Sklavenjagd
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Im bleichen Licht des Vollmonds lag das langgestreckte Felsmassiv von El Torcal vor Dolores. Plötzlich ein Schatten, eine Bewegung am Rande des Lichtkegels der Scheinwerfer, ein Schlag, der Dolores in die Gurte schleuderte – sie hatte einen Menschen angefahren!
Entsetzt stieg sie aus und sah nach. Ein schwarz gekleideter Mann lag leise stöhnend am Straßenrand. Während Dolores nach ihrem Handy kramte, stürzte eine nackte, athletische junge Frau aus dem Dunkel, die Hände mit einer Kette vor dem Bauch gefesselt und mit einer Eisenkugel, die sie jetzt mehrmals auf den Kopf des Mannes sausen ließ, während sie immer wieder «Es war das dritte Mal!» schrie – bis er vollkommen leblos war.
Sklavenjagd – so heißt das Gesellschaftsspiel, das sich die gelangweilte Schickeria der Superreichen an der Costa del Sol einfallen ließ, jene High Society, die schon alles hat und immer nach einem weiteren Kick sucht. Übersteht die Sklavin, das «Wild», eine Nacht nahe den Wildwest-Kulissenstädten der Felsenberge über der Küste, ohne gefangen zu werden, bekommt sie 100.000 Euro. Andernfalls muß sie 24 Stunden lang als Sklavin ihrem «Jäger» zu Willen sein. Bei der zweiten Jagd winkt eine Million Euro – oder eine Woche Sklaverei. Bei der dritten Jagd geht es um alles oder nichts: Zehn Millionen – oder lebenslange Sklaverei.
Niemals würde ich mich freiwillig zu so einer Jagd melden, dachte sich Dolores entrüstet, als ihr Wochen nach dem Vorfall in der Nacht diskret ein solches Angebot gemacht wurde. Wochen später meldete sie sich freiwillig zu ihrer ersten Jagd …
Отрывок из книги
Tomás de Torres
Sklavenjagd
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Und plötzlich erfasste sie ein Schwindelgefühl, und sie spürte eine Art geistiges Ziehen – etwas, das sie schon seit über einem Jahr nicht mehr gefühlt hatte, seit ihrer Therapie, und das niemals wieder fühlen zu müssen sie so sehr gehofft hatte. Ihr schien, als stürze sie in die Unendlichkeit, als werde sie rasend schnell kleiner, bis sie nur noch einen winzigen Punkt in einem endlosen Kosmos bildete – etwa so, wie wenn in einem Film die Kamera zunächst unmittelbar über dem Hauptdarsteller ruht, dann jedoch mit der Geschwindigkeit eines Düsenjägers nach oben schießt und dabei immer mehr von dessen Umgebung ins Bildfeld bringt, bis schließlich der ganze Erdball sichtbar ist. Eine Einstellung, die stets unendliche Einsamkeit symbolisiert.
Und unendlich einsam fühlte sich Dolores auf jener Straße in den Bergen, zwischen ihrem Wagen und der schrecklich zugerichteten Leiche des Mannes, den sie angefahren hatte, der jedoch nicht durch diesen Unfall gestorben war. Ohne es zu bemerken, war sie in die Knie gesunken und hatte die Hände an den Kopf gepresst. Sie wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nichts mehr fühlen. Ein Ring schien sich um ihre Brust zu schließen, stählern wie die tödliche Kette der Nackten, und sich immer enger zusammenzudrücken. Sie versuchte zu atmen, doch jeglicher Sauerstoff schien aus der Atmosphäre gewichen zu sein. Sie zitterte am ganzen Leib, bis ihre Füße sie nicht mehr trugen und Dolores’ Körper nach vorn kippte. Der Schmerz in ihren nackten Knien, die sich in den mit kleinen Steinchen übersäten Asphalt bohrten, drang endlich bis zu ihrem Bewusstsein durch und schlug eine brüchige Brücke zurück in die Realität.
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