Coelestina. Eine Märchenlegende
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Rudolf G. Binding. Coelestina. Eine Märchenlegende
Coelestina. Eine Märchenlegende
Отрывок из книги
Rudolf G. Binding
So sassen also an jenem Samstagnachmittage die Englein teils tatenlos auf den himmlichen Wolken herum, die Hände über den Knien und die Flügel über dem Rücken gefaltet, teils waren sie höchst überflüssiger- und unnützerweise damit beschäftigt festzustellen, wer von ihnen die schönsten Goldspitzen an den Federn hätte, oder sie standen an der Milchstrasse und gafften dem endlosen Zug der Sterne nach, der an ihnen vorüber des Weges zog.
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Als er daher an jenem Samstagnachmittag die Engel so nichtsnutzig und nichtstuerisch herumlungern sah, kam ihm in seiner Arbeitsbedrängnis der Gedanke, ob er sie nicht in irgendwelcher Weise für sich anstellen könnte; und da er ihnen die himmlische Torhüterstelle unmöglich ohne das Umstossen aller geheiligten Traditionen anvertrauen konnte, so machte er sie in der anderen ihm aufgebürdeten Obliegenheit dienstbar. Diese schien ihm für ihre geistigen Fähigkeiten, die er nicht allzuhoch anschlug, auch nicht zu schwer, zumal er sie anwies, etwaige widerspenstige Sterne, die das Schnuppen nicht lassen wollten, sofort von ihrem selbständigen Platz im Raume ab- und dem grossen Strome derer zuzuführen die auf der Milchstrasse ihre leicht übersehbare und kontrollierbare Bahn am Himmelsgewölbe dahinziehen mussten. Die Englein, froh einmal aus dem goldnen Himmelsgitter herauszukommen, unterzogen sich belustigt ihrer neuen Aufgabe uud begaben sich in gesonderten Trüppchen, immer ein grösserer Engel mit einigen kleineren, auf die ihnen zugewiesenen Posten.
Anfänglich und bis in die Dämmerung hinein ging alles ganz gut. Sei es dass sich die Sterne aus Galanterie gegen den himmlischen Besuch von allem Unfug fernhielten, sei es dass sie fürchteten auf eine Anzeige der aufsichtführenden Engel beim heiligen Petrus wirklich zur Milchstrassenwanderung verdammt zu werden, was ungefähr dem Schicksal gleich zu achten war, wenn Menschen von freien luftigen Höhen mit herrlicher Aussicht, auf denen sie wandeln, plötzlich für immer auf die staubige Landstrasse versetzt würden, wo sie mit allerlei Volks in Sonne und Unbehagen ihres Weges ziehen müssten, kurz: sie begaben sich zunächst völlig ihres aufgeregten Wesens und zogen still und geordnet, wie es ihnen zukommt, ihre vorgeschriebenen Bahnen. Kaum aber war die Dämmerung vorüber und die Nacht über das blanke Himmelsgewölbe als ein schützendes schwarzes Tuch gegen mutwillige Beschädigungen der Himmelspolitur ausgebreitet worden, als nach allen Seiten ein heftiges Feuerwerk und Bombardement mit Sternschnuppen vor sich ging und die Engel, welche einsahen dass es eine unmögliche Aufgabe sei, die weggelaufenen Sternlein oder ihre losgeschleuderten Bestand teile wieder einzufangen, nichts weiter tun konnten als die Schuldigen aufzuschreiben, um sie dem heiligen Petrus beim Rapport zur Meldung zu bringen. Dies alles wäre nun freilich nicht so schlimm gewesen, zumal der heilige Petrus in den Monaten August und November an solche Vorkommnisse reichlich gewöhnt war; als aber plötzlich aus dem Sternbilde der Leoniden so etwa um halb neun Uhr ein entsetzliches Geschrei und Gejammer und darauf ein gottserbärmliches Geheul und Geschluchze gehört wurde, da wusste er dass etwas Unangenehmes und Ausserordentliches passiert sein müsse, liess sofort von einer himmlischen Posaune in den Raum hinaus Appell blasen, warf das Himmelstor einem Einlass begehrenden Sünder rasselnd vor der Nase zu und begab sich eiligst und Böses ahnend nach dem ihm wohlbekannten Gestirn. Von dort kamen ihm schon auf halbem Wege sechs Engel entgegengelaufen, die fünf kleinen heulend und die Fäustchen in die beiden Augen gedrückt und der grössere ganz fassungslos vor sich hinweinend. Auf seine Frage erhielt Petrus zunächst keine Antwort, aus der er etwas hätte machen können, und bugsierte also die heulende Gesellschaft zunächst in sein Geschäftszimmer, wo er sie, nachdem sie sich etwas gefasst hatten, auszufragen begann. Da erfuhr er nun dass sie erst ihrer sieben gewesen seien, dass aber auf einmal das kleine Englein Coelestina beim Versuch eine nichtsnutzige Sternschnuppe wieder einzufangen so schnell in der Richtung nach der Erde verschwunden sei dass sie vermuteten, es sei diesem Himmelskörper zu nahe gekommen und dann von der dort herrschenden Schwerkraft, vor der sie ja freilich oft genug gewarnt worden seien, da die kleinen Engel sie mit ihrer geringen Flügelkraft nicht überwinden könnten, auf sie herabgezogen worden. Sie hätten zwar alle gerufen und geschrien, aber das fallende Englein sei bald in dicken grauen Regenwolken welche die Erde umgaben ihren Blicken entschwunden. Als das der heilige Petrus hörte, wurde er sehr zornig; denn wenn die verlorene Coelestina nicht wiedergefunden wurde, so gab es für ihn eine Menge Schreibereien, die er hasste, und am Schlusse noch eine lange Auseinandersetzung mit dem Herrgott. Man konnte es ihm daher nicht verübeln, wenn er den aufsichtführenden Engel unter harten Worten gehörig an den Flügeln zauste dass er Federn lassen musste, die fünf kleinen Engelknirpse aber einen nach dem andern über sein heiliges Knie legte und ihnen mit seiner heiligen Hand eine Strafe verabfolgte wie er sie noch von seinen irdischen Zeiten her kannte.
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