Warum ist das Einfache so schwierig?
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Walter Oberlechner. Warum ist das Einfache so schwierig?
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NOVEMBER. Die grauen Schleier des Nebels im November sind wie Daunen, die der ungeschützten Natur Geborgenheit verheißen, bevor die schwere Decke des Schnees. sich über alles ausbreitet und den Schlaf bewacht. Nie ist der Traum lebendiger als in dieser Zeit. Das Angebot war verlockend, daher habe ich bei der Grawe gekündigt und auf alle Ansprüche, die mir die vielen Jahre im Arbeitsleben gebracht hätten, verzichtet. Die Grawe hat mir ein großes Abschiedsfest im Wiener Rathauskeller bereitet. Ich bin mit einem lachenden und einem weinenden Auge fortgegangen. Heute rückblickend, bin ich froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe, obwohl eine Zeit auf mich zugekommen ist, die meine ganze Kraft gefordert hat. Meine Vertragsverhandlungen habe ich erfolgreich abgeschlossen und auch einen Pensionsvertrag ausgehandelt. Bevor ich im neuen Unternehmen angefangen habe, bin ich mit Christine noch nach Ecuador gefahren. Das Projekt in Bolivien war zu Ende und eine neue Herausforderung war überfällig. Norbert war mit seiner Familie nach Ecuador übersiedelt und erzählte mir, dass in dem Bereich, in dem er wohnte, die meisten Blinden der Welt lebten. Die Ursache dafür war eine Keramikfabrik, die ungefiltert die Abgase aus der Produktion über den Kamin entsorgte. Bei den Bewohnern jener Gegend, in der die Abgase niedergingen, war die Wirkung so groß, dass 80 % der Bevölkerung blind wurden. Niemand kümmerte sich um diese Menschen. Nur der Erzbischof von Quenca, der von der Deutschen Botschaft eine Villa geschenkt bekam, weil er sich um die Blinden kümmerte, versuchte; die Regierung unter Druck zu setzen, diesen Missstand zu beseitigen. Die Folge waren Morddrohungen. Kurze Zeit wurde er auch als zukünftiger Papst gehandelt, aber das war nur ein Traum, weil Revolutionäre in dieser Kirche keinen Platz haben. Sie werden auch Befreiungstheologen genannt. Hans Muliar, der Sohn von Fritz Muliar, dem ich die Situation erzählte, war von der Idee begeistert, eine Initiative zu gründen, um den Blinden eine Existenzgrundlage zu bieten, die ihr Überleben leichter machte. Wir gründeten einen Verein mit dem Namen „Durch Blinde sehen“. Prof. Freyler, der beste Augenarzt, den Österreich hatte, übernahm die Präsidentschaft und durch großzügige Spenden von bekannten Künstlern und Institutionen war so viel Geld zusammengekommen, dass wir damit dort Lehrwerkstätten errichten konnten, die den Blinden die Möglichkeit gaben, einen Beruf zu erlernen und nicht mehr angewiesen zu sein, auf der Straße zu betteln. Die Reise nach Ecuador war für das Projekt wichtig, weil ich dort mit den Logen in Chito reden musste, damit diese die Initiative weiter betreuen würden. Ich organisierte in Wien einen Abend im Konzerthaus, in dem die „Schöpfung“ von Joseph Haydn aufgeführt wurde, zu dem der Botschafter von Ecuador zusammen mit dem damaligen österreichischen Vizekanzler, Dr. Busek, den Ehrenschutz übernommen hatte. Der 8. Dezember war der Termin für die Aufführung. Viele Busse aus Niederösterreich waren organisiert worden, weil das Interesse für die Aufführung auch vom künstlerischen Bezug her groß war. Am Nachmittag begann es zu schneien und artete zu einem Schneesturm aus, wie ihn Wien seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte. Die Züge, die Straßenbahnen, aber auch die Taxis hatten keine Chance, auf den Straßen weiterzukommen. Trotzdem war das Konzerthaus fast voll. Wie das die Menschen geschafft haben, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Der Flug nach Ecuador war teuer, daher bin ich zur Lufthansa gegangen und habe gefragt, ob ich einen Rabatt haben könnte, für den Flug für zwei Personen. Lufthansa war sehr großzügig und hat die Kosten für den Flug für Christine halbiert und wir konnten ohne Aufzahlung in der Business-Class fliegen. In Chito wohnten wir bei Norbert und Monica und den Kindern von ihnen in einem Haus. Für dortige Verhältnisse sehr komfortabel. Weihnachten und Silvester feierten wir mit ihnen. Es war anders als bei uns. Die Menschen feierten im Freien, weil es sehr warm war, und zu Silvester wurde Fußball gespielt. Ich versuchte, das Tor sauber zu halten, was aber bei meinen Kenntnissen über Fußball nicht sehr erfolgreich geendet hat. Mein Vortrag in der Loge war erfolgreich, weil ich ein Bewusstsein bei den Brüdern für die Situation der Blinden wecken konnte. Heute geht es den Blinden so gut, dass sie durch ihren erlernten Beruf in der Gesellschaft voll integriert sind. Außerdem wurden die Schutzmaßnahmen in den Keramikfabriken so verbessert, dass die Erblindungen sehr stark zurückgegangen sind. Ein Jahr nach dieser Initiative ist Hans Muliar an Krebs gestorben. Er hatte einfach zu viel geraucht und wollte auch nicht mehr damit aufhören. 3 Tage vor seinem Tod hatte sein Vater im Akademietheater mit dem Stück „Sibirien“ Premiere. Hans wollte nach diesem Erlebnis im Theater nicht mehr weiterleben und wollte nicht so zugrunde gehen wie der Darsteller in diesem Stück. Er hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er nun in das Krankenhaus gehen wolle und versuchen werde, seine Situation zu ändern. Es war zu spät für eine Genesung. Am Beginn meiner neuen Tätigkeit hatten wir noch keine Mitarbeiter. Viele neue Räume wurden zur Verfügung gestellt, meine Sekretärin in der Grawe durfte ich mitnehmen und ein zweiter Geschäftsführer, der sich um die EDV kümmerte, wurde aufgenommen. Von der Wirtschaftskammer wurde mir ein kontrollierender Geschäftsführer zur Seite gestellt, dem ich sehr viel verdanke. Dr. Gründler, der spätere Generalsekretär-Stellvertreter der Bundeswirtschaftskammer war versiert im Umgang mit den politischen Funktionären und vermittelte mir mit seiner Ruhe und Gelassenheit das Gefühl, dass mir nichts passieren konnte, wenn ich nicht von meiner bisherigen Haltung dem Leben gegenüber abkommen würde. Das Produkt, das wir verwalten mussten, war eine Abfertigungsvorsorge für Arbeitnehmer, wenn sie gekündigt wurden oder in Pension gehen wollten. Die Abfertigungsansprüche der Arbeitnehmer waren für viele Unternehmen ein Punkt, der einen Betrieb in große Schwierigkeiten bringen konnte, wenn der Arbeitnehmer in Pension gehen wollte und die Abfertigungsansprüche ausbezahlt werden sollten. Durch eine Versicherung konnten diese Ansprüche ausgelagert werden. Die Prämien wurden von den Wirtschaftskammern gestützt, daher wurde diese Versicherung sehr schnell von den Unternehmern angenommen und abgeschlossen. Besonders in Wien hat die Wirtschaftskammer einen großen Betrag zugeschossen und dadurch auch die Leistungen im Versicherungsfall stark erhöht. Es waren 200 Millionen, die ich für ein Jahr in verschiedenen Banken anlegen musste. Die Vorgabe der Kammer waren 5,5 % Zinsen, die ich erzielen musste. Ich war begeistert, wie die Banken sich gegenseitig überboten haben, den Betrag zu erhalten. Am Ende habe ich nach einem Jahr 6,5 % erwirtschaftet. Die Kammer konnte sich nicht erklären, wie ich das gemacht habe, weil sie diese Rendite nie erreichen konnten. Die sieben Gesellschafter haben uns insgesamt 25 Mitarbeiter des Verkaufs zur Verfügung gestellt, die bei ihren Kunden das Produkt verkauften. Meine Aufgabe am Anfang war die Schulung der Mitarbeiter und die Schulung der Steuerberater in ganz Österreich. Dr. Gründler hat mich begleitet, weil er Fachmann für Abfertigungsansprüche war und am Entstehen des Produkts auch mitgearbeitet hat. Nach einem Jahr war unser Unternehmen so erfolgreich, dass von den damaligen 50.000 Firmen, für die das Produkt infrage kam, mehr als die Hälfte bereits diese Art der Vorsorge abgeschlossen hatten. Eines Tages erhielt ich einen Anruf. Dr. Schüssel, der spätere Bundeskanzler, war am Apparat und fragte an, ob wir ein Inserat in der Wirtschaftsbundzeitung schalten würden. Natürlich bejahte ich diese Frage und wir besprachen die Details des Layouts. Am Ende fragte ich ihn, ob der normale Anzeigentarif zu verrechnen sei oder ob wir bessere Konditionen bekommen würden. S. 5.000.– war der normale Tarif. Er antwortete: „Nicht 5.000, sondern 1 Million.“ Ich fragte ihn, ob er mich pflanzen wolle, er antwortete: „Werden Sie nicht frech“, und beendete das Gespräch. 10 Minuten später rief der Syndikatsvorsitzende an und wollte wissen, wie ich dazu käme, mit Herrn Schüssel in diesem Ton zu reden. Ich antwortete, dass ich lebenslänglich eingesperrt werden müsste, wenn ich für ein Inserat, das normalerweise S. 5.000 kostet, einen Millionenbetrag zahlen würde. Er meinte: „Sie werden schon noch unterschreiben“, und hat aufgelegt. Ich wurde zu Herrn Buchinger gerufen, der mir mitteilte, sollte ich nicht unterschreiben, würde mein Gehalt halbiert und außerdem müsste ich in Zukunft jede Rechnung und jeden Auftrag, den ich entscheiden würde, von einem Kanzleigehilfen, der im Archiv der Bundesländer arbeitete, gegenzeichnen lassen. Dr. Gründler hat gemeint, dass ich ruhig unterschreiben solle, er würde auf keinen Fall unterschreiben. Das lehnte ich ab, weil ich ja die Verantwortung hatte. 2 Monate haben mich die Herren gequält, ich weigerte mich. Es wurde eine Generalversammlung einberufen, um den Gesellschaftern die Situation der Firma zu erklären. Eine Woche vor der Sitzung bin ich zur Wiener Städtischen gegangen und habe dem Gen.–Direktor, Dr. Sellitsch, meine Situation mitgeteilt. Mir war bewusst, dass es hier um versteckte Parteienfinanzierung ging und ich erpressbar werden würde, wenn ich zustimmte. Außerdem konnte ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, in dieser Form zu agieren. Was mich heute noch empört, ist die Selbstverständlichkeit, mit der Dr. Schüssel geglaubt hat, Erfüllungsgehilfen vor sich zu haben, die, ohne zu fragen, das tun, was er wollte. Woher nimmt er eigentlich diese Präpotenz, zu glauben, er wäre das Maß der Dinge. Wenn ich heute die Medienberichte verfolge, was mit den einzelnen korrupten Politikern passiert, wenn sie im Untersuchungsausschuss nicht antworten wollen, wird mir bewusst, wie Lebewesen (Menschen möchte ich zu diesen Behinderten nicht sagen) agieren, wenn die soziale Intelligenz nicht entwickelt ist. Auch sie werden eines Tages sterben. Bei der Generalversammlung erklärte ich die Bilanz, Dr. Sellitsch unterbrach mich und fragte, warum ich die Forderung von einer Million für Inserate nicht zahle. Ich erklärte ihm, dass ich keinen Auftrag erteilt habe. „Warum steht es dann in der Bilanz?“, fragte er weiter. Die Alpentreuhandgesellschaft hatte die Forderung hineingenommen, obwohl von mir kein Auftrag gegeben wurde. Dr. Sellitsch sagte noch: „Ich lass mich hier nicht über den Tisch ziehen“, und verließ die Generalversammlung. Nach dem Abgang sind die anderen Gesellschafter auch aufgestanden und die Sitzung war geplatzt. Anschließend musste ich zu Herrn Buchinger kommen, der mir einen neuen Dienstvertrag vorlegte, in dem nur mehr die Hälfte meines Einkommens angeboten wurde. Dr. Gründler wurde sofort suspendiert und mir drohte man mit weiteren Sanktionen. Ich könnte es mir ja noch einmal überlegen. Natürlich habe ich mir nichts mehr überlegt und habe diesen Vertrag nicht zur Kenntnis genommen. Entlassen konnte man mich nicht, weil kein Arbeitsgericht dem zugestimmt hätte. Für die Änderung des Dienstvertrages hätten die zwei größten Gesellschafter und der Aufsichtsrat unterschreiben müssen. Ich bin meiner Arbeit nachgegangen und habe abgewartet, was noch alles kommen würde. Eine Woche später ist eine Reporterin der Kronenzeitung zu mir gekommen, um mit mir ein Interview zu machen. Ich erklärte ihr die Konstruktion des Unternehmens und unsere Ziele. Sie fragte auch, was mit den 200 Millionen geschehen sei, die von der Wiener Wirtschaftskammer angelegt wurden. Ich habe ihr erklärt, dass sie gut angelegt seien und den Firmen für deren Abfertigungsansprüche zugeschossen werden würden. Am nächsten Tag ist in der Kronenzeitung als große Überschrift gestanden: „Geschäftsführer Oberlechner verludert 200 Millionen??“ Einen Tag später stand auf der zweiten Seite kleingedruckt: „Wir entschuldigen uns für die gestrige Fehlinformation. Der Geschäftsführer Oberlechner hat kein Geld verludert.“ Der Syndikatsvorsitzende und Herr Buchinger haben mir dann erklärt, dass ich medial verbraucht sei und es für mich schwer werde, weiterhin für das Unternehmen tätig zu sein. Dem stimmte ich zu und verlangte eine einvernehmliche Lösung meines Vertrages. Das wurde abgelehnt. Ich bin wieder zu Dr. Sellitsch gegangen. Dieser hat Dr. Petrak, den Syndikatsvorsitzenden, angerufen und gedroht, sollte Oberlechner nicht alle Forderungen erhalten, die ihm zustünden, werde er seine Anteile am Unternehmen sofort kündigen. Am ersten September 1991 habe ich alle Ansprüche ausbezahlt bekommen und habe mich mit 57 Jahren als Betriebsberater selbstständig gemacht. Am Anfang war es nicht leicht, aber die Grawe hat mich für Rhetorik und Führungsseminare 15 Jahre lang engagiert. Auch die Wirtschaftskammern haben viele Seminare mit mir gemacht. Christine und ich wollten im Sommer aus der Stadt und in der Nähe von Wien eine Wohnung pachten. Das Kloster meiner Schwester Hildegard hatte in Wiener Neudorf ein großes Areal, auf dem einige Einfamilienhäuser standen, die ursprünglich für Mädchen, die nach der Erziehungsanstalt ins Kloster eintreten wollten, gedacht waren. Sie konnten nicht in den normalen Orden eintreten, sondern der Orden wurde „Die Magdalenerinnen“ genannt und wurde auch separat geführt. Wir haben uns eines der Häuser angeschaut und waren sehr angetan von den Räumlichkeiten und der Lage. Wir haben im Provinzhaus in Vill bei Igls angerufen und wurden eingeladen, nach Innsbruck zu kommen, um über den Vertrag zu reden. Die Provinzoberin erklärte uns, dass ich damit rechnen müsste, dass in den nächsten Jahren das gesamte Areal an Wiener Neudorf verkauft werden würde und dass derzeit die Kobra dort ihre Übungen abhalte. „Aber wir haben eine Villa in Oberösterreich. Schauen Sie sich dieses Haus an, ich glaube es wird Ihnen gefallen.“ Christine meinte: „Was brauchen wir ein Haus in Oberösterreich. Ich fahre doch nicht am Wochenende 250 km hin und wieder zurück.“ Ich meinte, dass wir auf dem Heimweg dort vorbeischauen könnten. „Nein kann man immer noch sagen, wenn es uns nicht zusagt.“ Wir sind dort vorbeigefahren. Jetzt ist es 28 Jahre her und wir sind immer noch glücklich mit dem Haus. Doch das ist eine andere Geschichte. Seit 1990 war ich auch Generalsekretär des österreichischen Reifenhandels neben meiner Tätigkeit als Geschäftsführer. Der Aufwand war nicht besonders zeitraubend, weil ich nur einige Tage im Monat aktiv werden musste. Die Hauptaufgabe für mich bestand darin, die Interessen der Reifenindustrie und des Handels zu koordinieren und beide Teile in eine Partnerschaft zu bringen. Das ist auch gut gelungen. Heute sind sie eine Einheit, ohne dieses Miteinander hätten Sie es schwer, existieren zu können. Mein Engagement im Theaterensemble war in den vielen Jahren sehr intensiv. In den Jahren von 1976 bis 1991 habe ich 986 Mal auf der Bühne gestanden und auch drei verschiedene Stücke inszeniert. Viele Theateraufführungen waren sehr erfolgreich, es hat kaum eine Stadt gegeben, in der wir nicht gespielt haben. Ich brauchte eine neue Herausforderung. Walter Kobéra, mit dem ich schon die Schöpfung gemacht hatte, war Konzertmeister des Niederösterreichischen Tonkünstlerorchesters und wurde von der Stadt Wien beauftragt, in der Orangerie von Schönbrunn ein Ereignis aus dem Jahre 1786 aufzuführen. Kaiser Josef II hatte im Februar 1786 den gesamten Hochadel zu einem Frühlingsfest eingeladen. Er wollte in der Orangerie, das ist eine Halle, in der die mediterranen Pflanzen über Winter eingelagert sind, Mozart und Salieri zu einem Wettstreit einladen, um herauszufinden, wer der bessere Kompositeur sei. Ein Libretto von Da Ponte diente dazu als Vorlage. Jeder der beiden musste dazu eine Oper komponieren. Es wurden zwei Bühnen aufgebaut. Auf der einen Seite wurde „Der Schauspieldirektor“ von Mozart und auf der anderen Seite „Prima la Musica“ von Salieri aufgeführt. In der Mitte ist das Publikum gesessen und hat darüber abgestimmt, wer aus ihrer Sicht der bessere Kompositeur sei. Als Belohnung wurde dem Sieger der Posten als Hofmusikkapellmeister zuerkannt. Salieri hat gewonnen und Mozart ist sehr gekränkt nach Deutschland gereist und hat bis zu seinem Tode nicht mehr für den Hof gearbeitet. Ich durfte die Oper von Mozart und Tambosi erhielt den Auftrag, die Salieri Oper zu inszenieren. Meine Inszenierung war wieder für das Projekt „Durch Blinde sehen“ gedacht, daher haben wir alle Kostüme von der Staatsoper kostenlos bekommen. Ich durfte auch den Buffo singen. Das war für mich der Höhepunkt in meinem Leben als Sänger. Mit einem Orchester auf einer Opernbühne zu stehen und eine Arie zu singen, was gibt es Schöneres. Meine Inszenierung war absichtlich so wie sie zur Zeit Mozarts inszeniert wurde, während Tambosi die Handlung in die heutige Zeit verlegte und modern auslegte. Seine Oper begann mit einem Knalleffekt. Eine schöne junge Dame machte ein Sonnenbad in einem Liegestuhl, nur mit einem Slip bekleidet, und aus dem Lautsprecher ertönte ein moderner Schlager aus den 80er Jahren. In der Mitte des Saales ist das Publikum gesessen und hat vor der zweiten Aufführung ein Menü serviert bekommen, so wie damals. Ich habe während des Essens dem Publikum sowohl den geschichtlichen Hintergrund dieses Abends, als auch die Motive, die zu dieser Aufführung geführt haben, erklärt. Insgesamt haben wir 13 Aufführungen gehabt und alle waren ausverkauft. Im September 1991 hat Christine Bledl Graf Kuen von Meran geheiratet. Das Theaterensemble war zur Hochzeit eingeladen und ich wollte Christine als Hochzeitsgeschenk eine besondere Freude bereiten. Nach der Trauung in der Kirche war vorgesehen, dass die Hochzeitsgesellschaft zu Fuß zum Schloss der Kuen gehen werde. An verschiedenen Plätzen dorthin haben wir Barrieren errichtet, die gleichzeitig jeweils eine Szene darstellten, die sie im Ensemble gespielt hatte. Für sie war es natürlich schwierig, sich aus dem Stand sofort zu erinnern, was sie antworten musste. Erst wenn sie die Szene mit dem jeweiligen Partner aus dem Stück gespielt hatte, durfte der Zug sich weiterbewegen. Andorra, Ball der Diebe, Prinz, Hexenjagd waren die Stücke, die ich ausgesucht hatte. Sie hat alle Szenen im Kopf gehabt. Leider hat mit diesen Szenen auch mein Engagement im Ensemble geendet. Wahrscheinlich war mein Hang zur Perfektion für einige der jungen Ensemblemitglieder unerträglich geworden und, wie fast in jeder Gruppe, auch die Rebellion gegen Ältere kam zum Ausbruch. Mit 57 Jahren ist ein Mensch noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung, aber für Menschen zwischen 20 und 30 Jahren zählt man schon zum alten Eisen. Ausschlaggebend war sicher auch, dass ich nicht den katholischen Vorstellungen der Vereinsführung entsprochen habe. Aber das gehört zu meiner Lebenshaltung, dass ich mir nicht vorschreiben lasse, was ich zu denken habe. Die Umstellung meiner beruflichen Tätigkeit hat auch dazu beigetragen, dass ich mich, zwar traurig, aber neugierig auf neue Herausforderungen, von meinem liebsten Hobby verabschiedet habe. Ganz konnte ich es, wie sich später herausstellte, nicht lassen, meinen Hang zum Theater. Zu Silvester 1991 wollten wir diesen Tag in Wien verbringen, weil ich noch nie in der Silvesternacht am Stephansdom war. Dort war das Zentrum aller Aktivitäten in dieser Nacht. Der Lärm dort war unerträglich. Die Böller übertönten sogar die Bummerin um Mitternacht. Wir flüchteten und eilten über den Kohlmarkt, den Heldenplatz, über den Rathausplatz zum Spittelberg. Die Stille, die dort herrschte, war beängstigend. Auch die Spittelberggasse war menschenleer. Da habe ich zur Christine gesagt: „Ist das nicht schrecklich, die Menschen verkriechen sich in ihren Wohnungen und verschließen sich dem neuen Jahr. Man könnte doch diese Nacht zur Nacht der Begegnung machen. Auf allen öffentlichen Plätzen könnte man Sektstände errichten und einander um Mitternacht zuprosten und auch miteinander tanzen. Der Reinertrag könnte Menschen zugutekommen, denen es schlecht geht, oder aber auch in jene Länder geschickt werden, in denen der Hunger an der Tagesordnung ist.“ Am nächsten Tag habe ich an den ORF und an den Bürgermeister von Wien, Dr. Zilk, einen Brief geschrieben und habe ihnen meine Idee mitgeteilt. Ein Jahr später habe ich aus den Medien erfahren, dass Dr. Zilk eine tolle Idee hatte. Es wurde der Silvesterpfad in Wien eingerichtet. Ich habe Dr. Zilk, der mit seiner Frau im Rathauspark spazieren ging, angesprochen und ihn gefragt, warum er mir auf mein Schreiben nicht einmal geantwortet und meine Idee einfach als von ihm stammend präsentiert habe. Er hat mir geantwortet, wenn einer eine gute Idee hätte, müsse man sie ausführen, das habe er getan. 20 Jahre später ist Wien eine andere Stadt geworden. Bis zu 1.000.000 Menschen feiern auf den Straßen von Wien und es ist selbstverständlich geworden, nicht mehr zu Hause zu bleiben und zu warten, bis „Das Dinner for One“ im Fernsehen zu Ende ist. Auch im übrigen Österreich wurde diese Art zu feiern zur Selbstverständlichkeit. Anfang der Neunzigerjahre habe ich von der oberösterreichischen Volkspartei das Angebot erhalten, an einem Hearing teilzunehmen, in dem zu entscheiden war, wer den Auftrag erhalten sollte, die neuen Landtagsabgeordneten der ÖVP auszubilden. Ich wurde gebeten, mich im Landtagsclub vorzustellen und auch darüber zu referieren, welche Themenschwerpunkte in meinen Schulungen behandelt werden. Rhetorik, Konferenzleitung und Menschenführung waren die Kernpunkte meines Angebotes. Innerhalb des Landtagsclubs herrschte geteilte Meinung über die Notwendigkeit, das Kraftwerk Lambach zu bauen oder nicht. Die Grünen in Oberösterreich polemisierten gegen das Kraftwerk aus ökologischen und Umweltgründen. Die Hälfte der Abgeordneten war verunsichert und befürchtete, dass die ÖVP bei der nächsten Wahl aus diesen Gründen Mandate verlieren könnte. Ich wurde gefragt, was ich ihnen raten würde zu tun. Für mich war klar, dass dieses Kraftwerk gebaut werde müsse, wenn alle Punkte, die für oder gegen das Kraftwerk sprechen würden, sowohl kurz als auch langfristig geprüft worden seien und die Partei aus tagespolitischen Gründen nein zum Kraftwerk sagen würde, oder aber so entscheidet, wie sie entscheiden müsste, wenn sie langfristig für das Land das Beste tun will, egal ob es ihnen jetzt schaden könnte. Dies war auch die Meinung des Landeshauptmannes Pühringer und einiger der Abgeordneten. Das Kraftwerk wurde gebaut und heute sind alle froh, dass wir es haben. Die Abgeordneten haben mir den Lehrauftrag einstimmig übertragen. 1994 wurde ich von der Frau eines Reifenhändlers eingeladen, ihre Ausstellung bei einer Vernissage zu eröffnen. Sie hat ihr Talent zur Malerei entdeckt und wollte aufzeigen, dass man in jedem Alter Neues beginnen kann. Im Rahmenprogramm hat Gunnar Prokop einen Vortrag über den Sport und im Besonderen über seine Hypo Südstadt Handball-Damenmannschaft gehalten. In seiner manchmal groben Ausdrucksweise hat er ein Bild über die Damen gezeichnet, das ich nicht nachvollziehen konnte. Meine Rede über die Künstlerin habe ich folgendermaßen begonnen: „Nach einem Gunnar Prokop über Damen zu reden und ihre Leistung zu würdigen, ist fast unmöglich, weil er über Frauen ein Bild zeichnet, das einfach nicht stimmen kann. Wenn diese so wären, wie er sie hier dargestellt hat, dann würden sie nicht Europacupsieger sein, sondern in der 5. Liga am letzten Platz agieren. Die Wahrheit ist eine andere. Prokop ist einer der sensibelsten Manager, die im Sport tätig sind, und führt seine Mannschaft so, dass diese mit Recht diese Erfolge hat.“ Nach der Eröffnung ist Prokop zu mir gekommen und hat mich gefragt, woher ich wisse, dass er anders sei, als er sich dargestellt habe. „Weil ich Sie beobachte“, habe ich zu ihm gesagt, „und daher weiß, dass Sie Wege im Sport beschreiten, die andere nicht gehen können oder wollen.“ Er hat mich dann gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm zu arbeiten. In seinem WC hänge ein Plakat auf dem Folgendes steht: „Die Psyche lenkt die Motorik.“ „Ich weiß nicht, was das heißt, aber Sie könnten mir dabei helfen, es zu verstehen.“ Ich habe ihm meine Telefonnummer gegeben und dazu gesagt, dass ich mich nicht melden werde, aber wenn er sich melden würde, könnte er mit mir rechnen. Er hat sich gemeldet und wir haben begonnen, völlig neue Methoden im Sport einzuführen. Prokop wollte immer anders sein, als die anderen es wollten. Daher hat er auch Feinde gehabt, die auf seinen Erfolg neidisch waren. Im Trainingslager am Faakersee habe ich das erste Mal mit der Mannschaft gearbeitet und mit ihnen im ersten Seminar Rhetorik gemacht. Die Kunst der freien Rede war und ist für mich die Grundlage, auch im Sport erfolgreich zu sein. Was wir nicht in Worten denken können, können wir nicht denken. Wie soll ein junger Mensch mit Druck, Angst, Niederlagen, Frust und Erwartungshaltungen umgehen, wenn er keine Worte hat, sich von der Seele zu reden. Seit Jahren kritisiere ich, dass Skifahrer in den Medien wie Fernsehen und Radio keine ganzen Sätze sprechen können und einen Dialekt sprechen, den nicht einmal ich als Tiroler verstehen kann. Ich habe einmal Schröcksnadel auf dieses Defizit angesprochen und ihm vorgeschlagen, den Skifahrern im Interview Technik beizubringen. Seine Antwort war: „Insere Gitschen und Buiben miassen so bleibm, wia sie sein, des isch insere Kultur.“ Meine Antwort war: „Entschuldigen Sie die Störung. Bei Hypo waren viele Ausländerinnen, die ohnehin verunsichert waren, erstens mit unserer Kultur umgehen zu lernen, auch hier war die eigene Angst groß, weil ihr Deutsch nicht perfekt war, und daher hatten sie versteckte Minderwertigkeitskomplexe, die sie mit Zurückgezogenheit versuchten zu kompensieren. Wir Menschen können unsere Leistungen nur erbringen, wenn wir dort daheim sind, wo unsere Leistung gefordert wird. Wenn wir nur wie „bezahlte Feinde“ behandelt werden, revanchieren wir uns auf unsere eigene Art. Niederlagen haben viele Ursachen, aber auch Siege haben eigene Gesetze. Alle Spielerinnen haben Reden halten müssen, auch Tanja Dshandshgava, die Torfrau. Sie war Russin und mit der Sowjetischen Mannschaft 2 Mal Olympiasieger und einige Male Weltmeister geworden. Als sie an der Reihe war, eine Rede zu halten, hat sie sich geweigert, das zu tun. Gunnar hat sich schon gefreut, dass sie auch mir gegenüber nur das tat, was sie wollte. Ich habe gehört, wie er zu seinem Trainer gesagt hat: „Jetzt bin ich neugierig, was Walter tun wird, wenn sie dabeibleibt.“ Für mich war ihr Verhalten nicht lange ein Problem. Ich habe ihr gesagt, dass sie die Rede auch auf Russisch halten könnte, wenn sie wegen der Sprache nicht Deutsch reden möchte. Ihre Rede war sensationell. Ich habe kein Wort, außer das Wort Olympia, verstanden, aber ihr Vortrag war so perfekt, dass alle begeistert applaudierten. Gunnar war perplex. Diese 3 Wochen am Faakersee waren der Beginn einer Zusammenarbeit, die fast 10 Jahre gedauert hat. Was mir besonders gefiel, war die Tatsache, dass Gunnar offen war für völlig neue Methoden im Sport, die vorher nie praktiziert wurden. In Trainingslagern haben wir Malkurse, Töpferkurse und Gitarrenkurse gemacht, aber auch sehr viel dazu gesungen. Bei einem Trainingslager in den Pyrenäen haben wir gegen die Nationalmannschaft von China ein Trainingsspiel gehabt. Nach dem Spiel haben die Spielerinnen uns ein Ständchen gesungen. Wir haben mit einem Lied geantwortet. Die Beziehung zueinander war nachher anders als vor dem Match. Manchmal war es nicht leicht, Gunnars Launen zu verstehen, aber mit der Zeit hat er sich bei mir ausgetobt, wenn er mit dem Verhalten der Spielerinnen nicht einverstanden war. Nachdem er sich den Frust von der Seele getobt hatte, habe ich ihn gefragt, ob ihm nun leichter sei. Er wurde immer pflegeleichter. Wir haben in den vielen Jahren der Zusammenarbeit nie wirklich Streit gehabt, aber wir haben 6 Mal hintereinander den Europacup gewonnen, wurden 3 Mal Vereinsweltmeister, 1 Mal Dritter in der Europameisterschaft, 1 Mal Dritter in der Weltmeisterschaft. Hypo war damals ident mit der österreichischen Nationalmannschaft. 1995 war die Weltmeisterschaft in Wiener Neustadt. In einem Trainingslager am Faakersee habe ich Gunnar vorgeschlagen, dass ich mit den Spielerinnen gerne das Theaterstück „Der Kleine Prinz“ spielen möchte. Er fragte mich, wofür das gut sei. Ich erklärte ihm, dass Menschen, wenn sie Ausländer sind, ein anderes Selbstbewusstsein bekommen, wenn sie sogar in einer ihnen fremden Sprache auf der Bühne stehen und sprachlich keinen Fehler machen dürfen. Er war einverstanden und ich begann mit den Proben. Babsi Strass war der Prinz, Iris Moorhammer der Fuchs, Aushra war der König, Niki Prokop war der Pilot, Laura Fritz war die Blume, Stana Bosovich war der Eitle, Edith Strass war die Schlange, Edith Matej war der Geograph, Rima Zuchiene war der Manager, Tanja Dshandshgava war verantwortlich für die Technik. Ich machte die Beleuchtung zusätzlich zur Regie. Bei einer Probe mit Aushra als König hat sie einen Satzfehler gemacht. Ich habe sie verbessert, da hat sie mir die Rolle hingeworfen und gesagt: „Bin ich nicht Österreicherin, kann ich nicht perfekt sprechen“, und ist davongelaufen. Ich habe ihr nachgerufen, um 19 Uhr ist die nächste Probe. Sie war pünktlich zur Stelle und hat die Probe sehr gut abgeschlossen. Der ORF war mit seinem Starreporter Peter Klein bei der Aufführung dabei, die wir in einem Ort in der Nähe von St. Kanzian vor Publikum machten, um auch die Konzentration der Spielerinnen sicherzustellen. Nach der Aufführung ist Klein zu mir gekommen, hat mich umarmt und noch sehr berührt gesagt, dass er die Aufführung für das Fernsehen aufnehmen möchte, weil er sicher sei, dass Sport völlig neue Dimensionen erreichen könnte, wenn die Sportler im Sprachbereich so gefordert werden würden, wie sie es hier wurden. Ich habe das Stück im Stadttheater von Wiener Neustadt vor der Weltmeisterschaft noch einmal inszeniert. Der ORF hat ein Kamerateam für diese Aufführung hinbeordert. Alle, die im öffentlichen Leben bedeutend waren, sind gekommen. Die Medien berichteten ausführlich und Bundeskanzler Vranitzky ließ mir ausrichten, dass ich ein Buch über diese neuen Methoden im Sport schreiben solle, wenn wir Weltmeister werden sollten. Wir sind es nicht geworden, daher interessierte sich niemand mehr dafür, warum wir in den letzten Jahren 176 Mal ununterbrochen erfolgreich waren. Dabei war die Vorbereitung für die WM in Wiener Neustadt unglaublich professionell. Nach dem Gewinn des Europacups 1995 haben wir in Lienz auf 2000 Meter Höhe in einem Hotel eine Woche lang einen Malkurs gemacht. Die Spielerinnen waren ziemlich angefressen, weil sie 2 Tage nach dem Pokalgewinn dorthin fahren mussten. Ich war schon einen Tag vorher angereist, weil ich den Maler noch informieren musste, wie der Kurs vom Tagesablauf her gestaltet werden sollte. Hermann Pedit war zu diesem Zeitpunkt bereits ein international anerkannter Künstler, der sich bereit erklärt hatte, diesen Kurs zu leiten und den Spielerinnen die Kunst des Malens nahezubringen. Unsere Familien waren seit der Jugend unserer Eltern miteinander befreundet. Sein Vater ist mit meinem Vater in die Schule gegangen. Die Ankunft des Teams war für mich eine schlimme Erfahrung. Niemand grüßte mich, alle gingen auf ihre Zimmer, niemand wollte mit mir sprechen. Ich konnte damit nicht umgehen, weil sie 3 Tage vorher, nach dem Gewinn des Pokals, mich stürmisch umarmten und sich über den Sieg freuten wie Kinder. Beim Mittagessen habe ich dem schwedischen Trainer Arne Högdal laut, sodass mich alle hören konnten, gesagt, dass ich mich geirrt hätte, weil ich glaubte, dass ich es mit Profis zu tun hätte und nicht mit blöden verwöhnten Frauen, die ihre Launen auslebten, anstatt sich auf die Weltmeisterschaft vorzubereiten. Sportliche Erfolge funktionieren nur, wenn Siege oder Niederlagen auch psychisch verarbeitet werden. Nichts ist besser für die Aufarbeitung als die Hinwendung zu völlig anderen Aktivitäten. Dadurch werden im Gehirn Glückshormone freigesetzt, die den Menschen helfen, die durch Grenzsituationen entstandenen Spannungen abzubauen, um frei für neue Herausforderungen zu werden. Ich wollte mit ihnen nicht mehr weiterarbeiten und bin in mein Zimmer gegangen. 10 Minuten später sind alle Spielerinnen vor der Zimmertüre gestanden und haben sich für ihr Verhalten entschuldigt. Das war zu viel für mich. Ich habe mich für meine brutalen Äußerungen entschuldigt und der Malkurs mit Pedit konnte beginnen. Edith Matej fehlte noch, weil sie nicht rechtzeitig mit dem Flugzeug aus Rumänien in Wien angekommen war. Sie hat sich einen Leihwagen genommen, ist mit diesem nach Lienz gefahren und wollte mit dem Auto auf das Zettersfeld kommen. Ich kannte den Weg seit meiner Kindheit und wusste, dass die vielen Kurven in der Nacht gefährlich waren, noch dazu war starker Nebel aufgekommen. Man hatte nur 2 Meter Sicht. Ich bin mit meinem Auto nach Lienz hinuntergefahren und habe dort am Beginn der Straße auf sie gewartet. Um 21 Uhr ist ein Taxi gekommen. Hinter ihr ein Auto mit Wiener Kennzeichen, von dem ich angenommen hatte, dass es ihres war. Das Taxi ist stehen geblieben und hat ihr erklärt, wie sie weiterfahren müsse. Ich bin ausgestiegen und habe ihr gesagt, dass ich auf sie gewartet hätte und sie ins Hotel bringen werde. Ihre Freude darüber war für mich der beste Lohn. Ich glaube nicht, dass sie oben heil angekommen wäre, wenn ich sie nicht begleitet hätte. Es war auch für mich nicht leicht, rechtzeitig die Kurven zu sehen, aber nach 2 Stunden waren wir am Ziel und alle waren erleichtert. Pedit hat alle Richtungen der Kunst den Damen erklärt und sie konnten selbst entscheiden, welchen Künstler sie kopieren wollten. Für viele von ihnen war dieser Bereich der Kunst völliges Neuland, aber das, was sie daraus gemacht haben, hat gezeigt, dass Sportler, die erfolgreich in ihrem Sport sind, auch in anderen Bereichen erfolgreich sein können, wenn sie ihr Gehirn fordern. Die Bilder, die dort entstanden sind, wurden in einer Ausstellung bei der Weltmeisterschaft ausgestellt und sind alle verkauft worden. Einige haben sich auch später noch mit der Malerei als Ausgleichsport beschäftigt. Gunnar ist erst nach dem Kurs ins Trainingslager gekommen und die Spielerinnen haben in der zweiten Woche hauptsächlich Leichtathletik gemacht. Auf 2.000 Meter Höhe ist die Ausübung von sportlichen Aktivitäten für den Körper von großer Bedeutung, weil in dieser Höhe mehr rote Blutkörperchen gebildet werden als in unteren Regionen. Gleichzeitig sind auch die körperlichen Anstrengungen größer, aber auch wirkungsvoller. Nikki Prokop, damals noch Nikki Peissl, war immer schon, in konditioneller Hinsicht, Vorbild für alle anderen. Am Ende des Trainingslagers konnte ich der Mannschaft noch meine Heimat, Osttirol, nahebringen und wir alle sind voll motiviert nach Hause gefahren, um uns für die Reise nach Atlanta vorzubereiten, die 14 Tage später stattfand. In Atlanta wurden 1996 die olympischen Spiele ausgetragen, zu denen wir uns bei der Weltmeisterschaft in Wiener Neustadt qualifizieren mussten. Alle Mannschaften, die dafür infrage kamen, sind dorthin gefahren und haben dort „olympische Luft“ geatmet. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Das war bei uns nicht anders. Wir mussten mit verschiedenen Luftlinien hinfliegen, weil in einer Maschine nicht alle Platz hatten. Die Mannschaft war geschlossen in einer Maschine, die Journalisten und die Betreuer sind mit einer anderen Maschine geflogen. Das hatte für uns schlimme Auswirkungen, wie sich später herausstellte. Bei der Ankunft in Atlanta war das Fluggepäck abhandengekommen. Die Mannschaft war davon nicht betroffen, aber die Ärzte, alle Journalisten und alle Trainer waren ohne Gepäck. Wir wurden jeden Tag auf den nächsten Tag vertröstet. Am sechsten Tag war meine Geduld zu Ende. Ich hatte eine Akkreditierungskarte als „Medicalstaff“, die hatte ich umgehängt und bin zum Flugplatz gefahren. Dort habe ich mich bei „Lost and fund“ gemeldet und habe den Supervisor verlangt zu sprechen. Dem habe ich mitgeteilt, dass ich alle Räume sehen möchte, in denen Gepäckstücke aufbewahrt werden. Eigenartigerweise hat dieser sofort eingewilligt und ist mit mir in alle Räume gegangen, in denen Gepäckstücke aufbewahrt wurden, die nicht abgeholt worden waren. Nirgends war das Gepäck. Meine letzte Frage war, ob es noch einen Raum gebe, in dem Gepäck sein könnte. Im zweiten Keller wäre noch ein Raum, aber dort seien nur Gepäckstücke, die schon mehr als 2 Jahre nicht abgeholt worden seien. Ich wollte auch diesen Raum sehen. Dort habe ich alle Gepäckstücke gefunden. Fünf Träger mussten dieses Gepäck sofort mit mir ins Hotel bringen. Um 3 Uhr früh habe ich an jeder Tür geklopft und alle konnten endlich ihre Koffer erhalten. Als Wiedergutmachung des Flughafens wurden die mitgereisten Angehörigen der Journalisten zu einem Flug erster Klasse nach Disneyland eingeladen. Zum Frühstück gab es in unserem Luxushotel „Ritz Charlton“ nur Weißbrot. Einige von uns hätten gerne auch Schwarzbrot gehabt, aber dieser Wunsch war scheinbar unerfüllbar. Ich habe einem Oberkellner gesagt, dass ich mir wie in Russland vorkomme. Sogar dort bekommt man in einem Hotel das, was man möchte. Ab nächsten Tag haben wir jeden Tag auch Schwarzbrot am Buffet bekommen. Die Journalisten haben in den österreichischen Zeitungen über unsere Mannschaft oft negativ geschrieben. Besonders dann, wenn wir nur knapp gewonnen haben, wurden schon Prophezeiungen artikuliert, wie wir bei der Weltmeisterschaft abschneiden werden. Einmal haben sie mich eingeladen, an ihrem Tisch Platz zu nehmen, aber ich habe abgelehnt und gesagt: „Sie scheißen auf den Tisch und wundern sich, dass es stinkt.“ Robert Sommer hat gemeint, warum ich so mit ihm rede, ich habe ihm geantwortet: „Von dir bin ich besonders enttäuscht, weil du einen Anhänger um den Hals hast, in dem ein Ying-Yang-Zeichen eine gewisse Lebenshaltung signalisiert, und dann schreibst du wie ein ganz schwacher Schreiber.“ Er hat nie mehr unsachlich geschrieben. Am Ende des Turniers kam eine weitere Überraschung. Alle wollten ihr Zimmer am Counter auschecken und alle hatten eine horrende Telefonrechnung. (Zwischen 800 und 5.000 Dollar). Dabei hat die Verbindung nach Österreich bei niemandem geklappt. Nur ankommende Gespräche konnte man annehmen, aber diese kosten ja bekanntlich auch in Amerika nichts. Ich habe mir das nicht gefallen lassen und habe beim Direktor protestiert und auch erklärt, dass ich das nicht bezahlen werde. Das Hotel hatte eine neue Telefonanlage installiert und dabei einen Schaltfehler programmiert. Für alle konnte ich erwirken, dass wir keine Kosten verrechnet bekommen haben. Es ist alles einfach, wenn wir es nicht kompliziert machen. Nach unserer Rückkehr aus Atlanta sind wir in das nächste Trainingslager am Hochkar gefahren. Wieder war der Schwerpunkt Technik, Leichtathletik, Malen und Töpfern. Ein Team hat den Spielerinnen beigebracht, wie man aus Tonerde wunderbare Gefäße und Töpfe erzeugen kann. Die letzte Vorbereitung für die WM war ein Höhenlager in Südfrankreich nahe der spanischen Grenze, wieder auf 2.000 Meter. Es war dies das berühmteste Höhenlager für Sportler und auch dafür speziell eingerichtet. Die Stimmung war angespannt, weil die Spielerinnen schon zu lange von ihren Familien getrennt waren. Die ersten Spannungen haben sich zwischen Aushra und der Torfrau, Marianne Raz, ergeben. Ich war schuld an dieser Auseinandersetzung. Ich bin auf 2.000 Meter mitgelaufen und wollte zeigen, dass ich genug Kondition hätte, noch mitzuhalten. Der Laktat-Test war vernichtend. Der anwesende Arzt hat gemeint: „Wenn ich nicht wüsste, dass du heute 5.000 Meter gelaufen bist, würde ich nach diesen Werten annehmen, dass du einen Herzinfarkt hast.“ Marianne hat darauf geantwortet: „Aushra hat auch keine besseren Werte.“ Daraufhin antwortete Aushra: „Du bist eine alte Ratte.“ Das war zu viel für die Ungarin Marianne. Sie war beleidigt und es bildeten sich sofort zwei Gruppen. Ich war gefordert. Ich habe ihnen klargemacht, dass wir hier nicht zum Vergnügen sind, sondern die Weltmeisterschaft gewinnen wollen, und dass solche Geplänkel keinen Platz in der Mannschaft haben. Nach kurzer Zeit war der Konflikt wieder erledigt. Stana Bosovic hat am Abend für alle gekocht und nach einem Glas Wein war wieder Friede in der Mannschaft. Nächsten Tag bekam Stana furchtbare Schmerzen im unteren Bauchraum, die sich auch im Rücken bemerkbar machten. Gunnar war der Meinung, dass ihr Zustand auf ihre Psyche zurückzuführen sei. Ich war anderer Meinung und bin mit ihr in das medizinische Zentrum gefahren, um sie ordentlich untersuchen zu lassen. Eine ganz junge Ärztin hat ein Buch genommen, hat sich die Schmerzen erklären lassen, wo sie aufgetreten waren, hat wieder im Buch geblättert und dann festgestellt, dass es eindeutig der Blinddarm wäre. Die Rettung ist gekommen und ich bin mit ihr 50 km ins nächste Spital gefahren. Dort hat man festgestellt, dass es wahrscheinlich ein Leistenbruch sein könnte. Wir sollten, wenn wir wieder nach Wien kommen werden, diesen Bruch dort operieren lassen. Die Schmerzen wurden immer stärker. Drei Tage später haben wir den Rückflug von Barcelona angetreten und haben sie sofort ins Krankenhaus nach Mödling gebracht. Unser Vereinsarzt, Dr. Geissel, hat dort festgestellt, dass Nierensteine verantwortlich für ihre Schmerzen waren. Knapp vor der Weltmeisterschaft sind wir nach Lindabrunn gefahren, wo wir während der WM. einquartiert werden sollten. Die Mannschaft sollte die Anlage kennenlernen und auch während der WM sich dort zurückziehen können. Gleichzeitig mit uns war die österreichische Nationalmannschaft der Fußballer dort. Auch sie bereiteten sich auf ein Länderspiel unter Herbert Prohaska, der damals Teamchef war, vor. Prohaska hat mich an der Bar gefragt, ob Prokop schon so krank sei, dass er einen Sportpsychologen brauche. Ich habe ihm geantwortet: „Wenn einer das sagt, dann braucht er einen.“ Da wurde mir das erste Mal klar, dass Fußballer glauben, keine Psyche zu haben. Erst später habe ich herausgefunden, dass viele Fußballer das „Peter-Pan-Syndrom“ haben. Das ist eine Sucht, in der sich der Mensch weigert, erwachsen zu werden. Daher sind auch alle Strategien des Überlebens in dieser Sucht blockiert. Ich erzähle nun eine Geschichte, die zwei verschiedene Versionen hat. Ich bin neugierig, welche für Sie die wahre ist. Erste Geschichte: Als wir nach Lindabrunn gekommen sind, haben die Spieler der Nationalmannschaft ein Spalier gebildet. Jeder Spieler hat eine unserer Spielerinnen am Arm genommen und hat sie durch die Räume geführt. Wir sind in den Speisesaal gegangen, der wunderschön gedeckt war, und haben dort gewartet, bis alle wieder beisammen waren. Ein Dinner wurde serviert, das fünf Gänge hatte, und unseren Spielerinnen wurde das Gefühl vermittelt, mit Respekt behandelt zu werden. Immerhin war unsere Mannschaft damals die beste Handball-Damenmannschaft der Welt. Nach dem Essen wurden die Spielerinnen in die Bar gebeten und wir sind dort mit einem Abschiedstrunk wieder zum Bus begleitet worden. Jede hat eine Rose bekommen und Prohaska hat mit großem Respekt die Leistungen unserer Damen gewürdigt. Wir waren sehr berührt und sind wieder abgefahren. Zweite Geschichte: Nach der Ankunft in Lindabrunn ist der Verwalter auf uns zugekommen und hat unseren Spielerinnen das Gelände und die Räumlichkeiten gezeigt. Anschließend wurden wir gebeten, im Kinderspeisesaal Platz zu nehmen. In einem großen Topf wurde uns Rindfleisch mit Kartoffeln und ein Krautsalat serviert. Während des Essens sind die Fußballer vom Training zurückgekommen, Prohaska hat Gunnar mit Handschlag begrüßt, die Spieler sind in den wunderschön gedeckten Speisesaal nebenan gegangen, manche haben uns gegrüßt, Polster ist zum Tisch gekommen, hat den Trainern die Hand gegeben und ist dann weiter zu den anderen Spielern geeilt. Nach dem Essen wurde uns vom Verwalter mitgeteilt, dass wir jetzt wieder fahren könnten. Fußballer haben wir keine mehr gesehen. Es ist nicht schwer, herauszufinden, welche Geschichte wahr ist und welche hätte sein können, wenn Fußballer gelernt hätten, wie man sich zu verhalten hat, wenn man den Anspruch erhebt, eine wichtige Persönlichkeit in der Öffentlichkeit sein zu wollen. Die WM selbst war voller Überraschungen. Wir waren gut vorbereitet, haben alle Spiele vor der WM gewonnen und auch die Vorrundenspiele waren kein Problem für unsere Mannschaft. Edith Matej wollte ihre Mutter und ihren Ehemann bei der WM in Wien haben, aber beide erhielten kein Visum. Gunnar hatte gute Beziehungen, daher war es scheinbar selbstverständlich, ohne Schwierigkeiten eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen. Aber dem war nicht so. Auch Gunnar resignierte und es schien aussichtslos, dass sie Höchstleistungen bringen würde. Ich habe den österreichischen Botschafter in Bukarest angerufen und habe ihn gebeten, die Mutter und auch Herrn Matej einreisen zu lassen. Er erklärte mir, dass beide beim letzten Aufenthalt in Österreich deren Aufenthaltsbewilligung um 3 Tage überzogen hätten und dadurch nicht mehr einreisen dürften. Matej spielt für Österreich. Warum sollte sie ihren ganzen Einsatz geben, wenn nicht einmal ihre wichtigsten Bezugspersonen in unserem Land sein dürften, wenn es für sie wichtig ist, argumentierte ich. „Können Sie es verantworten, dass Sie unsere Mannschaft schwächen, wenn Sie eine unserer besten Spielerinnen demotivieren?“ Seine Antwort war: „Sie sollen in der nächsten Stunde bei mir vorsprechen. Sie werden das Visum erhalten.“ Warum ist das Einfache so schwierig. Ich habe ihre Mutter und ihren Mann kennengelernt. Matej hat bei der WM alles gegeben, was sie konnte. Bis zum Viertelfinale haben wir alle Spiele gewonnen. Dann kam das Spiel gegen Norwegen. Dänemark hatte in Ungarn gegen Rumänien absichtlich verloren, um nicht gegen Norwegen spielen zu müssen, weil sie angenommen hatten, dass Österreich gegen Norwegen verlieren werde. Hätten wir verloren, wäre unser Gegner im Halbfinale Rumänien gewesen, die wir sicher geschlagen hätten. Nach der regulären Spielzeit ist es unentschieden gestanden. Wir haben Gunnar beschworen, das Spiel zu verlieren, aber Gunnar war der Meinung, wir sind Sportler, daher werden wir gewinnen, wenn es möglich ist. Wir haben in der zweiten Nachspielzeit gewonnen. Unser Gegner im Halbfinale war dadurch Dänemark, unser Angstgegner. Unsere Spielerinnen haben alles gegeben, aber der Druck, gewinnen zu müssen, war zu groß, daher war das Endspiel Norwegen gegen Dänemark. Dänemark wurde Weltmeister und wir wurden Neunter. Jahre später hat Gunnar uns recht gegeben, dass man im Spitzensport auch manchmal taktieren muss, wenn es um Sieg oder Niederlage geht. Bis zum Jahre 2.000 haben wir jedes Jahr den Europacup gewonnen und natürlich auch die österreichische Meisterschaft. 1996 waren wir wieder, wie jedes Jahr, am Faakersee auf Trainingslager. Gleichzeitig mit uns war auch die Nationalmannschaft der Skispringer dort. Prof. Ganzenhuber hat mich gebeten, mit den Springern Yoga zu machen, auch um feststellen zu können, welche Verbesserungen der Leistung durch Yoga erreicht werden können. Die Ergebnisse waren beachtlich. Alle Springer, die vor dem Training Yoga gemacht hatten, konnten 10 Sprünge im Training mehr machen als jene, die vorher kein Yoga gemacht hatten. Einer der jungen Springer, von dem mir Ganzenhuber erzählte, dass er das größte Talent im österreichischen Kader sei, hieß Karl Heinz Dorner. Er war damals gerade 16 Jahre alt, aber hoch intelligent und brachte alle Voraussetzungen mit, um eines Tages ein ganz Großer zu werden. Ich wurde eingeladen, nach Stams zu kommen und mit dem Kader an deren Persönlichkeitsbildung zu arbeiten. In mehreren Seminaren war es mein Ziel, den Springern die Sprache entwickeln zu helfen und auch ein Bewusstsein, wie viel verschiedene Bereiche für den Erfolg entwickelt werden müssen, damit dieser keine bleibenden Schäden hinterlässt. Einmal war ein Seminar in Windischgarsten. Ich bin mit den Springern nach Hinterstoder zum Steyr-Ursprung gegangen. Dort mussten sie beobachten und erkennen, wie Erfolg entstehen kann. Wenn man dorthin kommt und um sich schaut, sieht man, dass aus verschiedenen Spalten des Bodens winzige Mengen Wasser herauskommen. 100 Meter weiter fließt bereits ein Bach und 300 Meter weiter hat dieser Bach unglaublich viel Energie in sich. Die Springer haben sofort verstanden. Mit Dorner habe ich mich angefreundet und habe ihn begleiten dürfen. Bei der Vier-Schanzen-Tournee in Bischofshofen ist er mit Ahonen im ersten Durchgang Höchstweite gesprungen. Leider hat es im zweiten Sprung dann nicht mehr für einen Spitzenplatz gereicht. Eines Tages hat er mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er für einen Springer zu viel Gewicht hätte und aufhören muss. Ich habe das nicht verstanden und bin mit ihm in das Wiener AKH gefahren. Dort hat man sein Gewicht und den Fettgehalt in seinem Körper geprüft. Er hatte nur 50 % eines normalen Menschen, dafür war seine Muskelmasse die Ursache für das Gewicht. Es ist doch paradox, dass man verhindern muss, seinen Körper fit zu machen, um den Sport ausführen zu können. Heute haben sie dieses Gesetz wieder rückgängig gemacht. Im Jahre 2011 hat mich Charly angerufen und mir erzählt, dass der Generaldirektor der Volksbanken den Wunsch geäußert hat, dass er im Sommercup am Berg Isel springen soll. Dorner hat seit 7 Jahren keinen Sprung mehr gemacht, daher war er im Moment perplex. Er hat einen Rat von mir beherzigt, den ich ihm schon Jahre vorher gegeben hatte: „Lass es einfach springen und denk nicht zu viel. Du kannst es, daher brauchst du keine Angst zu haben.“ Er hat den zweitbesten Sprung gemacht und wurde österreichischer Meister der über Dreißigjährigen. Der Höhepunkt war, dass er zur Weltmeisterschaft der über Dreißigjährigen eingeladen wurde, und er wurde dort auch Weltmeister in dieser Klasse. Vor diesem Ereignis hat er den Magister für Wirtschaft abgeschlossen und ist seit Jahren sehr erfolgreich bei Harti Weirather als Manager für Veranstaltungen tätig. In Stams lernte ich auch Toni Innauer kennen, der damals schon einer der Führungskräfte beim ÖSV war. Walter Reyer, mit dem mich eine tiefe Freundschaft verbunden hat, ist auch nach Stams gekommen und hat den Springern erzählt, wie man mit dem „Berühmtsein“ umgehen sollte. Charly Dorner ist und wird immer einer meiner besten Freunde bleiben. Die Tochter von Gunnar Prokop hat mich eines Tages angerufen und mich gefragt, ob ich bei Magna Österreich ein Seminar für Führungskräfte machen würde. Karl Heinz Grasser, der damals gerade mit Jörg Haider böse war und von Stronach für die Öffentlichkeitsarbeit engagiert wurde, war mein Gesprächspartner für die Details des Auftrages. Er wollte, dass ich das erste Seminar kostenlos machen sollte, weil ich für die weiteren 350 Outlets, wie er sich ausdrückte, für Seminare engagiert werden würde. Ich lehnte ab und erklärte ihm, dass jeder Tag meines Lebens „Lebenszeit“ für mich sei und dass ich bereit sei, sollte ich den Großauftrag bekommen, einen Rabatt von 20 % von meinem Honorar zu gewähren. Am ersten Tag des Seminars im Hotel Burgenland in Rust hat Grasser begonnen, mit Gummibändern und Papierkugeln auf die Damen, die am Seminar teilnahmen, zu schießen. Ich habe das Seminar unterbrochen und habe ihn gebeten, mit diesen Spielen aufzuhören, weil ich ihn sonst aus dem Seminar entfernen müsste. Am nächsten Tag hat er seine „Späße“ wieder fortgesetzt. Ich habe das Seminar unterbrochen und ihn gebeten, das Seminar zu verlassen. Das hat er dann auch getan. Ich glaube, er hat das „KHG“-Syndrom (kein heilbares Gehirn) Es war mein letztes Seminar bei Magna. 1998 hat der ÖFB bei Prokop angefragt, ob er glaube, dass ich für die Ausbildung der Eurolizenztrainer dem ÖFB für Sportpsychologie zur Verfügung stehen würde. Wieder ein neues Gebiet, das mich interessierte. Vielleicht auch deshalb, weil ich jedes Jahr mit Christine in Velden auf Urlaub war und jedes Mal einmal mit ihr ins Casino in Velden gegangen bin. Eigenartigerweise war jedes Mal Ernst Happel dort. Beim dritten Mal hat er mich gefragt, ob ich Fußballer sei. Ich habe ihm geantwortet: „Leider nein, weil ich zwei ungleiche Beine habe.“ Er hat geantwortet: „Da sind Sie nicht der Einzige, ich kenne viele, die so tun, als wären sie zweibeinig und können nicht einmal mit einem Bein gerade schießen. Fußball ist ein Kopfspiel und je mehr ein Spieler im Kopf gebildet ist, umso besser spielt er.“ Das habe ich mir gemerkt, auch weil ich Happel spielen gesehen und viel über ihn als Trainer gelesen habe. Neugierig, wie ich ja bin, habe ich selbstverständlich zum Angebot ja gesagt. Bezahlt wurde wenig, aber das war ich ja bei Prokop gewohnt, weil ich bei ihm in den Jahren, die ich für ihn arbeitete, nichts verlangte. Nur für Seminare, die ich mit Trainern der Südstadt machte, bekam ich auch mein normales Honorar. Das erste Seminar, das ich für den ÖFB machte, war in Lindabrunn. Es wäre nicht Österreich, wenn es keine Ausnahmen geben würde. Manche Trainer, die berühmter als die anderen sind, werden ohne Prüfung Eurolizenztrainer, die anderen müssen dafür zahlen. Zehn Trainer, die in der obersten Liga Trainer werden wollten, mussten 200 Stunden in verschiedenen Bereichen Prüfungen ablegen und bezahlten für diese Ausbildung. ca. S. 200.000.–. Im Fach Sportpsychologie unterrichtete ich Rhetorik, Konferenzleitung und Menschenführung. Insgesamt waren 10 Tage für diese Fächer vorgesehen. Für die meisten Trainer war der Umgang mit Menschen deshalb schwierig, weil sie selbst in ihrer Jugend von ihren Trainern nicht wie Partner behandelt wurden, sondern wie Spielermaterial, das, wenn es nicht jene Leistung erbrachte, die von ihm erwartet wurde, wieder weggeworfen wurde. Die Konflikte mit den Trainern waren vorprogrammiert, weil viele sich nicht vorstellen wollten, dass Spieler junge Menschen sind, die den Beruf des Fußballers gewählt hatten, weil sie hofften, so behandelt zu werden, wie es in einem zivilisierten Land üblich ist. Im Verlauf der 10 Jahre, die ich in der Ausbildung der Trainer tätig war, habe ich gelernt, dass im Sport die Eitelkeit, das Machtstreben und auch die Missachtung der Würde der jungen Menschen am meisten gelebt wird. Nur wenige Trainer haben meine Botschaften verstanden und ihr Verhalten den Spielern gegenüber umgestellt. Einmal hat mich ein Spieler, den ich gut kannte, angerufen und mich gefragt, was ich mit seinem Trainer im Seminar gemacht hätte, weil er völlig verändert sei, nicht mehr herumschreie und mit ihnen ganz normal reden würde. Der Trainer hatte einfach die Inhalte des Seminars verstanden und sein Verhalten umgestellt. Aus ihm wurde einer der erfolgreichsten Trainer der österreichischen Bundesliga. (Georg Zellhofer) Im Jahre 2000 habe ich Gunnar gebeten, Christine nach Sydney mitzunehmen. „Selbstverständlich“, war seine Antwort. Eine Woche vor dem Abflug hat er mir mitgeteilt, dass Christine nicht mitfahren könne, weil Maria Sykora mitfliegen werde. Ich bin daraufhin auch nicht mitgeflogen. In Sydney kam es zum großen Krach in der Mannschaft, in der Folge haben einige Spielerinnen bei Hypo aufgehört. Gunnar hat nie mehr den Europacup mit Hypo gewonnen. Meine Verbundenheit mit Prokop hat sich nicht geändert, aber die Intensität der Betreuung der Mannschaft war nicht mehr so groß, auch weil ich durch die Seminare mit den Fußballtrainern mich intensiver mit denen beschäftigte. Einer der Ersten war Walter Schachner. Er hatte gerade beim FC Kärnten begonnen und hatte als junger Trainer wenig Erfahrung im Umgang mit Spielern unterschiedlicher Herkunft. Die Mannschaft war in Gruppen zerfallen, die sich gegenseitig behinderten. Da waren die alten Wiener, die alten Kärntner, die jungen Jugoslawen und die jungen Kärntner. Aus einem Trainingslager in Udine hat er mich angerufen und gebeten, ihm ein Rezept zu schicken, wie er mit den Spielern umgehen soll, die sich gegenseitig bekämpfen. Er war nahe daran, als Trainer wieder aufzuhören, wenn ich keine Lösung finden würde. Mir ist etwas eingefallen. Ich habe ihm eine Vereinbarung geschickt, die ich als Grundlage einer erfolgreichen Zusammenarbeit innerhalb der Mannschaft als unabdingbar gesehen habe. Vereinbarung! Wir haben uns vorgenommen, Meister unserer Liga zu werden und in die Bundesliga aufzusteigen. Die Voraussetzung dafür ist der 1. Platz in unserer Spielklasse. Um diesen Platz erreichen zu können, ist es notwendig, einige Punkte des Zusammenlebens neu zu definieren
Beilage 1. Die Grundbedürfnisse des Menschen. und ihre psychologischen Hintergründe
Beilage 2. Der kleine Prinz. nachgedacht von Walter Oberlechner. Am Beginn seines Buches sagt der Dichter: „Ich widme dieses Buch den Kindern, weil die Erwachsenen verlernt haben, die Dinge direkt zu sehen und daher viele Teile dieses Buches überhaupt nicht verstehen können.“ Zitat Ende. Kinder empfinden und reagieren auf Impulse spontan und noch nicht von Vorurteilen geprägt und überlagert. Sie erkennen Situationen so, wie sie sich im Moment ereignen, und handeln auch danach. Daher erleben gerade Kinder dieses Buch, so wie es der Dichter erlebte; nämlich aus dem Herzen. Für mich ist „Der kleine Prinz“ eine Betrachtung über den Sinn des Lebens und über das Wesen der Liebe. Gibt es ein schöneres Thema? Saint Exupery, ein leidenschaftlicher Flieger, musste mit seiner Maschine in der Sahara notlanden, weil ein Defekt an seinem Motor das Weiterfliegen unmöglich machte. Die unendliche Einsamkeit, die ihm die Wüste in diesem Augenblick vermittelte, mag wohl dazu geführt haben, dass er erkannte, was in seinem bisherigen Leben wichtig war und was im Angesicht des Todes zählte. Im Augenblick der Erkenntnis, sterben zu müssen, passiert es oft, dass wir Menschen in Bruchteilen von Sekunden unser ganzes Leben an uns vorüberziehen sehen und erkennen, was wesentlich war. Wir kommen aus einem Bereich, den wir nicht verstehen, weil uns die Fähigkeit des Erkennens fehlt. Wir werden in einen Körper hineingeboren und erleben unser Leben je nach genetischer Belastung und, wie ich glaube, nach der Belastung, die wir aus einem anderen Leben in uns noch zu bewältigen haben. Der kleine Prinz ist ein Spiegel unseres eigenen Ichs, in den wir hineinschauen und der uns zeigt, wer wir sind und was uns hindert, Liebe zu begreifen und zu leben. Unser irdisches Leben ist nur eine kurze Durchgangsstation in einem langen Prozess der Entwicklung bis zur möglichen Vollendung. Die Begegnung zwischen dem kleinen Prinzen und dem Piloten gibt uns einen Einblick in die große Phantasie eines Kindes und wie der Erwachsene langsam in diese Welt des Irrationalen geführt wird und plötzlich Dinge erkennt, die für ihn bisher verborgen waren. In dieser Verzauberung verlieren Existenzangst und Realität ihre Wichtigkeit. Die Begegnung mit der Liebe, dargestellt in dem Symbol der Rose, erinnert unwillkürlich an unsere eigene erste Empfindung, wenn wir der Liebe in der Gestalt eines Mädchens begegnen, das uns verzaubert und deren Reaktion uns verwirrt. Sie ist schnippisch, weil unsicher, und so schnell verletzbar, weil noch unerfahren und schutzlos, und doch voll der gleichen Sehnsucht, die uns durchströmt. Wir erleben diese Begegnung mit dem Zauber der Reinheit. Rose: Ach! ich bin gerade erst aufgewacht … Ich bitte um Verzeihung. Ich bin noch ganz zerrauft. Prinz: Wie schön Sie sind! Rose: Nicht wahr? Ich wurde zur gleichen Zeit wie die Sonne geboren. Sie haben mich beobachtet? Prinz: Ich habe lange gewartet! Rose: Ich glaube, es ist Zeit für das Frühstück. Hätten Sie die Güte, mich zu bedienen? Prinz: Ja, ja, sofort. Ich hole frisches Wasser. Rose: Haben Sie schon meine Dornen gesehen? Prinz: Ja, sicher. Rose: Sie sollen nur kommen, die Tiger, mit ihren Krallen. Prinz: Es gibt keine Tiger auf meinem Planeten. Außerdem fressen Tiger kein Gras. Rose: Ich bin kein Gras, ich bin eine Blume. Prinz: Verzeihen Sie mir. Rose: Ich fürchte mich nicht vor den Tigern, aber mir graut vor der Zugluft. Hätten Sie nicht einen Wandschirm? Prinz: Ich werde mich umsehen …Grauen vor Zugluft. Diese Blume ist recht schwierig. Rose: Und am Abend. Prinz: Ja! Rose: Am Abend werden Sie mich unter einen Glassturz stellen. Es ist sehr kalt bei Ihnen. Da, wo ich herkomme, war das ganz anders. Prinz: Wie können Sie etwas über andere Welten wissen, Sie sind in Form eines Samenkornes gekommen … Rose: Dieser Wandschirm? Prinz: Ich wollte ihn gerade holen, aber Sie sprachen zu mir. Prinz: Man darf Blumen nicht zuhören. Man muss sie anschauen und einatmen. Rose: Und was machen Sie jetzt? Prinz: Ich kehre meine Vulkane. Ich besitze zwei tätige Vulkane. Das ist sehr praktisch zum Frühstückkochen. Wenn sie gut gefegt werden, brennen sie sanft und regelmäßig, ohne Ausbrüche. Rose: Warum machen Sie die Toilette Ihres Planeten heute so sorgfältig? Prinz: Ich habe auch einen erloschenen Vulkan. Aber ich sage mir: man kann nie wissen und fege auch ihn. Um diese Jahreszeit kommt immer ein Zug wilder Vögel vorbei. Ich möchte einige andere Planeten besuchen, um mich zu bilden. Prinz: Adieu … Adieu. Rose: Ich bin dumm gewesen. Ich bitte Dich um Verzeihung. Versuche, glücklich zu sein. Prinz: Und ich habe gedacht, Du wirst mir Vorwürfe machen. Rose: Ich liebe Dich. Du hast nichts davon gewusst? Das ist meine Schuld. Aber Du warst ebenso dumm wie ich. Versuche, glücklich zu sein. Prinz: Ich hätte Dich besser beurteilen sollen. Du hast für mich geduftet und geblüht, ich hätte Deine Zärtlichkeit erraten sollen. Aber vielleicht bin ich noch zu jung, um lieben zu können. Rose: Zieh es nicht so in die Länge, das ist ärgerlich. Du hast Dich entschlossen, zu reisen. Also geh. Der kleine Prinz verlässt seine ihm so vertraute Umgebung und geht auf Reisen. Auf dem ersten Planeten begegnet er einem König. Der König ist für mich das Symbol des Herrschens, der über den anderen Stehende. Wer von uns kann behaupten, nicht ständig den Schwächeren beherrschen zu wollen? Die Eltern die Kinder, die Kinder unter sich den Kleineren, der Kleinste ein Tier, das sich nicht wehren kann. Der ältere Mensch den Jüngeren, der Kranke den Gesunden und umgekehrt. Im Betrieb der Leiter die Mitarbeiter und dort wieder die Mitarbeiter sich untereinander. In der Freizeit, in der Politik, überall entsteht in kurzer Zeit der Wettbewerb untereinander. Wer irgendetwas besser beherrscht oder sich besser verkauft als der andere, herrscht über den anderen. Dieses Beherrschen stört das Wesen der Liebe, in der Übersteigerung zerstört es jedes Miteinander und führt zu jener Einsamkeit, die krank macht. Saint Exupery beschreibt das Beherrschen nicht in der Übersteigerung, aber er zeigt uns, wie wir uns davor schützen können, von der Herrschsucht überrollt zu werden. König: Sieh da, ein Untertan! Prinz: Für einen König sind anscheinend alle Menschen Untertanen. Darf ich mich setzen? König: Ich befehle Dir, Dich zu setzen. Prinz: Verzeiht mir, ich würde Euch gerne etwas fragen. König: Ich befehle Dir, mich zu fragen. Prinz: Der Planet ist winzig klein. Worüber herrscht Ihr? König: Über alles. Prinz: Über alles? König: Über all das. Prinz: Und die Sterne gehorchen Euch? König: Gewiss. Sie gehorchen aufs Wort. Ich dulde keinen Ungehorsam. Prinz: Ich möchte einen Sonnenuntergang sehen. Machen Sie mir die Freude. Befehlen Sie der Sonne unterzugehen. König: Wenn ich einem General geböte, nach der Art der Schmetterlinge von einer Blume zur andern zu fliegen oder eine Tragödie zu schreiben und wenn dieser General den erhaltenen Befehl nicht ausführte, wer wäre im Unrecht, er oder ich? Prinz: Sie wären es. König: Richtig. Man muss von jedem fordern, was er leisten kann. Die Autorität beruht vor allem auf der Vernunft. Wenn Du Deinem Volke befiehlst, zu marschieren und sich in das Meer zu stürzen, wird es revoltieren. Ich habe das Recht, Gehorsam zu fordern, weil meine Befehle vernünftig sind. Prinz: Wie ist das also mit meinem Sonnenuntergang? König: Du wirst Deinen Sonnenuntergang haben. Ich werde ihn befehlen. Aber in meiner Herrscherweisheit werde ich warten, bis die Bedingungen günstig sind. Prinz: Wann wird das sein? König: Hm, hm. Das wird heute Abend gegen sieben Uhr vierzig sein. Und Du wirst sehen, wie man mir gehorcht. Prinz: So lange möchte ich nicht warten. Ich werde wieder abreisen. König: Reise nicht ab, ich mache Dich zum Minister. Prinz: Zu welchem Minister? König: Zum … zum Justizminister. Prinz: Aber es ist ja niemand da, über den man richten könnte. Ich habe einen Blick auf die andere Seite des Planeten geworfen. Es ist auch dort niemand. König: Du wirst also über Dich selbst richten. Das ist das Schwerste. Es ist viel schwerer, als über andere zu richten. Prinz: Ich kann über mich richten, wo immer ich bin. Dazu brauche ich nicht hier zu wohnen. König: Hm, hm. Ich glaube, dass es auf meinem Planeten irgendwo eine alte Ratte gibt. Ich höre sie in der Nacht. Du könntest Richter über diese alte Ratte sein. Du wirst sie von Zeit zu Zeit zum Tode verurteilen. So wird ihr Leben von Deiner Rechtsprechung abhängen. Aber Du wirst sie jedes Mal wieder begnadigen, um sie aufzusparen. Es gibt nur die Eine. Prinz: Ich möchte niemanden zum Tode verurteilen. Ich glaube wohl, dass ich jetzt gehe. König: Nein. Prinz: Wenn Eure Majestät auf pünktlichen Gehorsam Wert legen, könnten Sie mir einen vernünftigen Befehl erteilen. Sie könnten mir zum Beispiel befehlen, innerhalb einer Minute zu verschwinden. Es scheint mir, dass die Umstände günstig sind. (geht) König: Dann ernenne ich Dich zu meinem Gesandten *** Über sich selber richten ist das Schwerste. Wenn wir es tun, mit jener Konsequenz, mit der wir über andere richten, dann können wir nicht mehr Richter sein, weil wir lernen zu verstehen. Wer versteht, beginnt zu lieben. Wer richtet, beginnt zu hassen. In der nächsten Begegnung auf der Reise zu uns selbst treffen wir die Eitelkeit. Der Eingebildete, der als Symbol für die Eitelkeit zu sehen ist, gehört ganz sicher zu den ganz großen Feinden der Liebe. Er ist auch der Einsamste. Jeder von uns ist eitel und begründet das im Selbstwertgefühl. Überall dort, wo die Eitelkeit zu herrschen beginnt, ist die Herrschsucht der beste Partner. Zusammen ergeben sie eine Kraft, die so blind macht, dass Gewalt das Ergebnis dieses Prozesses ist. Eitler: Ah, ah. Schau, schau! Ein Bewunderer kommt zu Besuch. Prinz: Guten Tag. Sie haben einen spaßigen Hut auf. Eitler: Der ist zum Grüßen. Ich grüße damit, wenn man mir zujubelt. Unglücklicherweise kommt hier niemand vorbei. Prinz: Ach ja? Eitler: Schlag Deine Hände zusammen. Prinz: Das ist unterhaltsamer als der Besuch beim König. Prinz: Und was muss man tun, damit der Hut herunterfällt? Was muss man tun, damit der Hut herunterfällt? Er hört mich nicht, Eingebildete hören immer nur die Lobreden. Eitler: Bewunderst Du mich wirklich sehr? Prinz: Was heißt „bewundern“? Eitler: Bewundern heißt erkennen, dass ich der schönste, der bestangezogene, der reichste und intelligenteste Mensch des ganzen Planeten bin. Prinz: Aber Du bist doch allein auf Deinem Planeten. Eitler: Mach mir die Freude und bewundere mich. Prinz: Ich bewundere Dich, aber warum nimmst Du das so wichtig? Die großen Leute sind entschieden sehr verwunderlich. In einem Gespräch mit der Rose erzählt der kleine Prinz von den vielen Samen, die sich auf seinem Planeten entfalten. Seine größte Sorge sind die Samen der Affenbrotbäume. Blume: Darf ich fragen, was Sie hier tun? Prinz: Es gibt gute Gewächse und schlechte Gewächse. Infolgedessen auch gute Samenkörner von guten Gewächsen, schlechte Samenkörner von schlechten Gewächsen. Aber die Samen sind unsichtbar. Sie schlafen geheimnisvoll in der Erde, bis es einem von ihnen einfällt, aufzuwachen. Dann streckt er sich und treibt zuerst schüchtern einen kleinen Spross zur Sonne, einen ganz harmlosen. Wenn es sich um ein Radieschen handelt, kann man es wachsen lassen, wie es will. Aber es gibt auf meinem Planeten auch fürchterliche Samen. Blume: Ja? Prinz: Das sind die Samen der Affenbrotbäume. Blume: Affenbrotbäume? Prinz: Einen Affenbrotbaum kann man, wenn man ihn zu spät entdeckt, nie mehr loswerden. Er bemächtigt sich des ganzen Planeten. Er durchdringt ihn mit seinen Wurzeln und sprengt ihn. Blume: Wie schrecklich! Prinz: Es ist eine Frage der Disziplin. Man muss sich regelmäßig dazu zwingen, die Sprösslinge der Affenbrotbäume auszureißen *** Es ist nur eine Frage der Disziplin, alles beginnt harmlos. Jede Leidenschaft beginnt an der Oberfläche. Wenn man sie gewähren lässt, erfasst sie einen und beherrscht am Ende unser ganzes Wesen und macht uns zum Gefangenen. Es ist eine Frage der Disziplin, zu achten, ob und wie weit ein Eindruck sich verselbstständigt und in uns sich entwickelt. Sicher war auch der Säufer am Beginn nur ein Mensch, der gekostet hat. Aus dem Kosten wurde das Vergnügen, aus dem Vergnügen die Abhängigkeit und die Zerstörung. In der Begegnung mit dem Säufer erfahren wir die Tragik der Einsamkeit und der Willenlosigkeit. Prinz: Was machst Du da? Säufer: Ich trinke. Prinz: Warum trinkst Du? Säufer: Um zu vergessen. Prinz: Um was zu vergessen? Säufer: Um zu vergessen, dass ich mich schäme. Prinz: Weshalb schämst Du Dich? Säufer: Weil ich saufe. Prinz: Und warum … Die Eitelkeit ist oft die Vorstufe zu diesem Zustand. Es schmeichelt uns, wenn wir bewundert werden. Es versetzt uns in den Zustand der Macht über andere. Illusionen beeinträchtigen unser Denken. Wir nehmen uns sehr wichtig, werden zum Richter, der Kreislauf nimmt kein Ende. In diesem Zustand ertragen wir oft das Erwachen nicht mehr und flüchten in das selbstgewählte Getto der Isolation. Die Begegnung mit dem Manager gehört zu den deprimierendsten Szenen des Buches. Weil es unmöglich geworden ist, ohne unseren Wohlstand glücklich zu sein, ist der Materialismus unser Abgrund geworden. Die Gier, immer mehr zu haben als der andere, macht uns blind für das Wesentliche. Es ist uns nicht mehr möglich, zu erkennen, dass wir hier in Wirklichkeit nichts besitzen, weil wir ja nicht ewig leben. Der Materialismus, der in der Übersteigerung zum Geiz führt, hat unsere Erde bereits so weit geschädigt, dass wir heute schon berechnen können, wie lange es noch dauern wird, bis die Ausbreitung zum Tod des Planeten geführt hat. Aber der Manager ist ein ernsthafter Mann und gibt sich nicht mit Kindereien ab. Leben ist nur dann lebenswert, wenn es leistungsfähig ist und der Wirtschaft dient. Kann ein Mensch Liebe empfinden, wenn er nicht weiß, was das ist? Prinz: Das ist sicher ein Manager. Guten Tag. Ihre Zigarette ist ausgegangen. Manager: Keine Zeit, sie wieder anzuzünden. 26 und 5 ist 31. Das macht also 501,622.731. Prinz: Fünfhundert Millionen wovon? Manager: Wie, Du bist noch immer da? Prinz: 501 Millionen wovon? Manager: Von diesen kleinen Dingern, die man manchmal am Himmel sieht. Prinz: Fliegen? Manager: Nein, kleinere Dinger, die glänzen. Prinz: Bienen? Manager: Aber nein, kleine goldene Dinger, die Nichtstuer träumerisch machen. Ich bin ein ernsthafter Mann. Ich habe keine Zeit für Träumereien. Prinz: Ach, die Sterne. Manager: Dann sind es wohl die Sterne. Prinz: Und was machst Du mit 500 Millionen Sternen? Manager: 501,622.731. Ich bin ein ernsthafter Mann. Ich nehme es genau. Prinz: Und was machst Du mit den Sternen? Manager: Was ich damit mache? Nichts, ich besitze sie. Prinz: Du besitzt die Sterne? Manager: Ja, sicher. Prinz: Aber ich habe schon einen König getroffen, der … Manager: Die Könige besitzen nicht, sie regieren. Das ist etwas ganz anderes. Prinz: Und was hast Du davon, die Sterne zu besitzen? Manager: Das macht mich reich. Prinz: Und was hast Du vom Reichsein? Manager: Ich kann weitere Sterne kaufen, wenn jemand welche findet. Prinz: Du denkst ein bisschen wie der Säufer. Manager: Wie, bitte? Prinz: Wie kann man die Sterne besitzen? Manager: Wem gehören sie? Prinz: Ich weiß nicht, niemandem. Manager: Dann gehören sie mir, ich habe als Erster daran gedacht. Prinz: Und was machst Du damit? Manager: Ich verwalte sie. Ich zähle sie und zähle sie wieder. Das ist nicht leicht, aber ich bin ein ernsthafter Mann. Prinz: Wenn ich einen Seidenschal habe, kann ich ihn um meinen Hals wickeln. Wenn ich eine Blume habe, kann ich sie gießen. Aber Du mit Deinen Sternen kannst nichts machen. Manager: Ich kann sie in die Bank legen. Prinz: Was soll das heißen? Manager: Das heißt, dass ich die Zahl meiner Sterne auf ein Papier schreibe. Und dann sperre ich dieses Papier in die Schublade. Prinz: Das ist alles? Manager: Das genügt. Prinz: Das ist amüsant. Es ist fast ein wenig poetisch, aber es ist nicht ernst zu nehmen. Ich denke da ganz anders. Solange es Menschen gibt, haben sie versucht, durch Gesetze anderen Menschen zu sagen, was richtig ist. Und wenn sie einmal davon überzeugt waren, dass es gemacht werden muss, haben sie sich daran gewöhnt und dabei vergessen, dass kein Mensch dem anderen gleicht und es daher auch keine absoluten Wahrheiten geben kann. Was für den einen richtig ist, muss für den anderen noch lange nicht stimmen. Es ist eine Frage der Disziplin, die Trägheit zu überwinden und seiner eigenen Stimme zuzuhören, die uns genau sagt, was wir tun müssen und was wir nicht tun sollen. Alles Leben kommt aus der Liebe, daher ist unser Empfinden dorthin orientiert. Seit wir Gesetze haben, hören wir die Stimme nicht mehr, die uns führt, oder wir glauben ihr nicht, wenn wir sie hören. Der Laternenanzünder ist in seiner Pflichterfüllung zur tragischen Figur geworden. Seine Vorschrift hat sich verselbstständigt und ihn seines Willens beraubt. Dieser Teil in uns ist deshalb so schwer zu überwinden, weil er uns Geborgenheit garantiert, solange wir ihm folgen. Alle Institutionen leben davon und sind deshalb lächerlich, weil sie etwas Abstraktes und in Wirklichkeit die dümmste Einrichtung sind, die sich Menschen geschaffen haben. Wenn wir einmal keine Institutionen mehr haben werden, werden wir einen großen Schritt gemacht haben auf dem Weg zum Sinn des Lebens. Wir werden einander brauchen und dadurch besser verstehen lernen. Wenn wir verstehen, wissen wir, was Liebe ist. Prinz: Ich weiß zwar nicht, wozu man auf einem Planeten ohne Haus und ohne Bewohner eine Straßenlaterne und einen Laternenanzünder braucht. Aber seine Arbeit hat wenigstens einen Sinn. Es ist eine sehr hübsche Beschäftigung. Guten Tag. Warum hast Du eben Deine Laterne ausgelöscht? Laternenanzünder: Das ist Vorschrift. Guten Morgen. Prinz: Welche Vorschrift? Laternenanzünder: Die Vorschrift, die Laterne auszulöschen. Guten Abend. Prinz: Warum hast Du sie soeben wieder angezündet? Laternenanzünder: Das ist die Vorschrift. Prinz: Das verstehe ich nicht. Laternenanzünder: Guten Morgen. Da ist nichts zu verstehen – Vorschrift ist eben Vorschrift! Der Geograph und der Weichensteller sind in ihrem Denken jene Bereiche unseres Daseins, die dann entstehen, wenn die Mehrzahl der vorhin aufgezählten Eigenschaften von einer großen Zahl von Menschen Besitz ergriffen hat. Dieses Nichtwissen, wohin die Reise unseres Lebens geht, und das Anklammern an scheinbar wertvolle Dinge ist das Ende des Prozesses, der in das absolute Nichts und zu jenem Tod führt, den wir fürchten müssen, weil dieser Tod das ist, was wir Hölle nennen. Der Zustand, den wir Hölle nennen, ist jenes ausweglose Dasein, das kein Ende hat, aus dem wir nie mehr herauskommen, wo es kein Erkennen mehr gibt, der Zustand aber bleibt. Dort ist aber auch die Einsamkeit unendlich. Geograph: Ich bin ein Geograph. Prinz: Was ist das, ein Geograph? Geograph: Ich bin ein Gelehrter, der sich mit den Meeren, den Flüssen, den Städten, den Bergen und den Wüsten beschäftigt. Prinz: Wie interessant. Das ist endlich ein richtiger Beruf! Er ist sehr schön, Euer Planet, gibt es da auch Ozeane? Geograph: Das weiß ich nicht. Prinz: Ach. Und Berge? Geograph: Ich weiß es nicht. Prinz: Und Städte, Flüsse und Wüsten? Geograph: Ich weiß es leider nicht. Prinz: Aber Ihr seid doch Geograph! Geograph: Richtig, aber ich bin nicht Forscher. Es fehlt uns gänzlich an Forschern. Nicht der Geograph geht die Städte, Ströme, Berge, Meere und Wüsten zählen. Der Geograph ist zu wichtig, um herumzuwandern. Er verlässt seinen Schreibtisch nicht. Aber er empfängt die Forscher und schreibt ihre Eindrücke auf. Und wenn die Ausführungen eines Forschers beachtenswert erscheinen, lässt der Geograph eine amtliche Untersuchung über den Forscher anstellen. Prinz: Ich habe auch eine Blume. Geograph: Wir schreiben Blumen nicht auf. Prinz: Warum, sie ist das Schönste? Geograph: Weil Blumen vergänglich sind. Prinz: Was heißt „vergänglich“? Geograph: Geographiebücher sind die wertvollsten von allen Büchern. Sie veralten nie. Es ist sehr selten, dass ein Berg seinen Platz wechselt. Es ist sehr selten, dass ein Ozean sein Wasser ausleert. Wir schreiben die ewigen Dinge auf. Prinz: Aber erloschene Vulkane können wieder aufwachen. Was heißt vergänglich? Geograph: Ob Vulkane erloschen oder tätig sind, kommt für uns auf das Gleiche heraus. Was zählt, ist der Berg. Prinz: Und was bedeutet „vergänglich“? Geograph: Das heißt: „vom baldigen Entschwinden bedroht.“ Prinz: Ist meine Blume vom baldigen Entschwinden bedroht? Geograph: Gewiss. Prinz: Meine Blume ist vergänglich und sie hat nur vier Dornen, um sich gegen die Welt zu wehren. Und ich habe sie ganz allein zu Hause gelassen. Was raten Sie mir, wohin soll ich gehen? Geograph: Auf den Planeten Erde, er hat einen guten Ruf *** Der Planet Erde hat einen guten Ruf, sagte der Geograph und die Erde ist wahrlich nicht irgendein Planet! Man zählt da 111 Könige, die Negerkönige inbegriffen, 7.000 Geographen, 900.000 Manager, 7 1/2 Millionen Säufer und 311 Millionen Eingebildete – kurz, ungefähr zwei Milliarden erwachsene Leute. Um sich einen Begriff von den Ausmaßen der Erde zu machen, muss man wissen, dass man vor der Erfindung der Elektrizität auf allen Kontinenten zusammen eine Armee von 462.511 Laternenanzünder im Dienst hatte. Hm. Wenn man geistreich sein will, dann kommt es vor, dass man ein bisschen aufschneidet. Denn die Menschen nehmen eigentlich nur sehr wenig Raum auf der Erde ein. Wenn sich alle Bewohner aufrecht ein bisschen gedrängt hinstellen, wie bei einer Volksversammlung etwa, hätten sie auf einem Feld von zwanzig Meilen Länge und zwanzig Meilen Breite leicht Platz. Man könnte die Menschheit auf der geringsten kleinen Insel des Pazifischen Ozeans unterbringen. Die großen Leute glauben das freilich nicht. Sie bilden sich ein, viel Platz zu brauchen. Sie nehmen sich wichtig wie Affenbrotbäume. Aber der Planet Erde hat einen guten Ruf und der kleine Prinz hat ihn besucht *** Schlange: Dein Planet ist schön. Was willst Du hier machen? Prinz: Ich habe Probleme mit einer Blume. Schlange: Ach so. Prinz: Und wer bist Du? Schlange: Ich bin eine Schlange. Prinz: Wo sind die Menschen? Man ist ein bisschen einsam in der Wüste. Schlange: Man ist auch bei den Menschen einsam. Prinz: Du bist ein drolliges Tier, dünn wie ein Finger. Schlange: Aber ich bin mächtiger als der Finger eines Königs. Prinz: Du bist nicht sehr mächtig. Du hast keine Füße, Du kannst nicht einmal reisen. Schlange: Ich kann Dich weiter bringen als ein Schiff. Wen ich berühre, den gebe ich der Erde zurück, aus der er hervorgegangen ist. Prinz: Ah. Schlange: Aber Du bist rein. Du kommst von einem Stern. Du tust mir leid, Du bist so schwach. Ich kann Dir eines Tages helfen, wenn Du Dich zu sehr nach Deinem Planeten sehnst. Prinz: Ich habe sehr gut verstanden, aber warum sprichst Du in Rätseln? Schlange: Ich löse sie alle *** Die Schlange, für mich das Symbol des Todes, zeigt uns mit großer Klarheit, dass wir hier nur Gäste sind, und auch dann, wenn wir glauben, dass es ohne uns nicht weitergeht, wird uns bewusst gemacht, wie schnell unser Leben hier zu Ende gehen kann. In einer Stelle des Buches begegnet der kleine Prinz einer Blume in der Wüste und fragt diese, ob es denn keine Menschen gibt auf der Erde. Die Blume antwortet: „Oh ja, es gibt sieben davon. Sie sind vorhin an mir vorbeigeweht. Sie werden leider nicht lange leben, weil sie keine Wurzeln haben *** Die Begegnung mit dem Weichensteller muss uns sehr nachdenklich stimmen, weil er eine andere Form der Einsamkeit aufzeigt. Auch hier erleben Kinder eine Wirklichkeit, die wir vielleicht vergessen haben. Wir bereisen alle Länder dieser Erde, hinterlassen unsere Spuren in jeder Hinsicht und bedenken gar nicht, dass die dort Lebenden damit weiterleben müssen, wenn wir schon lange nicht mehr dort sind. Prinz: Guten Tag. Weichensteller: Guten Tag. Prinz: Was machst Du da? Weichensteller: Ich sortiere die Reisenden nach Tausenderpaketen. Ich schicke die Züge, die sie fortbringen, bald nach rechts, bald nach links. Prinz: Sie haben es sehr eilig. Wohin wollen sie? Weichensteller: Der Mann von der Lokomotive weiß es selber nicht. Prinz: Sie kommen schon zurück? Weichensteller: Das sind nicht die Gleichen. Das wechselt. Prinz: Waren sie nicht zufrieden, dort wo sie waren? Weichensteller: Man ist nie zufrieden, dort wo man ist. Prinz: Verfolgen diese die ersten Reisenden? Weichensteller: Sie verfolgen gar nichts. Sie schlafen da drinnen oder sie gähnen auch. Nur die Kinder drücken ihre Nasen gegen die Fensterscheiben. Sie haben es gut. Exupery zeigt im kleinen Prinz aber auch, wie dieser Prozess verhindert werden kann. Ich weiß nicht, ob es noch ein Buch gibt, das mit so tiefen Worten den Weg zur Liebe auszudrücken vermag, wie jene Szene mit dem Fuchs. Ich will gerade diesen Teil nicht dadurch seiner Kraft berauben, dass ich versuche, Zusätzliches zu sagen, jedes Wort spricht für sich selbst. Prinz: Wer bist Du? Du bist sehr hübsch. Fuchs: Ich bin ein Fuchs. Prinz: Komm und spiel mit mir. Ich bin so traurig. Fuchs: Ich kann nicht mit Dir spielen. Ich bin noch nicht gezähmt. Prinz: Was heißt das, „zähmen“? Fuchs: Du bist nicht von hier. Was suchst Du? Prinz: Ich suche die Menschen. Was heißt „zähmen“? Fuchs: Die Menschen haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig. Sie ziehen auch Hühner auf. Das ist ihr einziger Nutzen. Suchst Du auch Hühner? Prinz: Nein, ich suche Freunde. Was heißt „zähmen“? Fuchs: Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache. Das heißt, sich vertraut machen. Prinz: Vertraut machen? Fuchs: Gewiss. Du bist für mich nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben gleicht. Ich brauche Dich nicht und Du brauchst mich auch nicht. Ich bin für Dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn Du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für Dich einzig sein in der Welt. Prinz: Ich beginne zu verstehen. Es gibt eine Blume. Ich glaube, sie hat mich gezähmt. Fuchs: Mein Leben ist eintönig. Ich jage Hühner, die Menschen jagen mich. Alle Hühner gleichen einander und alle Menschen gleichen einander. Aber wenn Du mich zähmst, wird mein Leben anders werden. Ich werde den Klang Deiner Schritte kennen. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde, der Deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken. Siehst Du dort drüben die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Für mich ist der Weizen zwecklos. Weizenfelder sagen mir nichts. Aber Du hast weizenblondes Haar. Es wird wunderbar sein, wenn Du mich einmal gezähmt hast. Das Gold der Weizenfelder wird mich an Dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide liebgewinnen. Bitte … zähme mich. Prinz: Ich möchte gerne, aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen. Fuchs: Man kennt nur die Dinge, mit denen man sich vertraut gemacht hat. Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Da es aber keine Geschäfte gibt, die Freunde verkaufen, haben die Menschen keine mehr. Wenn Du einen Freund willst, so zähme mich! Prinz: Was muss ich da tun? Fuchs: Du musst sehr geduldig sein. Du setzt Dich zuerst ein wenig abseits von mir in das Gras. Ich werde Dich verstohlen, so aus den Augenwinkeln, anschauen und Du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst Du Dich ein bisschen näher setzen *** Prinz: Die Stunde des Abschieds ist nahe. Fuchs: Geh, und sieh Dir noch einmal die Rosen an. Und wenn Du mir dann adieu sagst, werde ich Dir ein Geheimnis schenken. Prinz: Ihr seid gar nicht so wie meine Rose. Niemand hat sich Euch anvertraut und Ihr habt Euch niemandem anvertraut. Ihr seid schön, aber Ihr seid leer. Man kann für Euch nicht sterben. Gewiss, irgendwer, der vorüberkommt, könnte glauben, meine Rose sähe Euch ähnlich. Aber sie ist wichtiger als Ihr alle, da sie es ist, die ich gegossen habe. Da sie es ist, die ich unter einen Glassturz gestellt habe. Da sie es ist, die ich mit einem Wandschirm geschützt habe. Da sie es ist, deren Raupen ich weggenommen habe – außer der zwei oder drei, wegen der Schmetterlinge. Da sie es ist, die ich klagen oder sich rühmen gehört habe und manchmal auch schweigen. Da es meine Blume ist. Adieu, Fuchs. Fuchs: Adieu. Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Prinz: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Fuchs: Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen. Aber Du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, das Du Dir vertraut gemacht hast. Prinz: Ich bin für meine Blume verantwortlich. Der kleine Prinz verlässt den Planeten Erde und kehrt zu seiner Blume zurück, die er nun besser verstehen gelernt hat. Auch wir verlassen eines Tages unseren Körper und es wird davon abhängen, ob unsere Erkenntnis ausreicht, jenen Zustand zu begreifen, der uns erwartet, wenn wir körperlich gestorben sind. Die Hölle ist für mich jener Zustand, der ein Erkennen ausschließt. Bestimmen wir nicht selbst diesen Zustand, solange wir in dieser Hülle leben? Jede der aufgezeigten Eigenschaften kann unsere eigene Hölle werden, wenn sie uns beherrscht und wir nicht die Disziplin haben, sie in uns zu beherrschen. Welche Symbolik das Schaf in diesem Buch ausdrückt, habe ich lange nicht begriffen. Am Beginn der Erzählung bittet der kleine Prinz den Piloten, ihm ein Schaf zu zeichnen, das er auf seinen Planeten mitnehmen möchte, um nicht allein zu sein. Das einzige Problem ist die Angst, die Blume könnte vom Schaf gefressen werden. Daher zeichnet der Pilot einen Maulkorb. Dabei vergisst er aber, einen Strick zu zeichnen, mit dem das Schaf in der Nacht angebunden werden kann, damit es nicht auskommt und die Blume fressen kann. Das Buch endet mit dem Satz: Schaut Euch den Himmel an und fragt Euch – hat das Schaf die Blume gefressen oder nicht. Nichts kann auf der Erde unberührt bleiben, wenn irgendwo ein Schaf eine Blume gefressen hat. Schaut Euch den Himmel an und Ihr werdet sehen, wie sich alles verändert. Das Schaf ist für mich das Symbol der Lieblosigkeit, die wir dann entwickeln, wenn wir die Würde des Einzelnen nicht respektieren, weil Vorurteile unser Denken beherrschen und wir im Streit und Neid einander begegnen
Diese Ikone habe ich von der Ur-Ikone abgeschrieben, die Andreij Rubljev im 15. Jahrhundert geschrieben hat. Wir sagen deshalb schreiben, weil das Herstellen einer Ikone ein meditativer Vorgang ist
Beilage 5. Die Gesetze der Masse und. ihre Auswirkungen auf das Individuum. Walter Oberlechner. Otto Griebel Die Internationale 1929–30 Deutsches Historisches Museum Berlin www.dhm.de Bild und Bildausschnitt. Zu diesem Thema haben sich schon viele geäußert, aber ich beschäftige mich seit meiner beruflichen Ausbildung sehr intensiv mit diesem Phänomen, welches das Individuum in einer anonymen, geheimnisvollen Kraft aufgehen lässt. Theater, Seminare, Führung in Betrieben. Viele Umsetzungen von Erkenntnissen Einzelner wurden oft verhindert, weil diese sich selbst im Wege gestanden sind, weil sie, eingebunden in diese Gesetze, nicht so handeln können und konnten wie sie wollten. Erst wenn wir den Mut haben uns selbst zu überwinden, besteht eine Chance auch diese Gesetze zu überwinden um wir selbst werden zu können. Die Gesetze der Masse werden im Allgemeinen nicht unterrichtet, aber schon die alten Griechen und auch die Römer haben diese Gesetze benutzt um Massen zu beeinflussen und zu manipulieren. Die Dominikaner und auch die Jesuiten benutzten diese Gesetze für ihre Absichten. Gerade diese Orden haben es in der Beherrschung der Massengesetze zu einer Meisterschaft gebracht, die nur von Hitler und seinen Helfern noch übertroffen wurde. Goebels war übrigens auch ein Jesuitenschüler. Im Buch „Masse und Macht „von Elias Canetti, werden neben Masse und Meute auch Bestandteile der Macht Elemente und Aspekte, aber auch „Eingeweide“ der Macht dargestellt, die jedoch fast ausschließlich aus Unterlagen aus der Frühzeit der Menschheitsgeschichte oder aus der Krankheitsgeschichte - wie der Paranoia erläutert werden. So verwendet Canetti beispielsweise bei seiner Bestimmung der Besonderheiten der Nationen für die deutsche Nation das Massensymbol des Waldes: „Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: Es war der marschierende Wald.“ Daraus wird nun eindimensional abgeleitet, dass das Verbot der allgemeinen Wehrpflicht durch den Versailler Vertrag dieses Massensymbol so beschädigt habe, dass daraus der Nationalsozialismus entstand: „Das Verbot der allgemeinen Wehrpflicht ist die Geburt des Nationalsozialismus“, heißt es lakonisch. Man sollte das Buch gelesen haben, wenn man Canetti und seine Ansichten besser kennen lernen und verstehen will, gerade auch wegen mancher Einseitigkeit, Übertreibung, betonter Originalität oder reiner Provokation. Den großen Anspruch aber, den man zu Beginn der Lektüre hat, wird man zurückschrauben müssen. Als Canetti sein Buch Masse und Macht beendet hatte, schrieb er den stolzen Satz: „Jetzt sage ich mir, dass es mir gelungen ist, dieses Jahrhundert an der Gurgel zu packen.“ Ein Kritiker schrieb darauf: „Wenn ich ehrlich sein soll: Die Gurgel hat er wohl nicht erwischt. Es war höchstens die Schulter, an der er ein wenig gerüttelt hat“. Um uns eine Vorstellung von den Eigenschaften und der Zusammensetzung von Massen zu geben, mochte ich die Ausführungen Le Bons zu den Merkmalen von psychologischen Massen ganz allgemein betrachten. Eine psychologische Masse besteht demnach aus einer Vielzahl verschiedener Einzelindividuen, mit ihren ganz persönlichen Eigenarten, bezüglich ihres Charakters, ihrer Lebensweise und ihrer Intelligenz, die durch den Um- stand der Vereinigung in einer Masse für diesen Zeit- raum - eine Art Gemeinschaftsseele ausbilden. Diese Gemeinschaftsseele veranlasst die Individuen kollektiv zu denken, zu fühlen und zu handeln, und zwar in einer Art und Weise, die im völligen Gegensatz zu den Einzel- Interessen des Individuums stehen kann. Der Grund hierfür liegt im unbewussten Seelenleben (Triebe, Leidenschaften, Gefühle), welche im Vergleich zum bewussten Geistesleben den größten Teil der men- schlichen Psyche bestimmt. Die Merkmale des Unbewussten werden über die Vererbung beeinflusst und bilden hierüber die Seele aus. Die unbewussten Eigenschaften der Individuen eines Kulturkreises sind somit die Basis ihrer Ähnlichkeit und durch die bewussten Anlagen, die durch Erziehung angeeignet werden, unterscheiden sich die einzelnen Individuen. Die individuellen Eigenschaften des Einzelnen, welche bewusst gesteuert werden, werden in der Masse unwirksam und die unbewussten Motive der Seele gewinnen die Überhand. Die Gesamtheit dieser unbewussten Motive, der Einzelindividuen der Masse, bildet den durchschnittlichen Charakter der Masse mit neuen Eigenschaften. Le Bon findet die Ursachen zur Entstehung dieses Massencharakters in drei entscheidenden Punkten:
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