"Haben Sie denn nie Angst?" – Diese Frage wurde Petra Ramsauer bislang am häufigsten in ihrem Leben gestellt. Die Reporterin berichtet seit über zwanzig Jahren aus Krisen- und Kriegsgebieten. Nun recherchiert sie im Land der Angst: Wovor fürchten wir uns zu Recht und zu Unrecht? Warum nehmen Angststörungen gerade in wohlbehüteten Staaten so zu? Wie verändert die Corona-Epidemie die Fieberkurve der Angst? Petra Ramsauer gibt Einblicke in ihre sehr persönliche Auseinandersetzung mit Angst: als jugendliche Tumorpatientin und später als Journalistin, die Luftkriege erlebte, ins Visier von Scharfschützen geriet und oft mit dem Risiko arbeitet, jederzeit entführt werden zu können. Sie schildert auch, wie dieses überlebenswichtige Gefühl eiskalt als Waffe eingesetzt werden kann: von Terroristen und als Taktik im Krieg. Natürlich hat Petra Ramsauer Angst, aber sie hat Wege gefunden, sie auszuhalten. Ihre Erfahrungen als Krisenreporterin führen deshalb auf die Spur, wie sich in jedem Leben die richtige Balance von so wenig Angst wie nötig und so viel Mut wie möglich einstellen kann.
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Petra Ramsauer. Angst
Angst
Inhalt
Vorwort
Richtig Angst haben
Ausziehen, um das Fürchten zu lernen
Der Sprung ins Nichts
Warum es hilft, etwas zu riskieren
„Geh raus, bevor du die Story hast“
Was Angst macht
Unser Überlebensgefühl
Die mit Angst spielen
Geschichten, die ich mir erzähle
Seele im Ausnahmezustand
Im Stress etwas Neues wagen
Die Macht der Angst
Grenzenlose Angst
Sorgengesellschaft im Schock
Die Masken der Ängstlichen
Keine Luft mehr bekommen
Auf Leben und Tod
Wenn Angst die Welt verändert
Krank vor Sorge
Die unerträgliche Schwere des Nicht-mehr-Seins
Ein Ende ins Auge fassen
Anmerkungen
Petra Ramsauer
Отрывок из книги
Petra Ramsauer
Richtig Angst haben
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Ob „es“ das wert war? – Ja. Eine andere Antwort fällt mir nicht ein. Ich war danach in Krankenhäusern, die heimlich im Untergrund geführt wurden oder mit Sandsäcken verbarrikadiert waren. Im Notfall wurden dort auch die vielen Brandwunden mit Lehm behandelt, da Medikamente fehlten. Ärzte erzählten, sie müssten auch Amputationen ohne Anästhesie durchführen. Doch die größte Angst waren Luftangriffe, die das Wenige, was noch an Hilfe möglich war, pulverisierten. Eine 13-Jährige lag wimmernd, hoch fiebernd in einem Krankenbett. Ihre Leber war von einem Granatsplitter zerfetzt worden. In einer Not-Operation war es gelungen, ihr Leben zu retten, nur ohne Antibiotika waren die Komplikationen nach dem Eingriff kaum in den Griff zu bekommen. Niemand vom medizinischen Personal wollte mir seinen Namen nennen oder auf ein Foto. „Ärzte, die im Oppositionsgebiet arbeiten, gelten als Terroristen, unsere Familien geraten in größte Gefahr, wenn man uns identifiziert“, erklärte mir ein Arzt. Viele stammten wie er aus dem immer schon besser situierten Westen Aleppos, nannten sich „medizinische Deserteure“.
Die für mich besonders wichtigen Einblicke während meiner Reisen in diese Region boten Begegnungen mit den Trägern und Trägerinnen des Aufstandes gegen das syrische Regime. Ich traf einen Anwalt und einen Richter, die in ihren vereinsamten Büros eine neue Verfassung für Syrien erarbeitet hatten. Rechtsstaatlichkeit, Kontrollorgane der Macht, freie Wahlen: Dafür sollte ein dicker Stapel Papier den Rohentwurf bilden. Sie knallten mir den Packen wutschnaubend auf einen Tisch. Das würde doch der Westen wollen, und warum bekämen sie keine Hilfe, lautete ihr Vorwurf. Einen Tag nach unserem Gespräch wurden sie verhaftet. Von den „eigenen“ Leuten. Denn ihr neues Syrien war den islamistischen Fraktionen der Opposition nicht genehm. Diese hatten mächtige Milizen als Rückhalt; finanziert von den Golfstaaten und der Türkei mit einer klaren politischen Agenda, die sich als „Scharia“-Gericht manifestiert hat, untergebracht am Gelände der ehemaligen Augenklinik im Osten Aleppos.