Neue Briefe aus Krähwinkel
Реклама. ООО «ЛитРес», ИНН: 7719571260.
Оглавление
Thilo Koch. Neue Briefe aus Krähwinkel
Neue Briefe aus Krähwinkel
Über Neue Briefe aus Krähwinkel
Отрывок из книги
Thilo Koch
An transatlantischen Enkeln, Tochter, war ich ohnehin nie so sehr interessiert, denn wenn Ihr auch eine Atlantische Generation seid, so kostet es doch immer noch runde 2000 Mark, von Krähwinkel nach New York und zurückzufliegen, und so »teuer« sollten einem die schönsten deutsch-amerikanischen Enkel wieder nicht sein oder werden. Nun, ich hab Dich zwar arglistig aus den Armen dieses Blond-Tropfes in München gerissen, um zu hintertreiben, was Deine Großmutter mütterlicherseits eine Mesalliance genannt hätte; aber es ist perfectly all right with me, daß nun nicht gleich irgendein guy next door Dich ködert und angelt und wer weiß was.
.....
Zwischen 6und 7 kam immer ein sehr junges Mädchen im sehr kurzen Röckchen mit sehr langen Beinen zur Plaza und glitt in herrlich harmonischen Schwüngen über den elektrisch illuminierten Spiegel. Ich sah sie nie mit einem Partner. Vielleicht war es Lolita, bevor sie Vladimir Nabokov kennenlernte. Vor zwei Jahren übrigens hatte ich wieder im RCA-Building zu tun. Ich starrte auf einen Monitor und kommentierte life die Fernsehbilder von einem Begräbnis; sie wurden über Telstar nach Europa gefunkt. Eine junge Frau in schwarzem Schleier ging mit zwei kleinen Kindern an der Hand hinter einem Sarg her, der von sechs Grauschimmeln gezogen wurde, in Washington. Der da mit militärischen Ehren bestattet wurde, war noch drei Tage vorher der mächtigste Mann dieser Erde gewesen. Vier Monate vorher hatte er in der Frankfurter Paulskirche Begriff und Idee der Atlantischen Generation geprägt. Die Schüsse von Dallas töteten mehr als einen jungen Präsidenten. Seit dieser Mann so sterben mußte, liegt für mich ein Schatten über Amerika. Aber jetzt bist Du dort, Tochter, wieder dort, und so wird sie auch für mich wieder dichter, die Faszination Amerika, der so viele Deutsche so widerspruchsvoll und rauschbereit sich ergaben und ergeben.
Nirgendwo kann man einsamer sein als in New York, dem brodelnden melting pot of everything. Aber der Einsame ist empfänglich, und so wirst Du nie wieder so schmerzhaft tief die vertrackte Poesie New Yorks empfinden, die sich gern hinter einer Schwelle von Brutalität verkriecht. Sie senkt sich nieder in die Steinschlucht des Broadway im Dunst der blauen Stunde. Sie scheppert in den abgerissenen Klängen des ursprünglich armenischen Come on in my house, die aus dem Schallplattengeschäft in Greenwich Village dringen. Sie schwingt und singt: in der riesigen stählernen Girlande der George-Washington-Bridge. Sie kreischt auch im Höllenlärm der Subway, in der nach Büroschluß puppenhaft-leblose, marionettenhafte Armeen uptown bewegt werden.
.....