Als Ryoko Sekiguchi den Küchenchef eines beliebten Bistros in einem Vorort von Tokio nach dem servierten Gemüse fragt, das schon nicht mehr zur Saison passen will, antwortet er: «Da ich sehr viel älter bin als Sie, weiß ich nicht, ob ich dieses Gemüse auch im nächsten Jahr noch genießen darf.» Wie viele Jahreszeiten birgt ein Jahr, ein Leben, eine Küche? Was ist eine «sai sonale Frucht»? Hat auch ein Fisch «Saison»? Nagori, wörtlich «der Abdruck der Wellen», bezeichnet in Japan die Wehmut der Trennung im Vergehen der Jahreszeit, Wehmut nach diesem letzten Genuss am Ende der Saison. Der Geschmack von Nagori ist der des bevorstehenden Abschieds und der Sehnsucht nach Wiederkehr. Dieses verblüffende und im Wortsinne geschmackvolle Buch ist nicht nur eine Einladung, die kunstvolle Poetik und Küche Japans zu entdecken. Es hinterfragt auch die unterschiedlichen, unser Leben bestimmenden Zeitlichkeiten und stellt uns die Lebensmittel als eigenständige Wesen vor. Die literarische, kulinarische und kulturelle Reise von Japan über Rom nach Paris zu großartigen Köchen, köstlichen Gerichten und unbekannten Zutaten ist eine kurze Ästhetik über die flüchtige Handschrift von Geschmäckern und Aromen in unseren Körpern und die Erinnerung in den Landschaften und nicht zuletzt in der Literatur.
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Ryoko Sekiguchi. Nagori
Ryoko Sekiguchi. Nagori
Inhalt
Prolog
1. Vier Jahreszeiten, vierundzwanzig Jahreszeiten, zweiundsiebzig Jahreszeiten?
2. Alles Fließende, alles Blühende hinterlässt den Abdruck seiner Wellen
3. Jenseits der Mauern
4. Immer wiederkehrende Jahreszeiten, für immer vergangene Jahreszeiten
5. Die organischen Gestirne
6. Gewalttätige und politische Jahreszeiten
7. Neue Begegnungen, Neuanfänge
Werde ich noch einen neuen Frühling erleben?
Anhang
»Diner mit 100 Zutaten«
Das Menü
Die begleitenden Weine
Danksagung
Отрывок из книги
Die Sehnsucht nach der von uns gegangenen Jahreszeit
Aus dem Französischen
.....
Tatsächlich wurde das japanische System der Einteilung des Jahres in vierundzwanzig oder zweiundsiebzig Zeitabschnitte (also immer noch auf vier Jahreszeiten basierend), das als Gipfel an Raffinesse und Ausgereiftheit angesehen wird, gar nicht in Japan erfunden. Es stammt aus China, wo seine Entstehung dem Bedürfnis entsprang, den sich von Jahr zu Jahr verschiebenden Mondkalender anzupassen. Eigentlich ist es niemals wirklich dem japanischen Klima angeglichen worden.
Natürlich ergibt es keinen Sinn, den Wert eines Kalenders nach der Vielzahl seiner Unterteilungen zu bemessen.1 Hätten die Franzosen den Revolutionskalender beibehalten, dann stünde ihnen tagtäglich der Name einer Frucht oder eines Tieres zu!