Dringender Verdacht

Dringender Verdacht
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Eine der berühmtesten und erfolgreichsten Krimiserien der Welt – «Sue Grafton wird von Thriller zu Thriller immer noch besser!» (Die Welt)
Was zunächst wie ein Routinefall aussieht, entpuppt sich als wahre Büchse der Pandora: Privatdetektivin Kinsey Millhone soll einen sechs Jahre zurückliegenden ungeklärten Mordfall untersuchen. Doch je länger sie sich mit dem Tod von Isabelle Barney befasst, umso mehr Zweifel kommen ihr. Ist Isabelles Ehemann tatsächlich unschuldig? Und woran ist eigentlich Millhones Vorgänger verstorben, der einst mit den Ermittlungen in dem Fall beauftragt wurde?

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Sue Grafton. Dringender Verdacht

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Zuerst möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich nicht die Erfahrung gemacht habe, dass an der Schwelle des Todes das ganze Leben im Zeitraffer noch einmal vor einem abrollt. Kein lockendes weißes Licht am Ende eines Tunnels, keine warme, diffuse Ahnung, dass meine verstorbenen Lieben drüben auf mich warteten. Ich hörte in meinem Inneren nur ein empörtes Stimmchen, das protestierte: »He, nicht doch. Das ist doch wohl nicht ernst gemeint. Soll das wirklich schon alles gewesen sein?« Am meisten bereute ich, dass ich am Vorabend nicht wie geplant meine Kommode aufgeräumt hatte. Der Gedanke, dass die Menschen, die dein vorzeitiges Dahinscheiden betrauern, gleichzeitig das unauslöschliche Bild deiner zusammengeknüllten Unterhosen mitnehmen, ist ziemlich unangenehm. Man könnte natürlich die Gültigkeit dieser Beobachtung in Frage stellen, da ich ja damals offensichtlich nicht gestorben bin. Aber dennoch – sehen wir den Dingen ins Auge: Das Leben ist ziemlich trivial, und ich vermute stark, dass uns das Sterben auch keinen großen Zuwachs an Weisheit beschert.

Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich bin lizenzierte Privatdetektivin in Santa Teresa, einem Ort fünfundneunzig Meilen nördlich von Los Angeles. Die letzten sieben Jahre hatte ich ein eigenes kleines Büro gleich neben der Hauptstelle der California Fidelity-Versicherungsgesellschaft. Mein Abkommen mit der CF gestand mir die Nutzung einer hübschen Eck-Suite zu. Dafür verpflichtete ich mich, auf einer ungeregelten »Nach-Bedarf«-Basis in suspekten Brand- und Todesfällen für sie zu ermitteln. Anfang November hatte dieses Arrangement ein jähes Ende gefunden, nachdem sie einen superdynamischen Leistungsmaximierungs-Experten aus der Filiale in Palm Springs in die Hauptstelle versetzt hatten.

.....

Auf dem Weg zur Vordertür kam ich am Eingang zum Wohnzimmer vorbei. Ich machte einen kleinen, unautorisierten Abstecher zu dem Ungetüm, das wohl Morleys Lehnsessel gewesen sein musste: der Bezug aus uraltem, rissigem Leder, die Polsterung, die die Umrisse seiner mächtigen Figur nachgeformt hatte. Da stand ein geleerter Aschenbecher, auf einem Tischchen noch die klebrigen Ringe seiner Whiskeygläser. Passionierte Schnüfflerin, die ich bin, untersuchte ich rasch die Schublade des Tischchens und die Sesselritzen. Nichts, natürlich, aber mir war wohler so.

Meine nächste Station war Morleys Büro, das in einer kleinen Nebenstraße im Geschäftsviertel von Colgate lag. Dieses ehemalige Wohnviertel beherbergte jetzt lauter kleine Firmen: Installationsbetriebe, Autozubehörfirmen, Arztpraxen und Maklerbüros. Die früheren Einfamilien-Holzbungalows waren alle nach dem gleichen Muster erbaut. Das Wohnzimmer diente jetzt als Geschäftsraum einer Versicherung oder dergleichen. Im Falle von Morleys Büroadresse war es ein Schönheitssalon, der ihm einen nach hinten gelegenen Raum mit Bad vermietet hatte. Ich ging um das Haus herum zum Seiteneingang. Zwei Stufen führten zu einem überdachten Betonabsatz. Die Eingangstür zum Büro hatte im oberen Teil eine große Milchglasscheibe, durch die ich nichts sehen konnte. Morleys Name stand rechts neben der Tür, auf einem schmalen Schildchen, das aussah, als hätte es seine Frau zur Firmengründung für ihn gravieren lassen. Ich probierte Schlüssel um Schlüssel, aber keiner passte. Ich drehte noch einmal am Türknauf. Die Bude war fester verrammelt als jedes Gefängnis. Ohne groß nachzudenken, ging ich nach hinten, um zu sehen, ob das Fenster offen war. Da fiel mir ein, dass ich mich ja an die Spielregeln halten sollte. So ein Mist, dachte ich. Ich war im Auftrag hier. Ich war berechtigt, die Akten einzusehen, aber nicht, das Schloss zu knacken. Das war doch irgendwie nicht richtig. Wozu dann die ganze langjährige Einbruchspraxis?

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