Aus der Praxis
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Wilhelm Walloth. Aus der Praxis
I. Kapitel
II. Kapitel
III. Kapitel
IV. Kapitel
V. Kapitel
VI. Kapitel
VII. Kapitel
VIII. Kapitel
IX. Kapitel
X. Kapitel
XI. Kapitel
XII. Kapitel
XIII. Kapitel
Отрывок из книги
Am folgenden Tag sehen wir Herrn Dr. Kahler nebst Fräulein Pöhn vor einem baufälligen Hause der Altstadt aus einer Mietskutsche steigen und sehen beide einen kleinen schmutzigen Hof durchwaten. Es hatte geregnet, der Frühling war indes noch nicht bis zu diesen alten Stadtmauern vorgedrungen, die grau und schläfrig ihre rieselnden moosigen Steine zeigten, wie Bettler, die hilfesuchend ihre Blößen enthüllen. Emma befand sich in nicht geringer innerer Erregung, die sie vergeblich vor ihrem Begleiter zu verbergen suchte; sie hörte wie im Fieberhalbschlaf den Regen leise durch die morsche Dachkandel rinnen und sein eintöniges Lied singen; ein feuchter Geruch von verfaultem Stroh drang aus der Holzgalerie, über deren schwankende Dielen sie beide jetzt wandelten, drüben an der zerbrochenen Sprosse der Feuerleiter, die von verrosteten Klammern getragen wurde, hing ein durchgeweichter Filzhut, ein melancholisches Symbol geschwundener Herrlichkeit; drunten die Gasse, in die sich der Brunnen entleerte, die Wäsche, die von der Galerie herabhing, der graue Himmel und der fern über die Dächer der Stadt herüberragende, in Duft gehüllte Kirchturm vervollständigte das Bild trübseliger, missmutiger Einsamkeit und legte um das für Natureindrücke empfängliche Gemüt des Mädchens eine bange, ungeduldige Spannung. Der Arzt hatte sie gebeten, einen Augenblick auf der Galerie zu warten, er wolle sich vorher überzeugen, ob sein Patient bereits angekleidet sei.
So stand jetzt Emma allein auf der feuchten, im Winde schwankenden Brücke und versuchte, das beängstigende Herzklopfen der Erwartung zu unterdrücken, indem sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre armselige Umgebung lenkte. War es ihr doch zuweilen, als sei sie im Begriff, ein Verbrechen zu begehen, doch sobald im hintersten Winkel ihres Bewusstseins eine derartige Empfindung aufsteigen wollte, frug sie sich mit einem trotzigen Erstaunen, was denn Verbrecherisches sei an einer Handlung, zu der sie noch überdies durch außerordentliche Schicksale gezwungen werde? Und ob man denn, wenn man über eignen Geist und Verstand zu verfügen habe, sich nicht von der Meinung anderer emanzipieren könne? Nein! Sie wollte selbstständig sein, und begehe sie eine Torheit – was kümmere es die Welt, wenn sie töricht sein wolle?
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»Ganz außergewöhnlich, mein Lieber,« sagte er, »und zwar geht die Sache weniger mich als Sie an. Immer die Künstler, natürlich die Künstler, die haben das größte Glück!«
Der Kranke frug lächelnd, was ihm Glückliches denn bevorstehe, und der Doktor ging mit sich zu Rate, ob er ihm die ganze volle Wahrheit sagen, oder ob er der rettenden Arznei ein wenig täuschende Süßigkeit beimischen solle. Auf diese Art gelangte er rascher zu seinem Ziele, und durfte man einem Arzte es verübeln, wenn er eine kleine Notlüge ersann, um das Leben seines Patienten zu verlängern, unter Umständen zu erhalten? Wie oft war er in die Lage versetzt worden, mittelst einer Unwahrheit des Leidenden Los zu erleichtern, z. B. die sehr gefährliche Krankheit für gefahrlos zu erklären, und hier sollte er dies Mittel, das schon seit dem alten Galen jeder Arzt mit Erfolg angewandt, verschmähen? Trotzdem entschied er sich für die Wahrheit, dann aber erschien ihm die Sache doch gar zu wunderlich, der arme Freund, sagte er sich, würde gewiss den sonderbaren Heiratsantrag mit Entrüstung zurückweisen und sich nicht zum Werkzeug einer reichen Erbin erniedrigen wollen.
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