Leirichs Zögern

Leirichs Zögern
Автор книги: id книги: 2019006     Оценка: 0.0     Голосов: 0     Отзывы, комментарии: 0 1881,72 руб.     (18,69$) Читать книгу Купить и скачать книгу Купить бумажную книгу Электронная книга Жанр: Языкознание Правообладатель и/или издательство: Bookwire Дата добавления в каталог КнигаЛит: ISBN: 9783701362844 Скачать фрагмент в формате   fb2   fb2.zip Возрастное ограничение: 0+ Оглавление Отрывок из книги

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Gregor Leirichs Leben gerät aus den Fugen. Eine Fremde spricht ihn an und eröffnet ihm, dass er einen Halbbruder hat, von dessen Existenz er bisher nichts wusste. Leirich, der es sich als Historiker am Institut für Zeitgeschichte gut eingerichtet hat in seinem Leben, reagiert in höchstem Maß erschrocken. Mit wem soll er sich austauschen? Mit seinen Schwestern? Seiner Exfrau? Seiner Tochter? Er beginnt zu recherchieren und erfährt, dass der Halbbruder ganz in der Nähe lebt. Warum hat er sich nicht zu erkennen gegeben? Warum haben die, die von ihm wussten, über Jahrzehnte geschwiegen? Und vor allem – warum hat der Vater nie etwas erzählt von seinem ersten, im Krieg gezeugten Kind? Plötzlich muss sich der Historiker seiner eigenen Familiengeschichte stellen. Unversehens gerät die Auseinandersetzung mit dem unbekannten Bruder zu einer Beschäftigung mit Leirichs Kindheit, dem lange schon verstorbenen Vater und einem Schweigen, das zum Teil der Persönlichkeit des Vaters geschuldet ist, zum anderen Teil den gesellschaftlichen Bedingungen der Nachkriegszeit. Mit Leichtigkeit und Intensität zugleich erzählt Rudolf Habringer von der Scheu eines Mannes, der sich erst nur zögerlich vorwärtstastet, schließlich aber die Begegnung wagt und ein Familientreffen arrangiert. Ein starker Roman, der an Tabus rührt und unangenehme Fragen stellt: Wie sicher sind die Wahrheiten, auf denen unser Leben steht?

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Rudolf Habringer. Leirichs Zögern

Inhalt

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Rudolf Habringer

Leirichs Zögern

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Vorher wurde ich ohnehin von eine Gelse belästigt, die in der Küche um den Lampenschirm kreiste. Ich schloss sofort alle Fenster und machte mich auf die Jagd. Ich bezeichne mich als analogen Gelsenjäger, was bedeutete, dass ich bei der Gelsenjagd weder chemische Waffen noch andere elektronisch-technischen Hilfsmittel verwendete. Seit einiger Zeit benutzte ich eine Adalbert-Stifter-Ausgabe mit dessen Erzählungen, die ich auf einem Flohmarkt günstig erworben hatte. Das Buch war vom Format her nicht zu klein, lag aber dennoch gut in der Hand und wog so viel, dass ausreichend Anpressdruck erzeugt werden konnte. In mehreren leidgeprüften Nächten hatte ich die Wirkung der Adalbert-Stifter-Werkausgabe als Anti-Gelsen-Waffe und Wurfgeschoss vor allem an die Decke erfolgreich und zufriedenstellend ausprobieren können. Der psychologische Effekt, das Ergebnis des Anwurfes, der eigentlich ja ein Aufwurf, besser noch ein Hinaufwurf war, unmittelbar feststellen zu können, war enorm und motivierend. Ein Fehlwurf konnte durch einen erneuten Wurf korrigiert werden, ein Treffer zeitigte sofort einen dunklen, matschigen Fleck an der Decke oder aber, wenn es sich um eine Gelse handelte, die sich bereits an mir vergriffen hatte, einen hellroten Blutfleck. Den Aufpralllärm, der durch den Stifter-Band erzeugt wurde, verrechnete ich als Lärmausgleichskompensation an das Ehepaar Hüsch für vergangene Polterereignisse, die Lärmbilanz zwischen den Apartments schien mir danach ausgeglichen, selbst wenn ich nachts am Keyboard übte, verwendete ich Kopfhörer.

Dieses Jahr konnte als ausgesprochen hartnäckiges Gelsenjahr bezeichnet werden, keine Ahnung, woher mitten in der Stadt diese Horden an Stechmücken kamen, die ihre Existenz ja stehenden Gewässern oder Tümpeln und Regentonnen verdankten. Mit einem gezielten Wurf an die Decke formte sich ein neuer, dunkler Fleck aus Chitin, der die ursprüngliche Körperstruktur der Gelse noch ungefähr erahnen ließ. Ein wenig erinnerte mich der insektide (existierte dieses Wort?) Abdruck an der Decke an die gepressten Pflanzen in meinem Herbarium, das ich vor Jahrzehnten als Schüler der Unterstufe erstellt hatte. Ich lobte mich innerlich für den gelungenen Buchwurf und machte sofort einen kurzen Kontrollgang ins Schlafzimmer, um Ausschau nach weiteren Gelsen zu halten. Als ich das gekippte Fenster schloss, warf ich einen Blick über den Innenhof in die Wohnung schräg gegenüber, in der ich seit einiger Zeit regelmäßig die Bewegungen einer jungen Frau beobachtete, die keine Gardinen zuzog, weil sie das Anbringen von Vorhängen wohl uncool und überflüssig für eine Wohnung ihres Geschmacks fand: Von schräg unten sah ich in die kleine Wohnküche, in der zwar Licht brannte, sich aber im Moment nichts bewegte. Meine beiläufigen Beobachtungen hatten mittlerweile ergeben, dass die junge Frau allein wohnte und keine regelmäßigen Besuche empfing. Wieder zurück in der Küche, beschloss ich, mir noch eine Tasse entkoffeinierten Kaffees zuzubereiten. Für solche Bedürfnisse hatte ich eine Packung Instantpulver gekauft, das nur mit heißem Wasser aufzugießen war. Ansonsten bevorzugte ich Filterkaffee. Im Kühlschrank entdeckte ich, dass keine Milch mehr da war. Für den Fall hatte ich eine Plastikdose mit Kondensmilch parat. Das Öffnen der Dose hatte mir immer schon Schwierigkeiten bereitet, obwohl an ihr der Vermerk kräftig drücken, dann Lasche anheben angebracht war. Außerdem stand in Versalien das Wort PRESS auf der Lasche. Trotzdem war ich schon mehrmals beim Öffnen gescheitert und hatte dann ein spitzes Messer gebraucht, um an die Kondensmilch heranzukommen. Bei dieser nicht ganz ungefährlichen Operation fiel mir mein Kollege Holger Wuttke ein, der mir im Pausenraum unseres Instituts ein YouTube-Video aus den siebziger Jahren gezeigt hatte, in dem ein Direktor einer Kondensmilchdosen-Fabrik kurz nach Einführung des Tetrapak im Fernsehen vor laufender Kamera daran gescheitert war, den Verschluss zu öffnen, und sich mit Milch vollgekleckert hatte.

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