Отрывок из книги
Sven E. Janssen
In liebevoller Erinnerung an Katrin und Jörg
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Als Jan vielleicht knapp sechs Jahre alt war kaufte ihm Opa Gundermann einen knallblauen Polizei-Tretporsche, das schönste Spielzeug, das er, als Kind, jemals hatte. Dazu bekam er einen weißen Plastik-Helm und einen richtigen kleinen Gestapo-Mantel aus schwarz-braunem Vistram, über den Jan dann noch eine große Spielzeugpistole geschnallt trug. Zum Dank schmiss er seinem Großvater ein paar Tage später im Garten einen Stein an den Kopf, als dieser gerade dabei war, mit einem Holzrechen das Laub zusammenzuklauben. Opa Gundermann blutete wie verrückt und schaute seinen Enkel nur fassungslos an, wobei er immer bleicher wurde. Noch lange Zeit später konnte sich Jan Lübben genau daran erinnern, wie seine Eltern sich damals ernsthaft mit dem Gedanken trugen, ihn in die Kinder-Klapsmühle zu stecken. Freilich rächte sich das Schicksal auf dem Fuß, denn nur wenige Tage danach fuhr er mit seinem blauen Tretauto die steile Hoftreppe der Hindenburgstraße 267 hinunter, die den Vorgarten mit dem hinter dem Haus liegenden Obstgarten verband. Er wollte so, im Selbsttest, den weißen Polizei-Plastikhelm ausprobieren, das Experiment endete mit einem tiefen Loch im Hinterkopf. Manchmal ging Opa Gundermann auch mit seinem Enkel in den Ludwigspark, das war dann immer etwas Besonderes. Der Ludwigspark war ein am Stadtrand gelegener, wunderschöner dichtgrüner, bewaldeter Park, einst Privatgarten einer reichen Fabrikantenfamilie. Im ´Luddwich´, wie die Anlage von den Einheimischen nur genannt wurde, gab es, neben einem herrlichen Spielplatz, auch ein elegantes Kaffeehaus. Dort bestellten sich Opa Wilhelm und Jan stets Fanta und frischgebackene Salzbrezeln, denn im Kaffee Luddwich gab es die besten Brezeln der Welt. Meistens gönnten sie sich danach auch noch ein Stück Käsekuchen oder Sahnetorte.
Die Nachbarschaft in der Hindenburgstraße war strikt in Freund und Feind unterteilt. Rechts neben der Nummer 267 stand die Vorkriegsvilla der Bögerbergs, einer verarmten Ludwigshausner Großbürgerfamilie, die vor dem Kriege sogar ein Hausmädchen hatte. Die alte Frau Bögerberg, die noch alle, ob der alten glanzvollen Zeiten, die ‚Große Bögerberg´ nannten, war Oma Gerlis beste Freundin. Frau Bögerberg war ein ganz dürres, fragil wirkendes Persönchen mit blaugrauem kurzem Lockenkopf. Im Krieg waren ihr zwei Finger an der rechten Hand abgefroren. Dennoch strotzte die gescheite Frau nur so vor Energie. Manchmal musste Jan irgendwelches Zeugs zu den Bögerbergs rüberbringen, dann gab’s immer was für die Spardose, ein Bonbon oder wenigstens einen Keks. Besonders gern mochte er Willibert Bögerberg, den einzigen, schon erwachsenen Sohn der Familie; der machte immer Späße. Als Kind bekam Willibert beim Spielen einen Fußball ins Gesicht und zwar so doll, dass er am Schädel operiert werden musste und dadurch zum Frühinvaliden wurde. In dem Haus links neben der Nummer 267 wohnten die Wischnewkis. Die Wischnewkis waren Flüchtlinge, und so in den Nachkriegswirren aus Ostpreußen vor den Russen abgehauen, um dann irgendwann im Süden zu landen. Frau Wischnewki ging im Krankenhaus putzen, ihr Mann war Heizer bei den Amis. Die Wischnewkis hatten zwei Söhne, den älteren, Franz, den alle nur Bubi nannten, und den jüngeren, Peter. Die Wischnewkis waren einfache und ganz wahnsinnig nette Leute. Die Wischnewki-Söhne wurden zu Jan Lübbens Lieblingsspielkameraden in der Hindenburgstraße. Ein paar Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite, wohnten die Kellermanns. Deren Sohn, Rudolf, war etwa so alt wie Jan Lübben und ein von allen Kindern gefürchteter Feind. Er war größer und stärker als alle anderen und konnte sagenhaft gut mit der Steinschleuder umgehen. Er war auch der erste, der ihm so richtig die Fresse blutig schlug. Noch weiter vorne in der Straße wohnten die Höfler-Buben, die eine eigene Fraktion bildeten, die mit keinem so richtig gutstand. Die Höfler-Buben waren gefürchtete Flitzbogenschützen. Sie hausten in einer düsteren, vierstöckigen, lindgrün gestrichenen Vorkriegsvilla, die auf einem Hügel stand. Von dort aus, im Gestrüpp versteckt, schossen sie auf alles, was sich bewegte. Vielleicht waren sie so zornig, weil es hieß, ihre Mutter sei Bordellvorsteherin in einem der zahlreichen Ami-Puffs, die sich rund um die Ludwigshausner US-Basis angesiedelt hatten. Alles in allem war es eine glückliche, sorgenfreie, rundweg schöne Kindheit, die Jan Lübben in der Hindenburgstraße verlebte.
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