Castellio gegen Calvin

Castellio gegen Calvin
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"Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt" ist eine historische Monografie von Stefan Zweig aus dem Jahr 1936. Zweig verschlüsselt darin seine Wahrnehmung des Nationalsozialismus und übt mit der Darstellung der Vorgänge im calvinistischen Genf des 16. Jahrhunderts zugleich Kritik am Totalitarismus der Nazis. 1936 geschrieben, also drei Jahre nach der «Machtergreifung» der NSDAP in Deutschland, behandelt das Buch den Kampf eines «Gewissens gegen die Gewalt», wobei die Figur Calvins eindeutige Parallelen zu Adolf Hitler aufweist. Der schon wuchernde Faschismus in Deutschland dürfte Zweig in tiefe Besorgnis versetzt und dazu veranlasst haben, nach Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam (erschienen 1934) ein zweites Buch zu schreiben, das sich entschieden gegen Intoleranz und menschenfeindliche Ideologien richtet.

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Stefan Zweig. Castellio gegen Calvin

Castellio gegen Calvin

Stefan Zweig. Castellio gegen Calvin. oder. Ein Gewissen gegen die Gewalt

Einleitung

Die Machtergreifung Calvins

Die »discipline«

Castellio tritt auf

Der Fall Servet

Der Mord an Servet

Das Manifest der Toleranz

Ein Gewissen erhebt sich gegen die Gewalt

Die Gewalt erledigt das Gewissen

Die Pole berühren einander

Impressum

Отрывок из книги

»Celui qui tombe obstiné en son courage, qui, pour quelque danger de la mort voisine, ne relâche aucun point de son assurance, qui regarde encore, en rendant l'âme, son ennemi d'une vue ferme et dédaigneuse, il est battu, non pas de nous, mais de la fortune; il est tué, non pas vaincu: les plus vaillants sont parfois les plus infortunés. Aussi y a-t-il des pertes triomphantes à l'envi des victoires ...«

Montaigne

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Gleich die ersten Maßnahmen bezeugen Calvins weitdenkende Logik und zielstrebige Entschlossenheit. »Als ich zuerst in diese Kirche kam«, schreibt er später über diese Genfer Zeit, »gab es dort soviel wie nichts. Man predigte, und das war alles. Man suchte die Heiligenbilder zusammen und verbrannte sie. Aber es gab noch keine Reformation, alles befand sich in Unordnung.« Calvin ist nun ein geborener Ordnungsgeist: alles Ungeregelte und Unsystematische widerstrebt seiner mathematisch exakten Natur. Wenn man Menschen zu einem neuen Glauben erziehen will, so muß man zuerst sie wissen lassen, was sie glauben und bekennen sollen. Sie müssen deutlich unterscheiden können, was erlaubt und was verboten ist; jedes geistige Reich braucht ebenso wie jedes irdische seine sichtbaren Grenzen und seine Gesetze. Schon nach drei Monaten legt Calvin deshalb dem Rat einen Katechismus fertig vor, der mit einundzwanzig Artikeln die Grundsätze der neuen evangelischen Lehre in faßlicher Knappheit formuliert, und dieser Katechismus wird – gewissermaßen als der Dekalog der neuen Kirche – vom Rat mit prinzipieller Zustimmung angenommen.

Aber mit bloßer Zustimmung gibt sich ein Calvin nicht zufrieden; er verlangt restlosen Gehorsam bis auf Punkt und Strich. Ihm genügt es keineswegs, daß die Lehre formuliert sei, denn damit bliebe dem einzelnen immerhin noch etwas Freiheit, ob und inwieweit er sich ihr fügen wolle. Calvin jedoch duldet niemals und in keiner Hinsicht Freiheit in Dingen der Lehre und des Lebens. Nicht eine Spanne Spielraum in geistlichen und geistigen Dingen ist er der innerlichen Überzeugung des einzelnen zu überlassen gewillt; die Kirche hat nach seiner Auffassung nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, unbedingten, autoritären Gehorsam allen Menschen gewaltsam aufzunötigen und sogar die bloße Lauheit unerbittlich zu strafen. »Mögen andere anders denken, ich bin nicht der Meinung, unserem Amte seien so enge Schranken gezogen, daß wir nach gehaltener Predigt, als hätten wir damit schon unsere Pflicht erfüllt, die Hände ruhig in den Schoß legen dürfen.« Sein Katechismus soll keine bloße Richtlinie der Gläubigkeit darstellen, sondern ein Staatsgesetz; darum verlangt er vom Rate, daß die Bürger der Stadt Genf von Amts wegen gezwungen würden, diesen Katechismus einzeln, Mann für Mann, öffentlich zu bekennen und zu beschwören. Zehn zu zehn sollen die Bürger wie Schulknaben, von den »anciens« geführt, sich in die Kathedrale begeben und dort den von dem Staatssekretär vorgelesenen Eid mit erhobener Rechten beschwören. Wer aber sich weigern sollte, diesen Eid zu leisten, der müsse sofort gezwungen werden, die Stadt zu verlassen. Das heißt klar und ein für allemal: kein Bürger darf von nun ab innerhalb der Mauern Genfs leben, der in geistlichen Dingen auch nur um Haaresbreite von den Forderungen und Anschauungen Jehan Calvins abweicht. Es ist in Genf zu Ende mit der von Luther geforderten »Freiheit des Christenmenschen«, mit der Auffassung der Religion als einer individuellen Gewissenssache, der Logos hat über das Ethos, der Buchstabe über den Sinn der Reformation gesiegt. Mit jeder Art der Freiheit ist es in Genf zu Ende, seit Calvin die Stadt betreten hat; ein einziger Wille herrscht jetzt über alle.

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