Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers

Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers
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Zweigs Erinnerungen an das Europa vor Ausbruch der beiden Weltkriege: Geschrieben im südamerikanischen Exil, ist dieser Blick auf die Heimat – d.h. Wien und Österreich Anfang des 20. Jahrhunderts – ein Zeitzeugenbericht über eben jene «Welt von Gestern», die mit der Machtübernahme Hitlers ein jähes Ende fand. Dabei geht es nicht nur um seine eigene Biographie, sein Leben im alten Wien, sondern um das Schicksal einer ganzen Generation.-

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Stefan Zweig. Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers

Die Welt von Gestern. Erinneurngen eines Europäers

Vorwort

Die Welt der Sicherheit

Die Schule im vorigen Jahrhundert

Eros matutinus

Universitas vitae

Paris, die Stadt der ewigen Jugend

Umwege auf dem Wege zu mir selbst

Über Europa hinaus

Glanz und Schatten über Europa

Die ersten Stunden des Kriegs von 1914

Der Kampf um die geistige Brüderschaft

Im Herzen Europas

Heimkehr nach Österreich

Wieder in der Welt

Sonnenuntergang

Incipit Hitler

Die Agonie des Friedens

Über Die Welt von Gestern. Erinneurngen eines Europäers

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Stefan Zweig

Shakespeare: Cymbeline

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Heute, da das große Gewitter sie längst zerschmettert hat, wissen wir endgültig, daß jene Welt der Sicherheit ein Traumschloß gewesen. Aber doch, meine Eltern haben darin gewohnt wie in einem steinernen Haus. Kein einziges Mal ist ein Sturm oder nur eine scharfe Zugluft in ihre warme, behagliche Existenz eingebrochen; freilich hatten sie noch einen besonderen Windschutz: sie waren vermögende Leute, die allmählich reich und sogar sehr reich wurden, und das polsterte in jenen Zeiten verläßlich Fenster und Wand. Ihre Lebensform scheint mir dermaßen typisch für das sogenannte „gute jüdische Bürgertum“, das der Wiener Kultur so wesentliche Werte gegeben hat und zum Dank dafür völlig ausgerottet wurde, daß ich mit dem Bericht ihres gemächlichen und lautlosen Daseins eigentlich etwas Unpersönliches erzähle: so wie meine Eltern haben zehntausend oder zwanzigtausend Familien in Wien gelebt in jenem Jahrhundert der gesicherten Werte.

Die Familie meines Vaters stammte aus Mähren. In kleinen ländlichen Orten lebten dort die jüdischen Gemeinden in bestem Einvernehmen mit der Bauernschaft und dem Kleinbürgertum; so fehlte ihnen völlig die Gedrücktheit und anderseits die geschmeidig vordrängende Ungeduld der galizischen, der östlichen Juden. Stark und kräftig durch das Leben auf dem Lande, schritten sie sicher und ruhig ihren Weg wie die Bauern ihrer Heimat über das Feld. Früh vom orthodox Religiösen emanzipiert, waren sie leidenschaftliche Anhänger der Zeitreligion des „Fortschritts“ und stellten in der politischen Ära des Liberalismus die geachtetsten Abgeordneten im Parlament. Wenn sie aus ihrer Heimat nach Wien übersiedelten, paßten sie sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit der höheren Kultursphäre an, und ihr persönlicher Aufstieg verband sich organisch dem allgemeinen Aufschwung der Zeit. Auch in dieser Form des Übergangs war unsere Familie durchaus typisch. Mein Großvater väterlicherseits hatte Manufakturwaren vertrieben. Dann begann in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die industrielle Konjunktur in Österreich. Die aus England importierten mechanischen Webstühle und Spinnmaschinen brachten durch Rationalisierung eine ungeheure Verbilligung gegenüber der altgeübten Handweberei, und mit ihrer kommerziellen Beobachtungsgabe, ihrem internationalen Überblick waren es die jüdischen Kaufleute, die als erste in Österreich die Notwendigkeit und Ergiebigkeit einer Umstellung auf industrielle Produktion erkannten. Sie gründeten mit meist geringem Kapital jene rasch improvisierten, zunächst nur mit Wasserkraft betriebenen Fabriken, die sich allmählich zur mächtigen, ganz Österreich und den Balkan beherrschenden böhmischen Textilindustrie erweiterten. Während also mein Großvater als typischer Vertreter der früheren Epoche nur dem Zwischenhandel mit Fertigprodukten gedient, ging mein Vater schon entschlossen hinüber in die neue Zeit, indem er in Nordböhmen in seinem dreißigsten Lebensjahr eine kleine Weberei begründete, die er dann im Lauf der Jahre langsam und vorsichtig zu einem stattlichen Unternehmen ausbaute.

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