Отрывок из книги
Volker Ilgen
CARE-Paket & Co.
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Beim Westpaket der „reichen“ Bundesbürger hingegen löste der potenzielle Almosenaspekt auf Empfängerseite die hektische Suche nach einer passenden Gegengabe aus. Wenn diese dann mit Räuchermännchen aus dem Erzgebirge oder den berühmt-berüchtigten Häkel-Sofaschonern eintrafen, führte das auf der Westseite oftmals zu naserümpfender Fehlinterpretation, weil der DDR-Bürger damit weder die in der Bundesrepublik quasi als Sozialnorm verbreitete Metapher von den „armen Brüdern und Schwestern“ beachtet hatte noch der „großherzige“ Westler die psychologische Tiefendimension des östlichen Reflexes durchschaute: Wer schenkt, opfert zwar einen Teil seiner Ressourcen, bedroht aber damit den Autonomiestatus des Beschenkten.
Im Geschenk offenbart sich immer auch die Identität des Schenkenden, was Simmel als „Expansion des Ich“ bezeichnete: Wenn vaterländisch motivierte Frauen, wie im Ersten Weltkrieg geschehen, für die Soldaten als Liebesgabe Leseheftchen anfertigten, in die sie Zeitungsartikel, Zeichnungen oder Fotos nach eigenem Gusto einklebten, oder wenn Amerikanerinnen rosafarbene Morgenmäntel mit Goldplissé in CARE-Paketen ins derangierte Nachkriegsdeutschland mitschicken ließen, stülpten sie den Empfängern einen Teil ihres eigenen Ichs über. Insofern sind sowohl die individuellen Gegenreaktionen der DDR-Bürger als auch der harsche Umgang ihrer Staatsführung mit der westdeutschen Paketflut verständlich, wobei sich das SED-Regime auf eine die eigene Verweigerungshaltung entlastende, da erklärende Ebene zurückziehen konnte, indem es ein Grundaxiom der marxistischen Gesellschaftslehre aufrief, wonach Eigentum bzw. dessen virtuos-spielerischer Einsatz in Form der Westpakete als Quelle und Resultat für Ausbeutung zu definieren ist.
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