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Von mir über mich1
ОглавлениеKein Ding sieht so aus, wie es ist. Am wenigsten der Mensch, dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe. Und auch abgesehen von den Kapriolen und Masken der Eitelkeit. Immer, wenn man Was wissen will, muß man sich auf die zweifelhafte Dienerschaft des Kopfes und der Köpfe verlassen und erfährt nie recht, was passirt ist. Wer ist heutigen Tages noch so harmlos, daß er Weltgeschichten und Biographien für richtig hält? Sie gleichen den Sagen und Anekdoten, die Namen, Zeit und Ort benennen, um sich glaubhaft zu machen. Sind sie unterhaltlich erzählt, sind sie ermunternd und lehrreich, oder rührend und erbaulich, nun gut! so wollen wir's gelten lassen. Ist man aber nicht grad ein Professor der Beredsamkeit und sonst noch allerlei, was der heilige Augustinus gewesen, und will doch partout über sich selbst was schreiben, dann wird man wohl am Besten thun, man faßt sich kurz. Und so auch ich.
Ich bin geboren im April 1832 zu Wiedensahl als der Erste von Sieben.
Mein Vater war Krämer; heiter und arbeitsfroh; meine Mutter, still und fromm, schaffte fleissig in Haus und Garten. Liebe und Strenge sowohl, die mir von ihnen zu Theil geworden, hat der "Schlafittig" der Zeit aus meiner dankbaren Erinnerung nicht zu verwischen vermocht.
Was weiss ich denn noch aus meinem dritten Jahr? Knecht Heinrich macht schöne Flöten für mich und spielt selber auf der Maultrommel, und im Garten ist das Gras fast so hoch wie ich, und die Erbsen sind noch höher, und hinter dem strohgedeckten Hause, neben dem Brunnen, stand ein flacher Kübel mit Wasser, und ich sah mein Schwesterchen drin liegen, wie ein Bild unter Glas und Rahmen, und als die Mutter kam, war's kaum noch in's Leben zu bringen.
Mein gutes Großmütterlein war zuerst wach in der Früh. Sie schlug Funken am P-förmigen Stahl, bis einer zündend in's "Usel" sprang, in die halbverkohlte Leinwand im Deckelkästchen des Feuerzeugs; und bald flackerte es lustig in der Küche auf dem offenen Heerde unter dem Dreifuß und dem kupfernen Kessel; und nicht lange, so hatte auch das Kanonenöfchen in der Stube ein rothglühendes Bäuchlein, worins bullerte. Als ich sieben, acht Jahr alt war, durft ich zuweilen mit aufstehn; und im Winter besonders kam es mir wonnig geheimnißvoll vor, so früh am Tag schon selbstbewußt in dieser Welt zu sein, wenn ringsumher noch alles still und tot und dunkel war. Dann saßen wir zwei, bis das Wasser kochte, im engen Lichtbezirk der pompejanisch geformten zinnernen Lampe. Sie spann. Ich las ein paar schöne Morgenlieder aus dem Gesangbuch vor.
Später beim Kaffee nahmen Herrschaft, Knecht und Mägde, wie es guten Freunden geziemt, am nämlichen Tische Platz.
Um diese Zeit passirte eine kleine Geschichte, die recht schmerzhaft und schimpflich für mich ablief. Beim Küster diente ein Kuhjunge, fünf, sechs Jahre älter als ich. Er hatte in einen rostigen Kirchenschlüssel, so groß wie dem Petrus seiner, ein Zündloch gefeilt, gehacktes Fensterblei hatte er auch schon genug; blos das Pulver fehlte ihm noch zu Blitz und Donner. Infolge seiner Beredsamkeit machte ich einen stillen Besuch bei einer gewissen steinernen Kruke, die auf dem Speicher stand. Nachmittags zogen wir mit den Kühen auf die einsame Waldwiese. Großartig war der Widerhall des Geschützes. Und so beiläufig ging auch ein altes Bäuerlein vorbei in der Richtung des Dorfes. Abends kehrte ich fröhlich heim und freute mich so recht auf das Nachtessen. Mein Vater empfing mich an der Thür und lud mich ein, ihm auf den Speicher zu folgen. Hier ergriff er mich beim linken Arm und trieb mich vermittels eines Rohrstockes im Kreise umher, immer um die Kruke herum, wo das Pulver drin war. Wie peinlich mir das war, ließ ich weithin verlautbaren. Und sonderbar! Ich bin weder Jäger noch Soldat geworden.
Als ich neun Jahre alt war, sollte ich zu dem Bruder meiner Mutter nach Ebergötzen. Wie Kinder sind, halb froh halb wehmüthig, plätscherte ich am Abend vor der Abreise mit der Hand in der Regentonne, über die ein Strauch von weißen Rosen hing, und sang Christine! Christine! versimpelt für mich hin.
Früh vor Tage wurde das dicke Pommerchen in die Scheerdeichsel des Leiterwagens gedrängt. Das Gepäck ist aufgeladen; als ein Hauptstück der wohlverwahrte Leib eines alten Zinkedings von Klavier, dessen lästig gespreiztes Beingestell in der Heimath blieb; ein ahnungsvolles Symbol meiner musikalischen Zukunft. Die Reisenden stiegen auf; Großmutter, Mutter, vier Kinder und ein Kindermädchen; Knecht Heinrich zuletzt. Fort rumpelt's durch den Schaumburger Wald. Ein Rudel Hirsche springt über den Weg; oben ziehen die Sterne; im Klavierkasten tunkt es.
In Wirthshäusern einkehren thaten wir nicht; ein wenig seitwärts von der Straße wurde still gehalten; der Deckel der Ernährungskiepe wurde aufgethan und unter anderem ein ganzer geräucherter Schinken entblößt, der sich bald merklich verminderte. Nach mehrmaligem Uebernachten bei Verwandten, erreichten wir glücklich das Pfarrhaus zu Ebergötzen.
Gleich am Tage nach der Ankunft schloß ich Freundschaft mit dem Sohne des Müllers. Wir gingen vors Dorf hinaus, um zu baden. Wir machten eine Mudde aus Erde und Wasser, die wir "Peter und Paul" benannten, überkleisterten uns damit von oben bis unten, legten uns in die Sonne, bis wir inkrustirt waren wie Pasteten, und spültens im Bach wieder ab.
Auch der Wirth des Ortes, weil er ein Piano besaß, wurde bald mein guter Bekannter. Er war rauh wie Esau. Ununterbrochen kroch das schwarze Haar in die Kravatte und aus den Aermeln wieder heraus bis dicht an die Fingernägel. Beim Rasiren mußte er weinen, denn das Jahr 48, welches selbst den widerspänstigsten Bärten die Freiheit gab, war noch nicht erschienen. Er trug lederne Klapppantoffeln und eine gelbgrüne Joppe, die das hintere Mienenspiel der blaßblauen Hose nur selten zu bemänteln suchte. Seine Philosophie war der Optimismus mit rückwirkender Kraft; er sei zu gut für diese Welt, pflegte er gern und oft zu behaupten. Als er einst einem Jagdhunde muthwillig auf die Zehen trat und ich meinte, das stimme nicht recht mit seiner Behauptung, kriegt ich sofort eine Ohrfeige. Unsere Freundschaft auch. Doch die Erschütterung währte nicht lange. Er ist mir immer ein lieber und drolliger Mensch geblieben. Er war ein geschmackvoller Blumenzüchter, ein starker Schnupfer und kinderlos, obgleich er sich dreimal vermählt hat.
Bei ihm fand ich einen dicken Notenband, der durchgeklimpert, und freireligiöse Schriften jener Zeit, die begierig verschlungen wurden.
Der Lehrer der Dorfjugend, weil nicht der meinige, hatte keine Gewalt über mich–so lange er lebte. Aber er hing sich auf, fiel herunter, schnitt sich den Hals ab und wurde auf dem Kirchhofe dicht vor meinem Kammerfenster begraben. Und von nun an zwang er mich allnächtlich, auch in der heißesten Sommerzeit, ganz unter der Decke zu liegen. Bei Tag ein Freigeist, bei Nacht ein Geisterseher.
Mein Freund aus der Mühle, der meine gelehrten Unterrichtsstunden theilte, theilte auch meine Studien in freier Natur. Dohnen und Sprenkeln wurden eifrig verfertigt, und der Schlupfwinkel keiner Forelle den ganzen Bach entlang, unter Steinen und Baumwurzeln blieb unbemerkt von uns.
Zwischen all dem herum aber schwebte beständig das anmuthige Bildniss eines blondlockigen Kindes. Natürlich sehnte ich oft die bekannte Feuersbrunst herbei mit nachfolgendem Tode zu den Füßen der geretteten Geliebten. Meist jedoch war ich nicht so rücksichtslos gegen mich selbst, sondern begnügte mich mit dem Wunsch, daß ich zauberhaft fliegen und hupfen könnte, hoch in der Luft, von einem Baum zum andern, und daß sie es mit ansähe und wäre starr vor Bewunderung.
Von meinem Onkel, der äußerst milde war, erhielt ich nur ein einzig Mal Hiebe, mit einem trockenen Georginenstängel, weil ich den Dorftroddel geneckt hatte. Dem war die Pfeife voll Kuhhaare gestopft und dienstbeflissen angezündet. Er rauchte sie aus, bis auf's letzte Härchen, mit dem Ausdruck der seligsten Zufriedenheit. Also der Erfolg war unerwünscht für mich in zwiefacher Hinsicht. Es macht nichts. Ein Troddel bleibt immer eine schmeichelhafte Erinnerung.