Die glückliche Hand
Реклама. ООО «ЛитРес», ИНН: 7719571260.
Оглавление
Rahel Sanzara. Die glückliche Hand
Rahel Sanzara. Die glückliche Hand
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
Nachwort des Herausgebers
Rahel Sanzara (1894 – 1936)
Stimmen über Werke Rahel Sanzaras
Anmerkungen
Über Die glückliche Hand
Ebook-Kolophon
Отрывок из книги
Krankenschwester Lotte Schuhmacher aus Berlin hatte, wie sie selber sagte, ihre staatliche Prüfung nur mit Ach und Krach bestanden. Einer der examinierenden Ärzte hatte sogar ihre phlegmatischen und wie es ihm schien uninteressierten Bewegungen getadelt und verzweifelt den Kopf geschüttelt, als er sah, wie entschlusslos und beinahe bockig Lotte vor dem Patienten stand, einem allerdings ungewöhnlich großen, breiten Mann, dem sie einen spanischen Mantel – eine besonders komplizierte Ganzpackung – anlegen sollte. „Die armen Kranken, die da hilflos unter Ihre Finger kommen!“, meinte der Doktor ziemlich grob, während der Patient, dem die kleine brünette Lotte mit dem frischen, wenn auch etwas grobzügigen Gesicht und den ein wenig vorquellenden Schwarzkirschenaugen gefiel, ungeachtet seines Fiebers und seiner Schmerzen ihr gutmütig zuraunte: „Knien Sie sich doch einfach zu mir aufs Bett!“ – Dies tat Lotte, vom Blitze der Erleuchtung getroffen, denn auch sofort und brachte nun mit gänzlich unerwarteter Behändigkeit geschickt und kunstgerecht den spanischen Mantel zuwege. Da sie aus dem Lehrgang für Irren- und Nervösenpflege eine besondere Belobung für geduldigen und beruhigenden Umgang mit diesen Kranken vorzuweisen hatte, auch im Theoretischen verhältnismäßig gut abschnitt, war ihre Ausbildung – ein großes Geldopfer für ihre Eltern – also doch nicht umsonst gewesen, und anstatt als Tochter eines Maurerpoliers Dienstmädchen werden zu müssen – da Lotte es sich schrecklich dachte, etwa Büroangestellte oder Verkäuferin zu sein –, erreichte sie nach dem Wunsche der Mutter den Stand einer staatlich geprüften Krankenschwester, trug Häubchen, blaues Kleid und weiße Schürze, die kreuzgezeichnete Brosche einer Organisation.
Wohl freute sich Lotte über die Achtung, die Familie und Bekanntschaft ihr nun deutlich entgegenbrachten, doch war sie immer wieder am frohesten, wenn sie an ihren freien Tagen in ihre Zivilkleider schlüpfen, den unter der Haube straffgezogenen Scheitel lockern und ein wenig toupieren konnte. Ein paar winzige Stirnlöckchen brannte sie sich auch und kaufte sich von ihren ersten ersparten paar Mark eine rosa Seidenbluse, Lackhalbschuhe und Florstrümpfe mit Durchbruch à jour*. – Sie las leidenschaftlich gern Romane und Gedichte, ein stetes Ärgernis für die Mutter, indes der Vater begütigend meinte, dass die Bücher doch nun einmal geschrieben und gedruckt worden seien, um gelesen zu werden. – „Aber nicht von meiner Tochter!“, entschied die Mutter. „Das ist alles nur Satanswerk.“
.....
Tagsüber schlief Lotte daheim im elterlichen Schlafzimmer, stand am späten Nachmittag gähnend auf, konnte es aber nie unterlassen, für die zwei Stunden, die ihr noch bis Dienstantritt blieben, sich mit ihren bescheidenen Zivilkleidern anzuputzen und irgendeinen Gang zu tun, eine kleine Besorgung für sich oder die Mutter zu machen, für die sie jedes Mal eine unverhältnismäßig lange Zeit brauchte. Dann legte sie ihre Dienstkleidung an und ging in die Klinik. – Auf diese Weise vergingen zwei Jahre, und der Zwiespalt in Lottes Seele, der sich bis in ihren Beruf hineinzog, dem Beruf, welchem sie ja doch, ohne dass er ihr Freude oder tiefere Befriedigung zurückgab, gerecht wurde und einen großen Teil ihrer Daseinskraft hingab – dieser Zwiespalt, dem sie noch dazu ahnungslos und hilflos gegenüberstand, höhlte sie gleichsam innerlich aus und zeigte sich schließlich auch in einem gewissen Verfall ihrer körperlichen Kräfte an. Lotte wurde blutarm und bleichsüchtig, aß kaum, und ihr Schlafbedürfnis ward derart gesteigert, dass sie nun auch dem Wachposten nicht mehr recht gewachsen schien, sich selbst nicht mehr traute und sich einen Wecker auf den Tisch stellte, dessen Läutewerk sie jede Stunde abschnurren ließ, auf alle Fälle. – Da Lotte nun gerade durch die Passivität ihres Wesens das Interesse gewisser Menschen an sich rege machte, erhielt sie durch Vermittlung der um ihre Gesundheit besorgten Oberschwester Laura eine Privatpflege auf einem Landsitz zugewiesen.
Bei den Vorbereitungen zu dieser Übersiedlung ließ sie sich von der Aufregung der Eltern, die ihr einziges Kind noch nie so weit von sich gelassen hatten, wie die Mutter sich ausdrückte, anstecken. Das dumpf Erwartungsvolle in Lotte erhellte sich zu einer Art Gewissheit der Erfüllung, und in einem zaghaften Übermut meinte die Tochter zu den Eltern: „Passt auf, ich komme überhaupt nicht wieder in eure Steinwüste zurück, mir blüht das Glück auf dem freien Lande!“ – Worauf ihr Vater lachte und meinte, hoffentlich blühe es nicht gerade auf einem saftigen Misthaufen, vor dem die Städter immer gerne die Nase gerümpft hätten, dessen entsinne er sich noch genau, während die Mutter ihre Tochter verwies: „Glück ist erfüllte Pflicht, und die ist überall gleich schwer!“, und Lotte möge sich nur ja recht zusammennehmen, denn dort habe sie, anders als in der Klinik, jede Verantwortung allein zu tragen.
.....