Großstadtflimmern

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Автор книги: id книги: 2349655     Оценка: 0.0     Голосов: 0     Отзывы, комментарии: 0 293,1 руб.     (3,19$) Читать книгу Купить и скачать книгу Электронная книга Жанр: Языкознание Правообладатель и/или издательство: Bookwire Дата добавления в каталог КнигаЛит: ISBN: 9783745050479 Скачать фрагмент в формате   fb2   fb2.zip Возрастное ограничение: 0+ Оглавление Отрывок из книги

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Описание книги

Anna arbeitet als erfolgreiche Escort-Dame in Stuttgart. Nur so kann die alleinerziehende Mutter sich und ihren kleinen Sohn gut über die Runden bringen. Und eigentlich möchte sie an diesem Zustand auch nichts ändern. Denn wer will schon gern seine Unabhängigkeit aufgeben? Doch da macht ihr Gabriel Bernard gehörig einen Strich durch die Rechnung. Der attraktive und selbstbewusste Immobilienmogul wusste schon immer was er wollte und sein neues Ziel heißt Anna! Doch leider lässt sich diese nicht auf seine Spielchen ein, denn eine Beziehung heißt Vertrauen! Und mit Vertrauen in Männer hat Anna ein großes Problem. Kann sie es schaffen ihr wohl gehütetes Geheimnis zu lüften und der Liebe eine Chance zu geben?

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Sabrina Pignato. Großstadtflimmern

Großstadtflimmern

Sabrina Pignato

GROßSTADTFLIMMERN

Impressum

Anna. Der Blick auf die Uhr ist so was von ernüchternd. Es ist schon kurz vor neunzehn Uhr, während ich total nervös im Schlafzimmer vor dem Spiegel stehe, um noch einmal das Gesamtpaket „Rhea“ zu begutachten. Heute Abend bin ich als Begleitung für eine Charity-Veranstaltung gebucht worden. Wenn das mal kein Highlight im Dienstleistungsspektrum einer Escort-Dame ist. Ich drehe mich erneut zur Seite und begutachte selbstkritisch die Rückenansicht meines Abendkleides. Zweifelsohne muss ich mir selbst eingestehen, dass dieser Traum von mitternachtsblauer Seide meiner sonst unspektakulären Figur ziemlich schmeichelt. Auf die Tauschbörse mit meiner besten Freundin Nele, die annähernd so groß ist wie ich, ist eben einfach Verlass. Aus ihrem Fundus habe ich mich für ein langes Bustierkleid entschieden. Es ist oben schmal geschnitten, an der Hüfte leicht gerafft, um dann nach unten A-förmig auszulaufen. Zwar sitzt es bei meiner kurvenreichen Freundin etwas besser, aber ich bin schon froh, dass somit mein kleiner Vorbau mehr zur Geltung kommt. Ohne überhaupt einen Blick auf das Label zu werfen, weiß ich, dass Nele wieder ein kleines Vermögen dafür hingeblättert haben muss. Sie hat eben einfach eine Schwäche für Gucci und Kollegen. Und falls ich mich später beim Gala-Dinner bekleckern sollte, habe ich morgen definitiv ein großes Problem. Bei dem Gedanken an Austernschleim im Ausschnitt kann ich mir jedoch ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Ein letzter Blick gilt meiner Hochsteckfrisur, die mir ohne Susi, meiner persönlichen „Hair-Stylistin“, vermutlich nie so gut gelungen wäre. Eine locker gesteckte Banane meiner blonden Haare verschönert nun meinen Hinterkopf und die wahllos herausgezupften Strähnchen nehmen dieser Frisur die typische Strenge. Also kein Vergleich zu der jungen Frau, die noch vor zwei Stunden mit ihrem vierjährigen Sohn beim Spielen im Kinderzimmer gesessen ist. In Windeseile schnappe ich mir die cremefarbenen High Heels und laufe rasch in den Flur hinunter zum Sideboard, um noch einmal die Einladung für die Charity-Veranstaltung zur Hand zu nehmen. Heute Abend wird zugunsten der Alzheimer-Stiftung gesammelt. Leider ist mein Wissen über diese Krankheit nicht besonders umfangreich, so dass ich mir auf dem Weg zur Gala noch dank des Internets ein paar Hintergrundinformationen holen werde. Pünktlich auf die Minute kündigt der Taxifahrer sein Kommen durch ein Klingeln an. Ich schnappe mir die Clutch und eine Stola, beides ebenfalls Leihgaben von Nele und haste hinaus zur Wohnungstür. Gerade als ich schon die ersten Treppenstufen hinuntergelaufen bin, ertönt eine Stimme über mir. Ich schaue nach oben und entdecke eine ältere dunkelhaarige Frau, die mitsamt ihrem gesamten Oberkörper über dem Treppengeländer hängt und mir überschwänglich zum Abschied winkt. Meine Mutter »Anna, Schatz! Ganz viel Spaß heute Abend. Bin ja schon so gespannt, was du morgen alles zu erzählen hast. Und vergiss nicht eine Menükarte für mich einzustecken…ach und falls sie Tischgestecke verschenken, dann nimm gleich eins mit!«, ruft sie aufgeregt hinunter und ihre grauen Augen blitzen dabei verschwörerisch auf »Mama, das ist keine Hochzeit! Das ist eine Gala. Da verschenken sie keine Gestecke! Aber ich muss jetzt wirklich los, das Taxi wartet. Tschüss! Und gib Sammy noch einen Gute-Nacht-Kuss von mir!« »Anna, warum lässt du dich denn nicht von deiner Begleitung abholen? Das wäre doch wohl eher angebracht bei so einem schicken Kleid.« »Mama, du weißt warum. Ein Taxi ist eben anonymer und ich mag es anonym!« »Na, wenn du meinst!«, entgegnet sie leise und mir entgeht nicht der besorgte und typisch mütterliche Ausdruck in ihrem faltigen Gesicht »Gute Nacht, Mama!« Ich lasse mich auf dem Rücksitz des Taxis nieder, nenne dem Fahrer die Adresse und versuche mich zu entspannen. In Gedanken bin ich immer noch bei meiner Mutter, der ich so viel zu verdanken habe. Sie ist für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben. So etwas wie mein Fels in der Brandung. Was würde ich oder besser gesagt, was würden wir ohne sie tun. Als alleinerziehende Mutter ist es schon schwierig genug den Alltag allein zu bewerkstelligen und als junge Frau, die überwiegend abends arbeitet, vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man niemanden an seiner Seite hat. Zum Glück kann ich mich auf den besten Babysitter der Welt verlassen und verbringe deshalb den heutigen Abend mit Richard Falkner. Er ist einer meiner Stammkunden und wie ich bewundernd anerkennen muss, mit siebzig noch sehr attraktiv und agil, was vermutlich an seinen vielen Hobbys liegen muss. Tennis, Segeln, und natürlich Golf. Da könnte sich so mancher junger Mann eine Scheibe davon abschneiden. Der Taxifahrer steuert auf ein opulentes Gebäude zu und reiht sich in die Schlange edler Nobelkarossen ein, die vor dem Eingang zum Stehen kommen »Sie können mich hier rauslassen, den Rest gehe ich zu Fuß!«, rufe ich ihm zu und reiche ihm über die Schulter hinweg das Geld. Nur wenige Gehminuten später finde ich mich vor dem Eingang des Festgebäudes wieder, welches durch eine auffällige Stahlverkleidung besticht. Vor dessen Türen wartet bereits mein Herr des Abends, Richard. Während er mir entgegenläuft, nutze ich die Chance ihn unauffällig zu mustern. In seinem dunkelgrauen Anzug, der gut mit seinen hellgrauen Haaren harmoniert, sieht er aus wie ein in die Jahre gekommener Hollywoodschauspieler. Die Begrüßung fällt wie immer sehr herzlich aus und Richard führt mich ganz gentlemanlike hinein ins Gebäude. Nach einem kurzen Plausch in der Eingangshalle und anschließendem Sektempfang mit Stuttgarts High Society betreten wir gemeinsam den Festsaal. Fast bekomme ich vor Staunen den Mund nicht mehr zu, so wunderschön ist der Saal dekoriert. Die meterhohe Decke wurde mit anthrazitfarbigem Satin abgehängt und Lampions in unregelmäßiger Anordnung dazwischen drapiert. Beim kurzen Hinsehen erweckt es beim Betrachter den Eindruck eines Sternenhimmels. Ich lasse den Blick durch den Raum schweifen und bin wahrhaftig beeindruckt. Der Saal wird ausschließlich durch Kerzenlicht und die Lampions über unseren Köpfen beleuchtet, was eine heimelige Stimmung erzeugt. Rings um uns herum sind runde Tische aufgestellt mit perlmuttfarbenen Tischdecken, nostalgischen Kerzenständern und jede Menge Silberbesteck sowie Kristallgläsern. Und zum Leidwesen meiner Mutter, da sie es nie zu Gesicht bekommen wird, ein Blumenbouquet aus weißen Orchideen. Richard führt mich zielstrebig quer durch den Saal und steuert auf einen Tisch mit sechs Stühlen zu »Das verheißt ein interessanter Abend zu werden, denn schließlich wissen wir nicht, mit wem wir uns heute Abend den Tisch teilen. Die Plätze wurden allesamt durch ein Losverfahren verteilt, um neue, interessante Gesprächspartner kennenzulernen«, erklärt Richard wissend. Ich stutze kurz, denn das höre ich zum ersten Mal. Dennoch bin ich keineswegs enttäuscht, denn auf Richards Bekanntenkreis kann ich getrost verzichten. Alles Zausel ohne Stil und Anstand, die junge Damen förmlich mit den faltigen, tränensackverhangenen Augen ausziehen und dann natürlich „rein zufällig“ auf die Pelle rücken, weil man sich so „besser unterhalten“ kann. Dass ich als Escort-Dame ausschließlich als Begleitung gebucht werden möchte, ist bei so manchem grauen Panther noch nicht wirklich angekommen. Ich schüttle den Gedanken an Richards Freunde ab und begebe mich zum Tisch. Ein Tischkärtchen mit dem Namen „Rhea Peleus“ weist meinen Sitzplatz aus. Oma, bitte verzeih’, dass ich mir deinen Mädchennamen borgen musste. Richard rückt mir den Stuhl zurecht, ich setze mich an den prunkvoll gedeckten Tisch und lasse das Dekorationsszenario in der Tischmitte auf mich wirken. Ich bin schon gedanklich im Orchideenbouquet versumpft, als mich eine tiefe männliche Stimme aus meinen Träumen reißt »Guten Abend, darf ich mich kurz vorstellen? Mein Name ist Gabriel Bernard, wir werden heute Abend wohl Tischnachbarn sein.« Ich hebe meinen Blick vom Bouquet und versuche im schwachen Kerzenlicht ein Gesicht auszumachen. Was ich dann allerdings zu sehen bekomme, hätte ich nicht erwartet. Männlich, groß, bestimmt 1,85 m, dunkles Haar (mit viel Gel, das erkenne ich sogar im Kerzenschein) und wunderschöne helle Augen, eingerahmt von dunklen Wimpern. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um ihn nicht anzustarren. Doch meine gute Kinderstube lässt mich auch heute nicht im Stich »Rhea Peleus«, stelle ich mich vor und gebe ihm über das Bouquet hinweg die Hand. Obwohl ich mich bei geschäftlichen Anlässen, sprich als Escortdame, immer mit meinem „Künstlernamen“ vorstelle, komme ich mir trotzdem plötzlich sehr verlogen vor. Herr Bernard hat einen kräftigen Händedruck, aber eine durchaus angenehme weiche Hand. Er mustert mich interessiert und nickt mir freundlich zu, danach stellt er sich bei Richard vor. Ich beobachte ihn heimlich aus dem Augenwinkel, während er sich kurz mit Richard unterhält. Im Seitenprofil sieht er genauso gut aus wie von vorn. Frisch rasiert, mit sinnlichen Lippen und etwas ausgeprägten Kieferknochen. Ein typischer Modeltyp, wofür auch sein Outfit spricht. Er trägt einen modernen schwarzen Anzug mit schlichter anthrazitfarbener Krawatte. Beim Hinsetzen öffnet er die Knöpfe seines Jacketts und ich kann kurz einen Blick auf seinen Oberkörper erhaschen. Meine Fantasie geht mit mir durch und ich versuche mir vorzustellen, wie er wohl ohne Hemd aussieht … und ohne Hose! Oh Gott, Anna, das geht jetzt aber wirklich zu weit!! Konzentriere dich auf deinen Nebenmann, der für den heutigen Abend etwa 1000 € hinblättern muss, und nicht auf dein Gegenüber, an dem du keinen Cent verdienst!! Ich reiße mich zusammen und wende mich wieder Richard zu, der ganz in der Menükarte versunken zu sein scheint. Während er mir kurz das 5-Gänge-Menü erläutert, tritt der nächste Gast an unseren Tisch. Ein Herr, ich schätze ihn auf Mitte Vierzig, mit graumeliertem schulterlangem Haar. Er stellt sich uns als „Herr Konrad“ vor und ich muss fast anfangen zu lachen, als mir die Geschichte vom Daumenlutscherbub aus dem Kinderbuch Struwwelpeter ins Gedächtnis kommt. Der Bursche, dem in der Geschichte die Daumen abgeschnitten wurden, hieß auch Konrad und wie ich finde, ist eine gewisse Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen. Meine Augen suchen seine Hände und ich bin äußerst beruhigt, dass seine beiden Daumen noch da sind. Glück gehabt Konrad, denke ich und grinse vor mich hin. Der Sommelier ist inzwischen an unseren Tisch getreten, um die Bestellung aufzunehmen, als auch noch die beiden letzten Gäste zu uns stoßen. Frau Häberle, die einem Pudel enorme Konkurrenz machen könnte und ihr Gatte, Herr Häberle, ein kleiner runder Mann, der offensichtlich mehr Haare auf der linken Seite hat, als auf der rechten (und dies auch zu nutzen weiß). Während die Commis de Rang den ersten Gang servieren, wurde bereits durch Herrn Häberle die Plauderrunde eröffnet. Mit Anekdoten aus seinen ruhmreichen Jahren als Unternehmer versucht er das Gespräch am Laufen zu halten, was ihm leider nicht so gut gelingen will und wohl eindeutig an seinem breit schwäbischen Dialekt liegen könnte und der daraus resultierenden Tatsache, dass ihn so recht niemand hier am Tisch verstehen kann. Doch der Pudel zu seiner Linken nimmt den verlorengegangen Faden wieder auf und wendet sich, dem wiederum zu ihrer Linken sitzenden Topmodel, namens Bernard zu. Sie verwickelt ihn schneller in ein Gespräch, als eine Anakonda die Beute. Zu unser aller Erleichterung kommt schon das Essen und auch eine Frau Häberle wird dank Knigge nicht mit vollem Mund sprechen. Der erste Gang, bestehend aus einer Salat-Kreation mit Kürbiskernöl-Vinaigrette an gebratener Jakobsmuschel und Limettenglace ist ein Traum. Die Voraussetzungen dafür, dass die restlichen vier Speisen genauso gut oder annähernd so gut sind, stehen nicht schlecht. Gabriel. Ich bin total angespannt. Wie ich solche Veranstaltungen hasse. Die vielen Dummschwätzer, die völlig sinnlosen Gespräche und die alten Heuchler, die alle um meine Gunst buhlen, machen solche Abende zu einer Tortur. Wüsste ich es selbst nicht besser, dass ich dieses Theater mitspielen muss, um meiner Firma willen, würde ich sofort aufstehen und diese Gala verlassen, aber nicht ohne vorher noch meinem Nebensitzer Herrn Konrad den Kopf auf die Tischplatte zu knallen, falls er es noch einmal wagen sollte, in den Ausschnitt meines hübschen Gegenübers zu glotzen. Der schönen zarten Rhea. Vermutlich ist sie heute der einzige Sonnenschein in dieser tristen Arena, aber leider ist sie in Begleitung dieses Altunternehmers. Da die beiden ein nettes und zurückhaltendes Verhalten an den Tag legen, vermute ich mal, dass es sich hierbei nicht um die äußerst jugendliche „Freundin“ von unserem alten Herrn handelt, vielmehr glaube ich, dass sie heute als gebuchte „Begleitung“ hier ist. Wäre nicht die einzige junge Dame in diesem Saal, aber vermutlich die Hübscheste. Zu blöd, dass sie nicht an meiner Seite sitzt. Ob ich Herrn Falkner mal nach ihrer Telefonnummer fragen soll? Anna. Zwei Stunden später und gefühlte drei Kilo schwerer, haben bereits die ersten Redner das Pult betreten, das links von uns aufgebaut ist. Der offizielle Teil der Alzheimer-Gala, bestehend aus Spendenaufrufen, Danksagungen und Ehrungen, beginnt. Den ersten Laudatoren kann ich noch gut folgen, aber das ausgiebige Essen und der gute Wein zollen nun ihren Tribut und ich muss mich sehr zusammenreißen, um nicht vor allen Gästen das Gähnen anzufangen. Der schwäbische Pudel hat sein kommunikatives Fangnetz nun nach Richard ausgeworfen und so versucht sie ihn mit Erzählungen aus ihrer Heimat für sich zu gewinnen »Ja, wissad se, Herr Falkner, mei Mo ond i sen ned von dohana. Mir kommad von dr Oschdalb. Bei uns drhoim isch’s wirklich schee, do missad se mol nofahra mid der junga Dame.« »Ach ja? Mmmh«, gibt Richard höflich nickend zurück. Inzwischen hat sich am Pult ein weiterer Herr eingefunden, der gerade den nächsten Laudator ankündigt. Dank Frau Häberles Geschwätz verstehe ich nur noch die letzten Worte »Begrüßen Sie nun mit mir unseren neuen Vorstandsvorsitzenden und Stifter Gabriel Bernard!« Die letzten Worte spricht er mit einer solchen Inbrunst, dass selbst Frau Häberle ihren Monolog unterbricht und neugierig aufschaut. Inzwischen hat sich Mister Sahneschnitte erhoben, nickt uns allen freundlich zu und geht schnellen Schrittes hinüber zur Bühne, während er sich wieder das Jackett zuknöpft. Frau Häberle, die inzwischen in eine Art Schockstarre gefallen zu sein scheint, kann ihm nur mit offenem Mund hinterher starren. Ich beuge mich zu Richard hinüber und flüstere ihm ins Ohr »Wusstest du, dass er der Vorstandsvorsitzende ist?« »Nein, es wurde bisher nur gemunkelt, wer letzten Endes das Amt des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden übernehmen könnte, seit dieser vor zwei Monaten ausgeschieden ist. Aber umso erfreulicher ist es nun, dass der Stifter selbst den Vorsitz übernimmt.« »Herr Bernard ist der Stifter der Alzheimer-Stiftung?« »Ja genau, er hat vor fünf Jahren diese Stiftung gegründet und unterhält sie seither mit seinem Privatvermögen. Dazu muss man wissen, dass er sehr vermögend ist. Ihm gehört die zweitgrößte Immobiliengesellschaft in Stuttgart. Er hat die Nachfolge seines Vaters angetreten, als dieser vor zehn Jahren starb.« «Vor zehn Jahren? Wie alt ist er denn, wenn er die Firma schon so lange leitet?« »Ich schätze, er müsste so um die Dreißig sein. Genau kann ich es auch nicht sagen, das meiste über ihn weiß ich entweder aus der Zeitung oder von meinen Golffreunden.« »Wie kommt er denn dazu eine Alzheimer-Stiftung zu gründen?« »Ich glaube seine Mutter ist an Alzheimer erkrankt.« Ich lehne mich zurück und schaue in Richtung Bühne. Da habe ich wohl jemanden ganz falsch eingeschätzt. Auf den ersten Blick, darauf hätte ich schwören können, sieht er wie der typische Student aus, der sich neben dem Studium ein paar Euros mit Modeljobs finanziert. Frau Häberles Blick sagt mir, dass sie ähnlich überrascht ist, wie ich. Gabriel Bernard beginnt seinen Vortrag. Er spricht sehr leise und ruhig. Man muss sich gut konzentrieren, um ihn zu verstehen, aber trotz allem fasziniert mich die Art und Weise, mit welcher er die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen scheint. Er erläutert das vergangene Jahr, präsentiert anhand einer PowerPoint-Präsentation die aktuellsten Kampagnen seiner Stiftung, stellt die anstehenden Veranstaltungen vor und widmet sich abschließend in einer Danksagung den Spendern und den ausschließlich ehrenamtlichen Helfern dieser Stiftung. Als er dann das Podium unter tosendem Applaus wieder verlässt, hat er mich ebenfalls voll und ganz gefesselt. Seine Ausführungen über diese schlimme Krankheit und die daraus resultierende Stiftung, die er ins Leben gerufen hat, machen mich nachdenklich. Wie sich wohl jemand fühlen mag, wenn er beide Elternteile schon in jungen Jahren verloren hat? Ich kann es nicht einschätzen, da ich nie in den Genuss gekommen bin, zwei Elternteile an meiner Seite zu haben. Mein Vater zog es vor, seine hochschwangere Frau mitsamt der dreijährigen Tochter Helen zu verlassen. Schon allein der Gedanke, dass ich meine Mutter jetzt verlieren könnte oder sie an einer Krankheit wie Alzheimer erkrankt, lässt mich erschaudern. Während eine Band auf der Bühne Stellung bezieht, ist Herr Bernard wieder an unserem Tisch eingetroffen. Locker, als ob er gerade von der Toilette käme, nimmt er Platz und lässt sich von uns allen herzlich zu seiner Vorstandschaft gratulieren, und ich habe noch einmal die Chance seine weiche und zarte Hand in meiner zu spüren. Ob er sich wohl überall so weich und zart anfühlt? Geschockt über den Alleingang meiner Gedanken wende ich mich schnell ab und schaue hinüber zur Band. Diese hat mit Beendigung des offiziellen Teils mit einer Cover-Version von Barry White’s Klassiker „my first, my last, my everything“ die Tanzrunde eingeläutet. Richard, ganz Gentleman der alten Schule, hat mich um einen Tanz gebeten. Er genießt es sichtlich mich in seinen Armen einmal quer durch den Raum zu führen. Und wieder muss ich feststellen, dass er ein begnadeter Tänzer ist und ich, dank meiner unzähligen Tanzstunden, eine mittlerweile passable Tanzpartnerin. Die neugierigen Blicke der anderen Tanzpaare heften sich auf meinen Rücken. Jeder, der Richard kennt, weiß, dass er verwitwet ist und keine Kinder hat. Und somit wird ihnen auch klar sein, in welcher Funktion ich heute Abend hier an seiner Seite bin. Aber auf die Meinung anderer habe ich noch nie etwas gegeben und werde es auch in Zukunft nicht tun. Sollen sie doch ruhig schauen. Wer von ihnen kann schließlich von sich behaupten einen schönen Abend zu erleben und gleichzeitig noch Geld dabei zu verdienen. Außer Mister Supersexy vielleicht, der, wie ich beim kurzen Hinübersehen feststellen muss, mit mehreren hochrangigen Herren an unserem Tisch steht und in meine Richtung schaut!! Wir beenden den Tanz und Richard zieht sich mit einigen Herren in die obligatorische „Raucherecke“ zurück, wofür ich ihm ausgesprochen dankbar bin, weil ich jetzt schon meine super schicken, aber mega unbequemen Schuhe spüre. Da fällt mir Mamas Lieblingsspruch ein: Wer schön sein will, muss leiden. Da hat die Gute doch mal wieder recht behalten. Ich nutze die Gunst der Stunde und suche die Damentoilette auf. Während ich mir den Weg durch den Saal bahne, komme ich an Damen in Pelzstolas und angestaubten Herren im Smoking vorbei. Einer von ihnen ist Stuttgarts Oberbürgermeister. Er ist umringt von Mitgliedern seines Gemeinderates, die alle gebannt seinen Worten lauschen, wie einst die Jünger Jesu. Der Herr, der linkerhand des „OB“ steht, kommt mir ziemlich bekannt vor. Aber woher? Als ich kurze Zeit später die Toilette wieder verlasse, ist bei mir endlich der Groschen gefallen. Ich bin mir ziemlich sicher, ihn als Neles Stammkunden entlarvt zu haben. Doch heute hat er es wohl vorgezogen, seine Ehefrau mit auf das Bankett zu nehmen. Ich habe gerade wieder meinen Sitzplatz erreicht, als mich von hinten eine Hand an der Schulter berührt. Ich fahre erschrocken zusammen und drehe mich um, um in die hellsten Augen Stuttgarts zu schauen. Oh mein Gott! Mister Endorphin Bernard »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken!«, entschuldigt er sich höflich »Äh … kein Problem, ich bin etwas schreckhaft«, gebe ich leise zurück »Hätten Sie Lust mit mir zu tanzen?« Ich bin zwar etwas überrascht, aber durchaus nicht abgeneigt und meine Begleitung ist ebenfalls außer Sichtweite. Warum also eigentlich nicht? »Ja, gerne!«, antworte ich strahlend und begebe mich mit ihm auf die Tanzfläche. Erst jetzt wird mir bewusst, dass er inzwischen meine Hand genommen hat und uns in Tanzposition bringt. Seine andere Hand hat auf meinem Rücken Platz gefunden und sendet ein angenehm kribbelndes Gefühl über meinen ganzen Körper aus. Er führt mich mit fließenden Bewegungen an den anderen Paaren vorbei. Da ich ihm inzwischen ziemlich nah gekommen bin, kann ich ihn auch riechen. Ein wundervolles Gemisch aus teurem Eau de Parfum und seinem eigenen herben Duft. Ich würde mich am liebsten an seinen Hals schmiegen und ausgiebig an ihm schnuppern, aber dann wäre wohl nix mehr mit Foxtrott. Aus dem Augenwinkel heraus, beobachte ich ihn. Er scheint völlig entspannt zu sein und schaut nur stur geradeaus, während ich versuche es ihm gleich zu tun. Aber mein Blick wandert immer wieder zu ihm zurück. Er hat ein ausgesprochen hübsches Gesicht, dunkler Teint, ohne jeden Makel. Bis auf eine kleine Narbe direkt über der rechten Augenbraue, die man aber nur sehen kann, wenn man ihm so nahekommt, wie ich es gerade tue. Von Minute zu Minute schaffe ich es schließlich auch etwas zu entspannen, da ich mich, rein tänzerisch gesehen, an ihn gewöhnt habe. Doch leider macht mir die Band einen Strich durch die Rechnung und spielt ein neues, ausgesprochen langsames Lied »Können Sie auch einen langsamen Walzer tanzen?« fragt er und schaut mich nun endlich an »Ja natürlich! Und Sie?« gebe ich keck zurück »Ich auch!« Dann ist ja gut, denke ich und lasse mich ganz auf den wechselnden Tanzstil ein. Wir bewegen uns mit andächtigen Bewegungen zu Simply Red’s „If you don’t know me by now“. Irgendwie passend, wie ich finde. Inzwischen habe ich auch schwitzige Hände bekommen, was meinem Tanzpartner nicht entgangen sein dürfte. Um die mir durchaus peinliche Situation zu überspielen, versuche ich es mit Konversation, was mir nicht schwerfallen dürfte, denn schließlich bin ich doch die Small-Talk-Queen »Darf ich Ihnen ein Kompliment machen?«, frage ich ihn so beiläufig wie möglich »Wenn es bei einem bleibt, dann ja!« Diesmal tritt ein schelmisches Grinsen in sein Gesicht. Was für ein Macho! »Ihre Rede hat mich sehr beeindruckt und dazu veranlasst noch mehr für die gute Sache zu spenden, als ich ursprünglich vorhatte.« »Ach ja? Dann ist mein Plan wohl aufgegangen!« »Was für ein Plan?«, hake ich nach »Den Leuten im Saal das Geld aus der Tasche zu ziehen!«, entgegnet er und sein Grinsen wird noch breiter »Das nenne ich mal kaufmännisches Talent gepaart mit unwiderstehlichem Charme. Unzählige Damen und Herren, mich eingeschlossen, haben sich da wohl von Ihnen blenden lassen. Aber das wissen Sie wahrscheinlich schon längst.« Hoffentlich habe ich mich mit meiner gewohnt offenen Art nicht zu sehr aus dem Fenster gelehnt, denke ich, aber mein Gegenüber scheint das nicht so zu sehen. Er schaut mich einfach nur belustigt an und lenkt uns in eine andere Richtung »Als ich diese Rede geschrieben habe, hatte ich eigentlich keinen Gedanken an Heimtücke oder dergleichen verschwendet, aber wahrscheinlich haben Sie Recht, und mir liegt der Verkäufer im Blut, ohne dass ich es bemerkt habe.« Er grinst mich an und ich bin mir sicher, dass er sich über mich lustig macht »Darf ich Ihnen auch ein Kompliment machen?« fragt er mich nun »Welche Frau möchte das nicht?«, entgegne ich »Sie sind mit Abstand heute Abend die schönste Frau in diesem Raum, was Sie wahrscheinlich sowieso wissen, aber ganz besonders haben Sie mir gefallen, als sie vorher mit ihren großen grünen Augen und ihrem zuckersüßen offenen Mund meine Rede verfolgt haben.« WAS?? Mir wird nun bewusst, dass er wahrscheinlich recht hat und ich ihn wirklich angestarrt habe. Oh Mann, wie peinlich ist das denn? Mauseloch … WO BIST DU?? »Das ist so ziemlich das schlechteste Kompliment, das ich je von einem Mann bekommen habe«, gebe ich süffisant lächelnd zurück und versuche die Situation so gut wie möglich zu überspielen »Ich würde es ja gern wiedergutmachen und Sie zur Entschädigung auf einen Prosecco einladen. Aber da Sie leider heute Abend in Begleitung hier sind und Ihr Mann völlig allein an seinem Platz sitzt, denke ich, dass er Sie gern wieder an seiner Seite haben möchte. Zumindest würde ich das wollen, wenn Sie mit mir hier wären.« Ich wirble herum und erblicke Richard, der inzwischen wieder an unseren Tisch zurückgekehrt ist. Ich drehe mich auf die Seite und schaue auf den Radiowecker. Es ist schon nach zehn und obwohl mir immer noch der gestrige Abend in den Knochen steckt, stehe ich auf und laufe hinunter ins Badezimmer. Ich stelle die Dusche an und schlüpfe aus meinem Pyjama, dabei fällt mein Blick in den Spiegel. Oh Gott! Du hast aber auch schon besser ausgesehen!! Meine Haare sind total verklebt von dem ganzen Haarspray und unter meinen Augen haben sich riesige schwarze Schatten gebildet, das Zeugnis von wenig Schlaf und zu viel Kajal. Allmählich sickert die Erinnerung an den gestrigen Abend wieder durch und hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl. Ich habe mit einem überaus attraktiven Mann getanzt, der mich erstens nicht nur beruflich interessiert hat, der mich zweitens vielleicht ebenso attraktiv fand, wie ich ihn. Der drittens hinter seiner kühlen Fassade ganz schlecht einzuschätzen ist und der mich viertens nach unserem gemeinsamen Tanz kein einziges Mal mehr beachtet hat. All das sollte mich eigentlich überhaupt nicht interessieren, denn ich kenne ihn überhaupt nicht und war schließlich nicht seinetwegen bei dieser Gala. Aber aus unerklärlichen Gründen schmerzen mich diese Gedanken. Vor allem weil ich ihn nie wiedersehen werde. Irgendwie fühle ich mich wie ein verliebter Teenager nach einem Schüleraustausch. Ich schlüpfe in die dampfende Dusche und versuche mich von Kajal und schlechten Gedanken reinzuwaschen »Möchtest du einen Kaffee, Anna?« »Ja, gerne. Den habe ich auch dringend nötig.«, murmle ich und gähne herzhaft. Den Kopf auf einer Handfläche aufgestützt, schaue ich mich in der Küche meiner Mutter um. Sie ist über all die Jahre ihrem Wohnstil immer treu geblieben. Ganz egal, ob modern oder unmodern, Hauptsache sie kann ihre Porzellanpuppen sammeln, eingestaubte Trockengestecke drapieren oder Patchworkdecken aufhängen. Sie liebt diesen speziellen Stil, den Hausfrauenchic. Und ich liebe es auch, weil es mir ein Gefühl von Heimat gibt. Meine Mutter steht an der Spüle und schaut mich an. Über die Enttäuschung, dass ich ihr leider kein Tischgesteck mitbringen konnte, ist sie mittlerweile hinweg und jedes Detail der gestrigen Gala hat sie inzwischen auch schon aus mir herausgequetscht. Bis auf die Sache mit Mr. Testosteron, die ich lieber für mich behalte »Wie geht es eigentlich Patrick? Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen.«, erkundigt sie sich, während sie mich eindringlich mustert. Augenblicklich wird mir klar, welche Wendung dieses Gespräch nun nehmen wird »Ich denke gut. Er wird am Freitag Sammy abholen. Die beiden wollen zum Wandern gehen. Sammy hat seinen kleinen Wanderrucksack schon mal herausgesucht.« Ich versuche so neutral zu klingen, wie es nur geht, balle aber unter dem Tisch schon die Fäuste, um den innerlichen Druck abzubauen »Anna, nenn’ deinen Sohn doch nicht immer „Sammy“. Er heißt Samuel und sollte so auch genannt werden. Und überhaupt finde ich, dass du es noch einmal mit Patrick versuchen solltest. Er ist schließlich Samuels Vater und er bemüht sich doch immer so um dich. Er hegt vermutlich noch Gefühle, während du ihn abweist wie einen kalten Fisch.« Meine Mutter, die sich inzwischen zu mir an den Tisch gesetzt hat, schaut mich mit diesem typischen „Tu-es-für-mich-Blick“ an, den ich schon von ihr kenne »Mama, lass das bitte. Dieses Thema haben wir doch schon zigmal durchgekaut. Wir passen einfach nicht zusammen und Schluss, basta. Ich bin ehrlich gesagt total froh, dass sich unser Verhältnis soweit gebessert hat, dass wir uns bei der Kindübergabe nicht mehr gegenseitig an die Gurgel gehen müssen.« Ohne es zu merken, bin ich wohl etwas lauter geworden und meine Mutter sitzt bedröppelt auf dem Stuhl und starrt auf ihre Hände. Wie sie es doch nur schafft, mich jedes Mal innerhalb von Sekunden auf die Palme zu bringen. Unglaublich. Für Mama ist und bleibt Patrick der ultimative Schwiegersohn. Höflich, gebildet und charmant, um nur einige seiner positiven Eigenschaften zu nennen und zudem teilt Patrick ihre Vorliebe für Helene Fischer. Liegt hier vielleicht der Hund begraben? Sie konnte und kann es bis heute nicht verstehen, dass es für Patrick und mich keine gemeinsame Zukunft mehr geben wird. Seit wir uns vor drei Jahren getrennt haben, sehen wir uns nur noch alle zwei Wochen, wenn er Sammy abholt. Und das soll, zumindest was mich betrifft, auch weiterhin so bleiben. Ich schnappe mir meinen Schlüssel und verlasse die Küche. Im Vorbeigehen drücke ich noch sanft Mamas Schulter und murmle ein Tut mir leid. Frische Luft wird mir jetzt guttun. Nele und ich haben uns heute Vormittag im Tasty Donut verabredet. Da wir beide in Stuttgart-West wohnen, ist das für uns nur ein Katzensprung. Nach dem exklusiven Essen gestern Abend habe ich Lust auf etwas Einfaches, einen Donut beispielsweise. Als ich die Räumlichkeit betrete, kann ich meine Freundin schon an einem der Tische entdecken. Ganz Nele-like hat sie sich ihre roten Locken zu einem Dutt aufgetürmt, aus welchem sich bereits die ersten Strähnchen lösen. Nach einer kurzen Begrüßung setze ich mich zu ihr und werfe schnell einen Blick in die Karte, bevor die Bedienung naht. Während Nele sich nach ewigem Hin und Her schließlich für einen Apfel-Zimt-Donut entschieden hat, werde ich mir meinen mit Vanillepudding-Füllung schmecken lassen. Es sind mit Abstand die besten Donuts in der Stadt, wie ich jedes Mal mit Begeisterung feststelle »Wie war dein Abend gestern? Hattest du nicht das Date mit dem jungen Schnösel?«, frage ich mit vollem Mund und versuche dabei nicht die ganzen Donutkrümel auf dem Tisch zu verteilen »Na, was glaubst du wohl?«, fragt sie und lächelt mich schelmisch an »Sag jetzt nicht, du bist wieder nach „Dienstschluss“ mit deinem Kunden mitgegangen?«, fahre ich sie an und knalle demonstrativ meinen Donut auf den Teller, auf dass sämtliche Krümel über den Tisch fliegen »Waren wir uns nicht einig, dass du das in Zukunft nicht mehr machst? Du verkaufst nicht nur deine Seele, sondern deinen Körper gleich mit.«, versuche ich ihr ins Gewissen zu reden. Nele, die von meinem Ausbruch in keinster Weise beeindruckt zu sein scheint, gähnt einmal herzhaft und schaut sich gelangweilt um. Reine Zeitverschwendung, ihr diesen Vortrag immer und immer wieder zu halten »Beruhig dich doch mal, Schatz! Ich weiß, dass du es nur gut meinst, aber ich stehe nun mal auf so etwas. Meine Eltern haben es nicht geschafft, mich zu ändern, dann musst du es gar nicht erst versuchen.« »Das weiß ich doch und ich will dich doch auch nicht verändern. Aber ich möchte nicht, dass sich meine beste Freundin prostituiert.« »Anna, das siehst du ganz falsch. Ich prostituiere mich nicht. Ich nutze einfach die Chance, die sich mir bietet. Wenn mich ein attraktiver und halbwegs netter Mann bucht und mich dazu noch für zusätzliche „Nebenleistungen“ benötigt, dann freue ich mich darauf. Ich kann mit ihm ein bisschen Spaß haben und bekomme sogar noch Geld dafür. So einfach ist das.« Ich lasse gefrustet den Kopf hängen. Wir hatten schon unzählige Diskussion über dieses Thema. Warum kann ich nicht einfach mal meine Klappe halten? »Darf ich dir jetzt von meinem Date erzählen?«, bittet sie und schaut mich grinsend an. Ich drücke ihre Hand und nehme mir vor, mich nicht ständig in ihre Privatangelegenheiten einzumischen »Ist in Ordnung! Erzähl es mir!«, willige ich ein und versuche ein halbwegs fröhliches Gesicht zu machen »Das wird dir jetzt runtergehen wie Öl. Heute Morgen bin ich aufgestanden und habe so bei mir gedacht: „Ach, hätte ich doch auf meine Freundin Anna gehört!“. Ich weiß ja, dass du mir immer wieder sagst, ich soll keine Kunden daten, die jünger sind als wir. Tja, ich wollte halt wie immer nicht hören und so habe ich gestern den besten Beweis dafür erhalten, dass deine Theorie stimmt. „Junge Männer brauchen keine Escort-Dame, die sind in einem Puff besser aufgehoben.“ Mein Kunde gestern Abend, nennen wir ihn zwecks des Datenschutzes mal „Martin“ war schon den ganzen Abend über sehr zappelig, selbst beim Abendessen, schaffte er es kaum, seine Hände und Füße still zu halten. Als wir dann später im Hotel waren, konnte er es kaum abwarten, bis er endlich auf mir lag und dann …. Ende Gelände. Der Kerl kam doch tatsächlich zum Abschuss, bevor es überhaupt losgegangen ist!« Ich kann mich mittlerweile vor Lachen kaum noch halten und habe große Mühe nicht an meinem Donut zu ersticken » Na ja, was soll’s. So leicht wie gestern habe ich noch nie mein Geld verdient«, beendet sie ihre Erzählung und nippt an ihrem Chai Tea Latte. Ich kichere immer noch leise vor mich hin, denn ich kann mir bildlich vorstellen, wie das Ganze abgelaufen ist. Der arme Junge. Er hätte wohl lieber nicht Nele buchen sollen. Als Fahranfänger fährt man schließlich auch keinen Ferrari, denke ich, als Nele mich aus meinen Gedanken reißt »Wie lief es eigentlich bei dir?« Um das Unbehagen, das sich inzwischen tief in meinem Kopf eingenistet hat, zu überspielen, packe ich mein schönstes unnatürlichstes Lächeln aus, das ich vorrätig habe »Ach, die Gala war einfach super. Tolles Essen. Richard hat sich wie immer von seiner besten Seite präsentiert. Wir haben uns wirklich gut amüsiert.«, flöte ich und rühre zum hundertsten Mal kräftig meinen Cappuccino um, dessen Milchschaum sich nun endgültig verflüchtigt hat »Anna, was ist los?« Nele wischt sich mit der Serviette die letzten Krümel vom Mund und blickt mich ernst an. Wenn sie mich so anschaut, ist es wahrscheinlich zwecklos ihr etwas vorzuspielen »Ach Nele!«, seufze ich, »wann hast du das letzte Mal einen Mann getroffen, der in dir ein ganz besonderes Gefühl ausgelöst hat?« »Erst vorgestern. Thomas hat sich ganz besondere Mühe gegeben.« »Nein!!«, stöhne ich auf. »Ich meine doch keinen Orgasmus! Was ich meine … wann hattest du das letzte Mal das Gefühl, dich zu jemandem hingezogen zu fühlen?« Nele starrt mich ungläubig an «Hast du jemanden kennengelernt?« »Ja und Nein.« »Sprich nicht immer in Rätseln! Also, ich höre!« Ihr bestimmender Tonfall duldet wie immer keine Widerrede »Gestern auf der Gala, da war ein Mann, ein schöner Mann! Ach was sag ich. Er sah einfach traumhaft aus, sexy und … und er müsste wohl in meinem Alter gewesen sein »Also 28?« »Ja! Vielleicht auch älter … aber wenn du mich jetzt noch einmal unterbrichst, erzähle ich dir gar nichts mehr.« »Ist ja schon gut! Erzähl weiter!« »Also. Erst waren wir nur Tischnachbarn, aber später hat er mich dann zum Tanzen aufgefordert. Und ich habe mich in seiner Nähe so geborgen gefühlt. Er gab mir für einen kurzen Moment das Gefühl etwas ganz Besonderes zu sein, verstehst du.« »Nein!« gibt sie knapp zurück, »und was war dann?« »Dann kam Richard und es war vorbei. Er hat mich danach den ganzen Abend nicht mehr beachtet. Was ja auch nicht verwunderlich ist, denn schließlich war ich Richards Begleitung«, beende ich enttäuscht meine Erzählung und schaue bedrückt zum Fenster hinaus. Nele nimmt meine Hand und drückt sie fest »Du willst uns allen immer beweisen, dass du eine toughe, unabhängige, junge Frau bist, die erst recht keinen Mann in ihrem Leben braucht. Aber glaub mir, mein Schatz, ich weiß es besser. Es wird Zeit, dass du wieder jemanden findest, der dir mehr als nur Geld bieten kann.« Vermutlich hat Nele recht und ich brauche dringend einen Mann an meiner Seite, weil ich tief in meinem Innersten weiß, dass mir die Zeit davonläuft und deswegen klammere ich mich sofort an den Erstbesten, der meinen Weg kreuzt. Wie bescheuert bin ich eigentlich? Ich habe mich noch nie an einen Mann gebunden, außer an einen kleinen Vierjährigen. Apropos. Der Kindergarten ist bald aus. Wir trinken rasch aus und zahlen. Nele begleitet mich um die Ecke zu meinem Wagen, einem schicken roten Audi A2, den ich mir dank meiner überaus zufriedenen und großzügigen Kundschaft zusammensparen konnte »Ich habe da eine Idee!«, sprudelt es aus Nele heraus »Da bin ich aber gespannt! Du hast immer so komische Ideen.« »Diesmal nicht! Wie wäre es, wenn wir drei, also Sammy, du und ich mal zusammen in den Urlaub fahren würden. Vielleicht Türkei, oder Malle? Da könntest du mal ein bisschen abschalten und ich spiele den Babysitter. Na, was sagst du?« »Bist du sicher, dass du mit uns in den Urlaub willst?« »Natürlich bin ich das! Was ist denn das für eine Frage. Du bist meine beste Freundin, schon vergessen? Und Samuel ist ein Goldschatz.« Hoffnungsvoll schaut sie mich von der Seite her an und ich kann nicht anders, als sie stürmisch in meine Arme zu ziehen »Ich hab’ dich lieb, Nele Wolff! Und ich möchte liebend gern mit dir in den Urlaub … solange ich das Hotel aussuchen darf!« Seit meinem letzten Treffen mit Nele sind inzwischen zwei Wochen vergangen. Heute Morgen regnet es in Strömen und als ich meine Wohnung betrete, bin ich bis auf die Unterhose klatschnass. Zum Glück habe ich mich vorhin aus reiner Zeitnot gegen ein Augen-Make-up entschieden, sonst würde ich jetzt wohl so manchem Waschbären große Konkurrenz machen. Ich tausche meine regennasse Kleidung gegen einen gemütlichen Jogginganzug aus und laufe einen Stock höher zu meiner Mutter Eleni. Sie liegt mit Grippe im Bett und dank des raschen Hausarztbesuches bekommt sie jetzt die notwendigen Medikamente, die ich eben aus der Apotheke geholt habe. Ich betrete das rustikale Schlafzimmer und finde sie in ihrem roséfarbenen berüschten Bett vor. Wüsste ich nicht, dass es sich hier um meine Mutter handelt, hätte ich das Gefühl mich in der Wohnung geirrt zu haben. Das normalerweise straff zurückgebundene schwarze Haar hängt ihr in losen Strähnen über Gesicht und Schultern und die sonst so prall und frisch aussehende Haut wirkt heute fahl und faltig, was eigentlich für eine Frau Mitte Sechzig kein unnatürliches Phänomen sein dürfte. Einzig ihre Wangen glühen rot, die äußeren Anzeichen des hohen Fiebers. Ich verteile, genau nach der präzisen Anleitung meines Apothekers die Medikamente, brühe noch kurz einen Tee auf und setze mich ans Bett meiner Patientin »Danke, Anna! Lieb von dir, dass du dich so kümmerst. Ich bin bestimmt bald wieder auf den Beinen. Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht.«, wispert sie leise. Ich muss anfangen zu lachen »Wenn heute Chorprobe wäre, dann würden sich die Herren vom Bass über einen neuen Sänger freuen!« »Na, du hast gut lachen! Mein Hals fühlt sich an, als hätte ich Nägel verschluckt.« »Ich weiß doch! Wenn du noch was brauchst, ich bin unten. Ruf mich einfach an!« »Was machst du eigentlich mit Samuel, wenn ich außer Gefecht bin?« »Keine Sorge, diesen Part übernimmt Nele für dich. Sie hat sich sofort angeboten, den Babysitter zu spielen. Wenn mich nicht alles täuscht, fährt sie sogar heute extra in die Stadt, um ein neues Spiel zu kaufen.« »Nele ist ein nettes Mädchen. Ich bin froh, dass du sie hast.« »Das bin ich auch. Ich hätte keine bessere Freundin finden können.« Ich schließe leise die Tür und begebe mich wieder ein Stockwerk nach unten in meine eigenen vier Wände, um mich nun voll und ganz der öden Büroarbeit zu widmen. Zwei Stunden später habe ich es geschafft. Karteikarten meiner Kunden auf den neuesten Stand gebracht, E-Mails gecheckt, Termine eingetragen! Nebenbei noch den Haushalt gemacht und eine Hühnersuppe mit extra viel Gemüse für Oma Eleni gekocht. Das nenne ich mal straffe Organisation. Das Pling aus dem Laptop im Wohnzimmer kündigt eine eben eingegangene E-Mail an und weckt mein Interesse. Ein mir unbekannter Herr bittet um Begleitung zum Abendessen. Er hinterlässt nur seine E-Mail-Adresse, keine Telefonnummer. Was nicht unüblich ist. Während so mancher Herr eben sehr diskret vorgeht, haben sich andere bereits ein Zweithandy angeschafft, dessen Nummer ausschließlich die Escortdame bekommt. Hier gibt es eben nichts, was es nicht gibt. Getreu dem Motto: Der Kunde ist König. Mein neuer Kunde, Herr Hoffmann, möchte sich gern noch diese Woche mit mir treffen, in einem italienischen Restaurant im Stadtbezirk Mühlhausen. Als Erkennungsmerkmal trägt er eine weiße Rose. Eine weiße Lilie wäre besorgniserregend gewesen. Ich schaue kurz in meinen Terminkalender und maile Herrn Hoffmann meinen Terminvorschlag. Heute ist Blind-Date-Tag und ich suche bereits seit zehn Minuten meine Autoschlüssel. Ich habe im Flur alle Schubladen durchwühlt, unter den Schuhschrank geschaut und sogar in Sammys Schuhe gespickelt. Wenn ich jetzt nicht losfahre, werde ich auf jeden Fall zu spät zu meiner Verabredung mit Herrn Hoffmann kommen. Bewaffnet mit Handtasche, den Blazer unter den Arm geklemmt, betrete ich das Wohnzimmer und finde mich zwischen Lego-Eisenbahnwaggons und kreuz und quer verlegten Schienen wieder. Nele hilft Sammy gerade beim Aufbau des Lego Bahnhofs. Als kleinste Schwester von drei großen Brüdern, versteht sich Nele in solchen Dingen und Samuel genießt seine Babysitterin für heute Abend in „vollen Zügen“ »Musst du eigentlich nicht schon weg sein?«, fragt mich Nele und schiebt gerade die rote Lok unter meinem Couchtisch durch »Eigentlich ja, aber ich finde meine Autoschlüssel nicht!« »Mami, mein Lokführer macht jetzt Feierabend, dann kannst du solange meine Schlüssel haben!«, meint Sammy und reicht mir mit ausgestrecktem Arm einen Schlüsselbund. Meine Autoschlüssel. Ich schüttle grinsend den Kopf und verabschiede mich von beiden, nicht ohne Nele für ihr „Kleinkind-Engagement“ zu danken »Pass auf dich auf, Süße! Wenn was ist, ruf sofort an.«, sagt sie lächelnd und umarmt mich noch einmal »Mach ich. Aber es ist ja bloß ein Restaurantbesuch und an das Pfefferspray hab ich auch gedacht.« »Anna, du weißt was ich meine. Bei Erstkunden ist es wie mit dem Überraschungs-Ei. Außen hot, innen Schrott!« Nele hat wie immer Recht. Man weiß wirklich nie, was einen erwartet. Man geht davon aus einen intelligenten und gebildeten Menschen zu treffen, aber es könnte genauso gut auch ein „Jack, the Ripper“-Verschnitt sein. In solchen Fällen verlässt man sich am besten auf seine Intuition und auf gute Freunde, die einen notfalls dank Google Latitude orten können. Ich habe es mir außerdem zur Angewohnheit gemacht, zur Halbzeit einer Verabredung eine Nachricht an Nele zu schicken, mit den Worten „Bin o. k“ Leider etwas verspätet fahre ich auf die B27 Richtung Mühlhausen. Wenn ich noch pünktlich sein möchte, muss ich wirklich Gas geben. Herr Hoffmann hatte mir die Adresse vom „Romantica“ heute per Mail zukommen lassen. Das Restaurant sowie die Ortschaft kenne ich überhaupt nicht. Eine Fahrt ins Blaue mit Blind Date, geht es mir durch den Kopf, was einen gewissen Reiz ausmacht, nicht zu wissen, was einen erwartet. Ob ich wohl den Erwartungen meines Gegenübers entspreche. Die Kleiderauswahl für das heutige Date hat mich eine geschlagene Stunde gekostet, um anschließend zur Erkenntnis zu gelangen, dass eine Shopping-Tour mit Nele mal wieder dringend von Nöten wäre. Der Kunde hat keinen expliziten Kleidungswunsch geäußert, weswegen ich mich letzten Endes für ein dunkelblaues Etuikleid mit beigefarbenen High Heels entschieden habe. Auf Schmuck verzichte ich heute bewusst. Zu aufdringlich, wie ich finde. Herr Hoffmann soll sich schließlich auf mich und nicht auf meine übergroßen Ohrringe konzentrieren. Ich sehe schon von weitem die Leuchtreklame des „Romantica“. Das Restaurant scheint ziemlich neu zu sein und erinnert mich sofort an die Toskana. Der typische Stil eines italienischen Landhauses mit weißer Fassade und grünen Fensterläden wurde hier mit hochmoderner Außenarchitektur kombiniert. Ich lenke meinen Audi auf den Parkplatz, dank unzähliger Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade noch pünktlich und lasse den Blick über das Grundstück schweifen. Man kann von hier aus einen Blick auf die Terrasse hinter dem Restaurant erhaschen. Ein Wintergarten mit Zugang zur offenen Terrasse, arrangiert mit exklusiven dunkelbraunen Korbmöbeln. Eine Allee von Hanfpalmen säumt den großen Eingangsbereich. Ich betrete das Restaurant, um direkt hinter der Eingangstür von einem kleinen dunkelhaarigen Mann abgefangen zu werden. Seine Kleidung weist ihn als den hiesigen Kellner aus »Guten Abend! Sie werden bereits erwartet! Wenn Sie mir bitte folgen würden!« Ich bin reichlich überrascht, dass der Kellner mich in Empfang nimmt, denke mir aber nichts dabei und folge ihm brav in das Herzstück des Ristorante. Beim Vorbeigehen schaue ich mich um und lasse die italienische Atmosphäre des Gastraumes auf mich wirken. Wer immer mich heute Abend hierher eingeladen hat, beweist gewissen Stil. Der Kellner, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Adriano Celentano hat, führt mich hinüber in den Wintergarten. Und dort sitzt in einen Korbstuhl gelehnt, auch schon mein Date für den heutigen Abend. Oh mein Gott! Ich erstarre. Mir fällt die Kinnlade herunter. Da sitzt doch tatsächlich Gabriel Bernard, grinsend und mit einer weißen Rose in der Hand. Und ich habe gerade angefangen nicht mehr an ihn zu denken. Er steht auf und läuft zur Begrüßung um den Tisch herum »Hallo schöne Rhea, ich freue mich wirklich Sie wiederzusehen!« Ich bleibe wie angewurzelt stehen und beobachte wie der zu Fleisch gewordene Traum einer jeden Frau auf mich zukommt. Er sieht, wie schon beim letzten Mal, verdammt gut aus. Sein leicht gewelltes Haar ist etwas zerzaust und hängt ihm in vereinzelten Strähnen ins Gesicht, was ihn dadurch leicht verwegen wirken lässt. Heute trägt er ein schlichtes schmal geschnittenes hellblaues Hemd und dazu eine dunkelblaue Jeans, die sich eng an seine schmale Hüfte schmiegt. Mir fällt erst jetzt auf, dass er keinerlei Schmuck trägt. Weder Uhr, noch Kette, noch sonst irgendwas. Was er auch nicht nötig hat, denn mir läuft so schon bei seinem Anblick das Wasser im Mund zusammen. Ich stelle ihn mir in knappen Boxershorts auf meinem Bett vor. STOPP! Jetzt Filmriss, bitte! Anstatt mir Gedanken über das Gemächt in seiner Hose zu machen, sollte ich mich doch wohl eher fragen, was ER überhaupt hier zu suchen hat. Und wo zum Teufel ist Herr Hoffmann? Ich schaue mich noch einmal irritiert um, ob ich vielleicht doch noch jemanden um mich herum übersehen habe, aber nichts. Wir sind völlig allein hier draußen im Wintergarten. Mit dem professionellsten Lächeln, das mein Repertoire zu bieten hat, gehe ich ihm entgegen, um ihm die Hand zu reichen »Ja, die Freude ist ganz meinerseits!«, gebe ich völlig unbeeindruckt zurück, »doch ich muss Sie leider enttäuschen. Ich bin heute Abend mit jemand anderem hier verabredet.« Gabriel reicht mir ebenfalls die Hand, zieht mich zu sich heran und begrüßt mich mit einem Kuss auf die Wange. Er riecht nicht wie beim letzten Mal nach Parfum, sondern nach herbem Männerduft gepaart mit teurer Seife »Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen!«, meint Gabriel schulterzuckend und schaut mich verlegen an. »Ich habe Sie leider reingelegt! Ich bin Herr Hoffmann.« Was heißt da „leider“? Gott sein Dank! Besser hätte ich es nicht treffen können. Ich bin nicht wirklich enttäuscht, aber ich werde ihn erstmal ein bisschen zappeln lassen, damit Mister Superman merkt, dass ich seine Vorgehensweise nicht allzu sehr schätze »Geben Sie immer vor, jemand anderes zu sein, wenn Sie sich mit einer Dame treffen möchten?«, frage ich und schaue ihm gespielt provozierend in die Augen »Normalerweise nicht, aber wären Sie denn gekommen, wenn Sie gewusst hätten, mit wem Sie heute verabredet sind?«, erwidert Gabriel irritiert. Der sonst so sichere Immobilienstar wirkt jetzt sogar ein wenig verunsichert und mein inneres Selbst jubelt »Warum nicht? Oder gibt es für mich einen Grund, es nicht zu tun?«, antworte ich, aber Gabriel schüttelt nur lächelnd den Kopf. Der Kellner, der immer noch hinter mir steht, schaut peinlich betroffen im gesamten Raum umher und Mister Reich und Sexy manövriert mich nun Richtung Tisch und platziert uns in zwei gegenüberstehende elegante Korbsessel, um dann den sichtlich erleichterten Kellner zu uns zu winken »Rhea, möchten Sie gern einen Prosecco zur Einstimmung?« Mir wäre jetzt ehrlich gesagt ein Schnaps lieber »Ja, in Ordnung«, willige ich ein und nicke dem Kellner kurz zu. Kaum, dass Adriano den Raum in Richtung Ausgang verlassen hat, nehme ich Gabriel ins Kreuzverhör. Ich möchte jetzt gern einige Antworten auf meine vielen Fragen und hoffe doch, dass er sie mir auch gibt »Warum buchen Sie mich?«, frage ich gerade heraus »Ich sehe schon, Sie sind ziemlich neugierig!«, meint er süffisant grinsend und nestelt mit seinen Händen an einer Serviette herum. Sein Blick ist gesenkt und ich kann schon fast die Mechanik seiner Gehirnwindungen hören »Nun sagen Sie schon! So schlimm wird es doch nicht sein. Ich verrate es auch niemandem.«, witzle ich und blicke ihn hoffnungsvoll an. Endlich legt er die Serviette beiseite und schaut mir in die Augen. Die Entschlossenheit darin ist kaum zu übersehen. Fast macht er mir schon Angst, wären da nicht die feinen Züge um Augen und Mund, die ein leichtes Lächeln andeuten »Rhea, ich könnte jetzt um den heißen Brei herumreden und sagen, dass ich Sie interessant und sympathisch finde und so weiter, was auch stimmt, aber eigentlich langweiliges Geschwafel ist. Die Wahrheit aber ist, ich will Sie! Ich will Sie seit unserer ersten Begegnung bei der Gala!« Er ergreift meine Hände über die Tischplatte hinweg und streift mit seinen Fingern über meine Fingerknöchel. Ein berauschendes Gefühl durchläuft meinen Körper und zieht sich bis hinunter zu meinen Zehen. Ich bin versucht meine Zehen einzukrallen, um dieses gute Gefühl noch einen kurzen Moment zu halten. Er will mich! Wow! Und wie hätten Sie mich gern? Lieber nackt oder angezogen? Er beugt sich nun über den exklusiv gedeckten Tisch zu mir herüber und küsst zärtlich meinen Handrücken. Sein dunkler Haarschopf ist mir so nah, dass ich locker hineingreifen könnte, wonach mir auch gerade ist. Dann lässt er jedoch meine Hände wieder los und nimmt die Weinkarte vom Tisch, die uns der Kellner gebracht hat. Der sinnlichste Moment meines Tages ist leider vorbei. Das muss ich jetzt nur noch meinen heiß gelaufenen Schmetterlingen im Bauch erklären. Ab jetzt heißt es „zusammenreißen“. Also nehme ich ebenfalls die Weinkarte zur Hand und bemühe mich um einen völlig unbeeindruckten Blick. Dabei streifen meine Augen seine wunderschönen Hände mit den langen zarten Fingern. Wie es sich wohl anfühlt, wenn … Schluss! Schluss! Schluss! »Trinken Sie lieber Rot- oder Weißwein?« Der abrupte Themenwechsel überrascht mich und ich schaue irritiert auf. Was trinke ich denn eigentlich gern? Dieser Mann bringt mich völlig um den Verstand. Ach ja, jetzt weiß ich es wieder. Er legt die Weinkarte weg und schaut mich interessiert an »Ich bevorzuge Weißwein!« »Das habe ich mir schon gedacht. Ich werde uns einen Cataratto bestellen. Sie werden sicherlich genauso begeistert sein wie ich«, bemerkt er und mustert mich eindringlich. Seine Blicke wandern von meinen Augen zu meinem Mund und mir wird schon wieder warm. Unter seinen heißen Blicken schmelze ich wie ein Vanilleeis in der Sonne »Sind Sie mir böse?«, fragt er so unvermittelt, dass mir doch glatt die Weinkarte entgleitet »Warum sollte ich?« »Weil ich Sie reingelegt habe!« »Ach, deshalb.«, entgegne ich und merke, dass sich mein Vorhaben, ihn zappeln zu lassen, völlig in Luft aufgelöst hat »Nein, ich bin Ihnen nicht böse. Wobei ich schon sagen muss, dass ich Unehrlichkeit überhaupt nicht ausstehen kann.« »Hört sich ganz danach an, als hätten Sie bereits schlechte Erfahrungen gemacht!« »Ja! Aber darüber spreche ich nicht.« Er schaut mich überrascht an und ich hoffe, dass er damit die Sache auf sich beruhen lässt, schließlich möchte ich den Abend nicht mit schaurigen Gedanken an einen grässlichen Mann verschwenden, der mich bis heute in meinen Träumen verfolgt. Aber zum Glück betritt in diesem Moment der Kellner den Wintergarten, um uns Prosecco in nostalgischen Kristallgläsern zu servieren, und beendet somit ein heikles Thema. Während Gabriel den Wein bestellt und kurz ein paar nette Höflichkeitsfloskeln mit dem Keller austauscht, habe ich die Gelegenheit die Räumlichkeit, in der wir uns befinden, mal genauer unter die Lupe zu nehmen und bin ganz begeistert, welchen stilgetreuen Charakter der Raum durch seine Einrichtung erhalten hat. Das Herz einer Innenarchitektin schlägt höher. Der Wintergarten ist durchweg mit terrakottafarbenen Sandsteinfliesen belegt und um uns herum haben antike italienische Möbel Platz gefunden. Direkt neben dem Eingang des Wintergartens steht ein alter Sekretär, auf dem schwere Kerzen und ein großer Porzellanengel drapiert sind, gegenüber an der Außenwand befindet sich eine Anrichte aus der gleichen Zeitepoche. Mein Kennerblick sagt mir, dass beides aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen dürfte. Aber mein persönlicher Favorit sind die Lampen über uns. Glaslampen im venezianischen Stil, mit eingeschliffenen filigranen Blumen und Ornamenten. Jede einzelne dieser Lampen kostet vermutlich mehr als alle Lampen meiner gesamten Wohnung zusammen. Gabriel bemerkt meinen Blick zur Decke und spricht mich darauf an »Gefällt Ihnen die Einrichtung?« »Oh ja! Sehr sogar! Mit viel Liebe zum Detail eingerichtet.« »Ich werde es dem Chef persönlich ausrichten. Er wird sich sehr über das Kompliment freuen.« »Kennen Sie ihn?« »Ja! Er und mein Vater waren beste Freunde. Er war schon immer wie ein Onkel für mich. Früher, als ich noch klein war, hat er meine Eltern und mich oft zu sich in sein Haus in der Toskana eingeladen. Schon damals wusste ich diese einfachen Urlaube in der natürlichen Umgebung mehr zu schätzen, als all die Kreuzfahrten durch die Karibik.« Ich betrachte eingehend sein Gesicht. Seine sonst kühlen blauen Augen wirken auf einmal träumerisch und melancholisch. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich soeben einen kurzen Blick auf den wahren Gabriel erhaschen können. Und dann frage ich mich, warum so ein attraktiver und interessanter Mann eigentlich keine Freundin hat. Liegt es vielleicht an seiner direkten und teilweise unterkühlten Art, mit der die Frauen nicht klarkommen oder hat er schlichtweg noch nicht die Richtige gefunden. Die dritte Möglichkeit wäre, dass Frau Bernard gerade zuhause sitzt, während ihr Mann sie mit einer Escort-Lady betrügt. Anna, jetzt reicht’s aber. Du bist doch nicht Miss Marple. Er greift hinter sich und holt aus seinem Sakko einen Briefumschlag, den er mir reicht. Meine Gage für den heutigen Abend. Und erst jetzt fällt mir wieder ein, dass wir uns eigentlich heute Abend geschäftlich verabredet haben. Schade. Ich kam mir schon fast vor, wie bei einem richtigen Date. Und noch enttäuschender, dass wir nur zusammen essen gehen werden. Ich bin so überreizt, dass ich mich geradewegs auf seinen Schoß setzen könnte. Nachdem „Adriano“, der mit richtigem Namen eigentlich „Salvatore“ heißt, den Wein serviert hat, bestellt Gabriel unser Essen. Zur Vorspeise ein „carpaccio vom Rind“ und zum Hauptgang die Spezialität des Hauses „pesce alla griglia“. Die Menüwahl habe ich ihm überlassen. Nachdem er sich hier so gut wie zuhause fühlt, wird er ja hoffentlich das Richtige wählen. Wir stoßen gemeinsam an und ich beschließe die zweite Fragerunde einzuleiten »Darf ich noch ein bisschen neugieriger sein?« Ich beuge mich nach vorn, um meiner Frage mehr Ausdruck zu verleihen und Gabriel beginnt hämisch zu grinsen »Natürlich. Mir gefallen Frauen, die ihre Neugierde befriedigen wollen.« Oje, jetzt fängt’s schon wieder an zu kribbeln. Die Zweideutigkeit seiner Antwort ist uns beiden bewusst. Aber warum nicht. Ich spiele das Spielchen gern mit »Mal schauen, ob Sie es schaffen, mich zu befriedigen!«, gebe ich keck zurück. Nun ist es sein Blick, der starr und glasig wird. Es steht 1:1 »Sie haben gesagt, sie wollen mich. Aber warum ausgerechnet mich? Ein Mann wie Sie kann schließlich so ziemlich jede Frau haben, die er möchte. Dann muss er doch nicht auf eine Escort-Dame zurückgreifen und noch dazu ein Haufen Geld hinblättern.« Er scheint kurz irritiert und wartet einige Sekunden ab, ehe er antwortet »Sehen Sie! Die meisten Damen interessieren sich ohnehin nur für mein Geld oder meine gesellschaftliche Stellung. Das brauche ich nicht. Ich suche eine Frau, die unabhängig und klug ist und nicht in mir den Vater ihrer zukünftigen Kinder sieht. Ich habe eine gute Menschenkenntnis und ich glaube, dass Sie genau das Gegenteil dieser Frauen sind. Sie brauchen keinen Ernährer, denn schließlich verdienen Sie mit Ihrer Dienstleistung mehr als genug, wie ich Ihrer Preisliste entnehmen kann. Und zudem sind Sie wunderschön!« Ich bin sprachlos. Und das ist etwas, das mir normalerweise sehr selten passiert. Aber seine Worte haben mich beeindruckt, weil er mich genau so sieht, wie ich mich auch sehen möchte. Unabhängig, klug und ohne Schwanzzwang. Doch leider unterscheiden sich unsere Ansichten in einer winzigen Kleinigkeit. Gabriel sucht jemanden für eine feste Beziehung ohne Kind, wenn ich seine Worte richtig interpretiert habe. Und wenn ich meiner Menschenkenntnis Glauben schenken darf, wäre er über die Tatsache, dass vor ihm eine Alleinerziehende von einem kleinen Jungen sitzt, nicht gerade erfreut »Rhea, darf ich Sie jetzt etwas fragen?«, reißt Gabriel mich aus meinen Gedanken »Natürlich. Ist ja schließlich nur fair« erwidere ich und wappne mich, was da jetzt wohl kommen mag »Haben Sie einen Freund oder Mann?« Ich überlege kurz, was ich antworten soll. Sage ich ja, dann hat sich das erotische Geplänkel zwischen uns gleich erledigt und wir kommen schneller zum Nachtisch als gedacht. Oder sage ich die Wahrheit, also nein, dann weiß ich nicht, wie die Sache mit uns weiter verläuft und ich muss Farbe bekennen »Nein, ich bin nicht vergeben!«, antworte ich und er atmet hörbar aus. Das Engelchen auf meiner rechten Schulter schüttelt enttäuscht den Kopf und der kleine Teufel auf der Rechten reckt seinen Dreizack triumphierend in die Luft. Und Gabriel, der lächelt zufrieden und wir widmen uns dem leckeren Essen, das Salvatore gerade serviert hat. Der restliche Abend verläuft wie im Fluge. Für das Essen und den dazu ausgesuchten Wein werde ich noch lange schwärmen. Gabriel hat wirklich nicht übertrieben, als er Werbung für den „besten Fisch Stuttgarts“ machte. Und Nele wird mir für diesen Tipp ein Leben lang die Füße küssen, denn als überzeugte Vegetarierin ist sie immer auf der Suche nach dem ultimativen Fischrestaurant. Der Cataratto, von dem ich nun schon das zweite Glas trinke, beflügelt mich, so dass ich kurzerhand beschließe Gabriel das „Du“ anzubieten, was ebenfalls für mich untypisch ist. Scheiß auf die gute Kinderstube, Anna! Auch er ist jetzt noch entspannter und plaudert über sein größtes Hobby, das Angeln. Ich bekomme ausführlich den Unterschied zwischen den verschiedenen Angelrutenarten erklärt und anschließend auch noch eine pantomimische Einlage seiner Wurftechnik beim Köderwurf, bei der ich mich vor Lachen kaum mehr halten kann. Zum Glück sind wir allein im Wintergarten, denn wahrscheinlich hätte er für seine Darbietung von so manchem Gast böse Blicke geerntet. Gabriel ist ganz in seinem Element und es macht mir Spaß ihm zuzuhören und vor allem auch zuzuschauen. Im Nebenzimmer sind inzwischen andere Gäste eingetroffen und der Lärmpegel ist etwas angestiegen, so dass ich nur ganz leise ein leichtes Vibrieren aus meiner Tasche vernehmen kann. Der Vibrationsalarm meines Handys. Ich schnappe danach und werfe einen Blick auf das Display. Nele. So ein Mist! Ich habe die Nachricht vergessen! »Entschuldige mich bitte kurz!«, stammle ich und schnappe kurzerhand nach dem Telefon, um aus dem Wintergarten hinaus zu eilen »Anna! Was ist los? Wo bist du?« Ich höre Neles schrille Stimme, noch bevor ich das Handy an mein Ohr halten kann »Alles in Ordnung! Ich bin noch im Restaurant!« »Warum meldest du dich denn nicht bei mir?« Ich sehe Neles sorgenvolles Gesicht förmlich vor mir, mit der tiefen Falte zwischen den Augenbrauen »Es tut mir leid, aber ich habe es einfach vergessen! Ich erzähle dir dann nachher alles, okay? Ich muss jetzt nur wieder zurück.« »Also gut. Dann pass weiter auf dich auf. Wir sehen uns dann später.« Nele ist sauer, stinksauer besser gesagt. Ich höre es an ihrer Stimme. Allmählich glaube ich, dass ich mir Sorgen um meine seelische und moralische Verfassung machen muss. Vor lauter Geplänkel mit einem hübschen Mann, vergesse ich die Welt um mich herum. Mir ist es bisher nur einmal passiert, dass ich meine Freundin während eines Dates nicht benachrichtigen konnte, was allerdings mehr an einem nicht vorhandenen Mobilfunknetz, als an mir lag. Ich begebe mich wieder auf den Weg in den Wintergarten. Gabriel steht inzwischen an der großen Fensterfront und blickt nach draußen. Seine Hände sind in den Taschen vergraben und er scheint ganz in Gedanken versunken zu sein. Seine Körperhaltung strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus, wie es nur jemand kann, der mit sich im Reinen ist. Ein Fels in der Brandung. Bei diesem Anblick möchte ich mich sofort an seinen Rücken schmiegen und meine Hände um seinen festen Körper schlingen, um ihn zu halten. Er dreht sich um, als habe er meine Anwesenheit gespürt und wieder sehe ich diesen melancholischen Blick in seinen Augen. An was er wohl gerade denkt? Ich gehe mit langsamen Schritten zu ihm hinüber. Er beobachtet jeden meiner Schritte und seine Augen gleiten über meinen Körper wie die eines Malers über sein Gemälde. Ehrfürchtig und respektvoll. Er streckt mir die Hand entgegen und ich nehme sie an. Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte. Mir ist klar, in welche Richtung das Ganze nun gehen wird und das hat mal rein gar nichts mit einer Geschäftsbeziehung zu tun. Gabriel zieht mich zu sich heran und legt seine Hände um meine Taille. Mit der Linken fährt er hinauf zu meinem Rücken und seine rechte Hand gleitet nach oben zu meinem Gesicht. Zärtlich streift er mit seinem Daumen über meine Wange. Ich kann mich nicht mehr rühren, nur noch fühlen. Seine Hand an meinem Rücken, seine Finger an meiner Wange und seine warme Brust an meinem Busen. Ich beginne flach zu atmen, um diesen Moment nicht zu zerstören, doch leider erledigt das jemand anderes für mich »Entsuldigung, isch wolle nischt störe, aber isch bringe die panna cotta. Darfe nischt so lange stehe bleibe, sonst wird warme und schmecke nix mehr so gute.« Gabriel, der sich als Erster wieder gefangen hat, nickt Salvatore über meinen Kopf hinweg zu »Danke, stellen Sie es schon mal hin. Wir kommen gleich!« Oha, wie meint er das jetzt? Ich schaue hinauf zu Gabriel, der mich belustigt anschaut »Kannst du noch einen Moment stehen bleiben, ich brauche noch kurz deine Deckung«, nuschelt er leise und sein Blick gleitet hinunter zu seiner Hose. Ich folge seinem Blick und weiß jetzt auch warum. Genau wie die Vorspeise und der Hauptgang entpuppt sich der Nachtisch, „panna cotta“ mit karamellisierten Feigen, als absoluter Traum. Ich bin erneut überrascht, was für einen guten Geschmack Gabriel doch hat. Ob seine besonderen Fähigkeiten auch über die Bestellung von gutem Essen hinausgehen, denke ich und taxiere ihn mit Blicken, während dieser sich stillschweigend dem Genuss seines Nachtisches widmet. Als hätte er meinen Blick bemerkt, schaut er auf »Was ist? Schmeckt es dir nicht?«, fragt er beunruhigt. Ich fühle mich ertappt »Oh doch!! Ich liebe es!« Ihm scheint diese Aussage zu genügen, denn er wendet sich wieder den Feigen zu. Der Abend neigt sich dem Ende zu, wie ich mit Bedauern beim Blick auf meine Uhr feststellen muss. Gabriel und ich haben uns gut unterhalten und dabei festgestellt, dass wir in vielen Dingen auf derselben Wellenlänge schwimmen. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wie es jetzt weitergeht. Normalerweise gehen die „Geschäftspartner“ nach dem Essen wieder getrennte Wege und ich liege, wieder einige Hundert Euro reicher, glücklich in meinem Bett. Aber heute Abend wird mir schmerzlich bewusst, dass ich das gar nicht will. Weder sein Geld, noch die Einsamkeit. Gabriel führt mich, ganz Gentleman, am Ellenbogen zum Ausgang des Ristorantes und Salvatore alias Adriano nickt mir zum Abschied noch einmal zu. Die angenehme Temperatur von heute Nachmittag ist nun deutlich abgekühlt und so stehen wir fröstelnd unter dem klaren Sternenhimmel auf dem Parkplatz des „Romantica“. Da ich mich für einen leichten Blazer entschieden habe, zittere ich inzwischen am ganzen Leib. Eigentlich wäre jetzt die Zeit zum Abschied gekommen, aber ich kann mich einfach nicht dazu aufraffen, den Anfang zu machen. Gabriel wohl auch nicht, wie mir scheint. Während er betreten auf seine Schuhe schaut, suche ich den Himmel nach dem „Großen Wagen“ ab, bis Gabriel die Stille unterbricht »Tja, ich denke ich werde mich jetzt verabschieden, ich muss morgen ziemlich früh raus.« »Oh ja, es ist schon ziemlich spät«, gebe ich zurück und hoffe, dass er mir mein Unbehagen nicht anmerkt »Es war wunderschön heute Abend mit Dir, liebe Rhea!« Die Art wie er meinen Namen ausspricht, lässt mich die kühle Außentemperatur völlig vergessen. Der intensive Blick und das tiefe Timbre seiner Stimme bescheren mir plötzliche Hitzewallungen und ein Kribbeln im gesamten Körper. Er tritt noch einen Schritt näher an mich heran. In seinen Augen liegt jetzt ein entschlossener Ausdruck. Er legt seine Hände auf meine Hüfte, um mich näher an sich heranzuziehen und dann beugt er sich zu mir herunter. Ich kann ihn wieder riechen …. und jetzt auch spüren. Seine Lippen streifen mein Ohrläppchen, bewegen sich langsam Richtung Wange, hin zum Mund. Er hält kurz inne, um dann seine zarten Lippen auf meine zu pressen. Mein Bauch beginnt heftig zu kribbeln und meine Knie werden ganz zittrig. Gabriel küsst verdammt gut. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann mich das letzte Mal ein Mann so um den Verstand geküsst hat, wie er. Keiner von uns schert sich darum, dass wir mitten auf einem öffentlichen Parkplatz stehen und rumknutschen wie zwei frisch verliebte Teenager. Wir haben alles um uns herum vergessen. Seine Hände liegen inzwischen auf meinem Po und drücken mich fest an sich. Ich kann nun deutlich seine Erektion durch den Jeansstoff spüren. Ich schlinge meine Arme um seinen Hals und fahre mit einer Hand in seinen dunklen Haarschopf. Mein ganzer Körper steht in Flammen und die Hitze zwischen meinen Beinen wird immer stärker. Wenn wir jetzt nicht aufhören, bekommen wir wahrscheinlich Ärger wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Ich halte die Augen geschlossen und genieße diesen intensiven Augenblick … vermutlich den intensivsten der letzten drei Jahre … nur um plötzlich festzustellen, dass es vorbei ist. Ein kühler Luftzug weht über meine noch feuchten Lippen und ich öffne überrascht die Augen. Gabriel schaut mich durch seine gesenkten Wimpern an »Ich möchte dich unbedingt wiedersehen!«, wispert er leise. Ich bin völlig verwirrt und mir schwirrt der Kopf. Das eben war der beste Abschiedskuss meines Lebens. Ich müsste blöd sein, mir eine Chance auf ein Wiedersehen entgehen zu lassen, aber ich kann nicht. Ich muss mir erst mal im Klaren sein, was heute Abend zwischen uns passiert ist und wie ich damit umgehen werde »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«, widerspreche ich leise »Ich glaube sogar, dass ich selten eine bessere Idee hatte.« »Gabriel, gib mir bitte Zeit. Ich muss das Ganze erst einmal sacken lassen.« Sein Kopf ist gesenkt und ihm ist die Enttäuschung deutlich anzusehen »Wirst du dich dann bei mir melden, wenn du soweit bist?«, bohrt er weiter und ich sehe Hoffnung in seinen Augen »Ich denke schon.«, erwidere ich und bereue sogleich, was ich gesagt habe. Schließlich habe ich ihm jetzt ein bisschen Hoffnung gemacht und das wollte ich eigentlich nicht. Er nickt und streift noch einmal mit der Hand über mein Gesicht »Ich hoffe, bis bald!«, haucht er leise und küsst mich ein letztes Mal, bevor er sich wegdreht und in Richtung seines Wagens geht. Ich bleibe allein zurück und schaue ihm hinterher. Was soll ich nur tun? Ich sehe noch aus dem Augenwinkel, wie er mit seinem Wagen, einem schwarzen Porsche Boxster, den Parkplatz verlässt und mir ist jetzt irgendwie zum Heulen zumute. 1 Woche später »Sammy, lauf nicht so nah ans Wasser heran, hörst du?« Ich streife mir meine Converse von den Füßen, entledige mich meinen Strümpfen und strecke die nackigen Füße in die Wiese. Mein Sitznachbar, ein älterer Herr mit Hut, der mit mir die Parkbank teilt, quittiert mein Verhalten mit einem Kopfschütteln. Für Ende April sind die Temperaturen außergewöhnlich gut und so haben Samuel und ich beschlossen, mal wieder in den Rotwildpark zu fahren, um hier am Bärensee ein kleines Picknick zu veranstalten und natürlich auch, um die Enten zu füttern, Sammys großes Highlight. Es ist ein sonniger Nachmittag und ich kremple die Ärmel meiner Bluse nach oben, weil mir dank eines Sonnenplatzes schon recht warm ist. Ich blinzle durch die Sonnenstrahlen Richtung See, um Sammy zu beobachten. Er hat seine helle Freude daran, Brotkrümel auf den Weg zu werfen, um somit die Enten aus dem Wasser zu locken. Doch kaum sind sie dann draußen und watscheln auf ihn zu, gerät er in Panik und läuft kreischend davon, was den Herrn neben mir zu amüsieren scheint, denn er grunzt vergnügt und klatscht sich dabei lachend auf seine dürren Schenkel. Diesmal bin ich diejenige, die ihn kopfschüttelnd mustert. Ich schaue über den See hinweg, der ganz idyllisch eingebettet in einem Waldgebiet liegt. Die Bäume blühen in den prächtigsten Farben und der Waldboden mit seinen Kräutern in strahlenden Weiß- und Gelbtönen, die Vögel über uns zwitschern, einfach ein herrlicher Frühlingstag. Um die Nachmittagszeit herrscht hier Hochbetrieb. Jogger, Hundehalter und natürlich Eltern und ihre Kinder, nutzen das gute Wetter für eine Auszeit am See. In meinen Zeiten als ungebundener und kinderloser Single war ich mindestens zwei Mal die Woche hier zum Joggen. Mein Ausgleich zum tristen Alltag einer Innenarchitekturstudentin. Doch jetzt mit einem kleinen Kind und noch dazu alleinerziehend, fehlen mir schlichtweg Zeit und Lust, um überhaupt mal wieder sportlich tätig zu werden. Zum Glück habe ich es außerordentlich guten Genen zu verdanken, dass man mir diese Trägheit nicht ansieht. Am gegenüberliegenden Ufer baut gerade ein Mann in jägergrüner Hose mit braunem Schlapphut sein Equipment auf. Eigentlich komisch, dass ein Angler mir hier noch nie aufgefallen ist. Ob man in diesem See überhaupt angeln darf? Wahrscheinlich schon, sonst wäre er bei Tageslicht ja wohl nicht hier. Beim Anblick seiner Angelrute wird mir flau im Magen. Ich kneife angestrengt die Augen zusammen, um den Angler besser beobachten zu können. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich soeben eine Steckrute im Einsatz erlebt. Das gleiche Modell, das Gabriel auch so gern benutzt. Was er jetzt wohl dazu sagen würde, wenn er wüsste, dass er mir mit seinem umfangreichen Vortrag über Angelruten so imponiert hat, dass ich mich nun schon an wildfremden Anglern ergötze. Vor zwei Tagen habe ich mich doch tatsächlich dabei ertappt, als ich in unserem Kiosk um die Ecke eine Angler-Fachzeitschrift angeschmachtet habe. Ich wollte sie eigentlich schon kaufen, aber der immense Preis (dabei war noch nicht mal eine Zugabe dabei) haben mich abgeschreckt und so habe ich sie wieder in die Auslage zurückgelegt. Erst gestern war ich in einem Forum für Angelfreunde unterwegs und habe dort Informationen rund um’s Angeln gesammelt. Ich weiß jetzt ganz genau, welcher Fisch zu welcher Zeit geangelt werden kann und welchen Köder man benutzen sollte. Unnützes Wissen, das mir zwar nix bringt, aber wer weiß, vielleicht melde ich mich doch noch bei „Wer wird Millionär“ an, um dann mit der richtigen Antwort bei der ultimativen Angelfrage punkten zu können oder ich treffe mich doch noch einmal mit Gabriel und wir können gemeinsam über „unsere“ Leidenschaft, das Angeln, schwafeln, was ich jedoch bezweifle. Ich habe schon eine Woche verstreichen lassen, ohne mich bei ihm zu melden. Mein Engel und mein Teufel sind im Kriegszustand und bombardieren sich gegenseitig von meinen Schultern aus mit Sternenstaub und Schwefelsteinen. Nele war zwar der Meinung, ich sollte mal mutig sein und was wagen, aber sie hat schließlich auch kein Kind, für welches sie sich rechtfertigen muss. Und überhaupt hat er vermutlich die Hoffnung auf meinen Anruf schon aufgegeben und auf der nächsten Gala eine genauso schöne und unabhängige Frau gefunden, wie er es sich wünscht. Ich versuche die Angel und somit auch den schönsten Angelrutenbesitzer Süddeutschlands, und ich meine nicht den Herrn gegenüber, aus meinem Kopf zu verdrängen und widme mich wieder den Enten, die nun im Entenmarsch Sammy hinterher watscheln, der zum Leidwesen seiner treuen Anhänger kein Brot mehr in der Tüte hat. Mit sonnenerhitzten Wangen sitzen Samuel und ich im Auto und sind auf dem Weg nach Hause. Die Sonne verschwindet bereits hinter den dunklen Wolken und ich bin froh, diesen Tag für einen Ausflug genutzt zu haben. Das abschließende Picknick im Grünen, mit Fruchtspießen und Omas selbst gebackenem Hefezopf, gab Samuel den Rest, so dass er jetzt schnarchend in seinem Kindersitz liegt. Ich schaue in den Rückspiegel und beim Anblick dieses kleinen blondgelockten Jungen, geht mir fast das Herz über. Ich liebe ihn mehr als alles andere auf der Welt. Falls sich also jemals irgendein Mann auf Gottes Erdboden ernsthaft für mich interessieren sollte, dann würde er uns nur im Doppelpack bekommen. Und da diese wünschenswerte Konstellation bisher ganz außer Reichweite ist, genieße ich weiterhin mein Single-Dasein mit Kind. Stellt sich bloß die Frage, wie lange noch? Mein Gedankenstrom wird jäh unterbrochen, denn in meiner Handtasche trällern bereits Jessie J. ihr Masterpiece. Eines meiner Lieblingslieder. Ich fahre rechts in eine Parkbucht und wühle wie verrückt in meiner übergroßen Handtasche nach dem Handy. Jessie singt bereits den zweiten Chorus, bis ich es endlich gefunden habe, und stöhne erleichtert auf, als ich Neles Bild auf dem Display sehe »Hallo Süße!« »Wird ja auch Zeit, dass du mal rangehst! Hast das Handy zwischen all den Tampons und den Kondomen wieder nicht gefunden, was?!« Nele scheint sich köstlich über ihren Witz zu amüsieren, denn sie lacht so laut, dass ich mir den Hörer vom Ohr halten muss »Ist ja schon gut! Wie geht’s Dir?«, frage ich durch das Gelächter hindurch »Super! Ich komme gerade aus dem Fitnessstudio und bin vollgepumpt mit Serotonin. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du heute Abend noch Lust auf einen Cocktail hättest. In der City hat eine neue Cocktailbar eröffnet. Und ich habe gehört der Besitzer soll Kubaner sein. Den muss ich mir unbedingt ansehen. Also wie sieht’s aus?« »Den Kubaner will ich zwar nicht sehen, aber ja, warum eigentlich nicht. Ich kläre das mit dem Babysitter und dann telefonieren wir später noch mal«, entgegne ich und drehe mich zu Samuel nach hinten. Außer geschäftlichen Terminen nehme ich so gut wie nie am öffentlichen Leben Stuttgarts teil, weil ich die Gutmütigkeit meiner Mutter nicht überstrapazieren möchte. Aber ich denke, für heute Abend mache ich mal eine Ausnahme. Gabriel. Der Lärm der Baumaschinen vor meinem Bürofenster macht mich wahnsinnig. Zwar weiß ich, dass diese Umbaumaßnahmen am gegenüberliegenden Gebäude dringend notwendig sind und die Jungs von der Baufirma bloß ihre Arbeit machen, aber mein Nervenleitsystem sagt was anderes, wie zum Beispiel „Raus hier“. Ich schnappe meinen Laptop, klappe ihn zusammen und verstaue ihn samt den wichtigen Unterlagen in der Tasche und verschwinde aus meinem Büro. Im Vorbeigehen gebe ich meiner Sekretärin Bescheid, dass sie heute früher Feierabend machen kann, was sie mit einem breiten Grinsen quittiert. In der Tiefgarage angekommen lasse ich das Verdeck meines Porsches herunter und gleite auf die weichen Ledersitze. Bevor ich allerdings die Garage verlasse, ziehe ich, vermutlich schon zum fünfzigsten Mal an diesem Tag, mein Handy heraus, um nachzusehen, ob jemand angerufen hat. Wie jedes Mal Fehlanzeige. Allmählich sickert bei mir die Erkenntnis durch, dass ich mich mit diesem pubertären Verhalten selbst zum Trottel mache. Ich warte ständig auf den Anruf einer bestimmten Frau, die vermutlich bereits in Gedanken bei ihrem nächsten Kunden ist. Das muss allmählich ein Ende nehmen. Die einzige Möglichkeit zur Heilung ist vermutlich Sport. Zeit, mal wieder im Fitnessstudio vorbeizuschauen. Anna. Nele sitzt, wie immer perfekt gestylt, mir gegenüber auf dem weißen Barhocker des Cubana Club. Wir konnten noch einen Platz direkt an der Bar ergattern, von welchem man einen exzellenten Ausblick über die ganze Bar hat. Aus den Lautsprechern dröhnt kubanische Musik und es ist brechend voll. Ich lasse meinen Blick quer durch den Raum schweifen. Schickes Ambiente. Der Einrichtungsstil ist puristisch und geradlinig, was mir außerordentlich gut gefällt. Alles ist schlicht in weiß gehalten, Sitzgelegenheiten weiß, Tische weiß, Bartheke weiß, Lampenschirme weiß. Einziges farbliches Zugeständnis sind die Palmen, die in den Sitznischen drapiert sind, sowie die überwiegend weiblichen Angestellten mit ihren roten und knallengen Oberteilen, wofür sie schmachtende Blicke der männlichen Besucher ernten. Männer sind einfach gestrickt und der Inhaber dieser Bar hat sich dieses Klischees bedient und freut sich somit über einen vollen Laden und die Mädels über eine üppige Trinkgeldkasse. Ich schaue zurück auf Nele, die heute Abend einfach atemberaubend aussieht. Sie hat sich ihre roten Naturlocken geglättet, so dass sie ihr bis zur Taille reichen. Zudem trägt sie das klassische „kleine Schwarze“ mit ihren Mörder-High-Heels. In ihrer Gegenwart komme ich mir wie eine kleine graue Maus vor. Ich habe mich für eine schmal geschnittene weiße Bluse und eine enge schwarze Stoffhose entschieden. Ganz schlicht. Meine blonden Haare fallen mir in Korkenzieherlocken über den Rücken. Mein einziges farbliches Zugeständnis heute Abend ist ein roter Lippenstift und die dazu passende rote Handtasche »Und hast du den Kubaner schon entdeckt?«, frage ich Nele, die bereits an ihrem zweiten Cocktail schlürft »Nein noch nicht. Mir ist zumindest bisher nichts Exotisches aufgefallen. Und wenn ich mit den Cocktails so weiter mache, verschleiert sich mein Blick oder mir platzt mein Kleid, bis er um die Ecke kommt!« »Ach was, das kannst du dir doch leisten, schließlich warst du doch heute im Fitness-Studio«, sage ich süffisant grinsend und betrachte nun doch neidisch ihre durchtrainierte Figur »Anna! Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen. Während ich mir meine Figur mühsam erstrampeln muss, kannst du in aller Ruhe essen was du willst, ohne überhaupt ein Gramm zuzunehmen. Das Leben ist einfach ein mieser Schuft.« Nele schüttelt gespielt entrüstet den Kopf und haut mir auf die Oberschenkel »Sind wir hier um über Figurprobleme zu quatschen oder wollen wir Cocktails vernichten und Jungs aufreißen?« Ich greife mir die Getränkekarte vom Tresen und überfliege die zahlreichen Cocktails. Hier ist wirklich für jeden was dabei. Aus beruflicher Sicht sollte ich mich vermutlich für einen Latin lover entscheiden, letztendlich aber fällt meine Wahl auf einen einfachen Caipirinha. Ich teile meinen Wunsch dem Barkeeper mit, der mir daraufhin zuzwinkert. Ob er vielleicht aus Kuba kommt? Die Musik dröhnt immer lauter, aber der Caipi lässt mich das Gedudel, das so gar nicht mein Musikgeschmack ist, besser ertragen. Ich schaue mich in der Menschenmenge um und siehe da, Neles Erscheinung ist nicht lange unbemerkt geblieben, was mir natürlich schon fast klar war. Ein Mann, ich schätze mal um die Vierzig, hat sich bereits aufgemacht, um ihr den Hof zu machen. Nele verdreht genervt die Augen, was ihr Romeo nicht zu bemerken scheint. Er sieht ja nicht ganz so schlecht aus, denke ich mir, aber was mich total abtörnt und meine Freundin mit Sicherheit auch, sind seine riesigen Schweißränder unter den Achseln, die auf seinem blauen Hemd prima zur Geltung kommen. Igitt!! Aber Nele weiß sich wie immer zu helfen »Hallo Süßer! Komm spendier’ mir doch ´nen Drink. Ich hab bloß noch ne Stunde Zeit, dann geht der Babysitter und meine drei Kleinen sind dann allein zu Hause.« So schnell, wie Axel Schweiß auf der Bildfläche aufgetaucht ist, so schnell ist er auch wieder verschwunden. Nele grinst zufrieden und fischt sich ihr langes Haar aus dem Nacken »Du weißt schon, dass du mir eben meinen Spruch geklaut hast!«, schreie ich ihr durch die laute Musik hindurch zu »Deinen Spruch? Ich dachte, du hättest bloß ein Kind, hast du mir etwa die anderen zwei verschwiegen?«, kontert sie und wir müssen beide lachen. Doch plötzlich bleibt mir mein Lachen im Hals stecken. Hinter meinem Rücken hat soeben jemand seine Bestellung beim Barkeeper aufgegeben … und diese tiefe Stimme … oh mein Gott … kommt mir überaus bekannt vor. Vorsichtig drehe ich mich um und schaue direkt in die Augen von … Gabriel »Ach! Wenn das mal keine Überraschung ist?« Oh ja, und was für Eine? Gabriel mustert mich erfreut. Seine Augen wandern einmal schnell an mir auf und ab, um dann kurz in meinem Ausschnitt hängen zu bleiben »Hallo Gabriel!« Mehr bekomme ich vorerst nicht heraus. Mein Herz beginnt schon wieder zu rasen beim Anblick dieses wunderschönen Mannes, der zur Abwechslung heute ein schwarzes Hemd trägt, in Kombination mit einer dunklen Jeans. Er beugt sich zu mir herunter und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Wie in einer Blase sitze ich da und starre den Mann an, der seit einer Woche meine Gedanken beherrscht, ob ich nun will oder nicht »Willst du uns nicht vorstellen?« Nele rüttelt mich an der Schulter und reißt mich damit völlig aus meiner Lethargie. Sie schaut mich herausfordernd an und ich weiß ganz genau was sie jetzt denkt. Ich kann das Wörtchen „WOW“ förmlich aus ihren Augen ablesen. Mehr oder weniger begeistert komme ich ihrer Bitte nach »Ach ja, natürlich! Nele, das ist Gabriel! Und Gabriel das ist meine Freundin Nele!«, vollende ich die Vorstellungsrunde. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen, denn während Gabriel sich bereits über mich hinwegbeugt, um Nele die Hand zu reichen, reißt die ihre riesigen grünen Augen auf und blickt überrascht zwischen uns beiden hin und her, ein eindeutiges Indiz dafür, dass bei ihr nun der Groschen gefallen ist, denn sie kennt Gabriel schließlich aus meinen zahlreichen Erzählungen »Freut mich!«, sagt sie wie unter Hypnose, gibt ihm ihre Hand, um ihn dann anzustarren, als käme er von einem anderen Planeten. Ich triumphiere innerlich, weil ich es endlich mal geschafft habe, meine Freundin völlig aus dem Konzept zu bringen, was sonst eigentlich so gut wie unmöglich ist. Sie findet ihn scharf … so wie ich. Gabriel wendet sich wieder mir zu und beugt sich etwas zu mir herab »Ich habe mich schon innerlich darauf eingestellt, dich nie wiederzusehen. Schade, dass du nicht mehr angerufen hast.« Ich beiße mir auf die Lippen. Was soll ich denn jetzt nur sagen, ohne ihn vor den Kopf zu stoßen. Wenn ich ihm die Wahrheit sage, dass ich die ganze letzte Woche mit mir gekämpft habe, mindestens schon fünf Mal den Hörer in der Hand gehalten und mindestens drei Mal auch die Nummer gewählt habe, wird er mich vermutlich auslachen. Ich schaue betroffen auf meine Schuhe und wäge die richtige Antwort ab. Gerade als ich antworten möchte, kommt er mir zuvor »Bist du öfters hier?«, fragt er und kommt mir dabei ziemlich nahe, was wegen der lauten Musik zwingend notwendig ist, damit ich ihn überhaupt verstehe, aber bei mir eine Gänsehaut auslöst. Und wie bin ich froh, dass er das Thema auf sich beruhen lässt »Nein, es ist für uns heute das erste Mal! Und du?« »Ich war schon ein paar Mal hier! Ich kenne den Besitzer, er ist ein guter Freund von mir!« Ach nee, so ein Zufall! »Sag mal, hast du eigentlich auch normale Freunde, die keine Bar und kein Restaurant besitzen?«, entgegne ich lachend. Er schaut mich erst irritiert an und bricht sogleich in schallendes Gelächter aus. Dabei entblößt er seine geraden und weißen Zähne, mit welchen er gut Werbung für eine Zahnpasta machen könnte. Doch dann fällt mir wieder ein, warum Nele und ich eigentlich heute hier sind »Stimmt es, dass dein Freund Kubaner ist?«, hake ich neugierig nach. Gabriel schaut mich an, als ob ich ihn gerade gefragt hätte, ob er auch Heuschrecken isst und zieht irritiert eine Augenbraue hoch »Ja, aber nur ein Halber. Sein Vater ist Kubaner und die Mutter ist Deutsche. Doch er hat seinen Vater nie kennengelernt. Der hat es vorgezogen wieder nach Kuba abzuhauen, noch bevor Ramón auf der Welt war.« Diese Geschichte kommt mir sehr bekannt vor, denn schließlich könnte es auch meine sein. Und aus diesem Grund, ist mir der unbekannte Ramón jetzt schon irgendwie sympathisch, obwohl ich ihn noch gar nicht kennengelernt habe »Meinst du, Nele dürfte ihn mal kennenlernen? Schließlich sind wir heute Abend nur hier, weil sie unbedingt einen Blick auf einen kubanischen Hintern werfen wollte!«, gebe ich zurück und Gabriel wirkt mit einem Mal erleichtert, schielt dann zu Nele hinüber, die sich inzwischen angeregt mit einem jungen Mann unterhält «Ich denke, das müsste sich einrichten lassen!«, meint er nachdenklich und wendet sich wieder ganz mir zu »Und du? Möchtest du ihn auch unbedingt kennenlernen?«, fragt er in barschem Tonfall und ich sehe in seine zusammengekniffenen Augen. Ist er etwa eifersüchtig? »Nein, Danke! Ich bin nur die Begleitung!« »Gut so!«, meint er und ich habe das Gefühl einen erleichterten Ausdruck in seinem Gesicht zu sehen. Da greift er auch schon nach meiner Hand und führt sie an seinen Mund, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch sitzen schon wieder in der Achterbahn und fahren gerade den ersten Looping, während meine Knie, froh ihren Dienst nicht quittieren zu müssen, anfangen zu zittern. Mensch, Anna! Reiß’ dich jetzt bloß zusammen! Meine Hand immer noch fest umschlossen, beugt er sich zu mir herunter und flüstert in mein Ohr: »Ich habe die ganze Woche an dich gedacht!« Mein Herz macht einen Hüpfer, denn schließlich ging es mir genauso. Ich möchte eigentlich sofort etwas erwidern, doch ich werde von den Rufen einer tiefen männlichen Stimme unterbrochen »GABRIEL!!« Gabriel lässt abrupt meine Hand los und wendet sich von mir ab. Ich folge seinem Blick in Richtung Menschenknäuel, in der Mitte der Bar, von wo gerade ein großer Mann mit einem breiten Grinsen im Gesicht, auf uns zukommt. Wenn meine inzwischen vernebelte Wahrnehmung mich nicht im Stich gelassen hat, handelt es sich hierbei vermutlich um Ramón, den gutaussehenden kubanischen Clubbesitzer. Eingekesselt von mehreren hübschen Damen in Miniröcken und High Heels steuert ein Enrique Iglesias-Double direkt auf Nele, Gabriel und mich zu. Bei uns angekommen, gibt er seinen Begleiterinnen mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie sich jetzt mal zu verziehen haben, und die Damen, wohl erzogen wie sie sind, kommen seiner „Bitte“ umgehend nach und stolzieren wieder zurück in die Menschenmenge »Gabriel, freut mich dich zu sehen!«, sagt der Fremde zu Gabriel und die beiden umarmen sich herzlich, bis sein Blick auf Nele und mich fällt »Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass du heute Abend zwei hübsche Chicas mitbringst, dann hätten wir doch die Lounge reserviert!« »Wir sind nicht verabredet! Wir haben uns nur zufällig hier getroffen!«, berichtigt ihn Gabriel kurz angebunden und sein Blick ruht auf mir »Das ist ja prima, dann hab ich doch noch eine gewisse Chance, eine von euch beiden heute Abend zu erobern!«, erwidert Gabriels Freund lachend und zwinkert uns verschmitzt zu »Ich bin übrigens Ramón. Mir gehört dieser Club. Und wie heißt ihr Hübschen?« Ich sehe zu Nele hinüber, die inzwischen aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und in den Flirtmodus gewechselt ist. Sie reicht Ramón sofort ihre Hand und schaut ihn mit riesigen Augen lasziv lächelnd an »Ich bin Nele!«, haucht sie verführerisch und Ramón küsst sie rechts und links auf die Wangen. Ihr Blick wird dabei ganz glasig und wenn ich jetzt nicht auf meine Freundin aufpasse, verschwindet sie heute Abend noch mit einem kubanischen Frauenhelden in irgendeinem Hinterzimmer. Ramón wendet sich von Nele ab und nun mir zu »Hallo, ich bin Anna!«, stelle ich mich vor und strecke ihm ebenfalls meine Hand entgegen. Gabriels Augen weiten sich und mustern mich eindringlich. Da fällt mir doch gerade ein, dass Gabriel bisher nur meinen „Künstlernamen“ kennengelernt hat. Ramón möchte gerade meine Hand nehmen, als Gabriel ihm zuvorkommt. Er schnappt meine Hand und zieht mich näher an sich heran, so dass wir nun Seite an Seite nebeneinanderstehen. Seinen freien Arm legt er besitzergreifend um meine Taille, so dass ich mich nun nicht mehr bewegen kann. Ich bin eingekesselt von Gabriels festem Körper, den ich voll und ganz an meiner Seite spüren kann, ebenso wie die Hitze, die von ihm ausgeht. Und wie er wieder riecht … herrlich! Unsere Hände liegen ineinander verschränkt auf meinem Oberschenkel. Ramón, der den Wink mit dem Zaunpfahl durchaus verstanden hat, schaut belustigt zwischen Gabriel und mir hin und her und schnalzt mit der Zunge »Zu schade, dass du dich für den Immobilienfutzi entschieden hast, aber wenn dir Porsche fahren zu langweilig wird und du mal Ferrari fahren möchtest, dann ruf mich doch einfach an!«, meint Ramón mit einem Blick zu mir und fügt hinzu »und damit meine ich nicht das Auto!« Er zwinkert noch einmal und verschwindet lachend wieder in der Menschenmenge. Nele, die immer noch mit offenem Mund auf ihrem Höckerchen sitzt, als hätte sie noch nie ein männliches Wesen gesehen, schwingt sich abrupt vom Barhocker, um Ramón in die Menschenmenge zu folgen. »Bin gleich wieder da!«, ruft sie uns noch über die Schulter hinweg zu und dann ist sie auch schon in der Menschentraube verschwunden. Gabriel rückt wieder etwas von mir ab, Ramón ist aus seinem Sichtfeld verschwunden und somit ist für ihn die Gefahr gebannt. Und leider auch die Gluthitze, die ich eben noch verspürt habe. Gabriel schnappt sich Neles Hocker, um sich genau vor mir zu platzieren und schaut mich forschend an »So, so! Mir willst du deinen Namen nicht verraten, aber so einem kubanischen Macho schon, oder was?« »Nimm’ es nicht persönlich, das hat nichts mit dir zu tun!« »Dann sag mir doch bitte den Grund, damit ich es verstehen kann, sonst nehm’ ich es sehr wohl persönlich!« Ich verdrehe leicht die Augen und setze zu einer Erklärung an »Gabriel, als wir beide uns das letzte Mal getroffen haben, war es ein geschäftliches Treffen. Du warst Kunde und ich war Rhea, die Dame, die du gebucht hast.« Seine Augen weiten sich »Ich trenne Geschäftliches immer vom Privaten und heute Abend bin ich privat hier, also Anna. So einfach ist das!« Ich beobachte Gabriel, der mit einem Mal völlig sprachlos ist und nur nickt. Mir scheint, dass es ihn wohl sehr kränkt, von mir als Kunde tituliert zu werden, aber es ist eben die Wahrheit. Er schaut hinab auf meinen Schoß, indem ich meine Hände zwischen den Schenkeln vergraben habe und nimmt zärtlich meine Hand »“Anna“ gefällt mir viel besser!«, raunt er, beugt sich zu mir herüber, nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst mich. Für einen kurzen Moment scheint meine Welt wieder still zu stehen. Ich nehme das Geschehen um mich herum nicht mehr war. Weder die Leute, die hinter und neben uns stehen, noch die rhythmischen kubanischen Klänge aus den Lautsprecherboxen. Ich fühle nur noch ihn. Er drängt meine Beine auseinander und zwängt sich mit seinem Körper dazwischen, um mich noch näher an sich zu ziehen. Ich lege meine Hände auf seinen Bauch, der fester zu sein scheint, als ich es mir ausgemalt habe, und streiche über seine Brust »Wollt ihr ein Zimmer? Ihr könntet solange mein Büro benutzen!« Erschrocken fahren wir auseinander. Ramón steht direkt neben uns und grinst uns spitzbübisch an. Und in seinem Arm hält er niemand geringeres als Nele, die locker eine Hand in Ramóns Gesäßtasche stecken hat und ebenfalls grinst »Trinkt noch ein bisschen was! Die Getränke gehen heute Abend auf meine Rechnung!« Ramón winkt den Barkeeper herbei. Dann bleibt sein Blick auf mir haften »Ach ja, Anna! Du hast übrigens eine süße Freundin. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich sie mir noch ein bisschen ausleihe. Ich möchte ihr gern den Club zeigen! Und danach vielleicht noch meine Muschelsammlung!«, sagt er mal wieder zwinkernd und küsst Nele auf die Wange. Kann dieser Typ denn nur mit den Augen zwinkern oder hat er womöglich so einen krankhaften Augenzwinker-Tick. Ich schaue meine Freundin an und reiße überrascht die Augen auf. Nele schmiegt sich an den Möchte-Gern-Enrique, wie eine Katze, die auf ihre täglichen Streicheleinheiten wartet. Sie knabbert sogar schon an seinem Ohrläppchen. Oh nee, das will ich gar nicht sehen! Ehrlich gesagt, habe ich Nele noch nie so erlebt. Normalerweise ist man Klasse und Stil in jeglicher Hinsicht von ihr gewöhnt. Sie wirft sich nie jemandem an den Hals, schon gar nicht solchen Machotypen wie Ramón einer ist. Entweder sind die zwei Cocktails schuld, die sie schon intus hat, vielleicht wurde ihr sogar ein kubanischer Liebestrank untergejubelt oder liegt es an der einfachen Tatsache, dass Ramón ein wunderschöner Mann ist, den Frau eben nicht einfach von der Bettkante schupst. Ich hoffe auf Letzteres und drücke Nele noch einmal fest an mich, um ihr ins Ohr zu flüstern »Pass auf dich auf!! Du kannst mir ja später eine Nachricht schicken!« »Ja, mach ich. Du wartest besser nicht auf mich!«, flüstert sie zurück und schaut dann zu Gabriel »Kannst du Anna bitte nachher nach Hause bringen, ich möchte nicht, dass sie allein mit der S-Bahn fahren muss!« »Mit dem größten Vergnügen!«, antwortet Gabriel und drückt mich wieder an sich. Ich fühle mich mit einem Mal wie ein kleines Kind, um das man sich kümmern muss, was völlig ungewohnt ist, doch dann fällt mir auf einmal siedend heiß ein, warum ich mich eigentlich nie von irgendjemandem nach Hause fahren lasse. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Während Gabriel noch mit Ramón spricht, rinnt mir bereits der erste kalte Schweiß aus sämtlichen Poren und mir wird zunehmend übel. Meine Kopfhaut beginnt zu prickeln, was vermutlich nicht an der Musik liegt, denn die habe ich schon lange ausgeblendet. Mein Brustkorb zieht sich schmerzhaft zusammen und ich habe das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Mir wird klar, dass ich sofort an die frische Luft muss. Nele, die ihren Latin Lover immer noch anhimmelt, kann meinen entsetzten Gesichtsausdruck nicht mehr sehen, denn sie verschwindet daraufhin geradewegs wieder im Getümmel. Oh Nele, was hast du nur getan? Gabriel, den ich panikartig ohne es zu merken in den Arm gekrallt habe, dreht sich zu mir und blickt mich erschrocken an »Was ist los? Du bist auf einmal kreidebleich!«, fragt er erschrocken und nimmt mein Gesicht in seine Hände. »Du bist ja schweißnass!« »Ich muss raus! Ich brauche frische Luft!«, antworte ich leise und hoffe, dass mir schleunigst was einfällt, wie ich mein peinliches Benehmen erklären kann. Gabriel holt noch schnell unsere Jacken und so bahnen wir uns den Weg durch die unzähligen Clubbesucher nach draußen. Mit einem Mal wird mir auch noch leicht schwindelig, doch zum Glück hält Gabriel meine Hand, wodurch ich mich etwas besser fühle, obwohl er eigentlich der Grund für meine panikartige Flucht ist. Am Ausgang werden wir vom Türsteher noch freundlich verabschiedet und dann sind wir draußen. Ich nehme erstmal einen tiefen Atemzug der kühlen Nachtluft, die direkt in meine Lungen fließt und meinen verkrampften Brustkorb wieder weitet. Gabriel, der direkt neben mir steht und seinen Arm um mich gelegt hat, unterbricht die Stille «Anna, was ist los? Fühlst du dich nicht gut?« Was soll ich ihm bloß sagen? Ich habe eine Magen-Darm-Infektion oder Die Luft war eben so schlecht da drin oder besser noch Ich habe den Cocktail wohl nicht vertragen. Meine liebe Oma würde jetzt wahrscheinlich Martin Luther zitieren: „Die Lüge ist wie ein Schneeball: Je länger man ihn wälzt, desto größer wird er“ »Gabriel, es tut mir leid! Es gibt da etwas, das ich dir erzählen muss, damit du mich verstehst!« Gabriel wirkt überrascht, aber nickt zustimmend »Ich habe eine Idee.«, meint er plötzlich. »Lass uns doch noch kurz was trinken gehen. Eine Cola wird dir wahrscheinlich jetzt guttun. Hier gleich um die Ecke gibt es eine kleine Imbisstube, die auch um diese Zeit noch offen hat!« Und dann zieht er mich schon mit sich. Ich blicke auf die Uhr an meinem Handgelenk. Es ist schon kurz nach 1:00 Uhr. Was mache ich eigentlich gerade? Wo sind meine ganzen Gehirnzellen hin? Einen Saufen gegangen? Gabriel und ich sitzen, umgeben von Frittengeruch, in einer typischen Imbissbude. Hinter einer Holztheke hantiert gerade der „Chefkoch“ mit dem Frittierkorb und ein Angestellter sitzt mit schmuddeligem weißen T-Shirt bei einer kleinen Gruppe junger Männer und diskutiert über das letzte Fußballspiel des VFB Stuttgart. Mein Blick fällt auf die zahlreichen VFB-Banner an den Wänden. Gabriel gibt gerade die Bestellung auf, während ich es mir schon mal auf einem schäbigen Plastikstuhl gemütlich mache. Ich kann mich spontan gar nicht daran erinnern, so etwas Ähnliches schon mal gemacht zu haben. Nachts um 1:00 Uhr Pommes essen in einer Frittenbuden mit einem Typen. Wenn die Situation nicht so verfahren wäre, könnte man es glatt als Date durchgehen lassen. Doch dem ist leider nicht so. Wir beide sitzen nur hier, weil ich eben um ein Haar in einem Szeneclub kollabiert wäre, aus panischer Angst von einem Mann nach Hause gebracht zu werden. Gabriel kehrt wieder an unseren Tisch zurück und balanciert mit beiden Händen die Pommes und unter den Armen eingeklemmt zwei Dosen Cola »Ich hatte mir unser zweites Date irgendwie anders vorgestellt!«, bemerkt er trocken, stellt die Schalen und die Flaschen vorsichtig auf dem Tisch ab und fügt flüsternd hinzu »vor allem an einem anderen Ort!«. Oh ja, wie recht er hat. Ich schaue erst ihn an und dann an mir hinunter. Wir beide sind mit unseren schnicken Outfits so was von fehl am Platze wie ein Landwirt bei einer Oskar-Verleihung. Er bemerkt meinen Blick und so fangen wir beide gleichzeitig an zu lachen. Genüsslich unsere Pommes mampfend sitzen wir uns gegenüber und ich muss zugeben, dass die Pommes besser schmecken, als ich es ihnen zugetraut hätte. Während Gabriel Anekdoten aus seiner Kindheit erzählt, merke ich, dass ich mich zusehends entspanne. Mir ist klar, dass er mich aufheitern und auf gar keinen Fall drängen möchte über irgendetwas mit ihm zu sprechen, zu dem ich vielleicht noch nicht bereit wäre. Aber ich habe Vertrauen zu ihm und das, obwohl ich ihn überhaupt noch nicht richtig kenne. Ich muss mit der Sprache herausrücken, auch wenn es mir noch so schwerfällt »Gabriel!«, flüstere ich und schaue in seine sanften Augen. »Ich glaube, ich bin dir ein paar Antworten schuldig.« »Ich dränge dich zu gar nichts. Sprich mit mir, wenn du dazu bereit bist. Ich kann warten.« Er nimmt zärtlich meine Hände und fährt mit seinen Daumen über meinen Handrücken »Die Situation gerade in der Bar ist mir schrecklich peinlich. Ich hatte mich einfach nicht mehr im Griff, weil ich panische Angst davor hatte, dass du mich jetzt nach Hause bringen würdest«, beginne ich. Meine Hände fangen schon wieder an zu zittern, was Gabriel sofort bemerkt und sie nur noch fester drückt »Aber wieso Anna? Ich würde dir nie etwas antun! Oder traust du mir so etwas zu?« »Nein« murmle ich und schüttle mit dem Kopf. »Es hat mit einer Sache aus meiner Vergangenheit zu tun. Ich kann meine Angst leider schlecht kontrollieren, wohl besser gesagt, gar nicht.« »Möchtest du mir davon erzählen?« Ich nicke. Meine Therapeutin hat mir in unzähligen Sitzungen eingebläut, wie wichtig es ist, sich mitzuteilen. Heute wäre sie wahrscheinlich sehr stolz auf mich »Das Ganze ist jetzt schon zwei Jahre her. Ich arbeitete damals schon ein Jahr als Escort-Dame hier in Stuttgart und war gerade dabei mich selbständig zu vermarkten, anstatt wie bisher, das einer Escort-Vermittlung zu überlassen. Meine erste eigene Homepage war bereits seit einigen Tagen fertig, als sich auch schon ein Kunde bei mir meldete. Er machte auf Anhieb einen sympathischen Eindruck. Eher so der Typ Bilanzbuchhalter mit Schlips und Krawatte, sorgfältig gestutztem Bart und Designerbrille. Wir trafen uns ein paar Mal, gingen zusammen essen, manchmal auch danach ins Hotel. Mir fiel schon bei den ersten Treffen auf, dass er alles über mich wissen wollte. Welche Hobbys ich habe, wo ich meine Kleider einkaufe, welches Parfum ich benutze. Einfach Dinge, für die sich meine Kunden normalerweise nicht so brennend interessieren. Die meisten reden ohnehin mehr über sich selbst. Wie sich schnell herausstellte, war er alleinstehend und suchte schon seit Längerem nach einer festen Beziehung. Ich weiß es noch wie heute …. es war Montagmorgen und als ich die Türe meiner Wohnung öffnete, lag auf der Fußmatte ein Dutzend rote Rosen mit seiner Grußkarte versehen. Ich war irritiert. Woher wusste er meine Adresse und wie konnte er sich Zutritt zu meinem Haus verschaffen? Ich sprach ihn darauf an, doch er wich meinen Fragen aus. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich mir nichts weiter dabei. Bis dahin trafen wir uns vielleicht alle vierzehn Tage, doch das war ihm mit einem Mal zu wenig, er wollte mich nun öfter treffen und bombardierte mich mit E-Mails. Da ich noch genügend andere Kunden hatte, konnte ich ihm aus Zeitgründen nicht jeden Termin zusagen, woraufhin er gekränkt reagierte. In den nächsten Wochen wurde er noch aufdringlicher, rief mehrmals täglich auf meinem Handy an, sogar nachts. Ich beschloss daraufhin den Kontakt abzubrechen, löschte seine E-Mails, ohne sie zu lesen und nahm auch seine Telefonanrufe nicht mehr an. Er versuchte es zwar immer weiter, gab aber nach ein paar Tagen auf. Ich dachte schon, ich hätte es hinter mir, bis ich eines Nachmittags seinen Wagen auf der anderen Straßenseite meines Wohnblocks entdeckte. Er blieb dort mehrere Stunden stehen und beobachtete mich aus dem Auto heraus. Ich wollte ihn wieder auf sein Verhalten ansprechen, doch er fuhr einfach weg. Am nächsten Tag stand sein Wagen wieder vor der Tür. Ich rief die Polizei, mit dem Erfolg, dass er in Zukunft nicht mehr vor meiner Haustür campierte. Ab leider begann er ab diesem Zeitpunkt mir Drohbriefe zu schicken. Es standen schreckliche Dinge darin und ich bekam es zum ersten Mal in meinem Leben richtig mit der Angst zu tun. Ich ging wieder zur Polizei, machte es aktenkundig, doch die konnten vorerst aufgrund fehlender Beweise nichts unternehmen.« Ich mache eine kurze Pause um mich zu sammeln. Bilder von diesem Psychopathen schwirren vor meinem inneren Auge und mir wird schon wieder schlecht. Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen, als die Polizei diesen Stalker vor Sammys KiTa stellen konnte. Einer Erzieherin war ein Lieferwagen mit samt Fahrer vor der Tür der KiTa aufgefallen, der dort bereits seit mehreren Stunden stand. Als eine gerufene Polizeistreife den Mann schließlich stellte, konnten sie ihn anhand seiner Papiere als meinen ehemaligen Kunden identifizieren. Doch das Schlimmste dabei waren die Decke, mehrere Klebebänder und Kabelbinder, die man im hinteren Teil des Wagens fand. Die Polizei ging später davon aus, dass er vermutlich meinen kleinen Sohn entführen wollte, um endlich an mich heranzukommen. Das war der wohl schrecklichste Tag in meinem ganzen Leben. Und das ist auch der Grund, warum ich seither nie wieder mit „Fremden“ über die Existenz meines Sohnes gesprochen habe. Und deshalb behalte ich es auch heute für mich. Gabriel schaut mich an und streichelt mir liebevoll meine Hand. Wie gut, dass er meine Gedanken nicht lesen kann »Wie ist die Geschichte ausgegangen? Konnten sie ihn schnappen?« »Ja. Die Beweise waren zu belastend und er ist am Schluss eingeknickt und hat alles zugegeben.« Ich senke meinen Kopf und atme ein paar Mal tief durch. Eigentlich kann ich stolz auf mich sein. Ich habe es doch tatsächlich geschafft, mich jemandem anzuvertrauen. Ich schaue wieder auf und blicke in Gabriels wunderschöne Augen »Danke, dass du mir zugehört hast!« »Ich werde dir immer zuhören, wenn du mich nur lässt!« »Das ist leider auch der Grund, warum ich eigentlich niemanden an mich heranlassen möchte. Ich hoffe, du kannst das verstehen.« Ohne mir überhaupt zu antworten, beugt er sich über den Tisch hinweg zu mir und küsst mich zärtlich. Sein Kuss hat so etwas Vertrautes, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Die jungen Männer am Nebentisch sind inzwischen gegangen und der Frittenwirt steht mit lässig verschränkten Armen hinter seiner Theke und beobachtet uns »Wenn ihr dann fertig seid, können wir hier drinnen endlich die Schotten dicht machen!«, meint er gelangweilt und wischt mit seinem fettigen Geschirrtuch über den Tresen. Gabriel und ich grinsen uns an und so verlassen wir händchenhaltend die Imbissbude »Anna, ist das für dich in Ordnung, wenn ich dir jetzt ein Taxi rufe?« Es versetzt mir innerlich einen Stich, das aus seinem Mund zu hören. Einerseits freut es mich, dass er sich so rücksichtsvoll verhält, was natürlich für ihn spricht. Andererseits macht es mich auch traurig, dass er mich nicht nach Hause begleiten kann, wie jeder andere gewöhnliche Mann. Und obwohl ich heute einen peinlichen Auftritt hingelegt habe, war es trotz allem ein wunderschöner Abend und das schönste Dinner aller Zeiten. Bin mal gespannt, wie ich nach ein paar Stunden Schlaf darüber denke »Ein Taxi wäre gut! Danke!«, murmle ich und schaue hinunter zu unseren Händen, die ineinander verschlungen sind »Können wir uns mal wieder treffen?«, schlage ich vor und kann es nicht glauben, dass diese Worte eben meinen Mund verlassen haben. Was war in den Pommes? »Ich würde mich sehr freuen. Um ehrlich zu sein, kann ich es kaum abwarten«, meint er grinsend und ich grinse dümmlich zurück. Der verliebte Teenager in mir hat wieder die Oberhand zurückerlangt. Das herannahende Taxi besiegelt unseren Abschied. Wir küssen uns noch einmal innig und dann schiebt mich Gabriel in das Taxi hinein. Er reicht dem Fahrer einen Geldschein und beauftragt ihn, mich an meine Wunschadresse zu fahren. Als das Taxi mit mir die Straße hinunterfährt, winkt Gabriel noch kurz hinter uns her. Völlig aufgewühlt schmiege ich mich in die warmen Sitze des Mercedes und fasse kurz meinen Gemütszustand zusammen. Gabriel Bernard hat heute Abend mein Herz im Sturm erobert. Und obwohl er es mit einem psychotischen Blondchen zu tun hat, will er sich trotzdem noch weiter mit mir treffen. Was bin ich doch für ein Glückpilz! Wäre da bloß noch eine klitzekleine Sache zu klären. Nämlich die, dass ich bereits Mutter bin. Die Sonne strahlt mir ins Gesicht und wärmt mich, während ich mit meinem kurzen Snoopy-Nachthemd auf dem Barhocker an der Küchentheke sitze. Die zerzausten Haare habe ich mit einer Haarklammer weggesteckt und nippe an meinem zweiten Kaffee. Vor mir liegt eine Butterbrezel und ich habe das erste Mal seit Tagen wieder richtig Appetit. Und ich weiß auch warum. Heute Morgen bin ich mit einem klaren Kopf aufgewacht, beschwingt und fröhlich, denn ich bin mir endlich darüber im Klaren, was ich wirklich will! Nämlich Gabriel. Er akzeptiert mich so wie ich bin und darum habe ich auch die Hoffnung, dass er auch Sammy akzeptieren kann, wenn ich mal die Gelegenheit bekomme, es ihm zu sagen. Am besten so bald wie möglich. Wenn das mal keine guten Nachrichten sind. Das muss ich gleich Nele erzählen. Ich greife zum Telefon und wähle ihre Nummer. Wie es wohl gestern mit Ramón gelaufen ist? Hoffentlich erspart sie mir die ganz intimen Details, aber ich denke, da werde ich Pech haben. Schon nach dem zweiten Klingeln hebt sie ab »Anna, warum rufst du so früh an? Geht’s dir gut?«, fragt sie schlaftrunken und ich höre im Hintergrund eine tiefe männliche Stimme rufen: »Warum soll es ihr nicht gut gehen? Sie hat sich gestern einen heißen Typen unter den Nagel gerissen!« »Ist das Ramón?«, frage ich irritiert »Ja!«, antwortet sie und gähnt herzhaft in den Telefonhörer »Wo bist du, Nele?« »Bei Ramón!« »Aha!«, ist so ziemlich das Einzige was mir dazu einfällt »Anna, geht’s dir auch wirklich gut? Du rufst mich doch nie so früh an!« »Ja, es geht mir gut, sehr gut sogar. Ich wollte dir eigentlich von gestern Abend erzählen. Aber das muss jetzt warten. Genieß’ du erstmal dein brasilianisches Frühstück und später kommst du einfach bei mir vorbei.« »Und wie ich das genießen werde«, erwidert sie und beginnt zu kichern »Ist gut. Na dann, bis später!« sage ich und lege auf. Ich hätte jetzt gern auch Details über Neles vergangene Nacht gehört, ist aber halt schlecht, wenn der Liebhaber direkt daneben sitzt und lauscht. Dann kann man unter Umständen nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken. Ich starre aus dem Fenster hinaus. Der Kirschbaum meiner Nachbarn wird von wunderschönen Knospen geziert, was nicht weiter verwunderlich ist, da diese Woche der Mai beginnt. Eigentlich hatte ich mir schon zu Anfang des Jahres vorgenommen, mich nach einer festen Anstellung bei einem Raumausstatter oder in einem Innenarchitekturbüro umzusehen, was leider daran gescheitert ist, dass ich so wenig Zeit habe. Oder sollte ich lieber sagen, weil ich so bequem bin. Das wäre wohl eher zutreffend. Aber heute Morgen habe ich plötzlich den Anreiz, mich endlich aufzuraffen. Nur für den Fall, dass die Sache zwischen Gabriel und mir wirklich ernst wird, werde ich mich wohl mit dem Gedanken anfreunden müssen, nicht mehr als Escort-Dame zur Verfügung zu stehen. Ich kann mir nämlich schlecht vorstellen, dass er meinen derzeitigen Job gutheißen würde. Das hat mir seine Reaktion gestern Abend bewiesen, als er mich förmlich an sich gerissen hat, nur um sein Territorium vor Ramón abzustecken. Was ich gewissermaßen ziemlich süß fand. Bevor ich mich aber an die Stellenanzeigen der Stuttgarter Zeitung heranwage, werde ich mich bei Gabriel für den schönen Abend bedanken. „Danke für einen tollen Abend und die besten Pommes meines Lebens!“ Ich drücke auf Senden und lege das Handy auf den Couchtisch und warte. Bange Sekunde. Habe ich das Richtige getan? Waren auch die Worte gut gewählt? Wie ein Tiger im Käfig laufe ich auf und ab, auf und ab. Komme unterwegs am Sideboard vorbei und wische imaginäre Staubkörnchen mit der Handfläche weg, aber nicht ohne das Handy aus den Augen zu lassen. Der verliebte Teenager in mir nervt! Dann ertönt das Mitteilungssignal. Ich haste zum Tisch und schlage mir mein Knie an der spitzen Kante des Tisches an, um anschließend zu fluchen wie ein Bierkutscher. Dann schnappe ich mir das Handy und öffne die Nachricht. „Das waren die besten Pommes deines Lebens? Dann bist du aber noch nicht viel rumgekommen! Hat dich das Taxi gut nach Hause gebracht?“ Ich tippe hastig eine Antwort hinterher. „Ja klar. Hast du gut geschlafen?“ Piep. „Aber ja. Ich habe von den schönsten Lippen ganz Stuttgarts geträumt!“ Oh wow! „Echt? Die möchte ich aber auch gern mal sehen. Musst du eigentlich nicht arbeiten?“ Senden. „Leider schon! Sitze gerade in einem Meeting.“ „Und schreibst mir Nachrichten?!“ „Ich bin der Chef!! Und der darf das schließlich ...“ „Wo bleibt da die Vorbildfunktion? Können wir uns bald wiedersehen?“ „Bin ein schlechtes Vorbild. Und ja! Nichts, dass ich lieber täte. Bis auf vielleicht … dich nackt UNTER MIR!“ Mir fällt vor Schreck das Handy aus der Hand und plumpst zum Glück auf meinen weichen Teppich. Holla, die Waldfee. „Versauter Chef!!! Ich wünsche dir noch einen schönen Arbeitstag! Melde mich bei dir. Anna“ „Wie ich versaut liebe!!! Gabriel“ Junge, Junge! Allein schon seine Nachrichten machen mich ganz kribbelig. Na, wenn da Frau sich nicht schon auf das nächste Treffen freut? Ich zappe noch einmal durch unseren „Schriftverkehr“ und hüpfe dann beschwingt, gefühlte sechszehn Jahre alt, Richtung Badezimmer mit einer zwischenzeitlich erheblichen Schwellung auf meiner Kniescheibe. Ich versuche das Kindergeschrei und die schimpfenden Muttis um mich herum auszublenden und konzentriere mich voll und ganz auf meinen Sandkuchen. Sammy reicht mir die blaue Sandschaufel und ich klopfe vorsichtig auf das Sandförmchen in Gugelhupfform, hebe es vorsichtig an, um mit Enttäuschung festzustellen, dass es mir schon wieder nicht gelungen ist, einen Sandgugelhupf ohne größere Verluste zu erschaffen »Ach Mami! Du kannst das einfach nicht. Bei der Oma klappt das immer!«, schimpft Samuel vorwurfsvoll und wendet sich wieder seinem Schaufellader im Sandkasten zu »Das liegt nicht an mir, mein Schatz! Deine Mami kann sehr wohl Sandkuchen backen, aber der Sand ist heute einfach zu trocken!«, versuche ich ihn zu besänftigen, aber er hat mir nun endgültig den Rücken zugewandt und ich merke, dass es ihm eigentlich völlig egal ist, ob die Mami das kann oder nicht. Hauptsache der Junge, der ihm gerade gegenübersitzt, lässt die Finger von seinen Sandsachen. Ich schöpfe noch einmal Sand in das kleine rote Förmchen, als mich ein Kreischen direkt neben mir, zusammenfahren lässt. Ein kleines Mädchen hat sich selbst eine Eimerladung Sand über das braune Lockenköpfchen gekippt und merkt wohl erst jetzt, wie sich so viel herbe Pflege im Haar anfühlt. Doch die Mutter naht mit großen Schritten heran und reißt sie aus der Sandgrube, um sie ordentlich zu säubern. Nachmittags ist auf diesem Spielplatz immer viel los und erst recht, wenn die Sonne sich mal blicken lässt. Einige der Mütter, die ebenfalls das gute Wetter für einen Ausflug zum Spielplatz nutzen, kenne ich vom Kindergarten oder von der Turngruppe, die Sammy und ich einmal wöchentlich besuchen »Mami, wann kommt endlich Nele mit dem Eis?«, fragt Sammy ungeduldig »Sie kommt bestimmt gleich. Wahrscheinlich kann sie sich nicht entscheiden, was sie dir mitbringen soll.« »Schokolade natürlich. Das habe ich ihr doch schon am Telefon gesagt!«, blafft der kleine Neunmalklug zurück und rennt hinüber zur Rutsche. Beim Rennen wippen seine blonden Löckchen und da mir fällt wieder ein, was ich heute Morgen eigentlich noch machen wollte. Einen Termin beim Friseur vereinbaren. Egal was Patrick auch über die süßen Locken sagt. Für mich steht fest! Die Haare müssen ab, wenn sie nicht zukünftig mit einer Haarklammer oder einem Zopfgummi gebändigt werden wollen. Ich schaue mich auf dem weitläufigen Gelände um und entdecke auf dem Parkplatz, der direkt an den Spielplatz grenzt, Neles Auto. Auch Samuel scheint sie schon entdeckt zu haben, denn er steuert nun zielsicher den Parkplatz an und rennt so schnell ihn seine kleinen Beinchen tragen können, in ihre Richtung. Nele nimmt ihn mit ausgebreiteten Armen in Empfang. Gemeinsam laufen sie mit den Eisbechern über die Rasenfläche in meine Richtung »Ich hoffe du hast das richtige Eis dabei?«, frage ich und blinzle sonnengeblendet in Neles Gesicht »Natürlich, wie könnte ich je das Lieblingseis von meinem kleinen Engel vergessen?« Ich schaue zu Samuel, der ganz vertieft sein Schokieis aus dem Becher schaufelt »Setz’ dich doch zu mir«, weise ich Nele an und klopfe mit der Handfläche auf den Platz neben mir. Es ist zwar bloß die Holzvertäfelung der Sandgrube, aber durchaus bequem »Spinnst du? Ich setze mich doch nicht an ein Katzenklo? Und erst recht nicht mit meinen neuen Shorts.« »Katzenklo? Die Männer von der Stadt haben sich den Sandkasten erst letzte Woche vorgeknöpft. Er ist sauber!!« »Lass’ mal. Komm’ wir gehen rüber zur Bank!« Nele zieht mich mit sich und wir erwischen noch einen Platz unter dem Kastanienbaum, immer im Sichtfeld den Lockenschopf Samuel »Jetzt bin ich aber gespannt! Was ist so interessant, dass du mich heute Morgen in aller Herrgottsfrüh schon anrufen musst?« »Na hör mal, es war doch immerhin schon zehn Uhr! Und woher soll ich wissen, dass du so spät noch in fremden Betten rumlungerst.« »Ist doch auch egal! Erzähl’ jetzt was los war!« Und so beginne ich mit meiner Erzählung. Angefangen bei der unangenehmen Situation in der Bar, als Nele mich meinem Schicksal überlassen hat, bis hin zu der morgendlichen Nachricht an Gabriel. Als ich fertig bin, sitzt mir eine junge Frau mit bleichem Gesicht gegenüber »Oh Anna, es tut mir so leid. Ich habe einfach nicht nachgedacht, als ich mit Ramón gegangen bin. Wie konnte ich dir das nur antun?« Sie nimmt mich in den Arm und drückt mich verzweifelt an sich. Ich bin ihr zwar zu keinem Zeitpunkt richtig böse gewesen, aber dennoch tut diese liebevolle Geste unendlich gut. Es beruhigt mich, jemanden an meiner Seite zu haben, auf den ich mich immer verlassen kann. In guten wie in schlechten Tagen, also praktisch wie in einer Ehe. Nele, willst du mich heiraten? »Ist schon gut! Hatte ja auch etwas Positives. Nur dadurch bin ich mit Gabriel einen Schritt weitergekommen«, sage ich und löse mich aus Neles Umarmung »Das freut mich für dich! Ramón hat mir erzählt, dass er eigentlich nicht der Typ ist, der Frauen in Bars aufreißt. Er konnte sich nicht mal mehr daran erinnern, wann er Gabriel das letzte Mal überhaupt in weiblicher Begleitung gesehen hat. Was aber wohl nicht heißen muss, dass er keusch lebt. Denn das glaube ich nicht, und Ramón auch nicht.« »Ihr habt über Gabriel gesprochen?« »Ja, aber nur kurz. So zwischen der Zigarette danach und meinem nächsten Blowjob!« »Ach Nele, lass das. Ich will das nicht hören!!« Ich schüttle angewidert den Kopf und halte mir besser auch mal die Ohren zu, falls sie sich noch weiter offenbaren will. Nele lacht aus vollem Halse und zieht ihre Sonnenbrille aus der Handtasche »Wir treffen uns heute Abend wieder!«, erwähnt sie so ganz beiläufig und bindet sich die langen roten Haare mit einer Haarklammer nach oben »Was?« Ich glaube ich habe mich verhört. »Ich dachte das war wieder eine deiner „Guter-Sex-und-Tschüss“-Nummern.« »Ich bin mir dieses Mal gar nicht so sicher, ob ich ihn gleich verabschieden werde. Ramón ist irgendwie anders. Ich kann’s nicht erklären, aber er hat etwas an sich, das mich reizt.« »Er sieht gut aus!«, versuche ich es mal mit meiner Interpretation der Dinge »Das tun andere auch! Daran liegt es nicht!« Ich bin verblüfft und schaue mit überraschter Miene meine Freundin an. Die Freundin, die sonst keinem Mann eine zweite Chance gibt, außer ihren Kunden natürlich. Und die Freundin, die meint, dass man ohne Mann ohnehin besser dran ist. Ich bin schon gespannt, was sich daraus entwickelt. Bewaffnet mit einem Picknickkorb, Sonnenbrille und Handtasche stehe ich vor einem Parkhaus in Stuttgarts Innenstadt und warte. Ich komme mir ein bisschen vor wie Rotkäppchen, doch statt Wein trage ich Prosecco mit mir herum, um ihn dann mit Gabriel, dem süßen Wolf bei einem netten Picknick zu genießen. Wohin wir fahren, wollte er mir allerdings noch nicht verraten. Nur mit Mühe und Not konnte ich ihn dazu überreden, dass ich zumindest für unser leibliches Wohl verantwortlich sein werde und habe dann speziell für diesen Anlass den Feinkosthändler in der Innenstadt aufgesucht und eingekauft, als ob es kein Morgen mehr gebe. Denn schließlich ist heute unser erstes richtiges Date. Ich bin so aufgeregt, wie schon lange nicht mehr. Schweißnasse Hände, abgedrehte Schmetterlinge im Bauch und ständig der Drang auf die Uhr zu schauen. Furchtbar. Doch als pünktlich um 15:00 Uhr der schwarze Porsche um die Ecke biegt, habe ich mich soweit wieder im Griff und mache einen auf Datingprofi, der ich eigentlich sein sollte. Ich grinse wie ein Honigkuchenpferd, als Gabriel mit seinem schicken Cabrio direkt vor mir zum Stehen kommt. Zwei junge Passantinnen, die gerade an mir vorbeilaufen, starren mit offenem Mund auf den heißen Schlitten und den noch heißeren Fahrer. Ich triumphiere innerlich, denn schließlich bin ich diejenige, die gleich zu diesem James-Bond-Verschnitt ins Auto steigen wird. Mit seinem schwarzen Pullover und der coolen Ray-Ban-Sonnenbrille könnte er glatt als Model durchgehen. Grinsend entblößt Gabriel seine weißen Zähne und gibt mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich zu ihm in den Wagen steigen soll. Das lass ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ich stelle den Picknickkorb auf die Rückbank und lasse mich in den lederbezogenen Beifahrersitz gleiten. Gabriel schiebt seine Brille nach oben und zieht mich zu sich heran, um mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen zu drücken »Ich konnte es kaum abwarten dich endlich wieder zu sehen!«, haucht er mir ins Ohr »Ging mir genauso!«, erwidere ich und streichle ihm mit der Hand über die frisch rasierte Wange. Seine strahlend blauen Augen mustern mich neugierig und ehrfürchtig zugleich und endlich habe ich die Chance ihn bei Tageslicht zu begutachten. Was ich sehe, ist noch schöner und beeindruckender als in meiner Erinnerung. Wörter wie lecker, unwiderstehlich, himmlisch, erotisch wirbeln mir durch meinen Kopf. Am allerliebsten würde ich ihn an mich reißen und ihm sein Hemd samt Hose vom Leib zerren, genau jetzt und genau hier in diesem noblen Gefährt. Doch leider hupt es hinter uns bereits das dritte Mal. Die anderen Verkehrsteilnehmer scheinen kein Verständnis für unsere derzeitige hormonelle Situation zu haben. Gabriel lenkt den Wagen flüssig wieder in Stuttgarts Verkehr und wir machen uns auf zu einem Ausflug ins Blaue. Die Fahrt dorthin ist kurz und schon von weitem kann ich die unverkennbare Architektur des Killesbergturmes ausmachen, der sich auf dem Gelände des Höhenparks befindet. Dort werden wir also heute unseren Nachmittag verbringen. Bei unserem letzten Gespräch erwähnte Gabriel beiläufig, dass er am Killesberg wohnt. Wer weiß, vielleicht habe ich später noch die Chance die Bernard’sche Residenz zu besichtigen. Gabriel breitet eine schwarz-weiß karierte Picknickdecke auf der Rasenfläche aus und platziert meinen Picknickkorb in der Mitte. Umkreist von hochgewachsenen Bäumen und üppig blühenden Büschen sitzen wir geschützt vor neugierigen Blicken und dennoch mit Blick auf die herrliche Landschaft vor uns. Ich lasse mich auf der Decke nieder und strecke meine nackten Füße in die Sonne. Gabriel, der sich ebenfalls seiner Schuhe und Socken entledigt hat, krempelt die Jeans nach oben und ich erhasche einen Blick auf seine kräftige Wadenmuskulatur. Wenn mich schon allein der Anblick seiner nackten Beine kribbelig macht, was passiert dann erst mit mir, wenn ich ihn splitterfasernackt zu sehen bekomme. Gabriel, der meinen Blick beobachtet hat, beginnt zu lachen »Ich würde alles geben, um deine Gedanken lesen zu können!«, witzelt er »Ich glaube, das wäre nicht so gut. Denn das hätte mich wahrscheinlich schon in so manch’ peinliche Situation gebracht.« »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas gibt, das dir peinlich sein muss.« Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um mit der restlichen Wahrheit herauszurücken, denke ich und will schon zu einer Antwort ansetzen, doch ehe ich mich versehe, packt mich Gabriel und ich liege nun bäuchlings auf seinem festen Körper. Mit der einen Hand hält er mich dicht an sich gedrückt und mit der anderen hält er meinen Nacken und zieht mich näher zu sich heran. Unsere Lippen berühren einander und was als harmloses Küsschen beginnt, artet in einer wilden Knutscherei aus. Er hat wunderbar weiche Lippen und eine äußerst geschickte Zunge, die er genau richtig einzusetzen weiß. Meine Arme habe ich um seinen Nacken geschlungen und greife mit einer Hand in seinen dichten dunklen Haarschopf, was ihm ein leises Stöhnen entlockt. Seine Finger wandern hinunter an meinen Po und beginnen diesen mit kräftigem Druck zu kneten, wodurch unser Körperkontakt noch enger wird und ich nun deutlich seine mächtige Erektion spüren kann. Ich beginne leise zu stöhnen, wodurch sein Druck auf meine Pobacke noch fester und die Wölbung unter mir noch größer wird. Mein Kopf hat inzwischen auf Autopilot geschaltet und ist nicht mehr fähig klare Gedanken zu fassen. Ich genieße es, die Fäden in der Hand zu halten, da ich oben liege und mich an ihn schmiegen kann, wie es mir gefällt. Ich knabbere an seinem Ohrläppchen und arbeite mich weiter hinunter zu seinem Hals vor. Seine fiebrigen Hände gleiten ruhelos über meinen Körper, nur um uns dann mit einem Schwung nach rechts zu drehen, so dass ich nun unten liege und er über mir. Sein abgehackter Atem geht schwer und er sieht mich durch seine stählernen Augen fest an »Baby, du hast ja ganz rote Wangen bekommen!«, keucht er leise und schmunzelt dabei schelmisch. »Dabei ist das erst der Anfang!« Oha! Da der Autopilot auch mein Sprachzentrum ausgeschalten hat, kann ich nur dämlich grinsen und mit den Schultern zucken. Ein Grollen am Himmel holt mich in die Wirklichkeit zurück. Dunkle Wolken haben sich zu einer riesigen Front vereint, und scheinen nur noch den passenden Moment abzupassen, um sich der angestauten Wassermassen zu entledigen. Gabriel folgt neugierig meinem Blick nach oben »Wenn wir nachher nicht mit nassen Klamotten in deiner James-Bond-Kutsche sitzen wollen, dann sollten wir jetzt wohl besser los!« »James-Bond-Kutsche?«, fragt er irritiert und schaut mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Wobei mir der Gedanke, du in nassem Kleidern, außerordentlich gut gefällt.« Er erhebt sich mit einer flüssigen Bewegung von mir und zieht mich mit zu sich hinauf »Wir werden unser Picknick an einen anderen Ort verlegen müssen«, meint er nachdenklich und blickt auf das Körbchen mit den mitgebrachten Feinschmecker-Leckereien »Es wäre schade, wenn ich all die leckeren Sachen völlig unangerührt wieder mit nach Hause nehmen müsste.« »Schade wäre es, wenn du nachher völlig unangerührt nach Hause gehen würdest!«, erwidert er mit einem teuflischen Lächeln im Gesicht, schnappt sich Rotkäppchens Korb und läuft Richtung Wagen. Und diesmal bin ich es, die mit offenem Mund dasteht. Wir haben schon den halben Weg zum Parkplatz hinter uns gebracht, als es plötzlich anfängt zu regnen. Sintflutartiger Regen nimmt mir die Sicht und wir beginnen zu rennen. Glücklicherweise habe ich mich für flache Ballerinas und gegen Pumps entschieden, so dass mir der kurze Sprint nicht schwerfällt, was jedoch nichts daran ändert, dass wir bei der Ankunft am Wagen beide triefend nass sind. Ich lasse mich keuchend in den Sitz plumpsen und streife mir meine nassen Schuhe von den Füssen, dann klappe ich die Sonnenblende nach unten, um mich im Spiegel zu begutachten. Mein wasserfester Mascara hält was er verspricht, ganz im Gegensatz zu meinem Haarspray. Die Dame in der Werbung sah bei Regen deutlich besser aus, denke ich mir und versuche die nassen und klebrigen Strähnen am Kopf zu entwirren. Doch jeglicher Versuch etwas Passables daraus zu zaubern, scheitert. Innerlich bin ich angefressen, dass all meine Mühe, heute blendend und unwiderstehlich auszusehen, binnen Sekunden zunichte gemacht wurde, doch da fällt mir ein, dass ich immer einen Zopfgummi in meiner Handtasche habe. Nach kurzem Wühlen werde ich fündig und flechte mir einen schlichten Zopf, den ich rechts über meine Schulter fallen lassen. Voilà. Gabriel, der mich aus dem Augenwinkel beobachtet hat, schüttelt nur den Kopf »Du brauchst dir gar nicht erst die Mühe zu machen! Du siehst überaus sexy aus mit deinen zerzausten Haaren, und dieses transparente Shirt erst!«, meint er grinsend, während sein Blick hinunter zu meinem Oberteil wandert, das völlig durchnässt ist und rein gar nichts mehr von meinem Spitzen-BH verhüllt »Dann kann ich es ja eigentlich auch gleich ausziehen!« Ich höre sein langgezogenes Stöhnen und kichere in mich hinein. Das wird noch ein ganz interessanter Nachmittag. Hinter hohen Mauern kann ich ein modernes Wohnhaus erspähen. Wir sind am Ziel unserer Reise angekommen. Mein Wunsch, heute noch Gabriels Privatsphäre erkunden zu können, wird erfüllt. Ich bin ja so neugierig. Wobei es mich nicht wirklich überrascht, dass Gabriel in so einem noblen Prunkbau lebt, schließlich handelt er selbst mit Immobilien. Wir halten vor einem großen Tor und Gabriel betätigt mit einer Fernbedienung den Türöffner. Die schweren Metalltüren gleiten auseinander und man erhält nun eingeschränkte Sicht auf den überragenden Wohnkomplex und die ihn umgebende riesige Gartenanlage. Der anthrazitfarbene puristische Block mit dem Flachdach nimmt meinen Blick gefangen. Schlichte Eleganz gepaart mit moderner Architektur, genauso würde ich auch gern wohnen wollen. Woraus ich schließe, dass ich soeben eine weitere Gemeinsamkeit entdeckt habe »Wohnst du hier allein?«, kommt es mir über die Lippen, schneller als ich denken kann »Ja.«, lautet seine schlichte Antwort »Ganz schön groß für einen allein, findest du nicht?« »Natürlich wäre es zu zweit hier schöner, aber es macht mir nichts aus. Ich bin es gewöhnt allein zu sein.« »Hast du denn keine Geschwister?« »Nein. Ich bin ein Einzelkind. Meine Mutter wurde nach meiner Geburt sehr krank und konnte danach keine Kinder mehr bekommen.« »Das tut mir leid!« »Muss es nicht! Hast du Geschwister?« »Ja, eine Schwester. Aber die lebt in Florida mit ihrem Mann. Wir telefonieren zwar einmal die Woche, aber ich vermisse sie unendlich.« »Kann ich mir vorstellen. Sieht sie aus wie du?« »Überhaupt nicht. Sie ist das krasse Gegenteil von mir! Helen geht mir gerade mal bis zur Schulter und hat rote Haare. Keine Ahnung von wem sie die wohl geerbt hat. Als Kind riefen ihr die Klassenkameraden immer „Feuermelder“ hinterher. Das hat sie sehr gekränkt.« Bei dem Gedanken daran, muss ich lächeln. Helen war als Kind wirklich eine Superzicke und Petze. Wir beiden hatten uns so oft in den Haaren, vermutlich lag es an der einfachen Tatsache, dass wir das Zimmer miteinander teilen mussten. Keiner von uns hatte einen Rückzugsort und schikanierte den Anderen bei jeder sich bietenden Möglichkeit. So grenzt es schon fast an ein Wunder, dass wir uns heute umso besser verstehen. Bei dem Gedanken an meine „kleine“ Schwester, die eigentlich drei Jahre älter ist, zieht sich mein Herz zusammen und ich merke mal wieder, wie sehr ich sie eigentlich vermisse. Warum musste sie auch zum Studieren nach Amerika gehen? Österreich hätte es doch auch getan! Gabriel hält den Wagen direkt vor dem Eingang und wir steigen aus. Ich schaue mich staunend um und komme mir vor wie bei „Schöner Wohnen“. Die Gartenanlage ist einfach traumhaft. Gabriel, der meinen Blick bemerkt hat, meint schulterzuckend: »Warte ab, bis du die Rückseite des Hauses gesehen hast!« Ich bin schwer beeindruckt, als mir Gabriel die Eingangstür aufhält und ich Zutritt zu seinen privaten Räumlichkeiten erhalte. Wie schon erwartet ist alles sehr modern eingerichtet, eindeutig die Handschrift eines Innenarchitekten, denn wie eine Junggesellenbude sieht das hier eindeutig nicht aus. Ob er wohl eine Putzfrau hat, vielleicht sogar eine Haushälterin, die auch für ihn kocht? »Verbringst du viel Zeit zuhause?« »Leider nicht. Ich könnte zwar von zuhause aus arbeiten, aber ich habe auch Unmengen an Ortsterminen, die ich wahrnehmen muss.« Er führt mich quer durch den riesigen und offenen Ess- und Wohnraum. Mein Blick wandert umher und ich versuche so viele Details wie möglich aufzunehmen. Seine Möbel, die Essgruppe sowie das riesige Ecksofa sind allesamt in dunklen Tönen gehalten, was gut mit den hellen Böden harmoniert. Eine große Fensterfront zieht sich von der einen zur anderen Seite und eröffnet so die Aussicht auf die Terrasse und den angrenzenden Garten. Gabriel drückt an einer Paneele einen Knopf und die Türen gleiten auseinander. Gespannt trete ich hinaus auf die überdachte Veranda. Es hat inzwischen aufgehört zu regnen und der Himmel strahlt in seinem schönsten Blau. Wie schon von Gabriel angedeutet, ist der hintere Teil des Gartens einfach unglaublich. Wie in einer Parkanlage schlängelt sich ein Fußweg durch die riesige Grünanlage, gesäumt von unterschiedlichen Baumarten und Hecken. In einer Nische steht unter einem Rosenbogen ein kleines Bänkchen, direkt vor einem künstlich angelegten Fischteich, alles vor dem Hintergrund Stuttgarts. Ich kann nur erahnen, welchen spektakulären Ausblick man erst nachts hier haben muss. Links neben der Veranda schließt sich auch noch ein Naturteich an, zu welchem ich hinüber schlendere »Badest du manchmal auch hier?« »Natürlich. Warum hätte ich ihn sonst anlegen lassen?«, meint er grinsend und zieht mich zu sich heran »Ich gehe jeden Tag baden, meistens nackt!« »Da wäre ich aber zu gern deine Nachbarin!« »Das kann ich mir richtig gut vorstellen, wie du im Mondschein auf deinem Balkon stehst und mich mit dem Fernglas beobachtest!« »Im Mondschein? Badest du etwa nachts?« »Kommt ganz darauf an, wann ich Zeit dazu habe. Bei so etwas bin ich sehr flexibel.« Gabriel verschließt meinen Mund mit seinem und ich bin wieder mal überrascht, wie gut er küssen kann. Seine Zunge streichelt sanft über meine Lippen und er beginnt seine Forschungsreise hinab zu meinem Hals. Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper und ich kralle, um Selbstbeherrschung strebend, meine Finger in seine Oberarme. Mit einem einzigen Ruck hebt er mich in seine starken Arme und trägt mich wieder zurück ins Haus. Vor dem Ledersofa macht er halt und lässt mich vorsichtig wieder herunter. Meine Knie zittern und ich bin immer noch außer Atem von unserem letzten Kuss. Er lässt nur kurz von mir ab, um mir mein nasses Shirt über den Kopf zu streifen, so dass ich nun mit BH bekleidet, vor ihm stehe. Mit zitternden Händen ziehe ich sein Oberteil aus, um schon beim Anblick seines nackten Oberkörpers noch kribbeliger zu werden. Meine Augen wandern über seine kräftigen Schultern, hinab zu seiner muskulösen Brust und dem Waschbrettbauch. Keine Frage, dieser Mann hält sich fit. Ich fahre mit meinen Fingern leicht über seine Brust und die Brustwarzen und entlocke ihm dadurch ein Stöhnen. Dann wende ich mich dem besten Teil seines Körpers zu und ziehe ihm ebenfalls seine Hose hinunter, so dass er nur noch mit einem knappen Slip vor mir steht. Die deutliche Ausbeulung in seiner Hose ist nicht zu übersehen und so beschließe ich weiter zu gehen »Oh Anna! Wenn du jetzt nicht damit aufhörst, dann werde ich mich nicht mehr beherrschen können und ich möchte gern in dir sein, wenn ich komme. Das wünsche ich mir schon so lang.« Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern, als er mich ein Stück von sich wegschiebt und mich eingehend mit feurigem Blick betrachtet. Mit leisen Schritten tritt er hinter mich und öffnet mir von hinten den BH, schiebt die Träger nach unten und mein Spitzendessous landet lautlos auf dem Wohnzimmerboden, gefolgt von meinem weißen Spitzentanga »Auch wenn ich dich jetzt sofort und hier nehmen will, möchte ich das erste Mal mit dir in meinem Bett genießen!«, wispert er in mein Ohr. Er hebt mich in seine muskulösen Arme und trägt mich hinauf in sein Schlafzimmer. Mit einem knappen Tritt gegen die Tür, gleitet diese auf und enthüllt das privateste Reich des Gabriel Bernard. Bevor ich mich überhaupt umsehen kann, wirft mich Gabriel auf sein Bett. Es ist ganz in Weiß gehalten, mit einer schwarzen Bettwäsche. Ich rutsche hinauf bis ans Bettende, Gabriel umrundet das Bett und mustert mich wie ein Löwe die Antilope »Wenn du mich so ansiehst, habe ich das Gefühl, dass du mich gleich auffressen willst«, witzle ich und merke die Aufregung in mir aufsteigen »Kann man mir das verdenken, dass ich dich mit Haut und Haaren haben möchte? Ich bin schließlich verrückt nach dir!« Und ich nach dir! Er legt sich zu mir ins Bett und wir setzen unsere Knutscherei von vorhin fort. Gierig aufeinander vergessen wir alles um uns herum »Hast du ein Kondom?« frage ich um Atem ringend »Ja, direkt neben dir, in der obersten Schublade meiner Kommode.« Ich zucke kurz zusammen, bei dem Gedanken daran, was Kondome in seiner Schublade zu suchen haben und ob er diese regelmäßig nachfüllen muss. Aber vorerst verdränge ich diesen aus meinem Kopf und öffne die Schublade. Ich kuschle mich an Gabriels starke Brust, während er sanft meinen Rücken streichelt. Gabriels Duft und Wärme, und der eben erlebte vermutlich beste Sex meines Lebens, schläfern mich zusehends ein und so fallen mir die Augen zu. Die Schmetterlinge in meinem Bauch scheinen die Achterbahn ebenfalls gut überstanden zu haben und liegen mit schlaffen Flügeln in der Ecke. Vor der großen Fensterfront hat sich die Sonne bereits verflüchtigt und steht kurz vor ihrem Untergang. Gabriels Stimme reißt mich aus meinem Dämmerschlaf »Weißt du eigentlich, wie froh ich bin, dass ich dich getroffen habe?«, flüstert er und küsst meinen Nacken »Das sagst du doch bloß, weil du jetzt Hunger bekommen hast und ich im Besitz eines vollen Schlemmerkorbes bin!«, spaße ich schlaftrunken und versuche ihn aufzuziehen »Da könntest du sogar Recht haben, Rotkäppchen!« Ich schaue zu ihm hinauf. Seine Haare sind vom Regen, Wind und wildem Sex leicht zerzaust und seine Wangen gerötet, vermutlich wie meine auch. Ich ziehe ihn zu mir herab, um ihn nochmals zu küssen. Eigentlich könnte ich ihn stundenlang küssen, habe ich das schon erwähnt? Auf einer Skala von 1 schlecht bis 10 sehr gut, wäre er ein 20’er Knutscher »Hast du Lust auf Picknick im Bett?«, flüstert er an meine Lippen »Wenn du auf Krümel im Bett stehst? Warum nicht?!« Eigentlich will ich ihn gar nicht gehen lassen, aber Gabriel befreit sich aus meinen Armen, schwingt sich mit einem breiten Grinsen aus dem Bett, schnappt sich im Gehen seine Jeans und verlässt das Schlafzimmer. Ich habe nun kurz die Chance seine prachtvolle Rückseite zu begutachten. Einfach wow! Der knackige Hintern und das Spiel seiner Rückenmuskulatur, wenn er sich bewegt, sind beeindruckend. Ob er wohl einen Personaltrainer hat? Ich setze mich auf und ziehe mir die Bettdecke bis unter das Kinn. Jetzt wo Gabriel das Bett verlassen hat, fröstelt es mich. Ich lasse unser erstes gemeinsames Date Revue passieren. Der Ausflug im Park war zwar kurz, aber oho. Was dann zuhause folgte, war einfach wundervoll, dass es schon fast nach Wiederholung schreit. Aber trotz alldem liegt mir etwas auf dem Herzen, dass ich unbedingt loswerden möchte. Ich muss Gabriel reinen Wein einschenken, und am besten warte ich da gar nicht erst lang damit, sondern werde es ihm während unseres Bettpicknicks sagen. Oder sollte ich besser abwarten, bis er aufgegessen hat? Es könnte ja auch sein, dass ich ihm gleich so sehr den Appetit verderbe, dass ich meine Schlemmereien wieder mit nach Hause schleppen muss. Vielleicht haut er mir aber das Körbchen gleich so um die Ohren, dass ich mir die Heimschlepperei sowieso sparen kann. Fragen über Fragen. Aber ich werde es erst wissen, wenn es soweit ist. Ich mache mir am besten aber schon mal einen Plan, wie ich anfange. In etwa so »Gabriel, weißt du eigentlich dass du mich sogar im Doppelpack bekommst?« Ach nee. Oder »Gabriel, möchtest du heute schon Papa sein?« Noch blöder. Vielleicht doch lieber »Gabriel, was ich noch sagen wollte, ….« Das Geklimper von Gläsern und Besteck reißt mich aus meinen Gedanken, während Gabriel das Schlafzimmer betritt, bewaffnet mit dem Picknickkorb, Weingläsern, Besteck und Tellern, sogar an Kerzen hat er gedacht. Wie süß. Ich stelle die Kerzen auf, während Gabriel die leckeren Sachen aus dem Körbchen holt. Erst jetzt merke ich, dass ich inzwischen einen fürchterlichen Hunger habe, was schließlich kein Wunder ist, da meine letzte Mahlzeit ein Müsli zum Frühstück war. Den Korb stellen wir auf das Bett und holen abwechselnd die leckersten Schlemmereien heraus. Antipasti, knuspriges Baguette, verschiedene Käsesorten und natürlich Trauben, mit denen ich von Gabriel gefüttert werde, mit jeweils einer kurzen Unterbrechung für ein Küsschen. Es herrscht wieder einmal eine sehr vertraute Stimmung und Gabriel scheint ebenfalls sehr gelöst. Er erzählt Geschichten aus seiner Kindheit, die geprägt war durch einen sehr strengen Vater, der ihn mit zwölf Jahren auf ein Internat schickte, weil das in den High-Society-Kreisen von Stuttgart wohl so üblich war. Für Gabriel bedeutete das, die noch größere Entfremdung zu seinen Eltern, vor allem zum Vater. Die Mutter scheint ein liebevoller Mensch gewesen zu sein, doch leider konnte sie gegen die Strenge des Vaters nicht viel unternehmen, vermutlich weil sie selbst zu viel Angst vor ihm hatte. Als der Vater dann mit fünfzig völlig überraschend an einem Herzinfarkt starb, konnte sich Gabriel endlich von dessen psychischen Fesseln lösen. Als er mir das alles so bereitwillig erzählt, spüre ich eine Traurigkeit in seiner Stimme, die zu Beginn des Gesprächs noch nicht da war. Er ist bei seinen Erzählungen zwar nicht allzu sehr ins Detail gegangen, aber ich bin mir sicher, dass er wohl eine schwierige Kindheit hinter sich haben muss. Und dann wird mir auf einmal klar, wie unterschiedlich unsere Leben seither verlaufen sind und wie verschieden wir beide eigentlich sind. Hier treffen zwei völlig fremde Welten aufeinander. Und doch habe ich das Gefühl, dass wir beide auf derselben Wellenlänge schwimmen. Ob ich das morgen auch noch so sehe? Inzwischen ist es draußen schon dunkel geworden und Gabriel und ich sitzen im schwachen Licht der Kerzen. Während er mich im Arm hält, schaue ich nach draußen durch die Fensterfront. An dem wolkenlosen Himmel kann man die Sterne sehen, was mich spontan an unseren ersten Kuss unter dem Sternenhimmel erinnert. An diesem Abend schaffte es dieser Mann, mich aus meinem Schneckenhaus zu locken. Wie macht er es bloß, dass ich mich in seiner Nähe so lebendig und begehrenswert fühle? »Gabriel, es gibt da etwas, dass …«, setze ich an und mein Redeschwall wird unsanft unterbrochen, als das Telefon im Nebenzimmer klingelt. Gabriel steht murrend auf und läuft hinüber. Ich kann ihn nun nicht mehr sehen, höre bloß noch seine barsche Stimme »Wie kann denn so etwas passieren? … Haben Sie bereits jemanden losgeschickt, um sie zu suchen? … Ich werde jetzt losfahren! Und verlassen Sie sich darauf, das wird ein Nachspiel haben!« Gabriel klingt sehr aufgebracht. Mit einem lauten Knall wirft er etwas auf den Tisch, vermutlich das Telefon, und rauscht zurück zu mir ins Schlafzimmer. Sorgenfalten zerfurchen sein schönes Gesicht und er fährt sich aufgeregt durch die Haare »Was ist los?«, frage ich besorgt »Oh Anna, es tut mir leid. Wir müssen das hier leider abbrechen. Meine Mutter wird vermisst. Ich muss sie suchen gehen!« »Was meinst du mit „vermisst“? Wurde sie etwa entführt?« Ich bin total verwirrt. In meinem Kopf spielen sich Szenen von maskierten Männern mit Pistolen ab »Entschuldige, das kannst du ja gar nicht wissen. Meine Mutter ist an Alzheimer erkrankt. Sie lebt deshalb in einem Pflegeheim, von dem sie soeben als vermisst gemeldet worden ist. Eigentlich wird sie dort rund um die Uhr beaufsichtigt, damit so etwas wie jetzt auf gar keinen Fall passieren kann!« Und dann schlägt er wütend mit der Faust gegen seinen Schrank. Ich fahre erschrocken zusammen und Gabriel kommt entschuldigend auf mich zugestürzt und streichelt mit der Hand über meine Wange »Ich wollte dich nicht erschrecken, Anna! Tut mir leid!« »Du brauchst dich doch nicht bei mir zu entschuldigen. Du bist nun mal ein Sohn, der sich um seine Mutter sorgt!« Ich gebe ihm noch einen letzten scheuen Kuss, bevor ich das kuschelige Bett verlasse und flüchtig meine Kleider zusammensuche. Da mein Oberteil immer noch nass ist, darf ich mich bei Gabriel am Kleiderschrank bedienen und schnappe mir ein T-Shirt, in welches zwei Annas passen könnten. Schon jetzt weiß ich, dass ich es lieben werde, weil es mich ab sofort immer an ihn erinnern wird. Und genau deshalb werde ich es auch nicht mehr zurückgeben. Hastig rennen wir die Treppe hinunter und laufen zu Gabriels Auto. Mist, mein Auto ist zuhause! Oh nee »Gabriel, ich habe ganz vergessen, dass ich kein Auto dabeihabe. Ich werde mir ein Taxi rufen, dann könntest du direkt zum Pflegeheim fahren, um nach deiner Mutter zu schauen.« Gabriel schaut mich irritiert an. Ich merke, wie er zwischen Vernunft und Gefühl hin und her pendelt. Die Geliebte in ein Taxi setzen, um seine verschollene Mutter zu suchen oder sie doch lieber selbst nach Hause bringen. Ich spüre schon förmlich die Rotation seiner Gehirnwindungen »Du brauchst dir keine Gedanken machen, es ist besser so, glaub mir.«, versuche ich ihn zu überzeugen. »Deine Mutter braucht dich jetzt.« »Aber ich kann dich doch nicht schon wieder in ein Taxi setzen!«, meint er seufzend »Doch du kannst! Und jetzt los! Wir telefonieren einfach später!« Wir umarmen uns ein letztes Mal. Ich halte sein hübsches Gesicht in meinen Händen, um ihn noch einmal zu küssen und anschließend zu seinem Wagen zu schieben. Als er mit samt seinem Porsche aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, fühle ich blöderweise eine kleine Erleichterung. Das Schicksal hat mir eine wichtige Entscheidung heute Abend abgenommen. Hört sich eigentlich doof an, aber wer weiß zu was das immer gut ist. Also werde ich mit „Pflicht oder Wahrheit“ noch ein bisschen warten müssen. Das Taxi hat mich vor wenigen Minuten zuhause abgesetzt und ich bin gerade im Begriff die Haustür aufzuschließen, als bereits Gabriel anruft. Man hat seine Mutter an einer Bushaltestelle sitzend aufgefunden, nur bekleidet mit einem Nachthemd und ihrem „Sonntags-Handtäschle“. Eine Pflegerin hat wohl für einen kurzen Moment die Sicherheitstür offengelassen, die sonst nur mit einem Pincode zu öffnen ist und so hat sich Frau Bernard kurzerhand aus dem Staub gemacht. Es ist zwar alles gut ausgegangen, aber in der Haut der Pflegerin möchte ich nun wirklich nicht stecken. Als ich später in meinem Bett liege, denke ich an unser Telefonat und Gabriels Geständnis zurück »Anna, unser Tag heute, war der schönste, den ich seit sehr langer Zeit erlebt habe und ich kann es kaum erwarten, dich wieder bei mir zu haben …. ich weiß wirklich nicht, was du mit mir machst, aber bitte höre nicht damit auf.« Wenn das mal nicht ein kleines Liebesgeständnis ist, dann weiß ich auch nicht. Ich schwebe in Glückseligkeit und kann es ebenfalls auch nicht erwarten, ihn wiederzusehen, was ja zum Glück schon in drei Tagen der Fall sein wird. 2 Tage später. Gestern hatte ich ein Date mit einem Stammkunden. Es war ja eigentlich wie immer, besser gesagt, er war wie immer und doch war alles anders. Vermutlich weil ich nicht mehr die bin, die ich eigentlich sein sollte. Die letzten zwei Treffen mit Gabriel haben mich irgendwie verändert. Ich habe keine Lust mehr, mich mit anderen Männern zu treffen, geschweige denn, mich ihnen anzubieten. Deshalb sage ich die nächsten Dates vorerst ab. Meine Begründung: Magen-Darm-Grippe. Die Stellenanzeigen in Stuttgart und Umgebung geben leider immer noch nicht viel her, dann muss ich wohl oder übel mit der Umstrukturierung meiner zukünftigen Lebensphase noch ein bisschen warten. Gabriel und ich telefonieren inzwischen mehrmals täglich miteinander. Zwischen anzüglichen Bemerkungen erzählt er mir über seinen Arbeitsalltag und lästert sogar ein bisschen über seine ganz speziellen Kunden und deren noch spezielleren Kundenwünsche. Erst letzte Woche hat ihn ein Kunde beauftragt ein großes Gebäude zu finden, damit er sich seinen Lebenstraum, einen eigenen Swinger-Club, erfüllen kann. Sachen gibt’s. Gabriel hat sich seither noch nicht zu meiner Arbeit geäußert. Ich vermute mal, dass er meint, es würde ihm nicht zustehen etwas dazu zu sagen. Als ich ihm aber sagte, dass ich diese Woche keine Termine mehr hätte, wirkte er jedoch sehr gelöst. Ich sollte mit ihm auch über mein Vorhaben sprechen, mit dem Escort aufzuhören. Sicherlich wird es ihn freuen. Am Abend telefoniere ich kurz mit Nele, die sich seit ihrem ersten Zusammentreffen mit Ramón ziemlich rar gemacht hat »Süße, wie läuft’s mit dem Immobilienheini?«, fragt sie mich lachend »Eigentlich ganz gut. Doch leider können wir uns nicht allzu oft sehen, weil er beruflich stark eingespannt ist!« »Das bist du ja eigentlich auch, oder?« »Wenn ich ehrlich sein soll, zurzeit eher nicht!« »Warum denn nicht?« »Ich habe einfach keine Lust mehr, meine Zeit mit anderen Männern zu verbringen. Seit ich Gabriel kenne, bekomme ich zunehmend das Gefühl, dass ich etwas an meiner Situation ändern muss. Natürlich in erster Linie beruflich.« Ich wappne mich innerlich schon für eine Schimpftirade von Nele, die mir einen ausführlichen Vortrag über die finanzielle Abhängigkeit (einer alleinstehenden Mutter) von einem Mann, hält. Doch zu meiner Verwunderung kommt nichts. Gar nicht gut »Und wann wirst du ihm Sammy vorstellen?« »Vorerst gar nicht, weil er nämlich noch nichts von ihm weiß!« Ich höre ein Schnaufen am anderen Ende der Leitung und dann poltert sie auch schon los »Ich glaub ich spinne! Du willst mir gerade weismachen, dass du wegen Gabriel als Escort-Dame aufhören möchtest, beendest deine finanzielle Unabhängigkeit wegen diesem Typen, von dem du vermutlich glaubst, dass er der Mann fürs Leben ist. Und dann willst du nicht mal in diese zukünftige Planung dein eigenes Kind miteinbeziehen, von dem er schon längst wissen müsste, dass es den Kleinen überhaupt gibt. Aber vermutlich hattet ihr kaum Zeit zu reden, weil ihr so mit vögeln beschäftigt wart.« Ich höre ein hartes Schnaufen, dann wieder Stille »Jetzt beruhig dich mal, Nele! Erstens haben wir bisher nur einmal gevögelt, so wie du es nennst und außerdem hatte ich bisher nie wirklich die Gelegenheit es ihm zu sagen. Ich warte einfach nur auf den richtigen Moment!«, versuche ich mich rechtzufertigen »Aha, und wann wäre der richtige Moment für dich?« »Beim nächsten Treffen!« Obwohl mir Nele mal so richtig den Kopf gewaschen hat, kann ich ihr mal wieder nicht böse sein. Ich weiß schließlich, dass sie sehr impulsiv sein kann, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. In diesem Fall liegt es an der Tatsache, dass sie es nicht ertragen könnte, wenn das mit Gabriel ein Schuss in den Ofen wird und ich dann schlussendlich allein und ohne Mann und ohne Kohle dastehen würde. Ich wollte ihr eigentlich noch von meinen zukünftigen beruflichen Plänen erzählen, doch das werde ich erstmal verschieben, bis sie sich wieder etwas beruhigt hat. Heute sehe ich Gabriel wieder! Dieses Mantra wiederhole ich schon den ganzen Tag. Und ich werde ihn zu mir nach Hause einladen. Das habe ich mir fest vorgenommen. Wenn das mal keine Premiere ist, nach meiner letzten schlechten Erfahrung. Aufgeregt wie ein kleines Kind, husche ich durch Wohnung und putze hier und putze da. Habe auch schon die ersten Vasen mit Blumen aufgestellt und bin danach zum Einkaufen, um mich mit Wein und leckeren Delikatessen einzudecken. Der Babysitter für Samuel ist auch schon gebucht, nämlich Nele. Während Sammy noch seine Kuscheltiere für die Übernachtung zusammensucht, hat es sich Nele auf meinem Sofa bequem gemacht und zappt durch das Fernsehprogramm. Sie bleibt auf einem Musiksender hängen und um ein Haar hätte ich bei dem Lärm den Klingelton meines Handys nicht gehört »Hallo Gabriel!«, schmachte ich ins Telefon »Hallo Anna!« Beim Klang seiner niedergeschlagenen Stimme, werde ich hellhörig »Ich weiß, dass wir uns heute sehen wollten, aber ich habe vor einer Stunde überraschend einen wichtigen Termin mitgeteilt bekommen, den ich leider nicht absagen kann. Ich werde für ein paar Tage nach Chicago fliegen und bin schon auf dem Weg zum Flughafen.« »Oh!« »Mir tut es wirklich leid! Du weißt gar nicht wie sehr ich mich heute auf dich gefreut habe!« »Ich mich auch!« Mehr als du dir denken kannst! »Aber dieser Termin ist wirklich wichtig, es geht um ein großes Projekt in Chicagos Finanzzentrum, an dem ich schon sehr lange arbeite. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen?« »Du wirst es jedenfalls wieder gut machen müssen, das ist dir schon klar, oder?«, versuche ich ihn aufzuziehen und mich etwas aufzumuntern »Ich mache alles, was du willst!« »Das hört sich doch gut an. Ich werde mir etwas überlegen, bis du wieder da bist!« »Darf ich auch nackt dabei sein?«, fragt er schelmisch »Auf jeden Fall, sonst wäre es ja keine Entschädigung für mich!« »Springt dabei auch was für mich heraus?« »Schauen wir mal!« Er seufzt ein letztes Mal, dann verabschieden wir uns und er legt auf. Mit hängenden Schultern gehe ich zurück ins Wohnzimmer, wo Nele sich inzwischen eine Telenovela anschaut. Als sie das mit Gabriel hört, lacht sie mich höhnisch an »Da bist du aber froh, was?« Ich zeige ihr den Mittelfinger. Diese einfache Geste drückt meine gegenwärtige Gefühlslage aus. Mit weichen Knien gehe ich zu ihr hinüber, lasse mich auf das Sofa plumpsen und ziehe meine Knie eng an den Körper. Heute wollte ich ihm reinen Wein einschenken. Aber im Moment kann ich nicht gerade behaupten, dass ich über diese Verzögerung sonderlich froh bin. Im Gegenteil, umso länger ich die Sache hinauszögere, umso hinterhältiger und schlechter fühle ich mich. Aus einem Impuls heraus, schnappe ich mir das Handy und schreibe Gabriel eine Nachricht. Vielleicht hat er das Handy ja noch an. „Wenn du wieder zurück bist müssen wir unbedingt miteinander sprechen. Es gibt da etwas, das du wissen musst.“ Prompt schickt er eine Nachricht hinterher. Er ist vermutlich noch nicht im Flugzeug. „Das hört sich aber nicht gut an. Ich hoffe es hat nichts mit uns beiden zu tun. Sollen wir telefonieren, wenn ich angekommen bin?“ Wenn er wüsste, dass es mit uns „dreien“ zu tun hat. „Nein, das ist etwas, das ich dir nur persönlich sagen kann. Mach dir einfach keine Sorgen und vertrau mir. Ich vermisse dich jetzt schon!“ Als ich später Nele die Nachricht zeige, nimmt sie mich versöhnlich in den Arm »Ich hoffe wirklich für dich, dass er dir vertraut und dich auch mit Anhängsel akzeptieren kann. Falls er Probleme macht, bekommt er es mit mir zu tun, das garantiere ich dir!« »Ich hoffe das für uns auch!«, murmle ich leise und mir steckt schon der erste große Kloß im Hals. Emotionen, die sich in den letzten Tagen angestaut haben, suchen sich nun den Weg nach draußen und ich lasse es zu. Nele nimmt mich in den Arm und tröstet mich, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Gabriel ruft mich jeden Tag aus Chicago an. Es ist bereits der vierte Tag, seit er dort ist. Diese Telefonrechnung möchte ich lieber nicht sehen. Er berichtet mir von den neuesten Entwicklungen seines Projektes in Chicago und ich kann ihm einigermaßen folgen. Bernard Immobilien versucht gerade auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen und es hat sich eine nahezu einmalige Gelegenheit ergeben, im dortigen Finanzzentrum mehrere Immobilien zu erwerben, die sonst mehr oder weniger unter der Hand weggehen. Ich kann Gabriel also nun wirklich nicht allzu böse sein, dass wir uns eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr sehen, bloß weil er im Gegensatz zu mir seine berufliche Chance nutzt, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bietet. Mehrmals am Tag schickt er mir Bilder, die er vom Sears Tower Skydeck aus gemacht hat, vom Lake Michigan und von den zahlreichen kleinen schnuckeligen Cafés, in denen er meistens sitzt, um auf den nächsten Termin zu warten „Ich wünsche mir im Moment nichts sehnlicher, als mit dir diesen tollen Ausblick zu genießen!“ steht unter dem letzten Foto, das er mir eben geschickt hat. Mir war bisher nicht wirklich bewusst, dass er so eine romantische Ader hat „Und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du endlich DIESEN Anblick wieder genießen kannst!“ Und damit schicke ich ihm ein Foto von mir … mit gespreizten Beinen in meiner schönsten Unterwäsche. Diese Idee kam so impulsiv, dass ich sie jetzt schon fast bereue. Was ist, wenn er das zu obszön findet? Oder noch schlimmer, ins Internet stellt?! Ein Pling kündigt seine Antwort an. „Was für ein Anblick! Vielen Dank auch! Jetzt ist meine Hose so eng, dass ich Schwierigkeiten habe zu laufen ;-) Blöd nur, dass ich gerade auf dem Weg zu einem Meeting bin!“ Oh Mist! „Das tut mir aufrichtig leid! Ich würde ja gern Abhilfe schaffen, aber ich fürchte das wird noch warten müssen!“ „Das Mitleid ist ganz auf meiner Seite! Ich kann es kaum erwarten, dir diese Unterwäsche vom Körper zu reißen. Du wirst drei Tage nicht mehr laufen können, wenn ich mit dir fertig bin!“ „Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?“ „Die Analyse dieser Nachricht überlasse ich gern deinem Kopfkino! Muss jetzt leider Schluss machen, da ich bereits erwartet werde! Ich vermisse dich unendlich!“ Nach unserem erotischen Geplänkel bin ich dermaßen überdreht, dass ich mich kaum auf etwas anderes konzentrieren kann. Was wollte ich eigentlich gerade machen? Oma Eleni und ich sind gerade auf dem Weg in die Innenstadt, im Schlepptau Sammy, der mit seinen blonden Locken alle Blicke auf sich zieht. Dass ich meinen Sohn zum Anbeißen finde, versteht sich ja von allein, dass es aber den anderen Passanten genauso geht, freut mich dann natürlich umso mehr. Meine Mutter trifft sich dieses Wochenende wie jedes Jahr mit ihren Altersgenossen und natürlich wie jedes Jahr fehlt ihr dazu die passende Garderobe. Man kann durchaus sagen, dass sie in Bezug auf ihre äußerliche Erscheinung sehr eitel ist. Es käme ihr niemals in den Sinn, zu solchen Anlässen zweimal dieselbe Garderobe zu tragen. Zwei Stunden später und ein kleines Vermögen ärmer verlassen wir Peek & Cloppenburg mit mehreren Taschen. Eleni hat sich letzten Endes für ein luftiges kanariengelbes Leinenkleid mit dazu passenden Schuhen und Handtasche entschieden »Anna, es ist mir unangenehm, dass du schon wieder so viel Geld für mich ausgegeben hast. Deine Mutter hat schon noch so viel Geld auf der Seite, dass sie sich das selbst kaufen kann.«, bemängelt sie und zieht missbilligend die eine Augenbraue nach oben »Ja, ich weiß es. Das sagst du mir jedes Mal!« »Und wie jedes Mal, widersetzt du dich mir, du kleiner Sturkopf!« »Von wem ich den wohl habe?«, entgegne ich süffisant grinsend. Meine Mutter schüttelt missbilligend den Kopf, hakt sich aber dennoch bei mir ein. Das Thema ist hiermit für uns beide erledigt »Für wen machst du dir denn eigentlich so viel Mühe? Du gehst doch schließlich bloß zu deinen Altersgenossen?« »Für niemanden. Warum fragst du?« »Ich meine ja nur. Vielleicht gibt es dort einen netten älteren Herrn, der, so wie du, alleinstehend ist?« »Willst du mich etwa verkuppeln? In meinem Alter?«, fragt sie mich überrascht und als ich dann ihren schockierten Gesichtsausdruck sehe, muss ich anfangen zu lachen »Ja, warum denn nicht?!«, antworte ich und lache schallend. »Es wird Zeit, dass du mal wieder die Zeit mit jemandem verbringst, der nicht mit dir verwandt ist. Du bist definitiv zu jung, um allein zu bleiben.« »Anna, in meinem Alter ist man das Alleinsein schon gewöhnt. Außerdem erlebe ich gerade das letzte Viertel meines Lebens. Und das schaff’ ich auch noch gut ohne Mann.« »So ein Quatsch. Man muss doch nicht zwangsläufig das letzte Viertel allein sein. Zu zweit macht es doch gleich viel mehr Spaß.« »Aber ich habe doch meinen Spaß! Mein Enkel und meine Tochter reichen mir völlig.« »Wir werden auch immer für dich da sein, aber ich glaube, dass die Zeit gekommen ist, dass du dich mal auf etwas Neues einlassen solltest!« Ob das auch für mich zutrifft? »Meinst du wirklich?« »Ja, das meine ich!« »Ich lasse es mir durch den Kopf gehen!« »Na, das hört sich doch gut an! So, und jetzt lass uns noch einen Kaffee trinken gehen! Und Sammy bekommt natürlich ein Eis!« Beim Wort „Eis“ reißt Samuel jubelnd die Arme hoch und hüpft aufgeregt vor uns her. Vor mir steht ein einsames Wochenende. Samuel ist bei seinem Papa, mit dem er am Sonntag einen Ausflug in den Stuttgarter Zoo, die Wilhelma unternehmen wird. Gabriel ist leider immer noch in den Staaten und weiß bis jetzt noch nicht wann er wieder nach Hause fliegt und Nele ist zu allem Überfluss mit ihrem neuen Lover, Womanizer Ramón, über das Wochenende weggefahren. Dass sie sich auf so einen windigen Mann einlässt, lässt mich verwundert den Kopf schütteln. Eigentlich ist er überhaupt nicht ihr Typ. Aber was verstehe ich schon davon. Ich hatte in meinem bisherigen Leben auch schon so manchen Fehlgriff bei der Wahl meiner Männer. Bin mal gespannt, wie sich die Beziehung von Nele und Mister Kuba weiterentwickelt. Ich bin auf dem Weg Richtung Wilhelma, stecke aufgrund verschiedener Baustellen in Stuttgarts City im Stau und versuche trotzdem pünktlich zu sein, um Samuel vom Zoo abzuholen. Mein Wochenende hat sich zum reinsten Wellness-Programm entwickelt. Am Freitag bin ich spontan zum Frisör gegangen, habe meine inzwischen zu langen Haare etwas schneiden lassen. Leicht gestuft, fallen sie mir luftig über Rücken und Schultern. Den Samstag habe ich mit einer Shoppingtour verbracht und mich mit neuen Beauty-Accessoires eingedeckt, die ich dann am Sonntag gleich zum Einsatz gebracht habe. Gesichtsmaske, Maniküre und Pediküre. So dass ich jetzt, Sonntagabend, wie aus dem Ei gepellt aussehe. Als ich am Ausgang des Zoos zum Stehen komme, kommt mir Samuel schon lachend entgegengerannt. Ich fange ihn mit ausgebreiteten Armen auf und wirble ihn im Kreis herum. Wie immer habe ich ihn sehr vermisst, auch wenn er bloß zwei Tage weg war. Patrick folgt seinem Sohn und sieht völlig tiefenentspannt aus. Die Wochenenden mit seinem Kleinen genießt er voll und ganz, was vermutlich daran liegen könnte, dass er sonst die Woche über allein ist. Mit seinem abgetragenen Kapuzenpulli, der locker sitzenden Jeans und den verstrubbelten dunkelblonden Haaren sieht er aus wie der typische Student, der er mal war. Er hat sich in den letzten Jahren seit wir uns kennen, optisch kaum verändert. Und auch wenn er eigentlich gut aussieht, weckt er dennoch keinerlei Gefühle mehr in mir. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, war das eigentlich nie wirklich anders. Patrick war schon immer mein bester Freund, seit wir uns während dem Studium kennengelernt haben. Dass sich daraus eine Beziehung entwickeln würde, hätte keiner von uns beiden jemals gedacht. Am Anfang unserer Beziehung war ich wirklich der Meinung, richtig verliebt zu sein, aber schon kurz darauf merkte ich, dass es nur die rosarote Brille war, die ich vergessen hatte, abzunehmen. Was allerdings Patricks Gefühle für mich betrifft, hat sich seither kaum etwas verändert. Er liebt mich noch immer, was er mir bei so ziemlich jedem unserer Treffen demonstriert. Auch heute umarmt er mich zur Begrüßung über die Maße herzlich und wir plaudern entspannt über das vergangene Wochenende, welches wohl recht turbulent gewesen sein muss. Sammy ist immer noch ganz aufgedreht und hüpft ausgelassen um uns herum. Der Blick auf meine Uhr sagt mir, dass wir allmählich los müssen, Sammy muss schließlich ins Bett. Als ich mich verabschieden möchte, hält mich Patrick jedoch länger im Arm, als es für Expartner üblich ist. Und wäre das nicht schon genug, drückt er mir noch einen Kuss auf den Mund und lächelt mich mit seinem jungenhaften Charme schelmisch an. Sammy hängt wie ein kleiner Affe an unseren Füßen und grinst ebenfalls zufrieden. Patrick weiß genau, dass ich diese Art von Spielchen hasse und trotzdem tut er es immer wieder. Vielleicht sollte ich einfach mal den Mut besitzen und es ihm noch einmal ausdrücklich sagen. Ich winde mich aus den Klauen der beiden Herrschaften, schnappe mir Samuels Hand und ziehe in Richtung Parkplatz fort, ohne mich noch einmal zu Patrick umzudrehen. Ich bin, um ehrlich zu sein, leicht angesäuert. Während ich auf mein Auto zusteuere, reißt mich das Handy aus meinen Gedanken. Als ich auf das Display schaue, erkenne ich Gabriels Nummer. Mein Herz macht wie immer einen Sprung, wenn er mich anruft und so nehme ich das Gespräch freudestrahlend entgegen »Hallo mein Lieber!«, begrüße ich ihn fröhlich »War es das, was du mir unbedingt sagen wolltest, Anna?«, fällt mir Gabriel lautstark ins Wort und mir friert kurzfristig mein blödes Grinsen ein »Gabriel, wovon sprichst du?« »Tu doch nicht so blöd! Du weißt genau was ich meine. Doof nur, dass ich es auf die Art und Weise erfahren habe!« »Tut mir echt leid, aber ich stehe vermutlich auf der Leitung. Was willst du mir überhaupt sagen?«, entgegne ich mit verdutzter Miene »Schau mal über die Straße! Verstehst du es jetzt?« Ich bleibe wie angewurzelt stehen und schaue auf die andere Straßenseite. Gabriel. In voller Lebensgröße steht er dort mit dem Handy am Ohr und schaut mich wütend an. Oh nein! In diesem Moment fällt dann auch schon bei mir der Groschen. Ich versuche mich aus meiner augenblicklichen Schockstarre zu lösen und schaffe es sogar mit meinem Mund Worte zu bilden »Seit wann bist du denn zurück?« Das ist der erste Satz, der mir dazu einfällt. Gabriels höhnisches Lachen erklingt in meinem Ohr »Da bin ich wohl zu früh zurückgekommen, was? Dabei wollte ich dich heute Abend noch überraschen. Scheint fast so, als ob du mir zuvorgekommen bist.« »Gabriel, lass uns jetzt nicht am Telefon darüber sprechen. Bleib wo du bist, ich komme rüber!«, erwidere ich schnell »Mach dir bloß keine Mühe«, herrscht er mich an. »ich bin fertig mit dir!« »Bitte Gabriel, nein! So lass es mich doch erklären!«, versuche ich verzweifelt das Gespräch am Laufen zu halten »Da gibt es nichts mehr zu erklären. Ich weiß, was ich gesehen habe und das reicht mir.« »Bitte Gabriel, sag’ doch so etwas nicht! Es ist vermutlich nicht ganz so wie du denkst!« Ich ringe bereits mit den ersten Tränen und meine Hände zittern wie verrückt, während Samuel genervt an meiner Jacke zerrt »Mami, können wir endlich weitergehen! Ich will nach Hause!« »Na komm schon, Mami,«, sagt Gabriel vorwurfsvoll, »schnapp dir den Kleinen und deinen Lover und geh nach Hause!« Und dann steckt er sein Handy weg, geht zu seinem Wagen und fährt weg. Ich jedoch bleibe schockiert mit Tränen in den Augen am Straßenrand stehen und blicke ihm betroffen hinterher, wie er in Stuttgarts Verkehr verschwindet. Zusammengerollt liege ich auf meinem Bett und werde erneut von Heulkrämpfen geschüttelt. Um mich herum liegen Berge von benutzten Taschentücher und im Hintergrund stimmt gerade Adele ihr „Someone like you“, an. In meinen Gedanken stehe ich vor der Wilhelma und winke Gabriel über die Straße, der dann freudestrahlend zu Sammy und mir herübergelaufen kommt. Wir nehmen uns herzlich in die Arme und gehen gemeinsam nach Hause. Tagträume. Wäre das Ende zu verhindern gewesen, wenn ich früher mit ihm Klartext geredet hätte. Vermutlich. Oder auch nicht. Ach, ich weiß es nicht. Und wieder laufen mir die Tränen über die Wangen. Zum Glück kann ich mich auf meine Mutter verlassen, die den Kleinen zu sich genommen hat, nachdem sie gesehen hat, wie am Boden zerstört ich bin. Ich musste ihr natürlich das ganze Szenario mit Gabriel bis ins kleinste Detail erklären, was ich bisher immer für mich behalten hatte. Aber meine Mutter, ganz die Verständnisvolle, hat mich einfach nur gedrückt ohne mir große Vorhaltungen zu machen. Seit Gabriel mit mir Schluss gemacht hat, ist inzwischen ein Tag vergangen, aber gelindert ist der Schmerz in keinster Weise. Im Gegenteil. Mir kommen unsere Treffen in den Sinn und ich gehe im Kopf noch einmal durch, was er mir über sich erzählt hat. Schon bei unserem mitternächtlichen Date in der Imbissbude war mir klar, dass ich einen Seelenverwandten gefunden habe. Jemanden, mit dem ich eine richtige Beziehung aufbauen möchte. Und nun? Alles aus und vorbei. Meine Zukunft, die ich mir mit dem neuen Designermodell der rosaroten Brille ausgemalt habe, liegt in Trümmern zwischen meinen verrotzten Taschentüchern »Ach Anna, komm’ schon! Du musst jetzt wirklich mal aufhören. Wenn du so weiterweinst, wirst du innerlich vertrocknen.« Nele kommt zu mir ins Schlafzimmer, setzt sich zu mir auf das Bett und reicht mir eine Tasse Tee. Vermutlich hat sie den Wohnungsschlüssel von meiner Mutter bekommen und sich so den Zutritt verschafft »Das ist eine Bachblütenmischung für dunkle Stunden. So hat es zumindest die Apothekerin gesagt.« Mir ist klar, dass sie mich aufmuntern will und ich schenke ihr zum Dank ein kleines Lächeln, das sie erwidert »Weißt du was, Süße? Ich hätte jetzt wirklich große Lust, deinen Vollidioten von Ex einfach anzurufen und ihm mal so richtig die Hölle heiß zumachen. Wegen ihm gehst du schon auf dem Zahnfleisch.« »Nele, lass’ gut sein! Ich bin doch selber schuld. Ich hätte auf dich hören und ihm früher die Wahrheit sagen sollen. Jetzt ist es nun mal zu spät. Ich werde mich früher oder später schon damit abfinden. Meine Mutter sagt immer: Die Zeit heilt alle Wunden.« »Ich würde eher sagen: Den Letzten beißen die Hunde. Ich für meinen Teil werde mir nicht mit ansehen, wie du dich gedanklich selbst zerfleischt mit Unterstützung von Adeles Tränendrücker. Wenn ich morgen wiederkomme, lege ich dir AC/DC ein und dann treten wir dem Immobilien-Mogul mal richtig in seinen Hintern. Einverstanden?« »Nein!«, schluchze ich und setze mit zitternden Händen die Teetasse an meinen Mund. Der kleine Schluck rinnt meine trockene Kehle hinunter und hinterlässt ein brennendes Gefühl, dass sich dann warm in meinem Bauch niederlässt »Nele! Was ist das?«, rufe ich aufgebracht. Nele schaut mich mit ihren riesigen Augen an. Nur mit Mühe kann sie sich ein Lachen verkneifen »Eine Bachblüten-Whiskey-Mischung. Meine Eigenkreation! Schmeckt nicht schlecht, was?« Die Tasse ist im Nu leer und ich muss Nele wirklich recht geben. Selten habe ich so einen effektiven Tee getrunken, wie heute. Als Nele gegangen ist, gehe ich hinunter ins Wohnzimmer und setze mich auf das Sofa. Mit meinen ausgeleierten Leggins und dem XXL-Shirt sehe ich unmöglich aus, aber das ist mir völlig egal. Und noch egaler wird es gleich werden, wenn ich mir noch einen Whiskey genehmige. Als ich geschlagene zwei Stunden später noch einmal zur Bar hinüber wanke, ist die Flasche leer. Und genau so leer wie sie, fühle ich mich auch. Ich tapse hinüber ins Bad und schaue in den Spiegel. Ein grauenhaftes Bild, das muss ich schon sagen. Strähniges Haar, aufgequollene Augen, rote Wangen und eine rotknollige Nase. Plötzlich kommt mir wieder in den Sinn, was Nele vorhin zu mir gesagt hat. Wir müssen dem Immobilien-Mogul in den Hintern treten. Ich würde spontan die Eier vorziehen, aber das ist natürlich reine Geschmackssache. Ich schüttle meine fettigen Haare kurz auf, haue mich selbst ein paar Mal kräftig auf die Wangen und laufe zielstrebig, so gut das mit meinem Alkoholpegel nun mal geht, zur Garderobe und hole mir das Handy. Seit gestern ringe ich mit mir, ob ich Gabriel anrufen soll. Aber um ehrlich zu sein, habe ich mich schlichtweg nicht getraut. Er klang so wütend und zornig am Telefon, dass ich eigentlich nicht scharf darauf bin, mir so etwas noch einmal anzuhören. Aber der Whiskey hat mich mental gestärkt und so rufe ich ihn doch, natürlich mit unterdrückter Nummer, kurzerhand an »Bernard!«, blafft er muffig in den Apparat »Schönen guten Abend, Herr Bernard!«, lalle ich in den Hörer. Ich versuche mich zwar zusammenzureißen, aber meine Stimme gehorcht mir nicht mehr »Wer ist da?«, fragt er noch viel mürrischer »Tja, wer ist hier wohl! Drei Mal darfst du raten! Und ein Tipp noch, ich bin nicht Rumpelstilzchen.« Und dann kichere ich den Hörer. Oh Mann, ich höre mich an wie eine Psychopathin, die auf dem Weg in die geschlossene Abteilung ist »Anna, bist du das?« »Jaaa, mein Schaatz, ich bin daass! Und weissu was ich dir eigendlich schoon bei unserem letsen Treffn’ sagen wollde? Ja, jetz’ bissu neugierig, waas? Tja, ich wollde dir eigentlich nur sagn’, dass ich mich uunsterblich in dich verliebt hab!« Sobald die Worte meinen schändlichen Mund verlassen haben, schlage ich mir die Hand vor denselben. Was um alles in der Welt habe ich da gerade gesagt? Dass ich ihn liebe? Oh mein Gott!! Und dann lege ich spontan einfach mal auf. Während mein Blick auf das Handy fällt beginne ich wie von Sinnen zu Lachen. Ich lache und lache, bis mir der Bauch weh tut, und dann urplötzlich kommen mir auch schon wieder die Tränen und ich beginne von Neuem zu schluchzen. Ich glaube jetzt ist es doch Zeit für die Klapse »Du hast WAS gesagt?«, kreischt Nele und beugt sich über die Tischplatte des kleinen Cafés, in dem wir uns heute Mittag zum Essen verabredet haben »Nicht so laut, Nele!«, bitte ich sie und halte mir meinen Kopf, der von meinem gestrigen Exzess ziemlich schmerzt. Vereinzelt drehen sich Gäste um, um uns zu mustern. Mich erkennt zwar keiner mit meiner megagroßen und megadunklen Sonnenbrille, aber wir wollen doch lieber unter uns sein »Ich habe gesagt, dass ich mich in ihn verliebt habe«, gebe ich kleinlaut zurück und senke beschämt den Kopf. Nele greift über den Tisch und hebt vorsichtig meine Sonnenbrille an, unter der sich dick geschwollene Augen verstecken »Tja, Betrunkene und kleine Kinder sagen die Wahrheit. Das ist dir schon klar, oder?« Sie lehnt sich entspannt zurück und verschränkt die Arme vor der Brust »Ich war nicht betrunken! Nur etwas angeheitert.« »Natürlich«, meint sie süffisant grinsend und schüttelt den Kopf. »Deswegen war am Ende auch die Flasche leer!« »Daran bist nur du schuld!«, wehre ich mich entrüstet und zeige mit dem Zeigefinger auf sie. »Wer hat denn angefangen, mir Alkohol in den Tee zu kippen?« »Zurück zum Thema. Was hat er dazu gesagt?« »Keine Ahnung? Ich habe aufgelegt!«, gebe ich kleinlaut zurück und schaue beschämt auf meine Hände. Nele verdreht genervt die Augen »Oh Mann, Anna! Was machst du nur für einen Scheiß in den letzten Tagen?« Ich muss mich wirklich zusammenreißen, dass ich hier vor all den Leuten nicht wieder in Tränen ausbreche »Ich weiß es auch nicht. Ich will ihn einfach nur zurück und weiß nicht wie ich es anstellen soll.«, wimmere ich vor mich hin und wende mich schulterzuckend meinem Salat zu, den ich lediglich auf Neles Bitte hin bestellt habe. Denn eigentlich bin ich viel zu deprimiert, um etwas zu essen. Nele schaut von ihren Kässpätzle hoch und zeigt mit den Zacken ihrer Gabel auf mich »Du willst ihn also wirklich zurück? Dann lass’ mich mal machen, ich habe da schon so eine Idee.« Gabriel. Mit noch schlechterer Laune als vorher, verlasse ich das Fitness-Studio und gehe zu meinem Wagen. Ich bin mit dem Vorsatz zum Sport, dass ich danach endlich wieder normal sein kann. Aber Fehlanzeige! Seit nunmehr drei Tagen gehe ich gefühlt durch die Hölle und frage mich wo zum Henker der Ausgang ist. Und nun ruft auch noch meine Sekretärin an und drückt mir einen Praktikanten aufs Auge, als ob ich scharf auf eine männliche Begleitung wäre. Aber Absagen geht nicht, denn schließlich handelt es sich bei diesem Praktikanten um den Sohn eines Geschäftspartners, und mit dem darf ich es mir nun mal nicht verscherzen. Kurzerhand beschließe ich den jungen Schnösel einfach zu einem Besichtigungstermin mitzunehmen. Er hat ein bisschen was zu schauen und ich meine Ruhe. Als ich in Richtung meines Büros fahre, kommt mir schon wieder der Sonntagabend in den Kopf. Es ist nicht auszuhalten. Eigentlich möchte ich diese Gedanken endlich aus meinem Kopf verdrängen, denn schließlich bin ich mit dieser Frau so was von fertig, aber mein Kopf scheint noch nicht soweit zu sein. Um ein Haar wäre ich auf Annas Masche reingefallen. Junge unschuldige Frau sucht wohl situierten Mann und lässt nebenbei ein Kind und einen Lover laufen, bis sie ihr Ziel erreicht hat. Ich kann von Glück reden, dass ich einen Kollegen nach Hause gefahren habe, der zufälligerweise „um die Ecke“ der Wilhelma in Bad Cannstatt wohnt, sonst wäre ich ihr erst viel später auf die Schliche gekommen. Da lass’ ich einmal wieder eine Frau an mich ran und schon passiert so etwas. Es gibt also wirklich gute Gründe Single zu bleiben. Und dann besitzt sie auch noch die Frechheit mich sturzbetrunken anzurufen und mir ihre Liebe zu gestehen. Für wie blöd hält die mich eigentlich? Plötzlich fällt mir ihre Nachricht wieder ein, die sie mir geschickt hatte, als ich auf dem Weg nach Chicago war. Sie wollte mir etwas mitteilen, wenn ich wieder daheim wäre. Ich schüttle angewidert den Kopf. Es wird Zeit, dass ich mich wieder auf die wichtigen Dinge im Leben konzentriere und nicht auf die Frau, die mir das Herz gebrochen hat. Anna. Wie ein Tiger im Käfig laufe ich durch die leerstehende Wohnung. Ich bin unseren Plan schon mehrfach durchgegangen und eigentlich dürfte jetzt auch nichts mehr schiefgehen. Gleich, besser gesagt, in zehn Minuten wird Gabriel Bernard, von Beruf Immobilienmakler, durch diese Wohnungstür treten, in der Annahme, dass er hier auf eine Kundin trifft, die sich für eben diese Wohnung interessiert. Sobald er die Wohnung dann betreten hat, wird er feststellen müssen, dass es eine Falle war. Eine ganz romantische Falle sogar. Ich habe mir die Mühe gemacht zig kleine rote Herzen auszuschneiden, diese auf dem Wohnzimmerboden zu drapieren und zusätzlich noch in Großbuchstaben das Wort „sorry“ am Boden auszulegen, umringt von noch mehr Teelichtern, die ich vorsorglich schon angezündet habe. Ich werde mich erstmal diskret im Hintergrund halten und abwarten, wie er reagiert, um dann zu einer herzzerreißenden Entschuldigung anzusetzen. Die habe ich im Geiste schon hundert Mal durchgespielt und bin mir sicher, Rosamunde Pilcher wäre stolz auf mich. Mit weichen Knien gehe ich zum Wohnzimmerfenster und schaue auf die Straße hinunter. Da die Wohnung im zweiten Stock liegt, hat man einen überaus guten Ausblick auf die langgezogene Straße darunter. Und siehe da! Da ist er ja. Pünktlich wie immer. Mein Herz-Ass! Mein Fels in der Brandung! Mein Salz in der Suppe! Mein … was auch immer, jedenfalls sieht er wieder verdammt gut aus, wie er so aus seiner Nobelkarosse steigt, mit der schicken Stoffhose und dem passenden Jackett. Ich drehe mich um und lasse das ganze Interieur noch einmal auf mich wirken. Perfekt! Alle Kerzen brennen noch, dann kann es ja losgehen. Ich höre bereits schwere Schritte auf der Holztreppe und dann das Geklimper eines Schlüsselbundes. Und siehe da, die Tür geht auf … und voilà, betreten gleich zwei Herren die leerstehende Wohnung, wovon einer Gabriel ist. Wer zum Teufel ist der Andere? Und was verdammt noch mal hat der hier zu suchen?? Gabriel betritt die Wohnung und schaut irritiert erst mich, dann den Herrn zu seiner Linken an, bis schließlich sein Blick auf den Fußboden des Wohnzimmers fällt, besser gesagt auf das überaus kitschige Gemetzel an Herzen. Mich überkommt das plötzliche Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen und ich halte mir vorsichtshalber die zittrige Hand vor den Mund. Für einen kurzen Moment erhasche ich Gabriels Blick und versuche seinen Gesichtsausdruck zu deuten, der nichts Gutes verheißt. Er beginnt auf seiner Unterlippe zu kauen und eine seiner Augenbrauen zieht sich verärgert nach oben. Oje. Der Kollege oder was auch immer er ist, räuspert sich und kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Eine Planänderung muss her, das ist mir jetzt so was von klar. Also tue ich das, was mir in diesem Moment am sinnvollsten erscheint, nämlich davonlaufen. Ich rausche durch die Mitte des Raumes, wirble dabei die ausliegenden Buchstaben auf und vernichte unterwegs noch mit meinen Stöckelschuhen das eine oder andere Teelicht, dessen heißes Wachs sich augenblicklich auf dem sackteuren Parkett ergießt. Zielstrebig haste ich an Gabriel und dessen Begleitung vorbei, auf die Eingangstür zu und hinterlasse neben zwei irritiert dreinblickenden Herren ein „osrry“ am Boden des Wohnzimmers. Von unterwegs schicke ich Nele eine Nachricht, die sie hoffentlich erst lesen wird, wenn ich wieder zuhause bin. „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht! Die Gute ist, dass ich wieder einen Whiskey daheim habe und die Schlechte, dass wir ihn heute noch trinken müssen!“ Ich bin noch keinen Kilometer gefahren, als sie mich auch schon zurückruft. Ich halte in einer Parkbucht und nehme ihren Anruf entgegen »Erzähl!« ist alles was sie dazu zu sagen hat. Als ich ihr alles haarklein berichtet habe, höre ich nur ein Seufzen am anderen Ende der Leitung »Oh Mann, Anna! Du musst auch wirklich alles in den Sand setzen, oder? Die Idee war doch so genial. Du hättest ihm einfach deine Liebe gestanden, ihr hättet euch versöhnt und anschließend leidenschaftlich geküsst. Aber nein! Meine Freundin hat andere Pläne und rauscht einfach ab.« »Nele, hast du mir gerade überhaupt zugehört?«, schreie ich sie durch den Hörer an. »Er war in Begleitung! Zum Teufel noch mal! Da konnte ich eben kein oscarreifes Liebesgeständnis hinlegen. DAS war das Problem und nicht ICH!«, kreische ich förmlich. Ich glaube in meinem Kopf sind gerade sämtliche Sicherung durchgebrannt »Pscht! Jetzt beruhige dich doch erst mal. Ich habe es doch nicht böse gemeint!«, versucht sie mich zu beschwichtigen. Meine Ohren und meine Wangen glühen feuerrot und ich wedle mir hektisch Luft zu. In Gedanken beginne ich von zehn rückwärts zu zählen, um ruhiger zu werden, ehe ich wieder meine Stimme finde »Tut mir leid, Nele. Du hast ja recht.«, gebe ich kleinlaut zu »Mach dir darüber keine Sorgen, Schatz. Besser du lässt deinen Frust an mir aus, als an irgendjemand anderem.« Ich kann es kaum glauben, als ich das höre. Vor nicht mal einer Minute mache ich meine beste Freundin zur Schnecke, brülle sie an und wäre ihr am Liebsten durch den Telefonhörer an die Gurgel gegangen und sie tut es einfach ab, als ob wir eben über eine verschüttete Tasse Tee gesprochen hätten »Nele, ich glaube, ich habe dich als Freundin gar nicht verdient!« »Ach Schatz, da hast du ausnahmsweise völlig recht!«, stimmt sie mir zu und verfällt in kehliges Lachen »Und was hast du jetzt vor? Lass mich raten! Du gehst nach Hause und triffst dich mit deinem zweiten besten Freund, Jack Daniels?«, fragt sie, um anschließend wieder in schallendes Gelächter auszubrechen »Hör mir bloß auf mit dem! Der kommt mir nicht mehr so schnell ins Haus. Ich werde mir meinen Frust von der Seele rennen. Ich hole nur kurz meine Laufklamotten und dann gehe ich joggen, bis mein Kopf ganz leer ist.« »Dann wirst du aber eine ziemlich lange Strecke laufen müssen.« Seit meinem letzten Zusammentreffen mit Gabriel sind inzwischen zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen zwischen Hoffen und Bangen, ob er sich vielleicht bei mir meldet oder ob mir eventuell sogar eine Rechnung für die versauten Parkettböden in der derangierten Wohnung ins Haus flattert. Zwei Wochen voller Tränen, Träume und Vorwürfe. Aber heute am Tag Fünfzehn geht es mir deutlich besser. Der Liebeskummer ist zwar noch nicht ganz überstanden, aber ich bin auf dem Weg der Besserung. Heute Morgen habe ich sogar mein Spiegelbild angelacht und siehe da, es hat zurückgelacht! Gestern Abend bekam ich noch spontan Besuch von meiner Mutter, natürlich mit Nele im Schlepptau. Wir drei führten ein ausschweifendes Gespräch, so ganz unter Frauen, bei welchem sie mir ins Gewissen geredet haben, dass Gabriel mich wahrscheinlich gar nicht verdient hätte, wenn er mich fallen lässt, wie eine heiße Kartoffel. Und nach dem dritten Glas Rotwein sah ich auch endlich ein, dass sie vollkommen Recht haben. Ich habe zwar Mist gebaut, aber war auch bereit dafür gerade zu stehen. Und wenn er mir nicht mal zuhören will, dann ist es schlichtweg Pech für IHN. Punkt. Mithilfe dieser neu gewonnenen Erkenntnis werde ich ab jetzt neu durchstarten und deshalb werde ich mich auch heute wieder mit einem Kunden treffen. Es ist Viertel nach Acht, als ich vor dem Kunstmuseum eintreffe. Heute Abend werde ich Andreas Hauser begleiten. Von Beruf Sohn. Andreas Vater betreibt ein Bauunternehmen in Böblingen und möchte dies gern in fünf Jahren in den Händen seines Sohnes wissen, besser gesagt, an Andreas’ vierzigstem Geburtstag. Woraus vermutlich nichts wird, da sein Sohn eine absolute Niete ist und das weiß der Herr Papa genauso gut wie ich. Darum hat es sich Andreas zu seiner Aufgabe gemacht, Papas hart verdientes Geld sinnlos zu verschleudern und sich in egozentrischer Selbstdarstellung zu suhlen. Manchmal kommt er mir wie ein kleiner König Ludwig vor. Es regnet in Strömen und ich stehe zitternd unter meinem Regenschirm und warte auf meine Begleitung. Scharen von schicken Damen und Herren gehen an mir vorbei und betreten den modernen Glaswürfel, der sich „Kunstmuseum“ schimpft. Andreas naht mit großen Schritten und begrüßt mich, wie immer, herzlich, und bedankt sich bei mir für mein Kommen. Zum heutigen Anlass trägt er einen Anzug aus dunkelblauer Seide und hat sich seine dunkelblonden Haare komplett nach hinten gekämmt, was ihn noch schleimiger wirken lässt, als er ohnehin schon ist. Gemeinsam gehen wir hinein und laufen schon einem Bekannten von Andreas in die Arme. War ja klar! Er zieht die Leute an, wie die Motten das Licht. Doch das ist einzig und allein der Tatsache zuzuschreiben, dass er sich locker das Geld aus der Tasche ziehen lässt. Da wird mal schnell ein Vertrag ausgehandelt, so zwischen Garderobe und Toilette oder eine Antiquität eingekauft, die unter Umständen gefälscht ist. Herr Hauser Senior hat danach Mühe und Not, diese Geschäfte nach Möglichkeit wieder rückgängig zu machen, während Andilein schon wieder auf der Suche nach einer weiteren Kuriosität für seine Wohnung ist. Geschlagene zwanzig Minuten stehen wir nun im Foyer des hochmodernen Prunkbaus, im Herzen der Stadt, und Andreas und sein Bekannter finden kein Ende. Ich komme mir reichlich fehl am Platz vor und beginne meine Entscheidung, Andreas hierher zu begleiten, anzuzweifeln. Wäre ich doch lieber auf meinem Sofa geblieben! Ich habe inzwischen alles in dieser modernen Umgebung auf mich wirken lassen und bin fast ein wenig beschämt, dass ich es in meiner Freizeit noch nie geschafft habe, hierher zu kommen. Endlich zieht mich Andreas weiter und wir betreten den eigentlichen Ort des Geschehens, den großen Saal, in welchem die Werke eines argentinischen Künstlers ausgestellt werden. Eine Kellnerin naht und ich greife beherzt nach einem Glas Champagner. Wenn ich diesen Abend reibungslos über die Bühne bekommen will, muss ich mir eben mit einem Schluck Alkohol behelfen. Andreas Hände suchen immer wieder meine Nähe und er legt besitzergreifend seine Hand um meine Hüfte, was mich wirklich anekelt, aber ich lasse es zu, weil es eben heute Abend mein Job ist, die Begleitung zu spielen. Sollte er jedoch auf die glorreiche Idee kommen, die Hand weiter nach unten wandern zu lassen, werde ich ihm wohl „aus Versehen“ mit meinem High Heels auf seine Plattfüße treten müssen. Wir schlendern durch die Ausstellungshalle und ich bin etwas enttäuscht, da ich mir von diesem Rodriguez eindeutig mehr erwartet habe. Vorhin habe ich im Internet noch etwas recherchiert und dabei Werke von ihm gesehen, welche aber eindeutig besser waren, als diese hier. Vor einem Gemälde bleiben wir stehen. Abstrakte Kunst. Was der Künstler uns hiermit sagen wollte, verschließt sich mir völlig, aber Andreas scheint ganz angetan zu sein »Was für ein tolles Bild! Schau’ dir mal diese Pinselführung an! Genial.«, schwärmt er in den höchsten Tönen. Pinselführung?? Ist das das Einzige, was dir hierzu einfällt, du Schwachkopf? Da hat ja sogar mein Sohn eine bessere Interpretation »Ich werde wohl nachher den Künstler aufsuchen, damit er mir den Preis für dieses außergewöhnliche Werk verrät. Über meinem Kamin im Wohnzimmer kommt es sicherlich am besten zur Geltung«, faselt er noch vor sich hin. Inzwischen läuft eine weitere Bedienung in unsere Richtung mit kleinen Häppchen auf dem Tablett. Das ist genau das Richtige, was ich jetzt brauche. Ich schnappe mir einen Cracker mit Lachs und stopfe ihn mir undamenhaft in den Mund, damit ich nichts mehr sagen muss. Mein Gesprächsstoff für diesen Abend ist erschöpft und innerlich habe ich mir schon eine Notiz gemacht, dass ich in Zukunft sämtliche Treffen mit diesem Schleimer absage. Ich werde ihn dezent auf eine andere Kollegin abwälzen. Guter Plan, Anna! Wir sind bereits durch die gesamte Galerie gewandert und Andreas hat inzwischen sein drittes Glas Champagner intus. Ich merke an seiner verwaschenen Aussprache und seinen unkontrollierten Bewegungen, dass er eigentlich genug haben müsste. Doch als die Bedienung vorbeikommt, schnappt er sich gleich das Nächste. Er ist kein kleiner Junge mehr, also werde ich es tunlichst vermeiden, ihn darauf hinzuweisen, dass er jetzt mal eine Pause einlegen sollte. Soll er doch nach Hause schwanken zu Mami und Papi. Einer von Beiden wird sich schon erbarmen, ihn zur Kloschüssel zu begleiten. Während Andreas einen weiteren „guten Bekannten“ getroffen hat, beschließe ich kurz auf die Toilette zu gehen. Ich brauche dringend eine Verschnaufpause und die werde ich mir jetzt nehmen. Ich bin gerade schon Richtung Toilette unterwegs, als ein Mann in einem dunklen Anzug den Saal betritt. Ich bleibe stehen, wie vom Donner gerührt. Gabriel. Mist. Mein Herz beginnt wie verrückt zu klopfen und meine Knie werden sofort weich wie Butter. Was macht er hier? Warum kann er nicht einfach aus meinem Leben verschwinden, damit ich es leichter habe, ihn zu vergessen? Ich drehe mich schnell um und hoffe mal, dass er mich nicht gesehen hat. Eine weitere Konfrontation mit diesem Mann stehe ich nicht mehr so leicht durch. Meinen geplanten Toilettengang kann ich mal so was von vergessen. Ich eile zurück zu Andreas und suche Sichtschutz hinter einer Statue. Andreas schaut mich irritiert von der Seite an und zuckt unmerklich mit den Schultern. Sein Glas ist schon wieder leer und sein glasiger Blick ebenso. Prima. Ich schaue vorsichtig hinter mich und suche den Raum nach Gabriel ab. Er ist bei einer Gruppe Männer stehen geblieben und scheint angeregt in ein Gespräch verwickelt zu sein. Zudem steht er mit dem Rücken zu mir, so dass ich jetzt die Chance ergreifen sollte, mich schleunigst aus dem Staub zu machen »Ich warte draußen auf dich! Ich fühle mich nicht gut!«, flüstere ich dem verdutzt dreinschauenden Andreas zu, dann flüchte ich aus dem Saal. Der Herr an der Garderobe lächelt mir freundlich zu, als er mir meinen Mantel reicht, der vom Regen immer noch leicht feucht ist. Ich will ihn gerade anziehen, als ich Andreas’ Körper hinter meinem spüre. Er legt mir seine Hände auf die Schultern und drückt sie leicht »Warum hast du es denn auf einmal so eilig?«, fragt er nuschelnd »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich nicht gut fühle. Ich möchte jetzt gern nach Hause gehen.« »Ich habe dich doch aber für den ganzen Abend gebucht? Hast du das vergessen?« Himmel nein! Wie könnte ich so etwas vergessen? »Es tut mir aufrichtig leid, aber ich glaube der Lachs-Cracker ist mir nicht so gut bekommen«, lüge ich und schaue betroffen auf den Boden. Mir ist durchaus bewusst, wie unprofessionell mein Verhalten ist, aber das ist mir gerade ziemlich egal. Ich will nur noch raus hier, bevor die Situation in irgendeiner Art und Weise eskaliert. Andreas scheint keinerlei Verständnis dafür zu haben, denn er streift mit seinen Händen über meine Arme und drückt sich immer mehr an mich heran. Als ich sein bereits erigiertes Glied spüre, wird mir speiübel. Der Herr an der Garderobe, der eben noch vor mir stand, hat sich dezent zurückgezogen, so dass ich mutterseelenallein mit Andreas im Foyer stehe. Seine Hand gleitet nach vorn und umfasst meine Brust. Schockiert reiße ich seine Hand weg und drehe mich um »Nur falls du es nicht verstanden hast, wiederhole ich es noch einmal für Dich! Ich gehe jetzt nach Hause und ich denke für dich wäre es auch besser jetzt nach Hause zu gehen!«, fahre ich ihn an. Sein Blick wechselt von irritiert zu wütend »Sag du mir nicht, was ich zu tun habe! Du bist schließlich nicht meine Mutter!«, zischt er leise. Er packt mich am Revers meines Oberteils und zieht mich ruckartig zu sich heran. Während ich mich mit meinen Händen von seinem Körper abzustoßen versuche, wird er immer grober und packt mich an den Oberarmen »Du bist für heute Abend meine Begleitung! Und mir ist scheißegal, ob du gehen willst oder nicht. Haben wir uns verstanden?« Die Aggressivität seiner Stimme macht mir Angst. »Andreas, lass’ mich sofort los! Sonst …« Ein Ruck geht durch Andreas und er wird mit einem Mal herumgerissen und sieht sich einem wütend dreinblickenden Gabriel gegenüber »Wenn du nicht sofort die Finger von ihr lässt, dann hau’ ich dir ein paar auf dein dreckiges Maul!«, poltert Gabriel wütend. Ich habe ihn gar nicht kommen hören und bin blöderweise so was von erleichtert, ihn zu sehen »Verpiss dich! Such dir eine andere zum Vögeln. Die hier ist schon besetzt!«, nuschelt Andreas und wankt gefährlich hin und her »Was hast du gesagt?«, fährt Gabriel ihn an und seine Stimme hallt quer durch das Foyer »Ich habe gesagt, dass diese kleine Schlampe heute Abend mir gehört! Und jetzt geh’ mir aus den Augen, du billige Supermann-Kopie!« Gabriel wird rot vor Zorn und tritt noch einen Schritt näher an Andreas heran »Wenn du noch einmal so über sie sprichst, dann schlag ich dir alle Zähne aus! Hast du das verstanden, du Junkie?« Und auf einmal geht alles ganz schnell. Andreas dreht sich erst kurz weg, holt aber dann mit seiner rechten Faust aus und versucht Gabriel im Gesicht zu treffen. Doch wegen seiner Trunkenheit erwischt er ihn nur an der Schulter. Gabriel ist kurz irritiert, fängt sich jedoch schnell wieder, schnappt Andreas am Kragen seines Jacketts und haut ihn mit Wucht gegen den Betonpfeiler, direkt neben uns. Andreas schüttelt sich kurz, bevor er erneut auf Gabriel losgeht. Er attackiert ihn mit Fäusten, trifft jedoch nur ins Leere, da Gabriel geschickt ausweichen kann. Dann setzt Gabriel zum Schlag an und trifft Andreas mit der Faust direkt im Gesicht. Ein Knacken ist zu hören, dann geht Andreas zu Boden. Blut läuft aus seiner Nase und färbt sein Hemd innerhalb Sekunden rot. Er schaut zwar grimmig zu uns herauf, gibt aber keinen Mucks mehr von sich und sucht seine Päckchen mit weißem Pulver zusammen, die ihm beim Kampf aus der Tasche gefallen sein müssen. Der Garderobenherr betritt auch soeben das Foyer und als er Andreas am Boden liegen sieht, beginnt er auch schon zu rennen »Um Gottes Willen, was ist denn passiert?«, erkundigt er sich aufgeregt »Er ist im Suff gegen den Betonpfeiler gelaufen! Rufen Sie ihm ein Taxi, ich glaube er möchte dringend nach Hause!«, fordert Gabriel den Garderobier auf und hält dem Herrn einen braunen Geldschein hin. Dann packt er mich am Arm und zerrt mich nach draußen. Stuttgart liegt bereits im Dunkeln, als Gabriel und ich vor dem Museum zum Stehen kommen. Während er nun grimmig die Hände in den Hosentaschen vergraben hat und den Boden nach was auch immer absucht, schlinge ich mir die Arme um die Taille und beobachte ihn. Ich versuche meine Gedanken in Worte zu fassen, denn es gibt im Moment unheimlich viel, was ich gern loswerden würde. Angefangen bei der Frage, warum er mich eben dort drin vehement verteidigt hat. Nicht, dass mich das gestört hätte, aber interessieren würde es mich trotzdem. Als ich schon meinen Mund öffne, um die ersten Silben zu formen, kommt mir Gabriel zuvor »Ich gehe mal davon aus, dass dieser abgefuckte Typ da drin ein Kunde von dir war, oder?« »Warum interessiert dich das? Es kann dir doch eigentlich egal sein, mit wem ich mich treffe«, entgegne ich kühl. Anna, jetzt bloß nicht einknicken! Gabriel mustert mich mit undefinierbarer Miene und ein bisschen tut es mir schon fast leid, dass ich ihm so eine bescheuerte Antwort gegeben habe. Aber eben nur fast »Weißt du eigentlich, dass dieser Kerl ein Drogenjunkie ist? Und ist dir auch klar, was er mit dir anstellt, wenn er auf irgendeinem beschissenen Trip ist? Anna, ich muss schon sagen, ich hätte mehr Umsicht von dir erwartet, vor allem da du ja scheinbar Mutter eines Kindes bist.« Dann schaut er wieder auf den Boden und ich lasse das Gesagte in mein Bewusstsein sickern »Ich hatte keine Ahnung! Ich habe mich nur ein paar Mal mit ihm getroffen und eigentlich war er immer normal. Bis heute eben«, gebe ich kleinlaut zurück. Gabriel schaut mich durch seine dichten Wimpern an und für einen kurzen Moment sehe ich wieder diese Melancholie in den Augen dieses wunderschönen Mannes »Was sollte eigentlich diese lächerliche Aktion mit dem Herz-Krims-Krams in der Wohnung vor zwei Wochen? Kannst du mir das bitte erklären?« »Äh, ja. Das kann ich!« »Dann schieß mal los, ich bin sehr gespannt«, meint er mürrisch »Ich kann es dir gern erklären, aber ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob ich es dir überhaupt erklären will«, gebe ich selbstbewusst zurück und straffe meine Schultern. Gabriel scheint jetzt irritiert zu sein. Mit dieser Antwort hat er wohl am wenigsten gerechnet und ein kleines bisschen freue ich mich sogar darüber. Doch dann hat er sich wieder voll im Griff, packt mich am Handgelenk und zieht mich mit sich hinüber zu seinem Wagen, der in unmittelbarer Nähe steht »Schluss mit den Spielchen, Anna. Ich möchte nun die Wahrheit, uns zwar die Ganze.« Ich wäge ab, ob ich vielleicht wieder die Flucht ergreifen soll oder ob ich die Gunst der Stunde nutze und einen erneuten Versuch starte, ein vernünftiges Gespräch mit Gabriel zu führen. Letztendlich entscheide ich mich dann doch für das Gespräch, weil ich schlichtweg für die erste Möglichkeit die falschen Schuhe trage »Also gut, dann sollst du sie auch bekommen. Aber nur unter der Bedingung, dass du mich ausreden lässt, bis ich fertig bin.« Soviel zu meinem Vorsatz, die toughe Blondine zu mimen. Ich setze mich zu ihm in den Porsche und überlege, was ich zu erzählen habe. Als er mich mit mürrischer Miene mustert, beginne ich zu erzählen »Ich habe mit Neunzehn ein Innenarchitekturstudium begonnen, wie du ja weißt. Dort habe ich Patrick kennengelernt, einen Kommilitonen aus meinem Kurs. Wir haben uns von Beginn an super verstanden und wurden innerhalb kürzester Zeit beste Freunde, was wiederum dazu führte, dass aus Freundschaft Liebe wurde. Nachdem wir unser Studium beide beendet hatten, zogen wir zusammen und ich fand einen tollen Job in einem Architekturbüro. Es lief eigentlich ganz gut, bis ich feststellte, dass ich schwanger war. Für mich war das ein absoluter Alptraum. Ich konnte und wollte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, Mutter zu werden. Patrick hingegen freute sich riesig auf das Kind und er überredete mich schlussendlich dazu, das Kind zu behalten. Als ich dann Samuel das erste Mal in meinen Armen halten durfte, war für mich klar, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Seither ist er der Mittelpunkt meines Lebens. Doch wie das Leben eben so spielt, lässt sich nicht immer alles miteinander vereinbaren: Kind, Partnerschaft und Job. Patrick und ich trennten uns kurz nach Sammys erstem Geburtstag. Seitdem bin ich alleinerziehende Mutter. Ich kam die ersten Monate finanziell noch gut über die Runden, bis mein Chef in Ruhestand ging und das Architekturbüro geschlossen wurde. So stand mir von heute auf morgen das Wasser bis zum Hals. Einer glücklichen Fügung verdanke ich es, dass ich eine ehemalige Schulfreundin getroffen habe, die mich schließlich zum Escort brachte. Seither verdiene ich damit so viel Geld, dass es für meinen Sohn und mich völlig ausreicht.« Ich mache eine kurze Pause und schaue Gabriel eindringlich an, um irgendwelche Gefühlsregungen in seinem Gesicht auszumachen. Nada! Nix zu sehen! »Warum hast du mir nicht von Anfang an erzählt, dass du ein Kind hast? Du hattest schließlich oft genug die Gelegenheit.« »Wie ich dir schon gesagt habe, wurde ich von einem Stalker belästigt. Was ich dir allerdings nicht gesagt habe, dass er damals Sammy entführen wollte. Die Polizei hat in seinem Wagen eindeutige Hinweise darauf gefunden. Zum Glück konnten sie ihn schnappen und er wurde diesbezüglich auch angeklagt.« Gabriel zieht scharf die Luft ein und es ist die erste Reaktion von ihm, seit ich angefangen habe, zu erzählen »Seit diesem Vorfall, habe ich mir geschworen, dass Sammy mein Geheimnis bleibt. Dass ich nie zulassen werde, dass ihm jemand etwas antut. Und das habe ich bisher auch gut geschafft, bis du in mein Leben geplatzt bist. An dem Abend als wir beide in der Imbissbude gesessen sind, war mir klar, dass ich dir die Wahrheit sagen muss. Ich habe mir fest vorgenommen, es dir schonend beizubringen, aber leider kam mir immer etwas dazwischen. Mal war es deine Mutter, die verschwunden war, beim nächsten Mal dein Abflug nach Amerika.« »Deswegen auch deine Nachricht, als ich auf dem Weg zum Flieger war, dass du mit mir sprechen musst?« »Ja, genau! Ich wollte es dir persönlich sagen, wollte es dir erklären, so wie jetzt. Aber ich bekam leider nicht die Chance dazu. Als du mich an jenem Sonntag gesehen hast, habe ich gerade Sammy von einem Ausflug mit seinem Vater abgeholt. Patrick hat den Kleinen alle zwei Wochen am Wochenende.« »Ich habe gesehen, dass er dich geküsst hat! Das sah alles andere als nach Ex aus.« »Das weiß ich, aber es kam auch nicht von mir. Patrick meint, immer noch in mich verliebt zu sein. Aber von meiner Seite aus ist da schon lange nichts mehr. Er ist einfach nur der Vater meines Kindes, mehr nicht. Ich mag es nicht, wenn er mich küsst.« Ich atme kurz durch und fahre mir mit den Händen über das Gesicht »Als du mit mir Schluss gemacht hast, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. So etwas ist mir vorher noch nie passiert. Obwohl wir uns erst seit kurzer Zeit kennen, habe ich das Gefühl, dass ich dich schon ewig kenne. Du bist mir so vertraut, wie kein Mann vor dir. Die Beziehung zu Patrick war im Vergleich zu dem, was wir beide in den wenigen Momenten miteinander hatten, nichts dagegen. Verstehst du? Ich bin wirklich in ein tiefes Loch gefallen, vor allem weil ich nie die Gelegenheit hatte, dir meine Situation zu erklären. So kam ich zusammen mit Nele auf die geniale Idee, dich in der leerstehenden Wohnung zu überraschen. Ich wollte dir dort alles erklären, wollte dir auch sagen, wie sehr du mir ans Herz gewachsen bist, aber dazu bekam ich mal wieder nicht die Chance, weil du ja nicht allein warst. Und so bin ich geflüchtet.« »Kannst du dich auch noch daran erinnern, dass du mich sturzbetrunken angerufen hast?«, fragt er und hebt die Augenbraue »Ach das?! Das konnte ich nur mit Unterstützung von meinem zweitbesten Freund Jack schaffen. Ein düsteres Kapitel meiner jüngsten Vergangenheit.« »Weißt du noch, was du zu mir gesagt hast?« Natürlich, du Idiot! Wie könnte ich so etwas vergessen »Äh, ja. Ich glaube schon!« »Du hast mir damals gesagt, dass du in mich verliebt bist!«, flüstert er so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann »Ja, das habe ich.« »Wie darf ich dein ‚Ja‛ interpretieren?« »Ja, das habe ich gesagt und ja, ich meine es vermutlich auch immer noch so!« Die Stille breitet sich zwischen uns aus und ich schwanke mal wieder zwischen Hoffen und Bangen. Gabriel schaut auf seine Hände, die gefaltet auf seinem Schoß liegen »Gabriel, bitte sag’ doch etwas!«, bitte ich ihn leise »Ich … ich weiß nicht«, beginnt er stotternd, »das alles was du mir gerade erzählt hast, das muss ich erst mal verdauen.« Er fährt sich wie immer, wenn er nervös wird, durch die Haare. Eine Geste, die ich schon zigmal an ihm gesehen habe »Ich lasse dir alle Zeit der Welt, aber ich bitte dich, dass du uns noch eine Chance gibst. Ich glaube, dass wir es beide verdient haben, glücklich zu sein«, bitte ich ihn und kralle mich nervös in die weichen Ledersitze »Ich weiß immer noch nicht woran ich bei dir bin. Ich habe einfach Angst, dass ich letztendlich wieder enttäuscht werde.« »Glaubst du nicht, dass es mir genauso geht?«, frage ich ihn tonlos. »Aber manchmal muss man eben ein Risiko eingehen. Und du bist mir das Risiko allemal wert.« Wieder schaut er mich von unten durch seine dichten Wimpern an »Ich hasse es Risiken einzugehen. Ich bevorzuge eher eine sichere Bank.« Das letzte Fünkchen Hoffnung das ich noch hatte, ist soeben verglommen »Wenn du meinst! Dann macht es keinen Sinn mehr, länger diese Unterhaltung zu führen«, antworte ich schnippisch und schnappe mir meine Tasche vom Fußraum des Wagens »Ich wünsche dir, dass du eine Frau findest, die dir diese Sicherheit bieten kann.« Mit diesen Worten steige ich aus dem Wagen und knalle mit Schwung die Autotür zu. Mir kommen blöderweise schon wieder die Tränen, während ich versuche so schnell wie möglich in Richtung Taxistand zu laufen. Doch dann werde ich abrupt am Ärmel zurückgehalten »Ich habe verdammte Angst, dass du mir wieder das Herz brichst, aber noch mehr Angst habe ich, dass ich es am Ende bereue, es nicht wenigstens versucht zu haben«, wispert Gabriel leise und starrt mich mit einem durchdringenden Blick an, den ich nicht deuten kann »Aber weißt du was am Schlimmsten ist? Dass ich dich so sehr vermisse.« Tausende von Schmetterlingen kommen aus ihrem Flüchtlingslager und ziehen hoch erfreut große Kreise in meinem Bauch »Ich vermisse dich auch!«, entgegne ich und wische mir meine Tränen vom Gesicht »Ich glaube, du bist es wert, dass ich endlich mal ein Risiko eingehe!«, gesteht er und kommt vorsichtig auf mich zu. Wir schauen einander an und dann zieht mich Gabriel mit einem Ruck an sich. Er vergräbt sein Gesicht in meinem Nacken und ich habe endlich wieder die Chance ihn einzuatmen. Langsam schaut er auf und sieht mir direkt ins Gesicht »Ich möchte dich wieder in meinem Leben! Und nicht nur betrunken am Telefon oder in irgendeiner Wohnung zwischen lauter Papierschnipseln.« Ich höre ein leises Aufstöhnen, das vermutlich meines war. Mal wieder ringe ich um Fassung und verdrücke mit aller Macht die aufsteigenden Freudentränen. Am liebsten würde ich ihn zu mir herüberziehen und ihn küssen … doch da kommt er mir schon zuvor, packt mich und presst seine Lippen auf meine. Unser Kuss ist hart, ungestüm, und überaus lang. Frustabbau auf der ersten Etappe. Gabriel. Ich schließe die Tür zu meinem Haus auf und deaktiviere die Alarmanlage. Im Vorbeigehen werfe ich die Schlüssel auf das Sideboard im Flur und trete mir die Schuhe von den Füßen. Was war das für ein Abend? Hätte mir jemand noch vor Stunden gesagt, dass mein Leben wieder eine derartige Wendung nehmen würde, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Ich schlendere hinüber zur Bar und schenke mir einen Whiskey ein, mit dem ich mich hinaus auf die Terrasse setze. In Gedanken spiele ich noch einmal den Ablauf des Abends nach. Angefangen von dem Moment, als ich Anna mit diesem Schmierfink in der Galerie stehen sah. Seine widerlichen Hände an ihrer Taille und ihr Gesichtsausdruck, der Bände sprach. Spätestens in diesem Moment war mir klar, dass ich es nie wieder zulassen würde, dass jemand außer mir diese Frau anfasst. Am liebsten hätte ich ihm alle Finger seiner Hand gebrochen. Für den Rest des Abends hielt ich mich dezent im Hintergrund, aber aus dem Augenwinkel konnte ich jede Bewegung von ihr und diesem Junkie wahrnehmen. Als Anna dann kurz darauf den Raum hastig verließ und er ihr ziemlich angepisst folgte, spürte ich schon, dass sich etwas Unangenehmes anbahnen würde, darum folgte ich den beiden unauffällig. Dass daraus dann eine gebrochene Nase resultieren würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht ahnen. Ich nippe kurz an meinem Whiskey und genieße die kühle und frische Atemluft. Der Wind fegt durch die Blätter der Bäume und Sträucher und der Mond wirft seine Strahlen auf den Schwimmteich, der diesen glänzend schimmern lässt. Ich bin froh, dass ich an diesem Abend die Chance genutzt habe, um noch einmal mit Anna zu sprechen. Sonst hätte ich vermutlich nie die ganze Wahrheit erfahren. Nach wie vor bin ich zwar immer noch etwas skeptisch, ob ich der Herausforderung gewachsen bin mit einer Frau fest zusammen zu sein, geschweige denn, dem Kind, das sie mit in die Beziehung bringt, gerecht zu werden. Anna. Samuel hüpft ausgelassen auf mein Bett und begrüßt mich mit einem typischen Sammy-Guten-Morgen-Kuss, laut und nass. Im Hintergrund höre ich schon das Geklimper von Geschirr und nehme mal an, dass meine Mutter sich eingeschlichen und bereits den Kaffee aufgesetzt hat. Was für ein herrlicher Morgen! Das Leben leuchtet ab heute wieder in allen Farben für mich. Nicht nur schwarz und grau. Nein! Ab heute sehe ich wieder alles rosa und vielleicht auch ein bisschen gelb und orange. Als ich mich, noch mit Schlafanzug bekleidet, an den frisch gedeckten Tisch setze, schaut mich meine Mutter mit offenem Mund an »Sag’ mal! Ist das etwa ein Lächeln in deinem Gesicht?«, fragt sie skeptisch und stellt den Korb mit Brezeln auf den Tisch »Mmhh!«, gebe ich kopfnickend zurück und gieße mir eine Tasse Kaffee ein »War wohl ein netter Abend gestern, wie mir scheint.«, meint sie und setzt sich zu mir an den Tisch. Samuel hat sich bereits eine Brezel geschnappt und kaut genüsslich darauf herum »Ich habe gestern Gabriel getroffen!«, berichte ich beiläufig und meine Mutter verschluckt sich doch glatt an ihrem Kaffee, was einen üblen Hustenanfall bei ihr auslöst »In der Galerie? Oje! Habt ihr miteinander gesprochen?«, bringt sie noch zwischen ihren Hustenattacken hervor »Ja, aber erst nachdem er meine Begleitung zusammengeschlagen hat!« »Wer wurde geschlagen?«, will Samuel neugierig wissen und mir wird erst jetzt wieder bewusst, dass Sammy mit am Tisch sitzt und zuhört »Ach nichts Schatz! Wenn du fertig bist, darfst du aufstehen! Ich trinke nur noch schnell meinen Kaffee, dann bringe ich dich in den Kindergarten, okay?« »Okay, Mami!«, meint er strahlend und springt fröhlich aus der Küche »Wie meinst du das, er hat deine Begleitung zusammengeschlagen?«, nimmt Eleni den Faden wieder auf »Sagen wir mal so … Andreas, meine Begleitung, hat ein bisschen zu viel getrunken und ist ein wenig zudringlich geworden. Gabriel, der zufällig auch dort war, hat das mitbekommen und ihn zurechtgewiesen. Im Eifer des Gefechts kam es eben zur Schlägerei, wobei Andreas den Kürzeren gezogen hat.« Meine Mutter sitzt mit hochgezogenen Augenbrauen vor mir und bekommt keinen Ton mehr heraus »Dann sind wir zusammen raus, haben uns ausgesprochen und anschließend bin ich nach Hause«, beende ich meine Erzählung und beiße herzhaft in meine Butterbrezel »Und wie geht es jetzt weiter?« »Wir werden es noch einmal miteinander versuchen! Und er möchte als allererstes Samuel kennenlernen.« »Aha!« »Mama! Ich weiß, du hast mir gesagt, dass ich ihn in den Wind schießen soll, aber als er dann wieder vor mir stand und wir über alles reden konnten, ….« »Anna, verstehe das bitte nicht falsch. Ich freue mich sehr, dass es dir jetzt wieder besser geht und ihr es erneut versuchen wollt, aber ich habe einfach meine Zweifel. Was ist wenn er dich wieder sitzen lässt?« »Dann werde ich wieder Unmengen an Taschentüchern brauchen. Hoffentlich hat Adele bis dahin ein neues Album herausgebracht. Ich kann die Lieder auf der alten CD nicht mehr hören.« »Du machst dich lustig über mich, Anna! Ich meine es ernst!« »Mama, ich verstehe deine Sorge und ich weiß auch, dass es für Außenstehende völlig bescheuert aussehen muss, dass ich mich wieder diesem Mann an den Hals werfe. Vielleicht bin ich auch leicht sadomasochistisch veranlagt und warte geradezu auf die Schmerzen, die diese Beziehung mit sich bringt, aber ich möchte es dennoch versuchen. Gabriel hat dieselbe Sorge wie ich und er ist auch bereit ein Risiko einzugehen. Warum sollte ich es dann nicht auch versuchen. Schließlich bin ich schwer verliebt.« Meine Mutter schaut zwar nach wie vor skeptisch, aber sie hält zumindest ihren Mund. Vorsichtig tunkt sie die Brezel in den Kaffee und lässt dann die vollgesaugte Teigmasse in ihrem Mund verschwinden »Wir werden es langsam angehen lassen und schauen wohin die Reise uns führt. Aber natürlich nicht, ohne dass du ihn kennenlernst. Ich werde ihn hierher einladen, dann kannst du ihn in Augenschein nehmen.« Mit vollen Backen schaut sie von ihrem Kaffee auf und starrt mich mit riesigen Augen an. Oje, auf dieses erste Zusammentreffen bin ich jetzt schon sehr gespannt. Ich scheuche Samuel ins Auto und gurte ihn an »Mami, wo fahren wir hin?«, fragt er neugierig und seine blauen Augen leuchten vor Vorfreude »Zu den Dinosauriern! Und wenn du nicht aufpasst, wird dich einer von ihnen auffressen!«, witzle ich und krabble mit meinen Fingern auf Samuels Bauch herum, was ihm ein Kichern entlockt. Ich bin in Hochstimmung und doch sitzt mir ein riesiger Klumpen im Magen. Heute ist der Tag, auf den ich mich am meisten gefreut und vor dem ich mich auch am meisten gefürchtet habe. Samuel wird Gabriel kennenlernen. Und anders herum. Ich bin ja so aufgeregt. Was ist, wenn die beiden sich nicht leiden können? Vielleicht kann Sammy keinen anderen Mann, außer seinem Vater, akzeptieren? Womöglich findet Gabriel kleine Kinder doof? Hibbelig und zittrig setze ich mich ans Steuer und fahre los. Jetzt lass’ bloß nicht das Deo versagen! Das Navi leitet mich geschickt und ohne große Umwege zum Ziel und so stehen wir pünktlich um zwei auf dem Parkplatz des Naturkundemuseums am Löwentor. Vor dem Eingang steht bereits Gabriel, ganz salopp gekleidet mit dunkelblauem T-Shirt und Jeans. Meine Knie versagen fast ihren Dienst und so schnappe ich mir mit zittrigen Händen Kind und Tasche und wir laufen Gabriel entgegen. Samuel habe ich vorsichtshalber schon vorgewarnt, dass wir heute in männlicher Begleitung sein würden, was ihn nicht zu stören schien. Am Eingang angekommen, steht mir ein grinsender Gabriel gegenüber, der eine kleine Tüte mit einem Dinosaurier-Emblem in seiner Hand hält. Er begrüßt mich mit einem Küsschen auf die Wange und geht dann in die Hocke, um mit Samuel auf Augenhöhe zu sein »Hey Kumpel! Ich bin heute mit einem kleinen Jungen hier verabredet, der Samuel heißt! Weißt du vielleicht wo er ist?« »Jaaa! Der ist hier!«, meint Sammy und tippt grinsend mit seinem kleinen Finger auf sich »Ach so! Du bist das! Na das ist ja toll! Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin übrigens Gabriel!«, begrüßt er ihn freundlich. Samuel, dem die Dinosauriertüte in Gabriels Hand als erstes aufgefallen zu sein scheint, fragt neugierig: »Was ist denn da drin?« »Du kannst gern mal reinschauen! Ich glaube, das könnte für dich sein!«, und dann reicht er dem verdutzten Blondschopf die Tüte. Samuel öffnet diese hektisch und holt einen Gummi-Dinosaurier heraus »Das ist ja ein Tyrannosaurus Rex!«, meint er aufgeregt und seine kleinen Hände fummeln unkontrolliert daran herum »Wow! Woher kennst du denn seinen Namen?« »Das ist doch mein Lieblings-Dino! So einen habe ich mir schon von Mama gewünscht!« »Ich verrate dir was, Kumpel! Früher war das auch mein Lieblings-Dino!«, und dann zwinkert er Samuel verschwörerisch zu. Samuel, der nun ehrfürchtig zu Gabriel hinaufschaut, legt seine Hand in die von Gabriel und zieht ihn hinüber zum Eingang. Ich, für meinen Teil, kann nur dastehen, vermutlich mit offenem Mund, und mich wundern. Wir verbringen den ganzen Nachmittag im Museum und bestaunen die Skelettmodelle und die rekonstruierten Dinosaurier. Samuel ist voll in seinem Element und kann sich kaum losreißen. Immer wieder greift er, wie selbstverständlich, zu Gabriels Hand und schaut grinsend zu ihm hinauf. Mir geht fast das Herz über bei diesem Anblick. Nie im Leben hätte ich mir das erste Treffen der beiden so vorgestellt. Ich hoffe nur, dass diese Idylle auch eine Weile anhält. Auch Gabriel scheint ganz fasziniert zu sein. Was zum einen an der Ausstellung liegen könnte oder zum anderen, an meinem kleinen Mann. Die beiden verstehen sich wirklich gut miteinander. Gabriel hebt den Kleinen des Öfteren auch mal auf seine Arme, damit er besser sehen kann und Sammy schlingt ganz vertraut seinen kleinen Arm um Gabriels Nacken. Zum Abschluss des Tages machen wir noch einen Abstecher zu McDonalds und Gabriel spendiert Sammy zum Nachtisch ein Eis. Damit hat er bei ihm noch einen weiteren Stein im Brett. Während Samuel angegurtet im Wagen sitzt und ganz in Gedanken vertieft mit seinem Dino spielt, stehen Gabriel und ich noch vor dem Auto »Und? Was sagst du zu unserem ersten gemeinsamen Ausflug?«, hake ich neugierig nach. Gabriel zieht mich zu sich heran und küsst mich zärtlich auf die Lippen »Mir hat es außerordentlich gut gefallen. Sammy ist wirklich klasse! Ein toller Bursche, der von seiner Mutter liebevoll großgezogen wurde.« Er streift mit seinen Fingern meine Haare hinters Ohr und beginnt mich dort zu küssen. Ich bekomme sofort eine Gänsehaut und meine Schmetterlinge huschen umher »Ich glaube er mag dich!«, bringe ich stotternd heraus »Ich habe ihn auch gut bestochen!«, wispert er mir ins Ohr »Du bist eben ein durchtriebener hinterhältiger Schurke!« »Da könntest du allerdings Recht haben.«, meint er schulterzuckend und küsst mich zum Abschied. Ein langer intensiver Kuss, der eigentlich nie enden sollte. Ich nehme noch ein letztes Mal seinen Duft in mir auf, bevor ich ihn gehen lasse. Gabriel klopft ein letztes Mal an Sammys Scheibe und winkt dem Kleinen zum Abschied zu, dann geht er schlendernd zu seinem Auto. Als ich kurz darauf in meinem Wagen sitze, könnte ich schwören ein Rumpeln gehört zu haben. Vermutlich ist das der Stein, der mir eben vom Herzen gefallen ist. Samuel liegt schlummernd, mit Dino in der Hand, in seinem Bettchen, als ich nach ihm schaue. Was für ein Tag! Das erste Treffen habe ich hinter mir und sehe nun positiv in die Zukunft. Wir werden das irgendwie schaffen, da bin ich mir jetzt sicher. Wir müssen eben nur aufeinander zugehen und Zugeständnisse machen. Dürfte ja wohl nicht zu schwer sein, oder? Wobei ich wohl als Erste am Zug sein sollte. Ich muss als Escort-Dame aufhören. Mir fallen dazu Gabriels Worte wieder ein, als wir uns verabschiedet haben »Ich bin bereit dich mit diesem einen, wenn auch kleinen Mann, zu teilen. Aber eben nur mit diesem, wenn du verstehst was ich meine!« Ich habe daraufhin nur genickt, weil mir schlichtweg nichts Passendes dazu eingefallen ist. Recht hat er ja, das leuchtet mir auch ein, denn ich würde ihn schließlich auch nicht teilen wollen. Aber zunächst werde ich erstmal eine Nacht darüber schlafen und mir dann einen Plan zurechtlegen, wie ich am besten vorgehe. Eine weitere Premiere steht an. Heute wird uns Gabriel das erste Mal daheim besuchen. Für mich ist das ein sehr großer Schritt, denn schließlich war bisher außer Patrick, der jedoch nicht zählt, kein anderer Mann bei uns. Als Gabriel meine Wohnung betritt, wirkt sie jedoch mit einem Mal viel kleiner als vorher. Womöglich liegt das an diesem großen Mann, der mitsamt seiner Erscheinung und seinem enormen Ego den ganzen Platz einnimmt. Ich führe ihn durch die Wohnung und er nickt anerkennend »Wüsste ich nicht, dass du Innenarchitektin bist, dann hätte ich darauf gewettet, dass du eine beauftragt hast. Also Anna, ich muss schon sagen, ich bin wirklich beeindruckt.« »Du alter Schmeichler! Komm’ mit in die Küche, ich muss das Essen in den Ofen schieben und außerdem brauche ich noch dringend Jemanden zum Kartoffelschälen.« »Aha, daher weht der Wind. Du brauchst mich also nur als Küchenhilfe!« »Tja, was dachtest du denn?«, meine ich grinsend und drücke ihm den Kartoffelschäler in die Hand. Eine Stunde später sitzen wir gemeinsam mit Sammy am Tisch und genießen Lammrücken mit Ofenkartoffeln und Speckbohnen. Gabriel nickt begeistert und lässt sich bereits die zweite Portion aufschöpfen, während Samuel die Bohnen angewidert auf seinem Teller hin und her schiebt »Ich wusste ja gar nicht, dass du kochen kannst?« »Das ist eines meiner wenigen Hobbies, für die ich auch Talent besitze! Das habe ich vermutlich von meiner Mutter geerbt. Sie ist eine hervorragende Köchin.« »Ich freue mich jetzt schon sie kennenzulernen! »Sie ist auch schon sehr neugierig, das kannst du mir glauben. Würde mich nicht wundern, wenn sie überraschend vorbeischaut! »Siehst du ihr ähnlich?«, möchte Gabriel von mir wissen »Ganz und gar nicht, ich sehe eher aus wie mein Vater!« »Lerne ich den auch bald mal kennen?« »Nein! Der hat es vorgezogen abzuhauen, als meine Mutter mit mir schwanger war.« »Das tut mir leid! Wenn er dich jetzt sehen könnte, würde es ihm sicherlich leidtun, dass er dich nie kennengelernt hat!« »Früher machte mich der Gedanke traurig, ohne Vater aufzuwachsen, aber mittlerweile habe ich mich natürlich daran gewöhnt und um ehrlich zu sein, möchte ich nicht einmal wissen, wer er ist.« »Wusstest du, dass Ramón das gleiche Schicksal teilt wie du?« »Ja, das hast du mir schon mal erzählt! Wenn wir gerade schon mal beim Thema sind. Was ist denn Ramón eigentlich für ein Typ?« »Fragst du das jetzt als Freundin von Nele oder einfach nur so?« »Kommt ganz darauf an, was du zu berichten hast.« »Also, als Freundin von Nele sage ich dir, dass Ramón ein wahnsinnig netter, gutaussehender Typ ist, der, wenn er mal eine Freundin hat, sie auf Händen trägt und verwöhnt.« »Und was erzählst du mir, wenn ich nicht mit Nele befreundet bin?« »Ja, das ist schwierig. Ramón ist ein sehr guter Freund von mir. Wir kennen uns schon lange und haben viel miteinander erlebt. Weißt du, ich möchte meinen Freund nicht ins schlechte Licht rücken, aber um bei der Wahrheit zu bleiben, Ramón ist Macho und Playboy zugleich. Sich dauerhaft mit einer einzigen Frau einzulassen, das ist nichts für ihn. Er nimmt die Damen so, wie er sie bekommen kann und wenn es mal zwei an einem Abend sind? Warum nicht. Wenn Nele in ihm ein Abenteuer sieht, dann ist sie gut mit ihm bedient, denn damit kann er sich arrangieren. Aber was ich jetzt schon so mitbekommen habe, kann sie das wohl nicht, denn sonst hätte sie ja nicht den Kontakt zu ihm abgebrochen »Sie hat WAS?«, donnere ich los und setze mich kerzengrade auf »Hat sie dir nichts erzählt?« »Nein! Keinen Ton hat sie darüber verloren!« »Sag ihr aber nicht, dass du es von mir gehört hast. Ich bin mir ja auch nicht ganz sicher, was an der Sache dran ist. Es muss etwas mit seiner Ex zu tun haben.« »Das mag ja sein, dass ändert aber für mich nichts an der Tatsache, dass sie sich mir nicht anvertraut hat«, entgegne ich entrüstet. Ich werde Nele später einfach mal anrufen. Wenn sie schon Ärger mit ihrem Lover hat, dann darf sie mir das ruhig auch erzählen. Ich hänge ihr ja schließlich auch mit meinen Sorgen im Ohr. Unter Freundinnen macht man das nun mal auch so. Ich versuche das Gehörte und die daraus resultierenden Sorgen um Nele, zu verdrängen, zumindest für die Zeit, in der Gabriel bei uns ist. Schließlich bin ich um jede Minute, die ich mit ihm verbringen kann, dankbar. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen. Es ist schon fast acht Uhr und Samuel sollte eigentlich schon längst in seinem Bett liegen, aber er konnte Gabriel noch zu einer Partie Memory überreden. Ich halte mich dezent im Hintergrund und beobachte die Beiden. Gabriel, der große reiche Immobilienguru kniet vor meinem Sofatisch und dreht mit Absicht die falschen Kärtchen um. Was für ein herrliches Bild! Sammy freut sich unterdessen wie ein Schneekönig, die meisten Paare selbst einheimsen zu können »So, Kumpel! Ich gratuliere dir zu deinem Sieg! Vermutlich hatte ich nicht den Hauch einer Chance«, gesteht sich Gabriel die eigene Niederlage ein und reicht dem grinsenden Kleinkind versöhnlich die Hand »Damit du nicht so traurig bist, darfst du mich jetzt auch ins Bett bringen!«, meint der Kleine und zieht Gabriel vom Boden hoch. Gabriel schaut mich kurz verdutzt an, während ich nur mit den Schultern zucken kann. Soll er doch einfach mal machen. Wir werden ja sehen, wie er sich als Ziehvater so schlägt. Und dann verschwinden sie auch schon in Richtung Flur. Während Gabriel sich von einer Gute-Nacht-Geschichte zur Nächsten hangelt, habe ich eine Flasche Wein geköpft, sämtliche Kerzen und Teelichter im gesamten Wohnbereich angezündet und Xavier Naidoo in den Ring geschickt, der mit sanften Tönen meine Wohnung beschallt. Ich stelle mich in den Türrahmen und begutachte mein Werk, als Gabriel plötzlich hinter mir steht. Er umfasst von hinten meine Taille und lässt seine Hände nach vorn über meinen Bauch wandern. Ich bekomme sogleich eine Gänsehaut, während er damit beginnt, leichte Küsse auf meinem Nacken zu verteilen »Na? Hat alles geklappt?«, frage ich stockend »Ich denke schon, zumindest schläft er!«, raunt er zwischen seinen Küssen und arbeitet sich weiter an meinem Hals hinab. Seine Hände bewegen sich allmählich zu meiner Brust und als er sie beide mit seinen kräftigen Händen umfasst, merke ich schon, wie mein Höschen allmählich feucht wird. Seine Daumen spielen durch den dünnen Stoff meines Oberteils hindurch, mit meinen Brustwarzen. Ich bin jetzt schon so was von erregt, dass nicht mehr viel fehlt und ich hier in seinen Armen zum Orgasmus komme. Ein Stöhnen entrinnt meiner Kehle und ich lasse den Kopf nach hinten gegen seine Brust fallen. Während seine eine Hand immer noch meinen Nippel bearbeitet, wandert die andere hinunter zum Reißverschluss meiner Jeans. Vorsichtig öffnet er diesen und sucht sich den Weg unter mein Höschen »Lass’ uns lieber hoch ins Schlafzimmer gehen!«, unterbreche ich seine Streicheleinheiten und ziehe ihn hinter mir her zur Wendeltreppe. Als wir dann endlich nach vielen kleinen Knutschpausen oben angelangt sind, umarmt mich Gabriel so stürmisch, dass wir beide torkelnd rückwärts auf das Bett fallen. Sein großartiger Körper kommt auf meinem zum Liegen und nimmt mir dadurch schon fast die Luft zum Atmen. Was mich allerdings zum Lachen bringt, ist die einfache Tatsache, dass ich jetzt schon durch den groben Jeansstoff hindurch seine Erektion spüren kann, die auf meinen Unterbauch drückt »Na, da freut sich aber jemand auf mich!«, ziehe ich ihn auf und schaue in strahlend blaue Augen, die mich schelmisch angrinsen »Das kann man ihm auch nicht verdenken, oder? Er hat schließlich eine ziemliche Durststrecke hinter sich«, entgegnet Gabriel lachend und setzt sich mit einem Mal auf mich. Ganz langsam schiebt er mein Oberteil nach oben und mustert fasziniert meinen Körper mitsamt meinem neuen Spitzenbüstenhalter. Er fährt mit seinen Fingerspitzen die Körbchen ab und nickt anerkennend »Willst du mich nicht von diesem unnötigen Stoff befreien?«, bitte ich ihn und hebe vorsichtig meinen Oberkörper, damit er besser an mich herankommt. Er kommt meiner Bitte umgehend nach und fegt die Kleidung von meinem Körper, so dass ich nun nackt vor ihm liege. Das gleiche wiederholt er unter aufmerksamer Beobachtung meiner Argusaugen bei sich, und legt sich dann zu mir ins Bett. Ich kann nicht anders und muss mich einfach an ihn kuscheln. Wie habe ich doch seine Nähe vermisst! Gabriel gibt mir zärtlich einen Kuss und umrahmt mein Gesicht mit seinen Händen »Oh Anna, du bist so wunderschön! Ich kann es einfach nicht glauben, dass du mich überhaupt willst!« »Was redest du denn da?«, frage ich überrascht. Ich kann einfach nicht verstehen, warum der sonst so selbstsichere junge Unternehmer plötzlich so unsicher ist. Vielleicht sollte ich mich mal auf Spurensuche in seiner Vergangenheit machen. Ich ziehe ihn zu mir heran und beginne sein Gesicht mit kleinen Küsschen zu überziehen. Mit jeder Faser meines Körpers möchte ich ihm mitteilen, wie wichtig er für mich ist. Gabriel schiebt mich zurück und zieht sich über mich. Sein steifes Glied liegt direkt zwischen meinen Beinen und ich umfasse mit beiden Händen seinen knackigen Po. Gabriel beginnt mich nun heftiger zu küssen, um sich dann weiter über meinen Hals, das Dekolleté hinunter, zu meinen Brüsten vorzuarbeiten und eigentlich kann ich jetzt schon nicht mehr an mich halten »Bitte, Gabriel!« »Was „bitte“?«, fragt er gespielt ahnungslos »Bitte!«, flehe ich, »ich will dich spüren!« »Das lass’ ich mir doch nicht zweimal sagen!«, raunt er, greift hinter sich um das Kondom zu holen und überlässt es mir, es ihm überzustreifen. Mit einem kräftigen Stoß ist er in mir und ich komme ihm mit meinen Hüften entgegen. Wir bewegen uns im Einklang und ich schlinge meine Beine um seine Hüften. Während er mich stöhnend zum Höhepunkt treibt, kralle ich mich in Gabriels Oberarme und kann nicht mehr an mich halten. Gabriel stößt noch weitere Male in mich, bis er ebenfalls stöhnend folgt und schweißnass auf mir zu liegen kommt. Heftig atmend und mit klopfendem Herzen genießen wir schweigend die Nachwehen unseres Aktes. Zärtlich streiche ich ihm die feuchten Haare aus der Stirn und küsse ihn auf den Scheitel, woraufhin er kurz aufschaut und mir sein strahlendstes Lächeln schenkt. Und spätestens jetzt weiß ich, dass er es wert ist, um uns zu kämpfen »Möchtest du über Nacht bleiben?« frage ich hoffnungsvoll »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich sehr gern bleiben!« Ich erspare mir selbst die Antwort, indem ich ihn zu mir herüberziehe, um mich sanft in seine Arme zu kuscheln. Die Wärme seiner Haut, sein reiner und ureigener Duft, der mir in die Nase steigt, reicht völlig aus, um mich ins Land der Träume abdriften zu lassen. Stimmen aus der Küche, Lachen und das Geräusch der Kaffeemaschine reißen mich aus dem Schlaf. Mit dem linken Arm taste ich nach Gabriel, aber das Bett neben mir ist leer und schon ziemlich kalt. Erschrocken drehe ich mich zum Wecker um. 9:40 Uhr. Oh Gott! So lang habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Und vor allem so tief und fest. Ich schlüpfe aus dem warmen Bett, angle mir Shirt und Hose vom Boden und schlüpfe hastig hinein. Als ich an meinem Spiegelschrank vorbeigehe, erhasche ich einen kurzen Blick auf meine ziemlich verschlafene Gestalt. Na toll!. Waschbärenaugen, die Haare sind eine mittlere Katastrophe und vermutlich habe ich Mundgeruch, den man bis unten in die Küche riechen kann. Und da stellt sich mir auch schon die erste Frage. Wie komme ich ungehindert ins Badezimmer, ohne dass Gabriel mich sieht? Denn falls er mich sieht, dann rennt er mit gr0ßer Wahrscheinlichkeit schreiend aus meiner Wohnung und verschwindet auf Nimmerwiedersehen aus meinem Leben. Also schleiche ich barfuß und auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, schaue mich vorsichtig um und entdecke meine beiden Herren in der Küche. Sie stehen mit dem Rücken zu mir und brutzeln gerade etwas in der Pfanne. Das ist meine Chance. Ich umrunde vorsichtig das Treppengeländer und tapse in den Flur hinüber zum Badezimmer. Dort angekommen schließe ich mich schnell ein und atme erleichtert aus. In Windeseile habe ich geduscht, Zähne geputzt und meinen Jogginganzug angezogen, der zum Glück noch im Bad herumlag. Jetzt bin ich bereit, mich dem schönsten Mann meines Universums zu stellen. Selbstbewusst wackle ich zu den beiden Jungs in die Küche und da sie mich noch nicht bemerkt haben, kann ich sie in Ruhe beobachten. Gabriel schlägt Eier in die Pfanne und Sammy darf sie mit dem Kochlöffel in der Pfanne verrühren. Von der Tatsache, dass die beiden sich heute erst das dritte Mal sehen, ist nichts zu bemerken. Dieser Anblick zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen und ich gehe zu ihnen hinüber »Guten Morgen ihr Zwei!« »Hallo Mama! Schau mal, was wir gemacht haben!«, sagt Sammy und präsentiert mir stolz das Rührei in der Pfanne »Guten Morgen!«, sagt jetzt auch Gabriel und dreht sich zu mir herum. Seine Stimme ist rau und er sieht ziemlich verschlafen, aber überaus sexy aus. Seine Haare sind zerzaust und auf seinen Wangen liegt ein leichter Bartschatten. In diesem Zustand könnte ich ihn sofort wieder zurück in mein Bett zerren. Ich beuge mich zu ihm und drücke ihm einen leichten Kuss auf die Lippen, was er mit einem Lächeln quittiert »Mama, wir haben auch schon den Tisch gedeckt!«, ruft Sammy ungeduldig dazwischen und zieht mich hinüber ins Esszimmer. Und was soll ich sagen? Ich bin wirklich baff. Die Beiden haben mit so viel Hingabe den Frühstückstisch gedeckt, dass ich mich fragen muss, wie lange sie schon wach sind. Geschirr, Servietten, Teelichter, eine Wurst- und Käseplatte und frische Brötchen. Boah. Hinter mir betritt gerade Gabriel das Esszimmer, mit einer Pfanne Rührei in der Hand, die er kurzerhand auf den Tisch stellt »Setz` dich doch! Ich hole nur kurz den Kaffee!«, weist er mich an und verlässt den Essraum Richtung Küche. Zwick mich mal! Ich glaube, ich träume! Ich lege pappsatt meine Serviette auf den Teller und lehne mich entspannt zurück »Das war vermutlich das beste Frühstück, das ich je bekommen habe. Vielen Dank dafür!« »Gern geschehen! Ich hätte es dir ja auch gern ans Bett gebracht, aber dein Sohn hatte andere Pläne!« »Jetzt bin ich aber mal neugierig. Wie hast du das alles bewerkstelligt und seit wann bist du überhaupt wach?« »Also!«, beginnt er zu erzählen und stützt die Ellenbogen auf den Tisch. »Ich bin heute früh um sieben Uhr aufgewacht, weil mir plötzlich so heiß war. Vermutlich lag das daran, dass sich eine junge Frau mitsamt Armen und Beinen um mich gewickelt hatte. Nachdem ich mich dann von deinen Krakenarmen befreien konnte, bin ich runter auf die Toilette und habe dort Sammy getroffen. Nachdem wir wie zwei Männer unser Geschäft erledigt haben, beschlossen wir gleich aufzubleiben und eine Runde Memory zu spielen. Wir haben eine Wette abgeschlossen, die ich dann leider verloren habe, und so sind wir beide dann zu eurem Bäcker gelaufen.« »Was wäre denn gewesen, wenn du die Wette gewonnen hättest?« »Ja, dann hätte es zum Frühstück Müsli gegeben!« »Na, dann habe ich aber Glück gehabt!« stelle ich unverblümt fest »Beim Bäcker hat mir dann Sammy etwas über deine Vorliebe für Kürbiskernbrötchen erzählt, die wir natürlich auch gleich gekauft haben und so sind wir dann wieder nach Hause, um das restliche Frühstück vorzubereiten«, beendet er seine Erzählung »Weißt du eigentlich, dass du mich damit total beeindruckt hast?« »Was? Mit einem Frühstück?« »Na ja, nicht nur. Wie du dich um Sammy kümmerst, am frühen Morgen Memory spielst, mit ihm zum Bäcker gehst, mit ihm kochst. Das ist einfach unglaublich.« »Ach was, das ist doch selbstverständlich. Ich mache das wirklich gern, das kannst du mir glauben!«, erwidert er und zuckt lässig mit den Schultern »Ich kann es einfach noch gar nicht fassen, dass du jetzt ein Teil von uns bist. Das bist du doch, oder?«, frage ich verunsichert und suche seinen Blick. Vielleicht bin ich etwas zu vorschnell. Aber was ich sehe, lässt mein Herz noch höherschlagen. Er beginnt zu lächeln und rund um seine Augen zeigen sich verschmitzte Lachfalten, dann schüttelt er ungläubig den Kopf und meint: »Warum sollte ich mir so eine Chance entgehen lassen? Ich habe endlich die Frau gefunden, nach der ich schon so lange gesucht habe und ein Bonuspaket habe ich auch noch dazubekommen. Eigentlich bin ich der Glückspilz des Jahres.« Er greift nach meiner Hand und fährt mit seinen Daumen über meinen Handrücken. Und was soll ich sagen? Ich bin schon wieder den Tränen nahe »So etwas Schönes hat noch nie jemand zu mir gesagt!«, gestehe ich mit tränenerstickter Stimme und schon kullern die Tränen ungehindert an meinen Wangen hinunter. Gabriel steht so schnell auf, dass er seine Tasse umwirft, die zum Glück schon leer ist und umrundet den Tisch. Hastig zieht er mich zu sich in die Arme, was ich nur allzu gern geschehen lasse »Es wird Zeit, dass sich jemand um euch kümmert und ich bin froh, dass ich dieser Jemand sein darf!«, flüstert er leise in mein Haar und küsst mich auf den Scheitel. In dieser intimen Position stehen wir eine gefühlte Ewigkeit, bis das schrille Läuten an der Wohnungstür unsere kleine Blase zerplatzen lässt. Samuel kann es wie immer nicht abwarten und rennt wie ein geölter Blitz zur Tür, um sie zu öffnen. Dann höre ich schon die vertraute Stimme meiner Mutter, die sich im Plauderton mit Sammy unterhält. Eigentlich wundert mich ihr Erscheinen in keinster Weise, schließlich hätte ich sie schon gestern Abend erwartet. Gabriel schaut irritiert zu mir hinunter und ich merke, wie er sich verspannt »Jetzt ist Schluss mit Romantik! Meine Mutter ist da!«, ziehe ich ihn auf und wische die letzten Tränenreste von meinem Gesicht. »Du hast jetzt die einmalige Chance dich von deiner besten Seite zu zeigen!« Doch das hätte ich besser nicht sagen sollen, denn völlig erschrocken sieht Gabriel an sich hinunter »Mist! So kann ich wohl kaum deiner Mutter unter die Augen treten, ich bin noch nicht mal geduscht!« »Das ist kein Problem! Ich werde sie ablenken, dann kannst du kurz ins Badezimmer verschwinden. Du musst dich aber leider heute damit abfinden, mein Lavendel-Shampoo zu benutzen.« »Ich habe schon Schlimmeres hinter mir!«, versichert er und rauscht Richtung Bad ab. Ich beginne gerade damit, den Tisch abzuräumen, als auch schon Oma Eleni, wie immer wunderschön und wie aus dem Ei gepellt, das Zimmer betritt »Ich hoffe ich störe nicht!«, fragt sie beiläufig und lässt neugierig ihren Blick durch den Raum schweifen »Hallo Mama, wenn du Gabriel suchst, der ist gerade in der Dusche.« »Das ist gut, dann habe ich wenigstens ein paar Minuten, um mich mit dir allein zu unterhalten.« »Oje, das hört sich aber nicht gut an. Gibt es etwas, dass ich wissen sollte?«, hake ich unsicher nach und schiebe meiner Mutter den Stuhl zurecht, damit sie sich setzen kann »Eigentlich ist es etwas Gutes, aber ich weiß auch nicht so recht, was ich davon halten soll«, erklärt sie und wirkt mit einem Mal total verunsichert. Die Hände in ihrem Schoß vergraben, knetet sie an einem Stoffzipfel ihres Leinenrockes herum »Mama, ist alles in Ordnung?«, bohre ich nach »Kannst du dich noch an das Treffen der Altersgenossen erinnern, bei dem ich war?« »Ja klar! Wir sind doch extra für diesen Anlass auf Shopping-Tour gegangen.« »Genau. Dort habe ich einen alten Bekannten wieder getroffen. Wir haben uns den ganzen Abend unterhalten. Er ist wirklich ausgesprochen nett und ein angenehmer Gesprächspartner.« »Ja und? Was ist mit ihm?« »Er hat mich gestern Mittag angerufen und mich gefragt, ob wir morgen Abend zusammen Essen gehen wollen.« »Er hat dich um ein Date gebeten?«, quieke ich ungehalten und klatsche aufgeregt in die Hände »Ein Date? Ich würde Verabredung dazu sagen, aber das trifft es vermutlich auch.« »Und wo ist jetzt das Problem? Du schaust aus, als ob deine Katze gestorben wäre.« »Ist sie ja auch, aber schon vor sieben Jahren«, stöhnt sie. »Ach Anna, ich bin eben irritiert. Ich hatte schon so lange keine Verabredung mehr und weiß auch nicht, ob das richtig ist.« »Jetzt mach aber mal halblang, Mama! Das ist doch nur ein unverbindliches Treffen. Ihr geht schön miteinander aus und unterhaltet euch. Im Prinzip ist es dasselbe, was ihr schon mal gemacht habt, nur mit dem Unterschied, dass ihr jetzt eben dabei allein seid.« »Was ist, wenn er sich Hoffnung auf ‚mehr‛ macht?« »Lass’ das doch einfach auf dich zukommen. Vielleicht findet er dich nach eurem Treffen gar nicht mehr so reizend, wie er dachte«, erwidere ich und grinse meine Mutter schelmisch an, die mir einen bösen Blick zuwirft »Du bist eine böse Tochter!« Ich verlasse lachend das Esszimmer und beginne das dreckige Geschirr in die Spülmaschine einzuräumen. Gedanklich setze ich mich gerade mit der Vorstellung auseinander, meine Mutter mit einem anderen Mann teilen zu müssen, als Gabriel die Küche betritt. Er wirkt äußerst verunsichert, das sieht man an den eingezogenen Schultern und dem gebeugten Gang. Seine Haare sind noch feucht vom Duschen und kringeln sich leicht. Am allerliebsten würde ich meine Hände darin vergraben und mich wie eine Klette um ihn schlingen, was im Moment äußert unpassend wäre, da schließlich die Oma nebenan sitzt und darauf wartet den Liebhaber der einzigen Tochter kennenzulernen. Habe ich Liebhaber gesagt?? Eigentlich meinte ich eher „zukünftiger Lebenspartner“, was sich aber nach Ü50 anhört. Dann schon lieber „Bettgenosse“ Ich gehe mit Gabriel an der Hand ins Esszimmer und stelle die beiden einander vor. Dem Gesichtsausdruck meiner Mutter nach zu urteilen, ist sie genauso nervös, wie er. Gabriel nimmt den Platz gegenüber meiner Mutter ein und greift nach der Kaffeekanne. Ganz der Gentleman bietet er ihr auch einen Kaffee an, was sie dankend ablehnt, sie trinkt schließlich bloß Tee, was er ja nicht wissen kann. Es beginnt der übliche Smalltalk über das Wetter, über Gabriels Unternehmen und über einige Bauvorhaben in Stuttgart. Sie beschnüffeln sich wie zwei Hunde, die sich das erste Mal im Park begegnen. Meine Mutter hört Gabriels Ausführungen aufmerksam zu und stellt dann in den passenden Momenten einige Fragen. Ich für meinen Teil, räume nebenher den Tisch ab und werfe ab und an ein paar unsinnige Bemerkungen ein, um die steife Atmosphäre etwas aufzulockern. Da stürmt plötzlich Samuel herein, bewaffnet mit seinem Lieblings-Dino, den er von Gabriel geschenkt bekommen hat und einem Dino-Buch. Zielstrebig springt er auf Gabriel zu und setzt sich zu ihm auf den Schoß. Meiner Mutter fallen bei diesem Anblick fast die Augen heraus, da sie es zum einen gewohnt ist, dass Samuel sich immer auf ihren Schoß zwängt und zum anderen, dass Samuel schon jetzt ein derart inniges Verhältnis zu Gabriel entwickelt hat. Ich grinse in mich hinein und bin gespannt, was Oma Eleni später dazu zu sagen hat. Sammy bombardiert Gabriel mit Fragen über die verschiedenen Dinosaurierrassen und bittet ihn, aus dem Buch vorzulesen. Dieser Bitte kommt Gabriel natürlich überaus gerne nach, denn so kann er sich dem Verhör meiner Mutter entziehen und verschwindet schnell mit Buch und Kind im Wohnzimmer. Dümmlich grinsend nehme ich Gabriels Platz am Tisch ein und schaue abwartend meine Mutter an »Na, was sagst du dazu?« »Zu was? Zu ihm oder zu der Tatsache, dass ich jetzt schon die zweite Geige spiele?« »Eifersüchtig?« Doch da heben sich ihre Mundwinkel und sie beginnt zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd »Ja, ich bin eifersüchtig, aber auch aufrichtig erleichtert, dass die beiden sich so gut verstehen. Ich hoffe bloß, dass dieser Zustand anhält.« Dann greift sie über den Tisch und drückt meine Hand »Ich werde jetzt mal gehen! Schließlich werde ich ja nicht mehr gebraucht!«, erwidert sie gespielt beleidigt und läuft lächelnd Richtung Ausgang. Ich hole sie mit wenigen Schritten ein und drücke sie fest an mich »Danke Mama! Danke für Alles! Ich bin froh, dass du immer da bist, wenn ich die brauche und ich werde auch für dich da sein, wenn du meine Hilfe brauchst. Wann soll ich morgen kommen, damit wir dein Outfit für das erste Date zusammenstellen?« »Mach dir nicht die Mühe! Ich habe schon den Kartoffelsack aus dem Keller geholt!«, entgegnet sie und verlässt lachend meine Wohnung. An der Treppe dreht sie sich noch einmal um »Bevor ich es vergesse, ich habe gestern mit deiner Schwester telefoniert. Ich soll dir ausrichten, dass sie stinksauer ist, dass du dich schon so lange nicht mehr gemeldet hast.« Besser gesagt, seitdem Gabriel in meinem Kopf herumschwirrt »Ich weiß, Schande über mein Haupt«, erwidere ich zähneknirschend »Das kannst du ihr dann selber sagen, denn sie kommt nächsten Monat zu Besuch!« »Na, das wird aber auch mal Zeit! Wie lange bleibt sie denn diesmal?« »Ich glaube sie hat etwas von zwei Wochen gesagt«, antwortet Eleni, dann ist sie auch schon hinter dem Treppengeländer verschwunden. Kopfschüttelnd gehe ich zurück in meine Wohnung. Ich kann es gar nicht fassen! Meine Schwester wird kommen. Vor einem Jahr haben wir uns das letzte Mal gesehen. Wir werden uns viel zu erzählen haben, das ist mir jetzt schon klar. Auch wenn wir ab und an telefonieren oder skypen, halten wir uns doch nur über das Nötigste auf dem Laufenden. Ich schließe die Tür hinter mir und begebe mich auf die Suche nach Gabriel und Sammy, die nach wie vor im Wohnzimmer sitzen, mit den Köpfen über der Dinosaurier-Fachliteratur. Samuel klebt an ihm wie eine Klette und Gabriel lässt das nur allzu gern über sich ergehen. Als Gabriel uns dann aber gegen Mittag eröffnet, bald nach Hause zu müssen, bricht Sammy um ein Haar in Tränen aus. Doch Gabriel kann ihn beruhigen, indem er ihm verspricht am Abend noch einmal anzurufen und „Gute Nacht“ zu sagen. Kaum, dass Gabriel unsere Wohnung verlassen hat, greife ich zum Telefon und rufe Nele an. Ich mache mir unglaubliche Sorgen und schwere Vorwürfe, dass ich nicht mal ansatzweise bemerkt habe, wie schlecht es vermutlich meiner Freundin geht. Schon beim ersten Klingeln hebt sie ab »Na du? Was gibt’s?«, fragt sie lässig »Nichts Besonderes!«, erwidere ich, was ja glatt gelogen ist. »Und bei dir?« »Auch nix Besonderes!« »Was hast du denn gestern so gemacht? Hast du dich mit Ramón getroffen?«, frage ich scheinheilig »Nö! Ich war mit einem Kunden unterwegs.« »Ach so! Wie geht es denn Ramón eigentlich so?« »Keine Ahnung!« »Wie meinst du das? Du triffst dich doch noch mit ihm, oder?« »Nö.« »Hältst du es nicht für notwendig, mir das zu erzählen?« »Nein, warum sollte ich. Bist du deswegen so pissig?« »Ja!«, rufe ich empört aus. »Und weißt du was? Ich bin nicht nur pissig, ich bin richtig stinkig mit dir, dass du mir nichts erzählt hast. Ich bin doch schließlich deine Freundin und du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst. Und überhaupt mache ich mir doch Sorgen um dich.« »Ach Süße! Mir geht es aber doch gut. Mach’ mal nicht so einen Wind um die Sache. Hier geht es schließlich bloß um einen Mann und der ist die Aufregung gar nicht wert.«, versucht sie mich zu beruhigen »Kannst du mir aber jetzt bitte erzählen was passiert ist?« »Wenn du es unbedingt wissen willst, dann fasse ich das Ganze für dich mal zusammen: Ramón und ich haben uns ein paar Mal getroffen, hatten unglaublich guten, aber unverbindlichen Sex miteinander. Vielleicht habe ich in die Sache etwas zu viel reininterpretiert. Hätte ja auch mehr daraus werden können. Aber vermutlich dachte bloß ich so, denn als ich ihn dann letzte Woche in seinem Kuba-Club überraschen wollte, habe ich ihn in flagranti mit einer anderen erwischt.« »In seinem Club?« »Besser gesagt, in seinem Büro. Da hat er mich auch schon flachgelegt, das ist ja noch der Höhepunkt an dem Ganzen. Wenn ich nur daran denke, wie viele Weiber vor mir, schon auf der Schreibtischplatte gelegen haben, da dreht sich mir doch glatt der Magen um.« »Was hat Ramón dazu gesagt?« »Ihm war es wohl sehr unangenehm erwischt zu werden. Danach hat er zigmal auf meinem Handy angerufen und mir ein Dutzend Nachrichten geschickt, aber ich habe sie alle gelöscht. Das Thema ist für mich erledigt!« »Oh Nele, das tut mir so leid. Ich hätte mir so gewünscht, dass es mit euch beiden klappt.« »Das braucht es doch nicht. Du kennst mich doch! Ein Freigeist, wie ich es bin, liebt es allein zu sein!«, bekräftigt sie. Im Anschluss erstatte ich noch meinen persönlichen Bericht über die Geschehnisse der letzten Tage. sowie das erste gemeinsame Zusammentreffen der einzelnen Familienmitglieder. Als wir anschließend auflegen, kann ich jedoch nur mit dem Kopf schütteln. Ich nehme ihr diese gespielte Coolness nicht wirklich ab. Vielmehr glaube ich, dass sie schon auf dem besten Weg war, sich in Ramón zu verlieben. Was kein Wunder wäre, denn schließlich ist Ramón ein heißer Feger, der nur so mit Charme um sich sprüht. Ich überlege ernsthaft, wann ein Mann das letzte Mal überhaupt die Chance auf ein zweites Date mit Nele bekommen hat, aber mir fällt beim besten Willen keiner ein. Wenn das mal kein Zeichen ist. Ich halte in einer Parkbucht und Oma Eleni schält sich aus dem Sicherheitsgurt meines Audis. Heute ist ihr großer Tag, besser gesagt ihr großer Abend, denn sie steht vor ihrem ersten Date mit Hans-Peter. Das letzte Mal, als sie sich verbindlich mit einem Mann getroffen hat, dürfte vor etwa dreißig Jahren gewesen sein. Damals traf sie sich mit meinem Vater, der sich unlängst aus dem Staub gemacht hat, dieser Volldepp. Ich bestaune meine Mutter noch ein letztes Mal, bevor sie den Wagen verlässt und bin wirklich begeistert. Wenn eine Dame mit Sechzig stilsicher ist, dann meine Mutter. Ihre schwarzen Haare sind wie immer am Hinterkopf zu einem Knoten verschlungen und sie hat sogar ein leichtes Make-up aufgelegt. Ihr Outfit, das aus einem eleganten dunkelblauen Hosenanzug besteht, harmoniert perfekt mit dem schlichten weiß-blau getupften Chiffontuch, dass sie sich von mir ausgeliehen hat. Ich winke meiner Mutter zum Abschied ein letztes Mal, wünsche ihr viel Glück und mache mich auf den Weg in die Innenstadt, um mich dort mit Gabriel zu treffen. Nach ewiger Sucherei finde ich endlich einen Parkplatz und mache mich eilends auf den Weg zum Schlossplatz, wo wir uns verabredet haben. Während dem Laufen zupfe ich noch hier und da an meinem Oberteil herum und fahre mir mit den Fingern durch die Haare, um sie ein wenig in Form zu bringen. Vermutlich bringt das sowieso nichts, aber es beruhigt mich zumindest etwas, schließlich bin ich nach wie vor noch sehr aufgeregt, wenn ich mich mit Gabriel treffe. Geradewegs steuere ich auf den riesigen Platz zu und sehe Gabriel schon von Weitem stehen, in Begleitung einer großen Brünetten. Etwas irritiert bin ich schon. Ich wusste zwar, dass er einen Außentermin mit einem Kunden hat, aber ich bin eher davon ausgegangen, dass es sich hierbei um einen männlichen Kunden handelt. Als ich den Beiden schon bis auf wenige Schritte nähergekommen bin, wird meine Irritation noch viel größer. Die Brünette, die fast so groß wie Gabriel ist, steht ihm gegenüber und himmelt ihn förmlich an. Wäre das nicht schon genug, legt sie ihre perfekt manikürte Hand wie selbstverständlich auf seinen Arm. Am liebsten würde ich ihr meine Handtasche derart um die Ohren schmettern, dass ihre riesigen Kreolen nur so baumeln. Mit einem kurzen flapsigen „Hallo“ signalisiere ich meine Ankunft und verstecke vorsichtshalber meine Hände hinter meinem Rücken, sonst würden beide sofort sehen, dass ich zittere wie Espenlaub »Hallo Anna, da bist du ja!«, begrüßt mich Gabriel überrascht und haucht mir einen leichten Kuss auf die Lippen. Die Brünette steht da, wie vom Donner gerührt, reißt die Augen weit auf und ihre Lippen bilden eine schmale Linie. Sehr gut! Da besinnt sich Gabriel auch schon seiner guten Kinderstube und stellt uns einander vor »Marlene! Das ist Anna, meine Freundin!« Mein Herz hüpft vor Freude in die Luft, als er mich vorstellt »Und das ist Marlene, meine Assistentin!« »Und Ex-Freundin!«, schickt Marlene mit einem linkischen Grinsen hinterher. Und diesmal bin ich es, die mit offenen Augen dasteht und Gift und Galle spucken könnte. Ich frage mich wirklich, warum mir Gabriel nichts gesagt hat. Aber da fällt mir doch gerade ein, dass wir überhaupt noch gar nicht über irgendwelche Ex-Freundinnen von ihm gesprochen haben. Ich komme mir plötzlich klein und dumm vor und würde mich am liebsten umdrehen und zurück zum Wagen gehen, aber diese Genugtuung will ich ihr natürlich nicht gönnen. Sie mustert mich von oben herab mit diesem Blick, der mir sagen will: „Was willst du eigentlich hier, Kleine? Geh’ heim und spiel mit deinen Puppen!« Eigentlich kann sie nicht wesentlich älter sein als ich, aber ihr Auftreten und vermutlich das seriöse Business-Outfit, lassen sie um einiges älter wirken. Warum sie sich wohl getrennt haben? Ich glaube, ich werde mir Gabriel mal vorknöpfen. Nach kurzem geschäftlichem Smalltalk verabschieden sich die Beiden und natürlich drückt Miss Assistentenziege Gabriel einen dicken Schmatzer auf die Wange, aber nicht ohne ihren Busen vorher noch an seiner Brust zu reiben. Die Wut kocht in mir hoch und Bilder von Daumenschrauben und anderen mittelalterlichen Folterinstrumenten laufen vor meinem inneren Auge ab. Zum Glück kann das Gabriel nicht sehen und nimmt mich an der Hand, um mich fortzuziehen. Fräulein Marlene winkt mir heimtückisch hinterher und hat auch noch die Frechheit mir zuzuzwinkern. Habe ich nicht noch einen Schraubenzieher in meiner Handtasche? Würde gut in ihr Auge passen! Wir suchen uns einen Platz in einem Café direkt am Schlossplatz und Gabriel bestellt für uns beide einen Cappuccino. Ich platze gleich vor Neugier und so stelle ich ihm die Frage aller Fragen »Wann habt ihr euch denn getrennt, aus welchen Gründen und warum hast du mir nichts davon erzählt, dass sie noch für dich arbeitet?« »So viele Fragen auf einmal! Dein süßes Gehirn läuft gerade auf Hochtouren, stimmt’s?« Für diese Antwort könnte ich ihm doch glatt seinen Cappuccino in den Schoß kippen. Unglaublich »Erinnerst du dich noch an das Gefühl, dass du hattest, als du mich mit meinem letzten Kunden gesehen hast?«, frage ich mal fadenscheinig nach »Ja, nur zu gut. Ich hätte ihm am liebsten alle seine Finger gebrochen!« »Na, siehst du! So geht es mir auch gerade. Nur mit dem Unterschied, dass ich ihr am Liebsten meine Nagelfeile in ihre hübsch geschminkte Visage gerammt hätte.« Gabriel bricht in schallendes Gelächter aus. Die umsitzenden Gäste schauen zu uns herüber und ich setze vorsichtshalber mal meine Sonnenbrille auf, damit mich niemand mehr erkennt »Du brauchst gar nicht so zu lachen! Das ist nicht lustig!«, antworte ich gereizt und schaue mit geschürzten Lippen den vorbeilaufenden Passanten zu »Wenn du eifersüchtig bist, gefällst du mir äußerst gut. Da brennt dieses Feuer in dir. Das kann ich förmlich spüren.« »Dann pass’ bloß auf, dass du dir an mir nicht die Finger verbrennst, du Spaßvogel!« Gabriel greift nach meiner Hand und führt sie an seinen Mund. Er haucht ein paar Küsse darauf, bevor er anfängt zu erzählen »Marlene ist die Tochter der besten Freundin meiner Mutter. Wir sind praktisch zusammen aufgewachsen. Wenn ich mit meinen Eltern zusammen in den Urlaub gefahren bin, dann waren Marlene und ihre Eltern auch immer mit von der Partie. Da sie wie ich Einzelkind ist, verbrachten wir jede freie Minute miteinander, nur um nicht mit unseren Eltern abhängen zu müssen. Nach dem Abitur haben wir uns dann aus den Augen verloren. Marlene hat eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht und versuchte sich mit einem eigenen Salon selbstständig zu machen. Nachdem das gescheitert war, bat mich ihre Mutter um Hilfe. Ich konnte Marlene damals eine Stelle in unserem Unternehmen anbieten und sie hat sich als äußerst geschickt im Umgang mit Kunden erwiesen, so dass sie später die Stelle als Assistentin angeboten bekam. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, beruflich gesehen und so führte eins zum anderen und wir kamen zusammen. Unsere Beziehung hielt zwei Jahre, dann verließ mich Marlene wegen eines Anderen. Anfangs war ich einfach nur wütend und wollte ihr schon kündigen, aber sie machte ihren Job auch weiterhin gut und ich war immer schon der Meinung, dass man Privates und Geschäftliches trennen soll. So behielt sie also nach wie vor ihre Anstellung bei mir und ich stellte mit der Zeit fest, dass nicht ihr Verlust mir am meisten zu schaffen machte, sondern eher, dass sie mich mit einem Anderen betrogen hatte. Ich glaube, dass wir einfach zu verschieden waren. Ich war nicht der richtige Mann für sie und sie nicht die richtige Frau für mich.« »Sieht sie das genauso?«, hake ich nach und nehme einen Schluck von meinem Cappuccino »Ich denke schon. Wir haben nie darüber gesprochen.« »So, wie die dich eben angetatscht hat, meint sie wohl immer noch ein Besitzrecht zu haben. « »Sie ist es nur nicht gewöhnt eine Frau mit mir zu sehen. Schließlich war ich all die Jahre Single.« »Und sie? Ist sie noch mit diesem Typen zusammen?« »Nein!« Aha, daher weht der Wind »Wollte sie wieder zu dir zurück?«, frage ich vorsichtig, obwohl ich die Antwort eigentlich schon weiß »Ja.« Schlampe! Blöde Schlampe! Ganz blöde Schlampe! Das ist auf jeden Fall mehr, als ich hören wollte und diese schlichte Antwort hat meinen Kampfgeist geweckt. Was immer diese Frau auch von meinem Freund will, sie wird es nicht bekommen. Ich kämpfe um mein Eigentum, wie eine Löwin. Fast schon muss ich lachen, als ich mich im Löwinnenkostüm an Gabriels Seite vorstelle, zähnefletschend versteht sich. Wir lassen das Thema auf sich beruhen und Gabriel ruft nach der Bedienung, um zu zahlen. Da Patrick dieses Wochenende Samuel bei sich hat, können Gabriel und ich entspannt die Zeit genießen und das tun, was wir am liebsten tun. Schon bei dem Gedanken daran, zieht sich mein Unterleib köstlich zusammen und ich stelle ihn mir nackt und unter mir vor. Wie ich diese Tagträume liebe. Es ist Montagmorgen und ich lasse mein vergangenes Wochenende nochmals Revue passieren. Gabriel und ich haben ausgesprochen viel Zeit im Bett verbracht, bis meine Mutter uns unsanft aus den Federn geklingelt hat. Natürlich wollte sie mir von ihrem Rendezvous mit Hans-Peter berichten, der sich als der ideale Partner entpuppt hat. Hans-Peter, der ebenfalls alleinstehend ist, nachdem ihn seine Frau vor zehn Jahren verlassen hat, steht kurz vor der Rente und sucht eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. So wie meine Mutter, zum Beispiel. Er liebt Reisen, und spielt für sein Leben gern Bridge. Wenn das mal kein Zufall ist. Meine Mutter ist eine Bridgekönigin! Außerdem hören sie beide gern Frank Sinatra. Die Augen von Oma Eleni beginnen zu leuchten, als sie mir von Samstagabend berichtet. Ich freue mich unendlich, dass diese Erfahrung positiv war, denn nur so schafft sie es aus ihrer Maulwurfshöhle heraus. Gemeinsam beratschlagen wir, wie jetzt weiter mit Hans-Peter vorzugehen ist, während Gabriel schon unter die Dusche gegangen ist. Gegen Nachmittag durfte ich Gabriel bei seiner zweitliebsten Beschäftigung, dem Angeln, begleiten. Ich habe mich dabei so dämlich angestellt, wie vermutlich kein Mensch vor mir. Wir haben uns einen idyllischen Platz an einem malerischen See gesucht. Das Wetter spielte zum Glück auch mit und Gabriel erklärte mir in kurzen Worten die wichtigsten Details, die man als Angelneuling wissen muss. Ich, natürlich voll aufmerksam, habe schön zugehört und war der Meinung alles kapiert zu haben. Also gut, Angelrute her. Gabriel befestigt den Köder daran und Anna holt schön weit aus, um die Angel auszuwerfen. Und da passierte es. Ich dumme Nuss hab vergessen die Angelrute festzuhalten und habe sie kurzerhand samt Schnur und Köder in den See geschleudert. Voll blöd. Gabriel machte daraufhin ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter, obwohl er mich ernsthaft glauben lassen wollte, dass das überhaupt nicht schlimm sei. Das könne ja schließlich jedem einmal passieren. Dass ich nicht lache. So etwas Trotteliges ist bestimmt noch nie jemandem passiert, außer mir eben. Während Gabriel dann noch versuchte, einen Fisch für uns zu fangen, habe ich mich ununterbrochen bei ihm entschuldigt und habe nicht mal gemerkt, dass ich da schon den zweiten Fehler begangen habe. Reden verboten! Wusste ich ja eigentlich auch schon, aber es tat mir ja so leid, die Sache mit der Angelrute. So sind wir dann gegen Nachmittag wieder nach Hause und ich konnte ihn dank meiner selbstgemachten Lasagne noch versöhnlich stimmen. Gegen Ende des Tages ist er dann über den Verlust seiner Angelrute hinweggekommen und konnte mittlerweile auch darüber lachen. Ich für meinen Teil muss mir heute immer noch das Lachen verkneifen, wenn ich bloß daran denke. Nachdem ich Sammy in die KiTa gefahren habe, mache ich es mir mit der Tageszeitung auf meinem Balkon bequem. Es weht ein frisches Lüftchen, so dass ich mir noch eine Strickjacke überziehe, ehe ich hinausgehe. Über Innen- und Außenpolitik hinweg, arbeite ich mich bis zum Stellenmarkt vor und überfliege die Jobangebote. Diesmal sind sogar zwei lukrative Stellen ausgeschrieben, welche ich mit einem Kugelschreiber umkreise. Gesucht werden in beiden Fällen Innenarchitekten, einmal für ein Architekturbüro und das andere Mal für einen Raumausstatter. Ich werde mich auf beide Stellen bewerben, so viel steht schon mal fest. Und um nicht allzu viel Zeit zu vergeuden, werde ich sofort loslegen. Ich fahre meinen Laptop hoch und beginne damit die erste Bewerbung zu schreiben. Als ich über die Adresse des Architekturbüros stolpere, bin ich zuerst etwas überrascht, da es schließlich dieselbe Adresse wie Gabriels Immobiliengesellschaft ist. Scheint im selben Gebäude zu sein. Da Gabriel mir schon des Öfteren angeboten hat, mich bei meiner Jobsuche zu unterstützen, kann er das doch jetzt gleich mal tun. Ein paar Hintergrundinformationen über das Unternehmen können ja nicht schaden. Ich nehme das Handy zur Hand und versuche ihn anzurufen, doch leider ist dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt, denn ich werde an die Mailbox weitergeleitet. Da er mir auch für alle Fälle die Nummer seines Büros gegeben hat, probiere ich es dort mal. Schon nach dem zweiten Klingeln hebt jemand ab und eine Frauenstimme meldet sich mit „Bernard Immobilien, Sie sprechen mit Marlene Fürst“. Oh nee! »Hallo Marlene, hier spricht Anna! Könnte ich bitte kurz Gabriel sprechen?« »Entschuldigung, ich kenne keine Anna, also mit wem spreche ich?« Ich glaube ich spinne! Die weiß doch ganz genau wer ich bin und jetzt tut sie dumm rum »Ich bin Gabriels Freundin! Geht Ihnen jetzt ein Licht auf?« »Ach! Ich kann mich noch vage daran erinnern. Hören Sie Anna, ich weiß ja nicht, was Sie denken, dass wir hier tun. Aber im Gegensatz zu Ihnen, arbeiten wir hier und ihr Freund, wie Sie ihn nennen, sitzt gerade in einem Meeting, in welchem ich ihn auf gar keinen Fall stören werde. Es geht hier um Millionen. Aber das können Sie bestimmt nicht nachvollziehen.« Die ist ja noch viel schlimmer als ich dachte. Wie war das doch gleich: „Marlene kommt gut bei den Kunden an!“ Aber wahrscheinlich bloß bei den männlichen. Ich wappne mich innerlich für den Gegenschlag »Ja, da haben Sie wohl recht. Ich kann das absolut nicht nachvollziehen. Ich bin auf die Sonderschule gegangen, weil ich nicht so helle bin, aber dafür bin ich klasse im Bett, wenn Sie verstehen? Richten Sie Gabriel aus, dass ich angerufen habe oder lassen Sie es. Tschüss!« Und dann lege ich schnell auf. Na, der habe ich es aber gezeigt. Dumme Schnepfe. Eine Stunde später ruft Gabriel immer noch nicht zurück, daher vermute ich, dass die Assi-Zicke es ihm nicht ausgerichtet hat. Also setze ich die Arbeit fort, um eine Stunde später stolze Besitzerin einer fertigen Bewerbung zu sein. Ich suche noch schnell die E-Mail-Adresse des Architekturbüros heraus und versende das Ganze per E-Mail. Fertig. Jetzt heißt es abwarten und Tee trinken oder wie in meinem Fall einen leckeren Prosecco, den ich mir redlich verdient habe. Es ist schon bereits kurz nach eins, als Gabriel endlich zurückruft. Seine Stimme zu hören, ist wie eine Oase in der Wüste Gobi »Hallo, mein Engel«, begrüßt er mich fröhlich. »Ich habe eben erst gesehen, dass du angerufen hast. Ich saß bis gerade in einem Meeting. War es wichtig?« »Nein, nein! Ich hatte nur eine Frage zu dem Architekten, der im selben Gebäude arbeitet, wie du.« »Was wolltest du denn wissen?« »Ja eigentlich nur, wie er so ist. Aber das hat sich jetzt sowieso erledigt, weil ich die Bewerbung schon weggeschickt habe.« »Welche Bewerbung, Anna?« Und seine Stimme nimmt diesen ruppigen Ton an, den er immer hat, wenn ihm etwas gegen den Strich geht »In der Tageszeitung bin ich auf die Stellenanzeige von diesem Architekten gestoßen. Er sucht eine Innenarchitektin und da dachte ich mir, dass das wohl meine Chance ist. Stell’ dir mal vor, die würden mich nehmen. Dann arbeiten wir quasi im selben Gebäude«, erläutere ich und könnte bei dem Gedanken daran, gleich vor Freude in die Luft gehen. Aber Gabriel am anderen Ende der Leitung schnauft nur laut auf und dann poltert er auch schon los »Du wirst diese Bewerbung zurückziehen, hörst du? Das ist nichts für dich.« Ich glaube mich verhört zu haben »Wie kannst du das denn überhaupt beurteilen. Warum soll das nichts für mich sein? Auf diese Erklärung bin ich aber mal gespannt«, widerspreche ich ebenso ruppig wie er »Anna, der Typ, also der Chef, das ist ein richtiger Schmierfink. Der sucht mindestens alle drei Monate nach einer neuen Innenarchitektin. Und weißt du auch warum? Weil er die Damen alle bisher vergrault hat. Hinter jedem Rock ist der her. Und falls die Dame nicht mitspielt, dann macht er ihr das Leben zur Hölle. So einfach ist das.« Jetzt bin ich aber sprachlos und zugleich tief enttäuscht »Das wusste ich nicht!«, entgegne ich kleinlaut »Warum hast du mich nicht eher gefragt? Dann hättest du dir das mit der Bewerbung sparen können!« »Wollte ich ja, aber du bist nicht an das Handy rangegangen und als ich im Büro angerufen habe, hat mir deine, ach so nette Assistentin, deutlich zu verstehen gegeben, dass man dich in einem Meeting nicht stören kann.« »Ich werde ihr sagen, dass sie bei dir eine Ausnahme machen darf. Sie wusste vermutlich bloß nicht, wie sie sich verhalten soll.« Ja, ja. Nehm’ sie nur in Schutz, denke ich so bei mir. Die Zicke weiß ganz genau, wie man sich verhält, wenn man die Widersacherin klein halten will. Aber die wird sich noch wundern »Wenn es dir recht ist, werde ich morgen gleich hinunter gehen, und deine Bewerbung zurückziehen. Ich möchte auf keinen Fall, dass dieser Schürzenjäger auch nur in deine Nähe kommt.« »In Ordnung!«, willige ich ein, denn schließlich möchte ich deshalb nicht mit Gabriel in einen Konflikt geraten »Mein Engel, ich muss jetzt Schluss machen. Ich habe gleich noch einen Termin im Pflegeheim meiner Mutter. Ich melde mich bei dir, sobald ich zurück bin.« »Ja klar! Wir hören uns später.« Ich laufe in den Flur, um mein Handy auf dem Sideboard zu deponieren. Im Spiegel über dem Board erhasche ich im Vorbeilaufen einen kurzen Blick auf mein Spiegelbild und erschrecke. Mein Dekolleté ist übersäht mit hellroten Flecken, die sich vom Hals bis zum Brustansatz ausbreiten. Das Gesicht ist bis auf rote Wangen, völlig normal. Das lässt für mich nur den einen Schluss zu, dass es sich hierbei um hektische Flecken handeln muss. Ich werde sie spaßeshalber Marlene-Pusteln nennen. Jetzt aber schnell in die Küche und zum erstbesten Hilfsmittel greifen. Prosecco. Es ist Freitagnachmittag und Gabriel und ich sind gerade auf dem Weg ins Pflegeheim. Es ist für mich ein Privileg ihn heute begleiten zu dürfen, denn schließlich ist das ein großer Einblick in seine Privatsphäre. Die eigene Mutter, schutzbedürftig, in eine Einrichtung unterzubringen und somit die Verantwortung aus der Hand zu geben, war für Gabriel nicht einfach. Mehrmals schon hat er darüber gesprochen, wie schlecht er sich bei dem Gedanken fühlt, seine Mutter „abgeschoben“ zu haben. Auch wenn er oft zu ihr ins Heim fährt, um nach ihr zu sehen, das schlechte Gewissen scheint sich in seinem Hirn festgesetzt zu haben. Ich bin schrecklich aufgeregt. Zum einen möchte ich endlich wissen, wie seine Mutter aussieht. Ob die beiden sich wohl ähnlichsehen? Und zum anderen habe ich noch nie im Leben ein Pflegeheim von innen gesehen und habe etwas Angst davor, was mich dort erwartet. Gabriel prescht mit dem Porsche auf den geschotterten Parkplatz und wirbelt damit Staubwolken auf, die uns und das schicke Auto in einen grauen Schleier hüllen. Er nimmt mich an der Hand und gemeinsam gehen wir hinüber zum Eingang des opulenten Gebäudes. Ich schaue mir das Haus genauer an und vermute mal, dass es sich hier um ein Gebäude des 18. Jahrhunderts handelt. Auf mich wirkt es sehr einschüchternd und sieht mehr nach Erziehungsanstalt als nach schicker Altersresidenz aus, was ich aber für mich behalte. Im Foyer treffen wir schon auf die ersten Bewohner, die uns freundlich grüßen. Gabriel führt mich einen langen Gang hinunter, an dessen Ende eine Tür auf uns wartet. Gabriel klingelt an der Sprechanlage und nachdem er sich und mich angemeldet hat, erklingt der Türsummer und wir werden eingelassen. Nun stehen wir im gesicherten Bereich für Bewohner mit Alzheimer und Demenz. Ich schaue mich in Ruhe um, während Gabriel nach einer Pflegerin sucht. Die Station sieht aus wie ein übergroßes Wohnzimmer, was mich ziemlich überrascht. Um mich herum stehen Schränke, Wohnwände und Beistelltische, Eiche rustikal, wohin das Auge reicht. Sessel und verschiedene Sitzgruppen laden zum Verweilen ein und an den Wänden hängen Aquarellbilder, die vermutlich von den Bewohnern gemalt wurden. Ich laufe weiter und betrete eine Art Gemeinschaftsraum, der durch die gelben Gardinen eine helle und freundliche Atmosphäre erhält. Ich fühle mich sofort wohl. Überall stehen Pflanzen, auf dem Sims, auf Pflanzhockern und auf dem Fußboden. Und natürlich ein alter Wohnzimmerschrank in Eiche rustikal, der in ein Bücherregal umfunktioniert wurde. Ich gehe hinüber und schaue mir die Bücher genauer an, die darin stehen. Als ich gerade ein Buch herausziehen will, ertönt hinter mir eine Stimme »Raus aus meinem Wohnzimmer!« Ich fahre zusammen und lasse vor Schreck das Buch fallen. Vorsichtig drehe ich mich um und erstarre. Da sitzt eine ältere Dame in einem Sessel und schaut mich grimmig an. Aber was mich am meisten schockiert. Sie ist nackt! Mal abgesehen, von den Wollsocken, die sie noch anhat »Raus aus meinem Wohnzimmer!«, wiederholt sie noch einmal aufbrausend und macht sich schon daran aufzustehen »Oh, Entschuldigung!«, stammele ich nervös und hebe schnell das Buch wieder auf. Ich will gerade den Raum verlassen, als auch schon eine Pflegerin hereinkommt »Frau Müller, ich glaube es ja nicht! Haben wir mal wieder unsere Kleider ausgezogen?« Dann geht sie zu der älteren Dame hinüber, die nun ihren Blick an sich herunter gleiten lässt. Beschämt über ihre eigene Nacktheit, greift sie nach einem Sofakissen und bedeckt damit ihre Blöße. Die Pflegerin, die mich inzwischen entdeckt hat, lächelt mir freundlich zu »Es tut mir leid!«, setze ich zu einer Entschuldigung an. »Ich wusste nicht, dass das ihr Zimmer ist«, und zeige auf Frau Müller »Das ist es auch nicht. Sie kann sich nur nicht mehr daran erinnern.« Ich weiß im Moment nicht, wem die Situation peinlicher ist, mir oder Frau Müller. Mit hochrotem Kopf husche ich zurück in den Flur und treffe dort auf Gabriel »Was ist denn los, mein Engel?«, fragt er und schaut mich irritiert an »Ach nichts! Ich hatte da eben bloß eine besondere Begegnung. Lass’ uns zu deiner Mutter gehen.« Gabriel gibt mir einen scheuen Kuss, dann gehen wir weiter den Flur entlang. Als wir um die Ecke biegen, wartet schon die nächste Überraschung auf mich. Eine „Bushaltestelle“, mit Parkbank, Fahrplan und natürlich einer Uhr. Auf der Bank sitzt eine kleine zierliche Frau mit rot-braunen Locken und Handtasche im Schoß. Sie stiert geradeaus und als wir näherkommen dreht sie sich zu uns herum. Frau Bernard. Die Ähnlichkeit zu Gabriel ist gravierend. Dieselben Augen, derselbe Mund. Nur die Haarfarbe passt nicht ganz. Als ob wir gar nicht da wären, dreht sie sich wieder weg und starrt weiter geradeaus. Gabriel geht vorsichtig auf sie zu und berührt sie leicht am Arm, worauf sie erschrickt und ihren großgewachsenen Sohn schockiert anschaut »Hallo Mama!«, flüstert er ihr leise zu. Ihre Augen blitzen für einen kurzen Moment auf, aber dann dreht sie sich auch schon wieder weg. Gabriel redet weiter auf sie ein, stellt mich ebenfalls vor und setzt sich neben seine Mutter auf das Bänkchen. Eine Pflegerin, die gerade aus einem Bewohnerzimmer kommt, entdeckt uns und kommt zu uns herüber. Sie grüßt uns beide und bringt Gabriel kurz auf den neuesten Stand der Dinge. Wie wir erfahren, geht es Frau Bernard heute nicht so gut. Sie möchte nichts essen und trinken und wird leicht ungehalten, wenn man sie dazu bringen möchte doch eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Nach Gabriels Gesichtsausdruck zu urteilen, ist er sehr besorgt »Sie sieht blass aus«, stellt er fest »Seit wir die Bushaltestelle aufgebaut haben, zieht sie sich immer wieder instinktiv hierher zurück. Sie weiß zwar nicht mehr, was sie hier eigentlich will, aber der Platz gefällt ihr. Was dazu führt, dass sie kaum noch raus in den Garten geht«, erklärt uns die Pflegerin und streicht ihrer Bewohnerin liebevoll über die Wange. Gabriel versucht seine Mutter zu einem kleinen Spaziergang zu überreden, aber keine Chance. Die ältere Dame wiegelt ab und lässt uns nicht an sich heran. So beschließen wir nach einer Weile wieder zu gehen und die nette Pflegerin verspricht uns, sich zu melden, falls es Frau Bernard schlechter gehen sollte. Auf dem Weg nach Hause driftet Gabriel ebenfalls in seine Gedankenwelt ab. Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht, aber seine Sorgenfalten sind kaum zu übersehen. Vermutlich grübelt er über seine Mutter nach. Er tut mir unendlich leid, aber bei dieser Sache kann ich ihm leider nicht helfen. Einfach nur für ihn da zu sein, ist das Einzige, was ich hier tun kann. Sanft streichle ich seine Hand, die auf dem Schaltknüppel liegt und als er mich kurz anschaut, lächle ich ihm zaghaft zu »Danke!«, flüstert er nur und drückt meine Hand. »Dass du heute mitgekommen bist, hat mir sehr viel bedeutet! Ich wollte dir einen Teil meiner Vergangenheit und Gegenwart zeigen. Ich hoffe, du bist nicht allzu schockiert?« »Schockiert bin ich nicht, aber es macht mich ziemlich traurig. Deine Mutter würde heute ein anderes Leben führen, wenn sie diese Krankheit nicht bekommen hätte. Und dieser Umstand lässt mich daran denken, wir wertvoll wir mit unserer Zeit umgehen sollten. Schließlich wissen wir nie wie viel Zeit uns noch bleibt.« »Würdest du mich auch in Zukunft zu ihren Besuchen begleiten?« Ich bin reichlich überrascht über diese Frage, kann diese aber ohne Bedenken sofort mit „Ja“ beantworten »Wenn du dabei bist, lässt es sich leichter ertragen. Fast so, als ob du mir einen Teil meiner Last von den Schultern genommen hast.« Mein Herz erwärmt sich bei seinen Worten und ich kann ihn nur sprachlos anschauen. Gabriel fährt bei der nächsten Möglichkeit rechts ran und beugt sich zu mir herüber. Verzweifelt packt er mich bei den Schultern und küsst mich ungestüm. Seine Hand verharrt in meinem Nacken und ich gebe mich seinen wilden Küssen hin. Das ist genau das, was er jetzt braucht. Sein Ventil, um Dampf abzulassen. Dass ich es bin, die ihn runterholen kann, versetzt mich in Euphorie. Ich stehe vor meinem Schlafzimmerschrank und hole das inzwischen fünfte Outfit heraus. Auf meinem Bett türmen sich Hosen, Kleider und Oberteile. Alles Kleidungsstücke, die heute nicht in meiner Gunst stehen. Ich bin ja so aufgeregt. Gabriel möchte, dass ich ihn heute offiziell begleite. Zu einem runden Geburtstag eines Bauunternehmers, mit dem er schon seit Jahren eng zusammenarbeitet. Der Gute wird Sechzig und hat Gabriel samt Begleitung dazu eingeladen. Es wird das erste Mal werden, dass wir außerhalb unserer Blase, die wir um uns herum erschaffen haben, als Paar auftreten. Die Kenntnis über dieses Ereignis setzt mich so unter Druck, dass ich es nicht mal schaffe ein Outfit auszuwählen, geschweige denn meinen Haaren Herr zu werden. Ich werde wohl auf die Hilfe von Nele zurückgreifen müssen, die mir etwas aus ihrer Garderobe borgen darf und Susi, meine Heimfriseurin, soll am besten auch gleich kommen. Als es pünktlich um drei an der Tür klingelt, bin ich gottfroh, endlich Unterstützung zu bekommen. Nach zahlreichem Umkleiden und Haarmarathon steht eine glückliche, aber völlig veränderte Anna mit Super-High-Heels vor ihrem Spiegel. Ich erkenne mich kaum wieder. Das leichte Sommerkleid, ein Traum aus grüner Seide, abgesetzt mit verschiedenfarbigen Blumen, passt mir wie angegossen. Die dazu passenden High Heels sind ebenfalls ein Traum. Wo Nele immer diese tollen Teile einkauft, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Susi hat ebenfalls ganze Arbeit geleistet. Meine Haare sind ein Kunstwerk für sich, eine Hochsteckfrisur mit Teilen aus Locken und geflochtenem Haar. Eine grinsende Nele steht mir gegenüber und drückt mich ein letztes Mal zum Abschied. Susi, die mir heute sehr gefühlsduselig vorkommt, bricht bei meinem Anblick gleich in Tränen aus »Mensch, Susi! Seh’ ich wirklich so schlimm aus?«, frage ich besorgt »Nein!! Im Gegenteil. Du siehst wirklich toll aus.« »Aber deswegen brauchst du doch nicht gleich rumheulen! Freu’ dich doch einfach ganz normal, wie jeder andere Mensch auch!«, meint Nele und schüttelt genervt den Kopf »Ich weine doch nicht aus Freude, sondern aus Frustration!« Nele und ich schauen uns irritiert an »Schaut mich doch einfach an! Ich hab’ bestimmt 15 kg mehr auf den Rippen, bin 10 cm kleiner und hab’ ne Ausstrahlung wie ein Dackel bei Regenwetter.« »Ach, deshalb!«, entgegnet Nele. »Ich dachte schon, es ist was Schlimmes.« »Blöde Kuh! Was kann denn noch frustrierender sein?« »Wie wäre es damit? Fehlender Sex, zum Beispiel!« Susi bricht erneut in Tränen aus »Danke, dass du mich daran erinnert hast! Ich bin seit zwei Jahren Single!« Ich drücke Susi an mich, in der Hoffnung, dass sie mir mit ihrem verschmierten Make-up nicht mein Kleid versaut und versuche sie zu trösten »Nele, du kannst manchmal echt `ne Giftspritze sein, weißt du das?«, tadle ich sie »Ich mach’ doch nur ein bisschen Spaß? Gell Susi, du magst meinen Humor?« Susi schüttelt immer noch schluchzend den Kopf »Ach komm schon! Ich helfe dir auch bei einer Typveränderung!« »Und wie willst du das anstellen?«, hakt Susi mit bebenden Schultern nach »Ich besorg’ dir einen Kartoffelsack!« Pünktlich um sieben stehe ich vor meinem Haus und warte auf meinen Ritter in seiner silbern glänzenden Rüstung. Mit ein paar Minuten Verspätung rast er auch schon um die Ecke und kommt mit quietschenden Reifen vor mir zum Stehen. Als ich mich bücke, um in den Wagen zu sehen, bekomme ich allerdings kein Strahlen zu sehen, wie sonst, sondern einen Mann mit miesepetrigem Gesichtsausdruck und Handy am Ohr. Ich öffne die Tür und steige, soweit es mit meinem Kleid möglich ist, zu Gabriel ins Auto. Kaum, dass ich die Tür geschlossen habe, rast er auch schon los. Ich werde abrupt in den Sitz gedrückt und kann mich gerade noch anschnallen, als Gabriel auch schon die erste Vollbremsung hinlegt. Vor ihm hat soeben ein alter Audi 80 ausgeschert, ohne überhaupt rechts und links zu schauen. Der Fahrer, ein alter Mann mit Hut, kann froh sein, dass Gabriel über eine überaus gute Reaktion verfügt, sonst wäre sein Wagen vermutlich jetzt um einiges kürzer. Ich allerdings habe diese Beinahe-Kollision vermutlich nicht so gut überstanden. Durch das abrupte Abbremsen wurde ich so sehr in den Gurt gedrückt, dass mir jetzt mein ganzer Brustkorb weh tut. Ich lasse mir jedoch nichts anmerken, da Gabriel jetzt erst recht auf Hundertachtzig ist und wütend zu fluchen beginnt. Sein Gegenüber am Telefon wird sich seinen Teil wohl denken müssen, denn Gabriel entschuldigt sich nicht mal für seine Schimpftiraden, sondern verabschiedet sich von seinem Gesprächspartner mit kurzen knappen Worten und schleudert das Handy in die Mittelkonsole. Das fängt ja schon gut an, denke ich so bei mir. Gabriel schaut kurz zu mir herüber »Ist bei dir alles o. k?« Bei mir schon! Aber bei dir vermutlich nicht! Ich nicke bloß und schaue einfach geradeaus. Irgendetwas hat ihm gehörig die Laune verdorben. Ich werde ihm einfach etwas Zeit lassen, sich wieder zu beruhigen und dann bei gegebener Zeit nachhaken. Das ist doch ein guter Plan. Die Fahrt dauert etwa zwanzig Minuten, in denen wir beide schweigen und ich die Aussicht der Weinberge genießen kann. Gabriels Gesichtsausdruck ist nach wie vor angespannt und er klopft nervös mit den Fingern auf das Lenkrad. Als wir endlich am Ziel unserer Fahrt angekommen sind, staune ich nicht schlecht. Der Bauunternehmer, der uns heute eingeladen hat, scheint ein Winzer zu sein. Auf einem übergroßen Schild empfängt uns das WEINGUT KÖLLER. Gabriel hält den Wagen auf den dafür vorgesehen Parkplätzen. Er möchte gerade schon aus dem Wagen springen, aber ich bin schneller und halte ihn am Arm zurück »Möchtest du darüber reden?«, hake ich vorsichtig nach »Nein!«, lautet die schnöde Antwort und ehe ich mich versehe, steht er auch schon auf der Beifahrerseite und hält mir die Tür auf. Gemeinsam betreten wir das Anwesen durch ein großes schmiedeeisernes Tor und finden uns in der Toskana wieder. Gabriel scheint sich gut auszukennen, denn er führt uns zielstrebig am Hauptgebäude vorbei, auf die Rückseite des Hauses. Er läuft schnellen Schrittes, so dass ich aufgrund meines schmal geschnittenen Kleides kaum hinterherkomme. Und dann passiert, was passieren musste. Ich erwische mit meinem dürren Riesenabsatz einen größeren Kieselstein und knicke um. Ich reiße instinktiv die Arme nach vorne, um den Sturz abzufangen, aber da Gabriel meine eine Hand krampfhaft festhält und mich hinter sich herzerrt, kann ich mich nur mit einer Hand abfangen und lande schmerzhaft auf Knien und Handfläche. Gabriel dreht sich erschrocken um und findet mich auf dem trockenen Pseudo-Toskana-Boden wieder »Anna! Um Gottes Willen! Was ist denn passiert?«, fragt er erschrocken und kniet sich zu mir hinunter. Um ehrlich zu sein, bin ich inzwischen leicht angepisst. Erst diese überaus nette Autofahrt, mit einem noch viel netteren Fahrer, dem bisher nicht mal ein einfaches Hallo über die Lippen gekommen ist. Und dann werde ich auch noch über den Vorhof gezerrt, wie eine Kuh von ihrem Bauern »Ich bin umgeknickt! Das ist passiert!« »Kannst du denn nicht mit diesen Schuhen laufen?« Ich glaub’ ich dreh’ dir gleich die Gurgel um, Bürschchen! »Ich kann durchaus mit diesen Schuhen laufen, aber nicht rennen! Wenn du einfach ein bisschen langsamer machst, dann komme ich auch hinterher.« Gabriel hilft mir hoch und ich blicke hinunter zu meinen Knien, die fürchterlich schmerzen. Blut rinnt mir das Schienbein herunter und wenn ich es nicht schnell genug abtupfe, zerstört es auch noch die hoch heiligen Schuhe von Nele »Du blutest ja!«, bemerkt Gabriel »Halb so wild! Gib mir lieber ein Taschentuch!«, erwidere ich gereizt. Meine offenen Knie sind dermaßen verschmutzt, dass ich um eine Reinigung mit Wasser nicht herumkomme. Zum Glück ist es heute so warm, dass ich auf eine Feinstrumpfhose verzichten konnte, das wäre sonst ein schöner Schlamassel gewesen, mit zerrissenen Nylonstrümpfchen auf einer High-Society-Gartenparty. Gabriel und meine Wenigkeit, leicht humpelnd, umrunden das Gebäude und kommen vor einem riesigen weißen Zelt zum Stehen. Um das Zelt herum stehen unzählige Stehtische, in weiße Stoffhussen gehüllt, um welche sich schon die ersten Gäste gruppiert haben. Gabriel führt mich zum Hintereingang des Hauses und zeigt mir den Weg zur Toilette. Sein Gesichtsausdruck hat inzwischen von mürrisch auf geknickt gewechselt und das ist auch gut so. Das darf ihm ruhig leidtun. Während ich die Toilette aufsuche, geht Gabriel schon mal hinüber zu den übrigen Gästen, damit ich mich in Ruhe etwas frisch machen kann. Als ich den Seifenspender bediene, brennen meine Handflächen ebenfalls wie Feuer, was auch kein Wunder ist, denn sie sehen genauso aus, wie meine Knie. Ich schnaufe gefrustet auf und blicke kurz in den Spiegel. Oh nein! Auch das noch! Zu meiner eigenen Überraschung entdecke ich einen roten Striemen, der sich von der rechten Halsseite, quer über mein Dekolleté zieht. Der Sicherheitsgurt. Kurz überlege ich, ob ich mir noch einen zweiten Striemen selbst zufügen soll, auf der Gegenseite versteht sich, so als Kunst am lebenden Objekt und damit ich nicht so einseitig bin. Meine Wut schlägt inzwischen in Verzweiflung um und ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich mich so unter die ganzen schicken Leute mischen soll. Mein Kleid bedeckt zwar die geschundenen Knie ausreichend, aber der Striemen am Hals und Dekolleté ist deutlich zu sehen. Und an das Händedrücken mag ich gar nicht mal denken. Ich atme ein paar Mal langsam ein und aus, schwöre mich ein und verlasse dann hoch erhobenen Hauptes, aber humpelnd, die Toilettenräume. Ich komme an vielen Tischen vorbei, ein Nicken hier, ein Nicken da, obwohl ich keine Menschenseele kenne. Im Zelt wird inzwischen das Büffet aufgebaut und Kellnerinnen und Kellner in rot-schwarzen Uniformen laufen durch die Gästeschar und bieten Getränke an. Ich bleibe kurz stehen, um Gabriel zwischen all den Leuten auszumachen. Schätzungsweise zweihundert Gäste tummeln sich im Hinterhof des Anwesens, alle durch die Bank schick und nobel gekleidet. Ich danke im Stillen Nele und Susi für ihren Einsatz, mich in Cinderella verwandelt zu haben. Ganz in der Nähe des großen Schwimmteiches kann ich endlich Gabriel entdecken. Er steht einer älteren Dame gegenüber, die ihn liebevoll anlächelt. Was mich aber schockiert, ist die Dame links von ihm, brünett und großgewachsen. Sie hängt an seinem Arm. Das kann ja bloß Marlene sein. Was zum Teufel hat die denn hier verloren? Die Löwin in mir kommt zum Vorschein und ich gebe Gas, um zu den Dreien zu stoßen. Scheiß’ auf das kaputte Knie! Ich bin schon auf wenige Meter an sie herangekommen, als ich die letzten Gesprächsfetzen mitanhören darf. »Es ist so schön, dass sie beide heute Abend mit uns feiern. Sie sind so ein wunderhübsches Paar!«, meint die ältere Dame. Und als wäre das nicht schon genug, antwortet Marlene darauf: »Das sage ich Gabriel ja auch immer, auch wenn er es nicht hören will.« »Lassen sie ihn bloß nicht vom Wickel, Marlene! Irgendwann wird jeder Mann mal schwach, besonders bei so einer schönen Frau, wie Ihnen!« »Da können Sie aber Gift darauf nehmen! So leicht kommt er mir nicht davon, nicht wahr Gabriel!« Bittere Galle steigt mir den Magen hinauf. Das ist genau die Sorge, die ich inzwischen auch habe. Was ist wenn Gabriel schwach wird und beschließt wieder zu seiner Ex zurückzugehen? Bis jetzt hatte ich zwar nie das Gefühl, dass er noch Interesse an ihr haben könnte, aber ich traue dieser Giftnatter einfach nicht über den Weg. Völlig reglos starre ich auf den Rücken von Marlene und Gabriel und schwanke zwischen hingehen oder weglaufen. Selten kam ich mir so unzulänglich und fehl am Platz vor, wie jetzt. Tränen treten in meine Augen und ich beginne heftig zu blinzeln, damit sie wieder verschwinden. Es wäre mir überaus peinlich hier plötzlich in Tränen auszubrechen. Wie aus einem Impuls heraus dreht sich Gabriel plötzlich um. Er scheint überrascht zu sein, mich zu sehen und streift sich energisch Marlenes Arm ab. Marlene schaut irritiert zu ihm, aber als sie sich dann ebenfalls umdreht und mich erblickt, beginnen ihre Augen böse zu funkeln. Gabriel kommt mir entgegen und mustert mich fragend »Ist bei dir alles in Ordnung?«, fragt er besorgt und seine Augen wandern über meine Knie hinauf zu dem roten Striemen an meinem Dekolleté und da reißt er auch schon erschrocken die Augen auf »Was zum Teufel …?« Ich winke beschwichtigend ab, weil ich jetzt wirklich keinen Aufruhr möchte. Die ältere Dame hat mich inzwischen auch entdeckt und zwängt sich zwischen Gabriel und Marlene »Und noch mal eine so reizende junge Dame! Also Gabriel, ich muss schon sagen, die Damenwelt liegt dir zu Füßen!« Gabriel tritt neben mich und nimmt meine Hand. Er ist sichtlich um Fassung bemüht, seine Augen wandern unruhig über mein Gesicht und meinen Hals, aber er schafft es dennoch mit gefasster Stimme zu sprechen »Frau Köller! Darf ich Ihnen meine Freundin Anna vorstellen?« Marlene, die bei seinen Worten sichtlich zusammenzuckt, entschuldigt sich höflich und stakst mit ihren High Heels in Richtung Zelt davon, was mich innerlich aufatmen lässt. Frau Köller mustert mich neugierig und reicht mir ihre zierliche Hand »Anna, das ist Frau Köller! Ihr gehört dieses wunderschöne Anwesen. Und sie ist die Mutter des Geburtstagskindes«, erklärt mir Gabriel »Na, von einem GeburtstagsKIND kann ja wohl keine Rede mehr sein, mit Sechzig. Wobei ich sagen muss, dass er immer noch ein wirklicher Kindskopf ist. Wo steckt er eigentlich schon wieder?«, erkundigt sie sich und reckt den dünnen faltigen Hals, um nach ihrem Sohn Ausschau zu halten »Ich werde mich mal auf die Suche machen, denn schließlich soll er ja noch eine Rede vor dem Essen halten. Anna, ich habe mich aufrichtig gefreut sie kennenzulernen und hoffe, dass Sie sich heute noch gut amüsieren! Aber mit so einem Mann an der Seite dürfte das ja kein Problem werden.«, meint sie lächelnd und verschwindet auch schon in der Menschenmenge und lässt mich mit Gabriel allein »Anna, was ist das?«, fragt er streng und deutet mit zusammengekniffenen Augen auf meinen Striemen »Das war dein Sicherheitsgurt, als du vorhin so abrupt abgebremst hast.« »Das kann doch nicht sein, ich meine …«, beginnt er zu stottern und sieht mich sorgenvoll an »Es ist schon in Ordnung, tut auch nicht weh und schon morgen wird man davon nichts mehr sehen«, winke ich beschwichtigend ab »Mein Engel, es tut mir so leid!« »Muss es nicht! Sag mir einfach was heute mit dir los ist, und ob ich mich auf weitere Zusammenstöße einstellen muss!« Ich versuche nicht allzu zynisch zu klingen, aber meine Stimme verrät mich vermutlich. Gabriel mustert mich abschätzend, dann zieht er mich mit sich etwas abseits der Gästeschar, bis wir aus deren Blickfeld der verschwunden sind. Er greift nach meinen Händen und ich zucke kurz schmerzhaft zusammen, was Gabriel nicht entgangen ist. Er begutachtet meine aufgeschürften Handinnenflächen und schüttelt frustriert den Kopf »Oh Mann, wie kann ich das jemals wieder gut machen? Ich habe dich total geschändet!« »Versuch es mal mit Konversation. Das wäre zumindest ein Anfang.« »Du hast ja recht! Es tut mich wirklich leid! Ich habe mich wie ein Depp benommen. Weißt du, ich bin es einfach noch nicht gewohnt, dass jemand in meiner Nähe ist, der meine Launen ertragen muss. Das ist ein Umstand, den ich erst neu lernen muss. Und nun zu meiner Erklärung! Ich hatte einfach einen beschissenen Tag. Angefangen hat es damit, dass ich ohne dich aufgewacht bin. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass du mir schon morgens fehlen würdest, aber heute Morgen war es so.« Er streichelt mir mit seiner Hand zärtlich über die Wange und meine Wut und meine Sorgen beginnen zu verpuffen. »Dann bin ich ins Büro gekommen, wo schon der Teufel los war. Es ging drunter und drüber und im Eifer des Gefechts habe ich einen wichtigen Kundentermin verpasst, ein anderer Kunde hat sich aus einem Projekt zurückgezogen, für das ich schon seit einem viertel Jahr Investoren suche und zu guter Letzt hat auch noch das Altersheim angerufen, dass meine Mutter schon wieder abgehauen ist.« »Oh, nein! Konnten sie sie wiederfinden?« »Ja, es hat keine zehn Minuten gedauert, da ist sie wieder aufgetaucht! Ich habe der Pflegedienstleitung vom Heim erklärt, dass, falls so etwas noch einmal vorkommt, ich alle Fördergelder streiche und für meine Mutter nach einer anderen Einrichtung suche.« Gabriel fährt sich mit den Händen über das Gesicht und jetzt merke ich auch, wie müde er aussieht. Er rückt bis auf wenige Zentimeter an mich heran und ich fühle, dass er allmählich wieder er selbst ist. Seine Hand wandert über meinen Rücken und streift hinab zu meinem Po, den er sanft zu kneten beginnt »Ich habe mich manchmal einfach nicht im Griff, besonders in Stresssituationen setzt vermutlich mein Gehirn aus!« »Aber jetzt geht es dir wieder besser?« »Ja, weil du da bist!« Gabriel beginnt zärtlich kleine Küsse über meinem Gesicht zu verteilen »Kommst du heute Abend mit zu mir? Ich würde dich gern beim Einschlafen an meiner Seite haben und erst recht morgen früh!« »Ich denke, das lässt sich einrichten. Sammy ist nochmal bei Patrick, also habe ich Zeit.« »Gut! Denn heute Nacht werde ich mich für mein tölpelhaftes Benehmen entschuldigen und werde dir sämtliche Wunden gesund küssen.« Gabriel bückt sich noch näher zu mir heran und beginnt vorsichtig an meinem Ohrläppchen zu knabbern. Meine Schmetterlinge sitzen schon in der Achterbahn und warten auf den Startschuss »Ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie wunderschön du heute aussiehst! Du bist mit Abstand die schönste Frau auf dieser Feier und die schönste Frau in meinem Universum«, raunt er mit tiefer Stimme »Lass’ das aber bloß nicht Marlene hören! Das könnte ihr den Abend versauen!« Dieser Satz ist mir rausgerutscht, bevor ich überhaupt nachgedacht habe. Upps. Gabriel verkrampft sich merklich und schaut mich beunruhigt an »Was willst du denn damit sagen?« »Ich meine ja nur. Ich habe schließlich gehört, was sie eben zu dieser Frau Köller gesagt hat. Da muss man nur eins und eins zusammenzählen und schon merkt man, dass sie dich immer noch will.« »Ach was, das hat sie doch nicht ernst gemeint. Und falls du Bedenken haben solltest, kann ich dich beruhigen. Sie kann von mir wollen, was sie will. Ich will nur dich. Verstanden? Und jetzt habe ich Hunger!« Dann drückt er mir entschlossen einen harten Kuss auf die Lippen und zieht mich mit sich in Richtung Zelt. Für ihn ist diese Diskussion beendet. Wir werden einem runden Tisch zugewiesen, ganz in der Nähe der Tanzfläche und der Band. Zu meiner Enttäuschung stelle ich fest, dass Marlene Monster ebenfalls an diesem Tisch sitzt. Ich nehme mir vor, mich in Selbstbeherrschung zu üben, damit es heute Abend zu keinerlei Auseinandersetzung kommt und erst recht nicht zu Handgreiflichkeiten, wobei ich gegen ein bisschen Frauencatchen nichts einzuwenden hätte. Während ich an unserem Tisch Platz nehme, natürlich mit genügend Sicherheitsabstand zwischen ihr und Gabriel, treten noch weitere Gäste zu uns an den Tisch. Allesamt Geschäftsleute, die beruflich mit Gabriel zusammenarbeiten. Er stellt mich ihnen als seine „Freundin“ vor und ich könnte innerlich zerschmelzen, so schön hört sich das an. Marlene scheint nicht sonderlich erfreut zu sein, denn sie tippt desinteressiert auf ihrem Handy herum. Gabriel nimmt neben mir Platz und bestellt für uns beide beim Kellner einen Weißwein. Kaum, dass er Platz genommen hat, beginnt Marlene ihn mit ihren Augen zu fixieren und verwickelt ihn in ein Gespräch. Da es sich um etwas Geschäftliches zu handeln scheint, bin ich außen vor und beginne mit meinem Platznachbarn ein unverfängliches Gespräch über das Wetter. Während Marlene immer mehr Gesprächsstoff parat zu haben scheint, um Gabriel für sich zu beanspruchen, suche ich vor der Rede und dem Essen noch schnell die Toiletten auf. Doch kaum habe ich diese betreten, reißt hinter mir jemand die Türe auf. Marlene. Ich versuche sie zu ignorieren und möchte in die Kabine gehen, als sie mich am Arm zurückzieht »Hör’ mir mal gut zu, Prinzessin!«, faucht sie mich mit zusammengekniffenen Augen an »Ich sage dir das nur einmal, damit wir uns verstehen! Lass deine Finger von Gabriel und such dir gefälligst jemanden aus deinen Kreisen!«, zischt sie mich an »Wie bitte?« Ich scheine mich verhört zu haben »Du hast mich schon verstanden! Gabriel und ich gehören zusammen. Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit und wir sind füreinander bestimmt.« »Das sieht er aber ganz anders! Und falls du es vergessen hast! Du hattest deine Chance schon und hast sie verspielt, darum bin ich jetzt am Zug«, entgegne ich ebenfalls mit zusammengekniffenen Augen. »Und jetzt lass’ mich in Ruhe. Mein Freund wartet schon auf mich!« Und dann lasse ich sie mit hoch rotem Kopf in der Toilette zurück. Auf dem Weg zurück zum Tisch lasse ich mir ihre gemeinen Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Was glaubt die eigentlich, wer sie ist? Ob ich Gabriel von diesem Vorfall erzählen sollte? Vielleicht werde ich heute Abend mal mit ihm darüber sprechen. Aber vorerst muss es reichen, dass ich ihr meinen Freund vom Hals halte und ebenfalls die Krallen ausfahre. Ganz heimtückisch natürlich. Nach Herrn Köllers Rede wird das Buffet eröffnet und die Gäste machen sich daran, es zu stürmen. Gabriel und ich stehen ebenfalls auf und gehen zu den Vorspeisen hinüber. Das Buffet sieht einfach unglaublich aus. Von mediterranen Vorspeisen, über Salate jeglicher Art bis hin zu geräuchertem Fisch ist alles vorhanden. Besonders die eingelegten Gemüsesorten haben es mir angetan und so lade ich mir den Teller mit gegrillten Auberginen, Zucchini und Paprika voll. Zum Schluss träufle ich noch ein bisschen Knoblauchöl darüber und will schon fast zurück an meinen Platz gehen, als ich Marlene entdecke. Sie steht direkt hinter Gabriel und legt mal wieder ihre schmierigen Finger auf seinen Arm. Ich stoppe abrupt und zwänge mich zwischen den beiden hindurch »Entschuldigung, ich wollte noch etwas von den Meeresfrüchten!«, sage ich betont freundlich und grinse die beiden dümmlich an. Während Gabriel sich wieder wegdreht, um sich dem Gemüse zu widmen, rücke ich noch enger an Marlene heran und kippe „aus Versehen“ meinen Gemüseteller auf ihr Designerkleid. Schockiert stößt sie einen spitzen Schrei aus und schaut angewidert an sich herunter »Oh, nein! Das tut mir aber leid!«, entschuldige ich mich natürlich sofort und schlage gespielt entsetzt die Hand vor den Mund. »Mir ist doch glatt der Teller aus der Hand gerutscht. Das lag vermutlich an dem ganzen Öl!« Marlene blinzelt mich mit giftigen Schlangenaugen an und tupft hektisch mit der Serviette an ihrem Kleid herum. Was natürlich nichts bringt, aber das weiß sie vermutlich selber »Das wirst du mir büßen!«, murmelt sie leise vor sich hin und läuft gut geölt zur Toilette. 1:0 für mich. Gabriel, der das Ganze gar nicht mitbekommen hat, schaut ihr irritiert hinterher »Was hat sie denn?« »Ich bin an ihr Kleid gestoßen und jetzt hat es ein paar Spritzer abbekommen!« Um es mal harmlos auszudrücken! »Sie wird es überleben. Würde mich nicht wundern, wenn sie noch ein Ersatzkleid im Auto hätte!« Die nächsten zwei Stunden vergehen dank gutem Essen, Reden schwingen und Tombola für den guten Zweck, wie im Fluge und als endlich die Band zu spielen beginnt, kommt auch Marlene wieder zurück. Sie hat sich umgezogen und trägt nun ein eng anliegendes schwarzes Etuikleid. Wie habe ich es genossen auf ihren leeren Platz zu starren. Während die Band die ersten Akkorde für einen Foxtrott anspielt, fordert mich Gabriel auf mit ihm zu tanzen »Erinnerst du dich noch an unseren ersten Tanz?«, flüstert er mir ins Ohr »Wie könnte ich den vergessen? Das war schließlich das erste Mal, dass ich dir nahekommen durfte!« »Hast du es genossen?« »Und wie! Ich konnte am nächsten Tag an nichts anderes denken!« »Das hast du mir ja noch gar nicht erzählt!« »Dann weißt du es jetzt!«, gebe ich grinsend zurück und lasse mich von seinen starken Armen führen »Ich wusste schon beim ersten Mal, als ich dich gesehen habe, dass ich dich haben muss.« »Du weißt ganz genau, was du einer Frau sagen musst, damit sie sich geschmeichelt fühlt, nicht wahr?« »Ich bin eben ein Womanizer!« »Ich muss dich verbessern … du warst ein Womanizer! Ab jetzt wird nur noch bei mir geschmeichelt, mein Freund!« »Das fällt mir nicht sonderlich schwer. Es gibt keine andere Frau, der ich mehr Komplimente machen möchte, als dir. Für mich bist du die Eine!« Mein Herz setzt für einen Moment aus! Was für ein wunderschönes Kompliment von einem wunderbaren Menschen. Ich blende die tanzende Menge um mich aus und ziehe Gabriel zu mir herunter. Meine Arme schlingen sich um seinen Nacken und ich beginne ihn zu küssen »Weißt du eigentlich, was mir das bedeutet?« Als Gabriel mich nur anschaut, fahre ich fort. »Ich wollte schon immer für einen Mann „die Eine“ sein. Seit ich denken kann, habe ich mich danach gesehnt, dass ich mal einen Mann finde, für den ich sein „Ein und Alles“ bin, der mich auf Händen trägt und …« »… und dich mit seinem weißen Ross daheim abholt und auf sein Schloss bringt!«, beendet Gabriel meinen Satz und beginnt zu grinsen »Ja, genau so.« »Voilà! Hier bin ich. Dein erster Ritter!« Wir müssen beide anfangen zu lachen. Gabriel küsst mich noch einmal auf die Nasespitze, ehe er mich langsam von der Tanzfläche führt. Die anderen Tanzpaare verfolgen uns mit Argusaugen und sind vermutlich froh, die Tanzfläche wieder für sich zu haben, nachdem wir diese blockiert haben. Gegen Mitternacht begeben sich alle Gäste hinaus vor das Zelt. Gespannt schauen wir in den Himmel hinauf, weil man uns ein „gigantisches Feuerwerk“ versprochen hat, und wir werden nicht enttäuscht. Die nächsten fünfzehn Minuten bestaune ich das schönste und vor allem längste Feuerwerk, das ich je gesehen habe. Gabriel steht hinter mir und umfängt mich von hinten mit seinen starken Armen. Es ist einfach traumhaft schön zusammen einen solchen Moment teilen zu dürfen. Das Feuerwerk endet schließlich mit einem Paukenschlag und Gabriel und ich beschließen nach Hause zu gehen, worüber ich unendlich froh bin. Es war zwar ein schöner Abend, aber ich muss dringend raus aus diesen mörderischen High Heels und was noch viel wichtiger ist, ich möchte Gabriel endlich für mich allein haben. Apropos allein, wo ist eigentlich Marlene abgeblieben? Seit dem Essen habe ich sie nicht mehr gesehen, was ja nicht wirklich schlimm ist. Gemeinsam schlendern wir zum Geburtstagskind, um uns zu verabschieden. Herr Köller, ein kleiner rundlicher Mann mit Schnauzer, haut Gabriel zum Abschied noch einmal kräftig auf die Schulter und lacht aus vollem Halse über einen seiner derben Witze, ehe er mir die Hand reicht »Anna, ich freue mich wirklich sehr, dass wir uns kennengelernt haben. Wird schließlich auch Zeit, dass unser Freund hier mal `ne Freundin hat. Ich dachte ja schon, er wäre schwul!«, meint er mit schallendem Lachen und wendet sich zum Gehen. Gabriel und meine Wenigkeit, grinsen wie ein Honigkuchenpferd und gehen händchenhaltend Richtung Auto. Die Temperatur ist für Ende Juni schon fast sommerlich und wir genießen einen Spaziergang unter dem wolkenlosen Sternenhimmel. Der Vollmond leuchtet hell und so können wir ohne Weiteres den Weg zum Parkplatz ausmachen. Wir verlassen das Gelände des Weingutes durch das Tor und schlagen den Weg in Richtung Gabriels Wagen ein, als ein Geräusch meine Aufmerksamkeit erregt. Ich schaue mich kurz um, als ich es noch einmal höre. Ein Stöhnen. Gabriel grinst mich von der Seite an und mir ist klar, dass er es auch gehört hat. Ich kichere leise vor mich hin, als ich es noch einmal höre. Umso näher wir unserem Wagen kommen, umso lauter wird es. Gerade als wir den dunkelblauen Mercedes passieren, der neben uns parkt, kann ich auch den Ursprung des Gestöhnes ausmachen. Ein poppendes Pärchen im Nobelbenz. Unglaublich. Im Wageninneren kann man die wippende Silhouette zweier Personen ausmachen. Und dann wird wieder gestöhnt »Die zwei scheinen es ja dringend nötig zu haben!«, bemerkt Gabriel trocken und schmunzelt mich schelmisch von der Seite an. Im Vorbeilaufen kann ich noch schnell einen Blick auf die Insassen erhaschen und bin schockiert. Die Dame im Auto ist doch tatsächlich Marlene! Splitterfasernackt sitzt sie auf einem mir unbekannten Mann und reitet was das Zeug hält. Wie peinlich! Sie ist die Letzte, die ich in dieser Position sehen wollte. Meine armen Augen! In der Toilette wollte sie mir doch glatt weismachen, dass sie hinter Gabriel her ist, und jetzt vergnügt sie sich mit einem Anderen. Komische Frau. Gabriel steigt schnurstracks in sein Auto, ohne sich noch einmal nach dem Pärchen umzudrehen und weist mich an, endlich einzusteigen »Hast du gesehen wer da drin sitzt?«, frage ich schockiert und schaue noch einmal zum anderen Wagen hinüber, aber Marlene, die uns vermutlich ebenfalls entdeckt hat, hat sich schnell etwas übergezogen und sitzt jetzt züchtig neben ihrem Liebhaber. Gabriel dreht sich nun ebenfalls um. Als er Marlene entdeckt, verfinstert sich seine Miene deutlich »Das hätte ich mir eigentlich denken können!«, entgegnet er und schüttelt angewidert den Kopf »Wie meinst du das? Macht sie so etwas öfter?« »Na ja, öfter würde ich jetzt vielleicht nicht sagen, aber ich wurde zumindest schon einmal Zeuge davon, dass sie auf Sex im Auto steht. Und nein, ich war nicht dabei, falls du mich das gleich fragen willst.« »War das, bevor oder nachdem ihr euch getrennt habt?« »Das war der Grund, warum ich mich getrennt habe. Ich habe sie im Wagen mit meinem besten Freund erwischt.« »Oh nein! Das tut mir leid!« »Mein Engel, dass muss es nicht. Die Trennung war die beste Entscheidung, die ich in den letzten Jahren getroffen habe.« Meine Gedanken kehren zu unserem Zusammentreffen in der Toilette zurück und ich beschließe Gabriel von diesem Vorfall zu erzählen »Gabriel, ich muss dir was erzählen!« »Nur zu, ich bin ganz Ohr.« »Marlene hat mich vorhin in der Toilette abgepasst und mir eindringlich geraten, die Finger von dir zu lassen. Sie ist der Meinung, dass ihr zusammengehört.« »Das ist ihre Meinung, aber meine ist das sicherlich nicht.« »Aber was ich jetzt nicht verstehe, warum sie mir einerseits solche Vorhaltungen macht, aber andererseits mit einem anderen Typ im Auto rumpoppt.« »Sie ist eben ein sehr spezieller Typ. Wenn sie etwas haben will, dann versucht sie es mit allen Mitteln zu bekommen. In diesem Fall hast du bekommen, was sie wollte und darum fährt sie jetzt die Krallen aus. Das war schon immer so. Das Traurige an der Sache aber ist, dass es hierbei nicht wirklich um mich geht. Sie gönnt dir einfach nicht, dass wir beiden nun zusammen sind. So einfach ist das. Außerdem ist sie sexuell sehr aktiv und nimmt jede sich ihr bietende Gelegenheit wahr, um ihren Hunger zu stillen. Ist ja nicht so, dass ich es unserem Herrn Falkenberg nicht gönnen würde, mal `ne heiße Nummer im Auto zu schieben, aber ich glaube seine Frau wäre wenig begeistert, wenn sie das wüsste.« »Du kennst den Mann im Wagen?« »Aber klar, dass ist einer unserer Kunden.« »WAS? Ich fasse es nicht. Wie unprofessionell ist das denn?« Mir dreht sich schon fast der Magen um. »Ist das der Grund, warum sie so beliebt bei deiner Kundschaft ist?« »Das könnte man so sagen.« »Das heißt, du weißt, dass sie mit deinen Kunden ins Bett hüpft und tolerierst das auch noch?« »Ich habe es zwei bis dreimal mitbekommen, aber ich kann dir nicht sagen, ob sie das öfter macht. Vermutlich schon. Und um ehrlich zu dir sein, solange meine Zusammenarbeit mit den Kunden funktioniert, ist mir das egal. Sie kann schließlich in ihrer Freizeit machen, was sie will und meine Kunden auch.« »Das sehe ich aber anders. Sie schadet unter Umständen deinem guten Ruf und dem guten Ruf deines Unternehmens. Ich verstehe wirklich nicht, warum du so an ihr festhältst?« »Wie gesagt, sie macht ihre Sache an und für sich ganz gut und ich habe ihrer Mutter versprochen, mich um sie zu kümmern.« Daher weht also der Wind. Ich schüttle frustriert den Kopf. Das ist etwas, dass ich nicht nachvollziehen kann. Dieses Weibstück kann tun und lassen was sie will und Gabriel hält trotzdem an ihr fest. Wie lange sie wohl damit noch durchkommt? Ich glaube, dass wird noch ein richtiges Problem für mich werden. Gabriel fährt heimwärts und ich lasse den Abend noch einmal vor meinem geistigen Auge vorüberziehen. Besonders Gabriels liebevolle Worte hallen noch immer in meinem Herzen nach. Ich weiß längst, dass ich hoffnungslos in ihn verliebt bin, und er empfindet vermutlich dasselbe auch für mich. Ich müsste eigentlich die glücklichste Frau auf diesem Planeten sein, aber das Zusammentreffen mit Marlene hat mir einen leichten Stich versetzt. Er hat mir zwar des Öfteren versichert, dass er nichts mehr für sie empfindet, aber zu wissen, dass die beiden eine gemeinsame Vergangenheit haben, tut schon sehr weh. Ich will mir besser auch nicht vorstellen, wie die beiden miteinander …ach, das lass ich jetzt lieber. Das Brummen meines Handys holt mich ins Hier und Jetzt zurück. Eilig greife ich in meine Tasche und sehe, dass meine Schwester anruft. Normalerweise ruft sie mich nie auf dem Handy an, weil es schlichtweg zu teuer wäre, was die Vermutung zulässt, dass es ein Problem gibt. Sorgenvoll nehme ich das Gespräch an und bin aber drei Minuten später ganz des Glückes, weil es gute Nachrichten gibt »Stell dir vor! Meine Schwester kommt doch tatsächlich schon nächste Woche!«, freue ich mich und merke wie mein Herz zu klopfen beginnt »Echt? Wollte sie nicht erst nächsten Monat kommen?« »Eigentlich schon, aber sie haben wohl einen super günstigen Flug bekommen und dieses Angebot wollten sie sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Oh Gabriel! Ich bin ja so aufgeregt!« Gabriel drückt leicht meine Hand und lächelt mir aufmunternd zu »Das kann ich mir vorstellen. Ich bin ja mal gespannt, ob ihr Beide etwas gemeinsam habt!« »Kaum! Aber das wirst du dann schon sehen! Lass dich einfach überraschen.« Ich schaue verträumt aus dem Fenster. Stuttgarts Lichter huschen vorbei und ich schwelge in Erinnerungen. Helen und ich haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. Es wird Zeit, dass wir mal wieder so ein richtiges Schwesterngespräch führen, denn das Letzte ist schon Ewigkeiten her. Ich habe ihr so viel zu erzählen. Und vor allem bin ich gespannt, was sie zu Gabriel sagt. Gabriel, Sammy und ich stehen in der Ankunftshalle des Flughafens, bewaffnet mit roten und weißen Rosen. Meine Hände sind schweißig und ich bin total hibbelig. Sammy, der meine Nervosität spürt, schaut mich irritiert von der Seite an. Er kann das ganze Spektakel um seine Tante natürlich nicht nachvollziehen. Er kann sich ja noch nicht mal mehr richtig an sie erinnern. Gabriel wirkt locker wie immer. Ihn kann vermutlich nichts so schnell aus der Ruhe bringen. Ich recke den Kopf, als sich die Schiebetüren des Zollbereiches das erste Mal öffnen und kann schon von Weitem den roten Haarschopf meiner Schwester erkennen. Ihr Mann, der sie bestimmt um zwei Köpfe überragt, zieht fluchend zwei Koffer hinter sich her. Andrew, der bei unserem letzten Treffen seine braunen Haare noch zu einem Zopf zusammengebunden hatte, trägt jetzt zum Glück einen Kurzhaarschnitt. Helen entdeckt uns und rennt kreischend auf mich zu. Überglücklich fallen wir uns in die Arme »Schwesterherz! Ich glaube, du bist schon wieder geschrumpft! Beim letzten Mal gingst du mir doch noch bis zu den Schultern!«, necke ich sie und drücke sie noch einmal fest an mich »Leider sind deine Sprüche immer noch dieselben! Es hat sich also nichts geändert!« Als sie Sammy entdeckt, schnappt sie sich den Kleinen und hebt ihn hoch »Mein kleiner Schatz ist schon so groß geworden!«, herzt sie ihn und drückt ihm einen Schmatzer auf die Wange »Wenn er so weiterwächst, dann hat er dich bald eingeholt!«, bemerke ich trocken und begrüße dann meinen Schwager. Mit den kurzen Haaren sieht er wirklich viel besser aus. Dann stelle ich den beiden Gabriel vor. Helen, nicht anders erwartet, reißt ihre großen grünen Augen auf und mustert ihn mit offenem Mund. Bei diesem Anblick muss ich anfangen zu kichern und stoße ihr mit meinem Ellenbogen in die Rippen »Starr’ ihn nicht so an! Du bist eine verheiratete Frau! Und mach’ deinen Mund zu, du sabberst ja schon!« Sie wirft mir einen bösen Blick zu, dann stellt sie sich ganz förmlich bei Gabriel vor und übernimmt auch die Vorstellung ihres Mannes »Das ist mein Mann Andrew! Er spricht leider nur ein bisschen deutsch, aber ich kann für euch übersetzen.« Gabriel reicht ihm als Erster die Hand und beginnt in perfektem Business-Englisch ein Gespräch. War ja eigentlich klar. Helen nickt anerkennend und ich schaue nur belämmert drein. Vermutlich sind Sammy und ich die einzigen, die in den nächsten zwei Wochen kein Wort von dem, was Andrew von sich gibt, verstehen werden. Gemeinsam gehen wir zum Ausgang und als Andrew Gabriels Wagen sieht, ist er total aus dem Häuschen. Ich verstehe nur Wortbrocken wie fuck und amazing. Gabriel erklärt ihm hinreichend die Vorzüge seiner Nobelkarosse, natürlich in english, während Helen und ich die Koffer verfrachten dürfen. Sammy sitzt bereits im Wagen und wartet ungeduldig darauf, dass wir endlich losfahren. Was meine Schwester nicht weiß, ist, dass sie mit uns in Gabriels Luxuswohnanlage nächtigen werden. Gabriel meinte, es sei schwachsinnig, die Beiden in meiner Wohnung auf der Schlafcouch unterzubringen, wo er doch mehr als genügend Platz habe. Ich musste mich zwar erst mit seiner Idee anfreunden, aber wenn ich ehrlich bin, freue ich mich schon darauf zwei ganze Wochen bei Gabriel zu verbringen und zwei Wochen lang jeden Morgen neben ihm aufzuwachen. Helen wird vermutlich völlig aus dem Häuschen sein, wenn sie erst ihr Urlaubsdomizil sieht. Es dämmert schon leicht, als wir die Auffahrt zu Gabriels Haus nach oben fahren. Ich beobachte meine Schwester von der Seite und muss mir ein Grinsen unterdrücken, als ich ihren verdutzten Blick sehe »Wo sind wir?« »Das ist das Haus von Gabriel, Tante Helen!«, klärt Sammy sie auf. »Er hat ein ganz großes Haus und man kann sogar im Garten schwimmen!« Helen schaut mich irritiert an und ich kann nur leichtfertig mit den Schultern zucken. Als der Wagen hält, steigen wir aus und Helen schaut sich staunend das imposante Gebäude an. Gabriel darf sich dieses Mal mit dem Gepäck abmühen und ich kümmere mich währenddessen um meinen Sohn und um unser kleines Handgepäck, welches ich für unseren Aufenthalt zusammengepackt habe. Für Sammy ist das heute ebenfalls eine Premiere. Er war noch nie zuvor bei Gabriel und ich bin sehr neugierig, wie es ihm wohl hier gefällt »Gabriel, wie viele Wohneinheiten sind das?«, erkundigt sich Helen »Ähm … eine! Warum?« »Eine? Aha! Und mit wie vielen Personen wohnst du hier?« »Ich wohne derzeit noch allein, aber ich hoffe doch, dass mein Haushalt bald um zwei Personen erweitert wird!«, beantwortet er Helens Frage und blinzelt mir grinsend zu. Kopfschüttelnd tritt Helen auf Andrew zu und flüstert ihm etwas ins Ohr, was ich als „Schatz! Ich will auch mal so ein Haus!“ oder „Darling, such dir einen anderen Job!“ interpretiere. Der Gedanke lässt mich schmunzeln. Gemeinsam gehen wir hinüber zur Eingangstür, als diese auch schon geöffnet wird. Von meiner Mutter! Helen fängt wieder an zu kreischen und fällt unserer Mutter in die Arme. Nun bin ich völlig verwirrt. Wie kommt meine Mutter hierher? Müsste sie nicht eigentlich beim Arzt sein? Ich schaue zu Gabriel hinüber, doch diesmal ist er es, der mit den Schultern zuckt »War das deine Idee?« »Ich dachte mir, dass es doch schön wäre, hier eine Familienzusammenführung zu veranstalten und da darf eine Mutter doch nicht fehlen!« »Und wie ist sie hineingekommen?« »Ich habe ihr schon vor ein paar Tagen den Ersatzschlüssel gegeben und den hat sie wohl heute Mittag benutzt!« Ich kann nicht anders und ziehe Gabriel unsanft zu mir herunter und drücke ihm einen feuchten Kuss auf seine Lippen »Du bist wirklich unglaublich! Du glaubst ja gar nicht, wie dankbar ich dir dafür bin.« »Für dich würde ich alles tun, das weißt du doch, oder?« Ich nicke ihm zu und mir treten vor Rührung Tränen in die Augen. Gabriel nimmt mich zärtlich in den Arm und küsst mich sanft auf den Scheitel »Kommt ihr jetzt endlich, ihr Turteltäubchen!«, ruft Helen uns zu. Meine Schwester weiß wirklich, wie man einen romantischen Moment zunichtemacht »Und? Was sagst du? Haben Helen und ich eine gewisse Ähnlichkeit?« »Ich konnte bisher noch keine erkennen, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich werde schließlich die nächsten zwei Wochen mit euch verbringen. Vermutlich kann ich so viel gebündelte Schwesternpower kaum ertragen und miete mich solange im Hotel ein.« »Das würde dir so passen! Da musst du jetzt durch!« Ich lasse Gabriel mit den Koffern zurück und laufe den anderen ins Haus hinterher. Meine Mutter steht mit einer Anmut und Präsenz im Eingangsbereich, dass man glatt meinen könnte, es sei ihr Haus. Zum Totlachen. Im Vorbeigehen umarmen wir uns »Mit dir muss ich glaub’ noch ein Hühnchen rupfen, Mama! Hast du mir nicht gesagt, dass du einen Arzttermin hast und deswegen nicht mit zum Flughafen kommst.« »Tja, Überraschung! Das hast du alles deinem Freund zu verdanken! Du glaubst ja gar nicht, was für Mühe er auf sich genommen hat, um dich heute glücklich zu machen. Er wusste schon ganz genau, wie sehr du dich freuen würdest! »Er ist einfach wunderbar!« »Da hast du Recht, Anna! Ich bin froh, dass du so einen tollen Mann gefunden hast!« »Dabei hast du mir noch gesagt, dass ich nicht gut genug für ihn bin!« »Da kannte ich ihn ja auch noch nicht!« Mit ihrer kleinen faltigen Hand streichelt sie mir wie in Kindertagen über mein Haar und flüstert mir klammheimlich ins Ohr »Aber das Beste überhaupt ist ja die Küche! Die lässt er mich auch benutzen, und du solltest mal sehen, was für ein großes Bett ich habe! Ich komme mir ein bisschen vor, wie im Urlaub!« Ich muss schallend lachen. Das ist typisch meine Mutter. Alle schwärmen über das große Haus, den tollen Garten und sonst noch was, aber sie findet schlichtweg Gefallen an der Küche. Als Gabriel schwer bepackt ebenfalls das Haus betritt, muss ich immer noch lachen. Er runzelt fragend die Stirn, aber ich winke nur ab »Eleni, kann es sein, dass es hier nach Essen riecht?«, erkundigt sich Gabriel und zieht schnüffelnd die Nase kraus »Ja, ich dachte mir, dass ihr alle bestimmt großen Hunger habt, deshalb habe ich mal etwas vorbereitet.« Damit hat sie sicherlich bei Gabriel einen Nerv getroffen, denn wie aufs Stichwort, beginnt dessen Magen zu knurren »Da hast du richtig gedacht! Vielen Dank!«, meint er grinsend und drückt meiner perplexen Mutter einen Kuss auf die Wange. Ganz schüchtern nickt sie ihm zu und verlässt den Flur Richtung Küche »Du hast wieder eine Anhängerin mehr in deiner Schar weiblicher Fans!« »Das ist eben mein Charme! Da kann ich gar nichts dafür!« »Charme? Dass ich nicht lache! Du wickelst die Frauen reihenweise um den Finger mit deinem Gesäusel und wir armen naiven Geschöpfe fallen tatsächlich auch noch darauf rein.« Gabriel packt mich an den Schultern und zieht mich zu sich heran »Aber am Liebsten wickele ich dich um den Finger, mein kleines armes, naives Blondchen!« Ich boxe ihn einmal kräftig in den Oberarm und versuche mich aus seinen Fängen zu befreien, aber wie immer habe ich null Chance. In Gabriels Händen werde ich zu Wachs. Eigentlich armselig. Aber wie ich es liebe, so armselig zu sein. Während Gabriel Helen und Andrew den Garten zeigt, gehe ich mit meinem Gepäck in den zweiten Stock, als mir Sammy schon aufgeregt entgegen rennt »Mami, du musst mal mitkommen! Ich habe hier sogar ein Zimmer!« Was? Das kann nur ein Irrtum sein! »Sammy, ich glaube nicht …«, stottere ich leise »Komm’ mit Mami! Ich zeig’ es dir!« Sammy zieht mich mit sich den Flur hinunter Richtung Gästezimmer »Mami, mach’ mal die Augen zu! Ich sag’ dir, wenn du sie wieder aufmachen sollst!« »Na, wenn du meinst!«, murmle ich leise vor mich hin und schließe wie geheißen, die Augen. Samuel zieht mich noch weiter in das Zimmer hinein »Du kannst die Augen jetzt aufmachen!« Ich öffne meine Augen und lasse meinen Blick durch das Gästezimmer, oder besser gesagt, das was es einmal war, schweifen. Samuel hatte eindeutig Recht mit seiner Aussage. Es ist ein Kinderzimmer geworden! Das einst so triste, und vor allem sterile Zimmer hat einen neuen Anstrich bekommen. Die zwei gegenüberliegenden Seiten rechts und links der Eingangstür sind in einem hellen Grünton gestrichen, während die beiden anderen Seiten in beige gehalten sind. Auf der beigefarbenen Wand wurde ein Dinosaurier, vermutlich ein T-Rex, aufgemalt, der durch den Blätterwald streift. Ein weißes Kinderbett mit Dinobettwäsche, eine Schrankwand mit Ausziehboxen sowie eine Kuschelecke mit Sitzkissen vervollständigen Sammys neues Reich. Während Sammy schon in der Kuschelecke lümmelt, stehe ich immer noch staunend im Türrahmen und kann es einfach nicht fassen. Gabriel hat ohne mein Wissen Samuel ein eigenes Zimmer eingerichtet. Nicht, dass ich es nicht gut finden würde. Im Gegenteil. Ich finde es wundervoll. Aber geht das Ganze nicht etwas zu schnell? Samuel war ja noch nicht einmal hier bei Gabriel zuhause. Was ist, wenn Gabriel bemerkt, dass ein Kind seine wohl behütete Ordnung völlig durcheinanderbringt. Und dass es das wird, ist so sicher wie das Amen ist in der Kirche. Wie wird er damit umgehen, wenn im ganzen Haus Autos und Bauklötze verstreut herumliegen? Darüber müssen wir uns dringend mal unterhalten. Gedankenverloren laufe ich den Flur und die Treppe zum Erdgeschoss hinunter, als ich auch schon die Stimmen meiner Familie hören kann. Ganz einträchtig stehen sie bei einem kleinen Stehempfang im Esszimmer beieinander, Helen, Andrew, Gabriel und meine Mutter mit jeweils einem Glas Prosecco in der Hand. Da kann ich jetzt schlecht hineinpreschen und Gabriel mitziehen. Das bedeutet also für mich „Warten“. Während meine Mutter voll des Lobes über Gabriels Küche ist, bekommt sich meine Schwester fast nicht mehr ein. »Oh! Was für ein Garten!« Gabriel, wie immer ganz bescheiden, lässt die Lobeshymnen über sich ergehen. Als die vier mich bemerken, verstummen die Gespräche »Mensch Anna! Können wir nicht tauschen? Du fliegst mit Andrew zurück in die Staaten und ich bleibe hier bei Gabriel!«, schlägt Helen augenzwinkernd vor »Vorsicht! Dein Mann hört zu!«, wende ich ein und schaue zu Andrew, der mich nur verunsichert anschaut »Der versteht nix!«, widerspricht mir Helen und stupst Andrew leicht mit dem Ellenbogen an, der sie von oben herab mustert »Ich könnte aber auch mit Gabriel zusammen in die Staaten fahren und du bleibst hier als die Bernard’sche Haushaltshilfe! Das wäre doch mal eine gute Idee!« »Ganz toll, Anna, ganz toll!«, meint Helen und verdreht die Augen »Ich glaube, wir können jetzt essen!«, unterbricht Oma Eleni unser Geplänkel und scheucht uns alle an den Esstisch »Ich hole nur noch kurz Sammy! Helen, hilf’ deiner Mutter beim Tisch decken!« »Du bist immer noch so tyrannisch, wie früher! Jetzt weiß’ ich auch wieder, warum ich dich nicht mag!« Während ich kichernd die Treppe hinauflaufe, kommt mir Gabriel mit großen Schritten hinterher »Was ist denn plötzlich los mit dir?«, fragt er mich mit gerunzelter Stirn »Seit du von oben runter gekommen bist, scheint dir irgendwas auf dem Herzen zu liegen!« »Ich habe Samuels Zimmer gesehen!« »Ja und? Wo ist das Problem?« »Ich fürchte es gibt keins, aber ich mache gerade eins daraus!« »Das glaube ich allerdings auch!« Ich ziehe Gabriel zu mir herunter und schlinge meine Arme um seinen Hals »Es tut mir leid! Ich weiß, ich sollte dir eigentlich dankbar sein. Aber ich habe einfach nur große Angst. Was ist, wenn wir merken, dass wir doch nicht so gut zusammenpassen, wie wir eigentlich dachten? Das zieht dann nicht nur mich in Mitleidenschaft, sondern Samuel gleich mit! « »Du machst dir zu viele Gedanken, mein Schatz! Genieße einfach unsere gemeinsame Zeit und interpretiere nicht zu viel in eine Sache hinein! Meinst du das Zimmer gefällt ihm?« »Natürlich tut es das! Vermutlich werden wir ihn die nächsten Stunden nicht mehr aus diesem Zimmer herausbekommen.« »Und wie sieht’s mit dir aus? Gefällt es dir auch?« »Gabriel, es ist wirklich toll! Ich weiß’ ja nicht wie du es angestellt hast, aber du überraschst mich immer wieder!« »Das habe ich zu meiner Aufgabe gemacht, seitdem ich dich kenne! Und es macht mir unglaublich viel Spaß, das kannst du mir glauben!« Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und drückt mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen »Ich liebe dich, Anna, von ganzem Herzen! Und alles, was ich möchte und was mir am Herzen liegt, ist, dass es dir und Sammy gut geht. Am liebsten möchte ich euch beide ständig in meiner Nähe haben, deshalb habe ich dieses Zimmer eingerichtet. Nenne es egoistisch, das ist mir egal.« »Dir ist aber schon klar, dass so ein Kind einen Haufen Lärm und Unordnung mit sich bringt?« »Das ist mir bewusst und ich nehme diese Herausforderung gerne an!« Die Lärmkulisse am Esstisch hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Gespräche gehen kreuz und quer, zwischendrin das Geklimper von Gläsern und Besteck. Und ich sitze mittendrin, beobachte vorsichtig die Geschehnisse und lasse mir das Abendessen, Hackbraten mit Kartoffelbrei auf Karottengemüse, schmecken. Meine Mutter strahlt über das ganze Gesicht und nimmt die Lobeshymnen über ihre Kochkünste gerne entgegen. Sammy hat wie erwartet schon den Tisch verlassen und hat sich in seine Dinoecke zurückgezogen »Anna, du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es mit deinen Bewerbungen gelaufen ist? Hast du schon eine Rückmeldung bekommen?«, erkundigt sich Helen und schiebt sich gerade eine Portion Kartoffelbrei in den Mund »Ich habe noch eine Bewerbung bei einem Raumausstatter am Laufen. Bisher hat er nur den Eingang meiner Bewerbung quittiert. Schauen wir mal, ob ich eine Chance bekomme mich vorzustellen.« Ich schaue kurz zu Gabriel hinüber, der etwas bedrückt in seinen Teller starrt. Vermutlich gehen ihm dieselben Gedanken durch den Kopf, wie mir. Hätte er mir nicht geraten, meine Bewerbung bei dem Architekten zurückzuziehen, hätte ich vielleicht noch eine zweite Chance, die ich nutzen könnte. Aber vermutlich hat er Recht und mein Job bei diesem Hallodri wäre die Hölle gewesen »Ich drücke dir die Daumen, dass es klappt! Hast du dir schon mal überlegt dich selbstständig zu machen?« »Vergiss’ es! Woher sollte ich denn das Geld nehmen? Außerdem habe ich noch Sammy, um den ich mich kümmern muss.« »Ich könnte dich unterstützen!«, schlägt Gabriel plötzlich vor. Soweit kommt es noch! Als ob das mit dem Dinozimmer nicht schon reichen würde »Das ist lieb gemeint von dir, aber das möchte ich nicht!« »Lass’ es dir doch mal durch den Kopf gehen! Ich habe besondere Kontakte, viel Geld und einen guten Draht zu deinem Sohn!«, meint er augenzwinkernd. Alter Angeber! »Siehst du! Noch einen Grund mehr, dass ich mit dir tauschen möchte, Anna!«, scherzt Helen und zwinkert Gabriel spaßeshalber zu »Möchte jemand Nachtisch?« Ich liebe meine Mutter! Sie beobachtet die ganze Situation aus sicherer Entfernung und weiß ganz genau, wann sie einschreiten muss, um eine Konfliktsituation zu entschärfen »Was gibt es denn?«, erkundigt sich Gabriel neugierig »Apfelringe mit Vanillesoße.« Nach dem Essen machen es sich Gabriel und Andrew vor dem Fernseher gemütlich und schauen Fußball. Mein Schwager ist ganz angetan von der deutschen Bundesliga und genießt nebenher sein erstes deutsches Bier. Die beiden scheinen sich gut zu verstehen, nicht nur sprachlich betrachtet. Da sag’ ich doch nur: amazing. Wir drei Frauen stehen währenddessen in der Küche und räumen gemeinsam auf »Wie findest du ihn?«, platzt es aus mir heraus und Helen guckt mich überrascht an »Meinst du Gabriel?« »Nein, den Klobürstenhalter!« Ich schüttle frustriert den Kopf. »Natürlich meine ich Gabriel! Also, was sagst du?« »Also rein äußerlich betrachtet ist er ein Knaller, aber das versteht sich ja von allein. Aber was mich wirklich umhaut, dass er dazu auch noch so nett ist. Traut man ihm gar nicht zu. Und er ist total verliebt in dich! Das finde ich so süß!« Helen schwelgt in romantischer Euphorie und schleudert gedankenverloren das feuchte Geschirrtuch umher »Stell’ dir mal vor, ihr bekommt mal zusammen ein Baby! Das wird dann bestimmt total hübsch!« Jetzt mach’ aber mal halblang »Helen, ich glaube der Flug hat dir nicht gutgetan. Willst du nicht lieber ins Bett gehen?« »Sei doch nicht so unromantisch! Ich sehe es schon förmlich vor mir, wie ihr gemeinsam vor den Traualtar tretet und Sammy die Ringe trägt«, seufzt sie träumerisch, während ich belustigt den Kopf schüttle. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gabriel überhaupt heiraten möchte. Und über das Thema Baby will ich nicht mal nachdenken »Lass uns doch mal über dich sprechen! Wann wollt ihr beiden denn eigentlich Kinder?« Kaum, dass die Worte meinen Mund verlassen haben, verwandelt sich die fröhliche Helen in ein Häufchen Elend. Ich gehe zu ihr hinüber und drücke ihren Arm »Was ist los? Stimmt was nicht?« »Ich hatte vor zwei Monaten eine Fehlgeburt!«, beichtet sie mit leiser Stimme und die ersten Tränen bahnen sich den Weg über ihre Wangen »Oh nein! Das tut mir so leid!« Ich nehme meine Schwester in den Arm und streichle ihr behutsam den Rücken, während die Tränen nun haltlos über ihr zartes helles Gesicht kullern »Warum hast du mir denn nichts erzählt?« »Ich konnte und wollte darüber nicht am Telefon sprechen. Dieser Verlust hat mich so gelähmt, dass ich in ein tiefes Loch gefallen bin. Ich war zwar erst in der zwölften Schwangerschaftswoche, aber ich habe mich doch so sehr auf dieses Baby gefreut!« »Das verstehe ich. Und wie geht es dir jetzt?« »Es wird besser. Andrew unterstützt mich wo es nur geht und steht mir immer zur Seite, wenn es mir mal wieder schlecht geht.« Meine Mutter steht leichenblass neben uns und hält sich geschockt die Hand vor den Mund. Sie ist ebenfalls den Tränen nahe. Ich manövriere beide zu den Barhockern und der angrenzenden Theke und eile zu Gabriels Barschrank um etwas Hochprozentiges zu holen. Das haben wir jetzt alle bitter nötig. Während wir einen Schnaps um den anderen bechern, philosophieren wir über das Leben und unsere verpassten Möglichkeiten. Meine Mutter ist so gesprächig, wie schon lange nicht mehr, was vermutlich an dem Schnaps liegt »Euer Vater hat mich einfach sitzengelassen, wegen einer anderen Frau. Als Helen auf die Welt kam, freuten wir uns riesig über unsere kleine Familie. Wir hatten es nie leicht, weil wir kaum Geld hatten, aber wir hatten ja uns und das genügte. Als ich dann drei Jahre später erneut schwanger wurde, dachte ich, dass unser Glück nur noch größer werden würde, aber da hatte ich mich wohl geirrt. An dem Abend, als ich es eurem Vater sagen wollte, eröffnete er mir, dass er mich verlassen würde. Er hätte sich in seine Sekretärin verliebt. Die, nebenbei bemerkt, auch noch eine gute Freundin von mir war. Das war ein großer Schock, zumal ich ja schwanger war. Ich sagte ihm nichts von meiner Schwangerschaft und ließ ihn einfach ziehen. Von da an war ich allein mit euch und habe es nie bereut!« »Wollte er nie wieder Kontakt zu uns aufnehmen?« »Anfangs schon, aber seine neue Freundin hat ihm da wohl gehörig einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie ich später hörte, haben die beiden wohl geheiratet, sich aber Jahre später wieder getrennt.« »Mensch Mama, ist das traurig! Darüber hast du noch nie mit uns gesprochen!«, meint Helen und kippt ihren Schnaps hinunter »Ich wollte euch damit nicht belasten. Aber wenn ich eins gelernt habe, dann dass meine zwei Mädels zwei starke Persönlichkeiten geworden sind, die es mit allen Widrigkeiten aufnehmen können. Drum lasst uns darauf anstoßen, dass das Leben uns nichts nimmt, sondern bereichert, jeden auf seine Art und Weise.« »Das sind kluge und weise Worte«, nuschelt Helen, »aber die Flasche Schnaps ist leer!« Ich stehe unter der Dusche und genieße das herrliche Gefühl einer Regenwasserdusche. Ich habe starke Kopfschmerzen, was mich nicht wundert nach all dem Schnaps, aber ich bereue es nicht. Selten haben wir so offen miteinander geredet wie gestern Abend. Während bekanntlich im Wein die Wahrheit liegt, liegt sie bei uns im Schnaps. Ich drehe die Dusche ab, schnappe mir ein flauschiges Handtuch vom Regal und trockne mich sorgfältig ab, denn heute habe ich immens viel Zeit. Dann schleiche ich, nur mit einem Handtuch bekleidet durch die Bernard’sche Residenz und genieße das Haus, allein. Helen und Andrew machen heute etwas Kulturelles. Sie sind bereits seit zwei Tagen bei uns und Andrew ist schon ganz heiß darauf endlich das Mercedes-Benz-Museum zu besuchen, während meine Mutter doch tatsächlich heute beim Arzt ist. Gabriel hat zum allerersten Mal Samuel in die KiTa gebracht, um danach ins Büro zu fahren. Mein Weg führt mich in die Küche zu Gabriels hochmodernem Vollautomaten, den ich nach einigen Versuchen zum Laufen bringe. Höllengerät. Mitsamt dem Kaffee und meinem Handy trödle ich hinaus auf die Terrasse. Es ist bereits angenehm warm und die Sonnenstrahlen erwärmen meinen Körper, als ich mich auf einem Korbstuhl niederlasse. Ich wähle Neles Nummer und bin gespannt, ob sie schon wach ist »Guten Morgen, du Faultier!« »Selbst Faultier!«, murrt Nele »Ich wollte mich nur mal melden, um zu hören, wie es dir geht.« »Mir geht’s immer gut, das weißt du doch! Und wie geht’s deiner Schwester. Sind sie gut angekommen?« »Ja klar!«, und dann berichte ich Nele haarklein von Gabriels Mühe mit meiner Familie, dem Dinozimmer und seinem Liebesgeständnis auf der Treppe.« »Ach Anna, ich freue mich so für dich! Wenn ich romantisch veranlagt wäre, würde ich jetzt in Tränen ausbrechen, aber ich kann mich gerade noch so beherrschen.« »Wie geht es deinem Liebesleben?«, hake ich mal vorsichtig nach. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nach Ramón fragen soll.« »Welches meinst du?«, entgegnet sie scherzhaft »Ach komm’ schon! Eine Frau wie du, bleibt doch nicht lang allein!« »Das hört sich ganz danach an, als ob ich ein Flittchen wäre! Nee, im Ernst, ich habe momentan nichts am Laufen und bin auch ganz froh darüber! Meine letzte Erfahrung hat mich gelehrt, dass es manchmal besser ist allein zu bleiben. Außerdem bin ich stolze Besitzerin des Red Dragon!« Oh nein, sie spricht von ihrem Vibrator! Ich glaube mir wird schlecht! »Ich wünsche mir, dass du endlich den Mann fürs Leben findest!« »Der muss erst noch erfunden werden! Ich bin da sehr wählerisch!« Ein Klingelton reißt mich aus meinen Gedanken und ich versuche zu erahnen, woher das Geräusch kommt. Mit dem Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und den Händen das Handtuch haltend, haste ich nach drinnen und entdecke zu meinem Entsetzen Gabriels Handy auf der Anrichte »Nele, bleib’ mal dran! Hier klingelt ein Handy!« Ich schnappe Gabriels Smartphone und schaue nach der Nummer. Aber die Telefonnummer sagt mir nichts und so beschließe ich den Anruf nicht entgegenzunehmen »Nele, ich glaub ich muss Schluss machen. Gabriel hat sein Handy zuhause vergessen. Ich werde es ihm kurz vorbeibringen.« »Kein Problem, Schatz! Wir hören uns!«, und schon hat sie aufgelegt. Ich ziehe mich rasch an, schnappe mir den Ersatzhausschlüssel und eile nach draußen zu meinem Wagen. Mein Plan ist, zu Gabriel ins Büro zu fahren, das Handy abzugeben und dann auf dem Rückweg Samuel von der KiTa abzuholen. Wenn das mal kein guter Plan ist! Dank meines Navigationssystems finde ich den Bürokomplex ohne Probleme. Nach einer ewig dauernden Parkplatzsuche stehe ich endlich vor dem monströsen Gebäude und fahre mit dem Aufzug in den vierten Stock. Als ich in die Etage hinaustrete, kann ich schon von Weitem durch eine Glastüre Marlene am Empfang sitzen sehen. Ich ziehe die Schultern zurück, drücke meine Brust raus und betrete hoch erhobenen Hauptes das Herz von Bernard-Immobilien. Marlene hebt ihren Kopf und erblickt mich. Sofort schließen sich ihre Augen zu engen Schlitzen und der Mund zieht sich zu einer schmalen Linie zusammen. Wenn Blicke töten könnten! Sie erhebt sich von ihrem Platz und geht um die Theke herum, um vor mir zum Stehen zu kommen. Mit in die Hüften gestemmten Händen schaut sie missbilligend an mir herunter. Mein Outfit, bestehend aus Jeans, Oversize-Shirt und Converse-Chucks, entlockt ihr ein hämisches Grinsen »Was kann ich für dich tun?« »Ich möchte gern zu Gabriel!« »Da hast du leider Pech! Er ist außer Haus!« Mist! Diese Option habe ich leider nicht berücksichtigt! »Oh! Dann komme ich später noch einmal!« »Mach dir nicht die Mühe! Er kommt heute nicht mehr ins Büro. Er hat einen dringenden Außentermin!« Ich wende mich zum Gehen und habe bereits die Türklinge in der Hand, als Marlene mich am Arm zurückhält »Lass dich hier nie wieder blicken, sonst verständige ich den Sicherheitsdienst! Du meinst zwar, du hättest Sonderprivilegien, weil du seine derzeitige Flamme bist, aber dem ist nicht so. Außerdem wirst du in vier Wochen sowieso Vergangenheit sein! Gabriel hält es nie längere Zeit mit einer Frau aus! Er liebt seine Freiheit.« Ich schüttle Marlenes Arm ab und reiße die Glastür auf »Du bist das Allerletzte, Marlene! Ein primitives verwöhntes Flittchen!«, zische ich zurück und blicke sie böse an. Marlene klappt für einen Moment die Kinnlade nach unten und ich triumphiere innerlich. Noch bevor sie etwas erwidern kann, habe ich das Büro verlassen und stürme das Treppenhaus nach unten. Draußen angelangt, schnaufe ich erstmal durch. Ich zittere ein wenig, denn die Zusammenkunft mit Marlene ging an mir nicht spurlos vorbei. In Gedanken erdolche, erwürge und ertränke ich dieses Miststück. Warum kann nicht eine nette gemütliche 55-jährige am Bernard’schen Empfangstresen sitzen? Das würde die ganze Sache einfacher machen. Aber ich lasse mich davon nicht entmutigen. Gabriel liebt mich, basta. Und nicht sie. Zumindest hat er mir das gestern gesagt, und ich glaube ihm. Um mir selbst ein gutes Gefühl zu geben, denke ich an alles, was er für mich getan hat und schon wird mir ganz warm um mein kleines Herz. Ich gehe in Richtung meines Wagens und hätte beinahe die Sache mit dem Handy vergessen, wenn es nicht in meiner Handtasche angefangen hätte zu bimmeln. Mit den Fingerspitzen ziehe ich es heraus und lese auf dem Display „Pflegeheim“. Vor Schreck lasse ich das Telefon fast aus der Hand fallen, nehme aber ohne langes Zögern ab »Hallo?« »Guten Morgen! Hier spricht Pflegerin Susanne! Kann ich bitte mit Herrn Bernard sprechen?« »Das tut mir leid, aber Herr Bernard ist unterwegs!« »Das dachte ich mir schon! Ich habe es bei ihm zuhause versucht und in seinem Büro, aber leider kann ich dort niemanden erreichen.« »Ist etwas mit seiner Mutter?« »Sie muss dringend ins Krankenhaus. Heute Morgen hat sie Blut erbrochen! Der Arzt ist schon hier und der Rettungswagen wurde bereits informiert!« Ohne lang zu überlegen, renne ich zu meinem Wagen und steige ein »Schwester Susanne, ich bin schon unterwegs!« Mein Herz klopft wie verrückt. Das so etwas ausgerechnet heute passieren muss. Gabriel wird durchdrehen, wenn er das erfährt. Hoffentlich ist es nicht Schlimmes. Soll ich doch noch mal in seinem Büro anrufen und über Marlene etwas ausrichten lassen? Das kleine Teufelchen auf meiner Schulter schwenkt mit dem Dreizack und schüttelt angewidert mit dem Kopf, während das Engelchen ganz wild mit seinem Lockenkopf nickt. Aber heute bin ich ganz teuflisch unterwegs und gebe deshalb Vollgas Richtung Pflegeheim. Der Verkehr hat es extrem gut gemeint mit mir, so dass ich nur zehn Minuten später vor dem Pflegeheim stehe. Ich renne Richtung Demenzabteilung und werde glücklicherweise sofort eingelassen. Im Flur stehen bereits die Sanitäter mit der Trage. Eine junge Schwester, ich schätze sie mal auf Mitte Zwanzig, kommt mir entgegen »Ich bin Schwester Susanne! Haben wir gerade miteinander telefoniert?« »Ja genau!« »Kommen Sie mit, dann können Sie noch mit dem Arzt sprechen!« Schwester Susanne führt mich den langen Flur hinunter, an der Bushaltestelle vorbei, direkt in Frau Bernards Zimmer. Mein Blick fällt auf eine kleine magere und sichtlich mitgenommene alte Dame. Ich bin etwas entsetzt, da sie bei unserem letzten Zusammentreffen deutlich besser aussah. Der Schreck muss mir anzusehen sein, denn der junge Mann, der mir gegenübersteht und den ich jetzt erst registriere, drückt beruhigend meinen Arm »Sie wird schon wieder! Sie ist ziemlich mitgenommen, aber im Krankenhaus päppeln die sie wieder auf!« Ich schaue in freundliche graue Augen, die mich neugierig mustern »Ich bin Dr. Clausen, der Hausarzt! Und Sie sind?« »Äh … Anna … die Schwiegertochter!« Upps! Kleine Notlüge! »Die Schwiegertochter. Also gut, ich erkläre ihnen kurz, was passiert ist und wie es jetzt weitergeht! Ihre Schwiegermutter hat heute Morgen mehrmals Blut erbrochen. Da wir nicht genau wissen, woher das Blut kommt, wird sie ins Klinikum gebracht. Dort wird sie sich verschiedenen Untersuchungen unterziehen müssen, damit klar ist, wo die Blutungsquelle liegt. Konnten Sie mir folgen?« Ich kann bloß nicken. Mein Blick fällt wieder auf die kleine Frau Bernard, die in ihrem Pflegebett noch viel winziger aussieht »Möchten Sie gern im Rettungswagen mitfahren?« »Ja, wenn ich darf, würde ich das gern!« Der Krankentransport wird vorbereitet und zusammen mit meiner „Schwiegermutter“ und mir verlässt der Krankenwagen das Pflegeheim in Richtung Krankenhaus. Von unterwegs aus versuche ich Gabriel zuhause zu erreichen. Vielleicht habe ich ja Glück und er ist zuhause, um sein Handy zu holen, welches ich nach wie vor noch in meiner Handtasche habe. Als der Anrufbeantworter ran geht, beschließe ich ihm eine Nachricht zu hinterlassen »Hallo Gabriel, deine Mutter ist unterwegs ins Krankenhaus. Ich begleite sie. Ruf’ mich an, wenn du daheim bist! Und .. bitte mach’ dir keine Sorgen!« Mach’ dir keine Sorgen! Pah … er wird AUSFLIPPEN. Ich sitze in einem durch Neonleuchten erhellten Flur und blättere in einer Fachzeitschrift zum Thema „Schlüssellochchirurgie“. Frau Bernard ist gerade bei der Untersuchung und so heißt es warten. Mein Magen knurrt, was mich daran erinnert, dass ich heute Morgen ganz vergessen habe zu frühstücken. Ich möchte jetzt aber auch nicht in die Cafeteria gehen, denn es könnte ja sein, dass die Untersuchung gleich zu Ende ist. Während ich weiterlese, ruft Gabriel an. Ich schildere ihm kurz, was passiert ist und wo wir sind. Er verspricht gleich nachzukommen. Seiner Tonlage nach zu urteilen, wirkt er sehr gefasst, aber da kann ich mich auch täuschen. Ich habe gerade mein Handy wieder in der Tasche verstaut, als auch schon die Türe des Untersuchungszimmers aufgeht und eine junge Ärztin herauskommt »Frau Bernard?« Ich möchte mich schon umdrehen und schauen, wen sie da gerade anspricht, bis mir einfällt, dass sie ja mich meint »Äh … ja!« »Wir werden ihre Schwiegermutter jetzt auf Station verlegen. Wir warten noch auf die Laborergebnisse und möchten noch weitere Untersuchungen durchführen, aber was ich ihnen zum jetzigen Zeitpunkt schon mal sagen kann, dass die Blutung vermutlich aus der Speiseröhre kommt. Ihre Schwiegermutter hat dort ein Geschwür, welches sich geöffnet und die Blutung verursacht hat. Aber wie gesagt, genaueres erst nach Abschluss der Untersuchungen.« Ich nicke zaghaft und linse vorsichtig an der Frau Doktor vorbei ins Untersuchungszimmer. Frau Bernard liegt auf die Seite gedreht auf der Liege und schlummert »Sie dürfen gern zu ihr gehen!«, meint die Ärztin und so gehe ich leise hinein und wage mich vor bis zur Untersuchungsliege »Wir haben sie wegen der Untersuchung sediert. Aber sie wird bald wieder wach sein!«, informiert mich die Ärztin, bevor sie sich umdreht und geht. Ganz vorsichtig streichle ich ihre kleine zarte Hand. Wie sie wohl in jungen Jahren ausgesehen hat? Bestimmt war sie mal bildhübsch, denke ich so bei mir, als mich ein Klopfen aus meinen Gedanken reißt. Ich drehe mich um und entdecke Gabriel, der in der Tür steht. Ich wende mich von seiner Mutter ab und gehe ihm entgegen. Mit großen Schritten tritt er auf mich zu und reißt mich verzweifelt in seine Arme. Sein Kopf liegt in meiner Halsbeuge und ich spüre seine heftigen Atemstöße. Beruhigend streichle ich seinen Rücken. Ich muss ihm jetzt beistehen. Er braucht mich. Nach einer gefühlten Ewigkeit lässt er mich los und tritt an das Bett seiner Mutter. Voller Sorge streicht er ihr ein paar lose Strähnen aus dem Gesicht »Mutter, was machst du nur für Sachen?«, höre ich ihn murmeln. Mit hängendem Kopf und nach unten gesackten Schultern ist von dem selbstbewussten Immobilien-Mogul nichts mehr zu sehen. Es tut mir unendlich leid, ihn so zu sehen. Ein junger Pfleger in weißer Kleidung betritt den Raum und durchbricht die Stille »Ich bringe ihre Mutter auf Station.« Gabriel tritt ein paar Schritte zurück, damit der Pfleger das Bett mitsamt der Patientin aus dem Untersuchungszimmer schieben kann. Schweigend laufen wir dem Pfleger hinterher, der direkt auf die Krankenstation fährt und Frau Bernard in ihrem Zimmer unterbringt. Die Stationsschwester nimmt uns in Empfang und erklärt uns das weitere Vorgehen. Da nun noch weitere Untersuchungen anstehen, beschließen Gabriel und ich in die Cafeteria zu gehen, da wir zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nichts tun können. Gabriel fährt sich fahrig mit beiden Händen übers Gesicht, während uns der Kellner den bestellten Cappuccino serviert. Er sieht müde und abgeschlagen aus, vermutlich so, wie ich mich auch fühle »Hoffentlich können ihr die Ärzte helfen!«, murmelt er leise vor sich hin und seufzt »Das wird schon wieder! Der Hausarzt meinte, dass sie sie hier aufpäppeln und dann kann sie auch schon wieder nach Hause!« Wobei die Wörtchen „nach Hause“ irgendwie falsch klingen »Wann hast du denn mit ihrem Hausarzt gesprochen?« hakt Gabriel irritiert nach und sieht mich skeptisch an »Im Pflegeheim! Kurz bevor wir ins Krankenhaus gefahren sind!« »Moment mal! Du warst im Pflegeheim? Wie denn das?« »Die Pflegerin hat versucht, dich auf deinem Handy zu erreichen, aber du hattest es ja nicht dabei und so habe ich eben das Gespräch angenommen. Das war, nachdem ich bei dir im Büro war. Ich wollte dir das Handy dort eigentlich übergeben, aber du warst ja leider außer Haus!« »Wie bitte? Ich war nicht außer Haus!«, entgegnet mir Gabriel gereizt »Aber ich war doch dort und Marlene hat gesagt, dass du nicht da bist.« Sie hat zwar noch ganz andere Sachen gesagt, aber das werde ich hier und jetzt bestimmt nicht breittreten. Gabriels Gesichtsausdruck wechselt von ermattet zu wütend. Er beginnt mit seinem Zeigefinger auf die Tischplatte zu klopfen »Bist du sicher, dass du das nicht falsch verstanden hast?« Wie bitte? Jetzt bin ich diejenige, die wütend wird »Willst du sie jetzt wieder in Schutz nehmen, oder was? Ich bin doch nicht blöd! Die hat sich mir in den Weg gestellt und gesagt, dass du heute, ich zitiere ‚außer Haus‛ bist. Was bitte soll ich da falsch verstehen?« Ich beginne mich in Rage zu reden »Ich habe ja nur gemeint! Warum sollte sie denn so etwas sagen?« »Na, du kannst ja Fragen stellen!« Ich schüttle genervt den Kopf und schaue nach draußen in den Klinikpark. Vor meinem Fenster steht ein Kugelahorn, in dessen Ästen ich ein Vogelnest entdecke. Die Amselmutter ist gerade dabei ihre Küken zu füttern. Was würdest du tun, Amselmutter, wenn dein Amselgatte so eine Ex-Amsel hätte? Du würdest dieser Ex wahrscheinlich die Augen auspicken oder ihr die Federn rausreißen. Recht hast du! Gabriel trinkt hastig seinen Cappuccino leer und steht auf »Ich werde jetzt wieder zu meiner Mutter gehen!« Über diesen abrupten Gesprächsabbruch kann ich eigentlich nur staunen. Für ihn scheint die Sache somit abgehakt »Na, dann gehe ich eben auch! Ich muss schließlich Sammy von der KiTa abholen!«, erwidere ich genauso schnippisch, wie er. Gabriel nickt nur und drückt mir einen Kuss auf die Wange »Wir sehen uns später!« Und dann rauscht er auch schon ab, während ich zurückbleibe und Hunderte von ungesagten Worten mit mir. Ach verdammt! Es ist bereits nach Acht, als ich Gabriel kommen höre. Meiner Familie habe ich nur die Kurzversion erzählt, dass Gabriels Mutter im Krankenhaus ist. Vom Rest, also von Marlenes Gezicke und dem abstrusen Gespräch im Krankenhaus habe ich nichts erwähnt. Schließlich muss eine Familie nicht alles wissen. Gabriel betritt sein Wohnzimmer, welches bereits von mir und meinen Familienmitgliedern belagert wird. Wenn ich mich nicht täusche, sieht er noch schlimmer aus als heute Mittag. Meine Mutter springt sofort auf und eilt ihm entgegen »Gabriel, wie geht es deiner Mutter?«, erkundigt sie sich besorgt. Auch Helen und Andrew sind inzwischen aufgesprungen und gehen zu ihm hinüber »Ihr geht es gut! Die Ärztin meinte, dass sie ein Geschwür an der Speiseröhre hat, das aufgeplatzt sei. Sie werden sich jetzt darum kümmern.« »Oje, die Ärmste!«, erwidert meine Mutter mitfühlend und tätschelt Gabriel die Hand »Ich soll übrigens meiner Frau einen schönen Gruß von Dr. Clausen ausrichten und er gratuliert noch nachträglich recht herzlich zur Hochzeit!«, ruft mir Gabriel hinüber und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. Erschrocken sehe ich hoch und werde knallrot. Meine Mutter sowie meine Schwester schauen verwirrt zwischen uns hin und her, während Andrew mal wieder nichts versteht »Das war eine Notlüge!«, stottere ich. »Sonst hätte ich vielleicht keine Auskunft bekommen, weil ich ja quasi eine Fremde bin!« Ich erwarte schon fast, dass Gabriel etwas erwidert, doch er dreht sich bloß um und verlässt den Raum. Völlig frustriert stehe ich auf und gehe zu den anderen hinüber. Während Helen die negativen Schwingungen nicht zu bemerken scheint, haben die Antennen meiner Mutter schon angeschlagen. Sie mustert mich sorgenvoll, sagt aber nichts, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Ich muss mit Gabriel sprechen, und zwar am besten sofort. Ohne zu zögern renne ich ihm hinterher in den oberen Stock. Er knöpft sich gerade das Hemd auf und zieht es sich über den Kopf, als ich das Schlafzimmer betrete »Gabriel, was ist denn bloß los?« »Was soll schon los sein? Nichts. Alles in bester Ordnung.« Er wirft sein gutes Hemd, völlig untypisch für ihn, auf den Fußboden und kickt es weg »Sprich’ doch bitte mit mir!« »Was willst du hören? Dass es mir Scheiße geht?«, fährt er mich an. »Ja, so ist es. Mir geht es beschissen! Wie würdest du dich fühlen, wenn sich deine eigene Mutter nicht mal mehr auf dich verlassen kann? Einmal braucht sie mich und dann bin ich nicht für sie da.« »Aber das stimmt doch nicht! Das war einfach ein unglücklicher Umstand, mehr nicht!« »Das kannst du schon sagen, aber es ist schließlich nicht deine Mutter gewesen!« Resigniert lässt er seine Schultern hängen und zieht sich auch noch die Hose aus, die er ebenfalls in die Ecke befördert »Außerdem habe ich mit Marlene gesprochen! Sie sagt, dass du lügst! Ihre Version der Geschichte ist eine Andere!« Mir wird schlecht! Dieses Biest! »Aber du glaubst ihr doch hoffentlich nicht?« »Ich weiß gar nicht mehr was ich glauben soll und was nicht! Denn wie du schon so schön gesagt hast, kennen wir uns ja kaum!« Ich fühle mich, als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen werden würde »Was für ein Vertrauensbeweis! Ich bin beeindruckt!«, bemerke ich schnippisch »Ich weiß ja nicht, welches Spiel Marlene und du gerade spielen, aber es geht mir gegen den Strich.« »Was für ein Spiel, Gabriel? Ich spiele bestimmt kein Spiel. Deine Ex ist ein Biest! Du glaubst ja gar nicht, was sie noch alles zu mir gesagt hat!« »Ich will es auch nicht wissen!« Er geht zum Schrank und zieht einen dunklen Pullover und eine Jeans heraus, die er sofort anzieht. Mir schwant ein Gedanke »Gehst du noch weg?« »Ja!« »Meinst du nicht, dass wir erst darüber sprechen sollten, was heute passiert ist?« »Haben wir doch schon! Aus meiner Sicht ist alles gesagt!« Aus meiner zwar nicht, aber wenn er meint, dass er lieber flüchten möchte, von mir aus. Ich werde ihm nicht im Weg stehen »Dann lass’ dich mal nicht aufhalten!«, erwidere ich mit belegter Stimme und lasse ihn stehen. Hastig verlasse ich das Zimmer, denn ich muss schleunigst allein sein. Im Gästebad schließe ich mich ein und sacke auf dem Toilettenboden zusammen, wo ich endlich meinen Tränen freien Lauf lassen kann. Dreckskerl! Die Tränen laufen mir ungehindert die Wange hinunter und ich versuche zu begreifen, was eben passiert ist. Ich komme mir vor wie in einer daily-soap des öffentlichen Fernsehens. Wieder entfährt mir ein Schluchzen und in meinem Kopf beginnt es schon zu hämmern. Oder ist da jemand an der Tür? »Anna, mach’ die Tür auf! Sofort!«, ruft meine Schwester von draußen! »Noch nicht! Ich brauch’ noch ein bisschen Zeit!«, jammere ich von drinnen »Scheiß’ auf die Zeit! Du sitzt da schon ewig drin.« Keine Ahnung, wie lange ich mich schon hier drin eingeschlossen habe, aber es ist mir auch egal. Während meine Gedanken immer noch um unser Gespräch kreisen, kommt mir plötzlich der entscheidende Gedanke. Wahrscheinlich muss ich mir selbst eingestehen, dass ich vermutlich nie eine Chance gegen dieses Biest von Sekretärin haben werde. Sie wird ihre Mittel und Wege finden, mir immer wieder Steine in den Weg zu legen (oder zu schmeißen, wie in ihrem Fall). Fragt sich bloß, ob ich bereit bin diese Kämpfe auszutragen oder ob ich kampflos aufgebe. Mein Engelchen schwenkt die weiße Flagge und ich schnippe es in hohem Bogen weg. Möchte Gabriel überhaupt noch, dass ich um ihn kämpfe oder hat er das mit uns womöglich schon abgeschrieben. Das ist die Gretchenfrage! Ich rapple mich vom kalten Boden hoch und schnäuze mir ausgiebig die Nase mit dem längsten Taschentuch der Welt, einer Klopapierrolle und verlasse meinen Schutzbunker, aber nicht ohne vorher noch einen kritischen Blick in den Spiegel zu werfen. Meine Vermutung bestätigt sich. Ich sehe total verkackt aus. Draußen erwartet mich bereits meine Schwester. Die Arme verschränkt, schaut sie missbilligend zu mir hinauf »Erst einen Schnaps, dann wird geredet!« »Aber, aber … « »Nix aber! Mama bringt gerade Sammy ins Bett und Andrew schwimmt draußen im Gartenteich!«, bringt sie mich zum Schweigen. In der Küche schenkt sie mir einen Doppelten von „stark alkoholisch und durchsichtig“ ein und setzt sich mir gegenüber. Ihr Blick sagt: „Erzähl“ und das mache ich dann auch. Als ich einmal begonnen habe über uns, über Marlene und meine Gefühle zu sprechen, kann mich nichts mehr halten. Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. Helen hört mir einfach zu und nickt ab und zu an den passenden Stellen. Als ich mit meiner Erzählung fertig bin, schenkt sie uns beiden nach »Ich habe im letzten Jahr nicht annähernd so viel Schnaps getrunken, wie in der letzten Woche, seit dem du da bist!«, bemerke ich und kippe mir den Klaren in den Schlund »Dann bin ich wenigstens zu etwas gut!« »Was mache ich denn jetzt nur?« »Ihr müsst dringend miteinander sprechen! Vermutlich befindet sich Gabriel gerade in einer psychischen Ausnahmesituation und ist deswegen auch abgehauen! Anders kann ich mir sein Benehmen nicht erklären. Und was diese Marlene anbelangt! Zeig ihr wo der Hammer hängt!« Mein Teufelchen wirft voller Elan seinen Dreizack weg und holt freudestrahlend einen Hammer hinter seinem Rücken hervor, den er dann meinem Engelchen mit Schwung auf den Kopf haut. Wenn das mal keine Kampfansage ist?! »Hast du noch Lust wegzugehen?«, frage ich die verdutzte Helen und hieve mich leicht schwankend vom Barhocker. Was Gabriel kann, kann ich erst recht! »Du beeindruckst mich doch immer wieder! Vor zehn Minuten warst du noch ein Häufchen Elend und jetzt heißt es Party machen. Aber warum nicht? Ich bin dabei!« Der Taxifahrer hält in einer dunklen Gasse und kassiert den horrenden Preis für eine beängstigende Fahrt. Selbst schuld, denke ich mir. Hätten wir uns nicht so viel Schnaps hinter die Binde gekippt, dann würden wir jetzt in meinem Audi sitzen, statt in einem versifften alten Mercedes. Wenn ich mir so den Fahrer anschaue, muss ich mich schon fragen, ob heutzutage jeder, aber auch wirklich jeder, Taxifahrer werden darf, der eine gültige Fahrerlaubnis hat. Erschreckend! Helen zieht uns quer durch die Seitenstraßen und strebt direkt auf eine Bar zu. Die Leuchtreklame sowie die Außenfassade des Gebäudes kommen mir irgendwie bekannt vor, aber erst als wir direkt davor stehen, weiß ich warum. Es ist die kubanische Bar, in der Nele und ich das letzte Mal waren, als ich dann Gabriel wiedergetroffen habe. Ich bleibe abrupt stehen und stoße fast mit einem Passanten zusammen »Was ist los? Lass uns reingehen!« »Nein! Ich kann da nicht rein!« »Jetzt stell’ dich nicht so an! So schlimm wird der Laden schon nicht sein.« »Helen, du verstehst nicht! Ich war hier schon einmal. Beim letzten Mal habe ich Gabriel hier getroffen!« »Na, umso besser! Denn wenn du ihn triffst, kannst du ihm gleich mal die Leviten lesen. Es ist eine Frechheit, dass er dich einfach so stehen gelassen hat!«, meint sie und zerrt mich hinter sich her in die Bar. Meine Augen, die sich erst einmal an die Dunkelheit gewöhnen müssen, suchen vorsorglich die Bar nach Gabriel ab, jedoch Fehlanzeige. Wobei ich nicht weiß, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Helen platziert uns an einem Bartisch in einer kleinen Nische zwischen zwei großen weißen Pflanzkübeln und bewundert die Örtlichkeit »Gefällt mir! Falls ich jemals wieder aus Amerika zurückkomme, dann wird das meine Stammkneipe!« »Das ist keine Kneipe, sondern ein Club!«, kommentiere ich Helens Bemerkung und verdrehe die Augen, während sie leise vor sich hin kichert und wie ein kleines Kind auf dem Hocker herumzappelt »Wie alt bist du? Sechs, oder was?« »Wenn ich sechs bin, dann bist du aber drei! Stimmt’s Kleine?« Ein junger und gutaussehender Kellner nimmt unseren Getränkewunsch entgegen, der aus einem Mojito und einem Aperol Sprizz besteht. Während mein Blick immer wieder zu meinem Handy gleitet, checkt meine „große“ Schwester die Leute im Laden ab und kommentiert den einen oder anderen Fashion-Fauxpas. Meine plötzliche Partylaune jedoch ist so schnell verschwunden, wie sie auch gekommen ist, darum sitze ich nun elend auf dem modernen Hocker und warte darauf, dass sich Gabriel endlich bei mir meldet. Zwei Stunden und zwei Aperol später läuft mir Ramón über den Weg. Was eigentlich klar war, denn schließlich ist es sein Laden. Ich stelle ihm meine Schwester vor, die, wie zu erwarten, bei seinem Anblick dahinschmilzt. Wir unterhalten uns kurz über unverfängliche Themen, das Wort „Nele“ lasse ich aber bewusst aus, da ich nicht weiß, wie gut er auf sie zu sprechen ist. Als er mich dann nach Gabriel fragt, weiche ich geschickt aus und lenke die Aufmerksamkeit auf einen betrunkenen Gast, der auf der Tanzfläche herumtorkelt »Das glaub’ ich ja wohl nicht! Der Typ hat doch Hausverbot! Ihr entschuldigt mich, ich muss kurz was klären!« und schon läuft er strammen Schrittes weg »Hast du diesen Hintern gesehen? Wahnsinn!« »Ja, habe ich! Aber wie war das doch gleich? Bist du nicht verheiratet?« »Na und! Man wird doch als Frau mal ein bisschen schauen dürfen. Die Männer dürfen das schließlich auch. Außerdem kann Andrew mit diesem Hintern locker mithalten.« Ich versuche die aufkommenden Bilder eines nackigen Andrew aus meinem Geiste zu verdrängen. So gut kennen wir uns auch wieder nicht! »Themawechsel!« »Oh ja! Schau’ mal hinüber zur Bar! It’s showtime, baby!« Mein Blick huscht zur Bar und dann kann ich es auch sehen, oder besser gesagt ihn. Gabriel. Völlig lässig lehnt Gabriel am Tresen und unterhält sich mit dem Barkeeper, während er in seiner Hand ein Bier hält. Schlagartig bekomme ich Herzklopfen und zittrige Beine. Ob das wohl die akut einsetzenden Nebenwirkungen von exzessivem Alkoholkonsum sind? Ich brauch’ glaub’ nochmal einen Schnaps! Gabriel. Mittlerweile höre ich nur noch mit einem Ohr dem Barkeeper zu. Seine Ausführungen zum Umbau des Stuttgarter Bahnhofs sind ermüdend und nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob ich hier nicht in der Parteienzentrale der Grünen gelandet bin. Lukas, der neben seinem Studium hier drei Mal wöchentlich jobbt, entpuppt sich als wahrer Umweltaktivist. Ich setze den Flaschenhals an die Lippen und spüre wie das kühle Bier meine Kehle hinunter rinnt. Allmählich beruhige ich mich. Was eigentlich kein Wunder ist, denn schließlich habe ich schon drei Bier hinter mir. Lukas gibt mir mit einem Augenzwinkern zu verstehen, dass jemand neben mir steht. Ich habe sie nicht kommen sehen, aber kaum dass sie mich berührt, stellen sich mir schon alle Nackenhaare auf »Marlene, was willst du?«, frage ich genervt und versuche ihre Hand von meinem Arm wegzuschieben »Sei doch nicht gleich so gereizt! Ich tu dir noch nichts. Will dir eigentlich bloß ein bisschen Gesellschaft leisten.« »Hast du niemanden dabei, den du nerven kannst?« »Doch, aber der ist total langweilig!« Oh Gott! Wie dieses Weib nervt! »Du bist schon immer oberflächlich gewesen. Daran hat sich nichts geändert!« »Ich kann dir gleich zeigen, was sich auch nicht geändert hat!« Mit ihrem rot lackierten Fingernagel fährt sie an meinem Nacken herunter und kratzt mir über die Haut »Ich sagte doch schon, du sollst das lassen!«, fahre ich sie genervt an und packe sie am Arm, was Marlene wohl als Zusage quittiert, sich in meinen Arm zu schmiegen. Mit ihren rot angeschmierten Schmolllippen, die sie mir jetzt entgegenreckt, könnte sie vermutlich heute hier den einen oder anderen Mann klar machen, aber bei mir funktioniert das nicht. Ich versuche sie sanft aber bestimmt von mir wegzuschieben, aber dieses Weib ist hartnäckiger als ich dachte. Mit ihren Händen umfasst sie meinen Nacken und rückt immer weiter zu mir, bis ich ihre prall gepushten Brüste zu spüren bekomme. Ich rieche aufdringliches Parfüm und eine Mischung aus Rum und Zigaretten. Einfach abstoßend! Ich starte einen weiteren Versuch Marlene abzuschütteln, als sie plötzlich von mir weggerissen wird. Ich schaue mich um und erstarre! Neben uns steht Anna. Wutentbrannt holt sie aus und schlägt Marlene ins Gesicht. Und als ob das nicht genug wäre, schnappt sie ihre Kontrahentin auch noch am Kragen und drückt sie gegen den Tresen »Lass die Finger von meinem Freund, du kleine miese Schlampe! Hast du mich verstanden?«, brüllt sie die sichtlich verwirrte Marlene an. Marlene fasst sich jedoch schnell und versucht sich zu wehren, indem sie versucht, Annas Hände wegzuschlagen, doch gegen die flinken geschickten Arme von Anna hat sie keine Chance. Nun kommen auch noch deren Ellenbogen zum Einsatz, mit welchen sie Marlene am Hals auf den Tresen drückt, so dass diese nur noch ein Röcheln hervorbringen kann. Ich komme mir vor, wie in einem schlechten Film. Völlig gelähmt, nehme ich nur noch lautes Stimmengewirr um mich herum wahr, bis dann Ramón plötzlich eingreift und die beiden auseinanderzerrt. Marlene, die einen blutenden Kratzer an der Backe hat, bahnt sich ihren Weg durch die Gaffer und rennt zur Toilette. Ramón ist außer sich und redet wirres Zeug auf Anna ein. Doch die scheint ihn weder zu hören, noch zu sehen, sondern starrt unentwegt auf etwas in ihrer Hand. Als ich genauer hinschaue, kann ich das Etwas als Marlenes Haarbüschel identifizieren. Allmählich erwache ich wieder aus meiner Schockstarre und packe Anna an den Schultern »Was sollte das?«, fahre ich sie an »Sie soll ihre Finger von dir lassen!«, schluchzt sie leise vor sich hin. »Und wenn ich dich schon nicht haben kann, dann sie aber erst recht nicht!« Und mit diesen Worten lässt sie mich stehen, dreht sich um und geht. Ich kann nur noch sehen, wie Helen ihr beschützend den Arm um die Schulter legt und sie den Club verlassen »Sieht so aus, als bräuchtest du was Stärkeres?«, brummt Ramón und bestellt bei Lukas einen Tequila »Steckst ganz schön in der Scheiße, was?« »Ach, halt’s Maul!« »Da ist aber jemand pissig heut Abend!« »Also, wenn sich wegen mir zwei Frauen geschlägert hätten, dann wäre das mein Ritterschlag!«, kommentiert Lukas hinter der Theke »Und wo genau sollte das sein? Ach, lass mich raten! Auf der Demo gegen Stuttgart 21?« Es ist schon fast drei Uhr morgens, als ich Ramóns Wagen verlasse und ins Haus schwanke. Mein schicker Porsche steht jetzt in irgendeinem Parkhaus in der Stuttgarter Innenstadt, aber wo genau weiß ich nicht mehr. Vielleicht erinnere ich mich ja morgen wieder daran. Obwohl morgen eigentlich heute ist. Ach Mist! Scheiß Alkohol. Das einzige woran ich mich wirklich erinnere, ist die Schlägerei zwischen Anna und Marlene. Ich muss mit ihr sprechen und mich entschuldigen. Es gibt so viel, was ich ihr sagen möchte. Ob ich wohl in diesem Zustand die richtigen Worte finde? Während der letzten Stunden hatte ich genug Zeit, mir zu überlegen, was für ein riesiges Arschloch ich doch bin. Vermutlich kann ich froh sein, wenn sie mir überhaupt verzeiht. Nach etlichen Versuchen gelingt es mir endlich die Tür aufzuschließen und so poltere ich in den Eingangsbereich. Hier und da nehme ich eine Türecke mit und remple versehentlich gegen das sackteure Sideboard im Flur. Dass ich hiervon einige blaue Flecken davontragen werde, ist nur gerecht. Ich wackle die Treppen hoch Richtung Schlafzimmer und stoße unsanft die Türe auf »Anna!«, lalle ich und taste mich im stockdunklen Zimmer Richtung Bett vor »Anna! Ich muss mit dir reden!«, versuche ich es erneut. Mit fahrigen Händen taste ich das Bett ab, kann aber nichts fühlen. Das Ganze wird mir allmählich zu blöd, ich greife nach dem Lichtschalter und knipse das Licht an. Aber nichts! Vor mir steht das menschenleere Bett. Ich torkle hinaus, laufe Richtung Dinozimmer und linse dort hinein. Aber auch da ist niemand. Nervös laufe ich nun durch das ganze Haus, rufe ihren Namen, aber sie ist weg. Mein letzter Weg führt mich noch einmal ins Schlafzimmer. Ich schaue in unseren kurzzeitig gemeinsamen Kleiderschrank, aber auch dort ist von Anna nichts mehr zu sehen. Sie hat mich verlassen! Heiße Wut überkommt mich und so ramme ich kurzerhand meine blanke Faust gegen den Spiegel. Blut und Scherben sind das einzige was ich durch meine alkoholbetäubten Augen noch sehen kann und so sacke ich hinunter auf den Boden. Anna. Ich öffne vorsichtig meine Augen und mache mich schon auf den heftigsten Kopfschmerz aller Zeiten gefasst, aber zu meiner Überraschung kommt nichts. Na wunderbar! Ich steige vorsichtig aus meinem Bett und mustere mein Schlafzimmer. Ich hätte niemals gedacht, dass ich so schnell wieder hierher allein zurückkehren würde. Aber nichts desto trotz, war es eine gute Entscheidung. Noch ein Treffen und eine Abfuhr mehr von Gabriel hätte ich nicht ausgehalten. Es reicht, dass die Erinnerungen an unsere kurze gemeinsame Zeit den Kummer noch viel schwerer machen. Ich lasse mir meinen Aufbruch letzte Nacht nochmals durch den Kopf gehen. Nachdem Helen und ich aus dem Havanna-Club ins Bernard’sche Haus zurückgekehrt waren, haben wir gemeinsam meine Sachen gepackt, Sammy, Andrew und meine Mutter geweckt und sind wieder zurück in meine Wohnung gefahren. Ich hatte diese Flucht eigentlich nicht geplant, aber Helen meinte, dass es besser sei, einem harten Gegner im eigenen Stadion gegenüber zu treten. Vorsichtig tapse ich die Treppe zum Wohnzimmer hinunter. Helen und Andrew schlafen noch auf meinem Sofa und so schleiche ich mich vorsichtig Richtung Küche. Im Vorbeigehen linse ich auf mein Handy, welches dreißig verpasste Anrufe anzeigt. Mir ist natürlich klar, wer da so dringend versucht hat mich zu erreichen, aber es ist mir egal. Mit einer stoischen Ruhe, die geradezu erschreckend ist, fülle ich Wasser in die Kaffeemaschine und häufe Löffel um Löffel von Kaffee in den Filter. Ich setze mich ans Fenster und beobachte die Vögel, die auf dem nachbar’schen Baum sitzen. Ein leises Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken. Helen »Darf man dich heute Morgen schon ansprechen?«, fragt meine Schwester vorsichtig und betritt völlig verstrubbelt die Küche »Natürlich! Warum nicht?« »Tja ich meine ja nur. Nach dem gestrigen Abend könnte man schließlich alles an Emotionen erwarten.« »Ob du es glaubst oder nicht, aber ich bin völlig tiefenentspannt. Vermutlich ist die Tatsache, dass ich schon wieder Single bin, noch nicht in meinem kleinen blonden Schädel angekommen.« »Wahrscheinlich ist dem so. Drum lass’ uns den Morgen noch genießen, bevor du nachher zu nichts mehr zu gebrauchen bist. Ist eigentlich der Kaffee schon fertig?« »Du und dein Kaffee!«, seufze ich und rücke Helen den Stuhl zurecht »Helen, meinst du ich bin gestern zu weit gegangen?« »Was meinst du genau? Die Schläge, die du verteilt hast oder deinen überstürzten Auszug?« »Ähm, weiß auch nicht. Beides?« »Also die Schlägerei war schon echt übel. Du hättest dich mal erleben sollen. Ich habe dich zwar schon öfters in Aktion erlebt, aber das gestern hat alles übertroffen.« »Ach was, da waren wir noch Kinder. Und schließlich hast du dir die Schläge immer selbst eingebrockt, so zickig wie du warst.« »Ich war jahrelang in psychologischer Betreuung wegen deiner handgreiflichen Übergriffe!«, entgegnet Helen und drückt sich gespielt schockiert die Hand aufs Herz »Hat er dann auch hoffentlich die restlichen Fehlzündungen in deinem Hirn gleich mitbehandelt?« »Du Blödie!« »Dein Kaffee ist fertig!« »Endlich. Wenigstens ein Lichtblick heute Morgen!« Ich grinse Helen von der Seite an und augenblicklich beginnen wir beiden zu lachen. Es tut so gut, jemanden bei sich zu haben, der einen so gut kennt und bei dem man so sein darf, wie man will »Er hat dreißig Mal angerufen.« »Und was hast du vor? Wirst du ihn zurückrufen?« »Ich glaube nicht! Vermutlich haben wir uns nichts mehr zu sagen.« »Aber meinst du nicht, dass er die Chance verdient hat sich zu verteidigen?« »Ach denkst du, dass er das möchte? Ich glaube eher, dass er mir vorwirft, dass ich seine ach so tolle Sekretärin dermaßen verletzt habe, dass sie heute nicht zur Arbeit erscheinen kann und möchte nun den Ausfall geltend machen.« »Denkst du so über ihn?«, fragt mich Helen schockiert und reißt die Augen auf »Nein!«, rutscht es mir heraus. Obwohl ich es gerne glauben würde, aber ich weiß, dass er nicht so ist »Gut. Dann gibt es vielleicht doch noch Hoffnung!« »Für wen?« »Für euch beide natürlich! Denn ich will einfach nicht glauben, dass diese schöne Romanze so mir nichts dir nichts vorbei sein soll, wegen einer solchen Kleinigkeit. « »Das war keine Kleinigkeit, sondern ein Vertrauensbruch. Er glaubt dieser dummen Schnepfe mehr als mir, obwohl er mir doch gesagt hat, dass er mich liebt!«, entgegne ich wütend und schlage mit der Hand auf die Tischplatte. Helen, die davon nicht im Geringsten beeindruckt zu sein scheint, schaut mich nur durch ihre hellen Wimpern gelangweilt an »Ruf ihn an! Am besten jetzt, wo das Feuer noch brennt und geige ihm die Meinung. Danach könnt ihr euch ja wieder stundenlang versöhnen!« »Ich scheiß’ auf Versöhnung. Dieses ganze Hickhack habe ich so satt. Meine Gefühlswelt gleicht einer Achterbahnfahrt. Erst geht’s rauf, dann rapide wieder runter. Dabei fahre ich viel lieber Bummelbahn.« Ich schnappe nach dem Telefon und wähle spontan Neles Nummer »Guten Morgen du Schlafmütze! Hast du zufällig noch die Reisekataloge?« Gabriel. Ich stehe in der Küche und versuche verzweifelt die Schnittwunde an der Hand zu versorgen, was mir aber leider nicht gelingen will. Zum x-ten Mal wickele ich nun den Verband wieder auf und will erneut ansetzen, als es an der Haustür klingelt. Mein Herz beginnt wie wild zu klopfen. Anna. Doch als ich die Türe öffne, steht leider bloß Ramón davor »Guten Morgen! Ich dachte, ich sehe mal lieber nach dir!« und schon drängt er sich an mir vorbei ins Haus »Ist sie schon wach?« »Keine Ahnung!« »Wie meinst du das? Ist sie aus deinem Zimmer ausgezogen?«, fragt Ramón neugierig nach und schaut sich um »Sie ist nicht mehr da! Wahrscheinlich hat sie gestern Abend noch gepackt und hat mit ihrer Familie das Haus verlassen.« »Scheiße!« »Genau! Du triffst den Nagel auf den Kopf!« Ramóns Blick fällt auf meine Hand und er reißt schockiert die Augen auf »Sag mir jetzt bitte, dass du dich beim Gemüse schneiden verletzt hast!« »Aber klar doch!«, gebe ich gereizt zurück. »Wenn du mich heute Morgen schon nerven musst, dann kannst du mir wenigstens zur Hand gehen.« »Solange es nichts Verwerfliches ist, dann gern! Wo kann ich denn helfen? Soll ich dir eine Fuhre Wäsche waschen?« »Du Depp! Mach’ mir einfach den Verband hin und halt die Klappe!« »Aber gerne doch, wie Sie wünschen!« Nachdem mich Ramón mehr schlecht als recht versorgt hat, setzen wir uns raus auf die Terrasse. Es ist noch etwas frisch heute Morgen und die Sitze der Essgruppe sind noch feucht, aber die kühle Luft tut meinem Kopf mehr als gut. Wenn sich später der Dunst, der über dem Rasen zu liegen scheint, gelichtet hat, lichtet sich vielleicht auch der Nebel in meinem Gehirn »Willst du darüber reden?« »Eigentlich nicht! Ich habe die ganze Nacht versucht, sie zu erreichen, aber sie ist nicht ans Telefon gegangen.« »Was wolltest du ihr denn sagen?« »Dass es mir leidtut! Dass mir klar geworden ist, dass ich sie verletzt habe!« »Und was noch?« »Dass ich Marlene heute kündigen werde!« »Aha. Wie kommt es denn zu der Einsicht?«, hakt Ramón nach und verschränkt zufrieden die Arme vor der Brust »Höre ich da etwa einen gewissen Unterton raus?« »Ich habe es noch nie gut gefunden, dass du deine Ex als Sekretärin einstellst. Und erst recht nicht so eine Zicke! Also zurück zur Frage! Woher auf einmal die Einsicht, sie rauszuschmeißen?« »Sie hat gestern schon wieder versucht, sich an mich ranzumachen. Wir hatten eine klare Vereinbarung, die sie nicht eingehalten hat. Und außerdem hat sie mir mein Glück mit Anna versaut. Sie hat gezielt versucht, uns auseinander zu bringen, was ihr nun ja auch gelungen ist. Dafür wird sie büßen.« »Was machst du jetzt mit Anna?« »Ich werde sie zurückerobern!« »Sprach der holde Ritter!« Ich werfe Ramón einen vernichtenden Blick zu »Ich glaub’ du gehst jetzt besser!« »Das glaub ich auch!« Ramón erhebt sich und schlendert zurück ins Haus, ehe er sich noch einmal umdreht »Und vergiss nicht deine Karre aus dem Parkhaus zu holen!« Mist! »Ich ziehe mich noch schnell an, dann fährst du mich in die Stadt!« »Aber klar, mache ich doch gern! Alter Sklaventreiber!« Anna. Andrew und Helen haben gerade die Wohnung verlassen, um in der Innenstadt noch einige Besorgungen zu machen, worüber ich wirklich froh bin. Den Blick, mit dem mich Andrew mustert kann ich auf Dauer nicht ertragen. Könnte er unsere Sprache, würde er vermutlich sagen: „Ach Gleines, sei nisch draurig! Die andären mothers aben auch schöne Söhne!« Ich verräume die Decken und Kissen von Helens Schlaflager und laufe erneut an meinem Handy vorbei. Ob ich mir doch mal die Nachrichten, die er geschickt hat, anschauen soll? Die Neugierde siegt und so halte ich wenige Sekunden später das Telefon in der Hand. Er hat fünf Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen, die ich aber noch nicht bereit bin anzuhören. So beschränke ich mich ausschließlich auf die Nachrichten. „Wo bist du?“ „Ich muss mit dir sprechen!“ „Bitte ruf mich an!“ „Lass uns darüber sprechen!“ „Ruf mich bitte zurück!“ „Ich bin ein ARSCHLOCH!“ Oh ja. Die letzte Nachricht finde ich wirklich … sagen wir es mal so, sie trifft voll und ganz zu. Anstatt das Handy wegzulegen, scrolle ich mich durch die Bildgalerie und verharre auf den Bildern unseres letzten gemeinsamen Ausfluges mit meiner Familie. Zu diesem Zeitpunkt war noch alles in bester Ordnung und ich dachte, dass mein Glück ungetrübt sei. Tja, so kann man sich doch irren. Ich blättere weiter zum letzten Bild. Gabriel und ich in innigster Umarmung vor seinem Auto. Während ich fröhlich in die Kamera lache, himmelt er mich von der Seite her an. Und da ist es plötzlich um mich geschehen. Ich beginne zu heulen, wie ein Schlosshund. Es ist schon fast acht Uhr, als Nele mich endlich zurückruft »Gute Nachrichten Süße! Ich habe gebucht! Freue dich auf zehn Tage Türkei, All inclusive in einem 5-Sterne-Schuppen. Die Dame vom Reisebüro meinte, dass wir von Glück reden können, dass so kurzfristig noch drei Plätze frei waren.« »Super Nele! Das hast du gut gemacht. Wann geht’s denn los?« »In drei Tagen, am Samstag. Meinst du deine Mutter kann uns zum Flughafen bringen?« »Das macht sie auf jeden Fall. Vermutlich ist sie ganz im Glück, dass sie endlich wieder den Audi benutzen darf.« »Dann ist ja alles gebongt. Hast du Lust morgen mit mir in die Stadt zu gehen. So zum Urlaubsshopping, neuer Bikini und so?« Das ist ja total lieb von Nele gemeint, aber ich bin mental noch nicht soweit »Das ist schlecht. Helen und Andrew sind morgen den letzten Tag da und ich möchte sie ungern allein lassen.« »In Ordnung. Sag den Beiden liebe Grüße von mir!« In der Nacht träume ich von der türkischen Riviera, vielen Sandburgen und Gabriel, der mit dem kleinen Sammy ausgelassen im Meer tobt. Zu schade! Gabriel. Trotz des vielen Verkehrs komme ich noch pünktlich ins Büro, vollgepackt mit Unterlagen, Laptop und Ledertasche. Marlene sitzt bereits am Empfang. Sie hatte sich für gestern krankgemeldet und lieferte mir als fadenscheinige Erklärung eine Magenverstimmung. Paah. Als ich den Empfang passiere, steht sie sofort auf und hält mir die Türe zu meinem Büro auf. Heute hat sie sich wieder in eins ihrer hautengen Etuikleider gezwängt, die sie in allen möglichen Farben daheim im Schrank hängen hat. Am heutigen Morgen hat sie sich für das Rote entschieden. Wenn sie wüsste, dass sie es in diesen Räumlichkeiten heute das letzte Mal getragen hat. Anzüglich grinsend hält sie immer noch die Türe auf und stellt sich derart zur Schau, dass eine Prostituierte dagegen wie eine Schaufensterpuppe wirkt »Darf ich dir gleich deinen Kaffee bringen?«, schnurrt sie mich an »Nein!«, blaffe ich zurück. »Stell’ das Telefon auf den Anrufbeantworter um und dann kommst du sofort in mein Büro!« Sie schaut mich verwirrt an, geht dann aber wie geheißen an den Empfang und kehrt wenige Augenblicke später in mein Büro zurück. Ich weise sie an, sich mir gegenüber auf den Stuhl zu setzen. Mit zusammengekniffenen Augen mustert sie mich und versucht wahrscheinlich abzuschätzen, was gerade passiert. Aus dem Stapel Papiere, die sich auf meinem Tisch auftürmen, ziehe ich ein Dokument und knalle es ihr auf den Tisch »Was ist das?«, fragt sie irritiert »Deine Kündigung.« »Meine was?« »Du hast mich schon verstanden. Es gibt zwei Möglichkeiten. Du kannst bis zum Ende des Monats hier arbeiten oder natürlich auch sofort gehen, was ich persönlich bevorzugen würde. Dein Gehalt bekommst du auf jeden Fall bis Ende des Monats.« »Sag mal, spinnst du? Du kannst mir doch nicht einfach kündigen.« »Und ob ich das kann. Ich bin der Chef, schon vergessen?« »Es ist wegen dieser blonden Schlampe, nicht wahr? Sie setzt dir die Pistole auf die Brust. Kann es vermutlich nicht ertragen, dass ich den ganzen Tag in deiner Nähe bin.« »Du kapierst auch gar nichts. Die Entscheidung dich zu kündigen, habe ich ganz allein gefällt. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass zwischen und nichts mehr laufen wird und ständig bildest du dir ein, noch Chancen bei mir zu haben und zu guter Letzt versuchst du auch noch Anna und mich auseinander zu bringen.« »Sie ist nicht die Richtige für dich! Schau uns doch beide an. Wir sind füreinander geschaffen, Gabriel«, ruft sie verzweifelt und gestikuliert wie wild mit den Armen. Als sie auch noch versucht nach meiner Hand zu greifen, reißt mir der Geduldsfaden »Raus aus meinem Büro! Ich will, dass du in zwanzig Minuten aus diesem Gebäude und somit auch aus meinem Leben verschwunden bist!«, herrsche ich sie an. Marlene zuckt erschreckt zusammen und steht hastig auf. Tränen glitzern in ihren Augen, während sie zaghaft die Hand auf ihren Mund presst. Eigentlich wollte ich nicht so laut werden, aber diese Frau treibt mich noch in den Wahnsinn. Als ich eine Viertelstunde später aus meinem Büro linse, ist der Empfang leer. Zum Glück. Sie ist weg. Jetzt habe ich zwar ein Problem weniger, dafür aber ein Neues. Ich habe keine Sekretärin mehr. Anna. Sammy schleift den voll bepackten Koffer zur Eingangstüre und lässt ihn unter lautem Knall auf die Dielen poltern »Samuel, du machst mir noch den Boden kaputt!«, schimpfe ich genervt und räume zum gefühlten hundertsten Mal das Wohnzimmer auf. Legosteine, Kuscheltiere und Dinos liegen in meiner Armbeuge, als ich mich auf den Weg in Sammys Zimmer mache. Nele sitzt auf meinem Sofa und telefoniert mit ihren Eltern »Mama, darf Nele bei mir im Zimmer schlafen?« »Oje Sammy, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Dein Bett ist doch viel zu kurz für sie und wir wollen doch, dass Nele morgen schön ausgeschlafen ist, wenn wir in den Urlaub fahren.« »Aber warum schläft sie dann nicht daheim?« »Weil uns die Oma morgen früh zum Flughafen fährt und so müssen wir Nele nicht extra von daheim abholen.« Außerdem möchten Nele und ich heute Abend noch ein Gläschen Wein zusammen trinken und auf unseren ersten gemeinsamen Urlaub anstoßen. Aber das behalte ich natürlich für mich »Schläft Sammy schon?«, fragt Nele und lümmelt sich auf mein Sofa »Ich hoffe es! Er ist ja so aufgeregt.« Ich hole die Weingläser aus dem Schrank, während Nele den Wein öffnet »Hat er eigentlich zwischenzeitlich nach Gabriel gefragt?« »Frag mich lieber, wann er nicht nach ihm fragt. Es ist furchtbar.« »Und was antwortest du ihm dann?« »Ich versuche es mit Ausweichmanövern und behaupte einfach, dass Gabriel viel arbeiten muss. Er hat ihn doch so ins Herz geschlossen, dass ich ihm jetzt nicht die Wahrheit sagen kann. Vermutlich wird er sich nach einiger Zeit sowieso nicht mehr an ihn erinnern können.« »Na klar! Für wie blöd hältst du deinen Sohn eigentlich?« »Nele, das Ganze ist nicht so einfach für mich! Mir tut die Trennung nach wie vor noch sehr weh. Immer wenn er versucht, mich anzurufen, ringe ich mit mir, ob ich hingehen soll oder nicht. Aber ich weiß, dass ich jetzt stark sein muss und nicht nachgeben darf.« »Du bist wirklich stur, meine Liebe! Gib ihm doch wenigstens eine einzige Chance.« »Nein!« »Du bist doch sonst nicht so!« »Ich bin wirklich verletzt. Wärst du in meiner Situation gewesen, wüsstest du wovon ich spreche.« »Ich weiß, wovon du sprichst! Schon vergessen? Ich habe schließlich Ramón mit seiner Ex erwischt!« Oh Shit, das hatte ich im Moment wirklich vergessen! »Oh Nele, sorry! Das war wirklich doof von mir.«, entschuldige ich mich schnell und greife nach ihrer Hand »Das ist schon in Ordnung! Ich bin inzwischen darüber hinweg. Ich ärgere mich bloß, dass ich ihn nicht gleich kastriert habe, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Aber jetzt ist Schluss mit Trübsal blasen. Lass uns anstoßen!« Ich habe Nele, seit wir uns kennen immer schon bewundert. Aber heute Abend wurde mir erst klar, wie stark sie in Wirklichkeit ist. Ich glaube nicht, dass ich mit solchen Rückschlägen klarkommen würde. Umso glücklicher bin ich, sie als meine Freundin zu haben »Wie war denn eigentlich der letzte Tag mit deiner Schwester?«, hakt sie nach »Wir alle sind abends noch miteinander Essen gegangen und dann haben wir die Beiden zum Zug gebracht. Sicherlich kannst du dir vorstellen, wie die Verabschiedungszeremonie bei den Wagners abgelaufen ist.« »Oh Gott ja! Vermutlich haben Sie den Bahnsteig wegen Überschwemmung gesperrt.« »Du hast nicht ganz unrecht. Die Passanten haben schon Ausschau nach einem Sarg gehalten, weil sie dachten, dass jemand gestorben ist.« Ich beginne zu kichern. »Helen war die Schlimmste. Andrew hat versucht sie zu beruhigen, aber gegen ihre Tsunami-Tränen kommt auch er nicht an.« »Dann liegt das also in der Familie!« »Vermutlich.« »Du hast die Zeit mit deiner Schwester sehr genossen, stimmt’s?« »Oh ja, das habe ich.«, entgegne ich verträumt. »Aber wir haben schon neue Pläne geschmiedet. Zu Weihnachten werden meine Mutter, Sammy und ich nach Amerika fliegen und mit Helen und Andrew die Feiertage verbringen.« »Das hört sich doch toll an! Ich freue mich für dich, Schatz!« Gabriel. Schon seit Tagen versuche ich Anna anzurufen, aber entweder sie geht nicht hin oder drückt mich einfach weg. Ich habe keine Chance zu ihr durchzukommen. Verdammt! Wie ein beschissener Stalker stehe ich Abend für Abend vor ihrem Haus und versuche einen Blick auf sie zu erhaschen. Sie einmal nur ganz kurz am Fenster zu sehen, ist der einzige Lichtblick in meiner derzeit dunklen Welt. Seit sie weg ist, ist nichts mehr wie es vorher war. Ich stehe morgens auf und denke an sie. An ihr Lachen, an ihre leuchtenden Augen, an ihre Wangen, die sich immer leicht rosa verfärbt haben, wenn ich ihr unanständige Sachen ins Ohr geflüstert habe. Nichts von alldem gehört mehr mir. Der Gedanke daran, dass sie einen anderen Kerl anlachen könnte, versetzt mir einen Stich und bringt mich derart in Rage, dass ich sofort wieder auf einen Gegenstand eindreschen könnte. Zu blöd, dass meine Hand nach wie vor noch in einem Verband steckt. Der zuständige Stationsarzt meiner Mutter war so freundlich und hat sich die Wunde gestern mal genauer angesehen und kurzerhand beschlossen, sie mit drei Stichen zu nähen. Shit happens. Ich schaue hinauf zu Annas Wohnung und warte nach wie vor auf eine Bewegung am Fenster, aber seit über einer Stunde, die ich jetzt schon hier stehe, tut sich nichts. Die Sonne ist inzwischen schon untergegangen und so sitze ich im Dunkeln. Ich nippe an meinem Kaffee, der inzwischen schon kalt geworden ist, als sich die Eingangstüre öffnet. Nele verlässt nur im Jogginganzug bekleidet das Haus. Hektisch stelle ich meinen Kaffeebecher auf die Konsole, der mir sogleich umkippt und sich über das gesamte Armaturenbrett ergießt. Scheiß drauf! Ich verlasse den Wagen und renne so schnell ich kann Nele hinterher und kann sie auch nach wenigen Metern schon einholen »Nele, warte mal kurz!«, keuche ich und packe sie an der Schulter. Sie zuckt erschrocken zusammen und dreht sich panisch um »Sag mal, hast du sie nicht mehr alle? Mich so zu erschrecken.« »Tut mir leid! Ich wollte dich nicht erschrecken.« »Was tust du eigentlich hier? Beschattest du etwa Anna?«, fragt sie nach und mustert mich misstrauisch »Nein, natürlich nicht! Ich war nur zufällig in der Nähe.« »Erzähl mir keinen Mist! Die Story kannst du vielleicht deiner Großmutter erzählen. Also Freundchen, rück mal mit der Wahrheit raus, sonst fang ich gleich an zu schreien und bezichtige dich, mich überfallen zu haben.« »Ich möchte doch nur mit Anna sprechen, aber sie gibt mir nicht mal die Möglichkeit«, flehe ich sie an »Du hast es diesmal wirklich verbockt! Das ist dir schon klar, oder?« »Natürlich weiß ich das, sonst wäre ich ja wohl kaum hier.« »Und was genau hast du jetzt vor? Erwartest du von mir, dass ich dich mit nach oben nehme, damit du mit Anna von Angesicht zu Angesicht sprechen kannst?« »Das wäre schon mal eine gute Option.« »Vergiss es, Gabriel! Ich werde meine beste Freundin nicht hintergehen. Es tut mir leid, aber sie möchte dich nicht sehen.« Wäre auch zu schön gewesen »Wie geht es ihr?« »Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es ihr gut geht. Sie lenkt sich selbst ständig ab, um nicht über dich und die Trennung nachdenken zu müssen.« Mein Herz fühlt sich an, als würde es gleich in tausend Stücke zerspringen. Zu wissen, dass sie so leidet, macht es noch viel schlimmer »Nele! Bitte! Sag mir was ich tun soll! Ich möchte Anna nicht verlieren. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben.« »Lass’ ihr noch etwas Zeit«, flüstert sie und schaut sich verstohlen um. »Wir fahren morgen zusammen in den Urlaub. Vielleicht tut ihr der Tapetenwechsel mal gut und sie denkt noch einmal über euch nach. Aber jetzt muss ich los. bevor sie anfängt Verdacht zu schöpfen!« »Wo willst du eigentlich jetzt noch hin?«, rufe ich ihr hinterher »Nudelbox!« Mit hängenden Schultern trotte ich zurück zu meinem Wagen. Von diesem Gespräch hatte ich mir eindeutig mehr erhofft. Was mich aber einigermaßen beruhigt, ist die schlichte Tatsache, dass Anna genauso leidet wie ich. Dann gibt es vielleicht doch noch Hoffnung für uns. Zurück im Wagen schnappe ich mein Handy und schreibe ihr die gefühlte hundertfünfzigste Nachricht. „So schnell gebe ich uns nicht auf! Ich werde um dich kämpfen.“ Ich drücke auf Senden und lehne mich zurück. In meinem Kopf entwickelt sich allmählich ein Plan und meine Lebensenergie kehrt zurück. Sobald ich die Sauerei auf meinem Armaturenbrett beseitigt habe, werde ich beginnen, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Jawohl. Anna. 5 Tage später. Ich fläze auf der Sonnenliege und lasse mir die heiße Sonne auf den Leib knallen. Samuel plantscht ausgelassen im Kinderpool mit anderen Kindern und so habe ich mal Zeit einfach nichts zu tun. Nele kommt mit zwei Cocktails um die Ecke und zieht wie immer sämtliche Blicke umliegender Männer auf sich. Kein Wunder bei dieser Erscheinung. Ihre rote wallende Mähne hat sie sich zu einem Dutt gedreht und den Modellkörper in einen braun-gemusterten knappen Bikini gesteckt. Wüsste ich nicht, dass sie einfach eine gottgegebene Schönheit besitzt, könnte mal glatt auf mehrere chirurgische Eingriffe tippen »Darf ich Ihnen ein Tropical Beach präsentieren? Orangensaft, Ananassaft, Granatapfel und ein Hauch von Rum.« »Am helllichten Tag?« »Warum nicht? Wir haben doch Urlaub!« Mit unseren Cocktails in der Hand setzen wir uns zusammen auf meine Liege und lassen den Blick über die Hotelanlage schweifen »Du hast wirklich ein tolles Hotel ausgesucht, Nele! Das muss ich zugeben. Ich war etwas skeptisch, ob so ein Hotelurlaub wirklich was für uns ist, aber ich habe es bisher keinen Tag bereut.« Wobei ich mir selbst eingestehen muss, dass ich mir schon des Öfteren vorgestellt habe, wie es wohl wäre ihn mit Gabriel zu verbringen »Schau mal, Anna! Da hinten ist wieder der Typ von gestern Abend! Der mit der schwarzen Badehose!« »Du meinst den, der gestern beim Abendessen neben uns saß?« »Nein! Der, der gestern Abend in der Bar neben mir saß, als du mit Samuel schon im Zimmer warst. Das habe ich dir doch erzählt.« »Du erzählst mir ständig von irgendwelchen Typen, die du angegraben hast. Da kann ich mir wirklich nicht merken, wen du gerade meinst.« »Ach komm! So schlimm bin ich doch nicht! Du tust ja gerade so, als ob ich ….« »Doch, so schlimm bist du! Aber weißt du was! Das ist doch völlig in Ordnung. Genieße deine Freiheit und nimm mit, was du kriegen kannst.« »Ach Schatz! Jetzt bekomme ich doch glatt wieder ein schlechtes Gewissen. Ich ziehe Nacht für Nacht durch die Bars und Discotheken, während du mit deinem Kleinen im Zimmer sitzt und dir die Augen ausheulst.« Ich schaue sie schockiert an »Brauchst gar nicht so schauen! Meinst du, ich habe die Rotztücher neben deinem Bett nicht bemerkt? Und erzähl mir nicht, du hättest dich wegen der Klimaanlage verkühlt.« Unbeeindruckt zucke ich mit den Schultern. Leider hat sie Recht, aber das muss ich ihr wirklich nicht auf die Nase binden. Mit meinem Kummer muss ich allein fertig werden. Daran ändern auch die vielen jungen Männer und eine lechzende Nele nichts. Ich schlürfe gerade den Rest meines leckeren Cocktails herunter, als auch schon Sammy freudestrahlend auf mich zukommt »Mama, ich habe einen Freund gefunden! Schau mal, das ist Justin!« Er zeigt auf einen kleinen Jungen mit roter Badehose, der mich kritisch mustert »Hallo Justin!«, sage ich fröhlich und winke dem Knirps zu. Justin winkt zögerlich zurück und hüpft dann wieder zurück in den Pool »Das ist der Papa von Justin!«, bemerkt Nele neben mir beiläufig und zeigt auf einen braungebrannten attraktiven Mann »Ist ja klar, dass du den auch schon kennst! Wo habt ihr euch denn kennengelernt? In der Bar oder am Büffet?«, ziehe ich sie auf »Im Mini-Club, wenn du’s wissen willst. Als ich gestern Samuel dort hingebracht habe, hat er sich mir vorgestellt. Er heißt Andi und pass’ auf! Er ist alleinerziehend. Ist das nicht cool?« »Ja wahnsinnig cool!«, gebe ich gelangweilt zurück und greife nach meiner Sonnencreme. »Komm’ bloß nicht auf die Idee mich mit dem zu verkuppeln! Ich habe die Lunte schon gerochen.« »Du bist echt eine Spaßbremse! Weißt du das?«, murrt sie und greift wieder einmal nach ihrem Handy »Wem schreibst du denn da eigentlich ständig?« »Nur meiner Mutter! Sie hat schon wieder Zoff mit ihrem Ehemann.« »Ist das Ehemann Nr. 2 oder 3?« »Nr. 4 leider schon. Sie wird halt im Alter auch nicht klüger.« Ich will schon nachhaken, als ein junger Animateur sich zu uns gesellt. Er stellt sich als Ahmet vor und informiert uns über die allabendliche Show, die immer im Amphitheater stattfindet. Nele ist wie immer hellauf begeistert. Sie liebt diese Shows. Bis jetzt konnte ich mich immer geschickt aus der Affäre ziehen und mir fadenscheinige Ausreden einfallen lassen, aber heute habe ich wohl keine Chance »Anna, heute Abend kommt die Schöne und das Biest! Da gehen wir auf alle Fälle hin. Keine Ausrede. Ich weiß genau, dass das dein Lieblingsmärchen ist.« Ich ergebe mich ohne große Widerworte und beginne mich von oben bis unten mit Sonnencreme zuzukleistern. Es ist bereits viertel vor Neun, als Nele und ich sowie etwa zweihundert andere Menschen auf den Steinstufen des Amphitheaters auf den Beginn der Show warten. Nele bestand darauf unbedingt in der ersten Reihe zu sitzen, wegen der guten Sicht, behauptete sie. Auf der Bühne vor uns hüpfen noch immer die Kinder und zelebrieren ihre Mini-Disco, die bereits in den letzten Zügen ist. Die Animateure des Mini-Clubs verabschieden die Kleinen noch kurz in drei verschiedenen Sprachen, bis es auch der letzte Urlauber verstanden hat und entlassen dann die Knirpse von der Bühne. Nele neben mir, beginnt aufgeregt hin und her zu zappeln »Was ist denn bloß los mit dir?« »Ich bin halt einfach aufgeregt!« »Warum denn? Ist doch bloß eine einfache Show. Ist ja nicht so, dass du so etwas noch nie gesehen hättest. Ist das nicht deine Fünfte in diesem Urlaub?« Nele zuckt bloß grinsend die Schultern und schaut wieder einmal auf ihr Handy. Ein bisschen merkwürdig kommt sie mir schon vor. Aber wer weiß, vielleicht sind es ja die weiblichen Hormone, die mit ihr durchgehen. Denn schließlich ist sie den Anblick von so vielen halbnackten und dazu noch gutaussehenden Männerkörpern auf relativ wenigen Quadratmetern auch nicht gewöhnt. Samuel setzt sich zwischen uns und genießt die Packung Popcorn, die Nele ihm am Popcornstand gekauft hat. Wir drei verfolgen angespannt das Geschehen auf der Bühne und ich bin wirklich fasziniert, wie gut die Schauspieler mein Lieblingsmärchen umsetzen. Mittlerweile kann ich auch verstehen, warum Nele so versessen auf diese Shows ist. Ein kurzer Requisitenwechsel findet statt und mit Spannung erwarten wir den Auftritt des Biests. Mit einem Donnergrollen erscheint dieses gekleidet in einem dunklen Anzug und der typischen Maske, die nur zur Hälfte sein Gesicht bedeckt, auf der Bühne. Erschrocken reiße ich die Augen auf. Himmel! Der sieht ja aus wie Gabriel! Ich blinzle ein, zwei Mal, doch da dreht er sich leider weg und ich bin mir fast schon sicher, dass mich meine Äuglein getäuscht haben. Mit seinem tiefen Timbre spricht er „die Schöne“ an, die an einem Tisch in der Mitte der Bühne sitzt und darauf wartet, dass das Biest sich zu ihr setzt »Liebe Schöne, darf ich hierbleiben, während du speisest? Wenn es dir lieber ist, werde ich wieder gehen, doch ich habe noch etwas zu sagen, was keinen Aufschub duldet?«, spricht er und dreht sich wieder dem Publikum zu. Und bei mir setzt für einen Moment die Atmung aus. Gabriel. Er tritt an den Rand der Bühne und schaut mir direkt in die Augen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als er mich auffordert zu ihm auf die Bühne zu kommen. Nur widerstrebend möchte ich seiner Bitte nachkommen, doch Nele zieht mich am Arm hoch und schubst mich Richtung Bühnentreppe, die ich mit zittrigen Beinen nach oben laufe. Und so stehe ich ihm direkt gegenüber und blicke ihn erwartungsvoll an. Er tritt vorsichtig auf mich zu, als hätte er Angst, dass ich vor Schreck davonlaufen könnte und nimmt mich an den Händen »Anna!« Ein Raunen geht durch die Menschenmenge, da ihnen nun bewusstwird, dass das Biest kurzerhand die Handlung verändert hat »Vor drei Monaten bist du in mein Leben getreten und hast es von Grund auf aus den Angeln gehoben. An diesem Tag wurde mir klar, was Liebe auf den ersten Blick überhaupt bedeutet. Du warst die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Über Umwege haben wir zu uns gefunden, doch unser gemeinsames Glück währte nur kurz, da ich einfach ein Vollidiot bin. Die letzten Tage ohne dich waren für mich die Hölle. Ich kann nicht mehr essen und nicht mehr schlafen ohne dich. Ein Leben ohne dich und Samuel ist völlig sinnlos und auch wenn ich weiß, dass ich dich eigentlich gar nicht verdient habe, bin ich zu egoistisch, um dich loszulassen. Ich werde es mir zur Lebensaufgabe machen, dich zu lieben und dich zu ehren, wenn du mir noch eine letzte Chance gibst. Ich liebe dich, Anna! Sag ja!« Unzählige Tränen laufen mir übers Gesicht und meine Hände zittern, während Gabriel sie hält. Seine Worte hallen immer noch in meinem Kopf nach und für mich gibt es in diesem Moment keine andere Antwort als … »Ja!«, und so falle ich Gabriel stürmisch um den Hals, der mich immer noch abwartend anschaut und nicht zu registrieren scheint, was ich eben gesagt habe. Tosender Applaus ertönt durch das Amphitheater, die Leute stehen auf und jubeln, als Gabriel meine Umarmung erwidert und mich herumschleudert. Ich drücke mein tränennasses Gesicht in seine Halsbeuge und flüstere ihm ein „Ich liebe dich!“ zu, das nur für ihn bestimmt ist. In seinen Augen glitzern Tränen, während wir uns zärtlich küssen. In diesem Moment ist mir klar, dass wir jede Widrigkeit überwinden können, solange die Liebe noch da ist. Man soll einen Menschen nie nach dem beurteilen, was er falsch gemacht, sondern nach all den anderen Dingen, die er richtig gemacht hat. „Küssen, küssen“ halt es durch die Menge, als eine kleine Hand an meinem Hosenbein zieht »Mama, ist das Gabriel?«, fragt mein kleiner Sohn und schaut irritiert in Gabriels verkleidetes Gesicht »Aber ja, mein Kleiner! Schau mal, Gabriel hat sich verkleidet!«, entgegne ich mit tränenerstickter Stimme. Gabriel reißt sich sogleich die Maske vom Gesicht und nimmt Sammy in die Arme. Er drückt ihn liebevoll an sich und wuschelt im zärtlich durch die blonden Locken. Obwohl ich diesen Auftritt ziemlich genossen habe, beschließe ich, dass zu viel Bühnenpräsenz doch nicht meins ist und ziehe meine beiden Herren von der Bühne herunter. Unten angekommen, überfällt mich Nele überschwänglich und verdrückt ebenfalls die ein oder andere Träne, was für sie ziemlich ungewöhnlich ist »Hast du davon gewusst?«, flüstere ich ihr ins Ohr, als sie mich an sich drückt »Sagen wir es mal so! Manche Menschen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden! Von daher habe ich mich zur Beihilfe anstiften lassen.« »Danke!«, hauche ich und drücke ihr einen Kuss auf die Wange »Spar dir deine Küsse für deinen oscargekrönten Freund auf!«, witzelt sie und wischt sich gespielt angeekelt die Wange. Währenddessen die Schauspieler hinter uns das Theaterstück wieder aufgenommen und die Menge sich beruhigt hat, verlassen wir vier das Amphitheater und gehen hinüber Richtung Bar, wo es zum jetzigen Zeitpunkt ruhiger zugeht. Gabriel, der Samuel inzwischen auf dem Arm trägt, strahlt über beide Backen und auch ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, was Nele mit einem Stöhnen quittiert. Gabriel. Ein Rumpeln an meiner Zimmertür reißt mich aus meinen Träumen und erinnert mich daran, wo ich mich gerade befinde. Die Putzfrau linst zur Türe hinein, aber als sie mich im Adamskostüm im Bett lümmeln sieht, entschließt sie sich dann doch, später wieder zu kommen. Ich klappe meine Augen wieder zu und überdenke die Geschehnisse der letzten Tage noch einmal. Was für ein gewagter Plan! Nachdem mir Nele erzählt hatte, dass sie mit Anna in den Urlaub fahren würde, reifte in mir der Entschluss den beiden hinterher zu reisen. Von Ramón bekam ich Neles Handynummer, der sie komischerweise immer noch nicht aus seinem Adressbuch gelöscht hatte. Innerhalb weniger Stunden hatte ich nun eine Adresse und konnte dank meines Charmes und vermutlich auch meines großen Geldbeutels einen Flug und ein Zimmer im selben Hotel buchen. Die Idee, Anna bei einer Show zu überraschen, war auf Neles Mist gewachsen, die scheinbar doch eine romantische Ader hat. Auch die Schauspieler waren sofort bereit, mir eine Gastrolle zu überlassen, als sie unsere Geschichte hörten. Das Einzige, was wirklich ein Problem darstellte, war Anna. Was wäre gewesen, wenn sie „Nein“ gesagt hätte? Ich reibe mir übers Gesicht und beruhige mich selbst. Sie hat gesagt, dass sie mich liebt und wir werden nun neu anfangen. Ohne Lügen, ohne Missverständnisse und ohne Marlene. Ach, da fällt mir doch glatt ein, dass ich Anna noch gar nicht erzählt habe, dass ihre Konkurrentin derzeit arbeitslos ist. Na wenn das mal keine Überraschung für sie ist. Es ist bereits halb neun, als ich den Speisesaal des Hotels betrete. Wir haben uns heute Morgen zum Frühstück verabredet und ich halte Ausschau nach meinen Damen und dem kleinen Herrn. Schon von weitem rennt Samuel auf mich zu und wirft sich schwungvoll in meine Arme »Guten Morgen, mein Großer! Und, hast du gut geschlafen?«, frage ich ihn und verstrubbele seine Locken »Ja! Zeigst du mir nachher mal dein Zimmer? Mama sagt, dass deins viel größer ist als meins?« »Aber nur ein bisschen größer!«, entgegne ich lächelnd und denke an das Kingsize-Bett in meinem Deluxe-Zimmer, das vermutlich genauso viel kostet, wie der Urlaub von Anna und Nele zusammen. Ich lasse mich von Samuel an unseren Tisch bringen und bin wie immer überrascht, wie schön Anna doch ist. Heute trägt sie ein enggeschnittenes Sommerkleid mit bestickten türkis- und rosafarbenen Blüten. Sie erhebt sich vom Stuhl und begrüßt mich strahlend mit einem speziell für mich reservierten Kuss. Mit ihren Händen fährt sie mir zärtlich durch die Haare und ihre Augen beginnen zu leuchten. Wie ich diesen Anblick vermisst habe. Und mein kleiner Freund auch, der augenblicklich zum Leben erwacht »Ich glaub mir wird schlecht!«, stöhnt Nele und schnappt Sammy an der Hand. »Komm‛ mit, mein Schatz! Wir holen Frühstück, bevor wir noch erblinden!« Ich muss schmunzeln, als ich Neles genervten Blick erhasche »Meint sie das ernst?« »Ach was! Normalerweise ist es genau andersrum. Sie hängt am Arm irgendeines Adonis und ich muss schauen, dass ich rechtzeitig die Kurve kriege.« Wir setzen uns an den Tisch und ich greife nach ihrer Hand »Meinst du, ich kann nachher mal mit dir allein sein? Also so ganz allein. Nur du und ich?«, frage ich zögerlich und versuche sie nicht zu überrumpeln »Ich dachte schon, du fragst nie!«, entgegnet sie augenzwinkernd »Wenn du willst, zeig ich dir mal mein Zimmer!« »Und natürlich deine Muschelsammlung, was?« »Hast du gerade was von Muschisammlung gesagt?«, hake ich schelmisch grinsend nach, aber da schlägt mir Anna schon auf die Hand und schüttelt den Kopf »Pfui, solche Gedanken schon vor dem Frühstück. Da hat wohl jemand einen Hormonstau?« »Oh ja und wie.« »Die haben hier auch ein Fitnessstudio. Ich kann es dir gern zeigen, wenn du willst.« »Nee, lass mal. Ich weiß da was Besseres.« Anna beginnt unruhig auf dem Sitz herumzurutschen »Zeig mir bitte sofort dein Zimmer!«, murmelt sie und zieht mich mit sich. Wir geben nur kurz Nele Bescheid, dass wir schon mal die Strandsachen holen, was sie mit einem teuflischen Grinsen quittiert. Die Hexe. Wir steuern geradewegs auf den Aufzug zu, den ich zwar sonst nie benutzen würde, aber jetzt muss es einfach schnell gehen. Die Fahrt dauert nur kurz und während Anna die Aussicht über die Hotelanlage genießt, suche ich hektisch nach meiner Zimmerkarte. Wenn ich nur nicht schon so prall wäre, würde ich die Karte auch besser aus der Hosentasche bekommen. Annas Blick fällt inzwischen auf meine fuchtelnde Hand und dann scheint sie zu begreifen »Warte mal, ich helfe dir!«, und schon beginnt sie mit ihren zarten Fingerchen in meine Hosentasche zu gleiten »Oh Gott!« stöhne ich. »Das solltest du besser nicht tun.« Ich ziehe ihre Hand wieder zurück und versuche ruhig zu atmen. Diese Frau macht mich noch wahnsinnig. Und jetzt hat sie auch noch die Frechheit zu kichern. Am Zimmer angekommen, öffne ich schnell mit der Karte die Türe und schiebe Anna unsanft hinein. Die Tür knallt hinter uns zu und ich greife nach Anna. Grob hebe ich sie hoch und drücke sie an die Wand, während ich sie heftig zu küssen beginne. Dieses Spiel scheint ihr zu gefallen, denn sie greift beherzt in meinen Haarschopf, während sie mir ihre Beine um den Leib schlingt. Ab da ist es vorbei mit meiner Geduld »Sorry Schatz! Aber das muss jetzt ganz schnell gehen. Ich warte schon viel zu lange auf dich!« Ich lasse sie nur kurz runter, um ihr den Slip auszuziehen und schlage ihr hübsches Kleid nach oben »Willst du dich denn nicht ausziehen?«, fragt Anna nach Atem ringend »Und ob!« Mit einem Ruck habe ich mich auch meiner Hose entledigt, hebe Anna hoch, so dass sie wieder ihre galaktischen Beine um mich schlingen kann und dringe mit einem Stoß in sie ein. Während ich in sie pumpe, beginnt sie heftig zu stöhnen, was mich noch mehr antörnt. Doch schon nach wenigen Stößen strebt Anna ihrem Höhepunkt entgegen. Auch ich kann nicht mehr an mich halten und so ergieße ich mich in ihr. Völlig außer Atem lasse ich sie herunter und küsse sie zärtlich »Tut mir leid, dass es so schnell gegangen ist, aber ich konnte nicht anders!« »Du glaubst ja gar nicht, wie gut das war. Können wir das noch einmal wiederholen?«, fragt sie mich grinsend und mein Herz schwillt noch mehr an. Ich liebe diese Frau über alles. Ich liege neben meiner Traumfrau am Strand und schaue auf die Wellen. Ein sanfter Wind umweht mein Gesicht und ich bin mir sicher, noch nie so einen Frieden verspürt zu haben. So ist es also, wenn man glücklich ist. Samuel sitzt im Sand und baut gerade mit einem Jungen gleichen Alters eine Sandburg, während sich Nele zum Beach-Volleyball aufgemacht hat »Was hättest du eigentlich gemacht, wenn ich „Nein“ gesagt hätte?«, will Anna neugierig wissen und reißt mich aus meinen himmlischen Gedanken »Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.« »Gab es keinen Plan B?« »Nö!« »Du bist aber ganz schön von dir überzeugt, findest du nicht auch?«, bemerkt sie und bewirft mich mit Sand »Lass’ das! Sonst leg’ ich dich übers Knie!« Sie reißt überrascht die Augen auf und ich könnte schwören, dass sie sofort an das Gleiche denkt wie ich. Wenn wir nicht gleich wieder übereinander herfallen wollen, dann muss ich jetzt schnell das Gespräch in andere Bahnen lenken »Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich eine Stelle als Sekretärin zu vergeben habe?« Annas Kopf fährt hoch und sie schaut mich verwirrt an »Ich versteh’ nicht ganz!« »Ich habe Marlene gekündigt. Gleich einen Tag nachdem ihr beiden aneinandergeraten seid.« »Aber warum?«, hakt sie nach und sieht noch irritierter aus als vorher »Als ich in dieser Nacht nach Hause kam und du nicht mehr da warst, sind mir einige Dinge klar geworden. Mir wurde bewusst, wie falsch ich die Situation eingeschätzt und dir nicht vertraut habe. Marlene hat versucht mich zu manipulieren und uns auseinander zu bringen. Dafür musste sie büßen.« »Ist das aber nicht ein bisschen zu hart?« »Nimmst du sie etwa in Schutz, obwohl sie so gemein zu dir war?« »Nein, das nicht. Aber was macht sie denn jetzt?« »Heb’ dir dein Mitgefühl für jemand anderen auf und mach dir keine Gedanken über diese Schlange. Sie wird schon einen Weg finden. Da bin ich mir sicher.« Anna sieht zwar immer noch etwas skeptisch aus, aber sie sagt nichts mehr. Was auch besser so ist, denn schließlich möchte ich unseren Urlaub nicht mit Erinnerungen an dieses heimtückische Weib versauen. Ich schaue wieder hinaus aufs Meer und entdecke Samuel, der mit böser Miene durch den Sand stapft »Was ist denn los, Großer?« rufe ich ihm zu und sofort schlägt er den Weg zu mir ein »Der Blödie hat meine Burg kaputt gemacht. Jetzt muss ich noch einmal von vorn anfangen!«, quengelt er und wirft gefrustet die Schaufel in den Sand »Ich habe eine Idee! Ich komme mit rüber und gemeinsam machen wir die größte Burg, die es hier jemals am Strand gab!«, schlage ich vor und schon beginnen Samuels Augen zu leuchten »Au ja!«, jauchzt er augenblicklich und zieht mich von der Sonnenliege hoch. Als wir Richtung Burggraben traben, schaue ich noch einmal zurück in Annas Richtung und wenn mich nicht alles täuscht, hat diese Frau schon wieder Tränen in den Augen. Anna. Schweißtropfen rinnen mir den Rücken runter und ich beschließe mich wieder in die Hotellobby zurückzuziehen, um mich dort bei Nele und Sammy niederzulassen. Ich betrete das Hotel und schaue mich noch mal ein letztes Mal um. Gleich wird uns ein Shuttlebus abholen, um uns zum Flughafen nach Antalya zu kutschieren und somit endet auch unser 10-tägiger Urlaub in der Türkei. Wie schade! Gabriel ist bereits gestern Abend abgereist und hat uns versprochen, uns vom Flughafen abzuholen. Hätte mir jemand vor zwei Wochen gesagt, dass ich meinen Urlaub mit Gabriel verbringe, ich hätte ihm vermutlich den Vogel gezeigt. Unsere letzten gemeinsamen Tage waren einfach traumhaft. Die unzähligen Stunden am Strand, die wir mit Sandburgen bauen und Baden verbrachten, werden mir fehlen. Auch dieses Glänzen ins Samuels Augen, als die beiden zusammen die Wasserrutschen unsicher gemacht haben, werde ich so schnell nicht vergessen. Und die Nächte erst. Oha. Selbst Nele hat mir gestern gestanden, dass es ihr mit Gabriel gut gefallen hat. Ich sehe auf die Uhr und streife dabei über mein neues Armband, das mir Gabriel gestern zum Abschied geschenkt hat. In ein hübsches Goldband ist das „Auge der Medusa“ eingearbeitet, dass den Träger vor bösen Blicken schützen soll »Der Bus ist da! Schnapp deinen Koffer, Süße und hör auf zu träumen!«, ruft Nele zu mir herüber und schüttelt belustigt den Kopf »Meine Mama träumt! Meine Mama träumt!«, beginnt Samuel zu singen. Gegen seine Fröhlichkeit kann ich mich nicht wehren und muss anfangen zu lachen. Die Rückreise nach Deutschland gestaltete sich beschwerlicher als ich dachte. Die lange Busfahrt zum Flughafen, dann der ewige Aufenthalt im Wartebereich zwischen unzähligen Passagieren unterschiedlichster Kultur und zu guter Letzt ein turbulenter Rückflug. Mein einziger Lichtblick ist Gabriel, der bereits am Terminal steht, bewaffnet mit einer roten und einer weißen Rose. Och, wie süß! Als er Nele die weiße langstielige Rose überreicht, fehlen ihr, zu unser aller Überraschung die Worte. Sie nimmt ihn kurzerhand in den Arm und ich kann nur schmunzeln. Für mich ist die rote Rose bestimmt und als er mich zärtlich in den Arm nimmt, vergesse ich alles um uns herum. Einzig Samuel schafft es diesen romantischen Moment zunichte zu machen »Gabriel, krieg’ ich auch eine Blume?«, bettelt er aufgeregt »Ach so, du willst die Rose! Na dann musst du mit der Mama tauschen. Dann bekommt sie eben den riesigen Lolli!« »Nee, den will ich!«, protestiert er sogleich und reißt Gabriel den Riesenlutscher aus der Hand. Dieser Mann weiß einfach, wie man Mütter und Kinder manipuliert. Die Heimfahrt gestaltet sich sehr entspannt. Während Samuel und Nele auf den Rücksitzen schlafen, erzählt mir Gabriel, dass seine Mutter gestern wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Er wirkt sehr entspannt und man merkt, dass ihn die Tatsache, dass seine Mutter wieder in ihrem gewohnten Umfeld zurück ist, beruhigt. Mich übrigens auch, denn obwohl ich dieser Frau bisher nur zwei Mal begegnet bin, habe ich irgendwie eine stille Verbindung zu ihr hergestellt. Ich überlege mir gerade, ob ich diese Verbindung auch bei Patricks Mutter verspürt habe, muss aber gedanklich vehement mit dem Kopf schütteln, da meine Ex-Schwiegermutter eine fürchterliche Frau war. Soeben haben wir Nele nach Hause gebracht und vermutlich ist sie froh, nun endlich mal wieder Zeit für sich zu haben, nachdem sie ihren hochheiligen Urlaub mit uns verbracht hat. Gabriel lenkt den Wagen wieder auf die Straße und stellt das Radio aus »Ich bringe dich jetzt nach Hause, oder?« Darüber habe ich mir natürlich auch schon Gedanken gemacht »Das wird nötig sein, da ich zwei Koffer voller schmutziger Wäsche und nichts Frisches zum Anziehen habe.« Gabriel nickt bedächtig mit dem Kopf. Ich würde jetzt so gern eine kleine Wanze in seinem Hirn sein, um seine Gedanken zu spüren »Möchtest du mit zu uns?« »Möchtest du das denn?« fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich möchte nicht wieder den Fehler machen, alles zu schnell anzugehen, aber ich fürchte, dass ich nicht anders kann. Ich bin einfach total verliebt in diesen Mann »Nichts lieber als das!«, erwidere ich und greife nach seiner Hand. Sein Lächeln quittiert mir, dass er das genauso sieht. Der Juli zeigt sich heute Morgen von seiner besten Seite. Obwohl es erst acht Uhr ist, zeigt das Außenthermometer bereits 17°C an. Vermutlich werden wir heute wieder die 30°C-Marke knacken und was kann man da schon anderes machen, außer vielleicht baden zu gehen. Im Augenwinkel sehe ich, wie Gabriel zu mir auf den Balkon kommt »Guten Morgen, mein Schatz!«, begrüße ich ihn und schmiege mich sanft in seine kräftigen Arme »Auch guten Morgen! Du bist aber schon früh wach! Ich dachte eigentlich der gestrige Tag hängt dir noch in den Knochen und du pennst bis um zehn.« »Ich konnte einfach nicht mehr schlafen!«, erwidere ich und lasse meinen Blick über die umliegenden Häuser schweifen »Wie lang musst du denn heute arbeiten?« »Kommt ganz darauf an, wie sich die neue Sekretärin anstellt. Ich habe eigentlich vor, so gegen drei Uhr das Büro zu verlassen. Warum? Was hast du denn vor?« »Ich würde so gerne zum Baden gehen! Ich bin immer noch im Türkei-Modus.« »Wenn dir mein Badeteich reicht, dann würde ich doch vorschlagen, dass wir den heute einweihen. Wie sieht’s aus?« »Sehr gerne!«, erwidere ich und schmiege mich noch enger an ihn. Die Vorfreude, auf das was mich heute Nachmittag noch alles erwartet, macht mich ganz kribbelig. Das Tor zu Gabriels Anwesen öffnet sich und ich fahre mit meinem Wagen bis hoch zum Eingangsbereich. Es ist das erste Mal seit unserer Trennung dass ich wieder hier bin. Ein komisches Gefühl beschleicht mich, zumal ich allein bin. Während Samuel die nächsten Tage bei seinem Papa verbringen wird, hängt Gabriel noch im Büro fest. Seine neue Sekretärin, eine 50-Jährige, benötigt noch etwas Unterstützung bei der Einarbeitung mit dem Rechner und Gabriel, ganz der Gentleman, möchte sie nicht gleich am ersten Tag allein lassen. Kurzerhand gab er mir die Schlüssel zu seinem Heim und schon stehe ich wieder hier. In der Bernard’schen Residenz, wie ich sie so gern nenne. Ich schlendere durch die Räumlichkeiten und lasse alles auf mich wirken. Es sieht genauso aus, wie ich es verlassen habe. Mit meinen Taschen bewaffnet gehe ich in den zweiten Stock und sehe gleich nach dem Dinozimmer. Beruhigt stelle ich fest, dass sich auch hier nichts verändert hat und so schlendere ich in Gabriels Schlafzimmer. Ich werfe meine Tasche aufs Bett und lasse mich gleich hinterher fallen. Mit meinen Händen fahre ich über die samtig weiche Bettdecke und atme den typischen Geruch von Gabriel ein. Herrlich. Ein innerer Frieden überkommt mich, endlich wieder hier zu sein. Gerade will ich meine Augen schließen, um mich noch etwas zu entspannen, als die Türklingel mich aus meiner meditativen Stimmung reißt. Während ich hinauseile fällt mein Blick noch auf Gabriels Schlafzimmerspiegel, oder besser gesagt, auf die Stelle, wo dort mal einer war. Verwundert schüttle ich den Kopf und laufe nach unten zum Türöffner oder wie von mir genannt die „Hightech-Türentriegelungsanlage“, mit welcher man das Eingangstor öffnen kann. Vor mir prangt ein Board mit unterschiedlichen Knöpfen inklusive Überwachungsmonitor, der leider zum jetzigen Zeitpunkt schwarz ist. Was vermutlich daran liegt, dass ich bei der Einweisung nicht richtig zugehört habe und somit nicht den richtigen Schalter finde. Kurzerhand drücke ich mich durch sämtliche Tasten, bis auf einmal eine Stimme durch den Lautsprecher ertönt »Hallo! Ich habe ein Paket für Sie!« Hektisch drücke ich wiederum sämtliche Tasten, um endlich das Tor zu öffnen, was mir vermutlich gelungen ist, denn es klopft bereits an der oberen Eingangstür. Barfuß mit einem Top und Shorts bekleidet reiße ich diese mit Schwung auf und kann nur kurz den Blick auf eine große Frau mit Sonnenhut erhaschen, als ein scharfer Schmerz mich durchfährt. Erschrocken sehe ich an mir herunter und bemerke einen Gegenstand, der sich in Höhe meines Hosenbundes befindet. Meine Hand gleitet hinunter und fühlt die Feuchtigkeit, die bereits an mir heruntersickert. Blut. In meinem Kopf versuche ich zu verstehen, was so eben passiert ist und hebe den Kopf, doch die Person, die eben noch vor mir stand, ist verschwunden. Die ersten Schweißperlen treten mir auf die Stirn und in meinen Ohren beginnt es zu summen. Ganz vorsichtig und mit einer Hand am Unterbauch schleppe ich mich Richtung Telefon, das zum Glück in greifbarer Nähe ist. Da ich nicht weiß, wie lange ich mich noch auf den Beinen halten kann, drücke ich die erstbeste Taste, die mir in den Sinn kommt und warte auf Antwort »Immobilienagentur Bernard! Sie sprechen mir Frau Weiland! Was kann ich für Sie tun?« »Ich brauche Hilfe!«, nuschele ich. »Gabriel bitte!« »Sie meinen bestimmt Herrn Bernard. Tut mir leid! Der ist bereits nach Hause gegangen! Kann ich Ihnen weiterhelfen?« »Ich brauche Hilfe. Ich habe ein Messer im Bauch…« Die Dunkelheit lullt mich voll und ganz ein und so merke ich nur noch, dass mir das Telefon lautlos aus der Hand gleitet. Ich sacke auf dem kühlen Boden zusammen, während eine seltsame Stille eintritt. Gabriel. Mit offenem Fenster und lauter Musik bin ich auf dem Weg nach Hause. Der Wind zerzaust mir das Haar und gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Vielleicht ist es aber auch einfach die Vorfreude auf ein schönes Wochenende, dass ich gänzlich allein mit meiner Freundin verbringen werde. Samuel wird dieses Wochenende bei seinem Vater verbringen und so haben wir einfach mal Zeit für uns. In meinem Kopf habe ich schon die tollsten Ideen gesammelt, was wir zusammen unternehmen können. Aber für heute begnügen wir uns mit einem tollen Picknick in meinem Garten. Ich schaue kurz nach hinten in den Korb mit den Leckereien aus dem Feinkostladen, die ich extra vorher noch abgeholt habe. Mein Blick geht wieder nach vorn und um ein Haar werde ich fast von einem vorbeifahrenden dunkelblauen Mercedes gerammt. Ich kann zum Glück rechtzeitig ausweichen und zeige dem Mistkerl den erhobenen Stinkefinger. Verärgert kann ich nur den Kopf schütteln und biege in meine Straße ein. Ich drücke die Fernbedienung, das Tor öffnet sich und ich fahre den Weg nach oben. Schon von weitem kann ich die offene Haustüre sehen, was mich zwar etwas wundert, da Anna mich offiziell noch nicht erwartet. Ich schnappe mir das Körbchen mit den Feinkostwaren vom Rücksitz und schlendere zur Tür. Doch kaum, dass ich den Flur betreten habe … »Anna!«, schreie ich, werfe den Korb achtlos weg und stürze zu ihr auf den Boden! »Anna! Anna! Was ist denn los?« rufe ich, bis mein Blick auf das Messer in ihrem Bauch fällt. Mit zittrigen Händen kann ich noch einen leichten Puls fühlen. Völlig panisch suche ich nach dem Telefon, das leider in Einzelteilen auf dem Boden liegt. Mein Handy »Anna! Anna, bitte bleib bei mir!«, flehe ich. »Ich hole sofort Hilfe!« Doch da höre ich auch schon aus der Ferne das Martinshorn. Wie in Trance gehe ich zum Türöffner und drücke den Knopf, um das Tor zu öffnen. Mit Blaulicht und Sirene prescht der Rettungswagen die Einfahrt hinauf. Ich gehe zurück zu Anna und hoffe, dass es noch nicht zu spät ist. Es sind bange Stunden des Wartens und des Hoffens, die ich mit Eleni und Nele zusammen im Wartebereich der Klinik verbringe. Keiner von uns weiß, wie die Operation ausgehen wird, der sich Anna bereits seit über zwei Stunden unterziehen muss. Abwechselnd laufen wir den Flur rauf und runter und sobald sich eine Tür öffnet, schnellen unsere Köpfe nach oben, nur um festzustellen, dass es keine Nachrichten für uns gibt. Ich will bereits zum dritten Mal nachfragen, als eine junge Ärztin den Warteraum betritt »Sind Sie die Angehörigen von Frau Wagner?« Ich nehme Eleni an der Hand und so treten wir der Ärztin gegenüber. »Ja, das sind wir!« »Ich kann sie vorab schon einmal beruhigen. Frau Wagner befindet sich nicht mehr in Lebensgefahr!« Ein leises Aufschluchzen durchbricht die Stille und Nele dreht sich beschämt weg »Die Operation ist ohne Komplikationen verlaufen. Durch die Stichverletzung wurden Teile des Darms verletzt. Aber durch eine Naht konnten wir die Stelle gut verschließen. Wir werden Frau Wagner aber trotzdem zur Überwachung auf der Intensivstation behalten.« »Können wir zu ihr?«, frage ich nervös nach »Sie können sie kurz sehen, aber sie ist noch nicht ansprechbar, da die Narkose noch nicht vollständig ausgeleitet ist.« Beim Anblick von Anna, umringt von piepsenden Gerätschaften, Schläuchen und bekleidet mit einem weißen Hemd treten mir die Tränen in die Augen. Eleni, die immer noch fest meine Hand umschlossen hält, bricht ebenfalls in Tränen aus. Tröstend nehme ich sie in den Arm und streichle sanft ihren Rücken. Noch nie im Leben habe ich mich so hilflos gefühlt. All mein Geld und meine gesellschaftlichen Kontakte sind hier völlig nutzlos und mir wird mit einem Mal bewusst, wie banal sie doch sind im Vergleich zu der bedingungslosen Liebe zu einem Menschen. Ich trete näher an das Bett heran und streichle Anna sanft über die Wange. Nichts im Leben wünsche ich mir mehr, als dass sie endlich die Augen aufmacht und mich mit ihrem typischen verschmitzten Anna-Lächeln anlacht und so laufen mir die Tränen ungehindert über die Wange. Als die Ärztin uns wenige Zeit später wieder bittet zu gehen, könnte ich vor Wut alles kurz und klein schlagen. Aber mir ist klar, dass ich meinen Unmut in andere Bahnen lenken muss, nämlich auf die Frage nach dem Täter »Gabriel, du wirst auf gar keinen Fall heute in dieses schreckliche Haus zurückkehren! Hast du verstanden!«, weist mich Eleni an, als ich sie nach Hause fahre. Der Gedanke, daran wie Anna dort im Flur lag und sie fast verblutet wäre, lässt mich sofort wieder frösteln. Wie soll ich jemals wieder in dieses Haus zurückkehren, ohne daran zu denken? Als ich vor der Haustüre halte und mich verabschieden will, schaut sie mich fordernd an »Na, was ist los? Mach den Wagen aus und komm’ mit hoch. Heute sollte keiner von uns allein bleiben.« Ich nicke ihr förmlich zu und stelle, wie befohlen, den Motor des Wagens ab. Ich bin gerade auf dem Weg ins Büro, um kurz einige Telefonate zu führen, bevor ich wieder zu Anna ins Krankenhaus fahre. Auf meine Nachfrage im Krankenhaus hin, teilte man mir mit, dass man sich entschlossen habe, Anna nach der Bluttransfusion weiterhin im künstlichen Koma zu belassen, bis sich ihre Blutwerte deutlich verbessert haben. Der Blick in meinen Rückspiegel bestätigt meine Vermutung, dass ich zum Fürchten aussehe, was schließlich kein Wunder ist, da ich die halbe Nacht kein Auge zugetan habe. Eleni ist bereits auf dem Weg in die Klinik, was mich einigermaßen beruhigt, dass Anna jemanden an ihrer Seite hat. Mit hängenden Schultern betrete ich den Eingangsbereich meines Unternehmens und werde dort schon von meiner neuen Sekretärin in Empfang genommen »Guten Morgen Herr Bernard, ich bin ja so froh, dass sie endlich kommen!«, begrüßt sie mich ganz aufgeregt und erinnert mich dabei an ein aufgescheuchtes Huhn »Guten Morgen Frau Weiland!«, erwidere ich ihren Gruß und will mich schon auf den Weg in mein Büro machen, als ich von ihr aufgehalten werde »Ich habe gestern ein Dutzend Mal versucht Sie telefonisch zu erreichen, aber leider ohne Erfolg!«, holt sie aus und rudert wie wild mit ihren Armen. »Da hat gestern eine junge Frau angerufen … ein ganz merkwürdiger Anruf war das!« Ich halte in meiner Bewegung inne und stutze » … sie wollte unbedingt Sie sprechen, aber sie waren ja leider schon außer Haus, was ich ihr ja dann auch sagte und dann meinte sie …. das müssen Sie sich mal vorstellen, sie habe ein Messer im Bauch!« Ein harter Knoten bildet sich in meinem Magen und mir bleibt vor Schreck der Mund offen stehen » … und dann war plötzlich die Leitung tot … ganz komisch. Aber ich habe mich dann an eine Folge vom „Tatort“ erinnert, als die Maria Furtwängler den Anruf zurückverfolgt hat …« »Frau Weiland, bitte kommen Sie zum Punkt!« »Ach ja … nun da habe ich kurzerhand die Nummer zurückverfolgt und festgestellt, dass der Anruf aus ihrem Haus gekommen ist. Wissen Sie, die junge Frau hat ja so verzweifelt geklungen, dass ich den Rettungsdienst verständigt habe und zu Ihrer Adresse geschickt habe … mein Mann meinte dann später daheim, ich sei ein komisches Weib, das zu viel fernsieht und halluziniert und …« »Frau Weiland!«, falle ich ihr ins Wort. »Wissen Sie eigentlich, dass sie vermutlich mit dieser Aktion meiner Freundin das Leben gerettet und mich zum glücklichsten Menschen aller Zeiten gemacht haben?« Völlig verdattert sieht sie mich durch ihre rahmenlose Brille an und blinzelt ein paar Mal verwirrt. Aus einem spontanen Impuls heraus, trete ich zu ihr hinter den Schreibtisch und umarme sie. Da meine Sekretärin mit meinem abrupten Gefühlsausbruch gar nichts anfangen kann, tätschelt sie mir nur unbeholfen den Rücken, bis ich sie wieder loslasse. Als ich kurze Zeit später an meinem Schreibtisch sitze und mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen lasse, steht für mich eines fest. Diese gutmütige, wenn auch leicht verpeilte Dame da draußen, ist mein persönlicher Engel. Gott allein weiß, warum er sie mir geschickt hat, aber eins ist klar, wäre sie nicht gewesen, hätte Anna diese Messerattacke vielleicht nicht überlebt. Schon seit drei Stunden sitze ich hier am Krankenbett und warte, dass sie endlich die Augen aufschlägt. Die Ärzte haben grünes Licht gegeben, sie aus dem künstlichen Schlaf zurückzuholen und nun heißt es warten. Wie sie in diesem Bett liegt, so blass und mit diesen ekligen Schläuchen bestückt, hat sie mit der jungen lebendigen Frau, die sie eigentlich ist, nichts mehr gemein. Immer wieder streichle ich ihr die Wange und drücke sanft ihre Hand. Bis zu diesem schrecklichen Tag, an dem ich Anna fast verloren habe, war mir gar nicht klar, wie tief meine Liebe zu ihr ist. Obwohl wir uns nicht allzu lang kennen, kann ich mir ein Leben ohne sie überhaupt nicht mehr vorstellen … was auch heißen würde, dass … «. Ich kann meinen Gedankenzug gar nicht erst zu Ende denken, weil in diesem Moment ganz leicht meine Hand gedrückt wird. Mein Kopf fährt hoch und grüne Augen schauen mich müde an. Ihre wunderschönen Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln und mein Herz klopf wie wild »Mein Schatz du bist wach!«, stottere ich aufgeregt und beuge mich vorsichtig zu ihr hinunter, um sie auf die Wange zu küssen »Was ist denn passiert?«, fragt sie irritiert und ihr Blick fällt auf den Drainageschlauch, der aus ihrem Unterbauch heraushängt »Du wurdest niedergestochen. Kannst du dich noch daran erinnern?« Sie blinzelt ein paar Mal und es vergehen bange Sekunden, bis sie antwortet »Ja, ich glaube schon. Die Postbotin hat ein Paket für dich gebracht!« »Welche Postbotin?«, frage ich irritiert »Es hat geklingelt und du weißt ja, dass ich mich mit deiner Anlage nicht so gut auskenne. Ich habe sämtliche Knöpfe gedrückt und vermutlich den einen erwischt, der das Tor geöffnet hat, um sie reinzulassen. Als ich dann die Haustür geöffnet habe, hat sie einfach zugestochen.« »Hast du gesehen, wer es war?« »Leider nicht! Ihr Sonnenhut war so tief ins Gesicht gezogen, dass ich nichts erkennen konnte.« »Ich werde nachher mal meine Überwachungsaufnahmen durchsehen. Vielleicht kann man darauf etwas erkennen. Aber jetzt gerade bin ich einfach nur froh, dass du wieder wach bist und es dir gut geht.« »Was ist mit mir passiert?«, erkundigt sie sich ängstlich und nestelt an ihrer Bettdecke herum »Das Messer hat deinen Darm verletzt, aber die Ärzte konnten in einer Notoperation die Stelle verschließen. Du wirst dich eine ganze Weile schonen müssen«, erkläre ich ihr und hoffe, dass meine Stimme nicht zu sorgenvoll klingt. Ihr gegenüber möchte ich den starken und positiv gestimmten Macher raushängen lassen, damit sie sich keine Sorgen machen muss. Aber tief in mir sieht es ganz anders aus. Vor lauter Sorge um sie kann ich kaum eine Nacht schlafen. Ständig wache ich auf und träume immer wieder denselben Traum, Anna blutverschmiert in meiner Diele liegend und ich kann sie nicht retten. Die Krankenschwester betritt den Raum, gefolgt von einem älteren Herrn mit Vollbart »Entschuldigen Sie! Das hier ist Herr Wolfsberger! Er ist von der Kriminalpolizei und hat einige Fragen.« Schnell erhebe ich mich, um den Herrn zu begrüßen. Mit seiner bärenhaften Statur und der dazu passenden Körpergröße von etwa 1,90 m wirkt er ziemlich furchteinflößend. Er nimmt auf einem Stuhl Anna gegenüber Platz und stellt ihr Fragen zum Tathergang. Mir gegenüber verhält er sich sehr einsilbig und gibt mir deutlich zu verstehen, wer hier mit wem das Gespräch führt. Auf meinen Einwurf allerdings, dass ich Videoaufnahmen vom Eingangsbereich habe, reagiert er hellhörig. Mit der Vereinbarung, dass ich noch heute Nachmittag zusammen mit seinem Kollegen die Aufnahmen der Überwachungskamera sichten werde, verabschiede ich mich von Anna und dem Bärenmann und verlasse die Klinik »Können Sie die letzte Sequenz nochmals zurückfahren? Ich würde mir gern den Wagen im Hintergrund anschauen«, bittet mich Herr Arndt und ich tue ihm den Gefallen. Zum Glück ist Herr Arndt ein viel umgänglicher Zeitgenosse als sein Kollege Wolfsberger. Ich schätze ihn auf ungefähr Ende Dreißig, aber seine schon leicht ergrauten Haare lassen ihn deutlich älter wirken »Kennen Sie diesen dunkelblauen Mercedes?« Achselzuckend schaue ich noch einmal genauer hin. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl diesen Wagen schon einmal gesehen zu haben »Ich glaube, er kam mir am Tattag entgegen und hat mich fast in der Kurve gerammt.« »Konnten Sie jemanden am Steuer erkennen?« »Leider nein! Es ging alles viel zu schnell.« Enttäuscht lässt Herr Arndt die Aufnahmen zum wiederholten Male vor- und zurücklaufen, was uns leider nicht wirklich weiterhilft. Die Person, die auf dem Video zu sehen ist, trägt einen überdimensional großen Sonnenhut, der die Sicht auf das Gesicht verdeckt »Nun fassen wir mal zusammen, was wir bisher haben.«, schlägt Herr Arndt vor und wippt auf seinem Stuhl vor und zurück. »Der Täter, vermutlich eine Frau, wusste mit großer Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Überwachungskamera haben, wofür diese abstruse Kopfbekleidung spricht. Wir vermuten zudem, dass der Anschlag Ihnen galt, weil niemand wusste, dass Frau Wagner sich an diesem Tag in Ihrem Haus aufhalten würde. Wir sprachen auch schon über Personen in Ihrem näheren Umfeld, die Ihnen nicht wohlgesonnen sind oder sonst wer, der Gründe hätte so etwas zu tun.« »Wie schon gesagt, ich bin Unternehmer und habe in meiner Karriere schon des Öfteren Leuten den Tag versaut.« »Kann ich mir gut vorstellen«. Er erhebt sich schließlich und hält mir seine Visitenkarte hin. »Ich werde Sie jetzt verlassen. Falls Ihnen noch etwas einfällt, meine Nummer steht auf der Karte! Und passen Sie gut auf sich auf!« »Obwohl das hier mein Zuhause ist, fühle ich mich in meinen eigenen vier Wänden plötzlich nicht mehr sicher. Können Sie das verstehen?« »Da geht es nicht nur Ihnen so. Die meisten Menschen, die Opfer von Gewaltverbrechen im eigenen Hause wurden, ziehen über kurz oder lang weg.« »Hmmm. Daran habe ich noch gar nicht gedacht!«, erwidere ich und bringe den Kommissar zur Tür. Seit einer geschlagenen Stunde trainiere ich mir den Frust auf der Hantelbank meines kleinen Fitnessraumes von der Seele. Dieser verdammte Mercedes will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Ich weiß ganz genau, dass ich dieses Auto mit dem auffälligen Spoiler schon einmal irgendwo gesehen habe, aber wo? Völlig verschwitzt und ausgepowert trete ich unter die heiße Dusche, als mir plötzlich aus heiterem Himmel ein Gedanke kommt. Ein furchtbarer Gedanke. Schnell dusche ich fertig, schlüpfe frisch abgetrocknet in meine Kleider und schnappe mir das Telefon. Ich scrolle mich durch meine Kontakte bis ich auf „Falkenberg“ stoße »Hallo Axel!«, melde ich mich, sobald er abgehoben hat »Gabriel, das ist ja eine Überraschung! Was kann ich für dich tun?«, entgegnet er völlig ahnungslos »Ich habe eigentlich bloß eine Frage, aber das Ganze ist ziemlich pikant.« »Na da bin ich aber gespannt. Schieß’ los!« »Du fährst doch einen blauen Mercedes, nicht wahr?« »Ja, warum?« »Hast du deinen Wagen vor zwei Tagen an Marlene ausgeliehen?« Am anderen Ende der Leitung herrscht plötzlich Stille. Nur das leise Schnaufen von meinem Gesprächspartner ist zu hören und damit hat sich mein Verdacht bestätigt. Ich scheine auf der richtigen Fährte zu sein »Wie kommst du darauf, dass ich Marlene meinen Wagen gebe und überhaupt … wieso sollte ich?«, hakt er nach und klingt zunehmend nervöser »Axel, ich möchte das ungern am Telefon mit dir besprechen. Können wir uns heute noch treffen?« Trotz leichtem Widerwillen willigt er ein und so treffen wir uns eine Stunde später in einer kleinen Kneipe. Wir verzichten auf eine große Begrüßungszeremonie und kommen ohne großes Geplänkel sofort zur Sache »Spann’ mich nicht noch mehr auf die Folter und sag’ endlich was los ist«, fordert mich Axel auf. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt und doch muss ich an mich halten »Ich weiß, dass du mit Marlene ein Verhältnis hast, aber das ist mir auch egal. Darum geht es heute nicht. Meine Freundin wurde vor zwei Tagen von einer Unbekannten mit einem Messer niedergestochen. Auf den Aufnahmen meiner Überwachungskamera ist ein dunkelblauer Mercedes zu sehen. Ich glaube, dass es sich dabei um deinen Wagen handelt. Darum frage ich dich jetzt noch einmal. Hast du Marlene den Wagen ausgeliehen?« Eine Mischung aus Verzweiflung und Wut spiegelt sich auf Axels Gesicht wieder. Ich merke, wie er mit sich ringt, ob er mir die Wahrheit erzählen soll oder nicht »Falls es dein Wagen ist, dann können wir davon ausgehen, dass Marlene die Unbekannte war, die versucht hat, meine Freundin zu töten! Verstehst du das, Axel? Hier geht es also nicht darum, ob du eine Affäre hattest und deine Frau davon nichts erfahren soll, sondern um die Vertuschung einer Straftat.« Zorn blitzt in seinen Augen auf, als er antwortet »Du weißt ja gar nicht wie das ist, wenn man ein Gefangener in seiner eigenen Ehe ist. Ich muss bei Eva bleiben, ob ich will oder nicht. Sonst ist meine Firma weg. Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe, als Marlene anfing mir schöne Augen zu machen. Ich habe mich das erste Mal seit langer Zeit wieder wie ein richtiger Mann gefühlt.« »Axel, ich werde dich deswegen nicht verurteilen. Es ist mir wirklich egal ob und was ihr beide miteinander hattet. Für mich zählt einzig und allein, dass Marlene, falls sie es war, nicht ungeschoren davonkommt. Sie hat aus Rache, weil ich ihr gekündigt habe, einen Menschen niedergestochen. Ist dir das eigentlich klar?« Axel klopft unruhig mit seinen Fingerspitzen auf der schäbigen Tischplatte herum. Mittlerweile habe ich fast schon den Eindruck, dass er nun gar nichts mehr sagen möchte. Doch plötzlich räuspert er sich »Ja, sie hat meinen Wagen ausgeliehen!«, gesteht er mit hängenden Schultern. »Sie hat mich angerufen und mir irgend so eine Geschichte erzählt, dass ihr Wagen in der Werkstatt sei und sie zu ihrer kranken Mutter ins Krankenhaus müsse. Mit keiner Silbe hat sie erwähnt, dass du sie entlassen hast … und ich gutmütiger Trottel habe ihr die Geschichte natürlich sofort abgenommen.« Frustriert nippt er an seinem Bier und taxiert mich mit seinem Blick »Was passiert jetzt? Muss ich das bei der Polizei zu Protokoll geben?« »Ich fürchte schon. Aber vielleicht können Sie ja deinen Namen bei der ganzen Sache aus dem Spiel lassen … wegen deiner Frau.« »Vielleicht muss es so sein, dass sie es erfährt. War mir eigentlich schon klar, dass mein kleines Geheimnis irgendwann herauskommt. Lass’ uns zahlen, damit ich es hinter mich bringen kann.« Es ist bereits kurz vor zwanzig Uhr, als ich in meinem Wagen Richtung Krankenhaus fahre. Meine Gefühle toben in einem riesigen Chaos aus ungläubiger Freude, dass die Täterin überführt werden konnte und überwältigender Trauer, dass ein Mensch, den ich so gut kannte, zu so etwas Grausamen fähig war. Vermutlich bin ich schuld, dass Marlene durchgedreht ist. Hätte ich nicht die folgenschwere Entscheidung getroffen, sie zu entlassen, wäre Anna jetzt nicht im Krankenhaus. Mein schlechtes Gewissen wird immer stärker und bildet sich wie ein Klumpen in meinen Eingeweiden aus. Anna. Vorsichtig setze ich mich am Bettrand auf und versuche auf eigenen Beinen zu stehen, was nicht so einfach ist, wenn man sämtliche Schläuche mit sich trägt. Meine Mutter und Nele waren die letzten drei Stunden bei mir und versuchten mich aufzumuntern. Nele hat sich extra eine „Witze-App“ runtergeladen und uns mit grottenschlechten Witzen bombardiert. Bei dem Gedanken daran, wie viel Mühe sie sich mit mir gibt, muss ich lächeln. Wenn es einen Preis für das Entertainment des Tages geben würde, dann wäre Nele die Preisträgerin. Meine Mutter versucht es da eher mit mütterlicher Fürsorge. Sie ist extra bei Tasty Donut vorbeigefahren, um mir meinen Lieblingsmuffin mit Vanillepudding zu holen, den ich erstmal auf den Beistelltisch verbannt habe, da mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht nach Essen zumute ist. Innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden wurde mein Leben völlig auf den Kopf gestellt und das muss ich erstmal verdauen. Allein die Tatsache, dass ich niedergestochen wurde, macht mir höllische Angst, da man scheinbar auch nicht weiß, wer es war. Und dann noch die Botschaft, die mir der Assistenzarzt heute Morgen überbracht hat, verursacht mir große Übelkeit, im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Worte hallen nach wie vor in meinem Kopf nach »Sie haben wirklich Glück gehabt. Ihrem Baby geht es nach wie vor gut.« »Dem was? Wovon reden Sie?« »Von Ihrer Schwangerschaft!« »Aber das kann nicht sein. Ich bin nicht schwanger!« »Das tut mir leid, dass ich Ihnen das sagen muss, aber ihre Blutwerte und die Ultraschalluntersuchung sprechen eine andere Sprache. Sehe ich das richtig, dass diese Schwangerschaft nicht geplant war?« »Nein, das war es nicht!« Du Schlaumeier! gab ich brummend zurück. »Wie weit bin ich?« »Das wird Ihnen sicherlich unser Gynäkologe nach einer Untersuchung sagen können!« Ich hätte gern mein Gespräch mit dem netten Herrn Doktor fortgeführt, aber leider betraten in diesem Moment Nele und meine Mutter das Zimmer »Haben Sie noch Fragen?« erkundigte er sich noch schnell mit einem zwiespältigen Blick auf meine Verwandtschaft. Auf mein Kopfschütteln hin verließ er dann mein Zimmer und ließ ein Häufchen Anna im Elend zurück. Natürlich hatte ich in diesem Moment einfach keine Kraft mich den Beiden mitzuteilen. Meine Mutter, die zwar wieder sämtliche Antennen auf Hochfrequenz eingestellt hatte, schob mein zurückhaltendes Verhalten dann aber auf den tätlichen Angriff und die zurückliegende Operation. Nur mit Mühe und viel falschem Lächeln überstand ich diese Besuchszeit und war wirklich froh, als Beide wieder nach Hause gingen. Da ich nun ganz allein mit meinen Gedanken hier in diesem tristen Patientenzimmer sitze, wird mir die Tragweite dieser Schwangerschaft erst richtig bewusst. Ich werde Gabriel davon erzählen müssen. Da wir vorher noch nie über eigene Kinder gesprochen haben, weiß ich nun wirklich nicht, wie er reagieren wird. Ist unsere Beziehung wirklich schon so gefestigt, dass man gemeinsam ein Kind aufziehen kann? Und die Gretchenfrage .. will er überhaupt ein Kind? Wird er mich zur Abtreibung zwingen? All diese Fragen rattern mir immer und immer wieder durch meinen Kopf, als ein leises Klopfen mich aus meinen jämmerlichen Gedanken reißt. In seiner ganz typischen lässigen Art lehnt Gabriel im Türrahmen und sein Blick ruht auf meinem Gesicht. Mir wird zunehmend mulmig. Ob dieser Mann auch Gedanken lesen kann? Vorsichtig setzt er sich zu mir ans Bett, in der Hand einen großen Strauß roter Rosen. Er küsst mich zärtlich, was mein inneres Ungleichgewicht noch verstärkt. Gleich ist Schluss mit Romantik, wenn du erstmal die Wahrheit weißt, mein Lieber. Meine Hände beginnen unwillkürlich zu zittern »Schhhh! Beruhig dich erstmal! Du zitterst ja ganz«, versucht er mich zu beruhigen. »Ich habe eine gute Nachricht für dich.« Ich werde hellhörig. Von „guten“ Nachrichten habe ich vorerst mal genug »Du brauchst keine Angst mehr zu haben … die Polizei hat die Täterin gefasst!« »WAS?« Ich schlage schockiert die Hände vor den Mund »Aber wie? Und vor allem wer?«, stottere ich ungläubig »Es war Marlene!« Mein erster Gedanke ist, dass ich mich verhört haben muss »Sie wollte sich … rächen und hat sich von einem ihrer Liebhaber den Wagen ausgeliehen, um unerkannt zu meinem Haus zu fahren. Ich habe das Auto auf den Überwachungsaufnahmen erkannt. Tja, und so kam es dass Marlene vor einer halben Stunde von der Polizei abgeführt wurde.« Allmählich sickert diese Meldung in mein Hirn und ich bin sprachlos. Mir war zwar klar, dass sie nicht ganz normal ist, aber dass hinter dieser perfekten Fassade eine Frau steckt, die vor nichts und niemandem zurückschreckt, war auch mir nicht bewusst. Obwohl Gabriel erleichtert aussieht, merke ich dennoch ganz genau, dass hier mehr dahintersteckt. Schließlich haben die beiden eine gemeinsame Vergangenheit und ich bin der Auslöser für diese gemeine hinterhältige Tat »Wie fühlst du dich heute?«, fragt er mich besorgt »Eigentlich ganz gut. Ich liebe dieses Schmerzmittel.», versuche ich zu scherzen. »Aber wie geht es dir?« »Ich werde noch eine Weile daran zu knabbern haben, dass ich mich so sehr in einem Menschen getäuscht habe. Aber ich bin wirklich erleichtert, dass der Täter geschnappt ist. Ich hatte seither keine ruhige Minute mehr … aus Angst, dass dir noch einmal so etwas zustoßen könnte.« Er atmet hörbar aus und fährt sich hektisch durch seine dunkle Haarpracht. »Ich möchte dich nie wieder verlieren, Anna!« Meine Augen werden feucht und ich nehme seine Hand in meine. Den Wunsch ihm heute über das Baby zu erzählen, verwerfe ich vorerst. Viel zu schön ist der Moment, den wir beide gerade haben und zudem möchte ich erst die gynäkologische Untersuchung abwarten. Vor einer Stunde wurde ich auf „Normalstation“ verlegt, was auch gut so ist, denn diese ständige Überwachung durch die Intensivschwestern und –pfleger ging mir mit der Zeit echt auf die Nerven. Nun teile ich mein Zimmer mit einer etwa 80-jährigen Dame, die ständig nach der Schwester klingelt und einer ca. 50-jährigen Türkin, die inzwischen ihren achten Besucher begrüßt. Das kann ja heiter werden. Ich mampfe gerade meinen vertrockneten Donut, der noch vom gestrigen Tag übriggeblieben ist, als Nele anruft. Diese Frau schickt der Himmel »Hallo Süße, wie sieht’s denn aus?« »Ich bin endlich verlegt worden. Die Stationsärztin meinte, dass ich vielleicht schon in zwei bis drei Tagen entlassen werden kann.« »Das freut mich für dich! Wie geht’s dir denn?«, erkundigt sie sich und ich schwanke, ob ich ihr eine Lüge auftischen oder bei der Wahrheit bleiben soll. Aber um ehrlich zu sein, brauche ich dringend eine Zweitmeinung »Also bauchtechnisch geht es mir einigermaßen gut, bloß habe ich jetzt ein ganz anderes Problem.« »Und das wäre?« Ich versuche so leise wie möglich zu sprechen und drehe mich vorsichtshalber weg, damit niemand mein Gespräch belauschen kann »Oh Nele! Ich möchte dir das eigentlich gar nicht am Telefon sagen, aber ich muss mit jemanden darüber reden.« »Oje, das hört sich aber gar nicht gut an!«, erwidert sie besorgt und ich kann schon förmlich ihre steile Sorgenfalte vor mir sehen. »Nun aber raus mit der Sprache!« »Ich bin schwanger!« »Du bist was?«, brüllt sie in den Hörer. »Wiederhol’ das noch einmal!« »Du hast schon richtig gehört! Ich bin schwanger. Der Arzt war gestern bei mir und erklärte mir ganz beiläufig, dass meinem Kind bei der Messerstecherei nichts passiert sei. Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie schockiert ich war.« »Oh ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen!«, antwortet sie mitfühlend. »Weiß es Gabriel schon?« »Da wären wir schon beim nächsten Problem. Ich weiß gar nicht wie er dazu steht. Wir haben noch nie darüber gesprochen.« »Ach, Reden wird völlig überbewertet. Bei all dem Versöhnungssex in der letzten Zeit, seid ihr ja sowieso kaum zum Quatschen gekommen«, meint sie ironisch »Nele, du bist so blöd! Ich brauche jetzt wirklich dringend die ehrliche Meinung von einer richtigen Freundin, also hör mit diesem Geschwafel auf. Mir geht es nämlich gerade wirklich beschissen.« »Mensch Anna, ich wollte dich doch nur aufziehen. Meinst du ich lass’ dich da jetzt hängen.« »Nein, das glaub ich nicht, aber ich bin leider gerade etwas … angespannt!«, versuche ich mich zu verteidigen »Als erstes sage ich dir, dass ich mich, auch wenn’s etwas überraschend ist, wirklich über dieses Baby freue. Und zweitens glaube ich, dass es Gabriel ähnlich gehen wird und drittens, falls es ihm doch nicht passt, hast du ja immer noch mich. Und natürlich Sammy! Apropos Sammy, wie hat er es eigentlich aufgenommen, dass du im Krankenhaus liegst?« »Samuel ist ja, wie du weißt, die gesamte Woche bei Patrick gewesen. Zum Glück, wie ich sagen muss, sonst hätte er alles hautnah miterlebt. Ich habe mit Patrick telefoniert und wir haben uns darauf geeinigt, Samuel zu seinem eigenen Schutz nur die halbe Wahrheit zu sagen. Er denkt jetzt, dass ich wegen eines Magen-Darmes-Infektes im Krankenhaus liege.« »Clevere Entscheidung!«, bemerkt sie. »Nun zurück zu Gabriel. Ich finde, dass er die Wahrheit verdient hat. Du hast ihm schon einmal ein Kind vorenthalten. Mach nicht wieder den gleichen Fehler.« Ich lasse mir ihre Worte durch den Kopf gehen und stimme ihr voll und ganz zu »Ich bin so froh, dass es dich gibt! Du glaubst gar nicht, wie gut mir dieses Gespräch getan hat.« »Du weißt, dass ich immer für dich da bin, Anna!« »Ja, das weiß ich.« »So und nun ist Schluss mit Trübsal blasen. Kurier dich aus, damit du bald wieder nach Hause kommst.« Das ist die Nele, die ich in solchen Fällen immer brauche. Die mir den Kopf wäscht und mich auf den richtigen Weg bringt »Ich habe dich lieb!«, nuschle ich noch schnell ins Telefon, ehe ich auflege. Gabriel und ich im Rollstuhl, haben uns einen schattigen Platz unter einer Pergola in der krankenhauseigenen Parkanlage gesucht. Wir sprechen über Marlene. Das ist für uns beide wie eine Art Therapie, mit dem ganzen Desaster, das sie angerichtet hat, umzugehen. Gabriel erzählt mir von seiner neuen Sekretärin und nun, da er sie erwähnt, kann ich mich auch noch an das Telefongespräch mit ihr erinnern »Wenn ich endlich entlassen werden, wird sie von mir persönlich einen riesigen Blumenstrauß bekommen!« beschließe ich und lasse meinen Blick über die hübsch angelegten Blumenbeete schweifen »Brauchst du nicht! Das habe ich schon erledigt!«, entgegnet er schmunzelnd und drückt mir zärtlich die Hand »Dann lade ich sie eben zum Kaffee ein!« »Aber nur außerhalb ihrer Arbeitszeit!« »Alter Sklaventreiber!« Wir albern herum, als ob wir gerade im Stadtgarten bei einem Picknick säßen. Darum möchte ich ungern die Stimmung kaputt machen, aber dieses ungute Gefühl lässt mich einfach nicht los, dass ich ihm schon wieder etwas verheimliche. Ungeduldig beginne ich mit meinen Füßen zu wippen »Gabriel, es gibt etwas, dass ich dir sagen muss und ich weiß leider nicht wie ich anfangen soll.« »Seit wann bist du denn so zimperlich?«, meint er schelmisch, bemerkt aber sofort meine niedergeschlagene Stimmung »Hat es etwas mit uns zu tun?«, fragt er besorgt »Nicht, was du denkst! Ich werde dich nicht verlassen!«, versuche ich ihn sofort zu beruhigen. Gabriels Schultern entspannen sich merklich »Es ist so, dass …« »Stopp! Bevor du weitersprichst, möchte ich dir etwas sagen!«, unterbricht mich Gabriel. Er setzt sich aufrecht hin und nimmt mich an meinen Händen. »Anna, als ich dich dort in meinem Flur blutend aufgefunden habe, dachte ich, dass du sterben musst. Mir wurde plötzlich bewusst, wie wenig Zeit wir bisher miteinander hatten und dass diese Zeit viel zu kurz war. Mir wurde auch klar, dass ich nie wieder ohne dich sein möchte.« Er hält kurz inne und kniet sich vor mich auf den Rasen. »Kurz gesagt möchte ich dich fragen, ob du meine Frau werden möchtest?« Völlig überrascht bleibt mir der Mund offenstehen und ich starre ihn einige Sekunden an. Ich sehe seine Anspannung, die sich bis in seine dunklen Haarspitzen zieht. Ich wäge kurz ab, ob ich „nein“ sagen soll, aber Gabriel ist alles was ich will »Ja, das will ich!«, antworte ich lachend und falle ihm stürmisch um den Hals »Ich dachte schon, du antwortest gar nicht mehr«, gibt er zu. »Du hast mich ganz schön auf die Folter gespannt!« »Ich war einfach überrumpelt.« Ich schaue in seine wunderschönen blauen Augen und sehe diese tiefe Liebe, die er für mich empfindet, dass mir der nächste Schritt nun doch nicht mehr so schwerfällt »Gabriel, was ich dir vorhin sagen wollte … der Arzt hat mir gestern etwas mitgeteilt, dass mich etwas aus der Bahn geworfen hat«, beginne ich und ziehe ihn hoch, dass er wieder neben mir auf der Bank Platz nehmen kann. »Er hat mir mitgeteilt, dass ich schwanger bin!« Ungläubig schaut mir Gabriel in die Augen. Bange Sekunden des Wartens »Kannst du bitte was sagen! Dein Schweigen macht mir Angst!«, flehe ich ihn an und kralle vor lauter Nervosität in seinen Oberarm. Und dann kommt die Reaktion, mit der ich am wenigsten gerechnet habe. Gabriel beginnt zu lachen. Ein richtig tiefes, lautes Lachen »Was ist denn daran so lustig?« »Oh Anna!«, jauchzt er und zieht mich aus meinem Rollstuhl. »Mein Schatz, du glaubst ja gar nicht wie froh ich bin. Ich dachte schon, dass du mir mitteilen willst, dass du keine Kinder mehr bekommen kannst.« »Gabriel, ich wurde doch bloß am Darm verletzt!« »Ich war in Biologie nie eine Leuchte!« Unwillkürlich muss ich mitlachen, auch wenn sich dabei prompt meine Wunde meldet. Wir liegen uns in den Armen, während Gabriel immer noch lacht und mir vermutlich hormonbedingt die Tränen kommen »Warum weinst du denn?«, fragt er besorgt und wischt mir vorsichtig die Tränen von den Wangen »Ich kann das alles gar nicht glauben. Noch bis vor einer Stunde hatte ich so große Angst dir die Wahrheit zu sagen und jetzt bin ich so glücklich.« »Und du glaubst gar nicht wie glücklich ich bin. Nicht nur, dass du bald meine Frau wirst, sondern auch, dass ich bald Vater werde und Sammy ein Geschwisterchen bekommt. Wir werden eine richtige Familie werden, wie ich es mir immer schon gewünscht habe.« »Ich hoffe bloß, du fühlst dich jetzt wegen der Schwangerschaft nicht unter Druck gesetzt, mich zu heiraten.« »So ein Quatsch. Ich hätte dich sowieso geheiratet.« »Und wenn ich „Nein“ gesagt hätte?« »Ein „Nein“ würde ich schon gar nicht gelten lassen. Ich hätte dich einfach in ein paar Monaten noch einmal gefragt.« »Du bist ganz schön überzeugt von dir!« »Na klar. Ich kenne doch schließlich meine Vorzüge. So und nun gehst du mal schön wieder zurück in deinen Rollstuhl. Ich schiebe dich in dein Zimmer, damit du ins Bett kommst.« Überglücklich endlich aus der Klinik entlassen worden zu sein, sitze ich in Gabriels Wagen. Während Gabriel meine Tasche im Kofferraum verfrachtet, rutsche ich genervt auf meinem Sitz umher, bis ich endlich eine angenehme und schmerzfreie Sitzposition gefunden habe »Geht es jetzt? »Na klar. Du weißt doch, ein Indianer kennt keinen Schmerz.« »Dann ist ja gut, Apanatschi Halbblut!«, zieht er mich auf und setzt das Auto in Bewegung. Das monotone Motorengeräusch lässt meine Gedanken und Muskeln erschlaffen und ich genieße diese Ruhe nach meinen letzten Tagen in der Klinik. Seit gestern bin ich stolze Besitzerin eines Mutterpasses und hatte auch schon die Möglichkeit unseren kleinen Wurm live zu erleben. Das Bild von Gabriel, als ich ihm das erste Ultraschallfoto gezeigt habe, hat sich in meinen Kopf gebrannt. Tränen standen ihm in den Augen und er sah so glücklich aus. Mit einem Lächeln auf den Lippen schließe ich die Augen und wenige Sekunden später bin ich auch schon eingeschlafen. Gabriel. Ich parke den Wagen am Straßenrand und beuge mich leicht zu Anna hinüber. Das leise Schnarchen, das sie von sich gibt, bringt mich zum Schmunzeln. Wie gern würde ich sie hier und jetzt einfach schlafen lassen. Aber wir beide haben jetzt einen wichtigen Termin, der sich nicht verschieben lässt. Zärtlich streiche ich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und küsse sie auf die Lippen. Wie ich ihre Lippen liebe! »Was ist los?«, murmelt sie überrascht und reißt sogleich die Augen auf »Tut mir leid, dass ich dich wecken muss, aber wir sind da! Wir haben noch einen kleinen Termin.« »Was? Wie? Einen Termin? Mit wem denn?«, fragt sie nach und gähnt einmal herzhaft »Das wirst du schon noch sehen! Aber zuvor muss ich dir leider die Augen verbinden.« Ich ziehe aus dem Handschuhfach eine Augenbinde, an die ich glücklicherweise vor meiner Abfahrt noch gedacht hatte »Was? Eine Augenbinde? Warum das denn?« »Es ist eine Überraschung! Frag nicht nach und tu einfach was ich dir sage!« »Oh … okay!«, stottert sie. Vorsichtig lege ich die Augenbinde um und verlasse den Wagen, um ihr aus dem Auto zu helfen »Was hast du vor, Gabriel Bernard?«, sinnt sie nach, als ich sie am Arm halte »Mach dir gar nicht erst die Mühe. In fünf Minuten wirst du es erfahren!« Dann reiche ich ihr die Hand und wir gehen langsam Schritt für Schritt den bekiesten Weg nach oben. Anna »Wir sind jetzt da! Ich werde dir die Augenbinde abnehmen, in Ordnung?« Ich nicke und drehe mich um, damit Gabriel den Verschluss der Binde lösen kann. Ich blinzle auf, da die grelle Sonne mich blendet und versuche meine Umgebung auszumachen. Wir befinden uns auf einem großen Grundstück mit gepflegter Grünfläche. Eine verklinkerte Mauer umgibt das Areal und wie ich vermute sind wir eben durch das schmiedeiserne Tor am Ende des Weges auf das Grundstück gelangt. Langsam drehe ich mich um und finde mich vor einem der schönsten Häuser wieder, die ich je in Stuttgart gesehen habe. Eine Landhausvilla im toskanischen Stil. Mit offenem Mund mustere ich das Haus und lasse die Eindrücke auf mich wirken. Rustikale und für diesen Baustil typische Rundbogenfenster, eingepasst in einer Fassade aus Ziegelsteinen. Eine schwere dunkle Haustür, ein Relikt aus der toskanischen Architektur eingefasst von zwei Säulen. Ich bin zweifelsohne beeindruckt. Aber der springende Punkt … was mache ich hier? Eine ältere Dame tritt durch die Tür und kommt direkt auf uns zu. Die Ähnlichkeit zu Miss Marple ist frappierend und ich sehe sie schon im Zug nach Paddington »Herr Bernard! Ich habe Sie schon erwartet!«, kommt sie lächelnd auf uns zu. Sie schüttelt erst Gabriel die Hand und dann wendet sie sich mir zu »Lassen Sie mich raten, bei dieser reizenden Begleitung handelt es sich bestimmt um Anna!« Ich nicke freundlich und versuche einzuschätzen, wer sie ist und woher sie meinen Namen kennt. Aber Gabriel, der es nicht für nötig hält, mir die Dame vorzustellen, schaut einfach in der Gegend rum »Aber nun lasst uns doch einfach mal reingehen!« weist sie uns an und tritt voran ins Haus. Wir betreten einen überdimensional großen Flur mit terrakottafarbenen Fliesen. Vermutlich ist meine ganze Wohnung so groß wie dieser Flur, geht es mir durch den Kopf. Miss Marple führt uns nun in den nächsten Raum, wobei es sich vermutlich um das Wohnzimmer mit angrenzendem Esszimmer handelt. Hier wurden dunkle Holzdielen als Bodenbelag verwendet, die dem ganzen noch mehr italienischen Flair verleihen. Im ganzen Raum kann ich keine Möbel, Bilder oder sonstiges ausmachen, was mich zu der Erkenntnis führt, dass hier vielleicht eine Innenarchitektin benötigt wird und somit wird mir dann auch klar, was mein Besuch hier zu bedeuten hat. Ich schaue mich kurz um, während Gabriel mit Miss Marple einen kleinen Plausch über flüchtige Bekannte hält. Dann werden wir weiter in die Küche geführt. Auch diese steht völlig leer »Was sagst du dazu?«, hakt Gabriel an mich gewandt nach »Ich hätte da schon so einige Ideen!« »Ach ja?«, meint er überrascht und zieht mich in eine Umarmung. »Möchtest du dir nicht erst den oberen Stock anschauen oder vielleicht den Pool im Garten, bevor du dich entscheidest?« »Warum sollte ich mich entscheiden? Ich gehe die Einrichtung Zimmer für Zimmer durch und werde Sie mit den Hausherren abstimmen. Darum bin ich ja wohl auch hier.« Gabriel zieht erst erstaunt die Augenbrauen nach oben, und dann beginnt er aus heiterem Himmel schallend zu lachen »Oh Schatz! Dachtest du etwa, dass du heute aus beruflichen Gründen hier bist?« »Ja klar, warum denn sonst?«, antworte ich irritiert »Anna, ich glaube, ich muss dir etwas erklären.« Er zieht mich mit sich in Richtung Terrasse, so dass wir direkt an der riesigen Fensterfront zum angrenzenden Garten stehen »Ich möchte meine Zukunft mit dir, Samuel und unserem Baby verbringen. Das ist vermutlich das Schönste was ich mir in meinem Leben vorstellen kann. Das einzige was zu diesem Glück noch fehlt, ist ein Haus für eine Familie.« »Aber du hast doch ein Haus!« »Ja, eine Junggesellenbude ohne Seele. Außerdem wurde dort vor kurzem meine Freundin niedergestochen. Glaubst du, dass ich an diesem Ort noch einmal in Frieden leben kann?« Er macht eine kurze Pause und nimmt meinen Kopf in seine Hände »Ich habe, wie du ja weißt, gute Beziehungen und erst vor zwei Wochen bekam ich diese Immobilie zur Vermittlung angeboten. Im ersten Moment war mir nicht klar, dass es vielleicht mal unseres werden könnte, bis ich vor zwei Tagen genau an dieser Stelle stand. Ich konnte uns vier in diesem wundervollen Garten spielen sehen. Während ich mit Sammy Fußballspiele, hast du mit unserer Tochter im Gras gesessen.« »Unsere Tochter?« »Ich glaube, es wird ein Mädchen.« »Aber jetzt für mich noch einmal von vorn. Hab ich dich richtig verstanden? Du möchtest dieses Haus kaufen?« Gehirnzellen, wo seid ihr? »Ja, das habe ich vor. Vorausgesetzt dir gefällt es auch?«, und plötzlich habe ich das Gefühl, etwas Unsicherheit in seinem Blick zu spüren. Er hält mich an den Armen und starrt mich nervös an »Oh Gabriel! Es gefällt mir. Um nicht zu sagen, sehr gut sogar! Ich habe noch nie etwas Schöneres gesehen!«, gestehe ich ihm mit einem Lächeln und auch einer kleinen Träne in meinem Augenwinkel. Erleichtert atmet er auf, nimmt mich fest in seine Arme und dort kann ich endlich meinen Tränen freien Lauf lassen »Schatz, warum weinst du denn schon wieder?« »Erstens bin ich so glücklich und kann das alles gar nicht glauben. Und zweitens bringen mich meine Schwangerschaftshormone ständig zum Heulen.« Gabriel wischt mir lachend die Tränen von der Wange und dreht uns beiden in Richtung des Gartens »So habe ich es mir immer vorgestellt!«, gestehe ich leise »Dann kann ich mich jetzt wohl glücklich schätzen, dass ich nun Teil deiner wahr gewordenen Fantasie geworden bin.«

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