Domi und die Höhle der schwarzen Drachen

Domi und die Höhle der schwarzen Drachen
Автор книги: id книги: 2015110     Оценка: 0.0     Голосов: 0     Отзывы, комментарии: 0 752,13 руб.     (7,96$) Читать книгу Купить и скачать книгу Купить бумажную книгу Электронная книга Жанр: Языкознание Правообладатель и/или издательство: Bookwire Дата добавления в каталог КнигаЛит: ISBN: 9783991071877 Скачать фрагмент в формате   fb2   fb2.zip Возрастное ограничение: 0+ Оглавление Отрывок из книги

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Описание книги

Natürlich gibt es keine afrikanischen Flüchtlinge auf der griechischen Insel, auf der Domi und Katinka die Sommerferien mit ihren Familien verbringen. Oder doch? Domi (7 Jahre, irgendwann demnächst 8) behauptet: Ja. Er hat sie mit eigenen Augen gesehen. Katinka (fast 9) bestreitet das. Aber vielleicht will sie nur ihren Vater schützen? Die Polizei verdächtigt ihn nämlich, mit den Schleppern unter einer Decke zu stecken. Egal. Die beiden Kinder wollen Spaß und Aufregung in ihren Ferien erleben. Als sie allerdings allein eine Höhle erkunden, hört der Spaß schnell auf. Ein gefährliches Abenteuer beginnt.

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Ute Vogell. Domi und die Höhle der schwarzen Drachen

Impressum

1 Domi muss schreiben

2 Das Tal der Toten. Katinka hieß eigentlich Katharina – deutsch-griechisch, wie sie selbst immer sagte. Aber das ist langweilig. Also Katinka. Domi kannte sie gut aus seiner Kindergartenzeit in Bremen. Katinka war ein Jahr älter und viel wilder als Domi. Gerade deshalb mochte er sie. Eni, seine Mama, und Melli – Katinkas Mutter – verstanden sich gut. Also hatten sie sich auch dann noch gesehen, als Mama und er ins Rhein-Main-Gebiet gezogen waren. Und jetzt hier auf Katinkas Insel. Kostas, Katinkas Papa, war Grieche und er hatte hier ein Haus. „Komm, ich zeig dir alles!“ Katinkas schwarze Augen blickten immer noch so feurig wie in Domis Erinnerung. Ihre schwarzen Locken ringelten sich in dichten Schlangen um ihren Kopf

3 Nacht. Sie kamen rechtzeitig zum Grillen. Mama, Uroma und Melli hatten Weingläser in der Hand, während Kostas bräunliche Steaks und leckere Würstchen wendete. Domi checkte kurz: Richtig, in Mamas Glas war kein Rotwein, sondern Wasser. Wie immer. Sie lachte und redete viel mit Kostas’ Freunden. Domi wunderte sich: Seit wann konnte Mama Griechisch? Er drückte sich an seine Mutter heran und sie stellte ihn einem Mann vor: „Das ist mein Sohn Domi.“ Der dunkelhaarige Mann gab Domi einen festen Händedruck und sagte in perfektem Deutsch: „Freut mich, Domi. Ich bin Georgios.“ Auch Domi freute sich. Aber weil Mama nichts mit ihm spielte, suchte er Katinka. Oma und Opa erschienen später und etwas abgehetzt, als kein Fleisch mehr übrig war. Für Oma war dies „kein Problem“ Aber Domi gab Opa sicherheitshalber etwas von seinem Steak und von seinem Würstchen ab. Opa drückte ihn fest. Dann probierte Opa ein bisschen und sagte, dass er keinen Hunger hätte. Er gab Domi sein Essen zurück. Aber Uroma war sowieso satt und schob Opa unauffällig ihren Teller hin. „Hier, KH, ich kann einfach nicht mehr.“ Kostas holte seine Gitarre und spielte griechische Musik. Später tanzten Melli und Katinka dazu und natürlich auch die griechischen Freunde. Irgendwann sang Uroma „Griechischer Wein“. Kostas spielte eine Begleitung und alle applaudierten. Als auch Opa und Oma sangen und mittanzten, schloss sich Domi an. Mama filmte auf ihrem Handy. Es war ein schöner Abend. Erst als Oma merkte, dass Domi nicht mit zurück ins Hotel kommen würde, wurde es ungemütlich „Was heißt das: Domi schläft mit Katinka im Zelt?“, zischte sie wie eine wilde Schlange. Sie ließ sich das Zelt zeigen. Es lag am Strand unterhalb von Kostas’ Haus und am Eingang zum Tal der Toten. Es hatte allen Komfort – zwei Schlafsäcke, Taschenlampen, Wasser, kleine Leckereien und sogar Katinkas Kuscheltiere. Aber Oma war nicht zufrieden. „Und? Was machen die Kinder, wenn etwas passiert?“ Melli fragte, was denn passieren sollte. Kostas sagte, dann könnten die beiden ja ins Haus kommen. Mama meinte, Oma sollte „jetzt ja nicht überbehüten!“ Opa fand das auch. Domi fügte hinzu: „Wir haben doch Handys, Oma.“ Und Uroma tätschelte Oma und riet: „Beruhig dich, Kind. Du hast in dem Alter auch ungewöhnliche Sachen gemacht.“

Nun war es dunkel. Der Mond war hinter den Wolken verschwunden und es war ziemlich finster im Zelt. Domi schlich sich zum Ausgang und warf einen Blick hinaus. Er konnte kaum mehr Kostas’ Haus sehen. Seufzend krabbelte er zurück. Katinka schnaufte tief neben ihm und schien zu träumen, aber Domi konnte nicht schlafen. Irgendwie hörte er Geräusche. Wie leises Murmeln. Er stupste Katinka leicht mit der Hand. „Da – hörst du es auch?“ Sie rollte sich müde auf die andere Seite und murmelte im Halbschlaf: „Was?“ „Die Stimmen – das Gemurmel!“ Domi klang heiser. „Ach, das!“ Katinka drückte ihren riesigen Teddy fest an sich und flüsterte: „Das ist doch nur der Bach der Toten!“ Dann war sie wieder eingeschlafen. Domi konnte immer noch kein Auge zumachen. Er kontrollierte sein Handy. War es Einbildung? Oder hatte er wirklich keinen Empfang mehr? Um das zu überprüfen, kroch aus dem Zelt und schaute zu Kostas’ Haus. Ja, es lag auf einem Felsen über ihnen. Gar nicht weit weg. Das war beruhigend. Aber hatte es überhaupt Fenster in ihre Richtung? Je länger Domi starrte, desto sicherer war er: Niemand konnte sie sehen. Es gab hinten am Haus keine Fenster! Konzentriert blickte Domi auf das Meer. Bewegte sich dort etwas? Dann hörte er hinter sich plötzlich Geräusche. Schnell verkroch er sich im Zelt und schaute heimlich durch einen kleinen Spalt am hinteren Ende nach draußen. Zwei Figuren bewegten sich etwas unsicher auf dem Pfad vom Hotel zum Strand. Ein Mann und eine Frau. Ihre Umrisse kamen ihm bekannt vor. Sie hatten Taschenlampen eingeschaltet und richteten diese direkt auf sein Zelt. Die Lampen leuchteten auf und ab. Dann versuchten sie, den Strand und das Meer zu erhellen. Plötzlich erloschen sie. Domi konnte nichts mehr sehen, nur noch hören. Er versuchte, die Geräusche zu deuten. Ja. Vier Füße kamen auf ihn zu. Alte Füße, fand Domi. Denn sie stießen immer wieder gegen Hindernisse. Hin und wieder hörte er etwas, was wie ein Fluchen klang. Dann ganz klar – Omas Stimme: „Mist! Pass auf, KH. Hier liegt ein dicker Stein!“ Zu spät! Offenbar war Opa schon gestolpert, denn er hörte Opas Stöhnen. Und Oma flüsterte: „Kein Problem, KH. Ich bin schon da und helfe!“ Erleichtert schloss Domi fest die Augen. Oma und Opa sollten nicht merken, dass er noch wach war. Er versuchte, gleichmäßig zu atmen. Dann fühlte er das Licht der Taschenlampen auf sich und Katinka. Er hörte Omas Stimme: „Gott sei Dank, sie schlafen friedlich.“ Opa antwortete: „Na klar. Hab ich dir doch gesagt, Ulla. Du musst den Kleinen wirklich nicht überbehüten.“ Oma versprach es. Natürlich würde sie das Kind nicht verhätscheln. Domi fühlte sich beruhigt. Er kannte seine Oma. Sie würde ihn immer überbehüten – egal, was sie Opa oder Mama versprach. Wahrscheinlich kam sie heute Nacht noch dreimal vorbei. Entspannt schlief er ein *** Aber als er Oma brauchte, war sie nicht da. Irgendwann in der Nacht wachte Domi auf. Er hörte erneut Geräusche und er fühlte sich kalt. Im Halbschlaf tastete er neben sich, aber – keine Katinka! Widerwillig öffnete er die Augen: Immer noch keine Katinka, doch ihr großer Teddy strahlte ihn an. Domi suchte im Zelt. Überall. Aber er konnte Katinka nicht finden. Trotzdem war der Lärm immer noch da. Woher kam er? Vom Meer, fand er, nachdem er weitergehorcht hatte. Aber wieso vom Meer? Mitten in der Nacht? Wer hatte um diese Zeit noch etwas auf dem Meer zu suchen? Behutsam öffnete Domi den Zelteingang einen kleinen Spalt. Er kniete sich auf den Boden und schaute von ganz unten hinaus. Das hatte Oma ihm bei ihren vielen Versteckspielen geraten. Da unten sieht dich keiner! Vorsichtig blinzelte er hinaus und hatte den Eindruck, dass ihn wirklich keiner sah. Er aber bemerkte umso mehr. Wirklich! Da kam ein Boot auf ihn zu! Und weit im Hintergrund erblickte er komische Schatten – waren das auch Boote? Domi hielt den Atem an. Leider passierte dann alles viel zu schnell. Plötzlich landete das Boot. Fast direkt vor ihm. Zwei Gestalten sprangen heraus. Sie leuchteten den Strand mit großen Scheinwerfern ab und fluchten, als sie Katinkas rosa Sonnenschirm sahen. Und sie fluchten noch mehr, als sie das Zelt erblickten. Das fand jedenfalls Domi. Natürlich war er nicht sicher. Er konnte kein Griechisch. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass die zwei nicht gerade erfreut waren. Deshalb wollte er schnell unbemerkt aus dem Zelt entkommen. Aber wie? Er kroch vorsichtig im Zelt nach hinten und probierte, ob er durch den Schlitz verschwinden könnte. Nein, viel zu eng. Er brauchte ein Messer. Möglichst geräuschlos robbte er nach vorne. Gab es ein Messer im Zelt? Er ärgerte sich, dass er Opa Huberts Taschenmesser nicht mitgenommen hatte. Aber vielleicht konnte er mit seinen Händen den Spalt vergrößern? Er kroch wieder ans Zeltende und erstarrte. Auch von hinten sah er nun Lichtschein. Wer waren die schlimmeren Feinde? Domi war unschlüssig. Sicherheitshalber ergriff er Katinkas Teddy. Der war groß und breit. Konnte sich Domi hinter ihm verstecken? Er versuchte gerade, sich in den Schlafsack zu zwängen und den Teddy über sich zu halten, als das Zelt von vorne brutal aufgerissen wurde. Jemand stapfte herein. Domi blinzelte hinter dem Teddy hervor und sah einen grün-gelb leuchtenden Turnschuh, bevor er die Augen schloss. Dann ging hinter ihm das Donnerwetter los. Zwei Taschenlampen durchleuchteten die Zeltwände. Er hörte eine wohlbekannte Stimme: „Was soll das? Was machen Sie hier im Zelt meines Enkels?“ Omas Stimme klang schrill, aber das war noch nicht alles. Die zweite Taschenlampe leuchtete direkt in die Augen des Eindringlings mit den grün-gelben Turnschuhen. Opa klang tief und drohend: „Ja, was soll das? Was machen Sie hier in einem Kinderzelt?“ Er betonte das Wort „Kinder“ Die grün-gelben Turnschuhe verschwanden eilig. Die Taschenlampen zappelten noch ein paar Mal durch das Zelt von oben nach unten. Dann zog Oma ihn hinter Katinkas Teddy hervor. Sie küsste ihn mehrfach. Und Domi meckerte nicht wegen ihres Lippenstifts. Opa tätschelte seinen Rücken. Domi schmiegte sich an die beiden und fühlte sich sehr glücklich. Bevor sie ins Hotel gingen, überprüften sie, wo Katinka war. Eine schlaftrunkene Melli beruhigte sie: Natürlich war Katinka zu Hause. Weil Mamas Zimmer fest verriegelt war, durfte Domi zwischen Oma und Opa schlafen. Er war froh. Von links streichelte ihn Oma und von rechts wuschelte ihm Opas Hand durch die Haare. Irgendwann ermüdeten die Hände und Domi versuchte einzuschlafen. Aber er schaffte es nicht. Entweder schnarchte Opa laut oder Oma machte komische Geräusche durch die Nase. Und außerdem quälte ihn ein Gedanke: Gab es noch weitere dieser Boote auf dem Meer oder nicht? Als er sicher war, dass Oma und Opa fest schliefen, stand Domi vorsichtig auf. Er tastete sich leise aus dem Zimmer heraus zum Ende des Balkons. Der Mond hatte sich hinter den Wolken hervorgeschoben. Das Meer glänzte in seinem Licht blau-silbern. Die spiegelglatte Oberfläche wurde durch schwarze Halbkreise durchbrochen, die immer näher kamen. Domi konnte viele Köpfe und Hände erkennen, dann rote Rettungswesten und Menschen, die schnell an den Strand wateten. Domi kannte solche Boote aus einem Bilderbuch, das Oma ihm geschenkt hatte. Es handelte von Flüchtlingen, die mit Booten übers Meer gekommen waren „Bestimmt wird alles gut!“ Domi ertappte sich, wie er den Titel mehrfach vor sich hinmurmelte. Sicherheitshalber drückte er auch noch ganz fest beide Daumen – hoffentlich! Hoffentlich wird alles gut. Denn unwillkürlich musste er an das Schreckliche denken: Ein Stacheldrahtlager, das sie vor zwei Tagen zufällig gesehen hatten. Als Opa sich verfuhr, weil Oma Probleme mit dem Kartenlesen hatte

4 In der Höhle. Am nächsten Morgen hätte Domi zu gern gewusst, ob Oma in der Nacht doch noch die Boote gesehen hatte. Sie warf ihm nämlich manchmal einen scharfen Blick zu und musterte ihn immer wieder unauffällig. Deshalb hielt es Domi für das Beste, wenn er sich beim Frühstück zu Uroma setzte. Mama war wie immer morgenmufflig still, während Uroma – auch wie immer – ununterbrochen redete. Sie verwöhnte ihn dabei mit allerlei Leckereien vom Büfett und wenn Oma ihn etwas fragen wollte, widersprach Uroma: „Jetzt doch nicht, Kind. Der Kleine muss erst mal ordentlich frühstücken!“ Domi nickte, Oma seufzte, Mama schlürfte ihren Kaffee und Opa fragte erstaunt: „Was geht denn hier vor sich?“ Wie aus einem Mund sagten alle: „Nichts!“ Opa verkroch sich schulterzuckend hinter einer Zeitung. Irgendwann wachte Mama auf. „Vergiss nicht, Domi, dass du deinen Rucksack packen musst. Ich hab den Service gefragt, du kannst dir Sachen vom Büfett mitnehmen!“ „Wieso Rucksack packen?“, fragte Oma scharf. Mama zog ihren Atem hörbar ein und zwang sich zur Ruhe „Katinka und er erkunden heute eine Höhle“, teilte sie dann mit „Aber …“ Domi spürte Omas Einwand. Und Mama sagte sofort ziemlich laut und bestimmt: „Halt dich da raus, Mama!“ Sofort zog Uroma ihn zum Büfett. „Komm, wir suchen was Schönes aus!“ Gleichzeitig senkte Opa seine Zeitung. Mama wurde ruhiger und lenkte gegenüber Oma ein: „Alles gut, Mama. Kostas geht mit. Die Höhle ist in der Nähe des Hauses und harmlos. Kein Grund zur Aufregung.“ Domi selbst war sich allerdings nicht so sicher. Trotzdem drehte er sich um und winkte Oma beruhigend zu. Ihre Stirn zeigte Sorgenfalten, aber sie winkte zurück „Oma macht sich immer Sorgen“, dachte er ein bisschen genervt. Aber drei Tage später wusste er, dass Omas Sorgen berechtigt waren. Und er ärgerte sich, dass er ihr nichts erzählt hatte *** Erstmal war alles gut. Oder fast gut. Domi wunderte sich, dass er keine Spuren der nächtlichen Landung am Strand sehen konnte. Doch Katinka erklärte ihm, dass jetzt im Sommer die Strandreinigung immer früh morgens mit einer speziellen Kehrmaschine den Strand säuberte. „Boote? Welche Boote denn? Ich glaub, du hast geträumt, Domi.“ Dann erschien Kostas missgelaunt mit einem Brief in der Hand und erklärte, dass er leider sofort ins Dorf müsste. Als er ihre traurigen Gesichter sah, lächelte er aufmunternd. „Aber das ist gar kein Problem. Katinka kennt sich in der Höhle aus. Sie war mindestens 100 Mal dort mit Christo. Und Melli kann ab und zu nach euch gucken. Und du, Katinka, versprich, dass du nur dort gehst, wo du mit Christo warst.“ Katinka versprach es. Dabei guckte sie listig und Domi fühlte, wie sich sein Magen ängstlich verkrampfte. Aber Melli erklärte, dass sie schnell hinterherkommen würde. Also machten sie sich allein auf den Weg. Weil Katinka wegen ihres schweren Rucksacks noch langsamer war als gestern und Domi immer wieder auf sie wartete, hatte er genug Zeit, den Weg in allen Einzelheiten zu betrachten. Nach einer Weile nickte er zufrieden. Ja, die nächtlichen Besucher waren durch das Tal der Toten gegangen. Hier gab es keine Strandreinigung und Domi konnte an sandigen oder feuchten Stellen deutlich viele verschiedene Fußabdrücke erkennen – große und kleine. „Schau Katinka, hier sind die Flüchtlinge entlanggegangen!“ Katinka zeigte ihm einen Vogel. „Hier gibt es keine Flüchtlinge, Domi. Hast du schon einen Hitzeschock, oder was?“ Als Domi ihr die Fußspuren zeigte, wurde sie etwas kleinlaut. „Hm. Weiß auch nicht. Vielleicht sind letzte Nacht besonders viele Tote …“ Nun wedelte Domi ganz schnell mit seiner Hand vor seinem Gesicht und verdrehte die Augen. Sie erkannte das „Total-Verrückt-Zeichen“ und schwieg. Um die Stille zu brechen, fragte Domi schließlich: „Wer ist Christo?“ Christo war ihr Cousin. Vierzehn Jahre alt und total cool. Er kannte alles in der Höhle – „auch die Stellen …“, Katinka schaute sich vorsichtig nach ihrer Mutter um. Als diese noch nicht in Sichtweite auftauchte, flüsterte sie: „… auch die Stellen, die man eigentlich nicht betreten darf.“ Domi wünschte sich, dass Katinka diese verbotenen Stellen sofort vergessen würde, aber er sagte nichts. Denn sie waren am Eingang der Höhle angekommen. Sofort entwickelte Katinka neue Energie und übernahm die Führung. Sie kannte sich wirklich gut aus. In Windeseile kletterte sie die eiserne Leiter hinunter und sie warnte ihn vor besonders glitschigen Stufen

5 Schreckliche Geheimnisse. Nein, Domi wollte seine Augen nicht aufschlagen. Er wollte nicht merken, wie er von grün-gelben und blau-orangen Turnschuh-Männern in eine dunkle Höhle geschleift wurde. Aber irgendwann ging es nicht anders. Hände schüttelte ihn wach, irgendetwas Kaltes tropfte auf seine Nase und er spürte Katinkas Atem in seinem Gesicht „Gott sei Dank“, sagte sie, als er die Augen aufschlug. Dann rückte sie zur Seite und Kibroms schwarze Augen lächelten ihn an. Seine Hand machte ihm das Siegeszeichen. Domi nickte schwach. Wo waren sie? In einer Mulde lag Hayat und der kleine Endryas war an sie gekuschelt. „Er hat Fieber“, flüsterte Katinka. „Ich hab ihm schon unser Wasser gegeben. Und er hat auch schon die Mandarinen ausgelutscht.“ Offensichtlich befanden sie sich in einem kleinen geschützten Vorsprung in der oberen Hälfte der Höhle. Denn der grüne See glitzerte unter ihnen und die eiserne Leiter hing links, etwa 100 Meter entfernt. Irgendwie war es dunkel. Katinka warf einen besorgten Blick auf ihre Uhr. „Komm“, sagte sie zu Domi. „Wir müssen ganz schnell gehen. Sonst machen sich alle Sorgen und suchen nach uns.“ Das leuchtete Domi ein, aber trotzdem. Was sollten die anderen drei machen? Er bemerkte, dass sie gut versorgt waren. Katinka hatte alle Vorräte aus ihren Rucksäcken am Rand der Mulde aufgestapelt. Ihre Anoraks und Regensachen häuften sich über und unter Endryas. „Beeil dich“, Katinka drängelte jetzt. „Wir müssen sofort los. Und ein bisschen rennen. Schnell. Wenn Papa und Mama uns suchen und die drei hier finden, dann …“ Ihre Stimme tröpfelte aus und Domi fühlte, dass es gefährlich war, wenn Endryas, Hayat und Kibrom gefunden würden. Also folgte er schnell Katinka, aber winkte noch eben den anderen zu. Kibrom winkte fröhlich zurück, aber Hayat war schon erschöpft eingeschlafen *** Schweigend gingen sie durch das Tal der Toten. Domi hatte tausend Fragen, und Katinka ebenfalls. Aber keiner wusste, wo und wie er anfangen sollte. Kurz vor dem Ausgang drehte sich Katinka um. Ihre braunen Augen glitzerten gefährlich, als sie sagte: „Kein Wort zu Melli und Kostas. Kein Wort. Hast du verstanden?“ Domi hatte nichts verstanden, aber er hörte am Strand Kostas rufen. Also nickte er gehorsam. „Schwör es!“ Domi schwor verwundert, denn Katinka stand vor ihm und wirkte groß und mächtig. „Und du sagst auch nichts deiner Mama und deiner Familie – klar?!“ Nein, das sah Domi nicht ein. Warum sollte er nichts erzählen? Aber bevor sein „Nein“ über seine Lippen kam, hatte Katinka ihm den Weg abgeschnitten. Sie war aufgeregt und angespannt. „Domi, sag nichts. Bitte! Es wird nur schlimm für – für alle.“ Ihre braunen Augen blickten beschwörend in seine. „Bitte, Domi, es ist besser für alle. Glaub mir. Versprich es!“ Als Kostas besorgt in das Tal der Toten einbog, versprach Domi schnell, nichts zu sagen *** Am Anfang klappte das Schweigen besser als Domi vermutet hatte. Mama war einfach nur glücklich, ihn zu sehen. Uroma unterhielt sich mit einer anderen alten Frau und küsste ihn nebenbei. Oma und Opa waren noch nicht von ihrem Ausflug zurück. Mama blickte deswegen besorgt auf ihre Uhr. Aber dann schwammen Domi und sie eine Runde im Pool und hatten viel Spaß. Zum Abendessen waren Opa und Oma wieder da und alles war wie sonst. Oder fast wie sonst. Domi hatte den Eindruck, dass Oma immer wieder auf ihr Handy schaute und dass Opa immer wieder Oma scharf beobachtete. Und weder Oma noch Opa fragten nach seinem Tag. Das war völlig ungewöhnlich. Was war ihnen passiert? Aber egal. Er war todmüde. Und er war froh, als Mama bald vorschlug, schlafen zu gehen *** Nachts träumte er schlecht. Immer wieder fühlte er Mamas warme Hand, die ihn sanft streichelte. Und er hörte ihr Flüstern: „Es ist alles gut, schlaf schön, Domi!“ Er wachte früh auf, zog sich schnell an und küsste Mama vorsichtig auf die Stirn „Ich geh schon mal frühstücken“, murmelte er und Mama nickte im Halbschlaf. Domis Eile hatte einen Grund: Opa und Oma schliefen immer lange. Wenn er sie beim Frühstück nicht traf, konnte er Omas scharfem Blick und ihren Fragen ausweichen. Aber er hatte sich getäuscht. Beide saßen schon am Tisch. Eine Landkarte lag zwischen ihnen. „Wenn wir hier unten parken“, hörte er Omas Stimme, „dann könnten wir doch von hier unten …“ „Unmöglich, Ulla“, unterbrach Opa sie, „viel zu steil. – Oh, sieh mal, da kommt Domi.“ Er faltete schnell die Karte zusammen, aber Domi konnte noch den Kreis sehen, der um einen Ort in den Bergen gezogen war. Irgendwie kam ihm die Stelle bekannt vor. Seltsamerweise war dies das ruhigste Frühstück, das er je mit Opa und Oma gegessen hatte. Opa las Zeitung und Oma starrte immer wieder auf ihr Handy. Manchmal streichelte sie ihm geistesabwesend über den Kopf. Auf jeden Fall fragte sie ihn nichts. Das war einerseits gut, aber andererseits – andererseits passte es gar nicht zu ihr. Domi wunderte sich, was sie so beschäftigte. Und er erinnerte sich wieder an den schrecklichen Ort. So wie er Oma kannte … Nein, nicht daran denken. Er hatte schon genug Sorgen. Er kaute an seinem Schinkenbrötchen und versuchte, sich möglichst unsichtbar zu machen. Dann machte er ein Lunchpaket für den Tag. Dabei überraschte Oma ihn am Büffet und zeigte sich erstaunt: „Wie – lauter gesunde Sachen? Obst? Was ist denn in dich gefahren, Domi?“ Er murmelte „tauschen mit Katinka“ und sie nickte nur. Da wusste er, dass er sich wirklich Sorgen um Oma machen musste. Normalerweise durchschaute sie kleine Notlügen sofort und stellte unangenehme Fragen *** Aber als er mit Katinka wieder in der Höhle angekommen war und sah, dass es dem kleinen Endryas viel besser ging, vergaß er seine Sorgen um Oma wieder. Nachdem sie die drei mit Essen und Getränken überhäuft hatten, suchte Domi in den unergründlichen Tiefen seines Rucksacks; vielleicht hatte sich dort ja noch ein Spielzeug versteckt. Und tatsächlich – er fand den kleinen durchsichtigen Flummi, in dem ein Gummifisch schwamm. Den hatte ihm Hilde geschenkt, die Schwester von Opa. Denn nur in Hamburg gab es so außergewöhnliche Sachen. Das Besondere war, dass dieser Springball rot und gelb aufleuchtete, wenn er irgendwo fest aufprallte. Kibrom und er machten es Endryas vorund der freute sich sehr. Sogar Hayat lächelte ein bisschen. Katinka versuchte, Kibrom mit Handzeichen klarzumachen, dass sie nicht aus der Höhle herausgehen durften und dass sie leise sein mussten. Kibrom lächelte verständnisvoll. Aber Domi war sich sicher: Kibrom wusste sowieso genau, dass er sehr vorsichtig sein musste. Und deshalb schenkte er ihm die kleine geschnitzte Vogelpfeife, die Opa Hubert ihm von La Gomera mitgebracht hatte. Kibrom würde schon keinen Unfug damit anstellen. Er zog Kibrom in die hinterste Ecke der Höhle und zeigte ihm, wie sie funktionierte. Als Kibrom das leise Vogelzwitschern hörte, strahlte sein Gesicht. Sofort ahmte er es mit seiner eigenen Stimme nach. Es klang richtig echt. Aber dann war Katinka bei ihnen und zischte aufgeregt: „Psssst!“ Die beiden Jungen seufzten. Sie könnten so viel Spaß miteinander haben! Aber Katinka drängte zum Aufbruch. Sie hatte ihren Eltern versprochen, zum Mittagessen wieder zu Hause zu sein „Bis morgen“, flüsterte Domi. Kibrom hielt ihn zurück. Er zeigte auf sich. „I – Ataklti. And you?“ Sein brauner Zeigefinger malte ein Fragezeichen vor Domis Brust „Domi!“, antwortete der schnell. Kibrom wiederholte das Wort mehrfach: „Domi, Domi, Domi.“ Dann brach es verwirrt aus Domi heraus: „Wieso Ataklti? Du heißt doch Kibrom! – Sorry!“ Sofort musste er selbst über seine Dummheit den Kopf schütteln. Nur weil der Junge wie Kibrom aussah, musste er ja noch lange nicht Kibrom heißen. Aber Ataklti lächelte „For you – Kbrom!“, sagte er freundlich. Er sprach den Namen ohne i aus, weit hinten in der Kehle, und er klang warm und weich und sehr zuverlässig. Domi lächelte zurück. „Ataklti-Kibrom – for me!“ Er versuchte die beiden Namen genauso auszusprechen, wie sie klangen: fröhlich, unbeschwert und vertrauensvoll. Dann stapfte er hinter Katinka zur Höhle hinaus. Zum Schluss drehte er sich nochmal um: Ataklti-Kibrom winkte ihm fröhlich zu. Aber seine schwarzen Augen blickten ernst *** Die Mittagspause war schrecklich. Domi hätte zu gern mit jemandem über seine Erlebnisse geredet. Aber er durfte ja nicht. Er hatte es Katinka versprochen. Doch das Geheimnis brannte in seiner Brust. Hayat und ihre beiden Kinder waren gerettet. Wenn es denn wirklich Hayats Kinder waren. Vielleicht hatte Kibrom auf der Flucht seine Eltern verloren und Hayat kümmerte sich um ihn? Egal. Sie waren sicher – jedenfalls erstmal. Aber was sollte später aus ihnen werden? Und wo waren die anderen? Omer und die beiden Frauen, die sie geschützt hatten. Und die vielen, die nachts mit den Booten gekommen waren. Ob sie bereits alle in das schreckliche Lager gebracht worden waren? Und was hatten Oma und Opa vor? Sie waren immer noch nicht ins Hotel zurückgekehrt „Was ist los, Domi?“ Mama klang besorgt. Er drückte sie fest. Oh, wie gern hätte er ihr alles erzählt! Hätte er nur Katinka nicht das Versprechen gegeben. Nichts sagen … Seine Brust wollte platzen. Irgendwie mussten seine Sorgen doch heraus! Nichts sagen – das war einfach fürchterlich. Plötzlich hatte er eine Idee. Nein, sagen durfte er nichts. Aber schreiben. Und zum ersten Mal wollte er freiwillig in sein „Reisetagebuch“ schreiben. Sein Stift flog schnell über die Seiten des linierten Hefts. Mama lächelte froh und hielt dann auf der Liege ihren Mittagsschlaf. Uroma schnarchte schon im Hintergrund unter einem Sonnenschirm. Domi fühlte sich sehr erleichtert. Ja, auch wenn sie schliefen oder auf Ausflügen waren – seine Familie würde immer auf ihn aufpassen und ihn schützen. Doch gerade als er sein Schreiben beendet hatte, erschien der Polizist. Er musterte genau die Umgebung und dann blieb sein Blick auf Mama haften. Zielstrebig ging er auf sie zu. Domis Herz klopfte. War etwas mit Oma und Opa passiert? Der Polizist kam näher. Warum ausgerechnet zu Mamas Liege? Domis Herz sackte weit nach unten in seinen Bauch. Hatte es ein Unglück mit Oma und Opa gegeben? Aber plötzlich lächelte der Polizist spitzbübisch wie ein kleiner Junge und spritzte aus seiner Wasserflasche etwas Flüssigkeit auf Mama. Sie wachte auf, wollte schimpfen, aber lächelte, als sie den Polizisten erkannte. Da fühlte sich auch Domi erleichtert. Natürlich. Das war doch Georgios, der Freund von Kostas. Der hatte bei der Grillfeier viel mit Mama und Uroma geredet hatte, weil er in Deutschland aufgewachsen war. Mama streichelte Domis Kopf und ging dann mit Georgios an die Bar, um einen Kaffee zu trinken. Da wurde Uroma wach. Sie überblickte die Situation sofort und kümmerte sich um Domis Reisetagebuch. „Das ist ja eine tolle Geschichte, Domi. Eine Drachenmama mit ihren Kindern in einer Höhle. Und fast verdurstet. Sie werden von dir und Katinka gerettet. Sehr schön. Sehr phantasievoll. Aber wieso sind denn die Drachen schwarz? Und wieso haben sie afrikanische Namen?“ „Weil sie aus Afrika ausgewandert sind – ist doch klar!“ Als Uroma nicht überzeugt aussah, fuhr er weise fort: „Die ersten Menschen kamen aus Afrika. Aus dem heutigen Äthiopien. Von da aus haben sie die Welt nach und nach besiedelt. Und so haben es auch die Drachen gemacht!“ Uroma lachte. „Ja, das ist logisch. Wirklich, eine tolle Geschichte. Oma und Opa werden sich freuen.“

6 Keine Probleme – oder etwa doch? Als Domi am nächsten Morgen Katinka abholte, lag eine düstere Stimmung über dem kleinen weißen Häuschen am Meer. Zwar schien die Sonne wie immer vom blauen Himmel und das Meer glitzerte türkis und einladend, aber Melli stand rauchend im kleinen Garten und hatte die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt. Hinter dem Haus stritt Kostas erregt mit zwei griechischen Polizisten. Immer wieder zeigte er auf die hintere Seite seines Hauses. Keine Fenster! Man kann nichts sehen! Das schien er wieder und wieder zu sagen. Aber die Polizisten deuteten auf den Strand. Der war wie neulich fein geharkt und gesäubert, ohne jegliche Spuren. Die Polzisten schüttelten den Kopf und sprachen laut und drohend zu Kostas. Offensichtlich glaubten sie nicht, dass Kostas nichts gesehen hatte. Was gesehen? Waren wieder neue Flüchtlinge gelandet? Bevor Domi weiterdenken konnte, stand Katinka neben ihm. Sie sah niedergeschlagen aus, aber zupfte ihn aufmunternd am Ärmel: „Komm, lass uns gehen!“ Beide schleppten schwere Rucksäcke hinauf zur Höhle. Sie sprachen nicht. Denn der Weg war heute sehr beschwerlich wegen der Hitze, der Rucksäcke und – ja, auch wegen ihrer trüben Gedanken. Offenbar machte Katinka sich Sorgen. Wegen der Polizisten? Als Domi sie sanft ansprach, schüttelte sie den Kopf. „Jetzt nicht!“ Domi seufzte, denn das Schweigen ließ die dunklen Gedanken in seinem eigenen Kopf immer größer und größer werden. Natürlich war die Polizei wegen der Flüchtlinge gekommen. Und natürlich wollten sie sie in das Lager stecken. Und – Oma und Opa wollten etwas gegen das Lager machen. Da war sich Domi ziemlich sicher. Er erinnerte sich genau. Vor vier Tagen wollten sie einen „netten Ausflug“ in die Berge machen „Aber es ist zu anstrengend für dich“, hatte Oma zu Uroma gesagt, als diese mitkommen wollte. Was verwunderlich war, denn für Uroma war nichts zu anstrengend. Erstaunt hatte Uroma ihre Augenbrauen hochgezogen. Dann aber hatte sie sich mit einer anderen alten Frau auf ein „Sektchen“ getroffen. Mama wollte am Strand dösen, aber Domi hatte am Ausflug teilgenommen. Opa war gefahren und Domi genoss die engen Kurven, die immer neuen Ausblicke auf das blaue Meer, auf Schiffe, Brandung und kleine Felsen. Dann plötzlich hatte Oma, die eifrig die Karte studierte, gerufen: „Da vorne, KH! Scharf rechts! In die kleine Straße!“ Opa hatte zwar schnell das Steuer herumgerissen, aber er schien irritiert. „Bitte mach deine Ansagen demnächst etwas eher, Ulla. Und warum überhaupt?“ Oma hatte etwas von Abkürzung zu einem sehenswerten Strand gemurmelt. Aber stattdessen fuhren sie immer weiter bergauf. Und eigentlich auch nicht mehr auf einer Straße. Eher auf einem steinigen, engen Pfad – staubig und holprig. Opa fluchte mehrfach, als er dicken Steinbrocken ausweichen musste. „Hoffentlich kommt uns keiner entgegen. Und wo sind wir hier eigentlich, Ulla?“ Das hätte Domi auch zu gern gewusst, denn sein Ausblick wurde nun durch Felsen versperrt. Er hatte das ungute Gefühl, dass sie haarscharf an einem Abgrund entlangfuhren. Oma guckte angespannt hin und her, und plötzlich rief sie: „Oh Gott, da ist es! Wirklich! Hab ich es mir doch gedacht!“ Nachdem Opa einen Blick nach vorne geworfen hatte, versuchte er abrupt zu wenden. Aber Oma protestierte „Nein, Kalli, fahr näher ran!“, rief sie und zückte ihr Handy. Dann hörte sie, wie Domi hart durch die Nase schnaufte. Jetzt erst schien sie sich daran zu erinnern, dass er auch im Auto saß. „Fahr schnell weiter, KH, der Kleine muss das gar nicht erst sehen!“ Sie wirkte schuldbewusst. Opa antwortete nichts. Er konzentrierte sich stark auf den abschüssigen Abhang und sein Wendemanöver. Dann fuhr er in halsbrecherischem Tempo den Weg bergab. Als er plötzlich in einen Steinbruch abbog, wollte Oma etwas sagen, schwieg dann aber entsetzt. Denn von oben kamen zwei Motorräder an ihnen vorbeigerast. Die Männer trugen eine rot-schwarze Uniform. Security! Opa atmete tief durch und versuchte, langsam, ganz langsam auf einem anderen Pfad wegzukommen. Nach endloser Zeit erreichten sie wieder eine größere Straße und sahen das blaue Meer unter sich „Fahr zum Strand“, sagte Oma matt. Als sie ausstiegen, zitterten allen die Knie. Opa sah weiß aus und hatte die Lippen zusammen gekniffen. Danke“, flüsterte Oma und küsste ihn. Dann nahmen beide Domi zwischen sich und drückten ihn fest. „Alles ist gut, Domi. Mach dir keine Sorgen!“ Aber Domi hatte genug gesehen. Den Stacheldraht. Die dicht gedrängten schwarzen Menschen ohne Schatten, ohne Wasser – dünn, ausgemergelt. Und vor allem: Zwei kleine Ärmchen, die sich durch den Zaun hilfesuchend dem Auto entgegenstreckten. Tränen, die über zwei staubige Wangen liefen und zwei todtraurige schwarze Kinderaugen

7 Auf dem Höhlenfluss. Katinka wartete schon auf ihn und hatte bereits einen Plan gemacht. „Wenn unsere drei …“ Domi runzelte die Stirn. Dann merkte er, dass „unsere drei“ Kibrom, Hayat und Endryas waren und er senkte sein Kinn zustimmend. „Okay, falls du recht hast“, Katinka warf einen zweifelnden Blick auf Domi, der zuversichtlich aussah, „also, wenn du recht hast, dann sind unsere drei jetzt zu Mizan oder Amleset unterwegs.“ Domi nickte etwas unentschieden, denn er fragte sich, ob es nicht vielleicht noch mehr Afrikaner auf der Insel gab. „Aber wie kommen unsere drei in unser Dorf?“ Katinkas Augen fixierten Domi mit scharfem Blick. Unschlüssig zuckte der mit den Schultern. „Sie haben zwei Wege“, Katinka klang jetzt wie eine Lehrerin, „entweder sie gehen durch das Tal der Toten. Aber das ist steil und schwierig. Und Endryas ist klein und schwach.“ Domi nickte zustimmend. „Deshalb gehen sie den Geheimweg.“ „Geheimweg?“ Domis braune Augen zeigten tausend Fragezeichen. „Na ja“, Katinka versuchte überzeugend zu klingen, „sie gehen durch die Höhle.“ Durch die Höhle? „Aber wie?“, fragte Domi. Kein Problem, fand Katinka. Sie hatte es schon mehrfach getan. Mit Christo. Durch den kleinen See dort unten floss ein Bach – „ein Flüsschen“, so Katinka. Das mündete auf der anderen Seite des Berges ins Meer, „fast beim Dorf!“ Katinka kannte die Stelle. Ein ganz winziger Pfad führte parallel zum Bach durch die Felsen. Katinka war sicher, dass „unsere drei“ diesen Weg genommen hatten. „Wir aber nehmen das Boot. Das hab ich schon oft mit Christo gemacht. Das geht schneller und wir haben sie bald eingeholt!“ Etwas zögerlich stimmte Domi zu. Sicherheitshalber stellte er das GPS auf seinem Handy an. Jetzt würde es wohl nichts nützen, denn es gab wahrscheinlich keinen Empfang in der Höhle. Aber vielleicht später, wenn der kleine Fluss ins Meer mündete. Zum Schluss suchte Domi nach einem sicheren Ort für sein Handy, falls sie ins Wasser fallen sollten. Er durchwühlte seinen Rucksack, fand die grüne Dose mit Trockenobst, steckte sein Handy hinein und sicherte die Dose durch einen Plastikbeutel, in dem er auch die Reste des Obstes verteilte. Schweren Herzens stapfte er hinter Katinka immer weiter hinein in die finstere Höhle. War das wirklich richtig?

8 Die Schlepper schlagen zu. Der Spalt öffnete sich zu einer weiteren Höhle, klein, eng und noch dunkler. Domi meinte, an den Wänden menschliche Ge-stalten zu erkennen; einige sprangen schnell auf. Hinter ihm polterte es. Eine tiefe Männerstimme fluchte, dann ein gellender Schrei – Katinka! Ihr Verfolger zog sie unsanft durch die Felsenritze, sie wehrte sich und ihre verletzte Hand blieb an einem dicken Stein hängen. Sie schrie und schrie. Der Mann zischte ihr etwas zu, aber sie schüttelte den Kopf. Tränen strömten über ihr Gesicht. Merkte der Mann nicht, dass sie Schmerzen hatte? Die Wunde an ihrer Hand musste sich wieder geöffnet haben, denn Domi sah hellrotes Blut unter seinem T-Shirt hervorquellen. Nein, der Mann machte ein verbissenes Gesicht.Er zog weiter an Katinka und wollte gerade zu einer Ohrfeige ausholen, als sich die Ereignisse überschlugen. „Stopp! Stopp! Sie ist verletzt!“ Domi warnte auf Deutsch und riss sich von seinem Verfolger los. Doch bevor er Katinka erreichte, war mit großen Schritten schon Omer da. Er schubste Katinkas Peiniger unsanft zur Seite, murmelte ihr gleichzeitig beruhigende Worte zu und führte sie sanft und vorsichtig aus der Spalte in die Höhle. Aufgeregt versuchten die beiden weißen Männer, ihn daran zu hindern. Der eine zerrte an Omers Hand, die Katinkas Finger der gesunden Hand vertrauensvoll umschlossen. Der andere schwang einen dicken Stock über Omers Kopf. Doch in dem Augenblick entstand in der Höhle eine schnelle Bewegung. Zehn, zwölf junge Männer bildeten einen Kreis um Omer und Katinka. Sie erinnerten Domi an den echten Kibrom zu Hause. Sie hatten schwarzes Kraushaar und waren zart, fast zerbrechlich. Trotzdem zeigten sie keine Angst, sondern bildeten eine enge, dunkle Sperre zwischen den weißen Männern und Omer mit Katinka. Die beiden Weißen schauten verärgert und aufgeregt. Der jüngere fummelte hektisch in seiner Hose und plötzlich zeigte eine Pistole gefährlich auf die schwarzen Jugendlichen

9 Die Kinder sind weg. An diesem Abend konnte Ulla endlich wieder die Rückfahrt zum Hotel genießen. Die Sonne ging wie ein roter Ball im Meer unter und die Dämmerung malte die Felsen als dunkle Schatten auf das Wasser. Fröhlich summte sie vor sich hin. Denn Hubert, ihr Ex-Mann und Richter, hatte gemailt, dass er ihre Fotos von dem schrecklichen Flüchtlingslager an Pro Asyl geschickt hatte. Die würden sie an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen weiterleiten. Und Kostas hatte versprochen, die Bilder der örtlichen Polizei zu zeigen „Hey, was ist denn hier los?“, fragte KH erschrocken, als er auf den Hotelparkplatz einbog. Zwei Krankenwagen und mehrere kleine Jeeps versperrten den Weg. Männer schleppten schwere Tauchgeräte in den Garten des Hotels. „Ein Unfall?“ Ulla rutschte das Herz in die Hose und KH beeilte sich,das Mietauto schnell irgendwo an der Seite abzustellen. Am Eingang stand der Hotelmanager und kam ihnen mit ernstem Gesicht entgegen. Ungewöhnlich! Hatte er etwa auf sie gewartet?

10 In der Höhle der schwarzen Drachen. Domis Geschichte. Katinka und Domi wollten mit Meli in die Höle. Meli wollte noch putzen. Katinka und Domi sind vorgegangen. Katinka musste noch langsamer laufen als gestern weil sie einen schweren Rucksack trug. Aber endlich waren sie in der Höle. Auf einmal hörten sie geschrei. War das Meli? Nein, das war ein DrachenbeiBi, dachte sich Domi. Aber Katinka sagte: Das ist der geist der tönernen Flöte. Katinka sagte wir müssen nach links apbiegen. Domi hastete eilich an Katinka vorbei. Genau hinter diesem Felsen kam das Geschrei hervor. Domi gwetschte sich durch den Felsen. Es war ein schwarzer Mutterdrachen mit ihrem BayBi und einem anderen Kind. Das BayBi wollte Wasser. Es war sehr krank. Domi reichte ihm seine Wasserflasche. Domi wollte den Drachen namen geben. Der kleinste Drache fenkt an. Er heist Endryas. Hayat heist die Mutter und Kibrom das andere Kind. Auf einmal kamen zwei alte Drachenweipchen. Eine spuckte Feuer gegen den Felsen am Ausgang. Das andere Kind Kibrom verstand sofort. Er fuchtelte eifrik hin und her mit seinen Flügeln und verschwand dann hinter dem Felsen. Domi ist stehen geblieben. Auf einmal rief Katinka komm Domi wir müssen zurück. Domi wollte zurück. Aber plötzlich kamen zwei weiße Drachenmäner. Sie wollten sich auf die Mutter und die Kinder stürzen. Die alten weipchen kämpften erbittert gegen die weißen Drachen. Hayat schnappte ihr Baybi und flok mit ihm durch den Felsspalt. Domi wollte sich grade durch den Felsen gwetschen. Aber die weißen Drachenfüße kamen schnell auf Domi zu und die Drachen wollten in fressen. Domis Hände bluteten vor lauter Anschtrengunk. Dan kam ein starker schwarzer Drache. Er stürzte sich auf die weißen. Erschöpft krochen sie zurük. Domi fülte eine kleine Drachenschnauze an seinem tischört. Kibrom zok an ihm und Domi konte sich durch den Felsen gwetschen. Entlich hatte er es geschafft!

11 Auf unheimlichen Pfaden. Jemand zog an Domi und schüttelte ihn. Auf keinen Fall wollte er aufwachen. Gerade tobte er mit Mama im Meer und niemand sollte sie stören „Domi, wach auf! Wir gehen weiter!“, hörte er Katinkas leise Stimme. Widerwillig öffnete er seine Augen. Keine Mama, kein Meer. Er befand sich immer noch in der Höhle. Aber alles hatte sich verändert. Die Höhle war noch dunkler. Die Flüchtlinge hatten sich in einer Reihe aufgestellt, viele trugen Fackeln. Die Kinder hatten ihre Mütter an den Händen gefasst und waren außergewöhnlich still. Noch war er nicht richtig wach. „Wohin gehen wir?“ Katinkas Gesicht verzog sich in viele Falten. „Weiß nicht. Vielleicht zur Nordspitze. Dort gibt es am Strand viel Platz. Boote können dort besser landen!“ Domi rieb sich die Augen. Boote, wieso Boote? Was hatte er mit Booten zu tun? Dann, nach und nach, tröpfelten die Tatsachen in sein Bewusstsein. „Aber Katinka“, sagte er laut, „wir sind doch keine Flüchtlinge. Wir brauchen keine Boote.“ Katinka warf ihm ihren „Na-du-Kleiner“-Blick zu und lächelte herablassend. „Nee, Domi, natürlich nicht. Aber was denkst du, was die Schlepper mit uns machen?“ Domi wunderte sich, dass sie ein Wort wie „Schlepper“ kannte, obwohl sie vor ein paar Stunden noch bestritten hatte, dass es Flüchtlinge auf ihrer Insel gab. Unerbittlich fuhr Katinka fort: „Entweder sie packen uns auf die Flüchtlingsboote oder sie – sie …“ Sie hielt sich ihren Zeigefinger an den Kopf. Wollte sie sagen, dass die Schlepper sie erschießen könnten? Unmöglich, Omer hatte ja ihre Pistolen weggenommen. Aber schnell war Domi klar, dass es nicht nur ihre zwei weißen Schlepper gab. Es würden noch viel mehr auftauchen, wenn die Flüchtlinge auf die anderen Boote gehen mussten. Und natürlich war unklar, was die Schlepper mit den zwei weißen Kindern unter all den schwarzen Flüchtlingen tun würden. Domi seufzte tief. Vielleicht hatte Katinka nicht Unrecht? Kurz dachte er an Mama, Oma, Opa, Uroma und ihre Sorgen, die sie nun wegen ihm hatten. Aber es nützte ja nichts. Er musste nun sehen, dass er heil aus diesem Schlamassel herauskam. Schnell stellte er sich in die Reihe der Flüchtlinge, wo Sinit und Belaynesh ihn sofort freundlich lächelnd zwischen sich schoben. Darüber freute er sich, denn er fühlte sich geborgen. Ja. Lieber mit den Flüchtlingen im Boot übers Mittelmeer als alleine mit den Schleppern … Er schluckte ein bisschen, denn all die vielen gruseligen Geschichten fielen ihm ein, die Oma ihm über die Boote erzählt hatte. Und er sah wieder das Bild des kleinen ertrunkenen Jungen am Strand vor sich „Bei diesem Foto hat Opa geweint“, hatte Oma ihm anvertraut, als sie ihm den Zeitungsartikel zeigte. „Opa hat gesagt, stell dir mal vor, unser kleiner Domi …“ Oma hatte abgebrochen und sich dreimal die Nase geschnaubt. Nein. Das schwor Domi jetzt. Er würde kein kleiner ertrunkener Junge sein. Er würde genau aufpassen und sich und Katinka retten, wenn sich eine Gelegenheit bot. Aber noch bot sich keine Gelegenheit. Schritt für Schritt schob sich die Reihe der Flüchtlinge vorwärts. Domi hatte den Eindruck, dass sich das Licht veränderte und dass sie zum Höhlenausgang kamen. Ja! Sinit vor ihm zeigte mit ihrer Hand nach oben und lächelte. Tatsächlich! Der Mond! Der kleine Fluss schlängelte sich zum Meer. Aber die Schlepper führten sie sofort auf einem steilen Weg nach oben. Weg vom Meer und vom Fluss. Dennoch wurde Domis Herz leichter. Endlich raus aus der Höhle! Er versuchte, sich zu orientieren. War das da unten nicht das kleine Dorf auf der anderen Seite des Hotels? Plötzlich war Katinka neben ihm. „Da unten“, flüsterte sie, „das Dorf. Die meisten schlafen schon.“ Ihre Hand deutete auf dunkle Flecken. „Aber bei Mizan und Amleset sind noch Lichter an. Und in der Polizeistation. Und bei Dimitrios und … – ahh“ Sie stöhnte kurz auf, stürzte und rollte den Abhang hinunter. Durch das Geräusch alarmiert, rannte sofort einer der weißen Wächter herbei. Domi kannte ihn nicht. Am Ausgang der Höhle hatten viele Weiße auf sie gewartet, so dass jetzt etwa bei jedem zwanzigsten Flüchtling ein Wächter ging. Der stürzte hinter Katinka her und wollte sie ergreifen. Katinka schrie laut. Der Mann versuchte, ihr den Mund zuzuhalten. Katinka strampelte sich frei und schrie erneut. Als der Schlepper seine Faust hob, um sie zu schlagen, stoppten ihn zwei große schwarze Hände. Omer war da! Domis Herz jubilierte, als Katinka ihre Hände um Omers Bauch schlang und sich von ihm nach oben ziehen ließ. Omer brachte sie zu ihm zwischen Sinit und Belaynesh. Aber sein Gesicht blickte sehr ernst „No sound!“, flüsterte er eindringlich und machte das „Shshsh“-Zeichen. Sofort stieß Domi Katinka in die Seite und sein Mund machte tonlos „Shshsh!“ Sie atmete tief aus. Zwar nickte sie, aber sie war nicht überzeugt. Immer wieder blickte sie ins Tal. Als dort Hunde anfingen zu kläffen und in mehreren Häusern die Lichter angingen, grinsten ihre Augen triumphierend. War es das, was sie gewollt hatte? War sie absichtlich gestürzt, um die Dorfbewohner zu alarmieren? Domi hätte sie zu gern gefragt. Aber er wusste: Omer hatte Recht. Wenn die Flüchtlinge jetzt erwischt würden, kämen sie nie mehr nach Italien oder Deutschland. Sie würden in dem schrecklichen Lager verhungern und verdursten. Und das wollte Domi auf keinen Fall. Natürlich wollte er sich und Katinka retten. Aber wie? Er musste sich etwas einfallen lassen. Die Flüchtlinge wurden auf einen schmalen Pfad links oberhalb des Dorfes geführt. Der Weg ging auf und ab. Sie kamen nur langsam voran, denn es gab viele Felsbrocken und der Mondschein wurde durch die hohen Berge hinter ihnen gedämmt. Aber immer sahen sie das bläulich-glänzende Meer links vor sich. Als Domi dort in der Ferne schwarze Schatten sah, verstärkten sich seine Sorgen. Waren das schon die Schlepperboote? Was würde mit ihm und Katinka geschehen, wenn die Boote landeten? Er merkte, dass die Flüchtlinge lautlos, aber fröhlich in Richtung der Schatten zeigten und versuchten, schneller voranzukommen. Na klar. Sie wollten nicht auf dieser Insel in einem Lager landen. Domi konnte das gut verstehen. Aber, so fand er, auch für ihn und Katinka musste es eine Lösung geben. Aber welche? Omer schien ein bisschen unruhig zu sein. Immer wieder blickte er nach oben. Das dichte Gestrüpp und die Felsüberhänge waren nicht mehr zu sehen, stattdessen öffnete sich ein sanfter Hang. Nur einige Büsche und hohes Gras versperrten ihnen den Weg nach oben. War das die Lösung? Sollten sie jetzt weglaufen? Sogar Katinka würde es schaffen, diesen kleinen Hang hinaufzuklettern. Die Frage war nur: Würden sie schnell genug sein? Oder würden die weißen Wächter sie einfangen? Aufmerksam betrachtete Domi die Gegend über sich. Gab es irgendwo ein Versteck, in das sie sich flüchten konnten? Seine Augen scannten genau das Gelände ab. Vielleicht ein Felsen? Da! War das ein kleiner schwarzer Schatten? Und da! Noch einer? Auch Omer blickte nach oben, horchte und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Da hörte Domi es auch. Eine Vogelstimme. Was? Ein Vogel – jetzt mitten in der Nacht? Domi lauschte genau. Das war ja– war das nicht der Vogel aus Opa Huberts Vogelpfeife? Doch. Nach zweimaligem Hören war sich Domi sicher. Aber wer, außer ihm selbst, kannte den Laut? Domi dachte nach. Niemand. Nur noch Ataklti-Kibrom! Möglichst unauffällig kramte Domi in seinen Hosentaschen. Er hatte doch heute Morgen die Vogelpfeife eingesteckt in der Höhle, oder nicht?

12 Was ist mit der Höhle? Eni war sich sicher: Hier in der Höhle würden sie die Kinder finden. Natürlich waren sie nicht ertrunken! Domi war viel zu vorsichtig; er würde nie weit ins Meer hinaus schwimmen. Es sei denn, es hätte einen Unfall gegeben. Aber nein. Den Gedanken drängte sie weg. Hatte Domi ihr nicht irgendetwas von schwarzen Drachen in einer Höhle erzählt? Wahrscheinlich hatte er mit Katinka Drachensuche gespielt und sie hatten sich irgendwo in einem der Gänge verirrt. So musste es sein. Sie klammerte sich an den Gedanken, als sie mit Kostas, seinen Nachbarn, ein paar Polizisten und Christo die Höhle und ihre Verzweigungen absuchte. Nichts und wieder nichts. Es wurde kalt und glitschig und sie war viel zu dünn angezogen. Dann kamen sie an einen kleinen See. Christo schaute genau hinter einem Felsen nach. Dann flüsterte er aufgeregt und zog Kostas mit sich. Eni blickte sich um. Offensichtlich kannten sich die Nachbarn mit einer solchen Suche aus. Sie hatten warme Kleidung und viele Taschenlampen dabei. Es gab sogar Fackeln. Als eine Frau ihr Frösteln bemerkte, öffnete sie schnell einen Rucksack und hielt ihr eine Thermosflasche mit heißem Tee und dann einen Pullover hin. Eni nahm beides dankbar an. Es wurde ihr wärmer, aber sie fühlte sich niedergeschlagen. Kostas und Christo erschienen wieder, fröhlich winkend. Kostas zeigte ihr einen kleinen rosa Knopf. Ja, der könnte zu Katinkas pinken Shorts passen. Christo hielt ein Stück Holz in der Hand, das wie ein abgebrochenes Paddel aussah. Aufgeregt redete er mit den herbeigeeilten Nachbarn. Kostas erklärte Eni:„Christo glaubt, Katinka und Domi haben ein altes Boot genommen. Eines, das Christo hier vor einiger Zeit versteckt hatte. Er hat Katinka gezeigt, wie man mit dem Boot zum Höhlenausgang am Meer gelangt. Er hat zwar Katinka verboten, allein zu fahren, aber …“ Kostas verstummte bei dem unheimlichen Gedanken. Und Enis Herz rutschte noch ein bisschen tiefer. Natürlich würde sich Katinka nicht an das Verbot eines älteren Cousins halten, wenn es Drachen zu fangen galt. Aber Domi! Warum hatte er sie nicht gebremst? Domi war vernünftig genug, zwischen Spiel und Wirklichkeit zu unterscheiden. Und der dunkle See und ein altes, baufälliges Boot waren eine ziemlich gruselige Wirklichkeit. Und gefährlich. Domi hasste Gefährliches. Warum hatte er also mitgemacht? Gab es ein schreckliches Geheimnis? Eni seufzte tief und ärgerte sich, dass sie Domi nicht genauer zugehört hatte. Sie checkte ihr Handy. Klar, kein Empfang. Nur zu gern hätte sie gewusst, ob die Kinder vielleicht schon im Hotel aufgetaucht waren *** Im Hotel klappte Ulla gerade Domis Schreibheft zu. „Oh Gott“, flüsterte sie leise, „wenn sie nur nicht versuchen …!“ „Was?“ KH und ihre Mutter fragten gleichzeitig. Ulla schluckte und sagte dann sehr bestimmt: „Wenn sie nur nicht versuchen, auf eigene Faust die Flüchtlinge zu retten.“ Ihre Mutter sah sie befremdet an. KHs Stirn legte sich in strenge Falten. „Nun, Ulla“, wandte er betont vorsichtig ein, „ich fürchte, du leidest schon an einem Flüchtlingswahn. Wieso sollte Domi …“ Aber schon unterbrach ihn seine Frau: „Sieh doch den Zusammenhang, KH! Kibrom, Hayat, Endryas – das sind echte Menschen. Er kennt sie von zu Hause. Wir haben dem kleinen Endryas abgelegte Kinderklamotten gebracht. Wenn er nun seinen Drachen solche Namen gibt …“ KH merkte sofort, was sie meinte. „Du glaubst, er hat echte Flüchtlinge in der Höhle gefunden?“ „Ja!“ Ulla nickte. „Und Katinka und er haben ihnen Essen gebracht. Denk doch an die vielen Lebensmittel, die er immer vom Büfett mitgenommen hat. Und dann noch Obst!“ Schlagartig wurde Ulla klar, warum Domi seinem Lieblingsspruch „Kein Obst, kein Gemüse“ untreu geworden war. Er brauchte Vitamine für das fiebernde Kind. In die blassen Wangen ihrer Mutter war wieder Farbe gekommen. „Ihr meint also …“, fing sie an. Aber KH schnitt ihre vielen Fragen ab. Seine Gedanken überstürzten sich „Hör mal, Ulla“, sagte er und zog sie mit einem besorgten Blick auf seine Schwiegermutter zur Seite. Er flüsterte direkt in Ullas Ohr: „Wenn das so ist, dann – dann sind alle in Gefahr. Nicht nur die Kinder. Auch Eni. Und Kostas. Und alle, die suchen. Denn wenn sie auf die Schlepper treffen, dann werden die schießen. Sie werden sich ihr Geschäft nicht vermasseln lassen.“ Unglücklich nickte Ulla. Leider, leider hatte er Recht. Sie musste sie warnen. Schon wollte sie zu ihrem Handy greifen, aber KH schüttelte den Kopf. „Sie hat keinen Empfang in der Höhle.“ Wieder hatte er Recht. Aber trotzdem. Vielleicht gab es ja ein Wunder. Sie schrieb: „Achtung. Schlepper und Flüchtlinge in der Höhle. Vielleicht bewaffnet. Passt auf.“ Dann drückte sie „Senden“ KH war schon an der Rezeption. „Bitte“, seine Stimme klang drängend und duldete keinen Widerspruch, „rufen Sie die Polizei. Am besten Georgios.“ Er hielt dem verdutzten Mitarbeiter einen kleinen Zettel mit einer Telefonnummer hin. Ratlos schüttelte Uroma den Kopf *** Trotz Tee und warmem Pullover zitterte Eni. Sie kamen nur langsam voran, denn der winzige Pfad, auf dem Christo sie parallel zum kleinen Höhlenbach führte, war schmal und sehr felsig. Mehrfach rutschte sie aus und schürfte sich Hände und Knie auf. Plötzlich stieß Christo einen überraschten Schrei aus und kletterte schnell hinunter in die Tiefe. Taschenlampen folgten ihm, aber Eni konnte nicht genau erkennen, was er gesehen hatte. Sie sah nur etwas Dunkles, Breites. Viel zu groß für einen Kinderkörper, dachte sie erleichtert. Dann erhellten viele Taschenlampen den kleinen Bach. Eni erkannte ein morsches Boot. Sein Boden zeigte nach oben. Offenbar hatte ein Felsen ein Loch hineingerissen. Der Schweiß brach auf Enis Stirn aus und ihr Herz raste. Was war mit den Kindern? Waren sie unter das kenternde Boot geraten und ertrunken? Sie presste ihre beiden Daumen fest aufeinander, als sie zusah, wie die Männer schnell das Boot umdrehten. Nichts! Kostas war schon ins Wasser gesprungen und stocherte mit einem Stock. Hin und wieder tauchte er unter. Nichts! Dann fand Christo einen Stein. Blutstropfen! Und auch auf dem Weg fanden sie ab und zu etwas, das wie angetrocknetes Blut aussah. Erleichtert und besorgt zugleich gingen sie weiter. Wenigstens hier hatten die Kinder noch gelebt. Und die Wunde schien nicht zu groß zu sein, denn sie hatte nicht stark geblutet. Eni biss sich auf die Lippen. Wenn sie wenigstens hören könnte, wie es im Hotel war. Aber leider gab es immer noch keinen Empfang! *** KH erreichte Georgios’ Diensthandy in Mellis kleinem weißen Fischerhaus, in dem heute Nacht große Traurigkeit herrschte. Einige Nachbarn wachten mit ihr und warteten darauf, dass die Kinder vielleicht doch allein den Weg zurückfanden. Sicherheitshalber hatten sie den Garten und die Pfade mit Fackeln erleuchtet. Auch das Tal der Toten erstrahlte zum ersten Mal seit Menschengedenken in hellem Licht. Georgios hatte Melli gerade die Nachricht überbracht, dass die Polizei weder in den Pools noch im Meer vor dem Hotel oder vor ihrem Haus irgendeinen Ertrunkenen gefunden hatte. Gott sei Dank. Alle Boote, die nachts fischten, waren per Funk und Handy informiert worden, dass sie alles Auffällige melden sollten. Georgios trank seinen fünften Kaffee, als sein Handy klingelte. Er sprach auf Deutsch und Melli wusste sofort, dass sich Domis Familie gemeldet hatte „Sind sie gefunden worden?“, flüsterte sie voller Hoffnung. Leider schüttelte Georgios ernst den Kopf und sagte in sein Handy: „Ja, verstanden. Ja. Okay. Wir holen nur noch unsere Waffen aus dem Jeep und dann brechen wir sofort auf!“ Er winkte seinen drei Kollegen; sie sollten schnell ihren Kaffee austrinken. Dann wandte er sich an Melli: „Leider müssen wir damit rechnen, dass die Schlepper Flüchtlinge in der Höhle versteckt haben.“ Während sich Mellis Herz zusammenkrampfte, forderte Georgios schnell von seiner Polizeistation Verstärkung an. Männer, Waffen, Scheinwerfer *** In der Hotellobby holte sich Ullas Mutter seufzend einen Kaffee und eine deutsche Illustrierte. Das griechische Fernsehprogramm verstand sie sowieso nicht. Aber offenbar hatten die Nachrichten etwas über die verschwundenen Kinder gesagt, denn die Gäste blickten sie neugierig und mitleidig an. Aber sie respektierten, dass die Familie nicht angesprochen werden wollte. Wie auch? Ulla war ununterbrochen mit ihrem Handy beschäftigt und schrieb wahrscheinlich zum zwanzigsten Mal: „Was ist los bei euch in der Höhle?“ Dabei musste sie wissen, dass es keinen Empfang gab. KH blätterte geistesabwesend im SPIEGEL. Auch er starrte hin und wieder auf sein Handy oder ging auf die Terrasse und blickte traurig aufs Meer. Alle drei hatten viel Kaffee getrunken. Der nette Kellner hatte allen ungefragt einen Metaxa gebracht „Gut für die Nerven“, hatte er versucht, sie zu aufzumuntern. Uromas Nerven hatte er tatsächlich gutgetan. Aber KH und Ulla hatten nicht einen einzigen Schluck getrunken, was völlig ungewöhnlich war „Kind, vielleicht solltest du zur Beruhigung doch ein bisschen Metax …“, schlug sie gerade ihrer Tochter vor. Da schoss die alte Deutsche, mit der sie manchmal plauderte, empört auf sie zu. Ihr Gesicht sah verknittert aus und ihre Frisur war völlig durcheinandergeraten. „Bitte, Frau Wokkel, ich bitte Sie. Kommen Sie mit. Da draußen auf der Straße ist so ein Krach. Ich kann nicht schlafen. Helfen Sie mir!“ Ohne weitere Umstände zog sie Ullas Mutter aus dem Sessel „Kind, ich geh nur mal kurz raus!“, entschuldigte die sich bei Ulla. Versunken hatte Ulla abgewinkt und weiter auf ihr Handy gestarrt. Keine Nachricht von Eni. Was nichts Schlimmes bedeuten musste. Wahrscheinlich nur kein Empfang. Dann wählte sie aus einer Eingebung heraus Domis Handy. Hey – was war das? Empfang!! Aber niemand nahm ab. Sie wählte nochmal. Dasselbe. Empfang. Doch niemand beantwortete ihren Anruf. Aufgeregt suchte sie KH auf der Terrasse. Er wollte es zuerst nicht glauben und versuchte es selbst mehrfach. Dann ordnete er schnell die Fakten zusammen. „Das heißt doch, Ulla, sie sind aus der Höhle draußen.“ Seine Frau nickte freudig „Jedenfalls das Handy ist aus der Höhle draußen“, fuhr KH vorsichtig fort. „Die Kinder auch“, Ulla war sich sicher. „Domi kann nur das Handy nicht beantworten, weil … weil …“, sie suchte nach einer Erklärung, „weil er es gerade nicht findet.“ „Oder weil er es nicht mehr hat“, vermutete KH. „Vielleicht haben die Schlepper es ihm abgenommen.“ „Oder“, Ullas Ideen sprudelten, „er hat es sicherheitshalber auf lautlos gestellt. Und hört uns gerade nicht. Aber vielleicht kann er es lesen.“ Deshalb schrieb sie: „Haltet durch, Domi und Katinka. Wir sind euch ganz nahe. Alle suchen nach euch. Bis gleich!“ Als sie aufsah, grinste KH zum ersten Mal fröhlich *** Plötzlich wurde der Pfad breiter, die Höhle öffnete sich und Eni meinte, vor sich etwas silbern Glitzerndes zu sehen – das Meer? Sie fühlte sich erleichtert, obwohl sie die Kinder immer noch nicht gefunden hatten. Die Nachbarn bogen nach rechts und verschwanden hinter einem kleinen Felsspalt. Eni wollte gerade folgen, als ihr Handy vibrierte. Endlich! Empfang! Offenbar war die Höhlenöffnung breit genug, so dass sie Empfang hatte. Natürlich–viele Nachrichten ihrer Mutter „Was ist los bei euch in der Höhle?“ Mehrfach. Das waren die letzten Botschaften. Eni scrollte schnell nach unten. Immer dasselbe. „Was ist los bei euch in der Höhle?“ Aber dann hier – viel früher gesendet: „Achtung. Schlepper und Flüchtlinge in der Höhle. Vielleicht bewaffnet. Passt auf.“ Mit einem kleinen Aufschrei hechtete Eni hinter den anderen her *** In der Hotellobby gab es plötzlich Unruhe. Immer mehr Menschen in Schlafanzügen oder Bademänteln eilten auf die Rezeption zu, um sich über „ruhestörenden Lärm“ zu beschweren. Ulla zuckte die Achseln. Und wenn schon! Sie hatten wahrhaftig ernsthaftere Sorgen. Da sah sie ihre Mutter am Hoteleingang, neben ihr eine andere alte Dame. Mama winkte ihr aufgeregt zu. „Das müsst ihr euch anhören“, flüsterte sie, als KH und Ulla bei ihr waren, „unbedingt!“ Etwas genervt folgten sie den beiden Alten nach draußen. Was sollte schon sein? Dann hörten sie es. Vogelgezwitscher. Mitten in der Nacht. Und irgendwie bekannt. Dann ein einförmiger, aber durchdringender Singsang. Eine Kinderstimme. „Domi!“, sang die helle Stimme.„Dooomiii, Dommmi, Domiiiiii, Doo,Doo, mi,mi, Domi!“ Sie sang das Wort in allen Variationen, mal laut, mal leise, mal dunkel und tief, mal fragend und klagend. Und dazwischen immer wieder das bekannte Vogelgezwitscher. Ulla und KH sahen sich an. Das konnte kein Zufall sein! Eilig rannten sie die Hoteleinfahrt entlang und riefen: „Ja, hier. Oma und Opa von Domi. Hallo!“ Abrupt stoppte der Gesang. Nach weiteren Versuchen ohne Antwort sagte Ulla enttäuscht: „Schade. Das war wohl nur eine Täuschung!“ Aber KH zog sie plötzlich vom Weg weg hinein in den Park. Und richtig, da war der Gesang wieder. Er lockte sie tiefer und tiefer in den Garten, bis sie endlich an einem Gebüsch ankamen „Und nun?“ Ulla fühlte sich mit ihren Nerven am Ende. Da sahen sie plötzlich im Mondlicht eine kleine Person vor sich. Ein Junge. Nicht viel größer als Domi. Schwarze Locken, schwarze Haut. Er streckte ihnen seine Hand entgegen. Sofort war Ulla da. „Das ist – das ist Domis Flummi! Wo hast du den her?“ KH fand, dass sie viel zu heftig mit dem Kleinen umging. Er schüttelte den Kopf und sagte sanft: „Ich bin Domis Opa und das ist Ulla, Domis Oma.“ Der Junge versuchte, auf Deutsch zu wiederholen: „Domis Opa. Domis Oma.“ Seine Laute klangen fremd, tief und dunkel, aber KH und Ulla verstanden ihn sofort. Dann lächelte er sie an: „I – Ataklti. But for Domi: Kibrom. Ataklti-Kibrom.“ Und in der Erinnerung musste er kichern. KH zuckte verständnislos seine Schultern, aber für Ulla war alles klar „Wo ist Domi? Where is Domi?“, fragte sie. Ataklti-Kibrom zeigte über das Plateau hinweg nach Norden. „Beach“, sagte er. „Boats. Come.“ *** Mit Mühe quetschte sich Eni durch den Felsspalt und fühlte sofort die Enttäuschung der Suchenden. Hier war niemand. Kostas stopfte schnell etwas in seine Hosentasche und zeigte ihr dann Spuren. Mandarinenschalen, Apfelknurze, Deckel von Mineralwasserflaschen, ein winziges Stück Brot, ein weißer Stoffrest, der wie eine Mullwindel aussah. „Offenbar waren hier mal viele Leute. Sie haben Picknick gemacht. Und vielleicht gewartet. Aber auf was? Und wer waren sie?“ Schlagartig fügte sich für Eni alles zu einem stimmigen Bild zusammen. Sie zeigte Kostas die Nachricht ihrer Mutter. „Wahrscheinlich haben hier die Schlepper mit den Flüchtlingen auf die Boote in der Nacht gewartet. Und vielleicht auch Katinka und Domi, falls sie in ihre Hände geraten sind.“ Kostas sah sie mit erstaunten und ungläubigen Augen an. Nach einer Weile nickte er. Ja, vielleicht. Vielleicht war es so. Aber so lange sie nichts Besseres wussten … Er rief etwas auf Griechisch und machte das Zeichen zum Aufbruch. Nach und nach quetschen sich alle durch den Felsspalt zurück. Eni gehörte zu den Letzten. Sie wollte gerade den anderen durch den Höhlenausgang an den Strand folgen, als sie hinter sich Geräusche hörte und grelle Lichter sah. Entsetzt hielt sie inne. Bitte nicht! Bitte nicht die Menschenschmuggler. Ein Scheinwerferkegel hielt sie fest. Folgte jeder ihrer Bewegungen. Zielte jemand auf sie? Instinktiv duckte sie sich. Dann hörte sie eine bekannte Stimme, die auf Deutsch mit griechischem Akzent rief: „Eni? Eni, bist du es?“ Jemand näherte sich und erleichtert fiel sie in Georgios‘ Arme *** Ulla musste tief durchatmen. So schnell wie Ataklti oder Kibrom oder Ataklti-Kibrom war sie nicht. Offenbar war er nicht allein. Vor ihm sah sie einen größeren Schatten. „Stopp!“ Ataklti-Kibrom hielt an. Nachdem Ulla ihn näher betrachtet hatte, wusste sie, warum Domi ihn Kibrom genannt hatte. Er war viel jünger als der echte Kibrom, den sie und Domi von zuhause kannten. Aber er hatte viel Ähnlichkeit: eine kleine, zierliche Figur. Ein rundes, sehr sympathisches Gesicht mit hoher Stirn und intelligente Augen. Eine kleine Stupsnase. Und viele kleine Kräusellocken. Ulla atmete erleichtert aus, als ihr klar wurde, dass der echte Kibrom sicher zu Hause in Deutschland war und eine Ausbildung machte „Warte – wait!“, schnaufte sie und schaute sich nach KH um. Noch war er nicht in der Nähe. Er wollte ihrer Mutter Bescheid sagen, damit sie sich keine Sorgen machte „Nicht noch mehr Komplikationen“, hatte er gemurmelt und Ulla hatte genickt. Nun wartete sie hier. Sie waren am Rand des Hochplateaus angekommen. Hinter ihnen stand das Hotel. Rechts unter ihnen lag das Dorf, fast dunkel, nur wenige Lichter leuchteten. Links vor ihnen in der Dunkelheit musste die Nordspitze sein – eine schmale Geröll-Halbinsel, an deren östlicher Spitze ein flacher, aber unbewohnter Strand lag, an dem größere Boote gut landen konnten. Und irgendwo auf dem Weg dorthin waren jetzt Domi und Katinka. Aber wo? Und würden Ulla und KH rechtzeitig dort sein, um sie vor der Überfahrt zu bewahren? Sie blickte zurück. Noch keine Spur von KH. Ataklti oder Kibrom war mit dem Schatten vor ihm verschmolzen. Nun kam er zurück. „Cousin“, sagte er.„From here. No wait. No time.“ Aha. Sie waren also in Eile. Jedenfalls schätzte der hiesige Cousin die Situation so ein „Five minutes – fünf Minuten“, erbat sich Ulla. Kibrom nickte. Immer wieder blickte sie zurück. Noch kein Geräusch von KH. Also checkte sie ihr Handy. Oh! Blaue Häkchen an allen Nachrichten für Eni. Also hatte sie ihre Botschaften erhalten. War sie nicht mehr in der Höhle? Aber warum antwortete sie nicht? Sie würde ihre Gründe haben, Ulla war sich da sicher. Ihre eigenen Finger tippten schnell: „Kinder mit Schleppern und Flüchtlingen auf dem Weg zur Nordhalbinsel. KH und ich folgen.“ Nachdem sie die Botschaft abgeschickt hatte, plagten sie Gewissensbisse. Sie wusste doch gar nicht genau, ob das stimmte. Sie glaubte einem kleinen schwarzen Jun­­gen. Aber vielleicht war alles nur ein Missverständnis? Dann hörte sie KH hinter sich. Er schnaufte schon ein bisschen, aber ließ sich die Anstrengung nicht anmerken. „Alles gut. Weiter geht’s!“ Sie drückte ihn fest, als sie sah, woran er ge-dacht hatte – ihre Wanderschuhe und ihre Stöcke und sein Nachtfernglas. Er selbst war schon entsprechend ausgerüstet und hatte auch zwei Taschenlampen dabei. Ataklti-Kibrom lächelte, als Ulla ihre Halbschuhe einfach stehen ließ, um mit den Wanderschuhen weiterzulaufen. Und sofort setzte sich der Schatten vor ihm in Bewegung

13 Wettlauf mit der Zeit. Sie waren die letzten in der langen Reihe der Flüchtlinge. Neben oder hinter ihm schleppte sich Katinka den Berg hinauf, dann folgte Omer und ganz zum Schluss kam der weiße Wächter, der sie immer wieder zur Eile antrieb. Trotzdem kletterte Domi bewusst langsam den Geröllhügel hinauf. Immer wieder zog, schob oder stützte er Katinka, die ihre verletzte Hand nicht benutzen konnte und deshalb große Mühe hatte, diesen mit Felsbrocken übersäten kleinen, aber sehr steilen Berg hinaufzuklettern. Aber es ging nicht nur um Katinka. Er brauchte einfach Zeit. Wie lange würde es dauern, bis Ataklti-Kibrom das Hotel fand? Und wie lange, bis seine Familie alles verstand und das Richtige tat? Wie lange, bis die Polizei sie finden würde? Bei diesem Gedanken verlangsamten sich seine Beine noch mehr. Er wollte ja gar nicht, dass die Polizei die Flüchtlinge in das Lager steckte. Daran wollte er nicht schuld sein. Also musste eine andere Lösung her. Aber welche? Als Domi endlich schnaufend oben ankam, verstand er die Freude der Flüchtlinge. Das Dorf lag rechts weit unter ihnen, sah dunkel und schlafend aus. Vor ihnen erstreckte sich wie ein langer schwarzer Finger eine riesige Geröllwüste. Aber an ihrem äußeren Ende, rechts an der Fingerspitze, konnte er im Mondschein einen kleinen Strand glänzen sehen. Platz genug für Boote. Links führte ein kleiner gewundener Pfad nach unten. Die Wächter machten sich Zeichen. Auf geht’s! Sofort machte sich die Flüchtlingskarawane auf den Weg nach unten, weg vom Dorf, weg vom Hotel. Domi warf einen sehnsüchtigen Blick dorthin. Wann würde seine Familie ihn finden? *** Georgios ließ nur zwei seiner Polizisten zur Spurensicherung in der Nebenhöhle zurück, nachdem Eni ihm ihre Handy-Botschaften gezeigt hatte. Alle anderen rückten schnell bis zur Mündung des kleinen Höhlenflusses vor „Wow, wie clever“, dachte Eni. Denn die Mündung war durch Felsen vom Dorf rechts getrennt. Links führte sofort ein schmaler Pfad bergauf. Wer nicht gesehen werden wollte, konnte also durch die Höhle die kleine Insel von einer Seite zur anderen durchqueren und dann ziemlich risikolos in den Bergen verschwinden. Ob das die Schlepper mit den Flüchtlingen gemacht hatten? Georgios schien unschlüssig. Er machte an einer Stelle Halt, an der eine kleine Schleifspur vom Weg nach unten führte–so, als ob jemand ausgerutscht sei. Sorgfältig suchten die Polizisten alles ab, und Eni wurde nervös. Das konnten sie später noch machen! Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Während sie hier noch suchten, packten die Schlepper vielleicht gerade die Kinder auf die Boote und …Unwillkürlich drängten sich schreckliche Fernsehbilder in ihr Bewusstsein. Sie fauchte Georgios an: „Geht es nicht etwas schneller?“ Kostas, der ähnlich ungeduldig war wie sie, schien dasselbe auf Griechisch zu sagen. Plötzlich entstand ein heftiger Wortwechsel zwischen Kostas und seinen Nachbarn auf der einen Seite und den Polizisten auf der anderen. Eni ärgerte sich über sich selbst. Hätte sie nur ihre Ungeduld etwas gebremst! Nun würde alles noch länger dauern. Seufzend warf sie einen Blick nach unten. Ja, von dieser Stelle konnte man das Dorf gut sehen und auch sie müssten gut erkennbar und hörbar sein. Jedenfalls wenn man sich bemerkbar machte. Hatten das die Kinder versucht? War die kleine Rutschspur vielleicht absichtlich …? Noch ehe sie den Gedanken zu Ende denken konnte, suchte sie neben und unter der Rutschspur. Da. Etwas Pinkes, Rundes. Noch ein Knopf Katinkas? Sie wollte gerade Kostas fragen, als ihr Handy vibrierte. Wieder eine Botschaft ihrer Mutter. Verwirrt zeigte sie das Display Kostas und Georgios. „Was soll das sein? Nordspitze?“ Georgios fluchte und dann ging alles ganz schnell *** Ulla war stolz auf sich und KH. Zwar schnauften sie beide, aber wegen der Wanderstöcke und der festen Schuhe waren sie so schnell vorangekommen, dass Ataklti-Kibrom ihnen den Siegesdaumen zeigte. Aber nun verlangsamte er selbst das Tempo und mahnte zur Vorsicht. Gut hinter einem Felsen getarnt, musterten sie die Umgebung. KH deutete lautlos nach rechts unten. Das Dorf, dunkel und schlafend. Vor ihnen die Geröllwüste der Nordspitze. Unmöglich, hier konnten keine Menschen gehen, auch nicht bei Mondschein. Aber Kibrom führte sie schnell nach links auf einen kleinen Pfad nach unten. Ulla zögerte, aber KH nickte ihr aufmunternd zu. Nach wenigen Metern hatten sie keinen Blick mehr auf das Dorf und auch keinen mehr auf ihr Hotel hinter ihnen. Stattdessen deutete Kibrom nach links unten, Richtung Meer. Bewegte sich dort unten am flachen Strand eine Menschenschlange – große und kleine Körper? Diese gingen schnell und kamen am flachen Ufer gut voran. Plötzlich zeigten vor ihnen mehrere Arme auf das Meer und aus Ullas Mund entfuhr: „Mist!“ Sogar KH nickte zustimmend, als er die Boote sah, die wie aus dem Nichts am Horizont auftauchten. Die Flüchtlinge gestikulierten aufgeregt und liefen schneller. „Wir müssen ihnen folgen, sofort“, rief Ulla und wollte den Pfad herunterlaufen. KH hielt sie zurück. „Keine Chance, Ulla“, sagte er traurig. „Wir haben keine Deckung. Sie sehen uns, kaum dass wir unten sind. Und dann …“ Er machte die Bewegung des Erschießens *** Verzweifelt beschloss Eni, in dieser Nacht gar nichts mehr zu fühlen. Sie würde nur noch tapfer sein. Und Domi retten. Georgios hatte ihr ein blutiges T-Shirt gezeigt. „Gehört das Domi?“ „Ja.“ Sie hatte trotzig genickt, ihren Kopf zurück geworfen und dann gesagt: „Na und? Das sagt nichts. Das Blut muss nicht von Domi stammen. Es kann auch …“ Ein Blick auf Kostas ließ sie verstummen. Warum sollte sie ihm zusätzliche Sorgen machen? Georgios hatte ihr anerkennend zugelächelt. Nun am Dorfeingang organisierte er Krankenwagen, sendete Funksprüche an alle Fischerboote und Polizeiwachen und teilte seinen wenigen Polizisten und Kostas verschiedene Aufgaben zu. Er selbst holte ein altes Polizeimotorrad aus einem Schuppen. „An die Nordspitze kommt man nicht mit einem Auto“, fast lachte er, „am besten mit einem Fahrrad. Aber wahrscheinlich ist diese alte Karre schneller.“ Er warf den Motor an und wollte abfahren. Sofort stellte sich Eni in den Weg. „Nimm mich mit. Bitte!“ Er schaute sie verwundert an. Dann nickte er und sie stieg auf den Rücksitz. Auf der holprigen Fahrt versuchte Eni immer wieder, ihr Handy zu lesen. Vergeblich. Aber sie konnte sich trotzdem ein ungefähres Bild machen. Die Familie war zur Rettung von Domi und Katinka versammelt. Uroma wartete auf Nachrichten im Hotel, die sie weiterleiten konnte

Ihre Eltern, KH und Ulla, waren auf der Westseite zur Nordspitze unterwegs. Warum auch immer. Mit wem auch immer. Das war jetzt egal. Sie selbst und Kostas versuchten, von Osten her die Nordspitze zu erreichen. Auf einem kleinen, holprigen Weg. Hoffentlich machte das Motorrad nicht schlapp. Und hoffentlich hielten die Kinder durch *** Allmählich schöpfte Ulla wieder Hoffnung. Kibrom und sein Cousin führten sie oberhalb des Strandes auf einem kleinen Pfad zur Nordspitze. Hier hatten sie nicht nur die Übersicht – sie waren auch schneller. Manchmal konnten sie sogar stehen bleiben und durch KHs Nachtfernglas schauen

Ulla entdeckte Domi und Katinka am Ende der Menschenschlange. Zwei schwarze Frauen mit weißen Kopftüchern und ein kräftiger schwarzer Mann schienen sie zu beschützen, wenn ein weißer Wächter sie zur Eile antrieb. Immer wieder schauten sie alle nach oben. Warum? Wussten sie, dass hier Hilfe nahte? Plötzlich hörte Ulla eine Vogelstimme. Was? Jetzt mitten in der Nacht? Sie erblickte Kibroms strahlendes Gesicht. Ja. Er ahmte perfekt eine Vogelstimme nach, die ihr bekannt vorkam *** Katinka verließen die Kräfte. Sie wurde langsamer und schluchzte erschöpft vor sich hin. Immer wieder versuchten die Wächter, sie anzutreiben. Auch Omer, Sinit und Belaynesh, die sie in ihre Mitte genommen hatten, schienen unruhig und mahnten zur Eile. Domi verstand sie gut. Sie wollten mit den anderen Flüchtlingen über das Mittelmeer fahren und nicht in dem schrecklichen Lager auf der Insel landen. Aber was sollte aus Katinka und ihm werden? Er wollte nicht mit klapprigen Booten über das Meer fahren, er wollte hier bei seiner Familie bleiben. Und Katinka auch. Und was, wenn …? Er wagte gar nicht, den schrecklichen Gedanken fertig zu denken. Wenn die Schlepper sie gar nicht auf die Flüchtlingsboote schicken würden? Wenn sie vorher von den Schleppern an einen heimlichen Ort gebracht würden? Oder sogar – erschossen würden? Allmählich fühlte er sich sehr müde und niedergedrückt. Keine Spur von Hilfe! Da! Plötzlich hörte er über sich ein leises Geräusch. Eine sanfte Vogelstimme. Ataklti-Kibrom musste in der Nähe sein. Vorsichtig sah er sich nach den Wächtern um. Sie waren an der Spitze des Flüchtlingszuges beschäftigt. Eilig kramte er die kleine Vogelpfeife hervor und antwortete. Auch Omer nickte freudig und seine Augen versuchten, etwas über ihnen zu erkennen. Aber was? Kibrom–und wen noch?

14 Rettung in letzter Minute? Irgendwann auf der holprigen Motorradfahrt gelang es Eni, ihr Handy zu entziffern „Beeil dich!“, schrie sie in Georgios’ Ohr. „Die Schlepper sind gleich da. Und die Kinder leider auch!“ Georgios nickte, gab noch mehr Gas und die Fahrt wurde noch gefährlicher *** Ulla und KH verließ der Mut. Sie hatten die Flüchtlinge aus dem Blick verloren, als diese um die Nordspitze bogen. Sie selbst kamen nicht mehr schnell voran, weil Felsen und Unebenheiten den Weg beschwerten und sie beide sehr erschöpft waren. Kibrom und sein Cousin waren nicht mehr zu sehen oder zu hören. Ulla hoffte, dass sie bei den Flüchtlingen waren. KH hatte seine Schultern hochgezogen und ging mit sehr schnellen Schritten auf dem beschwerlichen Pfad voran. Ulla hörte, wie sein pfeifender Atem immer angestrengter wurde. Sie selbst glaubte, gleich umzufallen. Aber es nutzte nichts. Sie mussten durchhalten. Sie mussten die Kinder retten *** Als Domi, Katinka, Omer, Sinit und Belaynesh als letzte am Strand ankamen, waren fast alle Flüchtlinge schon mit Booten auf dem Meer. Ihr weißer Schlepper drängte. Beeilung! Das war das letzte Boot. Der klapprige Kahn war schon übervoll; es gab eigentlich keinen Platz mehr. Domi wusste, dass dieses Boot für Omer, Sinit und Belaynesh die letzte Möglichkeit war, um dem schrecklichen Lager zu entgehen. Aber was sollte aus ihm und Katinka werden? Offenbar wollten die Wächter, dass auch sie auf diesem klapprigen Boot mitfuhren. Nie im Leben! Verzweifelt suchten Domis Augen die Küstenlinie oberhalb des Strandes ab. Seine Ohren waren auf vollen Empfang gestellt. Aber vergeblich. Keine Bewegung. Kein Vogelgezwitscher. Zum Abschied küssten Sinit und Belaynesh Katinka. Dann schoben sie diese rasch und ohne Vorankündigung den kleinen Pfad zum Felsen hinauf. Katinka stutzte kurz; dann rannte sie nach oben – weg vom Strand. Scheinbar unschuldig eilten Belaynesh und Sinit zum Boot. Dabei rissen sie–anscheinend versehentlich– den Schlepper um, der Katinka folgen wollte. Entschuldigend hoben sie ihre Schultern und kletterten langsam auf das Boot. Trotz aller Verzweiflung musste Domi grinsen. Zum wievielten Mal hatten die beiden alten Frauen diesen Trick schon angewendet, um andere zu retten? Vielleicht waren sie gar nicht so alt, wie sie aussahen? Abrupt wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Der Schlepper am Steuer startete das allerletzte Boot; ein anderer kam drohend auf Domi und Omer zu. Omer schien unschlüssig. Immer wieder lauschte er und blickte nach oben. Offenbar wollte er die Kinder in Sicherheit wissen

15 Morgen. Nun lag Domi eng an Mama gekuschelt im Hotelbett. Sie tat so, als ob sie schliefe. Aber sie drückte Domi die ganze Zeit fest an sich. Als Domi ihr Gesicht streichelte, spürte er etwas Nasses. „Kein Problem, Domi“, flüsterte sie, als er sich aufsetzte, „nur Tränen der Erleichterung.“ Tränen waren schon viele geflossen. Zuerst bei Uroma und Oma, als sie endlich am frühen Morgen im Hotel ankamen. Uroma war wie ein aufgescheuchter Tiger in der Lobby umhergerannt und sah klein und zerbrechlich aus. Sie hatte keine Sekunde geschlafen. Der Hotelmanager umarmte Domi fest wie einen verlorenen Sohn und spendierte dann sofort eine Flasche Sekt „Am frühen Morgen?!?“, hatte Mama etwas vorwurfsvoll gesagt, aber dann mit allen anderen angestoßen. „Auf Georgios!“, sagte sie. „In Abwesenheit.“ Denn Georgios wollte so schnell wie möglich Katinka zu Melli und Kostas bringen „Auf Katinka – in Abwesenheit!“ Domi stieß mit seiner Apfelschorle an. Die Erwachsenen lächelten gerührt. Was wäre gewesen, wenn …? Keiner wagte darüber nachzudenken. Mama hielt die ganze Zeit Domis Hand sehr fest in ihrer. Oma und Uroma küssten und streichelten ihn abwechselnd. Opa wuschelte immer wieder durch sein Haar. „Auf Domi“, Opa hob sein Glas. „Denn er war außerordentlich tapfer und sehr umsichtig.“ Nun lag Domi hier im Bett und dachte nach. War er wirklich tapfer und umsichtig gewesen? Oder hatten Katinka und er nicht einfach viel, viel Glück gehabt? Wenn Omer und Belaynesh und Sinit nicht gewesen wären … und Ataklti-Kibrom und der Cousin … „Morgen“, dachte Domi „Morgen besuche ich Katinka und schaue, wie es ihr geht. Morgen gehe ich mit Oma ins Dorf und versuche, Ataklti-Kibrom zu finden. Und morgen sind die Flüchtlinge vielleicht schon sicher auf dem Festland. Und vielleicht, vielleicht können sie ja nach Deutschland kommen. Dann kann ich Omer und den Frauen selber danken. Oder wir suchen sie in Griechenland. Aber wie?“ Plötzlich tauchte in seinen Gedanken ein Babypo mit einem flachen Gegenstand in der Hose auf und er hörte Sinits Stimme: „You – no Handy. But Baby – Handy.“ Nun musste Domi lächeln. Klar, er würde sein eigenes Handy anrufen. Irgendjemand würde es an Omer weitergeben. Oder jemand würde die Flüchtlinge über GPS orten. Fast schon im Schlaf reckte Domi seine Hand nach oben. So, als ob er anstoßen wollte „Auf Omer. Und auf Belaynesh und Sinit. Und die anderen Flüchtlinge. Und besonders, ganz besonders auf Ataklti-Kibrom. Und natürlich auf das Baby.“

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