"Du sollst nicht töten"
Описание книги
Seit mehr als 30 Jahren korrespondiert Ursula Corbin mit Menschen, die in einem amerikanischen Gefängnis auf ihre Hinrichtung warteten. In diesem Buch erzählt sie die Geschichten von Clifford, Steven, Freddie und Lee; sie berichtet, wie das amerikanische Justizsystem funktioniert und von Menschen wie Mrs. Wilcox, die sich um diese Menschen kümmert, oder den Journalisten von Radio KDOL 91, die die Mauern des Todestrakts durchbrechen. Sie lässt Andy, Pablo und Ramon zu Wort kommen. Und sie zeigt auf, warum der unschuldig verurteilte Levi vermutlich noch Jahre auf seine Freilassung warten muss, obwohl der wahre Täter inzwischen gefasst wurde.
Die Anwendung der Todesstrafe blickt in den USA auf eine lange Geschichte zurück. Die ersten englischen Siedler brachten die Gesetze der britischen Kronkolonie mit und wendeten diese auch an: Die erste bekannte Hinrichtung war 1608 die von Kapitän George Kendall, wegen Spionage für Spanien; die erste Frau wurde 1632 hingerichtet.
Wer einen Menschen tötet, der soll dafür mit seinem Leben bezahlen. Auge um Auge, ein Leben für ein Leben. Folgt man dieser Logik, müsste man auch denjenigen töten, der denjenigen tötet, der getötet hat – das Töten würde also niemals aufhören! Oder, wie Ghandi es sagte: «An eye for an eye – makes the whole world blind …»
In den USA wird die Todesstrafe grundsätzlich bei Tötungsdelikten verhängt, die Gesetzgebung variiert aber von Staat zu Staat. Einige Bundesstaaten bestrafen zusätzlich zu Mord auch Raub mit Todesfolge, Mithilfe bei Mord, Auftragsmord, Flugzeugentführung, Terrorismus und schweren Kindesmissbrauch mit dem Tode. Von den 50 amerikanischen Bundesstaaten haben 20 die Todesstrafe nach 1976 gar nicht mehr eingeführt oder sie inzwischen wieder abgeschafft. 30 Staaten aber halten nach wie vor daran fest. Allerdings werden in einigen Staaten die Todesurteile kaum mehr vollstreckt, und in drei Staaten sprachen die Gouverneure ein Moratorium aus, d.h., die Vollstreckung wurde auf unbestimmte Zeit eingefroren. Noch spricht sich die Mehrheit der Amerikaner (60%) für die Todesstrafe aus – aber die Zahl der Befürworter sinkt Jahr für Jahr.
Отрывок из книги
Ursula Corbin
Nachrichten aus dem Todestrakt
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»Weißt du, liebe Ursula, auf eine gewisse Art bin ich schon oft gestorben. Jedes Mal, wenn die Wärter einen Mitgefangenen zu seiner Hinrichtung abholen, dann mach ich im Geiste alles mit ihm durch! Es macht mich fertig, mich von ihm zu verabschieden und genau zu wissen, was sie jetzt mit ihm machen werden und dass er nie mehr zurückkehren wird. Es wird mir dann brutal bewusst, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch ich an der Reihe bin! Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Ich hab dir ja erzählt, dass ich schon einige Hinrichtungsdaten überlebt habe. Ich kann dir versichern, da geht man durch die Hölle! Kann sich irgendein Mensch da draußen überhaupt vorstellen, wie das ist, sich immer wieder auf die eigene Hinrichtung vorzubereiten? Wieder einen Brief mit einem neuen Hinrichtungsdatum zu bekommen, sich erneut geistig darauf einzustellen, sich schriftlich von seinen Angehörigen und Freunden zu verabschieden und jedes Mal von Neuem mit dem Leben abzuschließen! Man hat keine Hoffnung mehr, ist alleine, hat Angst – und kann nur noch zu Gott beten, dass er einem Kraft für diesen letzten Tag geben möge! Und dann kommt die Zeit, in der man die Tage und Stunden zählt und schließlich die Minuten – und irgendwann will man nur noch, dass es jetzt schnell geht und alles vorbei ist! Aber dann – nach all dem, was du durchgemacht hast in diesen letzten Tagen – kommt plötzlich ein Anruf aus irgendeinem Büro, und man teilt dir mit, dass die Hinrichtung aufgeschoben wurde! Ein Aufschub von 30 Tagen oder 60 – was immer – es ist ja nur ein Aufschub! Ich kann dir sagen, ich bin schon etliche Male gestorben!«
Manchmal kam die Nachricht über den Aufschub erst kurz vor der Hinrichtung. Clifford hatte die letzte Mahlzeit bereits gegessen, das letzte Telefonat beendet, das Gespräch mit dem Pfarrer geführt und ein Medikament zur Beruhigung eingenommen. Bei ihm war es sogar so, dass er an einem dieser Termine schon auf dem Bett festgeschnallt lag, um im nächsten Moment die Giftspritze verabreicht zu bekommen, doch dann kam der Anruf, dass der Gouverneur angerufen habe … Später habe ich von seinem ehemaligen Pflichtanwalt erfahren, dass der Bescheid über den Aufschub schon Stunden vorher im Büro der Gefängnisleitung eingetroffen war!
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