Ungeduld des Herzens
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Stefan Zweig. Ungeduld des Herzens
Ungeduld des Herzens
Über Ungeduld des Herzens
Отрывок из книги
Stefan Zweig
Auch dieses Begebnis ist mir beinahe zur Gänze in der hier wiedergegebenen Form anvertraut worden und zwar auf völlig unvermutete Art. Das letzte Mal in Wien suchte ich abends, von allerhand Besorgungen abgemüdet, ein vorstädtisches Restaurant auf, von dem ich vermutete, es sei längst aus der Mode geraten und wenig frequentiert. Doch kaum eingetreten, wurde ich meines Irrtums ärgerlich gewahr. Gleich von dem ersten Tisch stand mit allen Zeichen ehrlicher, von mir freilich nicht ebenso stürmisch erwiderter Freude ein Bekannter auf und lud mich ein, bei ihm Platz zu nehmen. Es wäre unwahrhaftig, zu behaupten, daß jener beflissene Herr an sich ein unebener oder unangenehmer Mensch gewesen wäre; er gehörte nur zu jener Sorte zwanghaft geselliger Naturen, die in ebenso emsiger Weise, wie Kinder Briefmarken, Bekanntschaften sammeln und deshalb auf jedes Exemplar ihrer Kollektion in besonderer Weise stolz sind. Für diesen gutmütigen Sonderling – im Nebenberuf ein vielwissender und tüchtiger Archivar – beschränkte sich der ganze Lebenssinn auf die bescheidene Genugtuung, bei jedem Nemen, der ab und zu in einer Zeitung zu lesen war, mit eitler Selbstverständlichkeit hinzufügen zu können: »Ein guter Freund von mir« oder »Ach, den habe ich erst gestern getroffen« oder »Mein Freund A hat mir gesagt und mein Freund B hat gemeint«, und so unentwegt das ganze Alphabet entlang. Verläßlich klatschte er bei den Premieren seiner Freunde, telephonierte jede Schauspielerin am nächsten Morgen glückwünschend an, er vergaß keinen Geburtstag, verschwieg unerfreuliche Zeitungsnotizen und schickte einem die lobenden aus herzlicher Anteilnahme zu. Kein unebener Mensch also, weil ehrlich beflissen und schon beglückt, wenn man ihn einmal um eine kleine Gefälligkeit ersuchte oder gar das Raritätenkabinett seiner Bekanntschaften um ein neues Objekt vermehrte.
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Aber schon sind von rechts und links die beiden alten Damen um sie herum, schon fassen, streicheln, umschmeicheln, beschwichtigen sie die Bebende, schon lösen sie ihre Hände, die angekrampften, sanft vom Tisch, und sie fällt wieder in den Fauteuil zurück. Doch das Weinen hält an; eher vehementer wird es, wie ein Blutsturz, wie ein heißes Erbrechen fährt es in einzelnen Stößen immer wieder zuckend heraus. Wenn die Musik hinter dem Paravent (die all das überlärmt) nur einen Augenblick innehält, muß man das Schluchzen bis in den Tanzraum hinüberhören.
Ich stehe da, vertölpelt, erschreckt. Was – was ist denn geschehen? Ratlos starre ich zu, wie die beiden alten Damen die Schluchzende zu beruhigen suchen, die jetzt in erwachender Scham ihren Kopf auf den Tisch geworfen hat. Aber immer wieder neue Stöße von Weinen laufen, Welle nach Welle, den schmalen Leib bis hinauf in die Schultern, und bei, jedem dieser jähen Stöße klirren die Schalen mit. Ich aber stehe gleich ratlos da, Eis in den Gelenken, gewürgt von meinem Kragen wie von einem heißen Strick.
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