hier neben mich. Sieh, da hat er dir seine Jacke hingelegt, daß du weicher sitzen sollst. Mir hat er‘s nicht so gut gemacht. Aber junges Volk, das treibt‘s immer so. Für ein kleines Frauenzimmer wird mehr gesorgt, als für zehn geistliche Herren. Nun nun, brauchst dich nicht zu entschuldigen, Tonino. ‚s ist unsers Herrgotts Einrichtung, daß sich gleich zu gleich hält.
Laurella war inzwischen eingestiegen und hatte sich gesetzt, nachdem sie die Jacke ohne ein Wort zu sagen beiseit geschoben hatte. Der junge Schiffer ließ sie liegen und murmelte was zwischen den Zähnen. Dann stieß er kräftig gegen den Uferdamm und der kleine Kahn flog in den Golf hinaus.
Was hast du da im Bündel, fragte der Pfarrer, während sie nun übers Meer hintrieben, das sich eben von den ersten Sonnenstrahlen lichtete.
Seide, Garn und ein Brot, Padre. Ich soll die Seide an eine Frau in Capri verkaufen, die Bänder macht, und das Garn an eine andere.
Hast du‘s selbst gesponnen?
Ja, Herr.
Wenn ich mich recht erinnere, hast du auch gelernt, Bänder machen.
Ja, Herr. Aber es geht wieder schlimmer mit der Mutter, daß ich nicht aus dem Hause kann und einen eignen Webstuhl können wir nicht bezahlen.
Geht schlimmer! Oh, oh! Da ich um Ostern bei euch war, saß sie doch auf.
Der Frühling ist immer die böseste Zeit für sie. Seit wir die großen Stürme hatten und die Erdstöße, hat sie immer liegen müssen vor Schmerzen.
Laß nicht nach mit Beten und Bitten, mein Kind, daß die heilige Jungfrau Fürbitte tut. Und sei brav und fleißig, damit dein Gebet erhört werde.
Nach einer Pause: Wie du da zum Strand herunterkamst, riefen sie dir zu: Guten Tag, l‘Arrabbiata! Warum heißen sie dich so? Es ist kein schöner Name für eine Christin, die sanft sein soll und demütig.
Das Mädchen glühte über das ganze braune Gesicht und ihre Augen funkelten.
Sie haben ihren Spott mit mir, weil ich nicht tanze und singe und viel Redens mache, wie andere. Sie sollten mich gehen lassen; ich tu ihnen ja nichts.
Du könntest aber freundlich sein zu jedermann. Tanzen und singen mögen andere, denen das Leben leichter ist. Aber ein gutes Wort geben schickt sich auch für einen Betrübten.
Sie sah vor sich nieder und zog die Brauen dichter zusammen, als wollte sie ihre schwarzen Augen drunter verstecken. Eine Weile fuhren sie schweigend dahin. Die Sonne stand nun prächtig über dem Gebirg, die Spitze des Vesuv ragte über die Wolkenschicht heraus, die noch den Fuß umzogen hielt, und die Häuser auf der Ebene von Sorrent blickten weiß aus den grünen Orangengärten hervor.
Hat jener Maler nichts wieder von sich hören lassen, Laurella, jener Napolitaner, der dich zur Frau haben wollte? fragte der Pfarrer.
Sie schüttelte den Kopf.
Er kam damals, ein Bild von dir zu machen. Warum hast du‘s ihm abgeschlagen?
Wozu wollt‘ er es nur? Es sind andere schöner als ich. Und dann – wer weiß, was er damit getrieben hätte. Er hätte mich damit verzaubern können und meine Seele beschädigen, oder mich gar zu Tode bringen, sagte die Mutter.
Glaube nicht so sündliche Dinge, sprach der Pfarrer ernsthaft. Bist du nicht immer in Gottes Hand, ohne dessen Willen dir kein Haar vom Haupte fällt? Und soll ein Mensch mit so einem Bild in der Hand stärker sein als der Herrgott? – Zudem konntest du ja sehen, daß er dir wohlwollte. Hat er dich sonst heiraten wollen?
Sie schwieg.
Und warum hast du ihn ausgeschlagen? Es soll ein braver Mann gewesen sein und ganz stattlich und hätte dich und deine Mutter besser ernähren können, als du es nun kannst mit dem bißchen Spinnen und Seidewickeln.
Wir sind arme Leute, sagte sie heftig, und meine Mutter nun gar seit so lange krank. Wir wären ihm nur zur Last gefallen. Und ich tauge auch nicht für einen Signore. Wenn seine Freunde zu ihm gekommen wären, hätte er sich meiner geschämt.
Was du auch redest! Ich sage dir ja, daß es ein braver Herr war. Und überdies wollte er ja nach Sorrent übersiedeln. Es wird nicht bald so einer wiederkommen, der wie recht vom Himmel geschickt war, um euch aufzuhelfen.
Ich will gar keinen Mann, niemals! sagte sie ganz trotzig und wie vor sich hin.
Hast du ein Gelübde getan, oder willst in ein Kloster gehen?
Sie schüttelte den Kopf.
Die Leute haben recht, die dir deinen Eigensinn vorhalten, wenn auch jener Name nicht schön ist. Bedenkst du nicht, daß du nicht allein auf der Welt bist, und durch diesen Starrsinn deiner kranken Mutter das Leben und ihre Krankheit nur bitterer machst? Was kannst du für wichtige Gründe haben, jede rechtschaffene Hand abzuweisen, die dich und die Mutter stützen will? Antworte mir, Laurella!