Warum die Wahrheit sagen?
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Rainer Erlinger. Warum die Wahrheit sagen?
Отрывок из книги
Eine Notlüge ist immer verzeihlich. Wer aber ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.« Es gibt viele Zitate über Wahrheit und Lüge, aber dieses von dem österreichischen Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus gehört bestimmt zu den sympathischsten. Dass eine Notlüge immer verzeihlich ist, wer wollte das bezweifeln? Schließlich heißt sie nicht umsonst Notlüge. Not kennt kein Gebot, in einer Notsituation gelten nun einmal andere Regeln – oder eben bestimmte Regeln nicht. Wie etwa »Du sollst nicht lügen«. Wenn man ehrlich ist: So richtig sympathisch ist einem diese Regel im Gegensatz zu Kraus’ Aphorismus sowieso nicht. Ja, natürlich ist sie richtig und gut. Aber dennoch: Sie hat so etwas Angestaubtes, fast Moralinsaures und klingt nach alten Tanten, die deutlich älter sind als alle Tanten, die man je hatte. Genau in diese Richtung zielt der gewiefte Satiriker Kraus auch, wenn er als Gegensatz zur verzeihlichen Notlüge jemanden nennt, der oder die »ohne Zwang die Wahrheit sagt«. Da ist der Spaß wirklich am Ende angekommen. Man denkt unwillkürlich an die Leute, die einem immer alles ins Gesicht sagen. Und eben keine Ausnahme verzeihen und keine Nachsicht üben. Schreckliche Menschen. Auch damit spielt Kraus: Verzeihen und Nachsicht sind etwas Positives. Etwas, das verzeihlich ist, ist menschlich, ebenso wie das Verzeihen selbst. Und das Lügen, die Notlüge zumindest, ist demnach offenbar nichts so Schlimmes. Was verzeihlich ist, ist eben genau das: verzeihlich. Nicht unverzeihlich.
Warum aber dann überhaupt die Wahrheit sagen, wenn die Lüge, zumindest in manchen Formen, verzeihlich zu sein scheint? Diese Frage stellen sich die Menschen im täglichen Leben häufig. Und wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge entscheiden sie sich auch ziemlich häufig für die Lüge. Wobei die Spannbreite der Ergebnisse dieser Untersuchungen ziemlich groß ist. Sie reicht von ein bis zwei Lügen am Tag über durchschnittlich 1,75 Lügen in einem zehnminütigen Gespräch bis hin zu der etwas deprimierenden Behauptung, dass man etwa 200-mal am Tag belogen werde. Wie man zu solch unterschiedlichen Zahlen gelangen kann und welche wohl der »Wahrheit« entsprechen, ist ein anderes Thema. Wenig überraschend waren aber auch die individuellen Unterschiede groß: Bei den durchschnittlich 1,75 Lügen im zehnminütigen Gespräch logen 40 Prozent der Probanden gar nicht, während es die anderen 60 Prozent im Schnitt 2,92 Mal taten. Das wiederum deckt sich sehr gut mit der Lebenserfahrung, dass es Menschen gibt, die weniger lügen, und andere, die das viel mehr tun. Zum Teil viel, viel mehr.
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Romeo und Julia? Der Inbegriff der tiefen, von Herzen kommenden, ehrlichen Liebe, ein Lehrstück über die Lüge? Geht es darin nicht eher um die Kraft der Liebe, die sich nicht aufhalten lässt, und andererseits um die verheerende Wirkung des Nachtragens, der Feindschaft? Und dass die Liebe am Ende stärker ist?
Kurz zur Erinnerung: Romeo und Julia verlieben sich ineinander. Weil sie aus seit Langem verfeindeten Familien stammen – Romeo aus der der Montagues, Julia aus der der Capulets – und ihre Eltern einer Verbindung nie zustimmen würden, halten die beiden ihre Liebe verborgen und lassen sich heimlich von Bruder Lorenzo trauen. Der will ihnen helfen, hofft aber auch, dadurch die alte Feindschaft der Familien beenden zu können. Nachdem Romeo in einem der für diese Feindschaft typischen Kämpfe Julias Cousin Tybalt getötet hat, muss er aus Verona in die Verbannung nach Mantua fliehen. Als Julia in dieser Zeit gegen ihren Willen mit Paris verheiratet werden soll – die Eltern wissen ja nichts von der heimlichen Trauung –, will sie sich das Leben nehmen. Doch Bruder Lorenzo ersinnt einen Ausweg: Er gibt ihr einen Schlaftrunk, der sie für 42 Stunden in einen scheintoten Zustand versetzen wird. So entgeht sie der Hochzeit, während Lorenzo Romeo verständigen wird, damit der sie aus der Gruft nach Mantua holen kann. Julia willigt in den Plan ein, aber Lorenzos Brief erreicht Romeo nicht, weil Lorenzos Mitbruder Marcus, der den Brief überbringen soll, wegen eines Pestausbruchs nicht in die Stadt Mantua gelassen wird. Romeo ist also gänzlich unwissend, als ihm sein Diener Balthasar von Julias vermeintlichem Tod berichtet. Vollkommen außer sich, besorgt er sich Gift, um sich neben Julias Totenbett umzubringen. Vor der Gruft trifft er auf Paris, den offiziellen Verlobten Julias, der ihn davon abhalten will, die Gruft zu betreten, worauf Romeo ihn im Duell tötet. Als er dann die scheinbar tote Julia erblickt, nimmt er das Gift und stirbt. In diesem Moment wacht Julia auf, sieht den tatsächlich toten Romeo und ersticht sich mit dessen Dolch. Als der erschütterte Bruder Lorenzo den Angehörigen erklärt, was geschehen ist, versöhnen sich die Familienoberhäupter über dem toten Liebespaar.
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