Отрывок из книги
Titelseite
I.
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Immer wieder torkelt sie auf, die alte, aufgeschwemmte, in Tücher und Unterröcke schwer eingemummte Frau, und schwankt und stapft auf ihren elefantischen Beinen hin und her, daß die Dielen krachen. Immer muß sie wieder das große rote Taschentuch sich vor die Augen stopfen, denn die Tränen schluchzen ihr in den Jubel hinein, immer heftiger gestikuliert sie, und immer muß sie in ihrer tumultuarischen Begeisterung innehalten, um sich wieder hinzusetzen, zu stöhnen, sich zu schneuzen und für neuen Wortschwall Atem zu holen. Und immer fällt ihr noch etwas Neues ein, immer redet und redet und lärmt und jubelt sie und stöhnt und schluchzt durcheinander über ihre gelungene Überraschung. Da plötzlich, in einem Augenblick der Erschöpfung, merkt die Mutter, daß Christine, der sie all diesen Jubel zuwirft, ganz blaß, benommen und geniert dasteht, die Augen verwundert und eher verwirrt, und gar nicht weiß, was sie antworten soll. Das ärgert die alte Frau. Mit Kraft fährt sie noch einmal vom Sessel empor und auf sie zu, herzhaft packt sie die Verstörte an, küßt sie fest und feucht, reißt sie an sich, schüttelt und rüttelt sie hin und her, als wolle sie die Erschreckte aus dem Schlaf aufwecken: »Ja, warum sagst du denn nichts? Wen geht's denn an als dich, was hast denn, du Dummerl? Stehst ja wie ein Holz und sagst nichts und red'st nichts, und so ein Glücksfall! So freu dich doch! Ja, warum freust dich denn nicht?«
Das Reglement verbietet strengstens allen Postangestellten ein längeres Verlassen des Dienstraumes während der Amtsstunden, und auch der wichtigste private Umstand besteht nicht vor dem ärarischen Gesetz: erst das Amt, dann der Mensch, erst der Buchstabe, dann der Sinn. So sitzt nach flüchtiger Unterbrechung die Postassistentin von Klein-Reifling wenige Minuten später wieder pflichtbereit hinter der Glasscheibe. Niemand hat unterdessen nach ihr verlangt. Verschlafen wie vordem liegen die losen Schriftblätter auf dem verlassenen Tisch, stumm und gelb glänzt der abgestellte Telegrafenapparat, der ihr eben noch so viel Hitze ins Blut gejagt, im dämmerigen Raum. Gottlob, niemand ist gekommen, nichts ist versäumt. Guten Gewissens kann die Postassistentin nun der verwirrenden Nachricht nachsinnen, von der sie im Tumult der Überraschung noch gar nicht begriffen hat, ob sie peinlich oder willkommen aus den Drähten ins Haus sprang. Erst allmählich ordnen sich die Gedanken. Sie soll fort, zum erstenmal fort von der Mutter, für vierzehn Tage, vielleicht für länger, zu fremden Leuten, nein, zur Tante Klara, der Schwester ihrer Mutter, in ein vornehmes Hotel. Sie soll Urlaub haben, wirklichen ehrlichen Urlaub, nach unzähligen Jahren einmal ausruhen dürfen, einmal die Welt sehen, etwas Neues, etwas anderes. Sie denkt nach, immer wieder, immer wieder. Es ist eigentlich doch gute Botschaft, und die Mutter hat recht, wirklich, sie hat recht, wenn sie darüber so froh ist. Ehrlich gedacht doch die beste Nachricht seit Jahren und Jahren, die ihr ins Haus kam. Zum erstenmal sich vom Dienst abhalftern zu dürfen, frei sein, neue Gesichter sehen, ein Stück Welt, ist das nicht wirklich Geschenk aus blauem Tag? Und plötzlich klingt sie ihr im Ohr, die staunende, erschreckte, fast zornige Frage der Mutter: »Ja, warum freust du dich denn nicht?«
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