Fakt und Fiktion
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Wolfgang Bader Hrsg.. Fakt und Fiktion
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2. KREATIVITÄT „Bevor man etwas aufbaut, muss einem etwas einfallen.“Erhard Horst Bellermann. 2.1 Wie Sie das Tagträumen wieder erlernen. Oft steht der Wunsch, ein Buch zu schreiben, weit vor einer Idee. Das Wissen um die Lust, die Begabung und die Leidenschaft zum Schreiben mögen zwar vorhanden sein, doch das bedeutet nicht, dass es auch die Geschichten schon sind. Insbesondere in einerWelt der ständigen Bespielung durch Streamingdienste und Social Media scheint unsere Kreativität schleichend zu verkümmern. Unsere Fantasie hat sich daran gewöhnt, kontinuierlich mit neuen Impulsen versorgt zu werden. Das Vorstellungsvermögen wird nicht mehr gefordert. Die Ideen schlafen ein. Und selbst das Tagträumen fällt schwer. Doch auch, wenn es Ihnen schwerfällt, Ideen zu skizzieren, sollten Sie sich nicht entmutigen lassen. Das Schöne an der Kreativität ist, dass sie sich erlernen und wiedererlernen lässt. Dazu haben wir einige Praxisübungen für Sie zusammengetragen. Übrigens ist das Trainieren der Kreativität erst die Vorstufe zur Formulierung erster Ideen. Denn nur, wenn es Ihnen gelingt, Ihren Geist zu entfesseln, können Sie sich an die Konzeption einer konkreten Geschichte machen. Vergessen Sie nicht, dass Ihr Buch sich zwar im Kern auf eine Idee, eine Geschichte konzentriert, aber auch die Nebenschauplätze nach Substanz verlangen. 2.2 Schreibwerkstatt: Workout für Ihre Kreativität. Mit einer Idee, mag sie auch noch so golden sein, ist die Arbeit nicht getan. Bedenken Sie, dass jede Figur eine eigene Biografie, dass jedes Kapitel eine eigene Kulisse braucht. Bevor Sie sich also ans Schreiben machen, sollten Sie sichergehen, dass Ihre Kreativität entgrenzt ist. Folgende Ansätze können Sie zur vollen Entfaltung Ihrer Kreativität verfolgen: 2.2.1 Morgenseiten: Weckruf für die Kreativität. Die Methode der sogenannten „Morgenseiten“, die von Julia Cameron entwickelt wurde, basiert auf den Prinzipien des Intuitionsschreibens. Die Technik der US-amerikanischen Journalistin, Filmemacherin und Buchautorin wird unter Künstlern als eher spiritueller Zugang gehandelt. Doch wer jetzt an Esoterik und Quacksalberei denkt, wird dem Konzept der „Morgenseiten“ nicht gerecht. Denn im Wesentlichen beseitigen die „Morgenseiten“, im englischen Original auch „Morning Pages“ genannt, nicht nur Blockaden, sondern fördern auch den freien Fluss der Kreativität. Konkret geht es darum, das innere Korrektiv auszuschalten. Zu diesem Zweck sollen jeden Morgen, unmittelbar nach dem Aufstehen, noch bevor der Verstand vom Alltagstrott verklärt ist, drei Seiten Papier mit ungefiltertem Gedankenstrom gefüllt werden. Wichtig ist, dass Sie nicht nachdenken, worüber Sie schreiben. Weder Stil noch Inhalt spielen eine Rolle für Ihre spontanen Satzkonstrukte. Dringen Sie tief in Ihren Bewusstseinsstrom ein und zapfen Sie Ihr Unterbewusstsein an. Sie werden staunen, was Sie alles finden werden. Essenziell für die Umsetzung ist übrigens, dass Sie die „Morgenseiten“ ausschließlich mit der Hand verfassen. Laut ihrer Erfinderin gibt Ihnen nur die handschriftliche Niederschrift Zeit,sich in Ihr Werk zu vertiefen. Die Technik ist überdies eine Übung in Selbstdisziplin, einem neben der Kreativität ebenfalls wesentlichen Werkzeug eines erfolgreichen Schriftstellers. Schließlich und endlich sollen die „Morgenseiten“ nicht weniger als drei Monate lang praktiziert werden. Dabei sind sie Teil eines deutlich umfangreicheren Programms, das Künstlermentorin Julia Cameron in ihrem Werk „Der Weg des Künstlers“ (Originaltitel „The Artist’s Way“) beschreibt. Versuchen Sie sich ruhig unvoreingenommen in dieser doch unkonventionellen Methodik. Am Ende werden Sie womöglich nicht nur mit enthemmter Kreativität, sondern auch gleich noch mit einer Idee für Ihr Buch belohnt. 2.2.2 Spielen Sie mit Sprichwörtern. Kreatives Intervalltraining bietet auch die folgende Praxisübung von Otto Schumann, dem Herausgeber des viel zitierten Grundlagenwerks „Schreibkunst. Handbuch für Schriftsteller, Redakteure und angehende Autoren“. Denken Sie an ein mehr oder minder bekanntes Sprichwort, eine Redewendung oder auch eine Lebensweisheit und erfinden Sie eine Geschichte dazu. „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ oder auch „Aus einer Mücke einen Elefanten machen“ bieten zum Beispiel reichlich Stoff für kreative Gedankenexperimente. Es reicht, wenn Sie diese Geschichten in Ihre Tagträume einbetten. Sie aufzuschreiben ist nicht zwingend notwendig. Diese Taktik wirkt trivial auf Sie? Dann sollten Sie vielleicht einen präziseren Blick auf die Weltlektüre werfen. Als vollendete Form des Sprichworts „Rache ist süß“ könnte wohl Dumas’ berühmter Roman „Der Graf von Monte Christo“ gelten. Der simple Spruch „Unverhofft kommt oft“ war wohl schon häufig ein Leitmotiv des Märchens. Und sowohl Molières Don Juan als auch Mozarts Don Giovanni hatten mit Sicherheit „mehrere Eisen im Feuer“.Viele Sprichwörter, die uns auf den ersten Blick wie Binsenweisheiten erscheinen, sind klassische Themen der Komparatistik. Greifen Sie sie auf, spinnen Sie sie weiter und verfolgen Sie sie. Schon bald wird Ihr Gedankenkonstrukt Sie nicht mehr loslassen. Sollte Sie der Schwierigkeitsgrad dieser Technik unterfordern, so gehen Sie noch einen Schritt weiter. Rufen Sie sich eine alltägliche Aussage ins Gedächtnis und stellen Sie ihr eine konträre gegenüber. Dies könnte etwa so aussehen: „Alte Liebe rostet nicht. Doch neue Liebe schillert so schön.“ Kommt Ihnen dieses Thema bekannt vor? Wahrscheinlich ist es Ihnen schon mehrmals begegnet, zum Beispiel im Film „Eine verhängnisvolle Affäre“ mit Michael Douglas in der Hauptrolle. Oder etwa: „Übung macht den Meister. Doch manchmal fällt ein Meister einfach so vom Himmel.“ Um dieses Motiv spinnen sich die Handlungsstränge zahlreicher Dramen. Leidenschaft alleine reicht nicht aus, wenn nicht auch eine gewisse Begabung vorhanden ist. Manche, wie zum Beispiel Mozart, sind mit einer solchen gesegnet, während ihre ewigen Gegenspieler, wie etwa der Hofkomponist Salieri, ihr Niveau nie erreichen werden. Das Potenzial dieser Übung steckt übrigens nicht nur in ihrer Ausführung, sondern auch in ihrer Ausformung. Entwerfen Sie sowohl Übungen als auch die dazu passenden Handlungen, Figuren und Schauplätze. Schulen Sie Ihr Gehirn im kreativen Denken. Schon bald werden Sie mehr Geschichten als Zeit haben, um sie niederzuschreiben. 2.2.3 Schauen Sie genau. Die begabtesten Schriftsteller waren zugleich auch begnadete Beobachter. Ihre Umwelt betrachten Schriftsteller in der Regel wie ein Ornithologe ein Vogelnest. Hermann Hesse sei hier nur als eines von vielen Beispielen genannt. Bei Werken wie „Narziß und Goldmund“ oder auch „Der Steppenwolf“ handelt es sich, kurz gegriffen, um zu Büchern gebundene Persönlichkeitsprofile. Keineswegs beschreibt Hesse in seinen Werken nur sein Spiegelbild. Narziß etwa, einer jener zwei Hauptprotagonisten, um die sich die Geschichte von „Narziß und Goldmund“ spannt, ist rational, praktisch und pragmatisch. Demgegenüber steht die fein gesponnene Künstlerseele Goldmunds, die Hesse, selbst eine sensible Seele, zu beschreiben wesentlich leichter gefallen sein wird. Woher aber nimmt Hesse den Stoff, um Narziß, eine ihm selbst so gegensätzliche Persönlichkeit, zu konstruieren? Er rekonstruiert sie. Denn Hesse blickt selbst auf eine Vergangenheit als Schüler einer Klosterschule in Maulbronn, Baden-Württemberg, zurück. Nirgendwo sonst hätte Hesse die Persönlichkeit des Theologen, des Theoretikers und reinen Geistmenschen besser studieren können als in ihrer Gebärstätte selbst. Es ist die Beobachtung seiner Umwelt, die Hesse zu deren empirischer Beschreibung befähigt. Je mehr Eindrücke und Erlebnisse, je mehr Welten ein Autor sammelt, desto mehr Stoff gewinnt er für seine Geschichten. Auch das Reisen hatte Hermann Hesse mit seinen großen Vorvätern, zum Beispiel Goethe, gemeinsam. „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“, sagte Goethe. Verlassen Sie also Ihre vier Wände, studieren Sie die Welt und entfachen Sie Ihre Kreativität: Die Inspiration liegt auf der Straße. Sie müssen nur genau hinschauen. 2.3 Autoreninterview mit Nathalie Karré. Nathalie Karré, gefragte Expertin für Potenzialentfaltung, Change sowie Organisations- und Führungskräfteentwicklung, begleitet seit mehr als zwei Jahrzehnten Menschen in Veränderungsprozessen auf der Reise zu einem erfolgreichen, glücklichen Leben. Sie beschreitet dabei stets unkonventionelle Wege, zum Beispiel mit „Transformation Journeys“ zu außergewöhnlichen Persönlichkeiten wie André Heller oder Gottfried Helnwein. Ihr erstes Buch, „Der Jungbrunnen-Effekt. Wie 16 Stunden Fasten Ihr Leben verändert“, in dem sie als Co-Autorin mitwirkte, etablierte sich schnell in der Bestsellerlandschaft. www.jungbrunneneffekt.com. Frau Karré, Sie blicken auf eine erfolgreiche Karriere als Gründerin, Trainerin, Coachin und nicht zuletzt Bestsellerautorin zurück. Der beharrliche Wille zu Weiterentwicklung, Veränderung und Wachstum ist in Ihrem Wirkungsbereich essenziell. Woraus beziehen Sie Ihre unerschöpfliche Energie? Ich denke, es ist vor allem das inhaltliche Interesse, das mich treibt. Wie kann eine bestimmte Fragestellung gelöst werden? Gerade in der Unternehmensberatung und Führungskräfteentwicklung habe ich ständig mit schwierigen oder scheinbar unlösbaren Problemen zu tun. Um diese zu meistern, muss man flexibel denken und sich laufend mit vielen neuen Informationen versorgen. Auch im Executive Coaching ist es wichtig, sich ständig weiterzuentwickeln. Als externer Berater und Begleiter ist es genau deine Aufgabe, neue Impulse in Unternehmen zu bringen. So kommen stets zusätzliche Themenfelder und Wissensgebiete dazu – und es macht mir auch Spaß, in den eigenen Fachgebieten dazuzulernen und zu wachsen. Eine zweite Energiequelle ist sicher mein Lebensstil. Vieles davon habe ich als Co-Autorin auch in unserem Buch „Der Jungbrunnen-Effekt. Wie 16 Stunden Fasten Ihr Leben verändert“ beschrieben: Täglicher Sport, so oft als möglich in der Natur zu sein, eine sinn- und genussvolle Ernährung, aber auch gute Mentaltechniken und sich geistig zu fordern geben eine gute Grundenergie. Eine weitere große Kraftquelle ist die Zeit mit Familie und Freunden. All das ist mir sehr wichtig und ich achte darauf, diese Elemente aktiv zu leben. Unter anderem unterstützen Sie Ihre Kunden auch bei deren individueller Potenzialentfaltung. Was darf man sich darunter vorstellen? Im Wesentlichen bedeutet es, Menschen und Organisationen in Veränderungsprozessen zu begleiten. In beiden Fällen geht es darum, einen Entwicklungswunsch zu unterstützen: Neue Wege zu erschließen, Zusammenarbeit zu fördern, Ergebnisse schneller zu erreichen, die eigene Effizienz zu steigern, eigene Energieressourcen zu managen oder herausfordernde Situationen zu meistern sind nur einige Methoden dazu. Oft geht es auch um etwas ganz Neues. Neue Unternehmenszweige zu erschließen, neue Unternehmen zu gründen oder auch neue Wege zu finden, wenn das Potenzial eines Menschen im aktuellen Unternehmens- oder Berufsfeld nicht ausgelebt werden kann. Wenn Menschen an so eine Weichenstellung des Lebens gelangen, sind das schon herausfordernde Momente bzw. Zeiten für die betroffene Person. Häufig hat man sich schon vieles aufgebaut, und plötzlich spürt man, dass man alles loslassen muss, um eine neue Richtung im Leben einzuschlagen, die üblicherweise nicht mit der gleichen finanziellen Sicherheit einhergeht und oft auch große Auswirkungen auf die Familie und das nahe Umfeld hat. Hier gilt es herauszuarbeiten, welche Potenziale sich entfalten wollen, wohin der neue Weg gehen kann und wie das alles mit dem bisherigen Leben vereinbar ist. Ein- bis zweimal jährlich gehen wir mit Menschen, die genau an so einem Punkt stehen, auf „Transformation Journey“, eine Reise zu inspirierenden Persönlichkeiten wie André Heller oder Gottfried Helnwein, um mit ihnen gemeinsam an genau dieser Frage zu arbeiten: Wie kann ich meine Potenziale entfalten und große Träume in meinem Leben realisieren? Verborgene Potenziale kann man zum Vorschein bringen. Wie verhält es sich aber mit deren praktischer Anwendung? Ist Kreativität ebenfalls eine Eigenschaft, die sich durch Methodik erschließen lässt? Um genau diese praktische Anwendung geht es in der Potenzialentfaltung. Im ersten Schritt sind diese Potenziale aufzuspüren und im zweiten Schritt Wege zu entwickeln, wie sie zur Wirkung kommen können. Diese zu finden ist ein sehr spannender, hochindividueller und auch sehr freudvoller Prozess. Kreativität hat wie fast alle Eigenschaften oder Kompetenzen eine eigene Logik und Methodik und lässt sich auch gut erschließen. Steckt Kreativität in jedem Menschen? Ja. Haben Sie schon mal ein unkreatives Kind erlebt? Ich nicht. Und ich frage mich, wohin diese Kreativität verschwinden sollte. Manche Menschen glauben, sich im Berufsleben vor allem durch Kompetenz und Ernsthaftigkeit Respekt verschaffen zu müssen. Das ist aber ein Irrglaube. Spätestens, wenn wir in Innovationsprozessen oder anderen Management-Seminaren mit „Lego Serious Play“ arbeiten, zeigt sich sehr schnell, wie viel Kreativität und Spielfreude in jedem Managementteam steckt. Als Co-Autorin des Buchs „Der Jungbrunneneffekt“, einem Ratgeber zum Intervallfasten mit ganzheitlichem Ansatz, haben Sie an einem Beststeller mitgewirkt. Wie entstand die Idee zu diesem Werk? Diese „Idee“ ist weniger der Kreativität als vielmehr der Spontanität geschuldet. Eine Verlagsmitarbeiterin, mit der ich im Management Development arbeite, wusste, dass die Autoren, P. A. Straubinger, Margit Fensl und ich, gemeinsam Seminare zu Intervallfasten, gesunder Ernährung, Meditation und Mentaltechniken veranstalten. Sie fragte uns, ob wir Lust hätten, ein Buch über diese Themen zu schreiben – es müsse nur in fünf Monaten fertig sein. Wir hatten. Und die kurze Zeitspanne beflügelte wahrscheinlich unsere Kreativität. Dass das Buch über fast sechs Monate die Bestsellerlisten anführte, das meistverkaufte Buch Österreichs war und wir damit den Health und Fit Award gewonnen haben, hat uns alle mehr als überrascht. Und natürlich auch riesig gefreut. Glauben Sie, dass man den Prozess der Ideenfindung bewusst steuern kann, oder sind Ideen kognitive Impulse, die sich unserer Kontrolle entziehen? Ja, kann man. Es gibt ausreichend Kreativitätstechniken, die es ermöglichen, strukturiert vorzugehen. Neben vielen Klassikern wie „Mindmapping“, der „635-Methode“ oder der „Umkehr-Technik“ gibt es zahllose weitere innovative Ansätze, zum Beispiel die „Walt-Disney-“ oder die „Blue-Ocean-Strategie“. Daneben existieren auch viele Anregungen aus der agilen Welt, zum Beispiel „Design Thinking“, eine tolle Kombination aus Prozessvorgabe und Kreativelementen. Bei dieser Methode werden auch User bzw. Kunden einbezogen – auch das gibt der Ideenfindung neue Blickwinkel. Und natürlich gibt es auch die kognitiven Impulse, die sprichwörtlich unter der Dusche oder beim Morgenlauf kommen und einfach da sind. In irgendeiner Form entstehen sie aber immer aus dem, womit wir unseren Geist davor – bewusst oder unbewusst – gefüttert haben. Für das bewusste Steuern der Ideenfindung ist es wichtig, Kreativitätstechniken zu kennen und anwenden zu können. Für die kognitiven Impulse ist es relevant, arbeitstechnische und digitale „Aus-Zeiten“ und damit Freiräume für den Geist zu schaffen. Meditation ist übrigens auch eine Methode, die bei regelmäßiger Anwendung Kreativität und Ideenfindung fördert. Welche Blockaden gibt es, die den Ideen- und Kreativitätsfluss zum Stocken bringen? Die größte Blockade ist der Glaube daran, nicht kreativ zu sein. Menschen, die von sich behaupten, nicht kreativ zu sein, werden sich immer selbst darin bestätigen. Kreativitätstechniken sind ein wunderbares Handwerkszeug. Falsche Glaubenssätze sind aber stärker und werden beweisen, dass die jeweiligen Kreativitätstechniken nicht funktionieren. Unsere Glaubenssätze und Wirklichkeitskonstruktionen sind unsere größten Einschränkungen, aber auch unser größter Triebmotor. Hier können Persönlichkeitsentwicklung, Coaching oder Menschen, die in der Potenzialentfaltung begleiten, sehr hilfreich sein. Was ist Ihr persönlicher Schlüssel für Kreativität auf lange Sicht? Interessiert zu bleiben an der Welt und die Lust am Neuen zu kultivieren: Viel zu reisen, zu lesen und neue Informationen aufzunehmen. Auch die Neugier am Austausch mit Menschen sollte bestehen bleiben – vor allem mit Menschen, die anders sind als man selbst. Im Austausch mit Menschen anderen Alters oder Milieus ist außerdem eine fragende, offene Haltung entscheidend. Es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern darum, möglichst viele Sichten der Welt nebeneinanderzustellen und deren jeweilige Vorteile gemeinsam zu erkennen. So kann man unglaublich viel entdecken und auch die eigene Kreativität beflügeln. Und natürlich hilft es, sich selbst immer wieder zu hinterfragen, und vor allem nie zu glauben, man wüsste schon alles. Am gefährlichsten ist es, wenn man Experte in einem bestimmten Gebiet ist – hier kann man leicht mal der „Ich-weiß-schon-alles-Fantasie“ verfallen. Sie ist der Tod jeglicher Entwicklung und Kreativität. Welche Botschaft können Sie Autoren mitgeben, die noch an ihrem Potenzial bzw. an ihrer Befähigung zweifeln?
2.4 Praxistipp von Nathalie Karré. Praxistipp von Bestsellerautorin Nathalie Karré. Mit dieser Übung trainieren Sie Ihre Kreativität: Eine meiner liebsten Kreativitätstechniken ist eine Abwandlung der „Mentoren-Technik“: Betrachten Sie Ihr Problem oder Ihre Fragestellung mit den Augen anderer Menschen. Fragen Sie sich, wer das Problem am besten lösen könnte oder die besten Ideen dazu hätte. Und dann fragen Sie sich, wie diese Person die Sache lösen würde. In der Abwandlung laden Sie noch weitere, möglichst unterschiedliche Personen ein – so viele, wie Sie möchten – und betrachten Ihre Fragestellung mit deren Augen bzw. Weltsicht, etwa:
3. IDEEN „Eine Idee muss Wirklichkeit werden können, oder sie ist eine eitle Seifenblase.“ Berthold Auerbach. Ideen sind die Konkretisierung Ihrer Kreativität. Sobald sich Ihre Kreativität bemerkbar macht, sich Geschichte um Geschichte Ihres Geistes bemächtigt, sollten Sie auch schon in Ihre Schaffensphase eintreten. Doch Vorsicht, dies bedeutet nicht, dass Sie immerzu inspiriert sein müssen, um zu schreiben. Unter vielen Schriftstellern herrscht immer noch der irrige Glaube, dass man nur unter dem Einfluss der Musen schreiben könne. Relativiert hat das unter anderem der japanische Erfolgsautor Haruki Murakami in seinem Buch „Von Beruf Schriftsteller“. Der Autor von Büchern wie „Naokos Lächeln“ oder „Kafka am Strand“ hat in seinen Essays über das Schreiben nicht nur die bedingungslose Bereitschaft zum Prozess betont, sondern auch das romantische Selbstbild des Schriftstellers revidiert. Schreiben ist nicht nur Berufung, sondern eben auch Beruf. Es wird immer wieder Tage geben, an denen der kreative Fluss in trockenen Mündungen verläuft. An manchen Tagen ringt man mehr, an anderen weniger mit den Worten. Wichtig ist aber, jeder Widrigkeit zum Trotz weiterzuschreiben. Sie wollen ein Buch schreiben? Dann akzeptieren Sie das Schreiben als Ihren Beruf. Verfolgen Sie Ihre Aufgabe, ein Buch zu schreiben, mit derselben Vehemenz wie Ihren Brotjob. An Tagen ohne Musenkuss auf das Schreiben zu verzichten, wäre so, als würden Sie Ihrem Chef sagen, dass Sie heute nicht zur Arbeit kommen, weil Ihnen die Inspiration fehlt. 3.1 Schreibwerkstatt: Das bringt Sie auf Ideen! Der Grundstock für Ihre Ideen ist Kreativität, nicht Inspiration. Bedienen Sie sich also im ersten Schritt der Techniken, die wir Ihnen in Kapitel 1 geschildert haben. Sobald Ihre Kreativität wieder fließt, konzentrieren Sie sich auf die Ideen – denn ihrer braucht es viele. Mit einer Grundidee, einem Thema für Ihr Buch, ist es beim Schreiben längst nicht getan. Vielmehr ist Ihr Buch ein Sammelsurium aus Ideenbildern. Zu Beginn Ihrer Arbeit werden Sie erst einmal auf viele Fragen stoßen, die Sie sich selbst stellen und beantworten sollten. Sie werden feststellen, dass der Schreibfluss erst dann ungehindert vonstattengeht, wenn Sie elementare Ansätze geklärt haben. Betrachten Sie diesen Schritt aber als Fortschritt, nicht als Hindernis. Denn in jeder Frage steckt auch schon eine Antwort – eine Antwort, die Sie Ihrem Plot näherbringen wird. Fragen sind also eine Technik der Ideenfindung. Damit Ihr Fragenkatalog aber nicht mehr Seiten hat als Ihr Roman, schlüsseln wir Ihnen im Folgenden die Frage- und andere Techniken auf: 3.1.1 Stellen Sie die richtigen Fragen. Sind Sie noch mit den viel zitierten W-Fragen aus Ihrer Schulzeit vertraut? Vielleicht erinnern Sie sich noch an die unzähligen Schulstunden, in denen Ihr Lehrer die Bedeutung von Frageadverbien und -pronomen fürs Gelingen eines profunden Berichts betont hat. Personal-, Temporal- oder Lokalfragen, die Protagonisten, Zeit- oder Ortsangaben betreffen, bestimmen aber nicht nur die Ausgestaltung von Berichten. Wenn Sie diese Technik erst anwenden, werden Sie schnell bemerken, dass auch andere Textgattungen ohne die wegweisenden W-Fragen nicht auskommen. Diese Technik bietet sich vor allem dann an, wenn Ihnen noch jede Vorstellung von Ihrem Buch fehlt. Wenn Sie die W-Fragen Punkt für Punkt beantworten, entsteht der Bauplan für Ihr Buch praktisch von selbst. Also, nehmen Sie Stift und Papier und zeichnen Sie Ihr erstes Modell:
4. RECHERCHE „Man findet oftmals mehr, als man zu finden glaubt.“Pierre Corneille. Während Ideen die Impulse liefern, liefert Recherche schon konkretes Rohmaterial. Zwar können Sie sich beim Schreiben auch Ihres persönlichen Wissenshorizonts bedienen, jedoch ersetzt keine Bildung die persönliche Kenntnis vom Gegenstand der Beschreibung. Recherche ist übrigens keine Frage des Genres. Die Relevanz präziser Recherche beschränkt sich nicht nur auf Nonfiction. Auch und vor allem Fantasyromane wollen penibel recherchiert sein. Denken Sie hier zum Beispiel an den Bestsellerautor George R. R. Martin. Fans von „Das Lied von Eis und Feuer“ sind mit der Akribie des kreativen Genies bestens vertraut. Die Welt von Westeros lässt sich allerdings nicht ausschließlich auf die Fantasie des Autors zurückführen. Viele Schauplätze, Szenen, Gegenstände, Protagonisten oder auch Traditionen sind klar kennzeichnende Elemente des Mittelalters. Die Eisenmänner etwa, jene grobschlächtigen Charaktere, die im schroffen Einzugsgebiet der Eiseninseln beheimatet sind, fahren nicht einfach nur mit Schiffen auf See. Sie ziehen mit Barken, Koggen, Dromonen oder Galeonen in den Krieg. Ebenso gewichtig erscheinen Details bei der Beschreibung von Wappen, Wamsen oder Waffen. Ohne Recherche, wenn nicht Tiefenrecherche des Altertums, hätte eine derart akribische Differenzierung nie vorgenommen werden können. Insofern sollten Sie sich also, unabhängig vom Genre, auf eine intensive Rechercheaktivität einstellen. Wichtig ist die Recherche auch zur Gewährleistung eines ungehinderten Schreibflusses. Kaum etwas reißt Sie so sehr aus dem Geschehen wie die Erkenntnis, dass Ihnen die für die Beschreibung der Szene notwendige Information noch fehlt. Beim konzentrierten Schreiben jagt nicht selten ein Gedanke den nächsten. Unterbrechen wir den Prozess, gefährden wir nicht nur die natürliche Entwicklung des Geschehens, sondern auch spontane, originelle Einfälle, die dem Werk vielleicht noch mehr Echtheit verliehen hätten. Selbstverständlich lässt sich nicht jede Szene bis ins subtilste Detail planen. Doch sollte das auch nicht das Ziel Ihrer Recherche sein. Wichtig ist es, ein komfortables Mittelmaß zwischen Fakt und Fantasie, zwischen Realem und Surrealem zu finden. Ihre Charaktere erwählen sich die spanische Sagrada Família zum Treffpunkt für ihr geheimes Tête-à-Tête? Dann sollten Sie die markante Kirchenarchitektur des Meisterwerks von Gaudí schon vor dem Niederschreiben der Szene studieren. Für den Austausch sensibler Informationen bietet sich ein entlegener Winkel vielleicht eher an.Treffen sich die beiden Geheimniswahrer in der Abgelegenheit einer Kapelle? Gelingt ihnen ein unauffälliger Auftritt in der Krypta? Oder bevorzugen die beiden Protagonisten doch die belebte Atmosphäre um den Altar, unter dem allsehenden Auge Gaudís? Vor allem für Plätze, die Ihrem Publikum geläufig sein könnten, ist gewissenhafte Recherche oberstes Gebot. Doch auch, um Ihren Schauplätzen mehr Schliff zu verleihen, ist gute Recherche unabdinglich. Kreative Freiheit in Gaudí’schem Ausmaß können Sie natürlich bei der Gestaltung fiktiver Räume walten lassen. Wie die Wohnung Ihres Hauptprotagonisten aussieht, bleibt Ihnen ebenso überlassen wie dessen Bürstenschnitt oder Bartrasur. Doch selbst die Realität dürfen Sie ruhig ein wenig verzerren. Bestehendes ist statisch, doch können Sie durchaus Details dazudichten. Angewendet auf das Beispiel mit der Sagrada Famìlia kann das bedeuten, dass sich die beiden Protagonisten in einem Geheimgang treffen, von dem der Öffentlichkeit nichts bekannt ist. Ein Kompromiss, der Ihr Publikum sowohl auf der Ebene der Faktizität als auch auf der der Fiktionalität befriedigen dürfte. Wahre Meister der Recherche sind investigative Journalisten, die selbst jene Quellen finden, die längst versiegt zu sein scheinen. Autoren können viel von ihnen lernen. In seinem Buch „Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben“ betont Roy Peter Clark zum Beispiel die Vorbildfunktion von Sportjournalisten. Die „Bereitschaftsweltmeister“, wie Clark sie nennt, bereiten ihre Beiträge schon vor dem eigentlichen Sportereignis vor. Um dem Aktualitätsanspruch einer Zeitung oder Onlinezeitung, wie ihn die Leserschaft stellt, gerecht zu werden, muss das Ergebnis eines Großereignisses wie einer Weltmeisterschaft oder Olympiade sofort berichtet werden. Zu diesem Zweck bereiten Sportjournalisten Textfragmente vor, die sie für jeden möglichen Ausgang in kalkulierten Tastaturanschlägen adaptieren können. Die Recherchearbeit ist immens aufwendig, muss doch für jeden potenziellen Gewinner eine journalistische Schablone vorproduziert werden. Erst wenn das Ergebnis feststeht, wird die Story in die Schablone eingefasst. Gewissenhafte Recherche unterfüttert den Text nicht nur mit Hintergrundinformationen, sondern wertet ihn auch noch von einer reinen Informations- zur Unterhaltungslektüre auf. Darin liegt übrigens eine weitere positive Eigenschaft der Recherche: Quellen speisen nicht nur bestehende Ideen, sondern lassen auch neue sprießen. Mit jeder neuen Information besteht zugleich auch die Chance auf neue Inspiration. Redakteure stoßen oft erst durch die Sammlung und Sichtung von Rohstoff auf weitere wertvolle Informationen. Journalisten gewinnen durch neue Details auch neue Fakten. Sie als Schriftsteller gewinnen nicht nur neue Fakten, sondern auch neue Fiktion. Detail für Detail eröffnen sich Ihnen noch mehr Möglichkeiten. Vielleicht schicken Sie Ihre Protagonisten in Gedanken zum Pilzesuchen in den Wald. Um den Pilz, den Ihre Figuren zufällig finden, besser beschreiben zu können, suchen Sie ihn im Internet. Bei Ihrer Recherche stoßen Sie plötzlich auf einen Artikel, der dem Pilz eine psychoaktive Wirkung zuschreibt. Wie schnell verändert sich die Szene, die sie eigentlich schreiben wollten? Ein kleines Detail, eine einzige Eigenschaft reicht schon aus, um Ihrem Buch einen kräftigen Handlungsanstoß zu geben. Roy Peter Clark verweist in diesem Zusammenhang auch auf Dorothea Brande, eine amerikanische Schriftstellerin und Journalistin, die einen ähnlichen Mehrwert in der Recherche erkannt hat: „Sie sollen wohlgemerkt noch nicht schreiben. Sie arbeiten zunächst nur vorbereitend. Ein oder zwei Tage lang vertiefen Sie sich in die Einzelheiten; Sie werden bewusst darüber nachdenken und sich, falls nötig, in weiterführender Literatur ergänzende Fakten besorgen. Dann werden Sie davon träumen. (…) Es wird Ihnen vorkommen, als gäbe es unendlich viele offene Fragen. Wie sieht die Heldin aus? War sie ein Einzelkind oder das älteste von vielen? Welche Schulbildung hat sie? Arbeitet sie?“ Erkennen Sie die Chance, die in dem Bemühen liegt, jede Frage, die Sie an Ihr Buch stellen, ergiebig zu beantworten? Betrachten Sie die Recherche nicht als mühevolle Pflichtübung, sondern als Potenzial – und Ihr Buch wird nicht nur an Gründlichkeit wachsen, sondern auch an Umfang. 4.1 Schreibwerkstatt: So recherchieren Sie richtig. Das Zeitalter des Internets hat eine regelrechte Revolution der Recherchemethoden eingeläutet. Was früher noch in kontemplativer Manier in Archiven, Bibliotheken oder Bilddatenbanken gesucht werden musste, findet man heute in wenigen Sekunden in jeder gängigen Suchmaschine. Nichtsdestotrotz hat sich auch der Stellenwert bewährter Recherchemodi erhalten. Zeitzeugen zum Beispiel fördern Wahrheiten zutage, von denen selbst das Internet noch etwas lernen könnte. Und auch für die gegenständliche Erfahrung ist das Erleben vor Ort unumgänglich. In der Regel richtet sich die Recherchemethode aber nach dem Rechercheobjekt. Anhaltspunkte für neue oder vielleicht schon in Vergessenheit geratene Recherchequellen haben wir in dieser Übersicht für Sie gebündelt. 4.1.1 Online
4.1.2 Offline. Analoge Recherche mag nicht mehr en vogue sein, empfehlenswert ist sie jedoch allemal. Insbesondere wenn wir etwas eindringlich beschreiben wollen, was sich der direkten Erfahrbarkeit entzieht, ist die reale der virtuellen Welt vorzuziehen. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die Wirkung, die ein frischer Eindruck auf uns haben kann. Neue Umgebungen, Menschen und Situationen inspirieren auch zu Ausschweifungen der Fantasie. Um gute Geschichten zu schreiben, müssen Sie Ihrer Kreativität bewusst auch Pausen gönnen. Die zuvor erwähnte Schriftstellerin und Journalistin Dorothea Brande befürwortete überhaupt eine völlige Loslösung von Literaturrezeption und -produktion in der Freizeit. Um Sprache und Stil frisch und lebendig zu halten, brauche es ihrer Meinung nach auch Abstand von der Welt des geschriebenen Worts. Ein paar Rechercheansätze in Offlinesphären halten wir hier für Sie bereit:
Das Recherchieren gehört zum Schreiben wie das Schneiden zum Film. Freunden Sie sich mit der Recherche als elementarer Prozessebene an und widmen Sie ihr ausreichend Raum. Wenn Sie vor dem Schreiben ein entsprechendes Zeitkontingent investieren, werden Sie sich nachher umso schneller bis zur ersehnten letzten Zeile tippen. Greifen Sie beim Recherchieren unbedingt auch auf die oben aufgelisteten Mindmapping-Programme zurück. Die Verknüpfung und Verdichtung von Ideen mit Details kann auch Spaß machen. Lassen Sie sich auf die Recherche ein. Man weiß nie, was man entdeckt. 4.2 Exkurs Nonfiction. Wenn Sie ein Sachbuch schreiben, können Sie grundsätzlich auf die gleichen Recherchemethoden zurückgreifen. Dennoch sollten Sie nicht blind auf die Ihnen zur Verfügung stehenden Quellen vertrauen. Gerade in Bereichen wie Ernährung, Medizin oder Nachhaltigkeit kann schlechte Recherche nicht nur rufschädigend, sondern schlimmstenfalls sogar fahrlässig sein. Ihre Leser vertrauen auf Ihre Fachkompetenz und folgen Ihrem Rat. Folgende Aspekte sollten Sie für Ihre Rechercheaktivität daher außerdem berücksichtigen:
5. STIL „Nur ein großer Geist wagt es, einfach im Stil zu sein.“ Henri Stendhal. Die Frage nach dem einen, goldenen Schreibstil beschäftigte schon viele Schriftsteller. Doch wie jede Lehre lässt auch die Literaturwissenschaft eine allumfassende Universaltheorie missen. In der Literaturgeschichte wagte sich der Stilbegriff mitunter auch auf experimentelles Terrain. So versuchte sich etwa Gertrude Stein an einem kubistischen Schreibstil. Auf Punkt und Komma verzichtete die amerikanische Schriftstellerin und Kultfigur ebenso wie auf alle anderen vernachlässigbaren Satzzeichen. Berühmt wurde sie unter anderem für den Satz „A rose is a rose is a rose is a rose.“ Nach ihrem Ermessen ergibt sich der Leseinhalt erst aus der Leseart und -assoziation. Über Letztere kann das Publikum durch ihren plastischen Schreibstil selbst verfügen. Damit setzte sich Stein, nach ihrer Auffassung, über alle Grenzen und Konventionen der Sprache hinweg. Denn erstmals gab es zwischen Autor und Publikum keine Missverständnisse. Der Leser stellt sich die Rose so vor, wie er wollte, nicht so, wie er sollte. Und auch Gerhard Rühm, ein österreichischer Schriftsteller, Komponist und Künstler, praktiziert wild die experimentelle Poesie. Er visualisiert Worte in Fotomontagen, Lautgedichten und Sprechtexten – und erweitert dadurch deren Ausdrucksfläche. Demgegenüber stehen kurze, kompakte Schreibstile, für die Hemingway sicher Vorreiter war. Surreales liest man bei Murakami heraus, während Dostojewski sein Tagewerk mit psychoanalytischer Präzision bestritt. Doch so verschieden die Stile weltberühmter Schriftsteller auch sein mögen, eines ist ihnen gemeinsam: Sie alle haben sich ihren Stil, ihre individuelle Sprachsignatur erst erarbeitet. Stil ist kein Synonym für Talent, sondern entsteht erst nach Jahren des Studierens und Schreibens. Suchen Sie also nicht zwanghaft nach dem Unique Selling Point Ihrer Sprache. Vertrauen Sie darauf, dass er schon da ist. In diesem Kapitel werden wir Ihnen zeigen, mit welchen Tricks, Regeln und Übungen Sie ihn zum Vorschein bringen. 5.1 So finden Sie Ihren Stil. Wie in jedem Handwerk gilt es auch beim Schreiben, ein paar gängige Grundregeln zu beachten. Womöglich ist der Regelbegriff aber zu eng gewählt. Vielmehr sollen die folgenden Punkte der Orientierung dienen. Nicht jedes Regelsystem ist für jeden Schreibenden ident anzuwenden. Betrachten Sie die Regeln also nicht als Doktrin und lassen Sie sich nicht von ihnen einengen. Picken Sie sich die für Sie wertvollsten Tipps heraus und wenden Sie an, was Ihnen schlüssig erscheint. Regeln sind wichtig. Dichterische Freiheit ist alles
Bevor wir uns ins Feld der Rhetorik vorwagen, sei Ihnen noch Folgendes mit auf den Weg gegeben: Wer sich streng an dieses Regelsystem hält, wird beim Schreiben sicher nicht glücklich werden. Der eigene Stil ist letztlich auch Intuitionssache. Werkzeuge, wie sie hier aufgelistet sind, dienen maximal der Präzision und Perfektion von etwas, das bereits in Ihnen angelegt ist: Ihre Individualität. Greifen Sie also gerne auf diese Liste zurück, wann immer Sie einen Spickzettel brauchen. Einschränken soll Sie dieser Leitfaden aber nicht. Otto Schumann hat die Formel zum perfekten Stil in seinem Standardwerk folgendermaßen festgehalten: „Der echte, nicht gezüchtete Stil entwickelt sich durch unablässiges Umwandeln sorgfältig beobachteter Eindrücke, folgerichtigen Durchdenkens, inneren Nacherlebens und beherrschten Vorstellungsvermögens in einen Ausdruck, der dem Beobachteten, Durchdachten, Nacherlebten und Vorgestellten ansitzt wie die Haut dem Körper. Wenn dann nach Jahren strenger Arbeit ‚Ihr‘ Stil durch das vielfältig Geschaffene hindurchschimmert, es von innen zart erglühen lässt, umso besser.“ 5.2 Mit rhetorischen Mitteln den Stil verbessern. Rhetorik mag die Kunst des Sprechens sein, dennoch ist sie auch beim Schreiben unentbehrlich. Wer Stilfiguren verinnerlicht, verfeinert seine Sprache zudem im Alltagsgebrauch. Wenn Sie eloquent sprechen, schreiben Sie auch so. Insofern ist das Wissen um die wichtigsten Rhetorikinstrumente der Schlüssel zur Veredelung Ihres Sprach- und überdies Ihres Schreibstils. Grundlegende Techniken der Rhetorik begegnen uns regelmäßig in der Weltliteratur. Metaphern und Vergleiche sind Stilmittel, derer sich Schriftsteller aller Generationen bedient haben. Deren Stellenwert für einen einprägsamen Stil haben wir im vorangegangenen Kapitel veranschaulicht. Auch Allegorien sind ein wiederkehrendes Element im Werk populärer Autoren. Eine der bekanntesten Allegorien hat wohl Ernest Hemingway in seiner Novelle „Der alte Mann und das Meer“ verarbeitet. Und auch das Stilmittel der Personifikation findet sich in Romanen von der Vergangenheit bis zur Moderne wieder. Die Vermenschlichung von Tieren trägt sich sowohl in den Klassikern von Jack London sowie Anna Sewell als auch in Leonie Swanns Schafskrimi „Glennkill“ zu. Doch Rhetorik prägt nicht nur Genres, sondern auch kleinere Texteinheiten. Alliterationen zum Beispiel prägen die Satzgebilde des begnadeten österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig. Und kaum ein Oxymoron ist wohl so bekannt wie Jay Gatsbys berühmter Ausruf „Alter Knabe“ in Francis Scott Fitzgeralds kolossalem Klassiker „Der große Gatsby“ Rhetorische Stilmittel sind insbesondere auch für die Gestaltung von ausgereiften Dialogen ausschlaggebend. Tempo, Pausen und Betonungen, die Hebungen und Senkungen der Prosa entstehen erst durch die bewusste Platzierung von Anaphern, Epiphern und Co. Studieren und integrieren Sie die Stilkniffe der Rhetorik in Ihre Kommunikationsroutine und Sie werden die Kunst des Ausdrucks sowohl in Sprache als auch Schrift zu beherrschen lernen. Eine Übersicht der wichtigsten Stilmittel haben wir in dieser Grafik für Sie zusammengestellt. Tieferes Wissen finden Sie im Monumentalwerk „Lexikon der Sprachkunst. Die rhetorischen Stilformen. Mit über 1.000 Beispielen“ von J. Dominik Harjung. Quelle der Tabelle: rhetorische-mittel.net: „Wichtige Rhetorische Stilmittel“, unter: https://rhetorische-mittel.net/wp-content/uploads/wichtige-rhetorische-mittel-liste-www.rhetorische-mittel.net_.pdf (abgerufen am 23. 07. 2019)
Die Rhetorik ist übrigens auch Mechanik und Instrument des Marketings. Eine Auseinandersetzung mit deren Funktionsprinzipien macht daher auch für Ihren eigenen Markenauftritt Sinn. Dass die Beschäftigung mit Rhetorik den Sprach- und Schreibsinn schult, beweist auch die große Zahl an Schriftstellern, die vormals im Marketing aktiv waren. So perfektionierten zum Beispiel Thomas Glavinic oder Martin Suter ihre Fähigkeiten als Werbetexter, bevor sie den Weg zur Schriftstellerei fanden. Auch zur stetigen Stilverbesserung bietet sich die Rhetorik an. Übungen zur Stilsensibilisierung zeigen wir Ihnen im nächsten Kapitel. 5.3 Schreibwerkstatt: Fünf Tipps fürs Schreiben mit Stil. Wie Otto Schumann es schon vorwegnahm, ist Stil vor allem eine Frage der Bildung und Weiterbildung. Stil entsteht allmählich, er bildet sich heran. Wie bei den meisten unserer Persönlichkeitsmerkmale spielen bei der Stilentwicklung individuelle Erbanlagen, Entwicklung, Bildung, Beziehungen und Motivation eine entscheidende Rolle. Auf Papier artikuliert sich unser Stil als Abdruck unserer Persönlichkeit. Insofern ist Stil immer etwas Individuelles, das aber, wie andere Charaktereigenschaften auch, Zeit und Schicksal braucht, um sich zu destillieren. Dennoch ist die Stilfindung nicht der Willkür überlassen. Es gibt durchaus Techniken, die beim Feinjustieren helfen. Viele der Tipps stammen selbst von Autoren, die sich autodidaktisch aus Schreib- oder Stilmiseren manövrieren mussten. Die Ansätze sind allesamt praktikabel und zeigen schon nach ersten Nachahmungsversuchen Wirkung. Eines sei aber vorweggenommen: Stil ist zuallererst eine Sache des Ehrgeizes. Um einen feinen Stil zu entwickeln, müssen Sie den beständigen Willen zum Besserwerden aufbringen. Schreiben ist, wie jedes Handwerk, eine Kunst, die erst erlernt sein will. Schreiben Sie also, wann immer es geht. Nutzen Sie jede dieser Techniken mindestens mehrmals pro Monat, Woche, Tag. Ohne Training wird selbst das größte Talent verkannt in der Masse verschwinden. Arbeiten Sie also an sich. Nur so ist Ihnen der Erfolg sicher. 5.3.1 Produktives Lesen „(…) Schreiben ist eigentlich ein permanentes Lernen am Beispiel“, schreibt der deutsche Romancier Matthias Göritz in seinem Essay für das Buch „Erst lesen. Dann schreiben. 22 Autoren und ihre Lehrmeister.“ Die Herausgeber Kutzmutz und Porombka haben in ihrem Buch die Essenz zum perfektionierten Schreibstil brillant herausgearbeitet: Produktives Lesen. Wer Autor werden will, muss lesen. Ob Trivial- oder Weltliteratur ist im Wesentlichen nicht wichtig, denn auch von schlechten Büchern kann man viel lernen. Zwar empfehlen die 22 Schriftsteller in dem Sammelband so hochkarätige Lehrmeister wie Novalis, Nabokov oder Flaubert. Trotzdem können Sie auch zu leichterer Lektüre greifen, um Ihren Sprachsinn zu sensibilisieren. Wichtig ist, dass Sie regelmäßig zu Büchern greifen, um ein Gefühl für Sprachdiversität zu entwickeln. Liest man die ganze Bandbreite an klassischen sowie modernen Autoren, reichert man den eigenen Sprachstil automatisch mit den vielfältigsten Nuancen an. Autoren, die sich in ihrer Freizeit Flaubert, Freud, Dickens, Hemingway, Hesse, Stephen King oder Tolkien widmen, veredeln ihren Sprachschatz zu einem vollmundigen Bouquet. Doch nicht nur vom Stil, sondern auch von den Techniken lässt sich viel aus den Texten der Literaturikonen abstrahieren. Dickens wird zum Beispiel angeführt, wenn es um die Gestaltung von Schauplätzen geht. Kein anderer Autor soll das Geschehen so malerisch gezeichnet haben wie er. Bei Freud gehen Leser in die Lehre, wenn es um Psychoanalyse und Persönlichkeitskonfiguration geht. Um eine Figur zu schreiben, muss man sie verstehen. Das geht dem Wissenschafter Freud so leicht von der Hand wie dem für sein psychologisches Tiefenverständnis berühmten Dostojewski. Und auch wenn es um Modelle für Figuren, Perspektiven, Inszenierung, Zeitspektren oder Dialoge geht, können Sie sich an den Großmeistern orientieren. Versuchen Sie sich auch an Lyrik. Gedichte bilden das Gespür für Tempo, Pausen, Rhythmus und Metrum. Wichtig ist übrigens, dass Sie sowohl Prosa als auch Lyrik laut lesen. Dadurch vertiefen Sie sich auch auf akustischer Ebene in den Text und dessen Sentiment. Die sinnliche Erfahrung der Sprachmelodie schult Ihre Fähigkeiten in Satzbau und -stellung, lässt sie erahnen, was richtig klingt und was nicht, und schlägt sich über kurz oder lang auch in Ihrem eigenen Stil nieder. Um sich Zugang zu dem Genius der Literaten zu verschaffen, braucht es nicht zwingend ein Literaturstudium. Mitunter reicht schon ein gut bestückter Bücherschrank. „Wer liest, um zu schreiben, ist ein produktiver Leser. Er liebt die Lust des Lesens. Zugleich ist er hellwach, um zu sehen, was da eigentlich mit den Worten passiert. ‚Erst lesen, dann schreiben‘, heißt die Parole – schlicht und wegweisend.“ Übungsaufgaben
5.3.2 Übersetzungsarbeit. Auf der Suche nach seinem eigenen Stil experimentierte Haruki Murakami mit verschiedenen Sprachen. Es ist mehr einem Zufall geschuldet, dass der japanische Beststellerautor sein erstes Konzept vom Roman „Pinball 1973“ zuerst ins Englische und dann wieder zurückübersetzte. Der junge Murakami war mit der japanischen Erstfassung nicht so recht zufrieden und versuchte sich im Englischen. Erst die Übersetzung zurück ins Japanische schärfte Murakamis Stil und sein individuelles Sprachprofil wurde sichtbar. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass Murakami bis heute Bücher vom Japanischen ins Englische und umgekehrt übersetzt. Auch bedeutende Schriftsteller wie Stefan Zweig, Heinrich Böll oder Ingeborg Bachmann stellten ihre Sprachkunst in den Dienst der Übersetzung. Den Sinn der Übersetzungsarbeit definierte schon Stefan Zweig: „(…) dem Rate Dehmels, dem ich noch jetzt dafür dankbar bin, entsprechend, nützte ich meine Zeit, um aus fremden Sprachen zu übersetzen, was ich noch heute für die beste Möglichkeit für einen jungen Dichter halte, den Geist der eigenen Sprache tiefer und schöpferischer zu begreifen. Ich übertrug die Gedichte Baudelaires, einige von Verlaine, Keats, William Morris, ein kleines Drama von Charles van Lerberghe, einen Roman von Camille Lemonnier, ‚pour me faire la main‘. Gerade dadurch, daß [sic!] jede fremde Sprache in ihren persönlichen Wendungen zunächst Widerstände für die Nachdichtung schafft, fordert sie Kräfte des Ausdrucks heraus, die ungesucht sonst nicht zum Einsatz gelangen, und dieser Kampf, der fremden Sprache zäh das Eigenste abzuzwingen und der eigenen Sprache ebenso plastisch einzuzwingen, hat für mich immer eine besondere Art künstlerischer Lust bedeutet.“ Daraus destilliert sich auch schon die wesentliche, die erstrebenswerte Funktion des Übersetzens: Die Erweiterung und Vertiefung, die Durchdringung des eigenen Wortschatzes. Schriftsteller bewegen sich stets an den Grenzen der Sprache. Anders als Komponisten, die Gefühle intonieren können, vermögen sie nicht für jede Empfindung eine verbale Entsprechung zu finden. Die Tätigkeit des Übersetzens jedoch zwingt uns, außerhalb unserer Sprachkonditionierung zu denken. Wenn die eigene Sprache keine adäquate Vokabel zur Fremdsprache aufbietet, müssen wir selbst eine erfinden. Diese kognitive Entgrenzung ist es, die die Sprache von jeglichen Zwängen und Neurosen befreit. Darüber hinaus stattet die Übersetzungsarbeit den Schriftsteller mit zwei zusätzlichen für seine Karriere unabdingbaren Skills aus: Mit Geduld und Selbstdisziplin. Die asketische Arbeit der Translation setzt die Fähigkeit, Stunden nur mit seinem eigenen Geist und Wissen zuzubringen, voraus. Wer die Geduld aufbringt, ein Buch zu übersetzen, bringt auch leicht die Geduld auf, eines zu schreiben. Übungsaufgaben
5.3.3 Erfahrungsaustausch. Versuchen Sie sich als Lektor. Haben Sie Freunde, die regelmäßig Beiträge auf Blogs, Social-Media-Kanälen oder sogar als freie Journalisten in Zeitungen oder Zeitschriften veröffentlichen? Oder sucht der User eines Literaturforums noch nach einem Sparringpartner? Dann bieten Sie Ihre Dienste für Feedback- und Freigabeprozesse an. Ein Lektor korrigiert Inhalte nicht nur auf Rechtschreibung und Grammatik, sondern auch auf Ausdruck, Logik und Inhalt. Wenn Sie Texte von Bekannten lesen, eröffnen Sie einen Austauschprozess, von dem Sie beide profitieren können. Im Gegenzug können Sie auch um eine Bewertung Ihrer eigenen Textproben bitten. Im Zuge dessen gewöhnen Sie sich vielleicht auch schon an konstruktive Kritik. Stolz und Eitelkeit hemmen Sie in Ihrer Weiterentwicklung. Betrachten Sie daher jedes Feedback als Chance, besser zu werden. Ein Mehrwert von Feedbackgesprächen besteht auch im Spaßfaktor. Wenn Schreiben eine gemeinsame Leidenschaft ist, kann das Fachsimpeln über Worte, Ausdruck, Ideen, Titel, Metaphern oder Motiv auch Motivation sein. Lassen Sie sich von Meinungsverschiedenheiten inspirieren und erforschen Sie gegenseitig Ihren kreativen Horizont. Sowohl Ihr Stil als auch Ihre Kritikfähigkeit können davon nur profitieren. Die Lust an der Literatur lässt sich übrigens auch in einem Buchclub ausleben. Rezensionen und Textkritiken vertiefen das literarische Verständnis. Tun Sie es den weltberühmten Wiener Kaffeehausliteraten gleich, suchen Sie Gleichgesinnte und wachsen Sie am Geist Ihres Gegenübers. Das schafft nicht nur Stil, sondern zeugt auch davon. Übungsaufgaben
5.3.4 Praktizierter Stilbruch. Begehen Sie den bewussten Stilbruch. Brechen Sie mit allen Regeln, indem Sie Ihren inneren Zensor ausblenden. Es ist wichtig, dass Sie immer wieder freies Schreiben praktizieren. Wenn Sie zu sehr in Stilmittel, Technik und Regeln verharren, beginnen Sie sich zu beschränken und provozieren damit womöglich eine Schreibblockade. Bedienen Sie sich an der Quelle des Bewusstseinsstroms, aber auch der Techniken, die wir schon im Kapitel zur „Kreativität“ erläutert haben. Probieren Sie sich aus, variieren Sie im Stil und versuchen Sie sich auch einmal am Ungewöhnlichen. Das Schreiben ist ein experimentelles Feld, das Spaß machen soll. Stilperfektion oder nicht, Vergessen Sie nicht: Es gibt keinen richtigen oder falschen Stil. Es gibt nur Ihren Stil. Und wenn Sie ihn nicht schon haben, werden Sie ihn finden. 5.3.5 Lektorat. Wenn Sie ein Buch schreiben, ist es wichtig, dass Sie dem freien Fluss vertrauen. Fast alle Autoren raten davon ab, schon während des Schreibprozesses der Versuchung des Korrekturlesens zu erliegen. Das hemmt den Fortschritt enorm. Anstatt sich auf die Weiterentwicklung Ihres Romans zu konzentrieren, verstricken Sie sich in Stilfragen und -unsicherheiten. Objektivität ist im ersten Entwicklungsstadium eines Romans ausgeschlossen. Durch eine zu frühe, zu subjektive Bewertung des eigenen Schaffens setzen Sie sich permanent dem Risiko von Selbstzweifeln aus. Bringen Sie Ihr Werk konsequent zu Ende. Die Überarbeitung, der wir uns in Kapitel 10 widmen, ist mindestens so wichtig wie das Schreiben selbst. Der Stellenwert eines kompetenten Lektors kann in diesem Kontext nicht stark genug betont werden. Das Lektorat ist eine Aufgabe, die nur mit entsprechender Vorbildung bewältigt werden kann. Die Editierarbeit geht weit über eine reine Rechtschreib- und Grammatikprüfung hinaus. Geprüft wird ein Werk auch auf seine inhaltliche und stilistische Beschaffenheit. Die Überprüfung von Struktur, Logik und Figurenprofilen fällt ebenso in den Tätigkeitsbereich eines Lektors wie seine Bewertung des Vermarktungspotenzials bei der Zielgruppe. Für den Autor hat aber vor allem die Aufgabe der Autorenbetreuung Gewicht – denn speziell fürs Überarbeiten braucht es den unbefangenen, wenn auch befähigten Blick eines Dritten. Eine entsprechende Leistung bietet vor allem ein Verlagslektor, der in Publikums- und Dienstleistungsverlagen sein Wissen einbringt. Für den Erfolg oder Misserfolg eines Buchs ist die Qualität des Lektorats maßgeblich. Im Self-Publishing entfällt diese Leistung. Daher ist das Lektorat eine Komponente, die Sie bei der Verlagswahl auf jeden Fall berücksichtigen sollten. 5.4 Exkurs Nonfiction. Wenn Sie ein Sachbuch schreiben, gelten oben genannte Regeln ebenso. Verwechseln Sie einen Ratgeber nicht mit einer wissenschaftlichen Arbeit! Zwar ist der Nominalstil durchaus angebracht, wenn Sie komplexe Sachverhalte darstellen wollen: Durch zu viele Nebensätze und Verben wird die Essenz eines Satzes manchmal verschleiert. Dennoch können Sie auch in einem Sachbuch von Lautmalerei und kreativen Wortschöpfungen Gebrauch machen. Neologismen sind in einem Sachbuch sogar erwünscht. Bedenken Sie, dass andere Autoren in Zukunft auf Sie verweisen könnten. Wenn Sie einen neuen Begriff einführen und definieren, profitieren Sie womöglich noch lange Zeit nach dem Erscheinen Ihres Werks von Ihrer Originalität. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Begriff „psychedelisch“, der von keinem Geringeren als Aldous Huxley, dem Autor von „Schöne neue Welt“, erfunden wurde. Der britische Schriftsteller experimentierte in den Fünfzigern gemeinsam mit dem Psychiater Humphry Osmond mit der halluzinogenen Droge Meskalin. Seine Erfahrungen unter dem Einfluss der bewusstseinserweiternden Substanz beschrieb Huxley später in seinem Buch „The Doors of Perception“ mit dem damals noch neuen Wort „psychedelisch“. Heute zählt der Begriff praktisch zum allgemeinen Sprachschatz. Ein Sachbuch zu schreiben, bedeutet nicht, sich stilistisch zurückzuhalten – denken Sie nur an Philosophen wie Marx oder Nietzsche, deren Werke sich auch durch eine außergewöhnliche sprachliche Strahlkraft auszeichnen. Und Sigmund Freud wird bis heute als einer der begnadetsten Schriftsteller gehandelt. Versuchen Sie im Gegenteil Spannung zu erzeugen. Die große Kunst beim Sachbuchschreiben besteht darin, auch vermeintlich trockene Materie spannend aufzubereiten. Behelfen Sie sich in langen, sehr theoretischen Textpassagen immer wieder auch mit rhetorischen Stilmitteln. Gerade die Wirkung von Metaphern kann nicht überschätzt werden, wenn es darum geht, einen abstrakten Sachverhalt zu veranschaulichen. 5.4.1 Titel und Zwischentitel. Ein Sachbuchtitel muss so gewählt sein, dass er auf eine breite Masse ansprechend wirkt, den Inhalt aber nicht verwässert. Ein Beispiel für einen gelungenen Sachbuchtitel ist „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Eine philosophische Reise“ von Richard David Precht. Es ist sicherlich auch dem Titel des Buchs zu verdanken, dass dieses sich zum absoluten Bestseller etablierte – denn der Inhalt, ein philosophischer Streifzug durch die Zeit, ist an sich kein massentauglicher Kassenschlager. Richard David Precht hat mit seinem Titel aber nicht zu viel versprochen und den schwergeistigen Stoff der Philosophie in seinem Buch unterhaltsam und spannend aufbereitet. Damit ist schon ein Schlüsselmerkmal eines gelingenden Sachbuchtitels genannt: Der Hinweis auf den Inhalt. Selbst wenn Sie poetisch veranlagt sind, sollten Sie sich beim Sachbuchtitel mit Experimenten zurückhalten. Denn hier will der Leser sofort wissen, woran er ist und welchen konkreten Nutzen er aus dem Werk ziehen wird. Folgende Merkmale sollten Sie für die Wahl Ihres Sachbuchtitels berücksichtigen:
6. FIGUREN „Und die Weisheit im Leben besteht vielleicht in der Frage: Warum?“ Honoré de Balzac. 6.1 Figuren vs. Handlung. Romane lassen sich auf mannigfaltige Arten interpretieren. In der Literaturwissenschaft werden Differenzierungen auf allen Ebenen, von der Narratologie über die Intertextualität, Ästhetik und Rhetorik bis zur Methodik, vorgenommen. Die Methodik zieht vor allem Schriftsteller, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, in den Bann. Denn nicht nur die Romane, sondern auch die Methoden großer Schriftsteller ermöglichen konstantes Lernen am Modell. Viele Autoren studieren wie besessen die Aufzeichnungen von großen Köpfen, die in ihrem Nachlass aus Notizen, Skizzen, Niederschriften und Gedankenfragmenten womöglich die eine große Geheimformel für den Roman von Weltformat hinterlassen haben. Dabei zeichnet die erfolgreichsten Werke vor allem ein gemeinsames Charaktermerkmal aus: Die Tiefe ihrer Figuren. Ob Heathcliff, Anna Karenina, Madame Bovary, Gatsby oder Patrick Bateman – die Bilder unserer Lieblingsprotagonisten brennen sich mitunter schärfer ein als die Handlung, durch die sie sich bewegen. Zwar wird in der Methodik zwischen von der Handlung und zwischen von den Figuren getriebenen Romanen unterschieden. Eine strikte Trennung ist aber kaum möglich. Die Bewegung erzeugen tatsächlich erst die Figuren, die in ständiger Wechselwirkung mit der Handlung stehen. Denn was wäre eine Idee, ein origineller Einfall, ohne Figur, die sie emittieren kann? Insofern sollte Ihr erstes Interesse der Entwicklung Ihrer Figuren gelten. Erst die Motive, Konflikte, Erwartungen, Sehnsüchte, Tragödien, Träume, Erhebungen und Heldentaten eines Protagonisten bringen Ihren Plot zum Ziel. Ein Motiv ohne Träger, der es transportierten kann, verliert sich im Selbstzweck. Darüber hinaus muss die Möglichkeit zur Identifikation mit einer Romanfigur gegeben sein. Gewissermaßen suchen wir in Figuren immer auch uns selbst. Zwar entspringen sie der Freizügigkeit der Fiktion, doch ausgerechnet ihr Anteil an Wahrheit ist es, der uns fasziniert. Wahrscheinlich fallen Ihnen andere Figuren als die oben genannten ein, wenn Sie nach Beispielen für ikonische Romanprotagonisten suchen. Das liegt daran, dass Sie sich aufgrund Ihres individuellen Hintergrunds nur in ausgewählten Identitäten wiederfinden. Die Ausarbeitung einer nachvollziehbaren, authentischen Figur muss für Sie als Schriftsteller daher oberste Prämisse sein. Denn ohne Figurentiefe verläuft sich selbst die genialste Idee im Leeren. Dies brachte schon Schriftsteller und Schreiblehrer Lajos Egri in seinem Standardwerk „Literarisches Schreiben“ zum Ausdruck: „Eine Idee allein reicht nie für eine gute Story, eine starke Figur dagegen schon.“ Doch wie zeichnet man Figuren, die so durchdringend sind, dass wir sie auch lange Zeit nach dem Lesen eines Romans noch in uns wirken fühlen? 6.2 Wo Sie interessante Figuren finden. Zu Beginn begehen viele Schriftsteller den Fehler, Figuren ausschließlich nach ihrem eigenen Abbild zu erschaffen. Die Nachteile liegen auf der Hand: Erstens wird sich der literarische Stoff bald erschöpfen. Zweitens genügt das eigene Persönlichkeitsmodell vielleicht als Vorlage für einen Protagonisten. Für Gegen- und Nebenspieler sollte die Palette an Persönlichkeitsmerkmalen aber wesentlich breiter sein. Andernfalls riskieren Sie einen eintönigen Roman. Dabei ist es gerade die Vielschichtigkeit, die gute von schlechten Romanen unterscheidet. Außerdem sind es oft die Randfiguren, die Profile der Verstoßenen und Verwegenen, die beim Publikum auf Interesse stoßen. Denken Sie nur an Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis’ polarisierendem Roman „American Psycho“. Kaum ein Protagonist erzeugt so viel Ekel und Widerwillen in seinem Publikum wie der US-amerikanische Yuppie, der des Tages dem Konsum und des Nachts der Mordlust frönt. Trotzdem war der Roman ein weltweiter Erfolg. Später sollte der Beststeller sogar mit Christian Bale in der Hauptrolle verfilmt werden. 6.2.1 Recherche. Doch wo sind sie zu finden, die wirklich interessanten Figuren? Nach welchem Abbild schafft man die Genies, die komischen Käuze und Gesellschaftsabtrünnigen? Die Antwort liegt – wie immer in der Ideenfindung – in der Recherche. Dabei ist keinesfalls nur die Literaturrecherche gemeint. Zwar können Sie sich zum Zwecke der Inspiration der in Kapitel 4 beschriebenen Rechercheinstrumente bedienen, doch die aufmerksame Alltagsbeobachtung wird Sie zu ausgezeichneten Charakterportraits anregen. Dabei muss der schrullige alte Mann auf der Parkbank mindestens so wertvoll für Sie sein wie der mittellose Musiker, der sein Akkordeon jeden Morgen von 08:00 Uhr bis 10:00 Uhr ausschließlich in der Straßenbahn bespielt. Studieren Sie reale Menschen, Gesichter, Körper, Spleens, Macken und Verhaltensweisen und statten Sie Ihre Figuren damit aus. Vorsicht ist allerdings bei der Beobachtung persönlicher Bekanntschaften geboten. Das Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz schützt Freunde und Verwandte davor, dass diese sich als Abziehbild ihrer Selbst in Ihrem Roman wiederfinden. Natürlich wird sich nicht vermeiden lassen, dass Sie Ihre Fantasie mit den Personen aus Ihrem näheren Umfeld bespicken. Dennoch ist die Kopie nach dem menschlichen Original nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus moralischen Gründen unbedingt zu vermeiden. 6.2.2 Charaktermodelle. Schriftsteller verstehen sich aufs Überspitzen. Nachdem aber ein Abbild der Fantasie, und kein Abbild der Realität geschaffen werden soll, ist das durchaus auch zulässig. Im Gegensatz zum Journalismus, wo die Information im Vordergrund steht, liefert die Literatur – Nonfiction ausgenommen – vordergründig Unterhaltung und Zerstreuung und ist ein Fluchtventil. Aufbauend auf diesem Gedanken dürfen auch Ihre Figuren ruhig ein wenig überzeichnet sein. Das wird nicht nur Ihnen, sondern auch Ihrem Publikum die Einordnung Ihrer Protagonisten in ein bestimmtes Persönlichkeitsschema erleichtern. Dieser Schritt ist wichtig, damit das Publikum sowohl die Figur als auch das Thema bzw. Motiv eines Romans voll erfassen kann. Wenn Sie den von Ihnen geschaffenen Charakter mit zu vielen Identitäten, wie wir sie von unserem Alltag kennen, versehen, wirkt sein Profil verwässert. Während wir vor unseren Vorgesetzten vielleicht eine völlig andere Person verkörpern als vor unseren Freunden, Eltern oder Partnern, sollte die Charakterzeichnung Ihrer Figur grundlegend unflexibel sein. Das bedeutet nicht, dass die von Ihnen erfundene Person nicht zu Veränderungs- und Weiterentwicklungsprozessen fähig sein, sondern dass ihr Persönlichkeitsprofil durch sensible Beschreibung in verschiedenen Szenen und Situationen klar und unmissverständlich herausgearbeitet sein soll. Zu diesem Zweck können Sie sich populärer Charaktermodelle bedienen. Einige seien als Beispiel hier aufgeführt:
Die Modelle erscheinen Ihnen zu plump? Täuschen Sie sich nicht. Hinter den Beispielen verbirgt sich kein Klischee, sondern ein echter Kunstgriff. Charaktermodelle führen im Figurenentwurf nicht etwa zu Verrohung, sondern zu vielen Vorteilen. Ausgehend von dem Modell können Sie nämlich so viele verschiedene Facetten, Verhaltensweisen und -stränge ableiten, dass Sie Ihre Figur mit noch mehr Dichte und Dreidimensionalität versehen können. Nehmen wir an, Ihr Hauptprotagonist entspricht der klassischen Idee eines Rationalisten. Ausgehend von diesem Modell lässt sich auf zahlreiche kleinere Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften schließen. Die Definition Ihrer Figur als Rationalist wird Ihnen Antworten auf viele Fragen zur Gestaltung von Szenen, Dialogen und Dialoggruppen liefern, zum Beispiel:
Wenn Sie das Charaktermodell Ihrer Figur von vornherein festlegen, dann wird Ihren die Detailzeichnung nicht sonderlich schwerfallen. Darüber hinaus beantwortet der Prozess gleichzeitig auch die wichtigste Frage in der Figurenentwicklung: Die Frage nach dem Warum. Die Beantwortung dieser Frage soll und wird der Grundpfeiler Ihrer gesamten Geschichte sein. Sowohl Ursachen als auch Wirkung werden ausschließlich von dem Warum abgeleitet. Wenn Sie nicht wissen, wer Ihre Figur ist, fehlt Ihnen praktisch das Herz Ihres Romans: das Motiv. Die Figur, deren Motivation, Beweggründe und Bewegungen sind die Hauptschlagader Ihrer Handlung. Ohne die gründliche Ausarbeitung Ihrer Figuren gerät die Handlung ab einem bestimmten Punkt unvermeidlich ins Stocken. Ihre Leser riskieren Sie dadurch ebenso zu verlieren wie Ihren roten Faden. 6.2.3 Archetypen. „Irgendwann kommt jeder Autor mit dem Mythischen, Poetischen und Symbolischen in Berührung. Deswegen sollte er sich bewusst machen, dass bestimmte Themen in der Erzählkultur tief verwurzelt sind“, schreibt Roy Peter Clark in seinem Basiswerk „Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben“ Um Ihrem Publikum die Identifikation mit Ihrem Werk zu erleichtern, wenn nicht zu ermöglichen, sind Archetypen äußerst wertvoll. Archetypen, die ursprünglich vom Psychologen und Psychiater Carl Gustav Jung definiert wurden, sind wiederkehrende Motive der Menschheitsgeschichte. Verarbeitet zu Märchen, Mythen, Sagen ebenso wie Filmen und Romanen wiederholen sich diese Motive, die in der Regel sehr bildhaft abgebildet sind, von Homer bis heute immer wieder. Archetypen sind kurz umschrieben Urgeschichten, die in uns verankert und angelegt sind. Unbewusst erkennen wir sie wieder, identifizieren ihre Muster und interpretieren sie. Ihre Motive begegnen uns in Theaterstücken und Büchern ebenso wie in Gedichten, Filmen, Drehbüchern, Musikstücken und Opern oder auch in unseren Träumen. Spannend ist, dass Archetypen kulturübergreifend auftreten. Sie funktionieren unabhängig vom kulturellen Status und Hintergrund. Verständlicher wird das Prinzip, wenn man es veranschaulicht. Bestimmt kommen Ihnen die Beispiele bekannt vor. Folgende Archetypen hat Roy Peter Clark aus der Vielzahl ihrer Variationen herausgegriffen:
Kommen Ihnen diese Muster bekannt vor? Wo haben Sie Geschichten, die auf den oben genannten Archetypen beruhen, schon einmal gelesen, gesehen oder gehört? Bestimmt ist Ihnen jedes der Beispiele in der ein oder anderen Form schon einmal begegnet. Ob Liebesromane, Sagen, Fabeln oder Bibelverse – die dem Archetypus zugrunde liegenden Muster wurden in der Menschheitsgeschichte immer und immer wieder aufgerollt. Beispielhaft hat Joseph Campbell diese Bewusstseins- und Handlungsmuster in seinem Werk „Der Heros in tausend Gestalten“ vorgestellt. Der Literaturprofessor und Autor hat am berühmten Heldenepos der griechischen Mythologie veranschaulicht, auf welchen Schemata die Strukturen basieren. Doch warum sind die Archetypen für Ihre Figurenkreation wichtig? Weil Sie sie in Ihren Figuren anlegen können. Gehen wir zum Beispiel von dem „Hässlichen Entlein“ aus, das Clark als gängigen Archetypus angeführt hat. Wenn Sie eine Figur nach diesem Vorbild konzipieren, verschaffen Sie sich einen essenziellen Vorteil: Sie kreieren nicht nur eine Figur, sondern gleichzeitig auch eine Handlung. Der Konflikt ist dem Persönlichkeitsprofil Ihrer Figur schon innewohnend. Die Handlung ergibt sich schon aus den Fragestellungen, die Sie an Ihre Figur, das „Hässliche Entlein“, richten müssen:
An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, wie eng Figuren- und Handlungsentwurf miteinander verwoben sind. Bauen Sie Ihre Geschichte auf einem Archetypus auf, wird das auch bei Ihren Lesern auf Anklang stoßen, denn diese werden das Muster unbewusst erkennen und sowohl an der Figur als auch an der Handlung Gefallen finden. 6.3 Figurenentwicklung: In zehn Schritten zur Kunstfigur. Welche Vorarbeit und -gedanken zur Figurenrecherche geleistet werden müssen, wurde in den vorangegangen Kapiteln geschildert. Im nächsten Schritt können Sie Ihre Figur konkretisieren. Dazu haben wir ein Zehn-Schritte-System erarbeitet, das Ihnen helfen wird, mit Ihrer Figur Bekanntschaft zu machen. Vergessen Sie nicht: Erst wenn Sie Ihre Figur durch und durch kennen, können Sie sie auch Ihren Lesern begreiflich machen. Ein lückenloses Charakterprofil ist für ein gelungenes Buch unumgänglich
Während die Ebene des Körperlichen sowohl Aussehen als auch Gesundheitszustand erfasst, bearbeitet die soziale Ebene den soziokulturellen Status bzw. Hintergrund einer Person. Überlegen Sie sich genau, aus welchem Milieu Ihre Hauptfigur kommt. Aus diesem Gedanken lassen sich sehr viele Verhaltensweisen ableiten bzw. nicht ableiten. Die seelisch-geistige Komponente beschreibt das Charaktermodell, das Gemüt und Temperament. Folgen Sie konsequent der Logik aller drei Ebenen. Weichen wesentliche Merkmale wie Verhalten, Intellekt oder Artikulation auch nur von einer der drei Ebenen ab, wirkt Ihre Figur irrational
Zunächst mag die Checkliste noch komplex erscheinen. Wenn Sie jedoch entsprechend viel Zeit in die Vorarbeit zu Ihrem Werk investieren, werden Sie nachher umso schneller vorankommen. Sie werden intuitiv wissen, wie Ihre Figur denkt, fühlt, spricht und handelt, und die erfüllende Erfahrung des freien Schreibens erleben können. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit fürs Modellieren – Ihre Plastik wird dafür umso vollendeter sein. 6.3.1 Der Charakterbogen, Die Checkliste für Ihre Figur. Um in dieser Füllmenge an Informationen einen besseren Überblick zu bewahren, sollten Sie mit Spickzetteln arbeiten. Im Rollenspiel zum Beispiel arbeitet man mit sogenannten Charakterbögen. Hierin werden die elementaren Eigenschaften aller Haupt-, Gegen- und Nebenspieler festgehalten. Wichtig ist, dass Sie den Charakterbogen als Erinnerungsstütze und nicht als Einschränkung empfinden. Bei der Vielzahl an Protagonisten, die in einem Roman, Krimi oder Fantasyepos vorkommen, entfällt einem Autor schon einmal ein Detail. Autoren, die länger nicht an ihrem Werk gearbeitet haben, um die Arbeit dann umso ambitionierter wieder aufzunehmen, wissen um den Wert eines Charakterbogens. Wer sich nach einer Pause wieder an sein Werk setzt und sich verzweifelt fragt, ob der Nebenprotagonist nun nuss- oder schwarzbraunes Haar hatte, vermag seine Erinnerungslücken mit den Notizen aus dem Charakterbogen wieder zu schließen. Einen Charakterbogen, der sich an unserem Zehn-Schritte-System orientiert, haben wir als Vorlage für Sie zusammengestellt. Ausgerichtet am Credo der Dreidimensionalität, wird Ihnen der Charakterbogen dabei helfen, Ihre Protagonisten mit Vielschichtigkeit auszustatten. Wenn Sie dem QR-Code am Ende des Kapitels folgen, finden Sie außerdem einen druckfähigen Download des Charakterbogens. Charakterbogen für Protagonisten. I. KÖRPERLICHE EBENE. Allgemein. Name: Geschlecht: Alter: Spezifisch. Geburtstag: Gesundheit: Vitalität: Sprache: Stimme: Aussehen. Größe: Gewicht: Statur: Gesichtszüge: Haarfarbe: Frisur: Augenfarbe: Hautfarbe: Kleidungsstil: Attraktivität: Besondere Merkmale: Auftreten. z. B. Haltung, Ausstrahlung, Wirkung auf andere ect. II. SOZIALE EBENE. Personen. Eltern: Geschwister: Freunde: Verwandte: Partner: Ex-Partner: Kinder: Kollegen/Kommilitonen: Konkurrenten/Gegenspieler: Lehrer/Mentoren: Haustiere: Andere: Status. Gesellschaftsschicht: Bildungsstand: Beruf: Ausbildung: Akademische Titel: Expertenstatus: Einkommen: Orte. Wohnort: Wohnung: Alltagsschauplätze: Wohnorte der Vergangenheit: III. SEELISCH-GEISTIGE EBENE. Charakter. Charaktermodell: Temperament: Eigenschaften: Spleens: Interessen. Hobbies: Vorlieben: Abneigungen: Leidenschaften: Sexuelle Orientierung: Ziele & Motivation. z. B. Erfolg, Sicherheit, Anerkennung, Selbstverwirklichung, Liebe, Freundschaft, Familie, Integration etc. Konflikte. z. B. Konflikte auf Beziehungsebene, Konflikte auf Handlungsebene, Innere Konflikte ect. Entwicklung. z. B. Entwicklungsgeschichte, Kindheit, Jugend, Pubertät ect. CHARAKTERBOGEN ZUM DOWNLOAD. Den vollständigen Charakterbogen finden Sie zum Download und zum Ausdrucken, wenn Sie dem QR Code folgen, sowie unter folgendem Link: https://www.novumverlag.blog/downloads Kostenlose QR Code Scanner wie den QR Code Scanner (iOS) oder den QR Code Reader (Android) finden Sie auch in den Stores Ihres jeweiligen Smartphones. Auf manchen Smartphones ist ein QR Code Scanner außerdem schon ab Werk integriert
6.3.2 Praktische Schreibprogramme für Figurenskizzen und mehr. Wenn Sie sich an die oben genannten Regeln für Figurenentwürfe halten, dann werden Sie sich über kurz oder lang mit einer Menge Material konfrontiert sehen. Damit Sie Ihr Schreidomizil nicht mit einer Tapete aus Haftnotizen überziehen müssen, haben wir eine Liste aus fünf Programmen erstellt, die Ihnen beim Strukturieren helfen werden
Neben den fünf genannten gibt es natürlich unzählige weitere digitale Pendants zum klassischen Charakterbogen. Die hier berücksichtigten sind jedoch Standardprogramme, die auch unter erfahrenen Schriftstellern positive Kritik erfahren und sich insbesondere im deutschen Sprachraum bewährt haben. 6.4 Dialoge: Führen Sie gute Gespräche. 6.4.1 Funktionen von Dialogen. Die Persönlichkeit Ihrer Figuren artikuliert sich auch und vor allem in Dialogen. Charakterzüge lassen sich in Gesprächen viel lebendiger zum Ausdruck bringen als in Beschreibungen. So macht es einen merklichen Unterschied, ob Sie schreiben:
oder
Durch Dialoge entsteht Aktivität. Wie wir wissen, ist beim Schreiben Aktivität der Passivität immer vorzuziehen. Damit sind zwei wesentliche Funktionen von Dialogen schon genannt. Insgesamt fallen fünf Aspekte in den Aufgabenbereich von Dialogen:
Den Effekt, den Dialoge auf Textgattungen aller Art haben, werden Sie wahrscheinlich selbst schon erfahren haben. Sicher kennen Sie das Phänomen, das Dialoge beim Lesen manchmal bewirken. Sobald das Auge ein Anführungszeichen in Sichtweite weiß, bewegt es sich in beschleunigter Mechanik auf die entsprechende Textstelle zu. Als versierter Schriftsteller machen Sie sich diese Wirkung zunutze – und ziehen Ihren Leser in den Bann. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn es um die Anzahl von Dialogen geht. Gehen Sie trotz ihrer Wirkung maßvoll mit der Platzierung um. Wichtig ist, dass jeder Dialog zumindest eine der fünf genannten Grundfunktionen erfüllt. Andernfalls ist er trotz bester Ausführung nicht mehr als eine leere Sprechblase. Prinzipiell gilt Schumanns Merksatz: „Dem Gespräch in der Erzählung ist nämlich die wichtige Aufgabe zugewiesen, Satz um Satz dem Ganzen etwas Neues hinzuzufügen, das Geschehen voranzutreiben, Charaktere zu entwickeln, den Grundgedanken deutlicher werden zu lassen, sonst unverständliche Ereignisse zu erörtern, Kommendes vorzubereiten, eine erforderliche werdende Stimmung anzubahnen – kurz, es hat in jedem Augenblick eine ihm innewohnende, wenn auch nicht immer sogleich erkennbare Zielrichtung.“ 6.4.2 Mundart, Dialekt und Akzent. Unentschlossenheit kann entstehen, wenn es um das Thema Mundart und Akzent geht. Wie in allem ist auch hier das richtige Maß ausschlaggebend. Zwar erscheint es realistisch, jede Figur auf ihre Art sprechen zu lassen – auch im echten Leben sind Ausdruck und Aussprache individuell verschieden –, allerdings riskieren Sie durch Ihr Bemühen, sich so nah wie möglich an der Realität zu bewegen, nicht nur Stolperfallen im Lesefluss, sondern auch den Verlust Ihrer Leser. Vergessen Sie nicht, dass Sie immer noch ein Buch und kein Theaterstück schreiben. Darüber hinaus sollten Sie in der Entscheidung, ob Slang akzentuiert werden soll oder nicht, auch Weitblick walten lassen. Bei einer Lesung kann zu viel Variation in der Mundart schnell befremdlich wirken. Generell sollten Sie Slang eher als Stilmittel betrachten. Um einer Figur Wiedererkennungswert zu verleihen, ist der Dialekt eine findige Technik. Treffen Sie aber auch diese Entscheidung behutsam. Figuren, die mit starkem Akzent sprechen, erhalten mitunter den Status eines Sonderlings. Berücksichtigen Sie also auch das Persönlichkeitsprofil Ihrer Figur bei dieser Entscheidung. Befreit sind Sie im Schreiben von Dialogen allerdings von allen Regeln der Rechtschreibung und Grammatik. Hier können Sie zugunsten der Authentizität ruhig mit bekannten Regelsystemen brechen. 6.4.3 Satzzeichen, Schriftform und Stil. Vor allem beim ersten Roman ist man in der Gesetzmäßigkeit von Satzzeichen und Schriftform noch nicht bewandert. Daher haben wir die wichtigsten Regeln hier für Sie zusammengefasst:
6.5 Schreibwerkstatt: Figuren durch Übung Tiefe verleihen. Um die gewonnenen Erkenntnisse zu vertiefen, sollten Sie sich an folgenden Übungen versuchen
7. PLOTTEN. „Die Kunst, Pläne zu machen, besteht darin, den Schwierigkeiten ihrer Ausführung zuvorzukommen.“ Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues. 7.1 Anfang, Hauptteil, Schluss: Ein gutes Buch braucht Struktur. Wie Sie die Akteure Ihres Romans gestalten, haben wir im vorangestellten Kapitel geklärt. Wo und wann diese jedoch zum Einsatz kommen, ist noch offen. Grundsätzlich braucht jeder Roman einen Aufhänger. Der Begriff ist wörtlich zu verstehen, hängen doch Figuren, Schauplätze, Zeitstrahl und Szenen wie Himmelskörper eines Sonnensystems an einem Modell. Der Aufhänger Ihres Romans ist der Handlungsrahmen, in dem alle Kräfte wirken. Er ist Grundgerüst, Struktur und System, kurz gesagt der Plot. Der Plot spannt den roten Faden, um den sich alle Begebenheiten Ihres Romans schnüren werden. Wie eine Spindel spannt und entspannt er den Strang, an dem sich Handlung vollzieht. Aufgebaut wird Ihr Plot in der Regel auf der Kernaussage Ihres Romans. Wie im Kapitel über Ideenfindung beschrieben, kann auch ein einfaches Sprichwort die Basis für Ihre Botschaft bilden. Beispiel: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ Ausgehend von dieser Botschaft, auch Prämisse genannt, wird der Plot erstellt. Der Plot ist der Handlungsstrang, der einfach gehalten in einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss gegliedert werden kann. Jedes dieser Elemente kann seinerseits wieder in kleinere Einheiten, nämlich in Kapitel, Szenen, Überraschungen und Wendungen, zerlegt werden. Figuren, Schauplätze, Perspektive und Zeit bilden Untereinheiten der nächsten Stufe. In ihnen wiederum tragen sich Dialoge, Konflikte und Erkenntnisgewinn zu. Doch wie plant man einen Plot? Zunächst scheint der Begriff des Plots komplex zu sein. Tatsächlich aber schafft erst der Plot den Rahmen, der es Ihnen erlauben wird, Ihre Ideen zu strukturieren und pflegeleicht in Ihre Story einzubetten. Figuren, Kernthemen und Konflikte, die Ihnen zunächst noch abstrakt erscheinen, werden erst durch den Prozess des Plottens form- und fassbar. Nehmen wir zum Beispiel noch einmal die Kernbotschaft „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“. Um diesen Satz lässt sich ein komplexes Handlungskonstrukt bauen. Vielleicht haben Sie auch schon eine konkrete Figur im Kopf, die die Kernbotschaft verkörpert. Womöglich wollen Sie einen Roman über eine Frau schreiben, deren Entwicklungsgeschichte von wechselnden Vaterfiguren geprägt war. Obwohl sie sich in der Liebe nach Beständigkeit sehnt, kann sie sie aufgrund ihrer Bindungsangst doch nicht annehmen – und erlebt die Geschichte ihrer eigenen Mutter noch einmal. Die Idee steht. Im nächsten Schritt werden Sie die Figur mit einem Charakterbogen vertiefen. Gleichzeitig erarbeiten Sie auch die Profile von Neben- und Gegenspielern. Die Idee Ihres Werks hat sich vergegenständlicht. Doch was ist nun zu tun? Wie transportieren Sie Ihre Botschaft zu Ihrem Publikum? Wie und an welcher Stelle setzen Sie Ihre Protagonisten zueinander in Beziehung? Welche Pfade müssen Ihre Figuren einschlagen, um einen Veränderungsprozess einzuleiten? Und wie gelangen sie zum Ziel? An dieser Stelle setzt das Plotten an. Welche Techniken es braucht, um einen Handlungsstrang schlüssig zu planen, erfahren Sie in diesem Kapitel. 7.1.1 Ein guter Anfang. Kaum ein Buchabschnitt setzt einen Autor so unter Druck wie der Anfang. Originell, vollkommen und zumindest zitierwürdig soll er sein. Der hohe Selbstanspruch mündet nicht selten in eine Schreibblockade. Dabei haben Sie, sobald Sie mit der Technik des Plottens vertraut sind, zu jeder Zeit die Möglichkeit, Ihren Anfang zu überarbeiten. Viele Autoren schreiben den Anfang sogar erst am Schluss ihres Werks. Oftmals ist man erst am Ende einer Arbeit dazu fähig, deren Essenz in einem schwungvollen Satz zusammenzufassen. Die Länge des Anfangs ist nicht fest definiert, ein Einheitsmaß ist unter Schriftstellern umstritten. Grundsätzlich sollten Sie jedoch die Geduld Ihres Publikums nicht überdehnen. Wichtig ist, dass folgende Kernelemente in Ihrer Einleitung berücksichtigt sind:
Im Laufe der Literaturgeschichte wurden schon viele ihre Autoren überdauernde Anfänge geschrieben. Als eines der prominentesten Beispiele sei der erste Satz aus Leo Tolstois „Anna Karenina“ angeführt: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich.“ Vielleicht ist auch Ihnen dieser Satz schon einmal untergekommen. Doch was ist es, was den Leser nach solch einem Einstieg zum Weiterlesen lockt? Der Handlungshinweis. Ein guter Anfang enthält immer schon einen Hinweis auf das, was der Autor erzählen will. Dieser Hinweis erweckt im Leser die Lust, sich in das Thema zu vertiefen. Enttäuschen Sie ihn nicht! Generell gibt es drei Ansätze, um den Anfang eines Romans zu gestalten:
Nehmen Sie die Wirkung wahr, die sich beim Lesen jedes dieser Einstiege augenblicklich einstellt? Sie wollen weiterlesen. Genau das ist es, was einen gelungenen Anfang ausmacht. Holen Sie das Publikum in Ihre Handlung und lassen Sie es nicht mehr los. 7.1.2 Hauptteil und Höhepunkt. Der Anfang leitet, zumeist nach einer ersten Wendung, in den Hauptteil über. Der Hauptteil Ihres Romans verdichtet und vertieft die Handlung allmählich und wird durch den Einsatz von Spannung und Entspannung geprägt. Im Hauptteil beweist sich Ihr Gespür für Tempo, Geschwindigkeit und Pausen. Hier bestimmt der Rhythmus über Über- bzw. Unterforderung Ihrer Leser. Grob umsponnen umfasst der Hauptteil folgende Elemente:
In diesem fortgeschrittenen Stadium des Romans wird sich Ihre Fähigkeit zur Dramaturgie beweisen. Denn der gezielte Einsatz des Dehnens und Streckens hält Ihre Leser oder vergällt ihnen den Text. Achtsam ist zum Beispiel mit der Komposition von Geschwindigkeit und Pausen umzugehen. Zwar mag Ihre Fantasie vor Ideen überlaufen, doch wenn Sie Überraschung um Überraschung in Ihrem Plot einbauen, werden Sie Ihre Leser auch laut Schumann überfordern: „Wenn man den Leser ständig überrascht, also ununterbrochen phantastische Ereignisse aus dem Zylinder hervorzaubert, ist er anfangs zwar verblüfft, wird dann aber müde oder verärgert.“ Das Gleichgewicht zwischen Spannung und Entspannung müssen Sie selbst abwägen. Grundsätzlich laden Sie Ihr Buch aber auf folgenden Ebenen auf:
Um die Spannungsintensität weiter zu verstärken, können Sie zur Handlung eine Parallelhandlung aufbauen. Diese erlaubt es Ihnen, im Geleit der Gesamtspannung auch Unterspannung aufzubauen. Schumann bezeichnet diesen Effekt auch als Doppelspannung. Ein prominentes Beispiel für Doppelspannung ist der Fantasyepos „Das Lied von Eis und Feuer“, auf dem die TV-Serie „Game of Thrones“ basiert. Die Frage, wer in der fiktiven Welt von Westeros den Eisernen Thron und damit die sieben Königslande beherrschen wird, ist der die Gesamtspannung erzeugende Grundkonflikt. Durch den permanenten Perspektivenwechsel zwischen den Protagonisten entstehen aber zahlreiche Nebenkonflikte, die die von Schumann zitierte Unterspannung erzeugen. Dies und die Tatsache, dass „Das Lied von Eis und Feuer“ als Fortsetzungsroman geschrieben wurde, sind sicher Gründe dafür, warum der Fantasyroman die Leser seit mittlerweile zehn phänomenalen Bänden hält. Wo und an welcher Stelle Plot Points, also Wendungen, inszeniert und wie Ihr Gesamtwerk orchestriert werden sollte, werden wir aber im Kapitel über Plottechniken noch aufschlüsseln. 7.1.3 Das große Finale. In einem Interview verriet der Bestsellerautor John Irving, dass er kein Buch beginne, bevor er nicht den letzten Satz kenne. In seinem Roman „Letzte Nacht in Twisted River“ sind der letzte und der erste Satz sogar identisch. Der Kreis schließt sich – und lässt den Leser mit einem befriedigten Gefühl zurück. An Irvings Vorgehensweise zeigt sich der besondere Stellenwert, den das Ende in einem Buch einnimmt. Alle Protagonisten, Stränge und Begebnisse drängen permanent auf das Ende zu. Der Abschluss gibt Ihrer Handlung nicht nur die richtige Stoßrichtung, sondern verfolgt auch die wichtige Aufgabe, alle Spannungen und Unterspannungen aufzulösen. Konflikte werden entwirrt, Ergebnisse demonstriert und Lösungen vorgestellt. In welcher Weise der Autor den Roman ausleitet, bleibt ihm selbst überlassen. Die Interessen des Lesers sollten in seiner Entscheidung aber mitwirken. So trivial ein Happy End auch erscheinen mag, es lässt den Leser doch befriedigt zurück. Und diese Belohnung sollten Sie Ihrem Publikum, das Ihr Werk bis zu diesem Punkt gelesen hat, durchaus zugestehen. Sofern es Ihr Motiv erlaubt, können Sie sich und Ihren Protagonisten gerne einen runden, stimmigen Abschied gestatten. Das zeugt weder von Eindimensionalität noch mangelnder Originalität. Es spiegelt lediglich Ihr Bestreben, dem Bedürfnis Ihrer Leser nach Alltagsflucht gerecht zu werden, wider. Folgende Bauelemente sollte ein schlüssiges Ende aber auf jeden Fall enthalten:
Wenn Sie Ihre Handlung ausleiten wollen, stehen Ihnen dafür verschiedene Werkzeuge zur Verfügung. Fünf der gängigsten Techniken sind:
7.2 Plottechniken: Schreiben nach Plan. Zum Plotten, also zum Planen und Strukturieren Ihrer Kapitel, Schauplätze, Begebenheiten und Ereignisse, gibt es zahlreiche, bewährte Methoden. Im Folgenden stellen wir Ihnen drei Techniken vor, die es Ihnen erlauben werden, Ihren Roman wie ein Patchwork aufzulegen, zusammenzunähen und bei Bedarf auch wieder aufzutrennen. 7.2.1 Checkliste. Bevor Sie mit dem Plotten beginnen, sollten Sie noch einmal alle Fragen klären, die wir bisher aufgeworfen haben. Erst wenn Sie die Hinter- und Beweggründe Ihrer Geschichte verstehen, ist eine Vertiefung und Verdichtung der Handlung möglich
7.2.2 Fünf-Akt-Modell. Das Drei-Akt-Modell und dessen klassische Gliederung in Anfang, Hauptteil und Schluss haben Sie bereits kennengelernt. Wie Sie hier Höhepunkte, Wendungen und Ausblendungen anwenden, haben wir bereits geschildert. Die erweiterte, etwas spezifischere Form des Drei-Akt-Modells ist das sogenannte Fünf-Akt-Modell:
7.2.3 Sieben-Punkte-System. Neben der Fünf-Punkte-Struktur bietet sich die Ausarbeitung des Sieben-Punkte-Systems an, einer vergleichbar leichtgängigen Technik
Der Erfinder des Sieben-Punkte-Systems, der Science-Fiction-Autor Dan Wells, der auch den erfolgreichen Podcast „Writing Excuses“ (www.writingexcuses.com) betreibt, empfiehlt übrigens ebenfalls, das Sieben-Punkte-System von hinten aufzurollen. Noch bevor man sich dem Aufhänger widmet, sollte man sich dem Ende zuwenden. Erst wenn die Lösung feststeht, lässt sich auch die Gleichung davor aufstellen. 7.2.4 Schneeflocken-Methode. Die Schneeflocken-Methode, auch Snowflake Method genannt, ist ein weit verbreitetes Modell zum Plotten. Die Schneeflocken-Methode ist sehr vielschichtig und manchen Autoren zu strategisch für einen freien, kreativen Prozess. Versucht man sich aber erst einmal an der akribischen Vorarbeit, die vom amerikanischen Autor Randy Ingermanson entwickelt wurde, wird man schnell die Vorzüge dieser Art des Plottens zu erkennen lernen. Nachdem Ingermanson ein eigenes Buch zu seiner Methode geschrieben hat, „How to Write a Novel Using the Snowflake Method“, werden wir deren Grundstrukturen nur kurz umreißen. Zur Vertiefung empfiehlt sich aber auf jeden Fall ein Blick ins Buch
In all Ihren Bemühungen sollten Sie beim Plotten eines nie außer Acht lassen: Die kreative Freiheit. Auch wenn Sie noch so exakte Pläne erstellen, wird Ihre Fantasie Sie beim Schreiben immer mit neuen Einfällen begeistern. Lassen Sie das zu und scheuen Sie nicht davor zurück, Ihr Konzept gegebenenfalls an Ihre neuen Ideen anzupassen: Das Schreiben ist kein statischer Akt, es ist ein Prozess. Lassen Sie sich darauf ein und genießen Sie den Spaß an der Sache. 7.3 Exkurs Nonfiction. Die Gliederung eines Sachbuchs erinnert, zumindest strukturell, an die wissenschaftlicher Arbeiten. Zwar nehmen Sie auch hier eine Unterteilung in Anfang, Hauptteil und Schluss vor, jedoch sollten Sie zugunsten der Seriosität auf Dramaturgieelemente wie Plot Points oder Parallelhandlungen verzichten. Ein Sachbuch beschäftigt sich im Wesentlichen mit einer Kernfrage, mit einem Konflikt: Ihre Aufgabe ist es, diesen Konflikt nach dem These-Antithese-Synthese-Prinzip aufzuarbeiten. Anders als in einer Seminararbeit oder Dissertation ist aber auch und vor allem Ihr subjektiver Zugang gefragt. Ein absolutes Objektivitätsgebot wäre im Sachbuchgenre kontraproduktiv. Schließlich und endlich wollen Sie Ihre Leser zum Nach-, wenn nicht zum Umdenken anregen – das braucht den Mut zu polarisieren. Folgende Elemente sollte der Plot eines Sachbuchs enthalten:
Wenn Sie eine Biografie schreiben, können Sie sich übrigens an den Plottechniken für fiktionale Werke orientieren. Gute Biografien wirken wie echte, lebendige Lebensgeschichten und sind alles andere als eine chronologische Abfolge von Ereignissen. Ein Beispiel hierfür sind die Biografien von Stefan Zweig: Bücher wie „Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters“ oder „Magellan. Der Mann und seine Tat“ lesen sich bis zur letzten Seite wie die Romane eines poetischen Geistes. 7.4 Schreibwerkstatt: Falls Sie einen Plan brauchen
8. PERSPEKTIVE „Mit jedem Perspektivenwechsel geht die Chance einher, im Vertrauten Neues zu entdecken.“ Markus Mirwald. Die Wahl der richtigen Erzählperspektive sollte strategisch passieren. Die Erzählperspektive ist ein zuverlässiges Instrument, wenn es um den künstlichen Aufbau von Nähe und Distanz geht. Die Frage nach der richtigen Kameraeinstellung ist nicht nur eine Frage der Technik. Oftmals ist es auch eine Entscheidung, die auf stilistischen Überlegungen beruht. Ein allwissender Erzähler zum Beispiel kann mehr von seinem persönlichen Stil einbringen als etwa ein Ich-Erzähler. Der Ausdruck des Ich-Erzählers ist durch sein Naturell gefärbt: Je nachdem, welcher Vergangenheit, welchem Milieu, welchem Menschenschlag der Erzähler entspringt, sind auch seine Wahrnehmung und seine Fähigkeit sich auszudrücken geprägt. Während Sie als allwissender Erzähler vielleicht schreiben würden: „Auf den Wandportraits klebte Blut, was die um Freundlichkeit bemühten Gesichter der Portraitierten zu grotesken, grauenvollen Fratzen gefrieren ließ“, wird der abgebrühte Beamte, der seine Ermittlungen aus der Ich-Perspektive beschreibt, wohl eher auf folgende Beschreibung setzen: „Überall klebte Blut. Sogar auf den Wandportraits. Das Lächeln war den Portraitierten trotz der Sauerei nicht vergangen – mit dem feinen Unterschied, dass sie jetzt aus einer perversen Blutmaske lächelten.“ In die erste Version fließt der individuelle Ausdruck des Autors ein, während die zweite mit der Stimme des Hauptprotagonisten vertont wird. Für den abgehärteten Ermittler, der schon alles gesehen hat, ist der Anblick der oben beschriebenen Blutportraits wahrscheinlich kein grauenvoller. Vielmehr wird er, dessen Tagesgeschehen von Tatorten bestimmt wird, sich seinen Beobachtungen mit Nonchalance ergeben. Beziehen Sie diesen Aspekt unbedingt in die Wahl Ihrer Erzählperspektive mit ein. 8.1 Erzählperspektiven. 8.1.1 Klassische Erzählperspektiven. Generell werden folgende Perspektiven unterschieden:
8.1.2 Wechselnde Erzählperspektiven. Einige Autoren bauen auf ein Zusammenspiel von mehreren Erzählperspektiven, anstatt sich für eine zu entscheiden. Diese Vorgehensweise verlangt allerdings Können und sollte nicht gleich im ersten Buch zum Einsatz kommen. Mitunter kann es sonst passieren, dass die Geschichte nicht mehr stimmig wirkt, ohne dass Sie den konkreten Grund dafür ausmachen können. Für die Vertiefung Ihrer Kenntnisse können Sie aber auch folgende Beispiele studieren:
8.2 Distanz und Nähe. Distanz und Nähe werden nicht nur durch den inneren, sondern auch durch den äußeren Blickwinkel geschaffen. Als Erzähler betrachten Sie nicht nur die Begebenheiten zwischen Ihren Figuren, sondern auch die in ihrem Umfeld. Wenn Sie sich also für eine Erzählperspektive entschlossen haben, sollten Sie darauf achten, wie Sie Schauplätze und Szenen ins Auge fassen. Dem Leser gibt die Nähe zum Geschehen oft essenzielle Auskünfte, die seine Fantasie anregen oder nicht anregen. Ein Gespräch zum Beispiel können Sie mit der Beschreibung der Umgebungskulisse oder aber mit der des Gesprächspartners, seiner Hände, seiner Gestik, seiner Mimik erzählen. In welcher der beiden Formen ist der Leser wohl näher am Geschehen? Um ein Gespür für Nähe und Distanz zu entwickeln, sollten Sie Ihren Blick für die Filmwelt schärfen. Autor Roy Peter Clark unterscheidet fünf Kameraperspektiven, die Sie sich auch in der Welt der Literatur zunutze machen können:
Beim Schreiben eines Buchs sollten Sie auf alle Perspektiven zurückgreifen und die Wechsel zwischen ihnen wie eine Kamerafahrt inszenieren. Beschreiben Sie zuerst das Donnern und Grölen im Stadion, bevor sie auf die spezielle Rolle Ihres Protagonisten in diesem Gesamtgefüge eingehen. So erzeugen Sie nicht nur Stimmung, sondern auch ein interessantes Spiel aus Nähe und Distanz. 8.3 Schreibwerkstatt: Die richtige Perspektive finden
9. MOTIVATION „Ein Schriftsteller, der den perfekten Moment abwartet, wird sterben, ohne in seinem Leben auch nur ein einziges Wort zu Papier gebracht zu haben.“ Elwyn Brooks White. Sie wollen Schriftsteller werden und sind hoch motiviert. Woher wir das wissen? Wäre es anders, dann hätten Sie dieses Buch nie gelesen. Schon Ihre intensive Beschäftigung mit dem Thema „Schreiben“ beweist die Ausprägung Ihres inneren Antriebs. Sie haben dennoch das Gefühl, dass Ihnen die Motivation fehlt, oder Sie wissen nicht, wo oder wie Sie anfangen sollen? In diesem Fall können wir Sie beruhigen: Ihnen mangelt es sicher nicht an Motivation, sondern an Routine. Wer sich vornimmt, ein Buch zu schreiben, stellt sich einem umfangreichen, wenn nicht überdimensionalen Projekt. Oft ist es die schiere Größe, die einen zurückschrecken lässt. Dies beweist aber, dass es bloß die Vorstellung des Projekts und nicht das Projekt selbst ist, dass uns zum viel zitierten Prokrastinieren, zum Aufschieben, verleitet. Das Aufschieben äußert sich in den meisten Fällen in einfallsreichen Ausreden. Der Klassiker unter den Gründen, die für Nichthandeln angeführt werden, ist der Mangel an Zeit. Wenn aber die Zeit, die in Zeitverschwendung, zum Beispiel Social Media, Shopping oder Serienmarathons, investiert wird, vom Tageskontingent an Stunden, Minuten und Sekunden abgezogen wird, bleibt plötzlich doch ein Überschuss bestehen – ein Überschuss, der zum Schreiben genutzt werden kann. In John Streleckys Beststeller „Das Café am Rande der Welt“ – dem Standardwerk für Sinnsuchende – rechnet sich Hauptprotagonist John jene Zeit aus, die er in seinem Leben durchschnittlich mit der Durchsicht der Post zubringt. Dabei kommt er auf eine Zeit von 20 Minuten, die er an sechs Tagen pro Woche jeden Tag mit Sichten, Sortieren und Wegwerfen von Inhalten verbringt, die ihn ohnehin nicht interessieren. Hochgerechnet auf eine Lebenszeit von 75 Jahren, ausgehend vom Tag des Studienabschlusses mit 22 Jahren, kommt John in seiner Gleichung auf ein Ergebnis von einem Jahr – einem Lebensjahr, das er nur mit dem Sichten, Wegwerfen und Vergessen von Werbung vergeudet. Dieses Beispiel ist natürlich eine Übertreibung, dennoch veranschaulicht es sehr gut, dass wir selbst für die Einteilung unserer Zeit verantwortlich sind. Fehlende Zeit ist also keine Ausrede. Was Ihnen fehlt, ist eine Strategie. Selbst die größten Schriftsteller brauchten Routinen und Strategien, um ihr Pensum zu erfüllen. Ernest Hemingway zum Beispiel schrieb nur im Stehen, Haruki Murakami verordnet sich jeden Tag von 04:00 Uhr bis 10:00 Uhr morgens konsequente Schreibarbeit. Erst danach erlaubt sich der Beststellerautor Freizeit in Form von Schwimmen, Laufen oder Zeit mit Freunden und Familie. Damit Sie trotz Beruf und Freizeitstress Zeit zum Schreiben finden, können Sie sich an die folgenden Strategien halten. Eine Regel gilt aber für alle Anhaltspunkte: Gehen Sie nicht zu streng mit sich ins Gericht und gönnen Sie sich auch Pausen, wenn Sie einmal keine Motivation aufbringen können oder wollen. Wie sagte schon Stefan Zweig: „Auch die Pause gehört zur Musik.“ 9.1 Die Motivation anfachen. 9.1.1 Zehn Schreibroutinen für motivierte Stunden
9.1.2 Was tun bei Schreibblockaden? Eine Schreibblockade, auch Kreativitätsblockade genannt, liegt vor, wenn Sie sich nicht mehr in der Lage dazu sehen, an Ihrem Werk weiterzuarbeiten. Die Ursachen für eine Schreibblockade mögen vielfältig sein, doch weisen sie alle ein gemeinsames Merkmal auf: Sie existieren nur in Ihrem Kopf. In den meisten Fällen treten die Blockaden auf, wenn Angst oder Selbstzweifel zu groß werden. Stockt und streikt der Schreibprozess, ist der Druck zumeist untragbar. Als Antwort auf den Druckstau reagieren wir mit Ausweichmanövern und Vermeidungsverhalten. Wir suchen ein Ventil für den Druck und finden es in Ausflüchten und Alternativverhalten – plötzlich wird alles reizvoller als das Schreiben. Die größte Passion wird zum Feindbild. Eine Situation, von der auch die größten Schriftsteller, unter anderem Ernest Hemingway, Samuel Beckett, Fjodor Dostojewski, Franz Kafka und sogar der König des Outputs, Stephen King, schon betroffen waren. Doch überwunden haben sie sie alle. Denn eine Schreibblockade lässt sich mit den richtigen mentalen Mitteln in Selbsttherapie behandeln. Wenn Sie in der Tinte sitzen, versuchen Sie es mit folgenden Techniken:
9.2 Autoreninterview mit Boris Thomas. Stets getrieben von der Suche nach der Antwort auf die Frage, was die Menschen und die Welt im Innersten antreibt, interessierte sich Boris Thomas schon früh für asiatische Philosophie von Laotse bis zur Bhagawadgita. Selbst politische Denker der Anarchie wie Bakunin oder die spirituelle Literatur von Osho und anderen Zen-Meistern wurden ab frühester Jugend zu seinen stetigen Begleitern. Als Geschäftsleiter der Firma „Lattoflex“ konnte der gelernte Wirtschaftsingenieur dieses Wissen erfolgreich in das Familienunternehmen integrieren und die Marke somit zum führenden Unternehmen auf dem Segment des Bettenmarktes machen. Seine geballte Führungserfahrung konnte Thomas später mithilfe von lebhaften und praxisnahen Vorträgen direkt in den Kopf, vor allem aber in die Herzen seiner Zuhörer bringen. Mit seinem Buch „Fang nie an aufzuhören – das Mindset für Manager und Macher“ ist ihm ein Plädoyer für das Leben unserer Träume und den richtigen Umgang mit unserer Angst vor dem Scheitern gelungen. www.boristhomas.de „Krise ist auch nur ein Mensch“, lautet das Credo Ihres ersten Buchs „Fang nie an aufzuhören“. Wie ist diese Aussage zu verstehen? Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der wir zunehmend zu „Erfolgsjunkies“ werden. Wir versuchen alles, um krampfhaft die Niederlage, den Fehlschlag und die Krise aus unserem Leben zu eliminieren. Dabei übersehen wir, dass Krise ein extrem wichtiger Bestandteil unserer Entwicklung ist. Ohne Krise werden wir uns kaum aus unserer Komfortzone herausbewegen. Die Krise ist für mich ein wertvoller Bestandteil des Lebens. Wir können sie nicht verhindern, denn wir haben nicht alles unter Kontrolle. Und das ist für mich die wahre Bedeutung dieses Credos. Manche Krisen verursachen wir selbst: Schreibblockaden zum Beispiel. Sie entstehen und existieren nur in unserem Kopf. Wie können Sie sich dieses Phänomen erklären? Das Problem unseres Lebens ist nicht, dass wir Gedanken im Kopf haben – sondern dass wir diesen Gedanken bedingungslosen Glauben schenken. Ängste zum Beispiel sind immer und ohne Ausnahme nichts weiter als Illusionen und Annahmen über die Wirklichkeit. Ob diese Annahmen tatsächlich wahr werden, wissen wir nicht. Und je mehr wir unsere Gedanken verinnerlichen, desto stärker und „echter“ werden sie für uns. Bei einer Schreibblockade beispielsweise sitzen nach meiner Beobachtung sehr oft tiefe Ängste in uns. Und diese lassen sich zurückführen auf unsere Urangst: Wir werden nicht geliebt und wir sind nicht genug. Gerade beim Schreiben eines Buchs, wo ich ja ein Stück weit meine Seele offenlege, ist es leicht, in diese Angstfallen zu tappen. „Was werden die Menschen dazu sagen?“, „Ist das, was ich schreibe, überhaupt genug?“, „Werden Sie mich auslachen?“, „Niemand will mein Buch lesen!“ – All das führt in unserem Gehirn dazu, dass wir uns in unseren Ängsten verfangen, wie gelähmt sind und uns dadurch selbst blockieren. Krisenbewältigung ist Ihr starkes Kernthema. Ihr Ansatz, aus Hürden nicht nur lernen, sondern auch an ihnen wachsen zu können, macht Mut. Was kann man von einer Schreibblockade lernen? Mein Buch heißt ja: „Fang nie an aufzuhören.“ Und das Kernelement, welches wir aus einer Schreibblockade lernen können – und zwar jedes Mal neu – ist, dass der beste Weg, aus einer Krise zu kommen, immer der ist, auf keinen Fall stehenzubleiben. Wenn man mit Menschen spricht, die mal so etwas wie eine Schreibblockade hatten, so haben sie rückblickend immer gesagt, dass sie an irgendeinem Tag entschieden haben: „Jetzt schreibe ich einfach weiter!“ Man geht den nächsten Schritt. Und macht sich keinen Kopf über das, was noch kommen wird. Einfach einen Satz nach dem anderen schreiben. Und das gilt für alle Krisen in unserem Leben. Sobald wir stehenbleiben, verlängern wir die Qual. Es geht darum, immer weiterzugehen. Satz für Satz. Waren Sie selbst schon einmal von einer Schreibblockade betroffen? Zum Glück noch nicht zu direkt. Was ich jedoch kenne, ist das Zweifeln im Kopf, ob das, was ich hier schreibe, wirklich lesenswert ist, ob nicht andere Menschen mich auslachen werden, wenn ich es veröffentliche, und dass es mich dann manchmal davon abhält, einen Blogbeitrag zu veröffentlichen. Jedoch erinnere ich mich jedes Mal daran, dass dies lediglich meine eigenen Gedankenkonstrukte sind, und versuche mich auf den nächsten möglichen Schritt zu konzentrieren. Und das ist bei einem Blogartikel ganz simpel: Ich lade den Artikel hoch und stelle ihn online. Wie können Selbstzweifel im Schreibprozess überwunden werden? Diese Frage ist fast symptomatisch für den Kern einer jeden Krise. Ich habe darüber in meinem Buch in dem Kapitel „Vertrauen“ sehr ausführlich geschrieben. Jede Krise, eben auch eine Schreibblockade, nagt an unserem Selbstbewusstsein. Wir vertrauen uns nicht mehr selbst. Und für mich ist der sicherste Weg hinaus immer der, einen einzigen Schritt zu gehen. Auf keinen Fall in der Erstarrung festzuhalten. Sich immer wieder bewusst zu machen: Das sind nur Gedanken und nicht die Realität. Deshalb fasse ich das Ganze immer so zusammen: Angst ist eine Illusion über die Zukunft. Es ist nichts weiter als eine Illusion. Und bevor ich mir lange den Kopf darüber zerbreche, ist es am einfachsten, einen konkreten Schritt nach dem nächsten konkreten Schritt zu gehen. Und zwar unabhängig davon, wie klein dieser Schritt auch sein mag. Wie steht es um die Motivation? Kann die Krise auch Antrieb oder Ansporn sein? Ich glaube, das kommt ganz darauf an. Natürlich kann mich eine Krise motivieren. Dann sagt man sich: „Jetzt erst recht!“ Es kann jedoch auch das Gegenteil passieren – wie wir bereits oben zum Thema Schreibblockaden besprochen haben. Danach erstarrt man und fühlt sich ohnmächtig den Herausforderungen gegenüber, die man vor sich sieht. Unterm Strich ist aber jede durchgestandene Krise ein großer Schritt für neues Wachstum. Und es gibt einfach keine Krise, aus der wir nicht irgendetwas hätten lernen können. Der innere Kritiker hält uns gerne klein. Gibt es auch Situationen, in denen wir auf ihn hören sollten? Natürlich könnte man sagen, dass unsere Angst und unsere Selbstzweifel uns beschützen wollen. Ich glaube das jedoch nicht. Sich selbst klein zu machen und an sich selbst zu zweifeln hat noch nie etwas Großes hervorgebracht. Es bedeutet jedoch auch nicht, völlig naiv durch das Leben zu gehen. Also wenn ich beispielsweise mit einem Segelboot auf hohe See gehe, sind Schwimmwesten absolut Pflicht – auch wenn im Hafen jetzt noch die Sonne scheint. Aber dies ist etwas anderes, als auf die inneren Stimmen zu hören, die uns klein machen und uns einreden wollen, wir wären es nicht wert und würden auf keinen Fall geliebt, so wie wir sind. Dies führt nur zu Gefühlen von Schuld und Elend. In schwierigen Lebenssituationen ist oft auch die Wahrnehmung verzerrt. Woraus schöpfen wir Hoffnung, wenn wir in der Krise stecken? Ich glaube, hier liegt der Wert der Erfahrung im Leben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als 17-Jähriger einmal mit meinen täglichen Problemen zu meiner Großmutter kam und diese weise alte Frau lächelnd sagte: „Ach Junge, das wird schon wieder. Morgen ist ein neuer Tag. Irgendwie geht es immer weiter!“ Ich wollte das damals nicht hören. Inzwischen höre ich mich allerdings dieselben Sätze zu Menschen sagen. Und das liegt daran, dass ich inzwischen einfach selbst die Erfahrung machen durfte, dass es irgendwie immer weitergeht. Jede Krise, die wir durchlebt haben, gibt uns neue Kraft für die nächste. Es ist dann nicht mehr ganz so dramatisch und wir können uns daran erinnern, dass wir bereits eine ähnliche Situation meistern konnten. Welchen Rat können Sie als Potenzialentfalter Autoren und Neuautoren mit auf den Weg geben? Ich glaube, der wichtigste Tipp – gerade wenn es um das Schreiben von Büchern geht, allerdings auch um andere Formen der Kunst – ist für mich immer: Fang an und mach es einfach! Du willst ein Buch schreiben? Sehr gut, dann setz dich heute Abend direkt an deinen Laptop und fang an zu tippen. Außerdem sollte man sich ins Bewusstsein rufen: Es ist leichter, aus einem ersten Rohmanuskript ein wirkliches Juwel herauszuarbeiten, als auf einem leeren, weißen Papier einen perfekten Text zu schreiben. Wenn wir darauf warten, den perfekten Satz und die perfekte Einleitung zu schreiben, wird unser Buch nie fertig. Also: Hinsetzen, schreiben, schreiben, und noch mal schreiben. Und das, was man dort geschrieben hat, kann man gerne weiter korrigieren. Jedoch ist der wichtigste Schritt immer: Fang an! 9.3 Praxistipp von Boris Thomas. Wie Sie Schreibblockaden vorbeugen: Praxistipp von Bestsellerautor, Speaker, Coach und Krisenbändiger Boris Thomas
10. ÜBERARBEITEN „Große Werke vollbringt man nicht mit Kraft, sondern mit Ausdauer.“ Samuel Johnson. Wie gewissenhaft Sie geplant, wie genau Sie gearbeitet haben, erschließt sich im letzten Schritt der Buchentstehung: dem Überarbeiten. Unstimmigkeiten in Figuren, Persönlichkeitsstrukturen, Perspektiven, Handlungen, Szenen oder im Stil ergeben sich erst beim Gegenlesen des ersten Entwurfs. Wenn Sie nach dem Fahrplan aus diesem Buch gearbeitet haben, sind Sie sicher schnell vorangekommen. Denn wie wir im Kapitel über Motivation gelernt haben, beginnt die Feinarbeit am Werk erst am Ende. Sie haben Ihr Buch geplant, geschrieben und zu einem Schluss gebracht – jetzt beginnt die Perfektionsarbeit. Bevor Sie sich mit unserem System aber ans Überarbeiten des Buchs machen, jenen Schritt, der von vielen Schriftstellern als der entscheidende betrachtet wird, ist es wichtig, dass Sie Abstand von Ihrem Werk gewinnen. Legen Sie eine Schaffenspause ein, bevor Sie mit dem Redigieren beginnen. Wenn Sie Ihr Werk verbessern wollen, ist es wichtig, es mit dem ungetrübten Auge eines Erstlesers zu betrachten. Dazu braucht es Distanz. Planen Sie also zunächst eine Beziehungspause von mindestens vier bis sechs Wochen, bevor Sie sich Ihrem Werk wieder annähern. Auch bekannte Schriftsteller wie Stephen King oder Haruki Murakami setzen vorm Redigieren auf Rückzug. Schaffensphasen können anstrengend und auszehrend sein. Füllen Sie also Ihre Ressourcen wieder auf, bevor es an die, wie John Irving meint, eigentliche Arbeit geht. Nur wer sich zurückzieht, kann nachher wieder ambitioniert Anlauf nehmen. 10.1 Von innen nach außen. Das Überarbeiten folgt, wie auch das Plotten, einer formalen Logik. Während Sie sich zunächst dem inneren Kern Ihrer Geschichte zuwenden, geht es im nächsten Schritt darum, die äußere Schale aufzupolieren. Stellen Sie sich von Beginn an darauf ein, dass Sie Ihr Werk mehrere Male überarbeiten werden müssen. Das ist nicht etwa ein Zeichen von mangelnder Qualität, ganz im Gegenteil: Erst durchs Lektorieren wird das Manuskript zum Meisterwerk. Folgende Ebenen und Subebenen müssen beim Überarbeiten berücksichtigt werden:
Zwar werden Sie im ersten Schritt alle Ebenen autonom bewältigen. Für die Finalisierung Ihres Werks empfiehlt sich allerdings die Zusammenarbeit mit einem Lektor. Ein Lektor macht Sie nicht nur auf inhaltliche und strukturelle Schwächen aufmerksam, sondern kann aufgrund seiner Erfahrung auch konstruktive Lösungsvorschläge einbringen. Der diskursive Prozess mit einem Lektor ist einer der klaren Vorzüge eines (Dienstleistungs-)Verlags. Bei der Vielzahl an Büchern, die jedes Jahr erscheinen, ist die Toleranzschwelle des Publikums niedrig, wenn es um Mängel in Inhalt oder Sprache geht. Um die bestmögliche Version Ihres Buchs zu präsentieren, sollten Sie also in diesem letzten Bearbeitungsschritt auf Fachkompetenz vertrauen und auch andere Perspektiven zulassen. 10.1.1 Inhaltliche Überarbeitung. Bevor Sie sich, nachdem Sie den nötigen Abstand gewonnen haben, an die inhaltliche Feinpolitur Ihres Buchs machen, sollten Sie sich entsprechend vorbereiten. Drucken Sie zunächst Ihre vollständige Arbeit aus. Es kann schnell ermüdend werden, ein ganzes Buch am Bildschirm zu lesen. Parallel zum Ausdruck lassen Sie aber Ihr Schreibprogramm geöffnet. Die Suche vereinzelter Textstellen erweist sich mit den entsprechenden Funktionen von Schreibsoftwares als wesentlich unkomplizierter. Je nach Präferenz können Sie auch das gesamte Lektorat am Laptop vornehmen. Vereinzelte Schreibprogramme, zum Beispiel Papyrus, bieten sogar spezielle Funktionen wie Stil- oder Lesbarkeitsanalysen an. Nutzen Sie alle Funktionen, die die Digitalisierung bietet. Auch künstliche Intelligenz kann ein wertvoller Sparringpartner fürs Überarbeiten sein. Legen Sie sich anschließend Schreibutensilien, Textmarker und Post-its in verschiedenen Farben zurecht. Das ist nötig, um jeder einzelnen Textebene eine eigene Farbkategorie zuweisen zu können. Wenn Sie zum Überarbeiten Ihrer Figuren den Grünstift ansetzen, so setzen Sie bei den Dialogen eben auf Gelb. So können Sie Ihre Gedanken sortieren und zu jedem Zeitpunkt zu unstimmigen Stellen zurückkehren. Manchmal schlägt beim Gegenlesen die Stimme der Intuition aus, ohne dass man die verursachende Fehlerquelle konkret benennen oder erkennen könnte. In so einem Fall markieren Sie die Stelle in der entsprechenden Farbkategorie und kehren später dorthin zurück, um nach einer Lösung zu suchen. Auch Sylvia Englert empfiehlt in ihrem Buch „So lektorieren Sie Ihre Texte. Verbessern durch Überarbeiten“ eine breite Farbpalette fürs Markieren und Kommentieren. Rot ausgenommen – der Rotstift weckt angeblich negative Assoziationen aus der Schulzeit. Wichtig ist aber, dass Sie das Überarbeiten als positiven Prozess wahrnehmen. Das Nachjustieren am Text ist eine Chance, keine Bürde. Versorgen Sie sich also mit dem gesamten Farbspektrum an Stiften, das Sie aufbieten können, und machen Sie sich mit Neugier an die Arbeit
Beim Perfektionieren Ihrer Figuren üben Sie sich in verschiedenen Disziplinen: Sie sind Verhaltensforscher, Psychologe und Plastischer Chirurg. Ob ein Eingreifen notwendig wird oder nicht, ergibt sich aus dem Abgleich von Protagonisten und Charakterbogen. Zunächst überprüfen Sie, ob alle Figuren die Stilvorgaben erfüllen, die wir im Kapitel über die Entwicklung authentischer Figuren angeführt haben:
Wenn Sie lichte Stellen entdecken, so ergänzen Sie einfach weitere Szenen. Verdichten Sie, wo es noch an Tiefe fehlt, und kürzen Sie Wiederholungen und Unwesentliches – selbst wenn es schwerfällt. Eine Szene reicht, um das Faible Ihrer Figur für Kühlschrankmagneten zu veranschaulichen. Streichen Sie die restlichen drei
Erinnern Sie sich noch an die Faustregeln aus Kapitel 6.4.1? Dialoge müssen Sie grundsätzlich kürzen, wenn keine der folgenden Funktionen erfüllt ist:
Ein Dialog zum reinen Selbstzweck wird den Leser langweilen. Gleichzeitig sollten Sie langatmige, zähe Textabschnitte auch auf ihre Dialogdichte hin überprüfen. Der Text gewinnt an Bewegung und Lebendigkeit, wenn Sie Beschreibungen durch Dialoge ersetzen. Auch die Länge von Dialogen und Monologen sollte mit Bedacht gewählt sein. Nicht jeder Ihrer Leser hört ihre Figuren so gerne reden wie Sie. Einsilbige Dialoge sind – wie im echten Leben – schlichtweg langweilig. Verwerfen Sie alle Gespräche, die Ihre Handlung nicht weiterbringen. Ihre Leser werden es Ihnen danken, indem sie weiterlesen
Hält Ihr Plot einer Prüfung stand? Am Anfang Ihres Werks hatten Sie eine konkrete Fragestellung, ein Leitthema, im Kopf. Das Grundmotiv ist der Sinnstifter eines literarischen Werks, von ihm lassen sich alle Handlungsstränge ableiten. Um zu überprüfen, ob Ihre Idee noch mit dem Ergebnis übereinstimmt, versuchen Sie, Ihre Erstfassung in einem Satz zusammenzufassen. Passt Sie noch mit dem Resultat zusammen? Haben Sie Ihr Thema stark genug schraffiert? Um sicherzustellen, dass Ihre Botschaft plastisch genug ist, sollten Sie auch Ihre Testleser in diese Prozessebene miteinbeziehen. Stellen Sie die direkte Frage: „Worum geht es in dem Buch?“ Aus der Antwort werden Sie schnell herauslesen können, ob noch ein Nachschärfen nötig ist oder nicht. Sofern der Transport Ihres Themas sichergestellt ist, sollten Sie sich der Dramaturgie Ihres Werks zuwenden. Wie Sie wissen, erfüllt jede Texteinheit – Anfang, Hauptteil, Schluss – elementare Aufgaben. Ob die Umsetzung gelungen ist, erschließt sich nur aus dem Abgleich mit Ihren ursprünglichen Plänen. Anfang. Fassen Sie Ihren Anfang noch einmal genau ins Auge: Gefällt er Ihnen nach wie vor? Jetzt, wo Sie den Schluss geschrieben haben, fällt es Ihnen vielleicht leichter, einen Anfang zu verfassen, der schon einen ersten Hinweis auf den Inhalt enthält. Folgende Schlüsselfragen sollten Sie sich außerdem stellen:
Hauptteil. Zum Überarbeiten des Hauptteils sollten Sie auch die Meinung eines Außenstehenden, im Idealfall eines Verlagslektors, einholen. Ob Ihr Roman Spannung erzeugt oder nicht, können Sie womöglich nicht objektiv beurteilen. Wenn Sie sich aber an ein Plotmodell wie das Fünf-Akt-Modell oder das Sieben-Punkte-System gehalten haben, sollte ein vielschichtiges Werk mit Suchtpotenzial entstanden sein. Der Textaufbau muss durchwegs Spannung und Sinn erzeugen. Hinterfragen Sie den Hauptteil auf folgenden Ebenen:
Schluss. Der Schluss findet eine Lösung für den Konflikt. Diese Regel muss, auch bei einem offenen Ende, immer berücksichtigt werden. Erst dann widmen Sie sich den weiteren Voraussetzungen für ein gelungenes Ende:
„Es ist eine Höllenarbeit, nachträglich im ganzen Manuskript die Perspektive zu ändern“, warnt Sylvia Englert in ihrem Buch „So lektorieren Sie Ihre Texte. Verbessern durch Überarbeiten“. Wie wichtig die Wahl der richtigen Perspektive ist, zeigt sich an diesem Zitat. Wenn am Ende eines Buchs das Gefühl entsteht, dass der Charakter der Hauptfigur nicht deutlich genug zur Geltung kommt, dann ist wahrscheinlich die falsche Perspektive die Ursache. Ein Wechsel von der dritten auf die erste Person ist mit einem enormen Arbeitsaufwand verbunden, kann Ihrem Buch aber die notwendige Tiefe verleihen. Es wäre schade, wenn ein Meisterwerk allein an der Wahl der Perspektive scheitert. Vielleicht ist Ihr Buch aber zu einseitig, weil es keinen anderen Blickwinkel als den des Hauptprotagonisten zulässt. In diesem Fall können Sie sich mit der Multiperspektive behelfen: Fügen Sie nachträglich noch ein Kapitel aus dem Blickwinkel eines zweiten Protagonisten ein. Das schafft Verständnis für Figuren, die undurchsichtig erscheinen und dadurch vielleicht missverstanden werden
Der letzte Feinschliff erfolgt an Stil und Sprache. Restaurieren Sie Ihren Text mit den Werkzeugen, die wir Ihnen in Kapitel 5 vorgestellt haben. Markieren Sie alle Stellen, die Ihnen missfallen – auch wenn Sie noch nicht sagen können, warum. Im nächsten Schritt feilen Sie an den Sätzen und Wörtern, die Ihnen noch zu schroff erscheinen. Diese Instrumente stehen Ihnen für Ihre letzte Perfektionsübung zur Verfügung:
Auch alle Wiederholungen oder Füllwörter sollten Sie rigoros streichen. Löschen Sie konsequent, was nicht gebraucht wird. Dadurch wird Ihr Text greif- und fühlbarer für Ihr Publikum. 10.1.2 Formale Überarbeitung. Nach dem ersten Durchlauf liegt Ihnen ein Werk mit authentischen, echten Figuren vor, mit denen Ihre Leser sich identifizieren können. Ihre Handlung ist an einem straff gespannten roten Faden aufgezogen. Mängel in Ausdruck und Stil wurden behoben, und Textstellen, die ihnen besonders wichtig sind, betont. Nun bringen Sie Ihr Buch noch in Form und gestalten auch seine äußere Ästhetik. Folgende Überarbeitungsebenen bieten sich an:
10.1.3 Normseite und Exposé. Die sogenannte Normseite beschreibt die Formvorschriften für ein Manuskript, das einem (Dienstleistungs-)Verlag oder, im Falle von Self-Publishing, einem freiberuflichen Lektor vorgelegt wird. Lektoren und Korrektoren, die Autoren ihre Serviceleistungen anbieten, kalkulieren ihre Preise zumeist auf Basis der sogenannten Normseite. Und auch Verlagslektoren schätzen Genauigkeit beim Formatieren. Und so sorgen Sie für die optimale Lesbarkeit Ihres Werks:
Wenn Sie noch auf der Suche nach einem Verlag sind, so verfassen Sie auch ein Exposé im Umfang von maximal drei Seiten. Autoren, die sich beim Plotten an der Schneeflocken-Methode orientiert haben, werden sogar schon über ein wesentlich umfangreicheres Exposé verfügen. Sylvia Englert empfiehlt aber eine kompakte Dimension von drei Seiten, die sich aufs Wesentliche konzentriert und den Lektor mit ihrer Dichte nicht gleich erschlägt. 10.2 Exkurs Nonfiction. Bei der Überarbeitung eines Sachbuchs müssen Sie zusätzliche Fragestellungen berücksichtigen, die den Erfolg Ihres Buchs wesentlich mitbestimmen können. 10.2.1 Inhaltliche Ebene. Für die Überprüfung Ihrer inhaltlichen Zielvorgaben sollten Sie Ihr Werk noch einmal überblicksartig betrachten:
10.2.2 Formale Ebene. Orthographie, Grammatik, Satzbau und -stellung sind selbstverständlich auch im Sachbuch gründlich zu überarbeiten. Daneben gibt es aber auch Bereiche, die rechtliche Sphären berühren und daher besonders genau überprüft werden sollten:
11. Vermarktung „Viele kleine Dinge wurden durch die richtige Art von Werbung groß gemacht.“ Mark Twain. Wenn Sie mit Ihrem Buch nennenswerte Verkaufszahlen anstreben, werden Sie am Thema Vermarktung nicht vorbeikommen. Vor allem, wenn Sie keinen (Dienstleistungs-)Verlag haben, der Ihre Marketingaktivitäten unterstützt, sind profunde Kenntnisse im On- und Offlinemarketing entscheidend. Das Schlüsselwort des modernen Marketings ist Sichtbarkeit. Ob im Ranking von Google, Amazon, Printmedien oder Buchhändlern – ohne Vermarktungsgeschick bleiben Sie unsichtbar. Fast jeder Markt ist mittlerweile gesättigt, daher müssen Sie auch am Buchmarkt um Aufmerksamkeit ringen. Glücklicherweise hat die Digitalisierung aber nicht nur eine Sintflut an Informationen, sondern auch an Möglichkeiten mit sich gebracht. Mit einem strategischen Mix aus Off- und Online-Marketing können Sie das Publikum von Ihrem Buch überzeugen. In diesem Rahmen sei erwähnt, dass jedes Marketingfeld ein weites ist. Fast jeder Zweig, vom Werbeinserat in der Tageszeitung bis zur optimierten Anzeige auf Google, ist eine eigene Disziplin. Über Maßnahmen der klassischen PR wurden ebenso zahlreiche Abhandlungen und Ratgeber geschrieben wie über Social-Media-Campaigning. Für effektives Marketing empfiehlt sich daher auf jeden Fall eine Vertiefung in die Pflichtlektüre. Ob ein Buch ein Beststeller wird, darüber entscheiden aber nicht nur Talent, Innovation, Originalität und Marketing, sondern sicher auch Kräfte, die sich unserem Wirken entziehen. Manchmal beschließt auch der Zeitgeist, der schlichte Zufall, ob ein Buch von der ganzen Welt oder nur von einer ihrer Teilmengen gelesen wird. Beschäftigen Sie sich vorm Schreiben also auch mit Trendforschung: Welche Themen beschäftigen die Menschen? Welche Probleme herrschen akut? Gibt es Gesellschaftsphänomene, die sich zu einem Buch verarbeiten ließen? Wenn Sie nicht nur Schriftsteller aus Berufung, sondern auch von Beruf sind, sind das die relevanten Fragen, die Sie sich stellen müssen. Wenn Ihr Werk Potenzial bietet, von vielen Menschen gelesen zu werden, sollten Sie – Verlag oder nicht – die Vermarktungsaktivitäten auf jeden Fall auch in eigener Initiative unterstützen. Ein wirksames Vermarktungspaket enthält aber zumindest die folgenden zehn Bausteine: 11.1.1 Die wichtigsten Kommunikationskanäle: Zehn Bausteine für effektives Marketing
12. WERLAGSWAHL „Unsere Hauptaufgabe ist nicht zu sehen, was unscharf in der Ferne liegt, sondern zu tun, was unmittelbar vor uns liegt.“ Thomas Carlyle. Es ist vollbracht. Ihr Werk ist vollendet und Sie wollen es der Öffentlichkeit präsentieren. Sie haben viel Zeit, Geist und Kreativität in Ihre Arbeit investiert. Nun braucht es noch einen Verlag, der diese Leistung auch anerkennt. An diesem Punkt wollen wir eines vorwegnehmen: Bleiben Sie dran. Auch wenn viele Autorenwebsites und -ratgeber pessimistische Szenarien zeichnen, ist die Chance auf einen Verlagsvertrag nicht unrealistisch. Wichtig ist, dass Sie den für sich richtigen Verlag wählen und die Eigeninteressen beider Parteien aufeinander abgestimmt sind. Wenn Manuskripte abgelehnt werden, ist das keinesfalls allein auf mangelnde Qualität zurückzuführen. Oftmals scheitert es auch am Genre oder an der Zielgruppe des Buchs, die nicht zu dem verlegerischen Portfolio passt. Bevor Sie Ihr Manuskript also einem Verlag zukommen lassen, informieren Sie sich genau über dessen Philosophie, Programm und Zielsetzung. Lektoren sind viel beschäftigte Menschen, die sich Tag für Tag einer außerordentlich verantwortungsvollen Aufgabe annehmen. Nehmen Sie Rücksicht auf deren beengtes Zeitkontingent und schicken Sie nur dann Ihr Manuskript, wenn Sie von dessen Mehrwert für den Verlag überzeugt sind. Welche Bücher ein Verlag in sein Programm mit aufnimmt, erschließt sich aus dem Onlineauftritt der großen und kleineren Verlagshäuser. Studieren Sie deren Bücher, Autoren, Stil und Unique Selling Points im Detail, bevor Sie Ihr Manuskript einsenden. Das zeugt nicht nur von Professionalität, sondern wird Sie auch vor Enttäuschungen bewahren, die ohnehin absehbar waren. Nicht jeder Verlag verlegt Fantasybücher. Auch wird es wenig Sinn machen, ein Sachbuch über Kräuterkunde an ein Verlagshaus zu schicken, das sich auf Krimis spezialisiert hat. Und auch die Formvorschriften wollen beachtet sein, wenn Sie eine Textprobe weiterleiten. Wird um ein Exposé im Umfang von maximal drei Seiten gebeten, dann verspielen Sie mit einem dreißigseitigen Exzerpt sinnlos Ihre Chancen. Berücksichtigen Sie aber auch Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Individualität ist sicher ein Kriterium, das für die Verlagswahl entscheidend ist. Viele Verlage, vor allem größere Verlagshäuser, haben klare Vorstellungen, was Sprachstil, Grafikdesign, Covergestaltung, Vermarktungsideen und Vertrieb betrifft. Wenn Sie also eine klare Vorstellung davon haben, wie Ihr Cover oder Layout aussehen soll, sind Sie mit einem kleineren Verlag oder Dienstleistungsverlag sicher besser beraten als mit einem kommerziellen Riesen. Uneingeschränkte Selbstverwirklichung bietet sicher auch der Weg des Self-Publishings. Gleichzeitig wird es ohne Verlag im Hintergrund aber schwierig werden, Ihr Buch in den Buchhandel zu bringen. Vielleicht verfolgen Sie aber keine ökonomischen Ziele mit Ihrem Buch. Wenn es nur darum geht, sich einen Traum zu erfüllen oder mit einer Veröffentlichung Ihren Expertenstatus zu erhöhen, ist es nicht notwendig, den größtmöglichen Verlag für sich zu gewinnen. In diesem Fall kann auch ein Dienstleistungsverlag eine komfortable Alternative sein. Bevor Sie die Verlagsinteressen mit Ihren eigenen abgleichen, sollten Sie sich folgende Fragen stellen:
Im nächsten Schritt gleichen Sie die Antworten aus dem Fragenkatalog mit den individuellen Vor- und Nachteilen der verschiedenen Verlagsarten ab: BUCHVERLAG (VERLAGSGRUPPE) Der Publikumsverlag ist ein Buchverlag, der je nach Verlagsausrichtung das gesamte Literaturgenre abbildet und verlegt und das unternehmerische Risiko alleinig trägt. Vorteile:
Nachteile:
BUCHVERLAG (KLEINVERLAG) Kleinverlage, auch Independent-Verlage genannt, agieren unabhängig von Großkonzernen. Sie streben nicht ausschließlich nach Gewinnmaximierung, sondern verfolgen daneben auch noch ein der Kunst dienendes Ziel. Auch hier werden alle Kosten übernommen, der finanzielle Spielraum ist allerdings begrenzt
Nachteile:
DIENSTLEISTUNGSVERLAG. Dienstleistungsverlage sind Buchverlage, die eine beträchtliche Bandbreite an Genres bedienen, das wirtschaftliche Risiko aber nicht alleine tragen. Die Produktionskosten werden vom Autor übernommen, im Gegenzug stellt der Verlag alle Dienstleistungen der Produktionskette zur Verfügung. Vorteile:
Nachteile:
Self-Publishing. Beim Self-Publishing beschreitet der Autor den Weg autonom und ohne Verlag. Der Druck bzw. die Produktion des E-Books sowie der Verkauf werden über diverse Anbieter im Internet abgewickelt. Die Bücher werden erst bei Kauf gedruckt, wodurch den Onlineportalen weder Druck- noch Lagerungskosten entstehen. Vorteile:
Nachteile:
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